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Bericht dos

Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Rekurs des Herrn Claudio Cattori in Gordola gegen den Bundesrathsbeschluß vom 18. Juni 1891, betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise San Nazzaro (Gambarogno).

(Vom 30. Oktober 1891.)

Tit.

Wir haben unterm 18. Juni 1891 über die Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise San Nazzaro (Gambarogno) den Beschluß gefaßt, welchen Sie in der Ihnen zugestellten Sammlung unserer Entscheidungen über die Tessiner Rekurse aus den Jahren 1887 und 1889 auf Seite 126 u. ff. der deutschen Ausgabe, sowie im Bundesblatt für 1891, III, S. 977 u. ff. in extenso abgedruckt finden.

Mit Eingabe, datirt vom 1. Oktober 1891, hat Herr Claudio Cattori in Gordola gegen unsern Beschluß bei Ihnen Rekurs eingelegt.

Der h. Staatsrath des Kantons Tessin übermittelte uns diese Eingabe mit einem Begleitschreiben vom 5. Oktober 1891, in welchem er um deren Zustellung an die Bundesversammlung ersucht.

Indem wir uns beehren, den Rekurs sammt Beilagen Ihnen zuzuleiten, erlauben wir uns, die Behauptungen der Rekursschrift durch einige Bemerkungen zu beleuchten.

Der Rekurrent greift unsere Entscheidungen von folgenden drei Standpunkten aus an :

687 1. Er behauptet unsere Inkompetenz zur Entscheidung der dießfalls an uns gerichteten Beschwerden.

2. Er bestreitet die materielle Richtigkeit unseres Entscheides über das Stimmrecht der Bewohner des Verzascathals.

3. Er erklärt -- die Richtigkeit unseres Entscheides über das Stimmrecht der Bürger und unsere Kompetenz vorausgesetzt -- unsere Verfügung betreffend jiie Gültigkeit seiner, Claudio Cattori's, Wahl in den Großen Rath für unzuläßig.

Was die Kompetenzfrage betrifft, so verweisen wir lediglich auf unsere frühern Berichte an Sie und an das h. Bundesgericht in den Tessiner Angelegenheiten, um Gesagtes nicht wiederholen zu müssen (vergi. Bundesblatt vom 22. Juni 1889, S. 361--583, und Bundesblalt vom 14. September 1889, S. 37--53).

Ueber das Stimmrecht der Verzaschesi glauben wir nicht weitläufig werden zu sollen, da der Rekurs dießfalls lediglich Behauptungen aufstellt. Wir halten uns auch über Ton und Sprechweise des Rekurrenten nicht auf, die er nur aus Rücksicht auf Ihre hohe Behörde mäßigen zu wollen erklärt. Wir verweisen vielmehr O in der Sache selbst auf die Begründung unseres Entscheides, die wir keineswegs widerlegt finden, und auf die Darlegungen unseres Delegirten, Herrn Prof. Dr. A. Schneider.

Der Rekurrent behauptet, daß die von uns in den Stimmregistern von Gordola und Cugnasco gestrichenen Verzasker nicht erst, wie wir annehmen, im Oktober und November, sondern schon im September 1888 aus dem Verzascathal in die Ebene hinabgezogen seien, und will damit beweisen,, daß sie arn 3. März nicht nur 3, sondern sogar schon 5 Monate lang in den beiden genannten Gemeinden domizilirt gewesen seien. Wir halten zwar diese Verschiedenheit der Angaben für ganz unerheblich, machen aber doch darauf aufmerksam, daß die Erhebungen unseres Delegirten irn Beisein und unter Mitwirkung des Sindaco von Gordola gemacht worden sind, und daß, wenn die Behauptung des Rekurrenten richtig wäre, nach der in Gordola von der herrschenden Partei durchgesetzten Ansicht diese Verzasker ja schon auf den Stimmregistern des Januar 1889 hätten erseheinen müssen, während sie anerkanntermaßen in dieselben noch nicht aufgenommen waren. In Wirklichkeit ist aber aus den von uns in unsern Entscheidungen ausgeführten Gründen das Verzascathal und nicht die Ebene als das wahre Domizil dieser Bürger auch im Winter zu
betrachten. Der Rekurrent scheint dieß auch mit Bezug auf die in den sog. Tewiciuole sich aufhaltenden Bürger anzuerkennen; wenn aber diese in der Verzasca domizilirt sind, so sind es gewiß auch diejenigen, welche sich in Gordola und Cugnasco aufhalten.

Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. IV.

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Wenn er bei diesem Anlaß sagt, daß sehr wahrscheinlich der Regierung des Kantons Tessin von den dießfälligeu Rekursen keine Mittheilung gemacht worden sei, so nehmen wir an, daß er dieß nicht gegen besseres Wissen gethau habe, müssen aber entgegnen, daß der Bundesdelegirte alle eingegangenen Rekurse der Regierung des Kantons Tessin mittheilt.e und daß dieselbe sich auch darüber ausgesprochen und selbst dem Delegirten die Stimmregister des Verzascathals zur Einsicht vorgelegt hat. Daß die fraglichen Verzasker bis dahin stets von den Gemeindewahlen von Gordola und Cugnasco ausgeschlossen waren und keinen Anspruch auf Theilnahme an denselben erhoben, wird auch vom Rekurrenten nicht beslritteu.

Der Bundesrath hat von seinen Entscheidungen über die Stimmberechtigung eingetragener und gestrichener Bürger im Wahlkreise San Nazzaro nur die logische Konsequenz gezogen. Ein einfaches Rechenexempel zeigte ihm, daß der von der tessinischen Wahlaktenprüfungskommission in ihrer Mehrheit als gewählt bezeichnete Herr Cattori das absolute Mehr der 'richtiger Weise in Rechnung zu bringenden Stimmen nicht erreicht hat. Hierüber beschwert sich nun Herr Cattori, indem nach seiner Ansicht der Bundesrath -- dessen sachbezügliche Kompetenz überhaupt vorausgesetzt -- bei der Feststellung der Stimmberechtigungen hätte stehen bleiben und nur für die künftig, im Jahre 1893, stattfindende Großrathsvvahl eine We;*leitung hätte geben sollen, da er für Mehreres nicht angerufen worden sei. Letzteres ist, wie wir sehen werden, nicht richtig ; aber vorausgesetzt, daß es richtig sei, können wir doch die vom Rekurrenten geäußerte Ansicht nicht theilen. War es denn denjenigen, die sich so bitter bei uns darüber beschwerten, daß sie zur Wahl nicht zugelassen wurden und daß Andere, die nach ihrer Ansicht kein Recht dazu hatten, daran Theil nehmen konnten, nicht um das Wahlresultat zu thun, sondern nur um eine akademische Frage? Nach unserer Ansicht hat der Bürger, in Bezug auf welchen sich ergibt, daß sein Begehren, an einer Wahl oder Abstimmung Theil zu nehmen, mit Unrecht abgewiesen worden ist, das Recht, zu verlangen, daß gerade bei dieser Wahl seine Stimme mitgezählt und so das gegen ihn begangene Unrecht wiedergutgemacht werde; ebenso kann bei einer ungerechtfertigten Zulassung zur Wahl mit Recht verlangt werden, daß die Stimme
des Unberechtigten von der Gesarnmtzahl der Stimmenden abgezogen werde. So wird es auch sonst überall in der Eidgenossenschaft gehalten, und bis jetzt ist Niemandem eingefallen, an der Richtigkeit dieses Vorgehens zu zweifeln.

Nun behauptet aber der Rekurrent, daß gerade der Bundesrath anders verfahren sei in einem neuerlichen Entscheide vom

689 11. September 1891 in Sachen Barmet und Geißeler gegen den Regierungsrath des Kantons Luzern (Bundesbl. vom 23. September 1891): daraus ergebe sich, daß der Kanton Tessin eben anders behandelt werde als Luzern und andere Kantone; für Luzern habe der Bundesrath nur verordnet, daß i n Z u k u n f t die Rekurrenten auf das Stirntnregister zu setzen seien, nicht aber infolge ihrer Aufnahme die Gültigkeit der getroffenen Wahl in Frage gezogen.

Allein in jenem Falle war der Bestand der getroffenen Wahlen von keiner Seite, auch in den Rekursschriften nicht, von dem Entscheide über das Stimmrecht der beiden Beschwerdeführer abhängig gemacht worden, es handelte sich daher in der That nur um einen Entscheid für die Zukunft; bei den Rekursen des Wahlkreises Gambarogno aber wird wohl Niemand im Ernste bestreiten wollen, daß es den Rekurrenten zuerst und hauptsächlich um die Großrathswahlen vom 3. März 1889 zu thun war.

Nicht besser begründet ist die Einwendung, daß der Große Rath des Kantons Tessin durch Mehrheitsbeschluß die Wahl des Rekurrenten anerkannt habe und daß gegen diesen Beschluß kein Rekurs an den Bundesrath ergriffen worden sei.

Zunächst ist in thatsächlieher Beziehung zu erwidern, daß allerdings, nachdem am 15. März 1889 der Große Rath entgegen dem Antrage der Minderheit der Wahlaktenprüfungskommission die sämmtliehen getroffenen Wahlen des Kreises für rechtsgültig erklärt hatte, am 25. desselben Monats die Munizipalitäten von Magadiuo, Sant' Abbondio, Gerra-Gambarogno und Vairano an den Bundesdelegirten eine Kollektiveingabe machten, in welcher sie sich bitter über die Hereinziehung der beiden Gemeinden Gordola und Cugnasco in den Wahlkreis und ganz besonders darüber beschwerten, daß am 3. März die fliegenden Schaaren der Verzasker herbeigerufen worden seien, um zu bewirken, daß die liberale Partei des Wahlkreises ohne Vertreter bleibe, daß die Mehrheit des Großes Rathes, an den man sich gewandt habe und der hätte entscheiden sollen, sich als Partei fühle und daher keine Gerechtigkeit von ihm habe erwartet werden können, und hinzufügten, daß nun dagegen der Schutz der Bundesbehörden angerufen werde. Wir denken, das ist doch eine Beschwerde über den Großrathsbeschluß.

Aber selbst, wenn man dies nicht annehmen wollte, würde unseres Erachtens das Recht, ja die Pflicht des Bundesrathes,
an der Hand der Resultate betreffend die streitigen Stimmrechte die Wahl des Herrn Cattori zu kassiren, außer Zweifel sein. Die Wahlaktenprüfungskommission und der Große Rath selbst konnten die Gültigkeit der Wahlen nur unter, der Voraussetzung aussprechen, daß die Entscheidungen des Staatsrathes über die Stimmberech-

690 tigung der einzelnen Bürger in Kraft bleiben; unter dieser Voraussetzung war sie auch in der That vorhanden. Sobald aber jene Voraussetzung dahinfällt, steht von selbst auch die Gültigkeit der Wahl wieder in Frage. Und nun liegt dem Bundesrathe, ebenso gut wie vorher dem Wahlbüreau, welches die Stimmen zusammenzählte, ob, die Rechnung zu machen und danach allermindestens das negative Resultat zu konstatiren, daß die unter unrichtiger Voraussetzung als rechtsgültig erklärte Wahl eines Abgeordneten in Wahrheit nicht zu Stande gekommen ist.

Wenn endlich der Rekurrent der Gültigkeit des Bundesrathsbeschlusses entgegen hält, daß die Rekurse des Wahlkreises nicht ihm, Herrn Cattori, zur Beantwortung mitgetheilt worden seien, während er doch die Gegenpartei sei, so stoßen wir hier wieder, wie schon in dem Rekurse Pagnamenta, auf eine eigentümliche, nirgends in der ganzen übrigen Schweiz vorkommende und unseres Erachtens auch ganz falsche Vorstellung, auf die Vorstellung nämlich, daß der Bürger, welcher sich für sein Stimmrecht wehrt oder die Berechtigung eines Ändern, an einer Wahl Theil zu nehmen, bestreitet, als Gegenpartei desjenigen zu betrachten sei, welcher bei seinem Ausschluß von der Wahl bezw. bei der Zulassung des Dritten zu derselben gewählt sein würde. Ganz im Gegensatz hiezu betrachten wir die Behörde, gegen deren Verfügung der Rekurs gerichtet ist, als Rekursbeklagte, und es kann unseres Erachtens von einem streitigen Rechte des angeblich Gewählten auf die Stimmen derjenigen, welche zugelassen, oder auf den Ausschluß derjenigen, welche gestrichen wurden, keine Rede sein. Ja schon der Takt verbietet in anderen Gegenden der Schweiz dem als gewählt Proklamirten, sich in den Streit über die Stimmberechtigung der Wähler zu mischen.

Wir beantragen Ihnen die Abweisung des Rekurses.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 30. Oktober

1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Rekurs des Herrn Claudio Cattori in Gordola gegen den Bundesrathsbeschluß vom 18. Juni 1891, betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise San Nazzaro (Gambarogno...

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