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Schweizerische Bundesversammlung,

In der Sitzung des Nationalrathes vom 8. Dezember gab der Präsident, Herr Lachenal, Kenntniß von nachfolgendem, ihm den 7. Dezember zugekommenen Sehreiben des Herrn Bundespräsidenten W elti: B e r n , 6. Dezember 1891.

An die hohe Bundesversammlung der Schweiz. Eidgenossenschaft,.

Hochgeachteter Herr Präsident!

Hochgeachtete Herren !

Der Unterzeichnete ist im Falle, der hohen Bundesversammlung das ehrerbietige Gesuch vorzulegen, ihn auf Ende des laufenden Jahres von der Stelle eines Mitgliedes des Bundesrathes zu entlassen.

Mit dieser Bitte verbindet er den wärmsten Dank für das Vertrauen, welches ihm die Rallie der Eidgenossenschaft während einer fünfundzwanzigjährigen Amtsdauer bewiesen haben, und verabschiedet sich mit den innigsten Wünschen für das Gedeihen und das Glück des Vaterlandes.

Mit vollkommener Hochachtung (gez.)

W elti.

Auf Antrag der Herren Künzli und Favon wurde das Präsidium eingeladen, sich zu dem Demissionär zu begeben und den Versuch zu machen, ihn zur Rücknahme seines Entlassungsgesuchs zu bewegen .

Der Ständerath,' welchem von dieser Schlußnahme Mittheilung gemacht wurde, beschloß gleichen Tages, auf Antrag der Herren Munzinger und Wirz, sein Präsidium zu beauftragen, sich dem Schritte des Präsidenten des Nationalrathes anzuschließen.

Ueber den Erfolg der daherigen Bemühungen machte Tags darauf der Präsident des Nationalrathes diesem folgende Eröffnung:

813 ,,Gern hätten wir dem Nationalrath eine Antwort überbracht, welche dem aufrichtigen Wunsche, welchem er gestern Ausdruck gegeben hat, besser entsprochen halte. Ich bedaure, Ihnen mittheilen zu müssen, daß die eindringlichsten Vorstellungen Ihres Präsidiums, welchen der Präsident des Ständerathes sich angeschlossen hat, fruchtlos geblieben sind, und daß nichts Anderes erübrigt, als den Rücktritt des Herrn Welti als eine vollendete Thatsache zu betrachten.

,,Gestatten Sie mir, bei Anlaß eines Ereignisses, welches einen schmerzlichen Wiederhall im Herzen des Demissionärs selber erweckt, der Dolmetscher Ihrer Gefühle zu sein, wenn ich dem Beamten, welcher zum sechsten Male während einer Laufbahn von 25 Jahren zur Würde des Bundespräsidenten erhoben worden ist, unser inniges Bedauern darüber ausspreche, daß er auf seinem Beschlüsse beharrt, und nicht weniger Ihrer Sympathie und Ihrer Dankbarkeit Worte verleihe für die ebenso hervorragenden wie zahlreichen Dienste, welche er auf allen Gebieten seiner administrativen und gesetzgeberischen Thätigkeit dem Lande geleistet hat.

,,So vernehme er denn jetzt, wo er sein Amt niederlegt, und zur Stunde, wo er, vorzeitig, seine an Ehren und Arbeit reiche Laufbahn verläßt, daß alle Diejenigen, welche seine Mitarbeiter in den eidgenössischen Räthen gewesen sind, nie vergessen werden, dass sich in- ihm die ebenso großen als seltenen Gaben bewundernswerther Beredsamkeit und hoher Intelligenz mit den reinsten republikanischen Tugenden und tiefer Vaterlandsliebe vereinigt gefunden haben. Möge dieses Zeugniß ihn freundlich in die Zurückgezogenheit begleiten, welche er freiwillig gewählt hat."

Im Ständerathe theilte der Präsident, Herr Dr. Göttisheim, seinerseits mir, dass Herr Welti erklärt habe, auf seinem Entlassungsgesuch definitiv beharren zmüssen..

Infolge dessen wurde die Behandlung dieses Gesuches und damit in Zusammenhang die Neuwahl eines Mitgliedes des Bundesrathes für den Rest der Amtsperiode auf die Tagesordnung der vereinigten Bundesversammlung gesetzt.

Diese trat den 17. Dezember zusammen.

Nachdem hier das den Räthen bereits mitgetheilte Entlassungsgesuch des Herrn Welti nochmals verlesen worden war, ergriff Herr Ständerathspräsident Göltisheim das Wort zu folgender Ansprache:

814 Hochgeachteter Herr Präsident!

Hochgeachtete Herren!

,,Als die beiden eidgenössischen Räthe vor einigen Tagen vom Rücktrittsgesuch des Herrn Bundespräsidenten Welti horten, haben sie Schrille gethan, um den Gesuchsteller zum Beharren in seinem Amte zu veranlassen. Der Versuch ist leider gescheitert und mit Gründen abgelehnt worden, welche die Hoffnung, heute noch ein anderes Resultat herbeizuführen, als durchaus unerfüllbar erscheinen lassen.

"Es bleibt uns also nichts übrig, als mit schwerem Herzen dem Gesuch zu entsprechen und einen Mann aus dem Dienste der Eidgenossenschaft scheiden zu sehen, der während vollen 25 Jahren seine ganze, von allen Parteien geschätzte Kraft dem Lande gewidmet, mit unverbrüchlicher Treue, Gewissenhaftigkeit und Uneigennützigkeit den ihm anvertrauten verschiedenartigen Autgaben nachgekommen ist und sich die Hochachtung aller Freunde des Vaterlandes erworben hat. Als ein treuer Hüter seiner Ideale war er ein Staatsmann, der sich nie durch die Tageserfolge blenden ließ, die Schablone verabscheute und seinen durch reiches Wissen und organisatorisches Talent geschärften Blick stets nur- und vorwärts richtete. Demgemäß pflegte er seine Ziele weit zu stecken, und wenn er sie auch nicht immer erreichte, so darf er doch das Bewußtsein in sein Privatleben mit sich nehmen, die Wege so gebahnt zu haben, daß das Erreichen des Zieles nur noch eine Frage der Zeit ist.

,,Ein durch freudige, aber auch schmerzliche Erfahrungen gestählter Charakter, kannte er in seinem ganzen Thun und Lassen nur einen Leitstern: die Liebe zu seinem Vatelande-- nichtjenen geräuschvollen und zur Schau getragenen Patriotismus, sondern jene Liebe, die in Tagen der Krisis und Gefahr ihn zwang, mit der ganzen Kraft seiner Seele für die Ehre und Unabhängigkeit des Landes ungescheut und entschieden einzustellen, und der er am 600jährigen Jubelfeste der Eidgenossenschaft vor allem Volke keinen bessern Ausdruck zu geben wußte, als mit der demuthsvollen und doch so si egesf rohen Bitte unseres großen vaterländischen Dichters au den Allmächtigen: ,,Lasse strahlen deinen schönsten Stern nieder auf mein irdisch Vaterland, auf's Schweizerland !" Einen Mann solcher Art aus dem öffentlichen Leben scheiden zu sehen, ist schmerzlich, fordert uns aber auch zu innigem Danke für die vielen großen und ausgezeichneten Dienste heraus.

,,Deßhalb erlaube ich mir, bei Ihnen den Antrug zu stellen: es möge dem Entlassungsgesuch entsprochen werden, zugleich über

815 aei nach altem und ehrwürdigem Brauch von den beiden zur Bundesversammlung vereinigten Käthen, als den Vertretern des Volkes und den Vertretern der eidgenössischen Stände, Hrn. Bundespräsidenten Welti bei seinem Scheiden der Dank des Vaterlandes für die geleisteten vorzüglichen Dienste zu bezeugen, und es sei ihm dieser Dank in einer besondern, dem Zweck entsprechenden Urkunde zu übermitteln."

Dieser Antrag wurde einmüthig zum Beschluß erhoben.

Hierauf wurde zur Neuwahl eines Mitgliedes des Bundesrathes an der Stelle des Demissionärs geschritten. Die Wahl fiel auf Herrn Nationalrath Dr. Josef Z e m p, von und in Entlebuch.

Dieser erklärte sich mit folgenden Worten zur Annahme der Wahl.

Hochgeachteter Herr Präsident!

Hochgeachtete Herren!

,,Der Eintritt in die neue hohe Stellung, zu der Sie mich soeben berufen haben, macht mir nicht geringe Sorgen. Derselbe bedeutet den Bruch mit meinen bisherigen, mir lieb gewordenen beruflichen und persönlichen Verhältnissen und den Abschluß der mir zusagenden Thätigkeit im öffentlichen Leben meines lieben Heimatkantons. Im Weitern werde ich vor eine überaus schwierige Aufgabe und daherige große Verantwortlichkeit gestellt, wobei ich das lebhafte Bewußtsein in mir trage, daß mir nicht dasjeaige Maß von Kenntnissen, Geisteskraft und administrativer Befähigung zu Gebote steht, das mir ermöglichen würde, Ihre Erwartungen im ganzen Umfange zu erfüllen.

,,Gleichwohl gelange ich zur Erklärung, daß ich die Wahl annehme. Ich Ihue es aus dem Gefühl der Pflicht.

,,Aus den Vorbesprechungen und der heuligen Wahlverhandlung ist zu entnehmen, daß nicht nur die mir näherstehenden Mitglieder dut Käthe meine Wahl wünschen, sondern daß zu derselben auc-h die andern Gruppen der hohen Versammlung eine freundliche Stellung einnahmen, während es in ihrer Hand lag, eine andere Nomination zu treffen für den Nachfolger des hochverdienten und hochsinnigen Magistraten, dessen Austritt aus der Bundesexekutive wir Alle, Alle tief bedauern. Aus diesem Gesammlwillen der verschiedenen politischen Riehtungen schöpfe ich die Hoffnung, daß es mir möglifh sein werde, dem Lande in der neuen Stellung nützlich zu sein, und erwächst mir die Pflicht, das Opfer auf den Altar zu legen.

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,,Zielpunkte meiner künftigen Thätigkeit anzudeuten, wäre mir schon deßhalb nicht möglich, weil ich bisher keine Veranlassung hatte, darüber auch nur nachzudenken. Ich denke, daß ich vorläufigO genug zu thun haben werde mit der Kenntnißnahme von den O O Geschäften und der Organisation des Dienstes desjenigen Departements, das mir zugewiesen werden wird.

,,Eines aber möchte ich schon heute feststellen. Sie haben die W a h l getroffen aus den Vertretern der konservativ-katholischen Volkspartei. Damit haben Sie den Willen kundgethan, daß auch diese mitrathen und mitthaten soll bei der gemeinsamen Arbeit für das Land und das Volk gesammter Eidgenossenschaft. Damit verbinde ich die Erklärung -- und ich setze hiebei die Zustimmung meiner politischen Freunde voraus -- daß die Meinung mir ferne liegt daß ich im neuen Amte mich in den Dienst einer Partei zu stellen habe. Nein, meine Aufgabe wird vielmehr die sein, unter Zuratheziehung auch derjenigen Gesichtspunkte, welche meine Gesinnungsgenossen je und je als maßgebend erachteten, mich auf die höhere Warte zu begeben an die Seite meiner dereinstigen Kollegen, um, soviel an mir liegt und meine Kräfte es erlauben, die gesammten Interessen aller Eidgenossen und aller Landestheile und des gesammten Vaterlandes gleichmäßig wahrzunehmen und zu verwalten. Das ist das einzige Programm, zu dem ich mich heute bekenne.

,,Im Uebrigen, nachdem die Wahl geschehen, trete ich mit offenem Vertrauen in den Kreis derjenigen Männer, denen Sie die Exekutive übergeben haben. Dagegen erhebe ich den Anspruch, daß man mich auch mit demselben Vertrauen aufnehme. Das gegenseitige Vertrauen ist eine Grundbedingung der gedeihlichen Arbeit.

,,Noch erübrigt mir die Erfüllung der angenehmen Obliegenheit, Ihnen, hochgeehrte Herren, den herzlichen Dank auszusprechen für die hohe Ehre, welche Sie mir zugewendet haben. Au derselben haben auch Antheil meinHeimatkantonu und die nicht kleinen Volkskreise, deren politische, konfessionelle undwirthschaftlichee Anschauungen ich hier während einer Reihe von Jahren mit zu vertreten berufen war."

Hierauf wurde der Neugewählte vorschriftsgemäß beeidigt.

Sodann wurde noch zur Wühl des Bundespräsidenten, sowie des Vizepräsidenten des Bundesrathes für das Jahr 1892 geschritten und zum B u n d e s p r ä s i d e n t e n pro 1892 Herr Walther H ä u
s e r , von Wädensweil und St. Gallen, z. Z. Vizepräsident des Bundesrathes, und zum nächstjährigen V i z e p r ä s i d e n t e n Herr Bundesrath Dr. Karl S c h e n k , von Signau, gewählt.

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