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Schweizerisches Bundesblatt.

43. Jahrgang. I.

Nr. 4.

28. Januar 1891.

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Bericht des

eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements an den schweizerischen Bundesrath über die Kompetenz des Bundesrathes zur Behandlung von Rekurssachen, welche die Ausübung des Wirthschaftsgewerbes betreffen.

(Vom Bundesrathe genehmigt am 13. September 1889 und veröffentlicht zufolge Beschlusses dieser Behörde vom 23. Januar 1891.)

Tit.

Anläßlich eines Spezialfalles haben Sie das unterzeichnete Departement beauftragt, vorläufig in allgemeiner Weise die Frage zu begutachten, wie weit noch jetzt, angesichts des neuen Artikels 31 der Bundesverfassung, die Kompetenz der politischen Behörden der Eidgenossenschaft ia Bezug auf die Ausübung des Wirthschaftsgewerbes sich erstrecke.

Wir haben die Ehre, Ihnen in Nachfolgendem unsere Ansicht hierüber darzulegen.

Die neue Litera c des Artikels 31 der Bundesverfassung nimmt das gesammte Wirthschaftswesen und den Kleinh a n d e l mit g e i s t i g e n G e t r ä n k e n von der Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit aus.

Wenn diese Ausnahme ohne irgend einen Vorbehalt ausgesprochen wäre, so könnte natürlich beim Wirthschaftswesen der Grundsatz der Gewerbefreiheit nicht mehr angerufen werden. Die Kantonalsouveränität wäre auf diesem Gebiete ebenso uneingeschränkt,, wie z. B. mit Bezug auf den Salzverkauf.

Bundesblatt, 43. Jahrg. Bd. I.

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146 Allein so liegen die Verhältnisse nicht. Die für die Wirthschaften und den Kleinhandel mit geistigen Getränken festgesetzte Ausnahme ist keine unbegrenzte; sie ist in ganz bestimmter Weise eingeschränkt, da sie bloß ,, i n d e m S i n n e " aufgestellt wurde, ,,daß die Kantone auf dem W e g e der G e s e t z g e b u n g die Ausübung des Wirthschaftsgewerbes und den Kleinhandel mit geistigen Getränken d e n d u r c h d a s ö f f e n t l i c h e W o h l g e f o r d e r t e n Beschränkungen unterwerfen können".

Hieraus geht hervor, daß unter der Herrschaft des neuen Art. 31 der Bürger das Recht hat, im Wirthschaftswesen den Grundsatz der Gewerbefreiheit jeder Maßregel gegenüber geltend zu machen, welche einmal nicht auf e i n e m G e s e t z e beruhen und andererseits nicht als eine vom ö f f e n t l i c h e n W o h l gef o r d e r t e B e s c h r ä n k u n g sich darstellen würde. Der Bundesrath ist also sicherlich befugt, in jedem einzelnen Falle zu erklären, ob diese beiden Bedingungen erfüllt seien, ob die Maßregel, gegen welche ein Rekurs gerichtet ist, wirklich unter die Zahl der sub lit. c vorgesehenen Beschränkungen falle oder nicht.

Da dieser Entscheid eine, wenn auch nur summarische, Untersuchung voraussetzt, so kann der Bundesrath nicht von vornherein sich weigern, in die Sache einzutreten. Er ist kompetent und kann in keinem Fall seine Kompetenz ablehnen.

Infolge dessen richtet sieh denn auch das Interesse nicht so wohl auf die Frage, ob der Bundesrath befugt sei, Rekurse dieser Art zu beurtheilen, als vielmehr auf die Feststellung der Grundsätze, nach welchen er sie entscheiden soll.

Nun hat der Bundesrath bei Erledigung eines solchen Rekurses, wie schon gesagt, nur zwei Funkte zu untersuchen, nämlich: 1. Beruht die angefochtene Maßregel auf einer g e s e t z l i c h e n Bestimmung?

2 . . K a n n sie als eine vom ö f f e n t l i c h e n W o h l geforderte Beschränkung aufgefaßt werden?

Im Falle der Bejahung dieser beiden Fragen muß der Rekurs notwendigerweise abgewiesen werden.

Aber welches ist, genau genommen, die Bedeutung der beiden Begriffe: ,, W e g d e r G e s e t z g e b u n g " u n d ,, ö f f e n t l i c h e s W o h l" ?

Dies ist die Vorfrage, welche hier in allgemeiner Weise geprüft werden muß.

Untersuchen wir zunächst an der Hand der Akten, welches der Gedanke der Urheber des revidirten Art. 31 gewesen ist. Wir

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werden dann sehen, ob der gegenwärtige Wortlaut dieses Artikels dem Gedanken seiner Urheber entspricht und welche Tragweite ihm beizumessen ist.

I. Der Ursprung des Art. 31, lit. c.

Die Botschaft des Bundesrathes ,,über die Alkoholfrage a vom Botschaft des 20. November 1884 liefert keinerlei Anhaltspunkte in Betreff der Bundesrathes uns beschäftigenden Frage. Der Bundesrath erklärte sich bekannt- vom 20. Nov.

lieh gegen jede Revision des Art. 31; seine Botschaft ist eine 1884.

kräftige Verteidigungsrede gegen den durch die Motion Wirz angeregten Gedanken, das Wirthschaftsgewerbe außerhalb des gemeinen Rechts zu stellen.

Der Bundesrath beharrte indessen nicht bei seiner Opposition.

Am 26. Januar 1885, in der ersten Sitzung der nationalräthlichen Kommission, erklärten die Herren Deucher und Kummer, daß sie, um eine Verständigung herbeizuführen, bereit seien, mit Bezug auf Art. 31 nachzugeben, wenn man dafür die bundesräthlichen Vorschlage hinsichtlich der Art. 32 und 32bis annehme.

Herr Bundesrath Deucher legte selbst am 28. Januar einen Vorschlag zur Revision des Art. 31 vor, welcher die Wirtschaften von der Wohlthat der Gewerbefreiheit ausschloß. Der zu diesem Zweck beigefügte Vorbehalt lautete folgendermaßen : ,,Vorbehalten sind: ,, c. Das Wirthschaftswesen und der Kleinhandel mit geistigen Getränken.

,,Die Kantone können a u f d e m W e g e a l l g e m e i n v e r b i n d l i c h e r V o r s c h r i f t e n die Ausübung des Wirthschaftsgewerbes und des Kleinhandels mit geistigen Getränken den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen."

Der Zweck dieser Bestimmung war, nach der Ansicht ihres Urhebers sowohl als nach derjenigen der Kommissionsmitglieder, den Kantonen zu erlauben, die Zahl der Wirthschaften n a c h dein B e d ü r f n i s s e zu beschränken oder sogar zu vermindern. Es geht dies aus den sachbezüglichen Voten und Vorschlägen deutlich hervor.

So entnehmen wir dem Protokoll folgende Erklärungen : Herr D e u c h e r : ,,es ist anzunehmen, daß, w e n n a u c h d a s B e d ü r f u i ß w i e d e r a l s M a ß a u f g e s t e l l t w i r d , doch a im Ganzen eine gerechte Handhabung stattfinden werde

Berathungen der nationalräthlichen Kommission.

26.--31. Jan.

1885.

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,,Es muß auch zugegeben werden, daß e i n e zu g r o ß e Z a h l von W i r t h s c h a f t e n vorhanden ist.tt Herr B e r g e r : ,,Es ist der entschiedene Wille der großen Mehrheit des Bernervolkes, daß e i n e B e s c h r ä n k u n g der W i r t h s c h a f t e n a u f d a s B e d ü r f n i ß eintrete." 1 Herr v. R o t e n : ,, Als eines der wirksamsten Mittel zur Abhülfe wird von einer Reihe gewichtiger Stimmen die E i n s c h r ä n k u n g der W i r t h s c h a f t e n bezeichnet."

Die Herren Eì erg e r und D ü r r er hatten sogar Fassungen vorgeschlagen, In welchen die Feststellung der Zahl der Wirthschaften nach dem Bedürfnisse ausdrücklich enthalten war. Herr Berger schlug nämlich vor, zu sagen: ,,Hievon ausgenommen ist das Schank- und Wirthschaftsgewerbe, welches nach Maßgabe des öffentlichen Wohles o d e r des o b w a l t e n d e n B e d ü r f n i s s e s zu ordnen den Kantonen unter der Aufsicht der Bundesbehörden überlassen bleibt."

Und Herr D ü r r e r wollte sagen: ,,Den Kantonen bleibt überlassen, die Z a h l der W i r t h schaften, sei es nach dem B e d ü r f n i s s e oder auch nach der B e v ö l k e r u n g s z a h l einer Gemeinde, festzusetzen."· Die Herren Berger und Durrer zogen zwar beide ihre Vorschläge zurück, aber nur aus dem Grunde, weil sie mit Herrn Deucher darin einig gingen, daß seine Fassung den nämlichen Zweck erreiche.

Dies war auch die Ansicht des Herrn Curti, welcher befürchtete, die den Kantonen gewährte weitgehende Befugniß gefährde die bürgerliche Freiheit und könnte eine Quelle von Mißbräuchen und willkürlichen Maßnahmen werden, und deßhalb lieber die Kantone blos ermächtigt hätte, festzusetzen, daß während einer bestimmten Zeit die Zahl der Wirthschaften nicht vermehrt werden dürfe.

Man war also von vornherein einverstanden, daß die Kantone das Recht haben sollten, die Zahl der Wirthschaften aus Gründen des öffentlichen Wohls einzuschränken und zu verringern. Das war ja auch der eigentliche Zweck der Revision; denn mit Bezug auf anderweitige Beschränkungen, wie Bedingungen betreffend Bau, Raum, Lage des Hauses, Moralität etc., hatten die Bundesbehörden schon lange den Kantonen freie Hand gelassen. Dagegen hatten die Bundesbehörden beständig den gleich anfangs in ihrem Kreisschreiben vom 11. Dezember 1874 dargelegten Standpunkt festgehalten (Bundesbl. 1874, HI, 888), dahingehend, es dürfe die Be-

149 willigung zur Errichtung von Wirtschaften nicht von dem vorhandenen öffentlichen Bedürfnisse abhängig gemacht werden und die Beschränkung der Wirtschaften auf eine Normalzahl sei neben dem im Art. 31 der Bundesverfassung niedergelegten Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht mehr haltbar.

Indessen beabsichtigte die Kommission nicht, den Wirtschaften die Wohlthat der Handels- und Gewerbefreiheit g ä n z l i c h zu entziehen.

Herr Deucher, der Verfasser des neuen Textes, erklärte ausdrücklich, ,, j e d e W i l l k ü r m ü s s e u n t e r s a g t w e r d e n u n d die Kantonsregierungen sollten nicht das Recht haben, n a c h B e l i e b e n vorzugehen"1. Aus diesem Grunde hatte Herr Deucher in seinem Vorschlag den Satz aufgenommen, daß die fraglichen Beschränkungen ,, a u f d e m W e g e a l l g e m e i n v e r b i n d l i c h e r V o r s c h r i f t e n " 1 angebracht werden müßten. Und um nach dieser Richtung hin m ö g l i c h s t zu b e r u h i g e n , schlug er späterhin vor, die Worte: ,,allgemein verbindliche Vorschriften"1 durch ,, G e s e t z g e b u n g " 1 zu ersetzen, was angenommen wurde. -- Mau begreift allerdings nicht recht, wie, nach der Ansicht des Herrn Deucher, diese Abänderung den Gedanken, alle Willkürmaßregeln auszuschließen, schärfer betonen sollte; denn, angenommen, ein Kanton wende den ,,Weg der Gesetzgebung"1 an, um seine Regierung zu ermächtigen, in jedem einzelnen Fall nach ihrem freien Ermessen, um nicht zu sagen nach ihrem Belieben, zu handeln, so wäre die Wirkung eher die entgegengesetzte; die Gleichberechtigung der Bürger wäre weniger gesichert, als wenn der Gegenstand durch einfachen, genau und einläßlich motivirten Beschluß der vollziehenden Behörde erledigt würde.

Man muß also annehmen, daß Herr Deucher mit dem Ausdruck ,,Gesetzgebung11 Gesetze im Auge hatte, welche die Ertheilung von Wirtbschaftsbewilligungen an b e s t i m m t e a l l g e meine Regeln binden, deren A n w e n d u n g in jedem e i n z e l n e n Fall der W i l l k ü r m ö g l i c h s t wenig Spielr a u m g e w ä h r e n w ü r d e . Sonst könnte man sich sein Amendement nicht erklären und dasselbe würde zu der von ihm vorgebrachten Begründung nicht passen.

Wie dem auch sei, so ist doch gewiß, daß Herr Deucher ausdrücklich das Recht der Beschwerde an die eidgenössischen Behörden gewahrt
wissen wollte. Denn, als Herr Berger vorgeschlagen hatte, zu diesem Zwecke die Worte: ,,unter der Kontrole der Eidgenossenschaft" hinzuzufügen, erklärten' Herr Deucher und Herr Präsident Stößel dieses Amendement für ü b e r f l ü s s i g , weil,

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wie sie sagten, jede r e i n w i l l k ü r l i c h e Handlung der kantonalen Behörden auf dem Rekurswege als verfassungswidrig angefochten werden könnte. Hierauf zog Herr Berger seinen Antragunter der Bedingung zurück, daß von der Erklärung des Herrn Deucher im Protokoll und im Bericht der Kommission Akt genommen werde.

Bericht der Nun enthält awar der von Herrn Stößel verfaßte Bericht der nationalräth- Kornmission wirklich eine Stelle, wo das Rekursrecht vorbehalten wird; liehen Köm- aber es geschieht dies in einem Sinne, der von demjenigen, welchen mission vom Herr Deucher im Auge hatte, ziemlich verschieden ist. Nach der 31. Jan. 1885. Ansicht dieses Letztern sollte der w i l l k ü r l i c h e C h a r a k t e r einer Maßregel einan Rekurs rechtfertigen ; nach Herrn Stößel wäre es vielmehr das Z u w e i t g e h e n einer Maßregel, was zu einem Rekurs Veranlaßurg geben könnte. (,,Man wird", sagt der Bericht, ,,gegen den Entscheid einer Kantonsbehörde, welche w e i t e r gehende Beschränkungen als die durch das öffentl i c h e W o h l g e f o r d e r t e n aufstellen wollte, an die Bundesbehörden rekurriren können^.J Es ist klar, daß diese beiden Anschauungen sich .licht decken ; denn eine Maßregel, z. B. die Aufhebung aller Wirtschaften, kann eine zu weit gehende sein, ohne dabei im geringsten den Charakter der Unbilligkeit und Willkürlichkeit zu tragen, da sie jn alle Wirthe gleichmäßig treffen würde.

Wenn es gestattet ist, die etwas von einander abweichenden Erklärungen der Herren Deucher und Stößel zusammenzufassen, so kann man aus denselben schließen, daß die Kommission, ohne indessen darüber völlig im Klaren zu sein, das Rekursrecht von zwei Gesichtspunkten aus gewahrt wissen wollte: 1. Vom Gesichtspunkt des besondern p e r s ö n l i c h e n , w i l l k ü r l i c h e n Charakters der angefochtenen Maßregel (Ansicht des Herrn Deucher); 2. vom Gesichtspunkt ihres zu w e i t g e h e n d e n , d u r c h die Forderungen des öffentlichen Wohls n i c h t g e n ü g e n d g e r e c h t f e r t i g t e n Charakters. -- Die Bundesbehörden wären also, diesem zweiten Gesichtspunkte gemäß, die obersten Richter darüber, was als ,,Forderung des öffentlichen Wohls" angesehen werden kann (Ansicht des Herrn Stößel).

Berathungen Als die Frage irn Nationalräth behandelt wurde, erneuerte des National- Herr
Deucher seine Erklärung, zufolge welcher in seinen Augen rathes, am (jje G e s e t z g e b u n g einen genügenden Schutz gegen willkürliche 14. und Handlungen bieten würde. (,,Allzu weit gehender Willkür sei da16. März 1885. durch die Spitze gebrochen, daß den Kantonen nur auf dem Wege der Gesetzgebung vorzugehen gestattet sei.")

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Man hielt ihm entgegen, dieser Schutz habe keinen Werth und einzig das K o n t r o l r e c h t der E i d g e n o s s e n s c h a f t würde einen wirksamen Schutz bilden. Aus diesem Grunde wurde der nachfolgende, von den Herren Forrer, Berger und Meister vorgeschlagene Zusatz angenommen : ,,Die diesbezüglichen Gesetze unterliegen der Genehmigung des Bundesratbes.tt In der ständeräthlichen Kommission gab Herr Deucher eine Berathungen ähnliche Erklärung wie früher ab : ,,Der Entscheid des National- der ständerathes", sagte er, ,, g i b t den K a n t o n e n k e i n e u n b e s c h r ä n k t e räthlichen F r e i h e i t , da die von denselben verordneten Einschränkungen Kommission, a u f e i n e r g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e b e r u h e n u n d v o m 30.April 1885.

ö f f e n t l i c h e n W o h l e g e f o r d e r t sein müssen."

Auf das Begehren von fünf ihrer Mitglieder strich die Kommission den Satz : ,,Die diesbezüglichen Gesetze unterliegen der Genehmigung des Bundesrathes."

Dagegen wurde auf das Begehren des Herrn Scherb der Satz in's Protokoll aufgenommen, daß, nach der einstimmigen Ansicht der Kommission, ,,das Rekursrecht g e g e n j e d e V e r l e t z u n g b u n d e s r e c h t i i e h e r B e s t i m m u n g e n vorbehalten bleibe".

Dieser Vorbehalt war wohl selbstverständlich; es wäre verdienstlicher gewesen, genau zu bestimmen, was auf diesem Gebiete als ,,Bundesrecht 1 * zu betrachten sei. Damit der fragliche Vorbehalt einen Sinn habe, muß man nothwendig annehmen, die Kommission habe auch die Ansicht des Herrn Deucher getheilt, daß die Gewerbefreiheit nicht gänzlich unterdrückt werde.

Der Ständerath genehmigte einfach die Beschlüsse seiner Kommission.

Als der Nationalrath über die Differenzen Beschluß faßte, stimmte er dem Ständerath mit Bezug auf die Streichung des Satzes bei, welcher die bezüglichen Gesetze der Genehmigung des Bundesrathes unterstellte. Dagegen verband er die beiden Sätze der Lit. c durch die Worte ,,in dem S i n n e " , was offenbar den Zweck hatte, genau anzugeben, daß der Wirthsehaftsbetrieb nicht in absoluter Weise, sondern nur i m S i n n e der im zweiten Theil des Satzes angegebenen Beschränkungen von der Gewerbefreiheit ausgenommen sei.

Der Ständerath trat dieser Abänderung bei. Das Schweizervolks einerseits genehmigte mit starker Mehrheit
die Revision des Art. 31. Aber wir dürfen nicht unterlassen, dabei zu erwähnen, daß die bestimmten, von den Vertretern des Bundesrathes sowohl als der Kommissionen herrührenden Erklärungen, welche einstimmig

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die Beibehaltung eines Rekursrechtes bezeugten, eine sehr große Zahl von Bürgern zur Annahme der neuen Verfassungsbestimmungen bewegen haben. Herr Bundesrath Droz hatte in der Volksversammlung zu Cernier die Notwendigkeit sehr wohl begriffen, diese Erklärung in ernstester und bestimmtester Weise zu erneuern, und es ist am Platze, hier daran zu erinnern, daß seine Worte, sowie diejenigen des Herrn Deueher, von der Presse wiedergegeben worden sind, daß die 0;-gane ansehnlicher Gruppen von Bürgern davon Notiz genommen haben und daß man bei einschlägigen Rekursen den Bundesrath an seine Erklärungen wie an eine Art von Versprechen erinnert, welches er zu halten verpflichtet sei.

In Zusammenfassung der Resultate der geschichtlichen Untersuchung , die wir in kurzen Zügen dargelegt haben, scheint uns Folgendes festzustehen : Der Gesetzgeber hat theoretisch die Möglichkeit eines Rekurses an die Bundesbehörden zugegeben und zwar von einem doppelten Gesichtspunkte aus: Wegen rein willkürlichen Charakters der angefochtenen Maßregel und aus Erwägungen des öffentlichen Wohls.

Wir wollen jetzt untersuchen, welches die praktische Tragweite dieses von den Urhebern des Art. 31 in der Theorie festgestellten Rekursrechtes sein kann.

II. Anwendung des Art. 81, lit. c.

Der Bundesrath, sagen wir, hat das Recht, zu untersuchen, ob die angefochtene Maßregel als eine ,, a u f dem W e g e der G e s e t z g e b u n g " eingeführte Beschränkung betrachtet werden könne.

Es bedeutet dies mindestens so viel, daß eine Wirthschaftsbewilligung nur gestützt auf die Bestimmung eines kantonalen Gesetzes verweigert werden darf. Die Kantone, welche die weitergehenden Befugnisse, die ihnen der revidii-te Art. 31 überträgt, anzuwenden gedenken, haben zunächst ein Gesetz in diesem Sinne zu erlassen, sonst bleibt das Wirthschaftsgewerbe ein freies wie vorher.

Aber auf welche Weise soll dieses Gesetz abgefaßt sein? Verlangt die Verfassung ein Gesetz, das bestimmte Regeln aufstellt, oder würde sie sich, gegebenen Falls, mit einer in Fortn eines Gesetzes den Kantoosbehörden gegebenen Vollmacht begnügen, welche denselben erlauben würde, die Bewilligungen nach ihrem freien Ermessen zu ertheilen oder zu verweigern ? Bei wörtlicher Aus-

153 äegung des Artikels würde man sich eher zur zweiten Alternative hinneigen ; wenn man sich aber daran erinnert, daß nach der Ansicht des Urhebers des neuen Art. 31 der Begriff ,,Gesetz" gleichbedeutend war mit ,,allgemein verbindliche Maßregel", und daß der fragliche Zusatz den /weck haben sollte, die rein willkürlichen Maßregeln auszuschließen, so muß man notwendigerweise zugeben, daß ein Gesetz, welches blos das Belieben der Verwaltungsbehörde gutheißt, keineswegs denjenigen Schutz gegen Regierungswillkür bietet, den man den Bürgern hat gewähren wollen.

Wir sind keineswegs der Meinung, daß das Gesetz eine Art Zwangsjacke sein und den mit seiner Anwendung betrauten Behörden keinerlei Handlungs- und Urlheilsfreiheit lassen solle; aber wir verlangen, daß es auf die eine oder andere Weise die Aufrechterhai tung des Grundsatzes der Gleichheit garantire und die Bürger gegen willkürliche Maßregeln schütze, welche ohne klares Unterscheidungsmerkmal die Einen verschonen und die Andern treuen.

So hat der Kanton Freiburg neulich ein Gesetz erlassen, dessen Einschränkungsmaßregeln nur darin bestehen, der Regierung den Auftrag zu geben, ,,die Zahl der Wirtschaften möglichst zu vermindern"1. Gestützt auf diese Befugniß, bat die Freiburger Regierung die Erneuerung von 98 Wirthschaftsbewilligungen verweigert. Wir wollen gerne annehmen, sie habe sich bei ihrer Wahl nur von Erwägungen des öffentlichen Wohls leiten lassen; sie muß jedoch selbst zugeben, daß in sehr vielen Fällen die unterdrückten Wirthschaften weder mehr noch weniger unwürdig waren, ihr Dasein weiterzuführen, als diejenigen, welche man fortbestehen ließ. Es handelte sich einzig darum, an dem und dem Orte oder in der und der Straße, je nach den Umständen, bald die Hälfte, bald einen Drittel, bald einen Viertel der vorhandenen Wirtschaften zu unterdrücken. Welche sollte man opfern, welche beibehalten? Das Gesetz schweigt hierüber, es überläßt die Zahl und die Auswahl der zu beseitigenden Wirthschaften dem freien Ermessen der Regierung. Je nach ihrem Gutdünken wird die Behörde in einem Dorfe oder in einer Straße alle Schenken fortbestehen lassen und sie an einem andern Orte sämmtlich oder beinahe särnmtlich unterdrücken; keine allgemein verbindliche Vorschrift gibt ihr an, wie weit sie gehen darf oder soll, und auch nicht, wie die Auswahl vor
sich zu gehen habe.

Nun ist es aber für Menschen unmöglich, bei einem so dehnbaren System nicht Rücksichten auf örtliche Konkurrenz und Begünstigungen einen größeren oder geringeren Einfluß einzuräumen und zum großen Schaden des Gleichheitsgrundsatzes, welcher die Grundlage des Artikels 31 sowohl als des Artikels 4 der Bundesverfassung bildet, in die Wagschale fallen zu lassen.

154 Hat wohl der revidirte Artikel 31 ein solches Verfahren gutheißen wollen? Wir glauben es nicht. Ein Gesetz, welches einfach, die absolute Freiheit der Verwaltungsbehörden verkündet, bietet den Bürgern nicht einen Schutz, der den Bundesbehörden gestatten würde, um die Anwendung desselben sich nicht weiter zu kümmern.

Der Bundesrath hat, wenn er nicht so weit gehen will, ein solches Gesetz geradezu als unstatthaft zu erklären, zum Mindesten das Recht, in jedem einzelnen Falle zu prüfen, ob die kantonale Behörde von ihrer unbeschränkten Befugniß einen verständigen und gerechten Gebrauch gemacht habe, oder ob nicht vielmehr die angefochtene Maßregel als einen reinen Willkürakt sich darstelle, den auch die so dehnbaren Bestimmungen des Gesetzes nicht zu beschönigen vermöchten.

So können wir zwar, um einen andern Fall in's Auge zu fassen, wohl zugeben, daß ein Gesetz, während es die frühern Bewilligungen fortbestehen läßt, die Bestimmung aufstelle, es dürfe da, wo keinerlei Bedürfniß nach Vermehrung der Wirtschaften vorhanden ist, keine neue Bewilligung ertheilt werden. Eine solche Bestimmung ist erlaubt, weil sie alle Bürger ohne Unterschied trifft. Wenn dieselbe aber in der Praxis in dem Sione angewendet würde, daß man dem einen Bürger, unter dem Vorwand, es sei kein Bedürfniß vorhanden^ die nachgesuchte Bewilligung verweigert, kurze Zeit darauf aber am oämlichen 0::te einem andern Bürger das gestattet, was man dem ersten soeben verweigert hat, so hört die Anwendung dea Gesetzes auf, den Charakter einer allgemeinen, von der Verfassung gewollten Maßregel zu tragen, und wird zum Deckmantel für die reinste Willkürherrschaft. Die Bundesverfassung hat sicherlich nicht die Bundesbehörden solchen Mißbräuchen gegenüber entwaffnen wollen; die Urheber des Gesetzes haben ja laut das Gegentheil verkündet.

Nach der Ansicht der nämlichen Urheber hätte der Bundesrath auch das Recht, irgend eine Maßregel, als vom Standpunkt desa l l g e m e i n e n W o h l s aus nicht genügend gerechtfertigt, aufzuheben.

Die theoretische Richtigkeit dieses Satzes unangefochten lassend und gerne zugebend, daß der Bundesrath nöthigenfalls aus diesem Grunde gegen offenbar übertriebene Maßregeln, wie zum Beispiel die völlige Unterdrückung aller Weinschenken in einem Kanton, einschreiten könnte, wird man doch als a l l g e m e i
n e R e g e l anerkennen müssen, daß den Kantonen und nicht dem Bund das Urtheil darüber zukommt, was das öffentliche Wohl erfordere.

Aus dem Umstände, daß die Gesetzgebung über dieses Gebiet dea Kantonen überlassen ist, darf geschlossen werden, daß die Verhält-

155 nisse des öffentlichen Wohls, weil sie von einem Kanton zum andern verschieden sein können, nicht der Würdigung der Bundesbehörde zu unterstellen seien. Die Eidgenossenschaft verlangt aber, daß die im Interesse des öffentlichen Wohls, so wie ein Kanton dasselbe auffaßt, verordneten Maßregeln allgemein verbindlicher Natur seien, einen wirklich gesetzgeberischen Charakter tragen und nicht in Handlungen des Beliebens, der Gefälligkeit oder der Chikane ausarten.

Das sind die Gründe, aus denen wir dafür halten, daß der Bundesrath nicht aufgehört hat, in Wirthschaftssachen zuständig zu sein.

Wenn wir nun aber die Grenzen seines Interventionsrechts feststellen wollten, so müßten wir uns nothwendig in eine Kasuistik einlassen. Es wird also darüber in jedem einzelnen Falle zu erkennen sein.

Es ist indessen angezeigt, sich zum Voraus Rechenschaft zu geben über das Vorgehen des Bundesrathes gegenüber den in unbestimmter und allgemeiner Weise abgefaßten kantonalen Gesetzen, welche einer unbeschränkten Vollmacht der Verwaltungsbehörden gleichkommen.

Hier stehen zwei Wege offen: Der Bundesrath kann das Gesetz selbst als mit Art. 31 der Bundesverfassung unvereinbar erklären und ohne weitere Prüfung alle Entscheide aufheben, welche auf Grund eines solchen Gesetzes erlassen und ihm auf dem Rekurswege vorgelegt sind; oder er kann die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes außer Betracht lassen und sich auf die Prüfung der angefochtenen Maßregel beschränken, d. h. untersuchen, ob dieselbe, an und für sich betrachtet, dem Wortlaut und dem Geiste der Bundesverfassung entspreche oder nicht.

Beide Lösungen lassen sich vom Gesichtspunkt der Bundesverfassung und von demjenigen der bundesrechtlichen Praxis aus rechtfertigen. Wir neigen uns indessen nach der letztern Seite hin, welche weniger einschneidend ist, und zwar aus folgenden Gründen : Zunächst haben die eidgenössischen Kammern die anfänglich vom Nationakath beschlossene Bestimmung, laut welcher die Gesetze über diesen Gegenstand der vorgängigen Genehmigung des Bundesrathes unterliegen sollten, gestrichen; sie haben es also nicht für nothwendig erachtet, die Handlungen der kantonalen gesetzgebenden Behörden durch die Bundesbehörde konlroliren zu lassen.

Ueberdies hat eine Gesetzesbestimmung von der Art, wie Art. 9 des freiburgischen Gesetzes, welcher die Regierung
anweist, die Zahl der Wirthschaften soviel als möglich zu verringern, eigentlich nichts Verfassungswidriges an sich, wohl aber kann die mißbräuchliche Anwendung derselben verfassungswidrig werden. Wenn die

156 Kantonsregierung die ihr vom Gesetz eingeräumte Vollmacht, eine Verordnung zu erlassen, die bestimmte Regeln aufstellt, nach denen sie in jedem einzelnen Falle vorzugehen gedenkt, benutzt, so stellt das Gesetz in der Weise, wie es ausgeführt wird, in Wirklichkeit eine allgemeia verbindliche Maßregel dar, so wie die Urheber der Verfassung sie im Auge hatten. Wenn dagegen die Kantonsregierung, statt die Lücken des Gesetzes auszufüllen, dessen Dehnbarkeit dazu benutzt, um nach Belieben Gunst und Ungunst auszutheilen, dann wird die Ausführung des Gesetzes anfechtbar und die Oberaufsicht der Buudesbehörden drängt sich als Nothwendigkeit auf. Es ist, mit andern Worten, nicht die Form des Gesetzes, was über seine Verfassungsmäßigkeit entscheidet, sondern die Art, wie dasselbe angewendet wird. Wie wir schon gesagt haben,.ist ein Gesetz, welches die Ertheilung jeder neuen Wirthschaftsbewilligung von dem Vorhandensein eines wirklichen Bedürfnisses abhängig machen würde, mit dem neuen Art. 31 durchaus vereinbar ; aber seine Ausführung wird im höchsten Grade verfassungswidrig, wenn die kompetente Behörde aus dem Zusatz, der von den Bedürfnissen handelt, den Vorwand nimmt, um irgend einen auswärtigen Bewerber zu verdrängen, dagegen alle Gesuche ihrer eigenen Landesangehörigen zu berücksichtigen. Als feste, ohne Uoterschied angewandte Regel ist der Zusatz des Bedürfnisses völlig zuläßig, aber jode Neigung, denselben wie ein nach Belieben zu verwendendes Sicherheitsventil zu gebrauchen, muß als eine flagrante Verletzung des Wortlautes und des Geistes der Verfassung unterdrückt werden.

Wir kommen also zu folgendem Schlüsse: Wo das kantonale Gesetz selbst die Ertheilung der Bewilligungen von einem bestimmten Verfahren und festen Regeln abhängig macht, braucht die Bundesgewalt nicht einzuschreiten, so lange diese Regeln, wie sie auch lauten mögen, ohne Unterschied der Person beobachtet werden (ausgenommen der sehr seltene Fall, daß diese Regeln der öffentlichen Wohlfahrt offenbar zuwiderliefen).

Wo dagegen das kantonale Gesetz eine unbestimmte und dehnbare Fassung hat, welche dem Ermessen der Regierung einen weiten Spielraum läßt, da wird der Bundesrath in jedem einzelnen Falle zu prüfen haben, ob bei Vollziehung des Gesetzes die verfassungsmäßigen Rechte des Rekurrenten hinlänglich gewahrt worden seien. Diese
Rechte sind, wie man nicht genug wiederholen kann, durch die Revision des Art. 31 nicht aufgehoben worden. Der Bürger kann zwar nicht mehr eine unbeschränkte Freiheit im Wirthschaftswesen beanspruchen; aber er kann nach wie vor verlangen,

157 daß die Beschränkungen, welche man ihm auferlegt, aus dem nämlichen Grunde und in gleichem Maße auch diejenigen Bürger treffea, die sich in gleichen Umständen befinden wie er. Muß die kantonale gesetzgebende oder vollziehende Gewalt gern oder ungern einer besehränkten Zahl von Bürgern ein Vorrecht einräumen, um die Zahl der Schenken zu vermindern, so ist immerhin diese Vergünstigung an klar bestimmte, für Jedermann gleichlautende Bedingungen thatsächlicher Natur zu knüpfen, und es ist ein Bürger, welcher unter gleichen Verhältnissen einem Mitbewerber hintangesetzt wird, wie bisher berechtigt, den Grundsatz des Art. 31 anzurufen.

B e r n , den 6. August

1889.

Eidg. Justiz- und Polizeidepartement: L. Ruchonnet.

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