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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen, betreffend die genaue Anwendung des eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsgesetzes.

(Vom 13. März 1891.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Auf Veranlassung des Nationalrathes sind wir in der Lage, Ihnen in Betreff der eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen nachstehende Eröffnungen zu machen : Anläßlich der Prüfung des Ergebnisses der letzten, am 26. Oktober verflossenen Jahres erfolgten Volksabstimmung über Art. 34bis der Bundesverfassung und der am nämlichen Tage stattgefundenen Erneuerungswahlen für den Nationalrath hat sich nämlich herausgestellt, daß die einschlägigen eidgenössischen Gesetze nicht in allen · Kantonen zur richtigen Anwendung kommen.

In Bezug auf die V o l k s a b s t i m m u n g erzeigt sich aus den Akten, daß einzelne Abstimmungsprotokolle nicht alle wünschbaren Daten enthalten. Die weitaus große Mehrzahl derselben hält die leeren und die ungültigen. Stimmkarten nicht auseinander, einzelne geben nicht einmal an, wie viel leere und ungültige Stimmkarten im Ganzen eingelegt wurden, so daß es unmöglich ist, auf Grund derselben festzustellen, wie groß die Zahl der Bürger war, welche sich an der Abstimmung überhaupt betheiligt haben.

Allerdings schreibt Art. 12 des Bundesgesetzes betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17.. Juni 1874 ausdrücklich nur vor, daß die Abstimmungsprotokolle Angaben über die Zahl der Stimmberechtigten, sowie über die Zahl der annehmenden und der verwerfenden Stimmen enthalten sollen.

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Ganz abgesehen aber von der für die Ausmittluug des Abstimmungsergebnisses nicht bedeutungslosen Frage, ob nicht die in Art. 19 des Bundesgesetzes über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen vom 19'. Juli 1872 gemachte -- zunächst freilich nur für die Nationalrathswahlen maßgebende -- Unterscheidung zwischen leeren und ungültigen Stimmkarten analog auf die Ausmittlung des Ergebnisses eidgenössischer Abstimmungen auszudehnen sei (man vergleiche über die diesfalls im Jahre 1879 von der Solothurner Regierung erhobene Kontroverse Bundesbl. von 1879, Bd. II, pag. 850 u. ff., und III, pag. 25 u. ff.), so läßt, wie wir in den bezüglichen Botschaften schon mehrfach zu betonen Veranlassung nahmen, schon die Rücksicht auf eine möglichst vollständige Abstimmungsstatistik die gesonderte Aufzählung der leeren und der ungültigen Stimmkarten in hohem Maße wünschbar erscheinen.

Die nationalräthliche Kommission, welche unsere Botschaft über die Volksabstimmung vom 26. Oktober 1890 zu begutachten hatte, hat. denn auch unsere Anschauung zu .der ihrigen gemacht und am 13. Dezember vorigen Jahres, unter stillschweigender Billigung des Nationalrathes, .einstimmig dem Wunsche Ausdruck gegeben, es möchte, um dem in gegenwärtiger und in frühern Botschaften schon hervorgehobenen Uebelstande des Zusammenvverfens leerer und ungültiger Stimmkarten abzuhelfen, ein bezügliches Kreisschreiben an die Kantonsregierungen erlassen werden.

Bei den W a h l e n haben sich namentlich folgende Uebelstande gezeigt : Es wurden da und dort'bei Pestsetzung der Ziffer des absoluten Mehrs nicht nur die leeren, sondern auch die als ungültig erachteten Stimmzeddel außer Berücksichtigung gesetzt, d. h. nicht gezählt. Dies hatte zur Folge, daß jene Ziffer zu niedrig bestimmt wurde.

Es wurden Stimmzeddel, die weniger Namen trugen, als sie tragen sollten, d. h. als Stellen zu besetzen waren, als ungültig erklärt, was dann bewirkte, daß einige Kandidaten um eine beträchtliche Anzahl Stimmen verkürzt wurden.

Eine derartige Praxis verstößt aber gegen den Art. 19 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 und das diesen Artikel ergänzende Bundesgesetz vom 31. Juli 1873, welche zusammengestellt folgendermaßen lauten : ,,Diejenigen, auf welchen sich die absolute Mehrheit der stimmenden Wähler vereinigt hat, sind als gewählt zu betrachten.

,,Leere Stimmzeddel werden bei Ausmittlung der absoluten Mehrheit nicht berücksichtigt.

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,,Stimmzeddel, welche weniger Namen tragen, als Stellen zu besetzen sind, werden dagegen gleich ändern beschriebenen Stimrazeddeln behandelt.11 Angesichts der näher bezeichneten Verstöße müssen wir Sie angelegentlich ersuchen, dafür besorgt zu sein, daß in Zukunft den citirten Gesetzbestimmungen genau nachgelebt, daß ferner, bei Uebermittlung des Ergebnisses eidgenössischer Abstimmungen, nicht nur die Zahl der Stimmberechtigten, der Annehmenden und der Verwerfenden, sondern auch die^Zahl sowohl der leeren, wie auch der ungültigen Stimmkarten gesondert angegeben werde.

Endlich sollen wir Sie neuerdings einladen, den stimmberechtigten Bürgern Ihres Kantons die Ausübung des Stimmrechts innerhalb der durch Art. 3 und 8 des Bundesgesetzes über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen, vom 19. Juli 1872, und durch das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1888, betreffend Abänderung des Artikels 4 desselben, gezogenen Sehranken möglichst zu erleichtern.

Im Uebrigen benutzen wir gerne diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in G-ottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 13. März 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen, betreffend die genaue Anwendung des eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsgesetzes. (Vom 13. März 1891.)

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18.03.1891

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