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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Petition von Pferdezüchtern des Entlebuchs.

(Vom 18. Juni 1891.)

Tit.

121 entlebuchische Pferdezüchter und Pferdebesitzer richteten unterm 27. Mai laufenden Jahres an Sie das Gesuch : Der Bund möchte die für den Pferdebestand des Entlebuchs nöthigen Zuchthengste von geeigneter Rasse und von guter Qualität beschaffen, dieselben über die Beschälzeit in dieser vorzugsweise Pferdezucht treibenden Gegend stationiren und während der übrigen Zeit in der Regieanstalt in Thun unterbringen.

Die eidgenössische Kommission für Prämirung der Stutfohlen schiebe die Schuld an den fehlerhaften Gangarten der ausgestellten Fohlen auf das zu geringe Hengstenmaterial. Das bisherige System: Ankauf der Zuchthengste auf Bestellung der Kantone hin durch den Bund und Abgabe derselben an Privathengstenhalter mit einem Rabatt des Ankaufspreises von 40 bis 70°/o, habe sieh im Kanton Luzern nicht bewährt. Importirte Hengste zu halten, sei für Privathengsthalter nicht rentabel; es bestehe überhaupt nur noch ein einziger Hengstenhalter im Kanton Luzern.

Der Bund, der das größte Interesse an der Hebung der inländischen Pferdezucht habe, solle ,, energisch eingreifen und auf diesem Gebiete Ordnung schaffen".

So weit die Bittschrift, welche Sie uns zur Berichterstattung überwiesen haben.

657 Nach allen Mittheilungen, welche unser Landwirthschaftsdepartement von seinen Experten im Laufe der Jahre erhalten hat, sind die Angaben der entlebuchischen Pferdezüchter richtig; die dortigen Hengste lassen viel zu wünschen übrig, und es ist überhaupt nur einer davon vom Bunde zur Zucht anerkannt worden.

Dieses Verhältniß ist um so bedauerlicher, da -- wie bei allen unsern landwirtschaftlichen Hausthieren -- die Hebung der Zucht durch das männliche Geschlecht erstrebt werden muß. Der Hengst kann seine Formen und Eigenschaften auf viele Hunderte von Fohlen vererben und infolge dessen in wenigen Jahren das Stutenmaterial einer Gegend vollständig umwandeln. Je vorzüglicher letzteres wird, um so strenger muß bei der Auswahl des Hengstes verfahren werden; denn von dessen Qualität und Vererbungskraft hängt die Rentabilität der Pferdezucht in hohem Grade ab. Vorzügliche Hengste fördern desshalb diese letztere nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ, weil der Pferdebesitzer durch dieselben veranlaßt wird, mehr Stuten zur Zucht zu verwenden.

Ein richtiger Beschäler muß zweckmäßige, erbfehlerfreie Körperformen, korrekte, ausgiebige und ausdauernde Gangarten aufweisen und von einer möglichst langen Reihe von Vorfahren abstammen, welche über die gleichen Eigenschaften verfügten. Nur die Abstammung kann dem Käufer einigermaßen dafür Gewähr bieten, daß sich die Schönheit und die Leistungsfähigkeit eines Beschälers auch sicher auf dessen Nachkommen vererben.

Derartige Thiere sind nicht leicht zu bekommen und deßwegen theuer; am theue.rsten sind diejenigen, welche den drei angeführten Anforderungen im höchsten Grade entsprechen, nämlich die sogenannten Vollblutpferde.

Aus der Normandie, wo die Zucht des anglo-normänner Halbbluthengstes ein eigentlicher Erwerbszweig geworden ist, kommen uns Beschäler, welche einigermaßen ,,Blut" in schweren, schönen Körpern zeigen, durchschnittlich auf Fr. 6UOO bis 7000 zu stehen.

Trotz der Preisermäßigung um 40 °/o, welche der Bund bei der Uebergabe eintreten läßt, und trotz der 10 beziehungsweise 20 °/o, welche nach 6- und nach lOjähriger guter' Dienstleistung zurückvergütet werden, bleibt dem Hengstenhalter duch noch ein zu großes Risiko. Er .will deshalb nicht so theure Hengste; er verlangt auch nicht viel ,,Blut", weil je lebhafter das Pferd ist, um so
sorgfältiger dessen Behandlung sein muß. Der Abstammung fragt er gar nichts nach ; lange, schräge Schultern und ein kurzer kräftiger Rücken werden nicht genügend gewürdigt, wohl aber in hohem Maße die Farbe, die Abzeichen, die Stellung der Ohren

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und andere wohl in's Auge fallende, aber für die Leistungsfähigkeit absolut gleichgültige Eigenschaften.

Wenn es für unsere Experten schon schwer genug ist, leistungsfähige, schöne Hengste von nachgewiesener guter Abstammung zu annehmbaren Preisen zu erwerben, so wird die Losung der Aufgabe geradezu unmöglich, wenn noch Vorschriften über Farbe und Abzeichen, wie solche die Kantone Namens ihrer Hengstenhalter aufstellen, zu berücksichtigen sind.

Das Interesse des privaten Hengstenhalters gipfelt in dem Deckgeld ; die Hebung der Pferdezucht ist ihm Nebensache. Eine Schonung des Hengstes findet nicht statt, wenn es sich darum handelt, mit ihm Geld zu verdienen. Es ist sogar vorgekommen, daß ein Hengst 7, 8, 10 und einmal sogar 11 Mal im Tag zur Zucht verwendet worden ist.

Am gleichen Standorte sollte ein Beschäler nur 4 Jahre decken, weil sonst -- namentlich wo in der Nähe keine andern Hengste vorhanden sind -- die allgemein als sehr schädlich verurtheilte Incestzucht einreißen muß. Mit der Privathengsthalterei ist ein Wechsel der Beschaler nach je vier Jahren nicht durchführbar.

Höhere Beiträge des Staates können diese Uebelstände nicht beseitigen, denn ein mit dem Werthe des Pferdes wachsendes Risiko m u ß auf dem Hengsthalter lasten, sonst vernachläßigt er seine Pflichten gegenüber dem Staat.

Die entlebucher Pferdezüchter haben demnach vollkommen Recht, wenn sie Abhülfe aller dieser Uebelstände nur vom Staate und zwar vom Bunde erwarten, welcher das größte Interesse an einem starken und kriegstüchtigen Pferdebestand im Lande haben muß.

Der Bund kann auch dem Gesuche ohne Weiteres entsprechen ; denn laut Bundesbeschluß vom 27. Juni 1884, betreffend Förderung der Landwirthschaft, Art. 6, rn u ß er alljährlich einen Posten von m i n d e s t e n s Fr. 60,000 zur Hebung und Verbesserung der Pferdezucht in das eidgenössische Budget aufnehmen. Derselbe muß in erster Linie (lit. a ) ,, z u m A n k a u f e v o n f r e m d e n u n d all f ä l l i g in der Schweiz g e f a l l e n e n Z u c h t hengsten " verwendet werden, ,, w e n n l e t z t e r e n a c h w e i s b a r i n A b s t a m m u n g und Q u a l i t ä t r es p. Rasse den i m p o r t i r t e n n i c h t n a c h s t e h e n a.

In keinem Gesetze ist gesagt, daß der Bund die angekauften Hengste wiederum verkaufen oder au Jemand abgehen müsse. Bislang war er allerdings nicht selber Hengstenhalter; er ist es aber

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seit dem Ankauf von Vollbluthengsten geworden; der erste Schritt ist somit bereits und mit Ihrer Zustimmung gethan.

Bevor indeß weiter gegangen wird und noch Halbbluthengsle vom Bunde auf eigene Rechnung angeschafft werden, muß auch die finanzielle Tragweite dieses neuen Schrittes wohl er.wogen werden; denn was den Bntlebuchern, beziehungsweise dem Kanton Luzern, gewährt wird, das muß auf Verlangen auch den übrigen Kantonen bewilligt werden.

Die Furcht, derartige Begehren werden zu zahlreich, d. h.

über Bedürfnis, gestellt werden, theilen wir nicht. Man wird nämlich die Kantone nicht völlig entlasten dürfen; dieselben werden -- wie dies für die Vollbluthengste bereits geschieht -- für die Beschäler des Bundes und deren Wärter genügende Unterkunftslokale liefern und für die tierärztliche Ueberwachung, sowie für den Probirhengst sorgen müssen. Schon diese Anforderungen werden Einfluß auf die Zahl der Begehren ausüben. Ferner wird vor Bewilligung einer Deckstation Garantie für einen bestimmten Betrag der Deckgebühren verlangt werden dürfen, dies namentlich in denjenigen Kantonen, wo geringe Hengste, welche Konkurrenz machen könnten, von der öffentlichen Zucht nicht ausgeschlossen sind.

Von den A n k a u f s k o s t e n der Hengste übernimmt der Bund jetzt schon 70 % unter der Voraussetzung, daß dieselben 10 Jahre lang zuchtfàhig bleiben. Die Mehrbelastung des Bundes durch die eigene Hengsthaltung, und soweit der Ankaufspreis in Frage kommt, beträgt somit nur 30 %.

Man kann einwenden, daß bisher der Bund für Hengste, welche vor dem sechsten Jahre abgingen, nur 40 °/o des Werthes vergütete. Dies ist richtig; man muß aber dabei nicht vergessen, daß für den nothwendig werdenden Ersatz alsdann neuerdings wieder 40 °/'o zu Lasten des Bundes fielen. Berechnet man den enormen Abgang an gekauften und ^anerkannten1'- Hengsten, und nimmt man an, daß ein schweizerisches, staatliches Depot nicht mehr Remonte nöthig haben werde als ähnliche ausländische Anstalten, nämlich jährlich durchschnittlich h ö c h s t e n s 12 %, so wird die- staatliche Hengstenhaltung den Bund, soweit es den Ankauf betrifft, wahrscheinlich bedeutend billiger zu stehen kommen als der bisherige Weg.

Ueber die K o s t e n des U n t e r h a l t e s eines eidgenössischen Depots liegen bereits die mit den Vollbluthengsten gemachten Erfahrungen vor.

Die Direktion der Regieanstalt in Thun berechnet diese Kosten pro Jahr wie folgt:

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Ausgaben.

Fütterung à Fr. 2 per Tag = 365 Tage . . Fr. 730. -- Wärterlöhnung während 243 Tagen in Thun à Fr. l per Hengst (und Fr. 4 per Wärter) ,, 243. -- Wärterlöhnung auf der Deckstation per Hengst à Fr. 5 per Tag, 122 Tage ,, 610. -- Thierarzt per Hengst ,, 50. -- Beschlag 12 X Fr. 4.40 ,, 52. 80 Transportauslagen nach und von den Deckstationen v, 50. -- Zusammen Einnahmen.

Deckgelder 60 X 20 Fr Differenz

Fr. 1735. 80 ,, 1200. -- Fr. 535.80

Der Unterhalt per Hengst käme somit durchschnittlich auf zirka Fr. 500 per Jahr zu stehen, wobei eine Stallmiethe nicht berechnet ist. Dagegen können unseres Erachtens die Ausgaben um zirka Fr. 300 reduzirt werden, indem die Absicht bestehl, jeweilen zwei Hengste auf die gleiche Station zu senden, wofür nur ein Wärter nöthig ist, während die Regiedirektion über die Deckzeit auf jeden Hengst einen Wärter rechnet.

Selbst für den Fall, daß nach und nach die ganze Hengstenhaltung an den Bund übergehen sollte, dürfen die Opfer, welche hiefür gebracht werden müssen, als erträgliche, jährlich Fr. 100,000 nicht übersteigende bezeichnet werden. Diesem Opfer stehen folgende Vortheüe gegenüber: Einheitlichere Zuchtrichtung, bessere Auswahl der Hengste, besserer Unterhalt und Pflege und deßwegen bessere Ausnützung derselben, Vermeidung der Incestzucht, Möglichkeit der Auswahl der Zuchtstuten und richtigere Zuchtbuchführung, bessere Rentabilität der Pferdezucht und deßhalb Vermehrung der Zuchtstuten, gleichbedeutend mit der qualitativen und quantitativen Hebung der Pferdezucht im Interesse unseres Wehrwesens, welches in Zeiten der Gefahr aller diensttauglichen Pferde bedürfen wird.

661 Die letztjälirige eidgenössische Pferdeuntersuchung und Pferdezählung hat gezeigt, daß in den letzten Jahren ganz bedeutende, von Niemand em in diesem Umfang erwartete Verbesserungen unseres Pferdestandes erzielt worden siod, welche ungefähr zur Hälfte der inländischen Zucht gutgeschrieben werden dürfen. Diese Verbesserungen sind aber noch nicht derart, daß aus dem vorhandenen Zuchtmaterial eine nennehswerthe Zahl von Kavallerie- oder Offizierspferden gezogen werden könnte. Statt daß abgehende importine Beschäler durch geringerwerthige Kreuzungsprodukte ersetzt werden, wie das vielfach und namentlich im hauptsächlichsten Zuchtgebiet, im Berner Jura, geschieht, sollten umgekehrt viel edlere Hengste angeschafft werden, damit eine jährlich steigende Zahl Fohlen für den Fohlenhof gekauft, überhaupt dem Pferdezüchter vom Staat und von Privaten höhere Preise für seine Produkte bewilligt werden können.

Die Hebung der Pferdezucht erträgt keinen Stillstand. Hat ein Landwirth einmal erkannt, daß ihm aus dieser Zucht durchschnittlich nur Verlust erwächst, so wird er sie verlassen, so wie dies seit den fünfziger Jahren mehrere Tausende gemacht haben.

Hat er aber einmal einen Betriebszweig preisgeben müssen, so ist es schwer, ja unmöglich, ihn später zur Wiederaufnahme desselben zu bestimmen.

Wir schließen unsern Berieht dahin, Sie möchten uns bevollmächtigen, dem Begehren der entlebuchischen Pferdezüchter grundsätzlich zu entsprechen und einen Theil des diesjährigen Kredites für Hebung der Pferdezucht in diesem Sinne zu verwenden.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 18. Juni

1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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01.07.1891

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