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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Gesetzentwurf .betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter nach dem Beschlüsse des Ständerathes vom 10. April und des Nationalrathes vom 17. April 1891.

(Vom 8. Juni 1891.)

Tit.

Sie haben nach abschließlicher Berathung der einzelnen Bestimmungen beschlossen, die Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter erst nach einer vom Bundesrathe zu besorgenden Durchsicht des Textes vorzunehmen, und zugleich den Bundesrath eingeladen, die Vorlage des bereinigten Textes mit einem Berichte über das Gesetz in seiner jetzigen Fassung zu begleiten.

Wir kommen hiemit Ihrem Auftrage nach. Dabei erlauben wir uns die Bemerkung, daß wir das Gesetz in der ihm durch die Kammern gegebenen Fassung zu besprechen, nicht mehr einen bundesräthlichen Entwurf zu vertreten haben. Immerhin ist. der vorliegende parlamentarische Entwurf unter fortgesetzter Mitwirkung unseres Justiz- und Polizeidepartements zu Stande gekommen, und es scheint uns derselbe eine glückliche Vermittelung gegensätzlicher Standpunkte zu sein, die in gemeinsamer Arbeit der parlamentarischen Kommissionen erzielt wurde.

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I. Redaktionelle Bemerkungen.

Die Fassung des Gesetzentwurfes, die wir Ihnen in Genehmigung des Antrages unseres Justiz- und Polizeidepartenientes unterbreiten, soll sieh durch sich selbst empfehlen. Unsere diesfälligen Bemerkungen werden daher kurz sein. Wir haben den Text Ihrer Beschlüsse vom 10. und 17. April 1891 und die neue Fassung, die übrigens manchenorts von der bisherigen Redaklion nicht abweicht, neben einander gestellt, um Ihnen die Vergleichung zu erleichtern und Sie in den Stand zu setzen, mit voller Sachkenntniß Ihr Schlussvotum über die Vorlage abzugeben.

Ohne in irgend einem Punkte über die Grenze der uns gestellten Aufgabe einer redaktionellen Bereinigung Ihrer Beschlüsse hinauszugehen, haben wir uns doch eine gewisse Freiheit in der äußern Behandlung des Stoffes, in der Eintheilung und Betitelung desselben erlaubt. Andererseits war es unser Bestreben, dem gesetzgeberischen Gedanken einen möglichst klaren Ausdruck zu geben.

Anerkennend haben wir zu erwähnen, daß sich unser Justizund Polizeidepartement bei seiner Arbeit der Mitwirkung des Hrn.

Prof. Dr. L. K. v. Salis (Basel) zu erfreuen hatte, der ihm in zuvorkommender Weise treffliche Vorschläge zur redaktionellen Umarbeitung des Gesetzes einreichte.

Im Allgemeinen möge uns folgende Bemerkung gestattet sein.

Das Gesetz war bisher in 6 Hauptabschnitte eingetheilt, namlich in: A. Allgemeine Bestimmungen; B. Personen- und familienrechtliche Verhältnisse, tnit fünf Kapiteln ; C. Erbrecht und Schenkungen; D. Verhältnisse der Schweizer im Auslands; E. Verhältnisse der Ausländer in der Schweiz; F. Uebergangs- und Schluss bestimmungen Allein diese Eintheilung entspricht nicht den Anforderungen einer strengen Logik. Die Allgemeinen Bestimmungen beziehen sich in ihrer Gesammtheit nur auf die civilrechtlichen Verhältnisse der schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter in der Schweiz, nur theilweise auf diejenigen der Schweizer im Auslande und der Ausländerin der Schweiz; sie bilden also keinen Hauptabschnitt des Gesetzes. Ebenso wenig können die Bestimmungen über personen- und familienrechtliche Verhältnisse, uud über Erbrecht und Schenkungen denjenigen èber die Verhältnisse, der Schweizer im Auslande und der Ausländer in der Schweiz oder den Uebergangs uud Schlußbestimmungen beigeordnet werden.

o o o o Vielmehr wird eine
strenglogische Scheidung des Stoßes zur Eintheilung desselben in folgende 4 Hauptabschnitte oder Titel führen: I. Die civilrechtlichen Verhältnisse der schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter in der Schweiz; II. Die civilreehtlicheu O

O

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Verhältnisse der Schweizer im Ausland ; III. Die civilrechtlichen Verhältnisse der Ausländer in der Schweiz; IV. Uebergangs- und Schlußbestimmungen. Der I. Titel aber wird sachgemäß in drei Abschnitte zerfallen, nämlich : A. Allgemeine Bestimmungen; B.Personen- und familienrechtliche Verhältnisse, mit den bisherigen fünf Kapiteln ; C. Erbrecht.

Im Einzelnen haben wir nur Weniges hervorzuheben.

Zu Art. i und 2. Die civilrechtlichen Bestimmungen eines Kantons können auch auf lokalen Statuten oder auf Gewohnheitsrecht beruhen. Darum sprechen wir in Art. l und 2 nicht mehr von kantonalen ,,Civilgesetzen" und ,,Gesetzesrecht", sondern allgemein von Civilrecht. Immerhin muß dem auf Anregung der ständeräthlichen Kommission beschlossenen Satze Rechnung getragen werden, welchem zufolge das vorliegende Bundesgesetz den Richter nur verpflichten will, das ,,Gesetzesrecht", d. h. das auf dem Staatswillen beruhende geschriebene Recht eines andern Kantons von Amtes wegen anzuwenden (vergl. ständeräthlichen Kommissionalbericht im Bundesblatte 1889, III, 810). Demgemäß haben wir zu Abs. 2 des Art. 2 in Hinsicht auf ,,Statuarrecht", d. h. auf das geschriebene Recht eines Kreises innerhalb des Staatsgebietes, eines Bezirkes, einer Gemeinde, sowie in Hinsicht auf das Gewohnheits- oder ungeschriebene Recht eines Kantons die Beweisvorschriften des Kantons, dem der Gerichtsstand zukommt, vorbehalten.

Zu Art. 3. Wir halten es für nothwendig, ausdrücklich zu sagen, was schon bisher der Sinn des Entwurfes war, daß ein Doppelwohnsitz durch das vorliegende Gesetz nicht anerkannt werde.

(Absatz 4 neu.)

In Absatz 2 ist das Wort ,,Irren-(Anstalt)" durch das umfassendere und dem französischen ,,maison de santé" besser entsprechende ,,Heil-(Anstalt)" ersetzt. In Berücksichtigung einer von Hrn. Nationalrath Dr. P. Speiser gemachten Bemerkung wird ergänzungsweise beigefügt, daß auch ein Aufenthalt zum Zwecke des Besuchs einer Lehranstalt, z. B. einer Universität, keinen Wohnsitz begründet.

Der bisherige Absatz 3 ist als überflüssig weggelassen.

Zu Art. 4. Statt der ,,minderjährigen Kinder" sagen wir ,,der in elterlicher Gewalt stehenden Kinder", da minderjährige Kinder auch unter Vormundschaft stehen können.

Zu Art. 5. Es handelt sich hier nicht bloß darum, das maßgebende heimatliche Recht und den maßgebenden heimatlichen Gerichtsstand zu bezeichnen, sondern überhaupt den Kanton an-

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zugeben, der als Heimat gilt. Damit ist dann Gerichtsstand, materielles Recht. Zuständigkeit der Behörden (i. B. im Vormundschaftswesen) festgestellt.

Vom Heimatkanton, in welchem ,,der Bürger wohnt" (siehe bisherigen Text), kann nicht die Rede sein, da der in seinem Heimatkanton wohnende Schweizer kein Niedergelassener oder Aufenthalter im Sinne dieses Gesetzes ist; vergi. Art. 1; über die Ausnahme in Art. 16 alt (19 neu) wird im materiellen Theile des Berichtes gesprochen werden.

Zu Art. 6, Abs. 2. Diese kürzere Fassung ist der bisherigen vorzuziehen ; sie ist auch vollständiger als die letztere.

Zu Art. 7. Da es sich in dem Gesetze nur um die Anwendung des Civilrechts e i n e s K an t o u s handelt, ist dei- bisherige Eingang des Artikels überflüssig.

Zu Abs. 5 alt = Abs. l neu vergleiche man Art. 7 îles Bundesgesetzes über die persönliche Handlungsfähigkeit vom 22. Juni 1881, wo sich die gleiche Fassung findet.

In Absatz 3 alt = Abs. 4 neu ist ,,Testamentserrichtung" durch ,,letztenWillen"1 ersetzt, da letzterer Ausdruck weiter ist und auch den Erbvertrag umfaßt.

Zur Ueberschrift 2. F a m i l i e n s t a n d . Wir ersetzen im französischen Text die unbestimmte und zu allgemeine Bezeichnung ,,Rapports de famille" durch den technischen Ausdruck ,,Etat civil".

Zu Ait. 8. Auch hier ist der Vorbehalt e i d g e n ö s s i s c h e n Rechtes, Dämlich des Bundesgesetzes betreffend die Feststellung und Beurkundung des Civilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874, als überflüssig weggefallen.

Zu Art. 9. ,,Z wischen Verwandten" ist vollständiger und deßhalb richtiger als ,,zwischen Eltern und Kindern" ; es wird sodann auch gesagt, welches heimatliche Recht die Unterstützungspflicht regelt.

Zu Art. 10--15 alt = Art. 10--18 neu. Au die Spitze ist der das V o r m un d s e h af t s r e c h t beherrschende Grundsatz gestellt; damit wird Art. 11, erster Satz (alt), überflüssig, weil selbstverständlich.

Um jeden Streit über die religiöse Erziehung eines bevormundeten Kindes im Keime zu ersticken, haben wir ausdrücklich gesagt, daß die Wohnsitzbehörde diesfalls die Weisung der Heimatbehörde e i n z u h o l e n und zu befolgen habe. (Art. 13 neu.)

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In Art. 14 neu wird ebenfalls zur Vermeidung von Streitigkeiten gesagt, welches Recht für die Frage, ob ein Vormundschafts fall vorliegt oder nicht vorliegt? entscheidend sei.

In Art. 16 neu -- Art. 13, Abs. 3 alt, sind die Worte "nach Erschöpfung der kantonalen Instanzen" ersetzt durch die Worte ,,in letzter Instanz" ; das Gesetz will die Kantone nicht verhindern, von kantonalen Instanzen abzusehen und die einschlägigen Streitigkeiten gleich vor Bundesgericht zu .ziehen. (Vergi. Art. 36, litt, a, neu.)

Ergänzungsweise ist beigefügt worden, dass eine bundesgerichtliche Beurtheilung nur auf Klage der Heimatbehörde erfolge. W e l c h e Heimatbehörde zur Klagefühl ung vor Bundesgericht legitimirt sei, bestimmt auf Grund des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege die vom Bundesgericht bei Erledigung staatsrechtlicher Streitigkeiten befolgte Praxis.

In-Art. 17 neu = Art. 15 alt weist die neue Fassung schärfer als die bisherige darauf hin, daß ohne Zustimmung der Vormundschaft sbehörde ein Bevormundeter seinen Wohnsitz gar nicht wechseln, keinen neuen Wohnsitz begründen kann. Es fehlt ihm dazu der erforderliche rechtliche Wille. Ferner leistet die neue Fassung nicht, wie die bisherige, der unrichtigen Meinung Vorschub, daß der Wechsel der Vormundschaftsbehörde bei Wohnsitzwechsel des Bevormundeten nur dann eintrete, wenn die bevormundete Person an ihrem Wohnsitze, dieser als Gegensatz zu Heimat genommen, unter Vormundschaft steht, nicht aber auch dann, wenn die Vormundschaft in der Heimat ausgeübt wird und die heimatliche Vormundschaftsbehörde den Wohnsitzwechsel gestaltet.

In Art. 18 neu sind die in Art. 14 alt stehenden Worte ,,über die nämliche Person" weggelassen, um ganz bestimmt jede Theilvormundschaft -- über die Person im einen, über das Vermögen im andern Kanton -- auszuschließen.

Zu Art. 16 all; = Art. 19 neu. Einer Bemerkung des Herrn Nationalrat Dr. P. Speiser Rechnung tragend, heben wir ausdrücklich hervor, daß das G ü t e r r e c h t des e r s t e n e h e l i c h e n D o m i z i l s die Verhältnisse der Ehegatten unter einander zu beherrschen fortfährt, wenn die Ehegatten den Wohnsitz in ihren Heimatkauton verlegen. Die nähere Begründung dieser von Ihnen bereits anerkannten Konsequenz werden Sie im zweiten Theile unserer Bemerkungen finden.

Zu Art. '17 alt Art. 20 neu. Es ist gefragt worden, ob die Ehegatten bei jedem Wohnsitzwechsel und jederzeit, d. h. ohne an eine Frist gebunden zu sein, die Erklärung abgeben können,

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daß sie sich dem Reclile des neuen Wohnsitzes unterwerfen. Diese Fragen sind unbedingt zu bejahen. Wir glauben, daß schon die bisherige Fassung dies besage, und .verändern dieselbe daher nicht.

Die Form der abzugebenden Erklärung bestimmt das kantonale Recht.

Zur Uebersehrif't C. E r b r e c h t . ,,Schenkung" wird in der Ueberschrift gestrichen ; denn das Gesetz handelt nur von personen-, familien- und erbrechtliclien Verhältnissen, und was von Schenkung gesagt wird, betrifft nur erbrechtliche Punkte.

Zu Art. 24 alt. Dieser Artikel wird u. E. vortheilhaft ersetzt durch Absatz 2 des neuen Artikels 22; es genügt in der That die Verweisung auf Testamentsfonn und Erbvertrag.

Wenn Jemand von dem Rechte Gebrauch macht, seinen Nachlaß dem Heimatrechte zu unterstellen, so richtet sich die Frage der Form der Erklärung nach Art. 23 alt = Art. 24 neu; die Frage des Inhaltes der Erklärung nach dem heimatlichen Recht.

Zu Art. 49 alt = Art. 23 neu. Die Eröffnung der Erbschaft erfolgt auch dann am letzten Wohnsitze des Erblassers, wenn dieser seine Verlassenschaf't unter das Heimatrecht gestellt hat; es ist also auch der Gerichtsstand nicht der heimatliche; der Richter des Wohnsitzes hai das Heimatrecht anzuwenden. Dies wird in Art. 23 neu ausdrücklich hervorgehoben.

Zu Art. 23 alt = Art. 24 neu. Die bisherige Fassung ließ den Fall unberücksichtigt, daß der Wohnsitz zur Zeit der Errichtung des Aktes und der letzte Wohnsitz des Erblassers nicht zusammenfallen.

Zu Art. 20 alt = Art. 25 neu. Das gegenüber dem Erbvertrag vorbehaltene Notherbenrecht ist entweder dasjenige des Ortes, wo die Erbsehaft eröffnet wird, d. h. des letzten Wohnsitzes des Erblassers, oder (vergi. Art. 21 alt = Art. 22, Abs. 2 neu) dasjenige der Heimat.

Zu Ari. 22 alt = Art. 26 neu. Uehei\ Sinn und Tragweite des Artikels sehe man unsere Bemerkungen im materiellen Theile dieses Berichtes.

Zu Art. 25 alt = Art. 28 neu. Die neue Fassung stellt die Tragweite des Artikels klar, was erforderlich ist.

Zu Ziff. 1. In Betracht fallen nur Bestimmungen, welche dem Personen-, Familien- oder Erbrecht angehören und für Rechtsansprüche aa Liegenschaften maßgebend sein können.

557 Die Beifügung des Gerichtsstandes ist eine nothwendige Ergänzung.

'Art. 30 alt ist gestrichen.

Vergi, hiezu Art. 40 neu.

Zu Art. 32 alt = Art. 36 neu. Die neue Fassung bringt aothwendige Ergänzungen; litt, a (neu) weist auf Art. 16 zurück.

II. Materielle Bemerkungen.

Erster Titel.

Die civilrechtlichen Verhältnisse der schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter in der Schweiz.

A. Allgemeine Bestimmungen.

1. Das Anwendungsgebiet des Gesetzes ist von beiden Käthen nach dem bundesräthlichen Entwürfe umschrieben worden.

a. Das Gesetz bezieht sich auf Schweizerbürger, die in einem andern als ihrem .Heimatkantone wohnen. Es erfaßt nur in einer Beziehung und unter einer Voraussetzung auch den in seinem Heimatkantone wohnenden Bürger, nämlich in Beziehung auf das eheliche Güterrecht, sofern der Bürger seinen ersten ehelichen Wohnsitz in einem andern Kantone oder im Auslande -- unter Einwirkung der ausländischen Gesetzgebung auf das Güterreehtsverhältniß (Art. 31 neu) -- gehabt hat und dann in seinen 'Heimatkanton zurückkehrt. In diesem Falle soll, mit Rücksicht auf die Natur des Rechtsverhältnisses, welches als ein festes, abgeschlossenes eine dauernde Gestaltung verlangt, der einmal begründete Güterstand unter den Ehegatten während der ganzen Dauer der ehelichen Gemeinschaft, also auch irn Falle der Wohnsitznahme im Heimatkantone, fortbestehen, es sei denn, daß die Eheleute selbst davon abgehen. (Art. 19 und 20 neu.) Man vergleiche hiezu unsere weiteren Ausführungen unter ,,Güterreeht der Ehegattentt, S. 565 und 566.

b. Das Gesetz enthält keine Bestimmungen in Betreff des auf Niedergelassene und Aufenthalter anzuwendenden Sachen- oder Obligationenrechts; es will nur auf denjenigen Rechtsgebieten Regeln aufstellen, in Bezug auf welche die bekannten Konflikte zwischen Heimatkanton und Wohnsitzkanton entstanden sind, Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

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auf den Gebieten des Personenrechts, Familienrechts und Erbrechts ; es dehnt indessen seine Wirksamkeit, unter Vorbehalt der Staatsverträge, auch auf die Schweizer im Auslande und die Ausländer in der Schweiz aus. Ueber die Nothwendigkeit und die Kompetenz, in dieser Weise vorzugehen, verweisen wir auf unsere Botschaft vom 28. Mai 1887 (Buudesbl. 1887r III, 113 ff.).

2. Niedergelassene und Aufenthalter sind sich in Ansehung der durch das Gesetz geregelten Verhältnisse vollkommen gleichgestellt. Die auf politischen und polizeilichen Gesichtspunkten beruhende Unterscheidung zwischen Niedergelassenen und Aufenthaltern hat auf dem Gebiete des Civilrechts keine Berechtigung.

Voraussetzung der Anwendbarkeit des vorliegenden Gesetzes ist für beide Klassen von Schweizerbürgern, Niedergelassene wie Aufenthalter, die Thatsache des Wohnens in einem Kantone, in dem sie nicht verbürgert sind.

3. Die Begriffsbestimmung des Wohnsitzes ist diejenige unseres Entwurfes vom 28. Mai 1887 geblieben, wonach zum Erwerbe eines Wohnsitzes Zweierlei erforderlich ist, einmal das thatsächliche Wohnen und sodann der Wille, daß dieses Wohnen ei» dauerndes, bleibendes sein solle.

4. Regelmäßig erscheint der Gerichtsstand des Wohnsitze* begründet (Art. 2). Eine Ausnahme wird nur gemacht in Bezug auf Streitigkeiten über den Familienstand (Art. 8) und für die Be Stellung der Vormundschaft über eine auswandernde oder landesabwesende Person (Art. 26, Abs. 'i alt = Art. 30 neu). In diesen beiden Beziehungen gilt der Gerichtsstand der Heimat und findet heimatliches Recht Anwendung.

Man vergleiche hiezu die Erörterungen des vom Präsidenten der ständeräthlichen Kommission (Eggli) verfaßten ßerichtes vom 14. Juni 1889 (Bundesbl. 1889, III, S. 809 ff.).

B. Personen- und familienrechtliche Verhältnisse.

i. Persönliche Handlungsfähigkeit.

Bekanntlich erschöpft das Bundesgesetz vom 22. Juni 1881 über die persönliche Handlungsfähigkeit diese Materie nicht; es behält der Feststellung durch das kantonale Recht vor: die Testitfähigkeit der Minderjährigen und die Rechte der Minderjährigen gegenüber den Inhabern der elterlichen oder vorrniindschaftlicheu

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Gewalt, die näheren Voraussetzungen und Formen der Jahrgebung, die Handlungsfähigkeit der Ehefrauen während der Dauer der Ehe -- mit Ausnahme der Handelsfrauen --, die Fähigkeit zur Adoption und -- innerhalb des bundesgesetzlichen Rahmens -- die Entmündigungs- (Bevogtungs-) Gründe.

Die einschlägigen Fragen sind nun, im Anschluß an den Beschluß des Ständerathes vom 21. Juni 1889, in Art. 7 wie uns scheint durchaus sachgemäß und für Jedermann leicht verständlich geordnet. Wir verweisen bezüglich der Einzelheiten auf den ständeräthlichen Kommissionalbericht vom 14. Juni 1889.

In Betreff der Testirfähigkeit mußte eine Regel nicht blos für die Minderjährigen, sondern auch für die volljährigen Personen aufgestellt werden: denn die Testirfähigkeit geht nicht iu der allgemeinen civilrechtlichen Handlungsfähigkeit auf. E u g e n H u b e r (System und Geschichte des Schweizerischen Privatrechtes, II, S. 159) sagt : ,,Die allgemeine Rechtsfähigkeit verleiht diese spezielle Fähigkeit noch nicht, die Testirfähigkeit ist ein Korrelat zur Ehefähigkeit und zu den andern speziell normirten Aeußerungen persönlicher Fähigkeit. Sie setzt im Allgemeinen diejenigen Eigenschaften voraus, welche die Handlungsfähigkeit bedingen, hängt aber dazu noch von einigen besondern ab, weßhalb wir sie von der Handlungsfähigkeit unterscheiden müssen.a Und er bemerkt im Verlauf seiner Darstellung der kantonalrechtlichen Bestimmungen über die Testirfähigkeit: ,,Bei der Aufstellung aller dieser Requisite hat es die Meinung, daß deren Vorhandensein zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung verlangt, mithin der Eintritt des Mangels an einem derselben oder der Wegfall eines solchen Mangels nach Errichtung der Verfügung für die Gültigkeit derselben als irrelevant bezeichnet wird.11 .S. Familienstand.

Dem Ständerathsbeschluß entsprechend, ist hier der bundesräthliche Entwurf angenommen, d. h. dem Rechte der Heimat die ausschließliche Herrschaft zuerkannt und der Gerichtsstand der Heimat vorgeschrieben worden. Es handelt sich um öffentlichrechtliche, mit dem Bürgerrechte einer Person im engsten Zusammenhange stehende Einrichtungen..

Wir brauchen wohl nicht auszuführen, daß die rein privatrechtlichen Folgen der außerehelichen Vaterschaft, welche durch die sogen. Alimentationsklage geltend gemacht werden, von Art. 8 des Gesetzes
nicht berührt werden. Die Alimentationsklage ist, wie das Bundesgericht in konstanter Praxis festhält, eine persönliche Klage und muß daher gegen den in der Schweiz wohnenden

560 aufrechtstehenden Schuldner bei dem Richter seines Wohnortes anhängig gemacht "werden. Anders die \ 7 aterschaftsklage, welche den bürgerrechtlichen Stand des außerehelichen Kindes betrifft: diese unterliegt dem Art. 8 und kann nur bei demjenigen Richter angebracht werden, dem die betreffende Gemeinde selbst unterstellt ist.

3. Elternrecht.

Auch in diesem Punkte ist der ständeräthliehe Beschluß durchgedrungen. Mit Recht. Derselbe macht einen Unterschied zwischen der elterlichen Gewalt als solcher (Erziehungspflicht, Aussteuerpflicht, natürliche Vormundschaft, Rechte um Vermögen und am Ertrage der Arbeit des Kindes, Sicherstellung des Kindervermögens), für welche im Wesentlichen die bei der amtlichen Vormundschaftspflege geltenden Grundsätze maßgebend sind, und der Unterstützungspflicht zwischen Verwandten, die mit dem Arnienwesen zusammenhängt und daher zur heimatlichen UnterstUtzungspflicht in naher Beziehung steht. Für die elterliche Gewalt soll das Wohnsitzrecht ihres Inhabers, für die Unterstützungspflicht das Heimatrecht (des Unterstützungspflichtigen) maßgebend sein. Wir halten diese Unterscheidung für innerlich begründet. (Vgl. ständeräthlichen Kommissionalbericht S. 814 a. a. 0.)

4.

Vormundschaft.

Auf diesem Gebiete galt es. zwei mit besonderer Schärfe sich bekämpfende Richtungen zu versöhnen. Und gerade hier herrscht gegenwärtig eine verderbliche Rechtsunsieherheit, deren Beseitigung als ein wirkliches Bedürfniß bezeichnet werden darf. Wohl besteht zwischen 15 Kantonen und Halbkantonen (Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, beide Unterwaiden, Zug, Freiburg, Solothurn, Schaffhausen, beide Appenzell, Aargau und Tessin), zu denen früher auch Glarus und Thurgau gehörten, das Konkordat vom 15. Juli 1822 betreffend Yormundschafts- und Bevogtigungsverhältnisse, welches auf das Heitnatreeht abstellt. Und grundsätzlich auf demselben Boden steht Basel. Allein gegenüber den außer dem Konkordate stehenden Kantonen wenden einzelne Konkordatskantone das örtliche, das Wohusitzrecht an; ihr interkantonales Recht wechselt also, je nachdem sie einem Konkordats- oder Nichtkonkordatskantone gegenüberstehen (vgl. Eugen Huber a. a. 0. I, S. 9l); unter den Nichtkonkordatskantonen selbst sodann sind die Beziehungen womöglich noch unbefriedigender ; die bundesgerichtliche Praxis aber muß den Herrschaftsbereich der Kantonalgesetzgebung in» Vormundschaftswesen auf dem Gebiete eines jeden Kantons inso-

561 weit anerkennen, als dessen Territorialhoheit reicht. Darnach kann eine mehrfache vormundschaftliche Verwaltung geführt werden über die Person des Bevormundeten im einen, über das Vermögen im anderen Kanton, oder über Theile des Vermögens in verschiedenen Kantonen, wie das heute noch thatsächlich in nicht seltenen Fällen geschieht. Ein ähnliches Schauspiel kann sich uns, wie wir sehen werden, bei erbrechtlichen Verhältnissen darbieten. Hier ist nur von der Bundesgesetzgebung Abhülfe zu erwarten. Diese Abhülfe erseheint als dringend nöthig. Denn der gegenwärtige Zustand ist eines Rechtsstaates nicht würdig und sollte am allerwenigsten in einem Bundesstaate vorkommen.

Wie ist zu helfen?

Offenbar nur dadurch, daß e i n e Gesetzgebung, sei es die örtliche, sei es die heimatliche, als ausschließlich anwendbar erklärt wird. Man kann für beide gute Gründe anführen. Die eidgenössischen Räthe haben u. E. mit glücklichem Griffe zwischen den beidseitigen Interessen vermittelt, dem Heimatkanton und der Heimatgemeinde dasjenige zugetheilt, worauf sie mit Grund Anspruch machen dürfen, dem Wohnsitzkanton und der Wohnsitzgemeinde hinwieder überbunden, was ihnen als eine öffentliche Pflicht zufallen muß.

Nämlich: Die Vormundschaft soll von derjenigen Behörde angeordnet und ausgeübt werden, die am besten geeignet erscheint, dem zu Bevormundenden die zweckmäßige p e r s ö n l i c h e Fürsorge angedeihen zu lassen, von der Wohnsitzbehörde. Die Heimatbehörde dagegen hat nicht blos das Recht, die Bevormundung ihres Angehörigen im Falle des Bedürfnisses von der Wohnsitzbehörde zu verlangen, sondern ihr wird auch das Recht zuerkannt, die vormundschaftliche Verwaltung der Wohnsitzbehörde einer beständigen Kontrole zu unterwerfen. Noch mehr. Falls sich ergeben sollte, daß die Interessen des Bevormundeten oder die Interessen der Heimatgemeinde durch jene Verwaltung gefährdet werden oder daß die Wohnsitzbehörde nach den gegebenen Umständen, von Anfang an oder in der Folge, gar nicht in der Lage ist, die Verwaltung richtig zu führen, so soll die Heimatbehörde die Abtretung der Vormundschaft verlangen können, ja in einem Punkte -- zur Verhütung der so widerwärtigen Proselytenmacheiei -- wird der Heimatbehörde geradezu die Befugniß einer positiven Einwirkung auf die Führung der Vormundschaft zugestanden : sie kann nach
Maßgabe und innerhalb der Grenzen von Art. 49, Absatz 3, der Bundesverfassung die religiöse Erziehung eines am Wohnorte unter amtlicher Vormundschaft stehenden Kindes bestimmen. Sollte zwischen den beidseitigen Behörden eine auf gütlichem Wege nicht zu beseitigende Meinungsverschiedenheit bestehen, so haben über die Anträge und

562 Begehren der Heimatbehörde zuerst die zuständigen Organe des Wohnsitzkantons, sofern überhaupt hiefür kantonale Instanzen aufgestellt werden, in letzter Instanz das Bundesgericht als Staatsgerichtshof, d. h. in Anwendung des für staatsrechtliche Entscheidungen vorgeschriebenen Verfahrens, zu urtheilen. Dem Bundesgerichtspräsidenten wird in der eidgenössischen Instanz die Kompetenz zum Erlaß vorsorglicher Verfügungen eingeräumt ; diese Kompetenz geht über . die in Art. 63 des gegenwärtigen Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege dem Bundesgerichtspräsidenten ertheilte Befugniß, Verfügungen zur ,,Festhaltung des bestehenden Zustandes" zu treffen, hinaus; der Bundesgerichtspräsident soll nämlich zum provisorischen Schutze bedrohter Interessen das Geeignete vorkehren können, auch g e g e n einen ^bestehenden Zustand".

Eine Doppel- oder mehrfache Vormundschaft aber wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.

In dieser Weise, glauben wir, seien die Kompetenzen richtig vertheilt worden, so daß der vorgeschlagene Vergleich von den Freunden des Territorialprinzips sowohl als von den Anhängern des Heimatrechtes gutgeheißen werden dürfte. Der Heimat ist offenbar der größere Theil der Rechte zugeschieden worden, ja man könnte versucht sein, zu sagen, ihr seien nur Rechte, dem Wohnsitzkantone nur Pflichten zu Theil geworden. Allein, wir hoffen, die Kantone, welche das Recht des Wohnsitzes vertreten, werden diese Lasten willig auf sich nehmen, um dem von ihnen als richtig erkannten Grundsatze nach und nach auch bei den andern Ständen Eingang zu verschaffen. Gegen Mißbrauch und Unrecht werden beide Theile Schutz bei dem unparteiischen höchsten Gerichtshofe der Eidgenossenschaft suchen können und finden.

5. Güterrecht der Ehegatten.

,,Den bestrittensten Punkt in dieser von Kontroversen wie ein Schlachtfeld von Kugelfurchen zerrissenen Materie, bildet die Ordnung des ehelichen Güterrechts", sagte Dr. E. R o t t in seinem ausgezeichneten Referate über die Ordnung der zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter am Juristentag zu Lausanne 1884. Das Wort ist wahr geblieben bis auf den heutigen Tag. Die besondere Schwierigkeit liegt hier nicht bloß darin, daß zwei oder mehr Staatsgebiete sich um die Geltung ihres Rechtes streiten können, wie z. B. bei der Vorinundschaftspflege,
sondern speziell darin, daß die Natur des Rechtsinstitutes selbst den Zwiespalt in sich trägt, insofern als es eine interne und eine externe Seite hat, als es bestimmt ist, unter zwei Personen -- den Ehegatten -- ein

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dauerndes, festes Rechtsverhältniß zu schaffen, zugleich aber nach Außen, gegenüber Dritten, Rechtswirkungen zu erzeugen.

Seit 1862 haben sich die Käthe der Eidgenossenschaft redlich bemüht, diesen beiden Seiten des Rechtsinstitutes bei der Ordnung des ehelichen Güterstandes der Niedergelassenen Rechnung zu tragen ; es ist ihnen indessen nicht gelungen, zu einem in jeder Hinsicht befriedigenden Resultate zu kommen. Ein solches Resultat ist auch diesmal nicht zu erwarten. Allein wir glauben, daß der Entwurf, auf den sich die beiden Räthe in der letzten Aprilsession nach dem Vorschlage ihrer Kommissionen geeinigt haben, annehmbar sei.

Dieser neueste Entwurf ist wieder auf dem Boden des ständeräthlichen Beschlusses vom 21. Juni 1889 erwachsen, und zu seiner Begründung können wir neuerdings in der Hauptsache auf die Ausführungen des ständeräthlichen Kommissionalberichtes vom 14. Juni jenes Jahres verweisen.

In den Beziehungen der Ehegatten unter einander wird das eheliche Gütersystem als ein feststehendes, in sich abgeschlossenes Verhältniß anerkannt, welches seine Gestaltung von dem Rechte des ersten ehelichen Wohnsitzes erhält. Auf das Heimatrecht wird nicht abgestellt ; denn die Ordnung des ehelichen Güterrechts hängt nicht mit bürgerrechtlichen Fragen zusammen ; für dieselbe sind, wie Dr. Rott (a. a. 0.) sehr richtig sagt, die Anschauungen und Bedürfnisse der Gesellschaft, in deren Mitte die Ehegatten leben, viel wichtiger und bestimmender, als die Herkunft aus diesem oder jenem Kanton. Die durch Gesetz oder Vertrag am ersten ehelichen Wohnsitz begründete Güterordnung soll, wie ein wohlerworbenes Recht, für die ganze Dauer der Ehe, unbeeinflußt durch Veränderungen des Wohnortes, aufrecht erhalten bleiben im Verhältniß der Gatten zu einander. Es entspricht durchaus dem Charakter der ehelichen Lebensgemeinschaft, daß auch die bei ihrer Eingehung begründeten vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten keinem Wechsel unterworfen seien.

In Ansehung der Verhältnisse gegenüber Dritten dagegen -- praktisch gesprochen gegenüber den Gläubigern, speziell im Falle der Pfändung oder des Konkurses des Ehemannes -- erklärt der Entwurf das Recht des j e w e i l i g e n ehelichen Wohnsitzes für maßgebend. Den Interessen des Verkehrs wird hier die Einheit des Rechts geopfert und eine Spaltung herbeigeführt,
die, wie die ständeräthliche Kommission erinnert, schon in den Entwürfen von 1863 und 1876/77 vorgesehen war.

Eine solche Spaltung ist vom juristischen Standpunkte aus nicht gerade empfehlenswerth; allein sie erscheint doch auch nicht als

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juristisch unzulässig. Die Sorge für die Rechtssicherheit des Publikums überwiegt alle andern Interessen, das ist der Gedanke, welcher auch jetzt wieder in diesem Punkte die Räthe geleitet hat. Wenn nach dem Entwurfe das eheliche Güterrecht wie ein Januskopf ein Doppelgesicht zeigen kann, ein Gesicht nach Innen, ein anderes nach Außen, so ist dafür gesorgt, daß das nach Außen gewendete, dem Publikum zugekehrte Gesicht stets freundliche, zum Mindesten aufrichtige, Vertrauen erweckende und Vertrauen verdienende Züge aufweist.

Das Publikum weiß woran es ist in Bezug auf die Verpflichtungsfähigkeit der Ehegatten, die vor ihm stehen. Es ist für die Interessen des praktischen Rechtslebens durch das System des Entwurfes ungleich besser gesorgt, als durch das frühere Einschreibungs- und Publikationssystem, welches wohl nicht mit Unrecht als unpraktisch und wirkungslos bezeichnet wurde, geeignet, aufdemWege einer gesetzlichen Fiktion Täuschung in das Geschäftsleben zu bringen. Wenn aus dem neuen Systeme Verwickelungen, Schwierigkeiten entstehen, so wird das nicht in den Beziehungen zu Drittpersonen, sondern im Verhältnisse der Gatten unter einander der Fall sein; es wird wohl regelmäßig die Ehefrau der leidende Theil sein, indem der Ehemann, Treu und Glauben ihr gegenüber verletzend, über ihr Vermögen zu Gunsten von Gläubigern dem Gesetze des gegenwärtigen Wohnsitzes gemäß, aber demjenigen des ersten ehelichen Domizils oder den Bestimmungen des Ehevertrages zuwider verfügt. Welche Rücksicht wiegt jedoch schwerer, die auf das verkehrtreibende Publikum, oder die auf die Ehegatten? Unzweifelhaft die cratere.

Es ist kein anderer Rechtsgedanke als dieser, welcher das ganze moderne Verkehrsrecht beherrscht, der auch im Schweiz. Obligationenreeht, z. B. bei den Bestimmungen über den Uebergang des Eigenthums an Mobilien und über die Bestellung von Faustpfändern, Eingang gefunden hat (Art. 205, 206, 213 O.-R.), und von dem auch das Bundesgesetz betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit ausgeht, wenn es in Art. 10 festsetzt : ,,Die persönliche Handlungsfähigkeit der Ausländer richtet sich nach dem Rechte des Staates, dem sie angehören. Wenn jedoch ein nach dem Rechte seines Landes nicht handlungsfähiger Ausländer in der Schweiz Verbindlichkeiten eingeht, so wird er verpflichtet, insofern er nach schweizerischem
Rechte handlungsfähig wäre."

Uebrigens werden die Fälle, wo der Ehemann in solcher Weise gegen seine Frau einen Vertrauensmißbrauch begeht, nicht sehr häufig sein, und kommt ein derartiger Fall etwa vor, so werden der Frau gegen Gefährdungen ihres Vermögens rechtliche Schutzmittel zu Gebote stehen, wofür eventuell die Kantone durch ihre Gesetzgebung zu sorgen haben. Viel häufiger, wie \vir schon in

565 unserer Botschaft vom 28. Mai 1887 bemerkten, werden die Fälle sein, wo nicht die Frau vor finanziellen Operationen des Mannes, aber das Publikum vor gemeinsamen Experimenten der Ehegatten zu schützen ist.

Im Großen und Ganzen gewinnt indessen nicht bloß das Publikum durch das System des Entwurfes, sondern es erhält auch die Frau durch dasselbe unverkennbare Vortheile. Der jetzige Entwurf bietet ihr für ihre Rechtsstellung gegenüber dem Manne, d. h. für die Aufrechthaltung des einmal begründeten ehelichen Güterrechts, eine größere Garantie, als die früheren Entwürfe. Nach diesen mußte sie sich beim Wohnsitzwechsel die Beibehaltung des bisherigen Rechtes durch eine innerhalb einer Ausschlußfrist abzugebende formelle Erklärung sichern ; jetzt folgt ihr dieses Recht ohne Weiteres unwandelbar überallhin, und sie hat nicht zu besorgen, daß ihr der Mann die Festhaltung desselben erschwere oder verunmögliche. Nur wenn sie selbst dem Rechte eines neuen Wohnsitzes sich unterwerfen will, kann sie es -- ohne an eine Frist gebunden zu sein -- durch eine in Gemeinschaft mit dem Manne abzugebende Erklärung ; diese Erklärung bedarf jedoch der Zustimmung einer quasi-vormuudschaftlichen Behörde des Wohnsitzkantons, sie kann also der Frau nicht vom Manne abgenöthigt werden.

Unterwerfen sich die Eheleute dem Rechte des neuen Wohn sitzes, so wird es so angesehen, als ob sie von Anfang an unter demselben gestanden hätten. Man hat in diesem« Falle nicht etwa zu untersuchen, was für Wirkungen das bisherige Gütersystem auf ihr gegenseitiges Verhältniß ausgeübt habe. Dieselben sind ausgelöscht. Auch Dritte können sich nicht zur Begründung von Rechtsansprüchen einfach auf das bisherige Güterrecht der Ehegatten berufen. Dieses bot ihnen bloß eine Anwartschaft, Rechte zu erwerben ; nur wenn sie auf Grund desselben besondere Rechtsgeschäfte abgeschlossen haben, steht ihnen ein wohlerworbenes Recht zur Seite, das durch einen Wechsel des ehelichen Wohnsitzes nicht berührt wird.

Wir schließen unsere Besprechung der Bestimmungen des Entwurfes über das eheliche Güterrecht mit der Bemerkung, daß derselbe auch in dieser Materie den'Charakter des Kompromisses nicht verleugnet. Indeß war die Vermittlung hier -- vermöge der Natur des Rechtsinstitutes -- nicht zwischen dem Heimatrechte und dem Wohnsitzrechte zu suchen, sondern
zwischen dem einmal begründeten ehelichen Güterrechte und dem Rechte eines zweiten, dritten u. s w. ehelichen Wohnsitzes. In der eigenthümilchen Natur des Institutes liegt auch die Begründung der Kompetenz des Bundes, für den Güterstand niedergelassener Eheleute eine Regel aufzustellen,

566 der dieselben während der ganzen Dauer der Ehe, also auch wenn sie im Heimatkantone Wohnsitz nehmen und demnach nicht mehr im politischen und polizeirechtlichen Sinne Niedergelassene sind, unterworfen bleiben sollen. Für das Güterrechtsverhältniß der Ehegatten ist nicht das Gesetz ihrer Heimat, sondern das Gesetz ihres ersten Wohnsitzes, des Ortes, wo ihr eheliches Gemeinschaftsleben seinen Ursprung genommen hat, das im wahren Sinne des Wortes nationale, heimatliche ; denn an diesem Orte befindet sich die Heimat ihrer Ehe. Darum erscheint es ganz folgerichtig und der Sache angemessen, wenn der Gesetzgeber in dieser Materie zwischen erstem und nachfolgendem W o h n s i t z r e e h t vermittelt und dabei auch den Heimatkanton wie einen Wohnsitzkanton betrachtet, und es m u ß t e derselbe diese Kompetenz für sich beanspruchen, wollteer überhaupt dem in Art. 46 und 47 der Bundesverfassung enthaltenen Auftrage vollständig Folge leisten und auch das eheliche Güten-echt der Niedergelassenen und Aufenthalter sachgemäß ordnen.

C. Erbrecht.

Die gleichen Uebelstände, die wir beim Vormundschaftsrecht hervorhoben, ergeben sich beim Erbrechte aus dem Mangel an einer einheitlichen Regel für die Anwendung des in den Kantonen geltenden Rechtes auf Niedergelassene und Aufenthalter. Von jeher, insbesondere seit dem Beginn der 1860er Jahre, empfand man denn auch in der Schweiz das Bedürfniß einer bundesmäßigen Ordnung des interkantonalen Privatrechtes auf diesem Gebiete. Demselben zu begegnen, haben sich freilich am 15. Juli 1822 16 Kautone und Halbkantone (Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, beide Unterwalden, Glarus, Solothurn, Schaffhausen, beide Appenzell, Aargau, Thurgau und Tessin) zu dem Konkordat, betreffend Testirungsfähigkeit und Erb rechts Verhältnisse, das auf dem Heimatsprinzip ruht. (Seither sind 3 Kantone (Glarus, Appenzell A.-Rh. und Thurgau) von diesem Konkordate zurückgetreten ; l Kanton (Zug) ist demselben in letzter Zeit beigetreten und l Kanton (Basel) huldigt, ohne Konkordatsstand zu sein, theilweise -- für das Intestaterbrecht -- dem Grundsatze des Konkordates.) Allein, wie wir bereits hinsichtlich des vormundschaftsrechtlichen Konkordates von 1822 bemerkten, gegenüber den Nichtkonkordatskantonen huldigen einzelne Konkordatskantone dem Territorialgrundsatze, und die Nichtkonkordatskantone
entbehren i a ihren Beziehungen zu einander und zu den Eonkordatskan tonen einer festen Regel und Praxis, neigen sich indessen in der Mehrzahl der Anwendung des strengen Territorialgrundsatzes zu. Die Folge ist auch hier das Auseinanderreißen dessen, was zusammengehört und durch eine einheitliche Rechtsnorm fest zusammengekittet sein sollte, näm-

567

lieh der Erbschaft. Die Einheit der Erbschaft wird preisgegeben und es kommt vor, daß für das in mehreren Kantonen gelegene Vermögen besondere Erbmassen gebildet werden und die Erbfolge in eine und dieselbe Verlassenschaft eine mehrfache, nach den betreffenden Kantonalgesetzen verschiedene wird. Das ist wieder ein Zustand, der dem Gedanken des Bundesrechtsstaates geradezu Hohn spricht und je eher desto besser beseitigt wird.

Wenn es sich nun fragt, welche Gesetzgebung auf das Erbechafts vermögen angewendet werden solle, so läßt sich gar nicht leugnen, daß gute Gründe für das Heimatrecht sich anfuhren lassen, das vom Ständerathe gegenüber dem bundesräthlichen Entwürfe und dem Beschlüsse des Nationalrathes vom 19. Juni 1888 und 13. Juni 1890 angenommen worden und im Berichte der ständeräthlichen Kommission warm befürwortet worden war. Indessen haben die ständeräthliche Kommission und der Ständerath selbst anerkannt, daß sie in diesem Punkte dem andern Rathe eine Konzession machen können, im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes. Und nun ist nach den letzten Beschlüssen beider Rathe die Einigung auch hier in einer Weise erzielt worden, die keinen berechtigten Interessen zu nahe tritt, aber den Zweck des Gesetzes, die Herstellung der einheitlichen Behandlung der Erbschaft eines Niedergelassenen oder Aufenthalters, doch erreicht. Zurückgreifend auf einen Antrag der durchaus territorialistisch gesinnten Mehrheit der ständeräthlichen Kommission von 1863 haben Sie, Tit., dem Niedergelassenen und Aufenthalter die Möglichkeit eröffnet, durch eine testamentarische Erklärung oder einen Erbvertrag seine Verlassenschaft dem Gesetze der Heimat zu unterstellen ; thut er dies nicht, so soll dieselbe vom Wohnsitzrechte beherrscht sein. In beiden Fällen bezieht sich das anwendbare Recht auf die G-es a m m t h e i t des Erb Vermögens und auf j e d e Art der E r b f o l g e -- auf die gesetzliche oder Intestaterbfolge, wie auf die testamentarische und vertragsmäßige Erbfolge; denn nur so kann die Einheit der Erbschaft gewahrt werden.

Es ist auch hier ein Kompromiß zwischen entgegengesetzten Standpunkten, auf den, ein höheres Interesse -- die Einheit der Rechtsanwendung -- berücksichtigend, die Rathe sich geeinigt haben.

Beim Erbvertrage soll das Recht des letzten Wohnsitzes oder der Heimat insofern zur Anwendung
kommen, als es sich um sogenanntes Notherbenrecht handelt, das unabhängig vom Willen des Erblassers, ja möglicherweise gegen denselben, wirksam wird.

Im Uebrigen beurtheilt sich ein Erbvertrag hinsichtlich seines Inhaltes nach dem Rechte des Wohnsitzes des Erblassers zur Zeit seines Abschlusses.

568

Eine kurze Betrachtung erfordert Art. 22 alt und 26 neu, der vielfach mißverstanden worden ist. Nach dem Beschlüsse des Ständeruthes vom 2. Dezember 1890 lautete die entsprechende Bestimmung wie folgt : ,,Soweit erbrechtliche Verhältnisse mit dem ehelichen Güterrechte im Zusammenhange stehen, gilt für dieselben das nämliche Recht, welches das eheliehe Güterrecht beherrscht.* Man faßte diesen Satz ziemlich allgemein dahin auf, daß nach dem Ableben eines Ehegatten die Ansprüche des Ueberlebenden an dem Ehevermögen, auch wo. sie erbrechtlichen Charakter haben, durch dasjenige Recht bestimmt werden sollen, das für das eheliche GtUerrecht der betreffenden Gatten maßgebend war. Es ging indessen aus den Erklärungen des Präsidenten der ständeräthlichen Kommission, welcher die ständeräthliche Fassung beantragt hatte, hervor, daß die Bestimmung nicht beabsichtigte, die Anwendung des Erbrechtes, welchem die Verlassenschaft des erstverstorbenen Gatten in ihrer Gesammtheit unterstellt ist, in Hinsicht auf die erbrechtlichen Ansprüche des überlebenden Theiles aufzuheben und für dieselben das Recht anwendbar zu erklären, welches das eheliche Güterrecht beherrscht. Sondern es wollte blos festgesetzt werden, daß die an der Verlassenschaft des erstverstorbenen Gatten n a c h d e m R e c h t e , d e m d i e E r b s c h a f t u n t e r l i e g t , begründeten, m i t dem Familienrechte (dem ehelichen Güterrechte, vermögensrechtlichen Ansprüchen der Kinder u. s. w.) zusammenhangenden Rechtsverhältnisse, unverändert bleiben, auch wenn nachwärts der überlebende Gatte den Wohnsitz wechseln und unter eine andere Gesetzgebung zu stehen kommen sollte. Dies wird nun durch die vorliegende Redaktion unzweideutig ausgedrückt. In diesem Sinne, kann man sagen, enthält der Artikel nichts Anderes als die formelle Anerkennung des unbestrittenen Satzes, daß wohlerworbene Rechte unter jeder Gesetzgebung zu schützen seien, in Bezug auf ein besonderes Rechtsverhältnis. Man darf wohl der Ansicht sein, daß eine solche Anerkennung im Gesetze nicht besonders ausgesprochen zu werden brauchte. Allein wir halten uns uicht für befugt, den Artikel zu streichen, und meinen doch, es dürfte derselbe in der Praxis etwa auftauchende Zweifel lösen. Der Urheber der Bestimmung, Herr Ständerath Eggli, hatte dabei bernisehe Verhältnisse im Auge, z. B. den
Fall der Beerbung des Ehemannes durch die Ehefrau, unter dem gesetzlichen Vorbehalt des Theilungsrechtes der Kinder im Falle der Wiederverehelichung ihrer Mutter.

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Zweiter Titel.

Die civilrechtlichen Verhältnisse der Schweizer im Auslande.

Von jeher haben die einschlägigen Bestimmungen am wenigsten Anfechtung erlitten. Dieselben bezwecken, den so sehr begründeten Klagen unserer Landsleute im Auslande über den Mangel an jeder festen Norm für ihre der ausländischen Gesetzgebung nicht unterworfenen Rechtsverhältnisse im Gebiete des Personen-, Familien- und Erbrechts, insbesondere im Gebiet des Familienrechts und vor Allem des ehelichen Güterrechts, abzuhelfen. Jedermann findet es richtig, daß dies geschehe. Die vorgeschlagenen Bestimmungen selbst bedürfen keiner nähern Erläuterung.

Dritter Titel.

Die civilrechtlichen Verhältnisse der Ausländer in der Schweiz.

Auch dieser Titel bietet uns nicht Anlaß zu besondern Bemerkungen.

Vierter Titel.

Uebergangs- und Schlussbestimmungen.

Es bleibt noch der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zu bestimmen. Wir erachten es für das Zweckmäßigste, dem Bundesrathe die Festsetzung des Zeitpunktes zu überlassen, in welchem das Gesetz in Kraft treten soll.

Im Uebrigen haben wir zu den Uebergangs- und Schluß.bestimmungen nichts zu bemerken.

III. Schlusswort.

Soll die Bundesversammlung den Gesetzesentwurf in der vorliegenden Passung annehmen ?

Wir empfehlen die Annahme.

Soeben hat ein wissenschaftliches Werk die Presse verlassen das in ausgezeichneter und gründlicher Weise mit dem Gegenstande sich beschäftigt, der den Inhalt -der gegenwärtigen Vorlage bildet.

Wir meinen das Buch des Herrn Dr. E r n e s t R o g u i n , Professor für vergleichendes Recht an der Universität Lausanne, gewesener

570

Legationsrath bei der schweizerischen Gesandtschaft in Paris, das den Titel führt : ,,Conflits des lois suisses en matière internationale et intercantonale'1.

Dieser hervorragende schweizerische Rechtsgelehrte schreibt in der Vorrede zu seinem Werke mit Bezug auf den von Ihnen durchberathenen Gesetzentwurf über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter: ,,Wir wünschen aufrichtig die Annahme .desselben ; dieses Gesetzeswerk, in Bezug auf dessen einzelne Bestimmungen wir uns freilich unsere Meinung vorbehalten, und das, wie es nicht anders sein kann, den Charakter der Vermittlung (zwischen verschiedenen Standpunkten) aufweist, wird dem gegenwärtigen Rechtszustande gegenüber ganz unbestreitbar einen bedeutsamen Fortschritt begründen, schon deßhalb, weil es die Lösung von Streitfragen bringt. Erhält es Rechtskraft, so werden wohl hundert Seiten unserer Arbeit einen Theil ihres praktischen Interesses verloren haben.a Das ist die Stimme eines vaterländischen Rechtsgelehrten, deiin seiner frühern diplomatischen Stellung als Berather von Hunderten und aber Hunderten seiner schweizerischen Landsleute in Frankreich vollauf Gelegenheit hatte, die für die Bürger des Landes, nicht zum Mindesten für die im Ausland lebenden Schweizer, mit der gegenwärtigen Unsicherheit unserer interkantonalen Rechtsbeziehungen verbundenen Nachtheile kennen zu lernen.

Man hat von dem aus Ihren ßerathungen hervorgegangenen Gesetzesentwurfe manchenorts in wenig günstigem Sinne gesprochen,, mau hat ihn in der Presse sogar einen ,,Wechselbalg" genahnt, au welchem Niemand eine rechte Freude haben könne.

Solche Urtheile zeugen von einer nur oberflächlichen Betrachtung der Sache.

Das wissen wir auch und es ist für Niemanden ein Geheimniß, daß ein einheitliches Civilrecht, das in jedem Kanton gleiche Geltung hätte, dieser und überhaupt j e d e r gesetzlichen Ordnung des interkantonalen Privatrechts weitaus vorzuziehen wäre. Allein auf dieses einzig gründliche Abhülfemittel müssen wir noch auf Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte hinaus verzichten. Wer dies nicht einzusehen vermag oder nicht einsehen will, mit dem ist nicht zu rechten. Inzwischen aber erheischt der gegenwärtige Rechts-, beziehungsweise Unreclitszustand im interkantonalen Privatrechtsverkehr unbedingt, daß man das Mögliche thue, um Abhülfe zu
schaffen. Denn dieser Z u s t a n d i s t e i n We c h s e l b a l g , der Farbe und Gestalt in unvorherzusehender, zufälliger, willkürlicher Art von heute auf morgen, von morgen auf übermorgen, von einem Kanton zum andern ändert.

571 Das Gesetz aber, das wir vorlegen, gibt die Normen an, nach welchen eine Aenderung der Rechtsregeln eintreten kann, und s-chließt jede anderweitige, willkürliche Aenderung von vornherein aus. Allerdings sieht auch dieses Gesetz buntfarbig aus. Allein das ist der unvermeidliche Reflex des bestehenden Rechtszustandes.

Wer also mit solchen Vorwürfen dus Gesetz zu treffen glaubt, der spricht nur dem gegenwärtigen Zustande das Verdammungsurtheil, will aber doch nichts thun, um ihn zu bessern !

Wir glaubten uns einer Pflichtverletzung schuldig zu machen, wenn wir Ihnen nicht eindringlich die Annahme des vorliegenden Entwurfes empfehlen würden. Mehr als er bietet, wird zur Versöhnung der Gegensätze im Vormundschafts-, Ehe- und Erbrecht auf der gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Grundlage von Bundes wegen nicht gethau werden können.

Bei Ihnen liegt nun die Entscheidung. Mögen Sie dieselbe so treffen, wie es das Wohl und die Interessen des Landes erfordern !

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherimg unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 8. Juni

1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschift: Ringier.

572

Beschluss

Neue Vorlage des Bundesrathes,

des

(Vom 8. Juni 1891.)

Ständerathes vom 10. April und des

Nationalrathes vom 17. April 1891.

In Gemäßheit des Beschlusses des Ständerathes vom 10. April und des Nationalrathes vom 17.

April 1891 ausgearbeitet.

Bundesgesetz

Bundesgesetz

betreffend

betreffend

die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft.

in Ausführung der Art. 46 und 47 der Bundesverfassung; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 28. Mai 1887, beschließt:

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaf in Ausführung der Art. 46 uud 47 der Bundesverfassung; nach Einsicht einer Botschaft dès Bundesrathes vom 28. Mai 1887, beschließt: Erster Titel.

Die civilrechtlichen Verhältnisse der Schweiz, Niedergelassenen und Aufenthalter in der Schweiz.

A. Allgemeine Bestimmungen. A.. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 1. Die Anwendung der .kantonalen Civilgesetze auf die

Art. 1. Die personen-, familienund erbrechtlichen Bestimmungen

573 Niedergelassenen und Aufenthalter aus andern Kantonen wird in Ansehung des Personen-, Familien- und Erbrechts in nachfolgender Weise geordnet.

Art. 2. Wo das Gesetz nicht ausdrücklich den Gerichtsstand der Heimat vorbehält, unterliegen die Niedergelassenen und Aufenthalter in Bezug auf die erwähnten ·civilrechtlichen Verhältnisse der Oeriehtsbarkeit des Wohnsitzes.

Der Richter hat das Gesetzesrecht eines andern Kantons von Amtes wegen anzuwenden.

Art. 3. Der Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes befindet sich an dem Orte, wo Jemand mit der Absicht, daselbst dauernd zu verbleiben, wohnt.

Die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs-, Pflege-, Versorgungs-, Irren- oder Strafanstalt begründet für dieselbe nicht einen civilrechtlichen Wohnsitz.

Im Streitfalle wird der Wohnsitz nach der Gesammtheit der dabei in Frage kommenden thatsächlichen Verhältnisse bestimmt.

Der einmal begründete Wohnsitz einer Person dauert so lange fort, bis sie ihre Wohnung an «inen andern Ort verlegt und daselbst einen neuen Wohnsitz erworben hat.

Art. 4. Als Wohnsitz der Ehefrau und der minderjährigen Kinder gilt der Wohnsitz des Ehemannes und des Inhabers der elterlichen Gewalt.

Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. ILI.

des Civilrechtes eines Kantons finden auf die in seinem Gebiete wohnenden Niedergelassenen und Aufenthalter aus anderen Kautonen nach Maßgabe der Vorschriften der folgenden Artikel Anwendung.

Art. 2. Wo dieses Gesetz nicht ausdrücklich den Gerichtsstand der Heimat vorbehält, unterliegen die Niedergelassenen und Aufenthalter in Bezug auf die in Art. l erwähnten civilreehtlichen Verhältnisse der Gerichtsbarkeit des Wohnsitzes.

Der Richter hat das Civilrecht eines andern Kantons von Amtes wegen anzuwenden. Vorbehalten bleiben die kantonalen Vorschriften betreffend die Beweiserhebung über Statutar- und Gewohnheitsrecht.

Art. 3. Der Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes befindet sich an dem Orte, wo Jemand mit der Absicht, dauernd zu verbleiben, wohnt.

Die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs-, Pflege-, Versorgungs-, Heil- oder Strafanstalt begründet für dieselbe keinen Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes; ebenso wenig der Aufenthalt an einem Orte zum Zwecke des Besuches einer Lehranstalt.

Der einmal begründete Wohnsitz einer Person dauert bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes fort.

Niemand hat an zwei oder mehreren Orten zugleich seinen.

Wohnsitz.

39

574

Als Wohnsitz der unter öffentlicher Vormundschaft stehenden Personen gilt der Sitz der Vormundschaftsbehörde.

Art. 5. Ist ein Schweizerbürger in mehreren Kantonen heimatberechtigt, so kommt bezüglich der civilrechtlichen Verhältnisse, für welche nach diesem Gesetze das Recht der Heimat maßgebend sein soll, das Recht desjenigen Heimatkantons zur Anwendung, in welchem der Bürger wohnt oder seinen letzten Wohnsitz gehabt hat, und, falls ein solcher fehlt, das Recht des neuern Heimatkantons.

Art. 6. Zerfällt ein Kanton in verschiedene Rechtsgebiete, so gilt als Wohnsitzrecht des Niedergelassenen oder Aufenthalters das Recht desjenigen Kantonsgebietes, in welchem derselbe wohnt, als Heimatrecht das Recht des Gebietes, in welchem er verbürgert ist.

Bei mehrfachem Bürgerrechte in einem solchen Kanton ist als Heimatrecht das Recht desjenigen Gebietes anzusehen, in welchem der Bürger zuletzt seinen Wohnsitz hatte, und, falls er niemals im Heimatkantone wohnhaft war, das Recht des Gebietes, in welchem das Bürgerrecht zuletzt erworben wurde.

Art. 4. Als Wohnsitz der Ehefrau gilt der Wohnsitz des Ehemannes.

Als Wohnsitz der in elterlicher Gewalt stehenden Kinder gilt der Wohnsitz des Inhabers der elterlichen Gewalt.

Als Wohnsitz der unter Vormundschaft stehenden Personengilt der Sitz der Vormundschaf'tsbehörde.

Art. 5. Wenn Jemand iti mehreren Kantonen heimatberechtigt ist, so gilt für die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes als Heimat derjenige Heimatkauton, in welchem er seinen letzten Wohnsitz gehabt hat, und falls er seinen Wohnsitz niemals in einem der Heimatkantoue gehabt hat, derjenige Kanton, dessen Bürgerrecht er oder seine Vorfahren zuletzt erworben haben.

Art. 6. Wenn in den Gebietstheilen eines und desselben Kantons nicht dieselben Rechtsnormen in Kraft bestehen, so gilt als Wohnsitzrecht eines Niedergelassenen oder Aufenthalters das Recht desjenigen Kantonsgebietes, in welchem derselbe wohnt, als Heimatrecht das Recht, welches in derjenigen Gemeinde in Kraft besteht, deren Bürger er ist.

Bei mehrfacher Heimatberechtigung in einem solchen Kanton findet die Vorschrift des Art. 5 entsprechende Anwendung.

575

B. Personen- und fiimilienrechtliche Verhältnisse.

B. Personen- und familienrechtliche Verhältnisse.

1. Handlungsfähigkeit.

Art. 7. Soweit die persönliche Handlungsfähigkeit nicht durch die Bundesgesetzgebung einheitlich geordnet ist, gelten folgende Bestimmungen: Die Jahrgebung (Volljähvigkeitserklärung) unterliegt dem Rechte und der Gerichtsbarkeit, welche für die elterliche oder vormundschaftliche Gewalt maßgebend sind.

Die Testirfähigkeit beurtheilt sich nach dem Rechte des Wohnsitzes zur Zeit der Testamentserrichtung.

Die Befugnisse der Minderjährigen gegenüber den Inhabern der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt bestimmen sieh nach demjenigen Rechte, welches für die elterliche Gewalt oder die Vormundschaft gilt.

Die Handlungsfähigkeit der Ehefrauen während der Dauer der Ehe richtet sich nach dem Rechte des Wohnsitzes.

1. Persönliche Handlungsfähigkeit.

Art. 7. Die persönliche Handlungsfähigkeit der Ehefrau wird für die Dauer der Ehe durch das Recht des Wohnsitzes bestimmt.

Die Befugnisse der Minderjährigen gegenüber den Inhabern der elterlichen oder voi-mupdschaftlichen Gewalt bestimmen sich nach demjenigen Rechte, welches für die elterliche Gewalt oder die Vormundschaft gilt.

Die Jahrgebung (Volljährigkeitserklärung) unterliegt dem Rechte und der Gerichtsbarkeit, welche für die elterliche oder vormundschaftliche Gewalt maßgebend sind.

Die Testirfähigkeit beurtheilt sich nach dem Rechte des Wohnsitzes zur Zeit der Errichtung des letzten Willens.

2. Familienstand.

2. Familienstand.

Art. 8. Der Familienstand einer Person, insbesondere die Frage der ehelichen oder unehelichen Geburt, die Frage der Wirkungen einer freiwilligen Anerkennung oder einer durch die Behörden erfolgten Zusprechung Unehelicher, die Frage der Adoption (Wahlkindschaft), bestimmt sich nach dem heimatlichen Recht

Art. 8. Die Beurtheilung des Familienstandes unterliegt, abgesehen von den durch das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe geordneten Verhältnissen, dem Rechte und dem Gerichtsstand der Heimat. Insbesondere sind nach diesem Rechte zu beurtlieilen die Frage der ehelichen oder unehelichen Geburt, die Wirkungen

576

der freiwilligen Anerkennung und des behördlichen Zuspruchs Unehelicher, sowie die Adoption.

Das heimatliche Recht, welches in diesen Fällen zur Anwendung kommt, ist dasjenige des Ehemannes, des Vaters oder der Person, die adoptiren will.

und unterliegt der Gerichtsbarkeit der Heimat.

Als Heimat gilt in diesen Fällen der Heimatkanton des Ehemannes, des Vaters, der adoptirenden Person.

3. Elternrecht.

Art. 9. Für die elterliche Gewalt ist das Recht des Wohnsitzes, für die Unterstützungspflicht zwischen Eltern und Kindern das Recht der Heimat maßgebend.

3. Elternrecht.

Art. 9. Die elterliche Gewalt bestimmt sich nach dem Rechte des Wohnsitzes.

Die Unterstützungspflicht zwischen Verwandten richtet sich nach dem heimatlichen Rechte des UnterstlUzungspflichtigen.

4. Vormundschaft.

Art. 10. Die Vormundschaft begreift sowohl die Obsorge für die Person des Bevormundeten, als die Vertnögeusverwaltung in sich.

4. Vormundschaft.

Art. 10. Für die Vormundschaft ist unter Vorbehalt der Bestimmungen der Art. 12 bis 15 ausschließlich maßgebend das Recht des Wohnsitzes der Person, welche unter Vormundschaft zu stellen ist oder über welche eine Vormundschaft bereits bestellt ist.

Art. 11. Die Behörde des Wohnsitzes ist verpflichtet, die VormundschaftübereiueüSchweizerbürger aus einem andern Kanton in gleicher Weise anzuordnen und auszuüben, wie über eigene Angehörige; sie hat indessen in Bezug auf die religiöse Erziehung eines bevormundeten Kindes die Weisung der Heimatbehörde zu befolgen, wenn sie nach Maßgabe des Art. 49, Abs. 3, der Bundesverfassung in den Fall kommt, darüber eine Verfügung zu treffen.

Art. 11. Das Vormundschaftsrecht im Siane dieses Gesetzes umfaßt sowohl die Vorschriften über die Fürsorge für die Person des Bevormundeten wie die Vorschriften über die Vermögensverwaltung.

Art. 12. Die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes hat derjenigen des Heimatkantons von dein Eintritt und vou der Aufhebung einer Vormundschaft, sowie von dem Wohnsitzwechsel

577 Vorbehalten bleiben überdies die in Art. 13 der Heimatbehörde eingeräumten Befugnisse.

des Bevormundeten Kenntniß zu geben und derselben auf Verlangen über alle die Vormundschaft betreffenden Fragen AufArt. 12. Die Wohnsitzbehörde, schluß zu ertheilen.

hat der Heimatbehörde von dem Eintritt und der Aufhebung einer Art. 13. Wenn über die reliVormundschaft, sowie von dem giöse Erziehung eines bevormunWohnsitzwechsel des Bevormun- deten Minderjährigen nach Maßdeten Kenntniß zu geben und ihr gabe der Bestimmung des Art. 49, außerdem auf Verlangen über alle Abs. 3, der Bundesverfassung eine die Vormundschaft betreffenden Verfügung zu treffen ist, so hat Fragen Aufschluß zu ertheilen.

die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes in dieser Beziehung Art. 13. Wenn die Behörde die Weisung der Vormundschaftsdes Wohnsitzes durch ihre Ver- behörde der Heimat einzuholen waltung die persönlichen oder und zu befolgen.

vermögensrechtlichen Interessen des Bevormundeten oder seiner Art. 14. Die zuständigen BeHeimatgemeinde gefährdet oder hörden des Heimatkantons sind nicht gehörig zu wahren in der berechtigt, die Bevormundung der Lage ist, oder wenn die Wohn- Bürger ihres Eantons, welche sitzbehörde die Weisung der Hei- außerhalb des Heimatkantons ihmatbehörde in Bezug auf die ren Wohnsitz haben, bei den zureligiöse Erziehung eines Kindes ständigen Behörden des Wohnnicht befolgt, so kann die Hei- sitzkantons zu beantragen. Einem matbehörde verlangen, daß die solchen Antrag muß Folge geVormundschaft ihr abgegeben geben werden, sofern die Bevormundung nach Maßgabe des Rechwerde.

Die Heimatbehörde ist über- tes des Wohnsitzes als begründet dies berechtigt, die Bevormun- erscheint.

dung ihrer auswärts wohnenden Art. 15. Wenn die Behörde Angehörigen von den zuständigen des Wohnsitzes die persönlichen Behörden des Wohnsitzkantons oder vermögensrechtlichen Interzu verlangen.

essen des Bevormundeten odei- die Im Streitfalle hat über die Interessen seiner Heimatgemeinde Begehren der Heimatbehörde nach gefährdet oder nicht gehörig zu Erschöpfung der kantonalen In- wahren in der Lage ist, oder wenn stanzen das Bundesgericht als die Wohnsitebehörde die Weisung Staatsgerichtshof zu entscheiden. der Heimatbehörde in Bezug auf In dringlichen Fällen kann der die religiöse Erziehung eines Kindes Präsident des Bundesgerichts zum nicht befolgt, so kaun die HeimatSchutze bedrohter Interessen vor- behörde verlangen, daß die Vormundschaft ihr abgegeben werde.

sorgliche Verfügungen treffen.

578 Art. 14. Ueber die nämliche Person darf nicht gleichzeitig im Wohnsitz- und im Heimatkanton eine Vormundschaft geführt werden.

Art. 15. Wenn eine an ihrem Wohnsitze unter Vormundschaft stehende Person mit Zustimmung der bisherigen Vormundschaftsbehörde den Wohnsitz wechselt, stehen Rechte und Pflichten der Vormundschaft an die Behörde des neuen Wohnsitzes über und ist das Vermögen des Bevormundetet] an diese zu verabfolgen.

Art. 16. Streitigkeiten über die in Art. 14 und 15 vorgeseheneu Anträge und Begehren der Heimatbehörde entscheidet auf Klage dieser Behörde in letzter Instanz das Bundesgericht als Staatsgerichtshof. In dringenden Fällen trifft der Präsident des Bundesgerichtes zum Schutze bedrohter Interessen vorsorgliche Verfügungen.

Art. 17. Bewilligt die Vormundschaftsbehörde dem Bevormundeten einen Wohnsitzwechsel, so geht das Recht und die Pflicht zur Führung der Vormundschaft auf die Behörde des neuen Wohnsitzes über und ist das Vermögen dea Bevormundeten an diese zu verabfolgen.

Art. 18. Die gleichzeitige Führung der Vormundschaft im Wohnsitz- und im Heimatkanton ist unzuläßig.

5. GUterrecht der Ehegatten.

Art. 16. Das Güterrechtsverliältniß der Ehegatten unter einander wird, vorbehaltlich des Art. 17, für die ganze Dauer der Ehe von dem Rechte desjenigen Kantons beherrscht, in welchem die Ehegatten ihren ersten ehelichen Wohnsitz begründet haben.

Im Zweifel wird als erster ehelicher Wohnsitz der Wohnsitz des Ehemannes zur Zeit des Abschlusses der Ehe angesehen.

Gegenüber Dritten gilt in Bezug auf die Vermögensrechte der Ehegatten das Gesetz des jewei-

5. GUterrecht der Ehegatten.

Art. 19. Die Güterrechtsverhältnisse der Ehegatten unter einander werden, vorbehältlieh des Art. 20, für die ganze Dauer der Ehe, auch dann, wenn die Ehegatten in der Folge ihren Wohnsitz in den Heimatkanton verlegen, von dem Rechte des ersten ehelichen Wohnsitzes beherrscht. Im Zweifel ist als erster ehelicher Wohnsitz der Wohnsitz des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung anzusehen.

Für die Güterrechtsverhältnisse der Ehegatten gegenüber

579 3igen ehelichen Wohnsitzes; insbesondere richtet sich bei einer gegen den Ehemann vorgenommenen Pfändung oder im Konkurs desselben die Rechtsstellung der Ehefrau den Gläubigern des Manîies gegenüber ausschließlich nach ·dem Gesetze dieses Wohnsitzes.

Art. 17. Wenn die Ehegatten ihren Wohnsitz wechseln, so können sie mit Genehmigung der tiiefür zuständigen Behörde des «neuen Wohnsitzes durch Einreichung einer gemeinschaftlichen Erklärung bei der zuständigen Amtsstelle (Art. 32) ihr Rechtsverhältniß auch unter sich dem Gesetze des neuen Wohnsitzes unterstellen.

Die Erklärung wirkt auf den Zeitpunkt der Begründung des ehelichen Güterrechts zurück.

Art. 18. Die an einem ehelichen Wohnsitze durch besonderes Rechtsgeschäft erworbenen Rechte Dritter werden durch «inen Wechsel des Wohnsitzes nicht berührt.

Dritten ist maßgebend das Recht des jeweiligen ehelichen Wohnsitzes; dasselbe bestimmt insbesondere die Rechtsstellung der Ehefrau den Gläubigern des Ehemannes gegenüber im Konkurs des Ehemannes oder bei einer gegen denselben vorgenommenen Pfändung.

Art. 20. Wenn die Ehegatten ihren Wohnsitz wechseln, so können sie mit Genehmigung der zuständigen Behörde des neuen Wohnsitzes durch Einreich ung einer gemeinschaftlichen Erklärung bei der zuständigen Amtsstelle (Art. 36, litt, b) ihre Rechtsverhältnisse auch unter sich dem Rechte des neuen Wohnsitzes unterstellen.

Die Erklärung wirkt auf den Zeitpunkt des Beginnes des Güterrechtsverhältnisses zurück.

Art. 21. Die an einem ehelichen Wohnsitze durch besonderes Rechtsgeschäft erworbenen Rechte Dritter werden durch einen Wohnsitzwechsel der Ehegatten nicht berührt.

C. Erbrecht und Schenkungen.

C. Erbrecht.

Art. 19. Die Erbschaft eines Niedergelassenen oder Aufenthalters wird für die Gesammtheit des Vermögens am Wohnsitze des Erblassers eröffnet und unterliegt dem Rechte dieses Wohnsitzes.

Art. 22. Die Erbfolge richtet sich nach dem Rechte des letzten Wohnsitzes des Erblassers.

Durch letztwillige Verfügung oder durch Erbvertrag kann jedoch Jemand die Erbfolge in seinen Nachlaß dem Rechte seines Heimatkantons unterstellen.

Art. 20. Ein Erb vertrag beurtheilt sich hinsichtlich seines In-

580 halts, wenn er zwischen Brautleuten abgeschlossen wurde, nach dem Rechte des ersten ehelichen Wohnsitzes, in allen andern Fällen nach dem Rechte des Wohnsitzes des Erblassers zur Zeit des Vertragsabschlusses, Alles unter Vorbehalt des ain Orte der Erhschaftseröffnung geltenden Notherbrechtes.

Art. 21. Es ist einem Niedergelassenen oder Aufenthalter gestattet, durch eine schriftliche Erklärung die Erbfolge in seine Verlassenschaft unter das Gesetz des Heimatkantons zu stellen.

Eine solche Erklärung ist für den Fall der Intestat- und der testamentarischen Erbfolge in Form einer letztwilligen Verfügung zu erlassen, im Falle eines Erbvertrages in den Vertrag selbst aufzunehmen.

Art. 22. Die Rechte des überlebenden Ehegatten an der Verlassenschaft des vorverstorbenen Theiles bleiben auch bei einem "Wohnsitzwechsel des überlebenden Gatten von der Gesetzgebung beherrscht, welcher die Erbschaft unterliegt.

Art. 23. Die Eröffnung der Erbschaft erfolgt steta für die Gesammtheit des Vermögens aa dem letzten Wohnsitz des Erblassers.

Art. 24. Letztwillige Verfügungen, Erbverträge und Schenkungen auf den Todesfall sind hinsichtlich ihrer Form gültig, wenn sie dem Rechte des Errichtungsorles oder demjenigen des Wohnsitzkantons zur Zeit der Errichtung des Aktes oder zur Zeit des Ablebens des Erblassers oder demjenigen des Heimatkantons des Erblassers entsprechen.

Art. 25. Ein Erbvertrag benrtheilt sich hinsichtlich seines Inhalts, wenn er zwischen Verlobten abgeschlossen wurde, nach dein Rechte des ersten ehelichen Wohnsitzes, in allen andern Fällen nach dem Rechte des Wohnsitzes des Erblassers zur Zeit des Vertragsabschlusses. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen, welche das für die Erbfolge maßgebende Recht.

(Art. 22) hinsichtlich des Notherbenrechts enthält.

Art. 23. Letztwillige Verfügungen und Erbverträge, sowie Schenkungen auf den Todesfall sind rücksichtlich ihrer Form gültig, wenn sie dem Gesetze des Errichtungsortes oder demjenigen des Wohnsitz- oder des Heimatkantons des Erblassers entsprechen.

Art. 26. Erbrechtliche Verhältnisse, die infolge des Ablebens eines Ehegatten eintreten und mit dem Familienrechte zusammenhangen, beurtheilen sich nach dem für die Erbfolge maßgebenden Recht (Art. 22) ; sie werden durch spätem Wohnsitzvvechsel des überlebenden Ehegatten nicht geändert.

Art. 24. Insofern bei Schenkungen unter Lebenden oder auf

Art. 27. Das Pflichttheilsrecht bei Schenkungen unter Lebenden

581 den Todesfall Pflichttheilsverhältnisse in Frage kommen, ist das Recht des Ortes anzuwenden, dem die Erbschaft des Schenkers unterliegt.

oder auf den Todesfall richtet sich nach dem für die Erbfolge in den Nachlaß des Schenkers maßgebenden Rechte (Art. 22)Zweiter Titel.

D. Verhältnisse der Schweizer im Auslande.

Die oivilrechtlichen Verhältnisse der Schweizer im Ausland.

Art. 25. Soweit nicht Staatsverträge etwas Anderes bestimmen, gelten für die Rechtsverhältnisse der Schweizer im Auslande folgende Regeln: 1. Sind dieselben der ausländischen Gesetzgebung unterstellt, so erstreckt sich derea Anwendung nicht auf das imlnlande befindliche liegenschaftliche Vermögen, sondern es wird auf dieses Vermögen das Recht des Heimatkantons angewendet.

2. Sind dieselben der ausländischen Gesetzgebung nicht unterstellt, so findet, vorbehaltlich der Art. 26, Abs. l, und 27, ebenfalls das Recht des Heimatkantons Anwendung.

Art. 28. Soweit nicht Staatsverträge besondere Bestimmungenenthalten, gelten für die personen-, familien- und erbrechtlichen Verhältnisse der Schweizer, welche im Ausland ihren Wohnsitz haben, folgende Regeln: 1. Sind diese Schweizer nach Maßgabe der ausländischen: Gesetzgebung dem ausländischen Recht unterworfen y so erstreckt sich die Anwendung des ausländischen Rechtes nicht auf ihre in der Schweiz gelegenen Liegenschaften ; es gilt vielmehr ia Bezug auf solche Liegenschaften das Recht und der Gerichtsstand des Heimatkantons.

2. Sind diese Schweizer nach Maßgabe der ausländischen Gesetzgebung dem ausländischen Rechte nicht unterworfen, so unterstehen sie dem Recht und dem Gerichtsstand des Heimatkantons.

Art.26. BevormundeteSchweizerbürger, die sich außer Landes begeben, bleiben, so lange der Grund der Bevormundung fortbesteht, unter der bisherigen vormundschaftlichen Gewalt. Die der Heimatbehörde in Art. 13 eingeräumten Befugnisse haben indessen auch in diesem Falle Geltung.

Wird die Bestellung einer Vormundschaft über eine auswan-

Art. 29. Wenn bevormundete Schweizer die Schweiz verlassen, so wird die Vormundschaft, solange der Grund der Bevormundung fortbesteht, von der bis-

582

·derade oder landesabweseude Person nöthig, so ist hiefür die Behörde des Heitnatkantons zuständig.

Art. 27. Die im Auslande ·wohnhaften schweizerischen Ehelente, deren Güterverhältniß nicht durch die ausländische Gesetzgebung bestimmt wird, stehen unter demjenigen Güterrechte, welches in der Schweiz für sie rechtliche Geltung hatte, und, falls ihr ehelicher Wohnsitz sich niemals in der Schweiz befunden hat, unter dem Rechte ihres Heimatkantons, Wenn schweizerische Eheleute aus dem Auslands in die Schweiz zurückkehren, so setzen sie unter einander das Rechtsverhältniß fort, das im Auslande für sie Geltung hatte, sofern sie nicht von derBefugniß des Art. 17 ·Gebrauch machen ; gegenüber Dritten greift das Recht des schweizerischen Wohnsitzes Plat:« (Art. 16, Abs. 2).

herigen Vormundschaftsbehörde fortgeführt.

Die in Art. 15 der heimatlichen Vormundschaftsbehörde eingeräumten Befugnisse bleiben gleichfalls in Geltung.

Art, 30. Wird die Bestellung einer Vormundschaft über eine auswandernde oder landesabwesende Person nöthig, so ist hiefür die Behörde des Heimatkantons zuständig.

Art. 31. Haben schweizerische Ehegatten ihren ersten ehelichen Wohnsitz im Ausland, so bestimmen sich ihre giiterrechtlicheu Verhältnisse nach dem Rechte des Heimatkantons, soweit für dieselben nicht das ausländische Recht maßgebend ist.

Das für schweizerische Ehegatten in der Schweiz begründete Güterrechtsverhältniß wird durch Verlegung des ehelichen Wohnsitzes in's Ausland nicht geändert, vorausgesetzt, daß das ausländische Recht dieser Fortdauer nicht entgegensteht.

Wenn schweizerische Eheleute aus dem Auslande in die Schweiz zurückkehren, so setzen sie unter einander das Rechtsverhältniß fort, das im Auslande für sie Geltung hatte. Sie sind jedoch berechtigt, von der in Art. 20 den Ehegatten eingeräumten Befugniß Gebrauch zu machen. Dritten gegenüber kommt die Vorschrift des Art. 19, Abs. 2, zur Anwendung.

583

Dritter Titel.

E. Verhältnisse der Ausländer in der Schweiz.

Die civilrechtlichenVerhältnisse der Ausländer in der Schweiz.

Art. 28. Die Vorschriften des gegenvvärtigen Gesetzes finden, soweit nicht Staats vertrage entgegenstehen, vorbehaltlich der in Art. 29 enthaltenen Bestimmung^ auf die in der Schweiz wohnenden Ausländer entsprechende Anwendung. Die Vormundschaft ist auf Begehren der Heimatbehörde an diese abzugeben, sofern der fremde Staat Gegenrecht hält.

Art. 32. Die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes finden auf die Ausländer, welche in der Schweiz ihren Wohnsitz haben, entsprechende Anwendung.

Art. 29. In Bezug auf die persönliche Handlungsfähigkeit der Ausländer gilt Art. 10, Abs. 2 und 3, des Bundesgesetzes betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit.

Art. 33. Die über einen Ausländer in der Schweiz angeordnete Vormundschaft ist auf Begehren der ausländischen zuständigen Heimatbeliörde an diese abzugeben, sofern der ausländische Staat Gegenrecht hält.

Art. 34. Vorbehalten bleiben die besondern Bestimmungen der Staatsverträge, sowie die Bestimmungen des Art. 10, Abs. 2 und 3, des Bundesgesetzes betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit vom 22. Juni 1881.

Vierter Titel.

F. TJebergangsund Schlußbestimmnngen.

--

Art. 30. Dieses Gesetz tritt am . . . in Kraft.

Art. 31. Der Bundesrath wird dafür sorgen, daß der Uebergang der Vormundschaftsverwaltungen auf den Wohnsitzkanton nach Maßgabe dieses Gesetzes in angemessener Frist vollzogen werde.

Art. 32. Die Kantone bezeichnen die zur Genehmigung von

Uebergangs- und Schlussbestimmungen.

Art. 35. Der Bundesrath sorgt dafür, daß der Uebergang der Vormundschaftsverwaltungen auf den Wohnsitzkanton nach Maßgabe dieses Gesetzes in angemessener Frist vollzogen wird.

Art. 36. Die Kantone bezeichnen : a. die zur Beurtheilung der in Art. 16 erwähnten Vormund-

584 Erklärungen gemäß Art. 17 zuständige Behörde, sowie die Amtsstelle, welche dieselben entgegenzunehmen hat.

Art. 33. Die in Art. 17 eingeräumte Befugniß steht auch den zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits verehelichten Personen zu.

Art. 34. Das Bundesgericht beurtheilt nach dem für staatsrechtliche Entscheidungen vorgeschriebenen Verfahren die Streitigkeiten, zu denen die Anwendung dieses Gesetzes Anlaß geben kann.

Art. 35. Auf den Zeitpunkt, in welchem das vorliegende Gesetz in Kraft tritt, werden alle demselben widersprechenden Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung aufgehoben ; desgleichen treten auf gedachten Zeitpunkt außer Wirksamkeit : 1. dasKonkordat über vormundschaftliche und Bevogtungsverhältnisse vom 15. Juli 1822 ; 2. das Konkordat über Testirungsfähigkeit und Erbrechtsverhältnisse vom 15. Juli 1822.

Art. 36. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen desBundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundcsgesetze und Bundesbeschlüsse, dieses Gesetz bekannt zu machen.

Schaftsstreitigkeiten zuständigen kantonalen Behörden, sofern sie nicht die Beurtheilung solch er Streitigkeiten in erster und letzter Instanz dem Bundesgerichte anheimstellen ; b. die zur Genehmigung von Erklärungen gemäß Art. 20 zuständige Behörde, sowie die Amtsstelle, welche dieselben entgegenzunehmen hat.

Art. 37. Die in Art. 20 eingeräumte Befugniß steht auch den zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits verehelichten Personen zu.

Art. 38. Das Bundesgericht beurtheilt nach dem für staatsrechtliche Entscheidungen vorgeschriebenen Verfahren die Streitigkeiten, zu denen die Anwendung dieses Gesetzes Anlaß geben kann.

Art. 39. Auf den Zeitpunkt, in welchem das vorliegende Gesetz in Kraft tritt, werden alle demselben widersprechenden Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung aufgehoben ; desgleichen treten auf gedachten Zeitpunkt außer Wirksamkeit : 1. das Konkordat über vormundschaftliche und Bevogtungsverhältnisse vom l5.

Juli 1822; 2. das Konkordat über Testirungsfähigkeit undErbrechtsverhältnisse vom 15. Juli 1822.

585

Art. 40. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, dieses Gesetz bekannt zu machen und den Zeitpunkt seines Inkrafttretens festzusetzen.

NB. Das Gesetz soll erst nach einer vom Bundesrathe vorzunehmenden Durchsicht des Textes in beiden Käthen der Schlußabstimmung unterstellt werden.

Der Bundesrath wird eingeladen, die Vorlage des bereinigten Textes mit einem Bericht über das Gesetz in seiner jetzigen Fassung zu begleiten.

586

# S T #

Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die infolge der Vorgänge im Kanton Tessin vom Februar und März 1889 und September 1890 an die eidgenössischen Assisen überwiesenen Prozesse.

(Vom 15. Juni 1891.)

Tit.

Der Nationalrath hat in seiner Sitzung vom 8. 1. M. eine von Herrn Nationalrath Brenner und 19 Mitunterzeichnern eingebrachte Motion erheblich erklärt und uns dadurch eingeladen : ,,lieber dio Frage Bericht und Antrag zu bringen, ob und in welcher Ausdehnung eine Amnestie auszusprechen sei wegen der den eidgenössischen Assisen überwiesenen Vorfalle im Kanton Tessin vom September 1890 und Februar und März 1889."

Bevor wir an die eigentliche Lösung dieser doppelten Aufgabe, herantreten können, müssen wir zunächst den bisherigen Gang der gegenwärtig vor den eidgenössischen Assisen hängigen Prozesse in gedrängter Kürze zeichnen und sodann die derzeitige Aktenlage darlegen.

Jene Periode heftigster Aufregung vor, während und nach den Tessiner Großrathswahlen vom 3. März 1889 ist noch in allgemeiner Erinnerung. Diese Aufregung steigerte sieh bekanntlich zu Unruhen, welche eine bewaffnete eidgenössische Intervention, die Abordnung eines eidgenössischen Kommissärs in der Person des Herrn

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Gesetzentwurf betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter nach dem Beschlusse des Ständerathes vom 10. April und des Nationalrathes vom 17. April 1891. ...

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Jahr

1891

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3

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27

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

01.07.1891

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551-586

Page Pagina Ref. No

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