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Schweizerisches Bundesblatt.

43. Jahrgang. III.

Nr. 1.

10. Juni

1891.

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Druck und Expedition der Stämpfli'schen Buchdruckerei in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Frage der Patenttaxen der Handelsreisenden.

(Vom 29. Mai 1891.)

Tit.

Ära 11. Dezember 1883 haben Sie folgenden Bundesbeschluß gefaßt : ,,Die Handelsreisenden, welche für Rechnung eines inländischen Handelshauses die Schweiz bereisen, können, ohne dafür eine Patenttaxe entrichten zu müssen, auf den einfachen Ausweis ihrer Identität hin, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, sofern sie keine Waaren mit sich führen."

Dieser Beschluß ist in der Volksabstimmung vom 11. Mai 1884 mit 189,550 gegen 174,195, also mit einer Mehrheit von 15,355 Stimmen, verworfen worden.

Wir hatten in unserem Berichte vom 9. November 1883 über die Frage der Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von Patentgebühren (Bundesbl. 1883, Bd. IV, S. 405 ff.) gesagt : "Angesichts der vertraglichen Beziehungen zu auswärtigen Staaten kann die bisherige Praxis betreffend die Erhebung von Patenttaxen gegenüber schweizerischen Handelsreisenden nicht länger fortdauern . . .

Das kantonale Besteuerungsrecht kann in dieser Richtung nicht mehr anerkannt werden, weil es unter den bestehenden Verhältnissen in der That die Wirksamkeit des Grundsatzes der Handelsund Gewerbefreiheit erheblich beeinträchtigt, ja geradezu aufhebt ·und deßhalb gegen Art. 31, Schlußlemma, der Bundesverfassung ·verstößt. " Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

l

Wir sind noch heute der Ansicht, daß die gänzliche Abschaffung der Patenttaxen der Handelsreisenden vom verfassungsrechtlichen Standpunkte aus die richtigste Lösung der Frage wäre. Wir sprechen von Handelsreisenden, die in der Schweiz seßhafte Häuser vertreten, Geschäfte, die in der Schweiz für ihren Erwerb die ordentlichen Steuern bezahlen. Gegenüber solchen kommt die Patentauflage einer Doppelbesteuerung gleich und es kann daher nicht genügen, den in Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung enthaltenen Vorbehalt des Besteuerungsrechts zur rechtlichen Begründuog dieser Taxen anzurufen; gegenüber den eigentlichen Kolporteuren dagegen, den Leuten, welche die Waaren mit sich führen und von Haus zu Hau» feilbieten, welche ihr Gewerbe im Umherziehen betreiben und desfesten Geschäftssitzes entbehren, erscheint jeder Kanton, in demsie Geschäfte machen, in gewissem, durch die faktischen Verhältnissebedingten Umfange zur Steuererhebung befugt, weil gesagt werden kann, daß diese Leute den Sitz ihres Geschäftes fortwährend wechseln und jeweilen da haben, wo sie dasselbe ausüben, mag esauch für noch so kurze Zeit sein. In den Jahren 1872--74, alsdie Revision des Artikels der Bundesverfassung über die Handelsund Gewerbefreiheit berathen wurde, dachte man in den eidgenössischen Käthen nicht daran, die Handelsreisenden mit den, Hausirern auf die gleiche Stufe zu stellen. Noch im Jahre 1877 berief sich der Bundesrath gegenüber dem neuen luzernischen Gesetze über den Markt- und Hausirverkehr auf die Bundesbeschlüsse von 1859 und 1860, durch welche diejenigen Handelsreisenden, die keine Waaren mit sich führen, von jeder Patenttaxe befreit wordenwaren (vgl. Bericht des Bundesrathes von 1883 im Bundesbl. 1883, Bd. IV, S. 413). Die erwähnten Bundesbeschlüsse galten damals als feststehendes Recht und erst von 1877 an fanden, aus fiskalischen und protektionistischen Motiven eingegeben, gegenteilige Ansichten in den Käthen der Eidgenossenschaft nach und nach Eingang.

Das Bedürfniß, der Frage der Patenttaxen der Handelsreisenden eine einheitliche L&ung für die ganze Schweiz zu geben, wurde stets am lebhaftesten in denjenigen Kreisen empfunden, für welche die Handels- und Gewerbefreiheit eine Lebensbedingung ist, in den Kreisen des Handelsstandes, der industriellen und gewerbetreibenden.

Bevölkerung der Schweiz.

Es hat
denn auch bald nach dem 11. Mai 1884 in diesen Kreisen sich das Bestreben kundgegeben, auf die Frage zurückzukommen. In direkte Beziehung zu den Bundesbehörden haben sich die Vertreter des Handelsstandes zu diesem Zwecke seit dem Beginne des Jahres 1889 gesetzt.

Schon vor diesem Zeitpunkte beschäftigte sich auf die von der Regierung des Kantons Zürich ergriffene Initiative eine inter-

kantonale Konferenz von Regierungsabgeordneten mit der vorwürfigen Frage. Zwölf Stände waren in dieser Konferenz vertreten, welche unter dem Präsidium des Herrn Staatsrath A. Cornaz, Vorstehers des neuenburgischen Justiz- und Polizeidepartements, am 10. Juli 1885 im Kantonsgerichtssaale zu Neuenburg zusammentrat, nämlich die Kantone Zürich, St. Gallen, Aargau, Solothurn, Freiburg, Graubünden, Schaffhausen, Baselstadt, Baselland, Waadt, Genf und Neuenburg. Bern, das seine Theilnahme zugesagt hatte, ließ seine Abwesenheit entschuldigen und erbat sich Mittheilung des Protokolls. Die übrigen Stände hatten die Theilnahme abgelehnt.

Einstimmig faßte die Konferenz den Beschluß, es sei der Bundesrath einzuladen, der Bundesversammlung in deren nächster Session (Dezember 1885) neuerdings den Antrag auf Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von Patenttaxen zu unterbreiten, mit der einzigen Redaktionsänderung, daß diese Taxbefreiung nur den Reisenden von in der Schweiz n i e d e r g e l a s s e n e n Handelsgeschäften zu gute kommen solle,, was im Bundesbeschluß von 1883 vielleicht nicht deutlich genug gesagt worden sei, und mit dem Beifügen, daß die Konferenz gegen die Erhebung einer bescheidenen, für die ganze Schweiz einheitlichen Kontrol- oder Kanzleigebühr nichts einzuwenden hätte.

Wir erwiderten dem Präsidenten der interkantonalen Konferenz, daß wir vor jeder weitern Einbringung des Gegenstandes im Schooße der Bundesversammlung noch die Erfahrungen auf diesem Gebiete sich vermehren lassen möchten.

Mit Schreiben vom 2. Februar 1886 übermittelte Herr Staatsrath Cornaz unserm Justiz- und Polizeidepartement nachträgliche Kundgebungen der Regierungen von Uri, Nidwaiden, Glarus und Thurgau, die sich gegenüber den Konferenzbeschlüssen ablehnend vernehmen ließen.

Am 30. April 1889 beschloß die Delegirtenversammlung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins in Zürich, unter dem Präsidium des Herrn Nationalrath Cramer-Frey, auf Antrag der Schweizerischen Handelskammer, eine Eingabe an den Bundesrath zu Händen der Bundesversammlung zu richten, folgenden Inhaltes: ,,Die Delegirtenversammlung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins beschließt, den h. Bundesrath zu ersuchen : ,,I. Er möge mit thunlichster Beförderung der Bundesversammlung einen neuen Entwurf zu einem Bundesbeschluß betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden vorlegen, in der Meinung, daß derselbe spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 1891 sollte in Kraft treten können;


,,II. Er möge im eiüem solchen Entwürfe folgende hauptsächlichste Grundsätze zur Geltung kommen lassen: ,,1. Alle inländischen und ausländischen Handelsreisender), welche ausschließlich mit solchen Leuten in geschäftlichen Verkehr treten, die den oder die betreffenden Artikel ?,um Wiederverkauf oder zur Ausübung ihres Gewerbes verwenden, sind GrosReisende. Diese können, sofern sie keine Waaren mit sich führen, auf den üblichen Ausweis ihrer Identität hin, im ganzen Gebieie dei- Eidgenossenschaft mit oder ohne Muster Bestellungen 'aufnehmen, ohne hiefür irgend eine Taxe entrichten zu müssen.

,,2. Alle übrigen inländischen und ausländischen Handelsreisenden sind als Detail-Reisende zu betrachten. Diese können, sofern sie keine Waaren mit sich führen, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, haben hiefür indessen eine Legitimationskarte zu lösen, welche vom Tage ihrer Ausstellung an für ein Jahr Gültigkeit hat und zur Bereisung des ganzen Gebietes der Eidgenossenschaft berechtigt.

,,3. Die Legitimationskarte hat folgenden Wortlaut: ,,Die Gebühr für dieselbe beträgt Fr. 150 und ihr Besitz enthebt für die Dauer ihrer Gültigkeit von der Bezahlung jeglicher kommunalen oder kantonalen Patenttaxe.

,,Die Legitimationskarte ist zu lösen: für Handelsreisende inländischer Firmen bei der oder den näher zu bezeichnenden Amtsstellen des Domizil-Kantons, für ausländische Handelsreisende bei der oder den näher zu bezeichnenden Amtsstellen desjenigen Kantous, der zuerst bereist wird.

,,4. (Eventuelle Strafklausel für mißbräuchliche Benutzung der Legitimationskarte.)

,,5. Am Schlüsse eines jeden Jahres wird der Ertrag der bezogenen Taxen -- abzüglich 4 °/o des Betrages als EinzugsgebUhr -- von den betreffenden Kantonen an die Bundeskasse abgeliefert und sodann unter sämmtliche Kantone nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl vertheilt.

,,6. Die Gesetzgebung über das Hausirwesen bleibt Sache der Kantone."

In wiederholten Zuschriften an das eidgenössische Justin- und Polizei-Departement machte in der Folge der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins auf die hohe Bedeutung aufmerksam, die er der Lösung dieser Frage für den schweizerischen Handelsstand beimißt, und wies darauf hin, daß dieselbe

berufen sein werde, bei den kommenden Ha ilsvertragsunterhandlungen eine wichtige Rolle zu spielen.

Am 15. Juni 1890 faßte die Delegirtenversammlung de-s Schweizerischen Gewerbevereins in Altdoif nach vorgängiger BerathuDg durch den Centralvorstand und die Sektionen folgende Beschlüsse : ,,1. Die Vertreter des Gewerbestandes bieten gerne Hand, um auf dem Wege eines Bundesgesetzes anzustreben : ,,a. Die Gleichstellung der inländischen Handelsreisenden mit deu ausländischen, welche in die Schweiz kommen ; ,,&. Einführung einer schweizerischen Patenttaxe unter Aufhebung der kantonalen Taxen.

,,2. Es werden den Anträgen des Schweizerischen Handelsund Industrievereins folgende prinzipielle Wünsche beigefügt: ,,a. Es möchte bei künftigen Handelsvertragsunterhandlungen von den betreffenden Staaten rücksichtlich der Besteuerung der Handelsreisenden volle Gegenseitigkeit gefordert werden, ,,b. Es möchte von allen Reisenden eine einheitliche, staatliche Kontroigebühr erhoben und der Verkehr dieser Reisenden ebenfalls einer strengern Aufsicht unterstellt werden. Der Verkauf von Mustern oder Waaren wäre strenge, eventuell mit Entzug des Patentes, zu ahnden.

,,c. Bei Festsetzung der Taxe ist sowohl die große Belästigung des Publikums durch Hausirer und Detailreisende, wie auch die Benachteiligung der steuerzahlenden Niedergelassenen in Betracht zu ziehen, beziehungsweise es ist die Taxe möglichst hoch anzusetzen."1 Unser Justiz- und Polizeidepartement erbat sich hierauf von dem gewesenen Präsidenten der interkantonalen Konferenz von 1885, Herrn Staatsrath und Ständerath A. Gornaz in Neuenburg, einen die ganze Frage in allen ihren Beziehungen, vom geschichtlichen, verfassungs- und vertragsrechtlichen, wie vom nationalökonomischen Standpunkte aus behandelnden Bericht mit gutscheineuden Anträgen.

Herr Oornaz, der in verdankenswerther Weise die schwierige Arbeit übernahm, hat dem Departement am 26. März 1891 ein das Ergebniß seiner Untersuchung enthaltendes Memorial eingereicht.

Dasselbe behandelt die Frage, die uns beschäftigt, in ausgezeichneter, erschöpfender Weise.

Unser Departement hat uns vorgeschlagen und wir haben den Vorschlag gutgeheißen, diesen Bericht in extenso der gegenwärtigen Botschaft beizugeben.

Wir wüßten in der That auf keine bessere Art Sie über die verschiedenen in Betracht fallenden Seiten der für unsern Handelastand so wichtigen Angelegenheit zu unterrichten.

Von den Wegen, die sich darbieten, um zu einer Lösung der Frage zu gelangen und aus der schwierigen Lage, in der wir uns befinden, herauszukommen, wäre, wie schon erwähnt, unbestreitbar der einfachste und beste, vom verfassungsrechtlichen Standpunkte aus, die gänzliche Befreiung der Handelsreisenden von jeder Patenttaxe, ausgenommen eine bescheidene Kanzleigebuhr. Das ist im Grunde auch die Ansicht unseres Experten ; allein die Kundgebungen und Anträge aus der Mitte des Handelsstandes selbst, und auch das Bestreben, das Gute nicht dem vielleicht heute noch unerreichbaren Bessern zu opfern, sowie der Wunsch, eine rasche Lösung zu ermöglichen, haben ihn und uns bewegen, nur für die sogenannten Gros-Reisenden Befreiung von jeder Taxe, für die Reisenden dagegen, die nicht bloß Gewerbsleute besuchen (sogenannte DetailReisende), eine in der ganzen Schweiz gültige einheitliche Patenttaxe vorzuschlagen.

Wir können uns nicht verhehlen, daß es heute viel schwerer hält, zu dem grundsätzlich einzig richtigen Standpunkte völliger Taxbefreiung der Handelsreisenden zurückzukehren, als dies noch Anfangs der 1880er Jahre der Fall war, wo die Kantone sich noch nicht an die Besteuerung der Handelsreisenden gewöhnt hatten.

Daß aber der gegenwärtige Zustand, der uns zwingt, dem Ausländer besseres Recht angedeihen zu lassen, als dem Landesangehörigen, wenn wir nicht die Vertragsfähigkeit gegenüber dem Auslande einbüßen wollen, geradezu unhaltbar geworden ist, dürfte von Niemandem bestritten werden. Wir m ü s s e n hier eine Aenderung herbeiführen, und wir w o l l e n thun, was zum Ziele führen kann.

Aus diesem Grunde legen wir Ihnen, Tit., den hiernach folgenden Beschlussesantrag vor.

Im Einzelnen haben wir zur Erläuterung und Begründung des Inhaltes unseres Entwurfes nichts beizufügen. Die Bestimmungen desselben sind an sich klar und bedürfen keines Kommentars.

Durch den von uns vorgeschlagenen Bundesbeschluß soll für die Handelsreisenden einheitliches Recht auf dem ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft hergestellt werden. Der eigentliche Hausirhandel aber und das Hausirgewerbe bleiben, wie bisher, der Kantonalgesetzgebung unterstellt. Die
beiden Gebiete müssen daher genau von einander geschieden werden. Das geschieht dadurch, daß wir einen begrifflichen, durch ein äußerliches Merkmal leicht erkennbaren Unterschied zwischen dem Handelsreisenden und dem Hausirer aufstellen. Wir finden dieses Merkmal in der Mitfuhrung

TOD Waaren, die für den Hausirer (Kolporteur) charakteristisch ist.

Der Hausirer bietet seine Waare zur sofortigen Uebergabe an den Käufer feil; er nimmt keine Bestellungen auf, die von einem andern Platze aus effektuirt werden. Anders der Handelsreisende. Seine Aufgabe ist es, für ein anderwärts ansäßiges Geschäft Verkäufe abzuschließen, die dann erst von jenem Niederlassungsorte aus vollzogen werden. So scheidet die Beiden die Art der Geschäftsführung und es ist kein wirkliches Bedürfniß vorhanden, daß der Eine in ·das Gebiet des Andern übergreife. Diese durch das Leben selbst vorgenommene Scheidung verschärft nun noch ein neues trennendes Element. An der Durchführung einheitlicher Vorschriften betreffend die Handelsreisenden werden die Kantone in solidarischem Verbände insgesammt interessirt sein, während in Beziehung auf die Hausirer ·der Fiskus eines jeden Kantons nach wie vor ausschließlich sein ·eigenes Interesse verfolgen wird.

' Aus all' diesen Gründen glauben wir, der Bund sei befugt und .zur Herstellung einer sichern Ordnung sogar genöthigt, dem Handelsreisenden zu verbieten, gleichzeitig Kolporteur zu sein, d. h. bei ·der Aufnahme von Bestellungen Waaren mit sich zu führen.

Die von der Neuenburger Konferenz angebrachte redaktionelle Bemerkung, es sollte von den Reisenden der in der Schweiz niedergelassenen Geschäfte, statt von denjenigen s c h w e i z e r i s c h e r Häuser, gesprochen werden, hatte schon 1883 bloß für den französischen Text einige Bedeutung, da der deutsche Text des Bundesheschlusses von Reisenden i n l ä n d i s c h e r Handelshäuser sprach, womit das Erforderniß der Niederlassung i n der Schweiz klar genug angezeigt war, während der französische Text sieh des Ausdruckes .,,maison suisse" bediente und damit auch ein im Auslande befindliches schweizerisches Handelshaus bezeichnen konnte. In dem französischen Text des jetzt vorgeschlagenen Bundesbeschlusses ist nun die Bezeichnung ,,maison établie en Suisse" aufgenommen, im deutschen Text dagegen die unmißverständliche Bezeichnung ,,inländisches Handelshaus* beibehalten worden.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 29. Mai 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t:

Welti.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers: Schatzmann.

(Entwurf.)

Bnndesbeschluß betreffend

die Patenttaxen der Handelsreisenden.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft und des Antrages des Bundesrathes vom 29. Mai 1891, beschließt: Art. 1. Die Handelsreisenden, die für Rechnung eines inländischen oder ausländischen Handelshauses die Schweiz bereisen und dabei ausschließlich mit Geschäftsleuten in Verkehr treten, welche den betreffenden Handelsartikel wiederverkaufen oder in ihrem Gewerbe verwenden, können, sofern sie keine Waaren mit sich führen, auf den einfachen Nachweis ihrer Person hin im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, ohne hiefür eine Taxe entrichten zu müssen.

Art. 2. Alle anderen inländischen oder auslandischen Handelsreisenden, die keine Waaren mit sich führen, können im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, wenn sie hiefür eine Ausweiskarte lösen.

Art. 3. Die Handelsreisenden auswärtiger Häuser haben indessen auf die durch Art. l und 2 gewährten Vortheile nur dann Anspruch, wenn das Land, in welchem die von

ihnen vertretenen Häuser sieh befinden, die schweizerischen Handelsreisenden nicht ungünstiger behandelt.

Art. 4. Für die Ausstellung der iu Art. 2 erwähnten Ausweiskarte gelten folgende Bestimmungen : a. Sie wird auf Kosten der Kantone nach einem vom Bundesrathe festgestellten einheitlichen Muster angefertigt: b. sie wird gegen Entrichtung von Fr. 100 verabfolgt; c. sie enthält die Bezeichnung des vertretenen Hauses und der Person des Reisenden; d. sie wird den Reisenden derjenigen Handelshäuser, die in der Schweiz eine Geschäftsniederlassung besitzen, durch eine vom Niederlassungskanton zu bezeichnende Amtsstelle, den Reisenden auswärtiger Handelshäuser durch eine Amtsstelle des Kantons verabfolgt, den sie zuerst besuchen.

Art. 5. Die Ausweiskarte ist für ein Jahr gültig und befreit den Reisenden auf diese Dauer von jeder andern Kantons- oder Gemeindetaxe.

Art. 6. Der Ertrag der Ausweiskarten wird am Ende eines jeden Jahres von den Kantonen, nach Abzug einer ihnen zukommenden Bezugsgebühr von 4 °/o, an die Bundeskasse abgeliefert und unter die Kantone nach dem Verbal tniß ihrer Bevölkerungszahl vertheilt.

Art. 7. Mit einer Geldbuße bis auf Fr. 1000 werden bestraft : a. Die in Art. l bezeichneten Handelsreisenden, wenn sie mit andern Personen als den dort benannten Geschäftsleuten in Verkehr treten, oder wenn sie bei Aufnahme von Bestellungen Waaren mit sich führen; b. die andern Handelsreisenden, wenn sie, entgegen der Vorschrift des Art. 2, bei Aufnahme von Bestellungen Waaren mit sieh führen oder Bestellungen aufnehmen, ohne eine Ausweiskarte (Art. 2, 4 und 5) zu besitzen.

10 Unerhältliche Bußen sind in Gefängniß umzuwandeln; dabei ist für je Fr. 5 Buße ein Tag Gefängniß zu rechnen.

Gegen Rückfällige kann die Strafe verdoppelt werden.

Die Beurtheilung erfolgt nach dem kantonalen Verfahren durch die Strafbehörden desjenigen Kantons, in welchem die Uebertretung verübt wurde.

Die Bußen fallen den Kantonen zu.

Art. 8. Die Gesetzgebung über das Feilbieten von Waaren im Umherziehen (Kolportage"), sowie über den Ausverkauf von Waarenlagern (Déballage) bleibt Sache der Kantone.

Art. 9. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Er hat auf Grundlage des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse den gegenwärtigen Bundesbeschluß zu veröffentlichen und den Zeitpunkt seines Inkrafttretens festzusetzen.

11 Beilage.

Bericht au

das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement über die Frage der Patenttaxen der Handelsreisenden.

Herr Bundesrath !

Die eidgenössischen Kammern haben wiederholt den Wunsch ausgesprochen, es möchte die Frage der Patenttaxen, welche Handelsreisende zu bezahlen haben, die mit oder ohne Muster Bestellungen bei Privaten aufnehmen, endgültig geregelt werden. Verschiedene Umstände verhinderten bis jetzt den Bundesrath, dieser Einladung Folge zu geben. Der Gegenstand ist nicht leicht zu behandeln ; die Interessen sind mannigfaltig und einander sogar entgegengesetzt; die Meinungsverschiedenheiten treten stark hervor; die amtlichen Entscheidungen sind mit einander in Widerspruch gerathen; es herrscht eine förmliche Begriffsverwirrung, in welcher man sich mit Mühe zurechtfindet, und wir können nicht läugnen, daß die Schweiz auf diesem, wie auf andern Gebieten, den Einfluß der verschiedenen Strömungen erfahren hat, welche im Auslande sich geltend machten und die, je nachdem die eine oder die andere die Oberhand erhielt, veranlagten, daß unser Land bald dem Grundsatz unbeschränkter Freiheit huldigte, bald dem System polizeilicher und fiskalischer Einschränkungen sich zuneigte.

Indessen, ein Entscheid muß getroffen werden. Man muß eine Grundlage schaffen. Wir bedürfen einer sichern Norm, welche ebensowohl im Lande selbst, als gegenüber dem Auslande anwendbar ist.

Zu viele Verhältnisse leiden unter dem gegenwärtigen Zustand. Es herrschen anstoßerregende Ungleichheiten, sowohl zwischen unsern eigenen Landesangehörigen und den ausländischen Handelsreisenden, welche in der Schweiz eine bessere Behandlung erfahren, als die Landeskinder, als auch in den von den Kantonen auf diesem Gebiete aufgestellten Normen.

12 Die Frage hat überdies einen internationalen Charakter. Die Unterhandlungen über die Erneuerung unserer wichtigsten Handelsverträge, welche im Laufe dieses Jahres eröffnet werden sollen, zwingen uns zu einer raschen Entscheidung. Ehe wir über unser Verhalten gegenüber den fremden Nationen uns schlüssig machen können, müssen wir über das Vorgehen in unserm eigenen Lande schlüssig sein. Dieser Notwendigkeit entgehen wir unter keinen Umständen. Wenn auch die Unterhandlungen mit irgend einem Lande bezüglich eines Zolltarifvertrages scheitern sollten, so hliebe doch die Eegelung von Spezialfragen, insbesondere diejenige der Handelsreisenden, welche ebenso gut in einem Niederlassungsvertrag als in einem Handelsvertrag ihren Platz finden kann, immer noch vorbehalten. Der französische Minister des Auswärtigen, Herr Rihot, hat dies im Monat Januar in der Kammer ausdrücklich erklärt, als er dort die Kündigung der Verträge mittheilte.

Sie haben gewünscht, es möchte die Präge so gründlich als möglich nach ihren verschiedenen Gesichtspunkten geprüft und in diesem Berichte zunächst eine Darlegung der hauptsächlichsten geschichtlichen Momente gegeben werden. Ich will versuchen, das Programm, dessen Grundzüge Sie mir vorgezeichnet haben, auszuführen.

I. Geschichtliche Darstellung.

1. Unter der Bundesverfassung von 1848.

Der Artikel 29 der Bundesverfassung von 1848 hatte folgende Fassung : ,,Für Lebensrnittel, Vieh- und Kaufmannswaaren, Landes- und Gewerbserzeugnisse jeder Art sind freier Kauf und Verkauf, freie Ein-, Ans- und Durchfuhr von einem Kanton in den andern gewährleistet.

,,Vorbehalten sind: ,,a. In Beziehung auf Kauf und Verkauf das Salz- und Pulverregal.

,,6. Polizeiliche Verfügungen der Kantone über die Ausübung von Handel und Gewerbe und über die Benutzung der Straßen, ,,c. Verfügungen gegen schädlichen Vorkauf, ,,d. Vorübergehende sanitätspolizeiliche Maßregeln bei Seuchen.

,,Die in litt, b und c bezeichneten Verfügungen müssen die Kantonsbürger und die Schweizerbürger anderer Kantone gleich behandeln. Sie sind dem Bundesrathe zur Prüfung vorzulegen und dürfen nicht vollzogen werden, ehe sie die Genehmigung desselben erhalten haben.

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,,«. Die von der Tagsatzung bewilligten oder anerkannten Gebühren, welche der Bund nicht aufgehoben hat (Artikel 24 und 31).

,,f. Die Konsumogebühren auf Wein und andern geistigen Getränken, nach Vorschrift von Artikel 32.a Von 1852 bis 1862 wurden zwischen verschiedenen Kantonen einerseits und den meisten Staaten Deutschlands und Italiens andererseits eine Eeihe von Verträgen behufs Befreiung der Handelsreisenden von der Patentgebühr abgeschlossen. Man schien nicht zugeben zu wollen, daß die Taxfreiheit sich aus dem Wortlaute der Verfassung mit Notwendigkeit ergebe.

Vereinbarungen betreffend die Befreiung der Handelsreisenden von der Patentgebühr.

M i t W ü r t t e m b e r g , 1852: Beigetreten : Zürich, Bern, Luzern, Ob- und Nidwaiden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel (Stadt und Land), Appenzell (Aulierund Innerrhoden), St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, ?Waadt, Neuenburg und Genf.

Mit S a r d i n i e n , 1852: Beigetreten : Zürich, Bern, Luzern, Ob- und Nidwaiden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel (Stadt und Land), Schaffhausen, Appenzell (Außer- und Innerrhoden), St. Gallen, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Neuenburg und Genf.

M i t d e m G r ò l i h e r z o g t h u m B a d e n , 185-3: Beigetreten: Zürich, Bern, Luzern, Ob- und Nidwaiden, Glarus, Zug, Preiburg, Solothurn, Basel (Stadt und Land), Schaffhausen, Appenzell (Außer- und Innerrhoden), St. Gallen, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Neuenhurg und Genf.

Mit Bayern, 1854: Beigetreten ; Zürich, Bern, Luzern, Ob- und Nidwaiden, Glarus, Zug, Preiburg, Solothurn, Basel (Stadt und Land), Schaffhausen, Appenzell (Außer- und Innerrhoden), St. Gallen, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Neuenburg und Genf.

M i t P r a n k f u r t a./M., 1855.

M i t S a c h s e n , 1858.

M i t B r e m e n , L ü b e c k , P r e u ß e n , 1860.

M i t H a m b u r g u n d H a n n o v e r , 1862: Beigetreten: Die gleichen Kantone, außer Obwalden.

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Es wäre überflüssig, das ganze umfangreiche Aktenmaterial, ·welches sich auf diese verschiedenen Abmachungen bezieht, näher zu untersuchen.

Was die Unterhandlungen mit Sardinien anbelangt, so schrieb der Bundesrath am 27. April 1852 dem Geschäftsträger dieses Landes als Antwort auf eine von demselben im Namen seiner Begierungf gestellte Frage, nach den eingezogenen Erkundigungen seien die meisten Kantonsregierungen dem Vorschlage, die bis jetzt von den Handelsreisenden bezogenen Taxen gegenseitig abzuschaffen, nicht abgeneigt, es sei aber sehr schwer, vielleicht sogar unmöglich, alle Kantone zu bewegen, der Abschaffung beizustimmen.

Keine Taxe wurde damals bezogen in den Kantonen Nidwaiden, Freiburg, Baselstadt, Baselland, Appenzell I.-Kh., Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Neuenburg und Genf.

In den andern Kantonen bestanden folgende Gebühren : Zürich: von 8 bis 30 Fr. jährlich; Bern: eine jährliche Gebühr von Fr. 14. 50; Luzern: eine jährliche Gebühr von 4 bis 8 Fr. (alte Währung)} Schwyz: für auswärtige Reisende eine Gebühr von 20 bis 100 Fr.

jährlich (alte Währung); Glarus: eine jährliche Gebühr von 15 bis 40 Fr. (alte Währung); Z u g : l Fr. täglich für die auswärtigen Reisenden; Solothurn: 2 Fr. täglich (alte Währung) für die auswärtigen Beisenden ; Schaffhausen: eine Gebühr von 4 bis 8 Gulden für die auswärtigen Keisenden, mit sechsmonatlicher Gültigkeit; St. Gallen: ein Industriepatent von l bis 200 Gulden jährlich; Graubünden: eine Gebühr von 2 bis 25 Gulden jährlich für die Ausländer ; Wallis: eine dem Geschäftsumsatz entsprechende Taxe.,1 Mit Note vom 6. August 1859 kündigte die preußische Gesandtschaft in Bern dem Bundesrath die Absicht ihrer Regierung an, mit der Schweiz eine ähnliche Uebereinkunft behufs Abschaffung der Patentgebühren für Handelsreisende abzuschließen, wie die Schweiz solche schon mit Württemberg, dem Großherzogthum Baden und mit Bayern abgeschlossen hatte. Die Gesandtschaft schlug zu diesem Zwecke die Annahme des Artikels 18 des Handelsvertrages zwischen Preußen und Oesterreich vor, gemäß welchem die mit Mustern, aher ohne Waaren, reisenden Handelsleute von jeder Gebühr befreit sind.

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Mit Frankreich bestand kein förmlicher Vertrag in dieser Hinsicht, sondern nur ein auf Gegenseitigkeit beruhender modus vivendi.

Aus den Akten ergibt sich, daß die Genfer Eegierung unterm 17. Juni 1851 dem Bundesrathe eine Eingabe von 14 genferischen Handelshäusern übermittelte, in welcher gesagt war : ,,Bis jetzt haben französische Reisende, welche in Genf Bestellungen aufnahmen, keinerlei Gebühren bezahlt, und die genferischen Reisenden haben in Frankreich das gleiche Recht genossen. Aber seit einiger Zeit ist im ,,Pays de Gex" eine fiskalische Maßregel eingeführt worden, laut welcher man von den genferischen Reisenden eine Patentgebühr von Fr. 30 verlangt."

Es geht aus den Auseinandersetzungen zwischen dem Bundesrath und der französischen Regierung hervor, daß die angefochtene Maßregel darin ihren Grund hatte, daß in einigen andern Kantonen von den französischen Reisenden Gebühren verlangt wurden. Aber diese Kantone schienen ganz geneigt zu sein, Frankreich Gegenseitigkeit zu gewähren.

Der Zwischenfall hatte keine weitern Folgen.

Unterm 29. Juli 1859 aber faßten die eidgenössischen Kammern folgenden Beschluß : ,,Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung des Art. 29 der Bundesverfassung, beschließt : 1. Die Kantone werden angewiesen, von schweizerischen Handelsreisenden keine Patenttaxen oder anderweitigen Gebühren mehr zu beziehen, insofern diese Handelsreisenden nur Bestellungen -- sei es mit oder ohne Vorweisung von Mustern -- aufnehmen und keine Waaren mit sich führen.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt."

Man sieht, daß dieser Beschluß seinen Ursprung in den Vereinbarungen hat, welche fast alle Eantone mit ausländischen Regierungen getroffen hatten. Aber es scheint, daß schon damals die Ausländer besser behandelt wurden als die Schweizer.

Kurze Zeit nach der Bekanntmachung dieses Beschlusses gelangten von verschiedenen Seiten her Beschwerden an den Bundesrath, dahingehend, daß den Handelsreisenden in mehreren Kantonen die Ausübung ihres Berufes verunmöglicht werde, indem man sie mit schweren Bußen belege, bloß weil sie Muster vorgelegt und Bestellungen aufgenommen hätten, so daß ihnen die Ausübung eines

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aus der Freiheit des Verkehrs von Kanton zu Kanton hervorgehenden Hechtes völlig untersagt oder nur gegen Entrichtung einer hohen Patentgebühr gestattet sei. Die Eeklamanten beschwerten sich bei den Bundesbehörden gegen dieses Verfahren, weil dasselbe mit dem Bundesbeschlnsse vom 29. Juli 1859 im Widerspruche stehe.

Der Bundesrath fand diese Beschwerden begründet und drückte diese seine Ansicht in einem an die Regierungen der betheiligten Eantone gerichteten Kreisschreiben in folgender Weise aus : r Wir müssen Einsprache dagegen erheben, dali den Bestimmungen des Art. 29 b der Bundesverfassung die Deutung gegeben werde, als falle unter den Begriff von Hausirhandel und könne somit verboten werden auch derjenige Handel, welcher nur zum Zwecke hat, mit oder ohne Muster von Haus zu Haus Bestellungen auf Waaren aufzunehmen. Wir würden hierin eine zu weit gehende Beschränkung des garantirten freien Verkehrs erblicken. Hingegen werden wir nichts gegen polizeiliche Verfügungen einwenden, selbst wenn sie ein wirkliches Verbot in sich fassen, sobald dieselben nur den wirklichen Hausirhandel, d. h. das Peilbieten, Herumtragen und Einsammeln von Waaren von Haus zu Haus, beschlagen."

Gegen diesen Entscheid rekurrirte die Eegierung von Thurgau mittelst einer Eingabe vom 27. Juni 1860; ihr folgte die Kegierung von Zug mittelst einer solchen vom 13. Juli 1860. Beide Eegierungen erklärten die durch den Bundesrath dem Bundesbeschluß vom 29. Juli 1859 gegebene Interpretation für unrichtig und mit Art. 3 und 29 der Bundesverfassung im Widerspruch stehend, weil sie die durch den Bund garantirle Kantonalsouveränetät verletze, andererseits fanden sie dieselbe zu weitgehend in praktischer Beziehung.

In einem an den Ständerath gerichteten Bericht spricht sich der Bundesrath hierüber in folgender Weise ans : ,,Die Verschiedenheit der Ansichten zwischen den sich beschwerenden Eegierungen und uns besteht hauptsächlich dariu, daß wir dem Begriff eines Handelsreisenden eine weitere Ausdehnung gegeben haben, als jene Regierungen dies mit ihren Rechten und Interessen für verträglich halten. Darüber ist man allseitig einig, daß, da das Gewerbe eines Hausirers häufig dazu mißbraucht wird, um sich mit schlechten Absichten in die Häuser einzuschleichen, polizeiliche MaSregeln, im Sinne des Art. 29 b der Bundesverfassung, gegen die Hausirer vollkommen gerechtfertigt erscheinen. Es bleibt uns demnach hauptsächlich die Aufgabe, die Motive zu erläutern, welche uns veranlaßt haben, diejenigen Handelsreisenden, welche ohne Waaren, nur mit oder ohne Muster, von Haus zu Haus Bestellungen aufnehmen, nicht unter die eigentlichen Hausirer zu zählen.

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Hiezu wird es nothwendig, in gedrängter Kürze einen Blick auf die uns vorgelegenen Beschwerden zu werfen. Die zwei ersten waren gegen das Gewerbegesetz des Kantons Bern gerichtet. Ein in Murten niedergelassener Schneidermeister verkehrte in c'y angrenzenden Aemtern jenes Kantons und besuchte dort seine Iî4|.'ien, mit einem Musterpaket versehen. Er wurde als Hausirer [^/achtet, und da dieses Gewerbe im Kanton Bern mit wenigen Ausnahmen verboten ist, so verfiel er wiederholt in Strafe und konnte somit dort nicht mehr seinen Beruf ausüben.

,,Ganz ähnlich verhielt -es sich mit dem zweiten Falle. Ein Neuenburger Handelshaus ließ im St. Immerthal bei Privaten Waaren auf Muster hin anbieten. Der Reisende erlitt wiederholte Bestrafung durch starke Bußen und sah sich genöthigt, seinen Verkehr in jener Gegend einzustellen. Die Eegierung des Kantons Bern hat übrigens unserer Anschauungsweise Eechnung getragen, die Vollziehung des beanstandeten Artikels ihrer Gewerbeordnung sistirt und dadurch den vorstehenden Beschwerden abgeholfen. Nachher langten mehrere ähnliche Klagen von Subskribentensammlern und Buchhändlern ein, «ine gegen das Gewerbegesetz von Baselland, zwei fernere gegen die daherigen Gesetzesbestimmungen des Kantons Thurgau gerichtet, welch' letztere den Anlaß zu dem vorliegenden Eekurs geboten haben.

Endlich noch eine aus dem Kanton Aargau, wo ein dortiger Kaufmann i n . seinem eigenen Kanton wegen Aufnahme von Waarenbestellungen bei Privaten durch Vorweisen von Mustern mehrere Male bestraft wurde."

Der nämliche Bericht des Bundesrathes zeigt, daß schon damals die Frage zur Besprechung kam, ob die Handelsreisenden, welche mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, aber keine Waaren mit sich führen, nur die Verkaufsläden, wo ihre Artikel in den Handel kommen, besuchen oder sich auch direkt an die Privaten wenden dürfen. Er löste die Präge im weitherzigsten Sinne und wies die Anklage der Thurgauer Eegierung, daß auf diese Weise die Kantonalsouveränetät verletzt werde, zurück. ,,Den Kantonen ist allerdings", sagte er, ,,durch die Bestimmungen des Art. 29 b der Bundesverfassung das Becnt zu polizeilichen Verfügungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe vorbehalten ; allein selbstverständlich liegt in den gleichen Bestimmungen die Kompetenz der Buudesbehörden, über das Maß und die Art
solcher Verfügungen zu entscheiden, indem sonst leicht unter dem Namen derselben eine Masse von Gebühren und Taxen eingeführt werden könnten, bedeutend genug, um den garantirten freien Verkehr vollständig zu paralysiren."

Der Bundesrath schloß seinen Bericht mit dem Antrag auf Abweisung der beiden Eekurse.

Bnndesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

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·18 Die Bundesversammlung faßte hierauf unterm 12. Dezember 1860 folgenden Beschluß: ,,1. Der Eekurs der Regierung des h. Standes Thurgau vom 27. Juni 1860 jwgen den Beschluß des Bundesrathes vom 25. Mai 1860, betreffend Aufhebung des in der thurgauischen Markt- und Hausirgesetzgebung aufgestellten Verbots der Aufnahme von Éestellungen bei Privatleuten durch Handelsreisende, wird sammt der jenen unterstützenden Eingabe der Regierung des h. Standes Zug vom 13. Juli 1860 als unbegründet erklärt.

,,2. Der Bundesrath wird mit der allseitigen Vollziehung diesesBeschlusses beauftragt."

In seinen Geschäftsbericht über das Jahr ] 860 nahm der Bundesrath folgende Notiz auf: ,,Gegen unsere Schlußnahme, betreffend die Interpretation des Bundesbeschlusses vom 29. Juli 1859 über die Patenttaxen der Handelsreisenden, haben im Berichtsjahre die Regierungen von T h u r g a u und Z u g den Eekurs an die Bundesversammlung ergriffen, der durch Schlußnahme vom 12. Dezember 1860 abgewiesen worden ist.

Demnach dehnt sich der Bundesbeschluß vom 29. Juli 1859 auch auf solche Eeisende aus, die Waaren durch Vorweisen von Mustern von Haus zu Haus feil bieten. Diese sind somit ebenfalls der Bezahlung von Patenttaxen nicht unterworfen, und ihr Gewerbe kann nicht verboten werden. Die Kantone sind eingeladen worden, hiernach ihre Maßregeln treffen zu wollen."

Zu der Zeit, als die Unterhandlungen mit Prankreich über den Handelsvertrag von 1864 im Gange waren, war somit die Aufnahmt» von Bestellungen bei Privaten seitens einheimischer oder ausländischer · Handelsreisenden in der Schweiz keinerlei Gebühren unterworfen.

Die Bundesbeschlüsse von 1859 und 1860 hatten diese Beschränkung der Handels- und Gewerbel'reiheit vollständig beseitigt.

Als Frankreich im Laufe der Unterhandlungen vorschlug, eine Patentgebühr von zwanzig Franken für die Handelsreisenden eines jeden der beiden Länder einzuführen, war es dem Bundesrathe nicht möglich, diesen Vorschlag anzunehmen. Er beharrte vielmehr auf der völligen Abschaffung der Gebühren im Sinne der soeben angeführten beiden Bundesbeschlüsse. Prankreich, welches gerade mit Preußen eine ähnliche Uebereinkunft getroffen hatte, stimmte gerne bei, und auf diese Weise wurde die völlige Befreiung von allen Gebühren zu Gunsten der Handelsreisenden in den Vertrag eingeführt.

Die Ausländer waren somit in der Schweiz den Einheimischen gleichgestellt, und die schweizerischen Handelsreisenden erlangten ihrerseits in Frankreich Befreiung von allen Gebühren.

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Die gleiche Bestimmung wurde im Jahre 1868 in die Handelsverträge mit Italien und Osterreich und im Jahre 1869 in diejenigen mit dem deutschen Zollverein aufgenommen. So war die Taxbefreiung mit unsern vier großen Nachbarn vereinbart. Andererseits wurden in den Niederlassungs- und Handelsverträgen, welche von 1869 bis 1878 mit Spanien, Rußland, Dänemark, den Niederlanden und Persien abgeschlossen wurden, in dem vorwürfigen wie in andern Punkten diesen Staaten die Hechte der meistbegünstigten Nationen zuerkannt.

Ebenso verhielt es sich mit den vorher mit den Vereinigten Staaten (im Jahre 1850) und mit Großbritannien und Irland (im Jahre 1855) abgeschlossenen Verträgen, welche noch jetzt in Kraft bestehen.

Die von Kanton zu Kanton oder auch in den internationalen Beziehungen erlangte Freiheit bezog sich einzig auf die Handelsreisenden. Die Einschränkungen, welchen der Verkehr und die Arbeits-, Handels- und Gewerbefreiheit im Uebrigen unterworfen war. bestanden unverändert immer noch fort. Der Hausirhandel und die andern Wandergewerbe insbesondere blieben den Gesetzen und Verordnungen der Kantone unterstellt.

Wir werden im Laufe dieses Berichtes auf die Bemühungen zurückkommen, welche man machte, um die auf diesem Gebiete noch vorhandenen Schranken zu beseitigen.

2. Unter der Bundesverfassung von 1874.

Dies war die Lage zu der Zeit, als die Bundesverfassung von 1874 in Kraft trat.

Der Artikel 31 dieser Verfassung bestimmt: ,,Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

Vorbehalten sind: a b c. Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbebetriebes und über die Benutzung der Straßen.

Diese Verfügungen dürfen den Grundsatz der Handels- -und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen."

Sogleich nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung, d. h.

schon am 30. Mai 1874, ersuchte der Bundesrath alle Kantonsregierungen, ihm ihre Gesetze über die Ausübung von Handel und

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Gewerben und über Besteuerung des Gewerbebetriebes vorzulegen.

Eine Anzahl Kantone wurden eingeladen, ihre Gesetzesbestimmungen über dieses Gebiet zu revidiren, um sie mit den verfassungsmäßigen Vorschriften in Einklang zu bringen. Der Hausirhandel war damals in acht Kantonen völlig verboten.

Indessen hatte sich der Bundesrath bis zum Jahre 1877 nicht eingehender mit der Lage der Handelsreisenden zu beschäftigen.

Bei Prüfung eines neuen Gesetzes des Kantons Luzern über Marktverkehr und Hausirhandel sah er sich veranlaßt, dies zu thun. In diesem Gesetze war unter Anderm eine jährliche Gebühr von 5 bis 200 Fr.

vorgeschrieben für die Aufnahme von Bestellungen in Privathäusern, mochten dabei Muster vorgelegt werden oder nicht. Der Bundesrath erklärte, diese Bestimmung stehe nicht im Einklang mit den Bundesbeschlüssen von 1859 und 1860. Er bemerkte außerdem, dieselbe könnte zu Schwierigkeiten mit den auswärtigen Staaten führen, welche mit der Schweiz Handelsverträge abgeschlossen haben.

Der Entscheid des Bundesrathes ist im bundesräthlichen Geschäftsbericht über das Jahr 1877 angeführt.

Die nationalräthliche Kommission befaßte sich in dem das Justizund Polizeidepartement betreffenden Theile ihres Berichtes ganz besonders mit dieser Frage. Sie bekämpfte die bis jetzt hierüber herrschende Ansicht und entwickelte dagegen den Gedanken, daß die Aufnahme von Bestellungen bei Privaten dem Hausirhandel gleichgestellt werden müsse. ,,Würde dem Handlungsreisenden", sagte sie, ,,das Aufsuchen von Bestellungen bei Privatleuten freigegeben, so würde es unmöglich sein, eine Umgehung der Gewerbesteuer des eigentlichen Hausirhandels Seitens derselben zu kontroliren. Will der Kaufmann oder Fabrikant den unmittelbaren Absatz an das Publikum ermöglichen, so steht ihm frei, für seine Handlungsreisenden einen Gewerbeschein als Hausirer zu erwerben." Die Kommission faßte ihre Ansicht in folgenden Sätzen zusammen : ,,Die Schweiz, resp. die Kantone sind berechtigt : a. die Aufnahme von Bestellungen hei Nichtgewerbetreibenden, resp. von Haus zu Haus als Hausirhandel zu erklären; b. für die Ausübung des Hausirhandels eine Legitimation, ein Patent oder einen Gewerbeschein zu verlangen; c. sowohl für den Ausweis eine Ausfertigungstaxe zu erheben, als auch den gesammten Hausirverkehr mit einer entsprechenden Gewerbesteuer zu belegen.a Die Kommission kam beim Geschäftsbericht des eidgenössischen Eisenbahn- und Handelsdepartements auf den Gegenstand zurück.

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Indem sie den bundesräthlichen Entscheid über die Beschränkungen, welche das luzernische Gesetz der Aufnahme von Bestellungen bei Privatleuten entgegenstellt,· einer Kritik unterzog, sagte sie: ,,Es fragt sich, oh mit jener Unterscheidung von ,,Bestellung auf Muster"1 und dem wirklichen ,,Waarenverschleißa alle einschlägigen Verhältnisse umschrieben seien, ober ob es sich nicht, wie vielfach geklagt wird, um eine gewisse Umgehung, d. h. um das Handelsgeschäft unter der Scheinform der ,,Bestellung" auf Muster handle.

Wenn ein reisender Handelsmann einen gewissen Kayon absucht, seine Waaren an irgend einem Centralpunkt lagert, überall Bestellungen ,,auf Muster" aufnimmt, unmittelbar darauf dieselben ausführt und hiefür nichts entrichtet, so ist dieser Mann doch wohl ein ,,Händler" und nicht ein ,,Musterreisendera (commis voyageur), und ist diese Art taxfreier Konkurrenz eine solche, die den Unwillen des steuerzahlenden, einheimischen Gewerbegenossen herausfordert. Diese Verhältnisse werden auch im Publikum mannigfach besprochen, zumal wenn zeitweise jene Waarenkolportage zur förmlichen Zudringlichkeit und Belästigung wird.

,,Es berührt diese Frage nicht bloß Luzern und seine Gesetzgehung, sondern eine Reihe anderer Kantone und Verordnungen.

Dazu kommt, daß z. B. in Deutschland die Interpretation der vertraglich vereinbarten Gewerbefreiheit keineswegs in jener schrankenlosen Ausdehnung praktizirt wird, sondern mit beschränkenden Vorschriften gegen die Ueberfluthung oder Umgehung begleitet ist (deutsche Gewerbeordnung). Wir riskiren dergestalt, daß unsere schweizerischen Gewerbsleute in Deutschland schlechteren Rechtes sind, als ihre deutschen Konkurrenten in der Schweiz.11 Die Geschäftsprüfungskommission schlug schließlich der Bundesversammlung folgendes Postulat vor : ,,Es sei der hohe Bundesrath eingeladen, alle diese Verhältnisse einer nochmaligen reiflichen Prüfung zu unterwerfen, beziehungsweise den getroffenen Entscheid in Wiedererwägung zu ziehen.a Die Bundesversammlung nahm am 28. Juni 1878 dieses Postulat mit einer unbedeutenden Eedaktionsänderung an.

Die hauptsächlich aus der Ostschweiz kommende Strömung, welche im Gebiete des Handels größere Einschränkungen forderte, gewann so immer mehr Boden.

Inzwischen hatten die Kantone Bern und Baselland im Jahre 1877 neue Gesetze tiher den Markt- und Hausirverkehr erlassen, gemäß welchen, wie nach dem luzernischen Gesetze, das Aufsuchen von Bestellungen hei andern Personen als solchen, die mit den

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gleichen Artikeln Handel treiben oder denselben in ihrem Gewerbe verwenden, als Hausirverkehr gilt und einer Patentgebühr, im Kanton Bern von l bis 200 Fr. im Monat, im Kanton Baselland von 12 bis 150 Fr. für das Jahr, unterworfen ist. Als im Jahre 1878 mehrere Rekurse gegen diese Bestimmungen beim Bundesrathe eingereicht wurden, führten die beiden Kantonsregierungen an, die Beschlüsse von 1859 und 1860 hätten unter der neuen Bundesverfassung keine Gültigkeit mehr; die Handelsfreiheit künne nicht mehr dem freien Verkehrsrecht von Kanton zu Kanton gleichgestellt, sondern müsse vielmehr als das Recht betrachtet werden, für sich persönlich einen Beruf im Innern eines jeden Kantons auszuüben; die Besteuerung des Gewerbebetriebs in den Kantonen sei eine von Art. 31 der Bundesverfassung ausdrücklich gestattete Belastung; dieselbe treffe in gleicher Weise sowohl die Kantonseinwohner als die Angehörigen anderer Kantone; von nun an sei die Forderung, sich mit einem Patent zu versehen, nicht bloß im polizeilichen, sondern auch im fiskalischen Interesse vollkommen zulälSig, und dieselbe sei auch vom Bundesrathe in seiner Botschaft vom 17. Juni 1870 über die Eevision der Bundesverfassung als zuläßig anerkannt worden.

Angesichts des Postulates vom 28. Juni 1878 schloß sich der Bundesrath dieser Anschauungsweise an und faßte unterm 8. Oktober 1878 den Beschluß, die Rekurse gegen die Gesetze von Bern und Baselland seien prinzipiell unbegründet zu erklären, in Erwägung -- wie er sagte -- daß der Artikel 31 der Bundesverfassung nicht verbietet, die Aufnahme von Bestellungen bei Privatleuten dem Hausirhandel gleichzustellen oder diese Art von Handel mit Patentgebühren zu belegen, sondern im Gegentheil in unzweideutiger Weise gegenüber der Handels- und Gewerbefreiheit Verordnungen über Besteuerung vorbehält, welch' letztere allerdings nichts enthalten dürfen, was dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit zuwiderliefe. Von diesem Gesichtspunkte aus hatte der Bundesrath gegen das Gesetz des Kantons Baselland nichts einzuwenden, während er sich mit Bezug auf das bernische, dessen hohe Gebühren die Ausübung gewisser Gewerbe unmöglich machen könnten, die Prüfung der Anwendung desselben ausdrücklich vorbehielt.

Da die Rekurse gegen die Gesetze von Bern und Baselland nicht vor die Bundesversammlung gezogen wurden,
so war damit das luzernische Gesetz thatsächlich genehmigt. Der Bundesrath erklärte in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1878 das Postulat vom 28. Juni als in dieser Weise erledigt, was von der Bundesversammlung, wie es scheint, stillschweigend gutgeheißen wurde.

Die Bundesbeschlüsse vom 29. Juli 1859 und 12. Dezember 1860 waren demnach, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch thatsächlich .aufgehoben, und die Handelsreisenden, welche in Privatwohnungen Bestellungen aufnahmen, konnten nun den Hausirern gleichgestellt werden.

Der ßechtsstandpunkt des Bundesrathes läßt sich von dieser Zeit an in folgender Weise kurz darlegen : Die Besteuerung der Ausübung der als Hausirgewerbe zu betrachtenden Berufsarten ist verfassungsmäßig zuläßig, sofern dieselbe nicht dem Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit widerspricht. Dieser Grundsatz wird verletzt, wenn die Kantone feste Gebühren anwenden, welche nicht in jedem ·einzelnen Falle eine angemessene Schätzung des Geschäftsumsatzes jedes Hausirers entweder nach der Art seines Handels oder nach der Zeit, während welcher er sein Gewerbe betreibt, gestatten. Die kantonalen Gesetze und Verordnungen, welche Patentgehühren aufstellen, bei denen ein Maximum und ein Minimum vorkommt, haben nichts Verfassungswidriges an sich. Damit der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gegen dieselben erhoben werden könnte, müßte die einem bestimmten Gewerbe auferlegte Gebühr offenbar zu hoch sein, oder in keinem Verhältniß zu dem Gewinne stehen, den der Gewerbetreibende erlangen kann.

Nun fühlten sich die Kantone freier, und die meisten beeilten sich, in den folgenden Jahren diese Freiheit zu benutzen, um den Wandergewerben mit Einschluß der Handelsreisenden neue polizeiliche und fiskalische Schranken entgegenzusetzen. Zu den vom Staate bezogenen Gebühren kamen noch die Gemeindeabgahen. Die Aufnahme von Bestellungen bei den Privaten, mit oder ohne Muster, wurde dem Hausirhandel gleichgestellt. Ich bemerke, daß die um diese Zeit aufgestellten Gebühren, welche, wenn sie nicht erhöht worden sind, größtentheils noch heutzutage bestehen, das Doppelte, Dreifache und sogar das Zehnfache von dem betragen, was in den Kantonen vor 1859 gebräuchlich war.

Um so recht in die Augen fallen zu lassen, zu was für sonderbaren Eesultaten man gelangt, wenn man einmal den Weg der Einschränkungen betritt, will ich einige Beispiele anführen : Schwyz verpflichtet die Papierfabriken und Papierhandlungen, welche den Druckereien, z. B. denjenigen von Einsiedeln, Papier verkaufen, eine Patentgebühr zu zahlen.

Der nämliche Kanton legt den Eeisenden mit Kurzwaaren, welche den Näherinnen Knöpfe verkaufen, eine Gebühr auf und stellt sie den Hausirern gleich.

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Ein anderer Kanton fordert ein Patent von Eolonialwaarenhandlungen, welche den Wurstern Pfeffer zur Herstellung der Würste liefern.

Wieder in Schwyz legt man Handelshäusern, welche den Gasthofbesitzern Hausgeräthe und andere Gasthofeinrichtungen zum Gebrauch für Reisende und Touristen verkaufen, eine Gebühr auf.

Man fordert eine solche sogar von den Weinhändlern, welche ihre Waare in den Gasthöfen verkaufen, auch wenn dieselbe nicht für den Wirth und seine Familie, sondern für die Fremden, also zum Wiederverkauf, hestimmt ist.

Es sind mehrmals Versuche gemacht worden, gegen diese Bestrebungen aufzutreten ; aber der neue bundesrechtliche Standpunkt wurde durch neue Beschlüsse bekräftigt.

Herr J. Dierauer und 37 andere im Kanton St. Gallen niedergelassene Handelsleute hatten gegen das st. gallische Gesetz von 1878 rekurrirt, welches verfügte, daß die im Kanton niedergelassenen Kaufleute, wenn sie bei Privatpersonen auf Muster hin Bestellungen aufnehmen, eine monatliche Patentgebühr von 10 bis 20 Fr. zu zahlen hätten.

Die Rekurrenten riefen den Bundesbeschluß von 1859 an, sowie den Artikel 31 der Bundesverfassung, welcher durch diese fiskalische Maßregel verletzt werde, namentlich wenn es sich um ein Geschäftshaus handle, welches mehrere Reisende habe und gezwungen sei, für einen jeden einzelnen derselben eine Patentgebühr zu entrichten. Sie erklärten dieses Verfahren auch als Doppelbesteuerung-..

Die Eegierung des Kantons St. Gallen behauptete dagegeu in ihrer Antwort : 1. Der Bundesrath hat in seinen Entscheiden über die Beschwerden gegen die Gesetze der Kantone Bern und Baselland den Rechtsstandpunkt von 1859 aufgegeben.

2. Es liegt keine Doppelbesteuerung vor, da die nationalräthliche Kommission im Jahre 1877 die Patenttaxen neben der Gewerbesteuer als zulässig anerkannt hat.

Mit Beschluß vom 31. Januar 1879 wies der Bundesrath den Eekurs ab, wobei er sich auf folgende Erwägungen stützte: 1. Die nationalräthliche Geschäftsprüfungskommission für das Jahr 1877 hat die zu beobachtenden Grundsätze aufgestellt.

2. Der Bundesrath hat sich hei seiner Entscheidung über andere Eeknrse an diese Grundsätze gehalten.

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3. Die Patentgebühr und die Erwerbssteuer sind auseinanderzuhalten. Der Entscheid über die Frage der Doppelbesteuerung würde übrigens in die Kompetenz des Bundesgerichtes gehören.

Herr Dierauer und Genossen rekurrirten gegen den Entscheid des Bundesrathes an die Bundesversammlung. Ihr Eekurs wurde am 17. Dezember 1879 abgewiesen. Die ständeräthliche Kommission (Herr Theodor Wirz, Berichterstatter) hob hervor, die Bekurrenten könnten vom geschichtlichen Standpunkte aus Eecht haben, wenn sie sich auf die Verfassungsauslegung vom Jahre 1859 beziehen; aber es sei eine andere, spätere Auslegung an deren Stelle getreten, und dieselbe habe für die Zukunft als Eegel zu gelten. Der Artikel 31 der Bundesverfassung vom Jahre 1874 gewährleiste allerdings die Handels- und Gewerbefreiheit ; aber derselbe gewährleiste gleichzeitig den Kantonen das Eecht zur Gewerbebesteuerung. Die Steuer dürfe immerhin niemals ein Hinderniß für den Betrieb eines Gewerbes bilden. In Steuerangolegenheiten sei indessen grundsätzlich zu Gunsten der Kantonalsouveränetät zu entscheiden ; die Kekurrenten haben daher zu beweisen, daß die Steuer eine ,,einem Verbot gleichkommende Maßregel'" genannt werden könne ; wenn sie diesen Beweis leisten, werde die Eidgenossenschaft die Steuer untersagen.

Am 4. Januar 1881 entschied der Bundesrath einen Eekurs des Neuenburger Staatsrathes gegen die im Kanton Freiburg den Handelsreisenden auferlegten Gebühren. Die Herren Gebrüder Blum, Schneidermeister in Neuenburg, hatten sich bei ihrer Kantonsregierung darüber beschwert, daß sie, um in Murten und Stäffis Bestellungen von Kleidern nach dem Maß aufnehmen zu dürfen, der Centralpolizei von Freiburg, für den Staat sowie für die Gemeinde, eine monatliche Gebühr von Fr. 241. 60 bezahlen müßten. Der Rekurs wurde begründet erklärt, da die auferlegte Gebühr als zu hoch erschien.

Am 12. Januar des gleichen Jahres erklärte der Bundesrath aus dem nämlichen Grunde den Eekurs des Buchhändlers Pointet, eines Neuenburgers, welchem der Kanton Freiburg eine monatliche Gebühr von 90 FT. abverlangte, als begründet.

Die Freiburger Regierung rekurrirte gegen diese beiden Entscheide an die Bundesversammlung. Die letztere wies, gestützt auf die bundesräthlicbe Botschaft vom 14. Februar 1882, die beiden Kekurse in ihrer Juni-Sitzung vom gleichen Jahre ab.

Zugleich wurde
der Bundesrath eingeladen, zu untersuchen und Bericht zu erstatten, ob nicht leitende Grundsätze zu formuliren und der Genehmigung der Bundesversammlung zu unterstellen seien, nach welchen die kantonalen Hausirpatentgesetze geprüft und die Be-

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schwerden wegen zu hoher Belastung mit Hausirtaxen im Sinne des Art. 31, Schlußlemma, der Bundesverfassung entschieden werden sollen. (23. Juni 1882.)

Dieses Postulat ist bis jetzt unerledigt geblieben.

Vor diesen freiburgischen Eekursen hatten die Herren Plückiger, Gamper-Andres und Konsorten, vertreten durch Herrn Advokat Dr.

Ryf in Zürich, gegen den allzu hohen Betrag der solothurnischen Taxen reknrrirt. Der Bundesrath hatte den Kekurs durch Beschluß vom 2. November 1880 als begründet erklärt.

Die Kekurrenten erhohen neuerdings Beschwerde, indem sie anführten, der Bundesrathsbeschluß sei nicht vollzogen worden. Der Bundesrath wollte nun den Entscheid der Bundesversammlung über die Freiburger Rekurse abwarten und setzte dies in seiner Botschaft vom 5. April 1882 auseinander. Die Bundesversammlung faßte bei ihrem oben erwähnten Entscheid die beiden Fälle zusammen.

Im Jahre 1882 wurde mit Prankreich ein neuer Handelsvertrag abgeschlossen, in welchem die Befreiung der französischen Handelsreisenden von jeder Patentgebühr in den Kantonen aufgenommen ist.

Der Bundesrath hatte sich bemüht, die französische Regierung zu bewegen, Angesichts der innern Einrichtungen der Schweiz auf diese unbequeme Bestimmung zu verzichten. Es folgte ein lebhafter Austausch der Meinungen über diesen speziellen Punkt zwischen dem Bundesrath und den Vertrags-Unterhändlern, aber Alles war umsonst; Prankreich wollte nicht nachgeben.

Schon im Laufe der Verhandlungen in den eidgenössischen Käthen über die Ratifikation des Vertrages wurden Vorbehalte gemacht mit Bezug auf die bevorrechtete Stellung, welche man den französischen Geschäftsreisenden zum Nachtheil der einheimischen eingeräumt hatte.

Am 9. Juni des gleichen Jahres brachte Herr Cornaz im Stiinderath folgende Motion ein: .,Der Bundesrath ist eingeladen, die nöthigen Vollziehungsmaßregeln zu ergreifen, damit die schweizerischen Handelsreisenden in ihrem eigenen Lande nicht Taxen zu entrichten haben, von welchen die ausländischen Handelsreisenden befreit sind."1 Diese Motion wurde in Form eines Postulats erheblich erklärt.

Am 9. November 1883 unterbreitete der Bundesrath den Räthen einen Bericht betreffend die doppelte Präge der Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von Patentgebühren und der Annahme allgemeiner Grundsätze mit Bezug auf die Prüfung der kantonalen Hausirgesetze und die darauf bezüglichen Kekurse.

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In diesem Aktenstücke setzt der Bundesrath auseinander, daß er zugleich dem vom Ständerathe angenommenen Postulate Cornaz Folge geben und dem Bundesbeschluß vom 23. Juni 1882 nachkommen wolle. Er erinnert an die Entwicklung des Rechtszustandes unter der Herrschaft der Bundesverfassung von 1.848 und seit der neuen Verfassung von 1874; dann geht er zu einer kritischen Betrachtung über.

,,Wir finden es begreiflich, a sagt er, ,.,daß der gegenwärtige Rechtszustand Niemanden'befriedigt. Es mangeln klare und bestimmte leitende Prinzipien, auf denen eine sichere, allseitig gerechte Praxis sich aufbauen könnte. Der Bundesheschluß vom 23. Juni 1882, in dessen Nachachtung wir diesen Bericht erstatten, beweist, daß auch die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft von demselben Gefühle der JSTichtbefriedigung erfüllt sind. Es ist ja ganz wahr, was der Staatsrath des Kantons Freiburg in seinem Kekursmemorial an die h. Bundesversammlung vom 8. April 1881 sagt, daß die Kantone bei der großen Verschiedenheit ihrer Tarifsätze von der bundesrechtlichen Praxis ungleich betroffen werden, daß es an einer allgemein gültigen Norm in der Anwendung der Hausirsteuerbestimmungen fehlt, daß es sich mit der Würde der kantonalen und der eidgenössischen Behörden schlecht verträgt, in jedem einzelnen Falle die Anwendung des Tarifs auf ihre bundesrechtliche Zulässigkeit zu prüfen und so aus der Tarifvollziehung jeweilen von Bundeswegen eine individuelle Einschätzungsfrage zu machen. In der That kann aus einer derartigen Praxis eine wenig würdige Markterei zwischen einer kantonalen Behörde einerseits und einem Eekurrenten und den höchsten Behörden der Eidgenossenschaft andererseits hervorgehen."

Wenn der Bundesrath nicht energischer in diese Regelung des Wandergewerbes eingegriffen hat, so geschah dies deshalb, weil er die Berechtigung des Bundes, diesfalls allgemeine Vorschriften zu erlassen, bezweifelt, ja dieselbe geradezu verneint. Er muß jedoch den wiederholten Aufforderungen der Bundesversammlung Folge leisten, und wenn die Schwierigkeiten, welche sich im Allgemeinen der Regelung der Wandergewerbe entgegenstellen, ihm beinahe unüberwindlich vorkommen, so ist er doch über e i n e n Punkt im Klaren : der gegenwärtige Rechtszustand betreffend die Patentgebühren der schweizerischen Handelsreisenden kann im Hinblick auf die
mit dem Ausland abgeschlossenen Verträge nicht fortbestehen.

Hören wir, was der Bericht hierüber sagt: ,,Wir stehen in dieser Beziehung an einem Wendepunkte. Gleichwie es nach Abschluß des schweizerisch-französischen Handels- und Niederlassungsvertrages von 1864 sofort im ganzen Lande als uner-

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träglich empfunden wurde, daß die französischen Israeliten in der Schweiz fortan besseres Eecht haben sollten, als die Schweizerbürger israelitischer Abkunft und Konfession, so ist heute das Gefühl ein allgemeines, daß die schweizerischen Handelsreisenden, welche Bestellungen bei Nichtgewerbegenossen aufnehmen, unmöglich länger mit Hausirpatenttaxen belegt werden dürfen, -während die französischen, spanischen, russischen, österreichischen u. s. w. Reisenden hievon befreit sind. Es fällt dem Bundesrathe um so leichter, in diesem Punkte zu der im Jahre 1859 inaugurirten Praxis zurückzukehren, als er seinerseits das Aufgehen derselben niemals befürwortet oder gebilligt hat."

,,Der Besteuerungsvorbehalt darf aber unseres Erachtens nicht so aufgefaßt und dergestalt ausgedehnt werden, daß ein gemeinschweizerisches, individuelles Eecht nun schlechter gestellt wäre, als vor 1874 ein interkantonales es war.

,,Vollends unzulässig und unverständlich wird der angestrebte Schutz der kantonalen und kommunalen Seßhaftigkeit, wenn er g e g e n ü b e r den r e i s e n d e n Angehörigen des eigenen Bnn desstaates, die in einem andern Kantone wohnen, d o r t s e ß h a f t sind u n d d i e o r d e n t l i c h e n S t e u e r n b e z a h l e n , ausgeübt werden will, während gleichzeitig ausländische Reisende vertraglich steuerfrei erklärt sind und man es auch nicht hindern kann, daß auswärtige Häuser das Inland brieflich und durch Zusendung von Katalogen und Mustern mit Verkaufsangeboten überschwemmen und die inländische Konkurrenz mehr und mehr zur Unmöglichkeit machen. Es wird dadurch der Geschäftsbetrieb mittelst Aufsuchung von Bestellungen bei Mchthandelsleuten den inländischen Häusern theoretisch allerdings nicht verwehrt, aber thatsächlich -- zum Vortheil des Auslandes -- verunmöglicht ; m. a. W. es bleibt für sie der Verfassungssatz der Handels- und Gewerbefreiheit in der angeführten Beziehung ein todter Buchstabe. Das kantonale Besteuerungsrecht kann in dieser Eichtung nicht mehr anerkannt werden, weil es unter den bestehenden Verhältnissen in der That die Wirksamkeit des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit erheblich beeinträchtigt, ja geradezu aufhebt und deßhalb gegen Artikel 31, Schlußlemma, der Bundesverfassung verstößt.

,,Wir halten aus den entwickelten Gründen die Entscheidung dieser Frage
für eine gegebene und stehen nicht an, I h n e n die Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von P a t e n t t a x e n zu heantragen."1 Dagegen sprach sich der Bericht ans Gründen, auf welche wir zurückkommen werden, gegen die Ausdehnung dieser Maßregel auf den eigentlichen Hausirhandel aus.

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Am 11. Dezember 1883 faßte die Bundesversammlung auf den Vorschlag des Bundesrathes folgenden Beschluß: ÏÏS28 ,,1. Die Handelsreisenden, welche für Rechnung eines inländischen Handelshauses die Schweiz bereisen, können, ohne dafür eine Patent·taxe entrichten zu müssen, auf den einfachen Ausweis ihrer Identität hin, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, sofern sie keine Waaren mit sich führen.

,,2. u. 3. Referendums- und Vollziehungsformeln.tt Dieser Bundesheschluß, gegen welchen das Eeferendum ergriffen ·wurde, ist am 11. Mai 1884 vom Volke mit 189,550 gegen 174,195 Stimmen verworfen worden.

Am 5. Juni 1884 brachte Herr Cornaz eine neue Motion ein, des Inhalts: ,,1. Die Handelsreisenden, welche für Rechnung eines inländischen Handelshauses die Schweiz bereisen, können, ohne dafür eine Patenttaxe entrichten zu müssen, auf den einfachen Ausweis ihrer Identität hin, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, sofern sie keine Waaren mit sich führen.

,,2. Der Bundesrath ist beauftragt etc."

Es war dies die wörtliche Wiederholung des vom Volke verworfenen Beschlusses.

Herr Théraulaz seinerseits reichte am 11. Juni folgende Motion ein : ,,Der Bundesrath ist eingeladen, mit Bezug auf die Patentgebühren der schweizerischen Handelsreisenden (und Hausirer) bei Gelegenheit der ihm vorliegenden Eekurse und unter Berücksichtigung der verschiedenen Geschäftszweige Maximaltaxen festzustellen, welche von den Kantonen nicht überschritten werden dürfen."1 Nach einer kurzen Diskussion wurden die beiden Anregungen in der Sitzung vom 16. Juni 1884 als unzeitgemäß abgelehnt.

Auf die Initiative der Eegierungen von Zürich und Neuenburg traten die Abgeordneten von zwölf Kantonsregierungen, welche eine Gesammtbevölkerung von 1,700,000 Seelen vertreten, am 10. Juli 1885 in Neuenburg zusammen, um die Präge zu prüfen, ob es am Platze sei, das vom Volke im Jahr 1884 verworfene Werk wieder aufzunehmen. *) *) Die vertretenen Kantone waren : Zürich, Freiburg, Solothurn, Baselstadt, Baselland, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Waadt, Neuenburg und Genf. Der Kanton Bern hatte sich wegen Abhaltung der Mitglieder seiner Regierung entschuldigen lassen.

30

Den Ausgangspunkt dieser Konferenz bildete der Entwurf zu einem Konkordate zwischen allen Kantonen, welche geneigt waren, die Lage unserer Handelsreisenden zu verbessern und in dieser Weise zu demjenigen Eesultate zu gelangen, welches man vom Bundesbeschlusse vergeblich erhofft hatte. Aber die hierüber eröffnete Diskussion zeigte bald, mit welchen Schwierigkeiten der Abschluss eines solchen Konkordats verbunden sei. Mancher Kanton, dessen Behörden und Bevölkerung sich einer eidgenössischen Maßregel grundsätzlich günstig gezeigt haben, würde einer interkantonalen Regelung der Frage nur ungern beistimmen. Man legt sich lieber ein Opfer auf, welches Alle gleichmäßig zu tragen haben, als wenn bloß die Einen von der Maßregel betroffen werden, während es den Andern gelingt, sich derselben zn entziehen. An manchen Orten sieht man weitherzige Bestimmungen zu Gunsten der Handelsreisenden nicht sehr gern; man möchte lieber dem Andrang ausländischer Reisenden entgegentreten als die einheimischen begünstigen. Indessen würde man nicht so weit gehen, den Anstoß zu einem Referendumsbegehren gegen einen diesfälligen Bundesbeschluß zu geben ; der Fall läge jedoch anders, wenn die Genehmigung eines Konkordats der Berathung des Großen Eathes und der Volksabstimmung unterstellt würde. Ein Konkordat hätte namentlich dann Werth, wenn die Kantone, welche dasselbe unterzeichnen, ein zusammenhängendes Gebiet bildeten ; aber es verliert seine Hauptbedeutung, sohald die Gebiete der Konkordatskantone durch solche Kantone von einander getrennt sind, welche nicht zum Konkordate gehören. Man betrachtet überhaupt das Konkordat als eine veraltete und schwerfällige Einrichtung, deren Zeit vorüber ist.

Die Unterhandlung darüber bietet sehr viel Schwierigkeiten dar, und auch im Palle eines Zustandekommens hätte man keinerlei Gewähr dafür, daß die Interessen, die auf dem Spiele stehen, dauernd sichergestellt wären, weil die Kantone sich jederzeit ganz nach Belieben vom Konkordate zurückziehen können. Kurz, der Gedanke an ein Konkordat wurde im Laufe der Vorberathung von allen vertretenen Kantonen mit Ausnahme eines einzigen fallen gelassen, und auch dieser erklärte sich im Grunde völlig einverstanden mit der Entlastung der schweizerischen Handelsreisenden von jeder Patentgehühr.

Man kam wieder auf die Idee eines Bundesbeschlusses
zurück, und die Konferenz entschied sich dahin, den Bundesrath zu ersuchen, dass er den frühern, von den eidgenössischen Käthen angenommenen, aher vom Volke mit schwacher Mehrheit verworfenen Beschluß wieder aufnehme und dahei den Art. l in folgender Weise abändere: An Stelle der Bestimmung: ,,Die Handelsreisenden, welche für Eechnnng e i n e s i n l ä n d i s c h e n H a n d e l s h a u s e s die Schweiz bereisen" sollte folgende treten: ,,Die Handelsreisenden, welche für

3t

Bechnung e i n e s i m I n l a n d a n s ä ß i g e n H a n d e l s h a u s e s die Schweiz bereisen". Diese nähere Bezeichnung sollte die Tragweite der Maßregel genauer bestimmen, die auf jedes in der Schweia bestehende Handelshaus ohne Rücksicht auf die Herkunft seiner Inhaber Anwendung finden konnte. Der Bundesrath wurde auch ersucht, die Frage zu prüfen, ob es nicht passend wäre, in den neuen Beschluß den Vorbehalt aufzunehmen, daß die Taxbefreiung zu Gunsten der in der Schweiz bestehenden Firmen nur so lange Gültigkeit habe, als dieselbe den Reisenden auswärtiger Staaten vertraglich zugesichert bleibe. Außerdem sprach die Konferenz den Wunsch aus, das eidgenössische statistische Bureau möchte beauftragt werden, eine Tabelle über den Hausirhandel und die sogenannten Wanderlager aufzustellen, in welcher die Handelsreisenden des eigenen Kantons, diejenigen der übrigen Kantone und die des Auslandes besonders aufgeführt würden.

Am S.Dezember 1885 antwortete der Bundesrath dem Präsidenten der interkantonalen Neuenburger Konferenz, Hrn. Cornaz, er halte es nicht für zeitgemäß, die Frage schon jetzt wieder aufzunehmen, und man müsse vorerst die statistischen Angaben vervollständigen.

Seit der Neuenhurger Konferenz hahen über die vorliegende Frage weitere Kundgebungen stattgefunden, von welchen nachher die Rede sein wird.

II. Gegenwärtiger Stand der kantonalen Gesetzgebung.

(Nach dem Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 10. April 1890.)

Fünf Kantone gestatten den auf ihrem Gebiete niedergelassenen Handelsreisenden völlige Freiheit: Bern, Uri, Appenzell-Innerrhoden, Tessin und Wallis.

Die im Kanton selbst und in denjenigen Kantonen, welche Gegenseitigkeit üben, niedergelassenen Handelshäuser sind für ihre Reisenden von jeder Taxe befreit im Kanton Solothurn.

Im Kanton Freiburg zahlen die Reisenden der im Kanton niedergelassenen Handelshäuser eine dreimonatliche Taxe von Fr. 5 ; die Reisenden aus Kantonen, welche Gegenrecht halten, sind von jeder Taxe befreit.

Drei Kantone belegen die Reisenden solcher Handelshäuser, die auf ihrem Gebiete niedergelassen sind, mit niedrigem Taxen als die Eeisenden aus andern Kantonen : Appenzell A.-Rh., St. Gallen und Thurgau.

32

Die Gebühr ist für die Einen wie für die Andern die nämliche in zehn Kantonen : Zürich, Luzern, Schwyz, Ob- und Nidwaiden, Glarus, Zug, Baselland, Schaffhausen und Aargau.

Graubünden gewährt den Keisenden von Handelshäusern des eigenen Kantons und der übrigen Schweiz volle Freiheit, sofern die Waare direkt vom Sitze des Hauses aus abgesandt wird.

Baselstadt, Waadt, Neuenburg und Genf legen den Handelsreisenden keinerlei Gebühren auf.

Abgesehen von den soeben angegebenen Ausnahmen, werden die Handelsreisenden den Hausirern gleichgestellt und mit den gleichen oder entsprechenden Taxen wie diese Gewerbsleute belegt in folgenden Kantonen: Zürich, l bis 300 Fr. monatlich ; Bern, 10 bis 200 Fr. monatlich; Luzern, 10 bis 200 Fr. jährlich für die Eeisenden mit Mustern (ein Entwurf des Kegierungsrathes, durch welchen das Gesetz von 1877 revidirt wurde, setzte eine jährliche Gebühr von 20 bis 300 Fr. fest für Reisende mit oder ohne Muster); Uri, IO bis 40 Fr. monatlich; die Taxe wird versechsfacht, wenn das Patent für ein ganzes Jahr genommen wird; Schwyz, 2 Ms 300 Fr. für sechs Monate; Obwalden, 3 bis 20 Fr. wöchentlich; Nidwaiden, 2 bis 10 Fr. täglich; Glarus, 4 bis 15 Fr. monatlich nnd 12 bis 40 Fr. jährlich; Zng, 20 bis 100 Fr. monatlich; Freiburg, 3 bis 100 Fr. vierteljährlich, je nach Art und Beschaffenheit der "Waaren; Solothurn, l bis 100 Fr. monatlich, und an den Marktorten l his 200 Fr. monatlich; die Gesammtsumme darf jedoch nicht 600 Fr. jährlich übersteigen; Baselland, 6 bis 240 Fr. vierteljährlich; Schaffhausen, 5 bis 80 Fr. monatlich, je nach der Art der Waaren ; Appenzell A.-Eh., 3 bis 30 Fr. monatlich; Appenzell I.-Eh., 10 bis 20 Fr. wöchentlich; St. Gallen, 20 bis 200 Fr. monatlich; Aargan, bis auf 100 Fr. monatlich, je nach der Art der Waaren; Thurgau, 20 bis 50 Fr. monatlich;

33

Tessin, 50 Fr. für einen Monat, 100 Fr. für drei Monate, 150 Fr.

für sechs Monate, 250 Fr. für ein Jahr; Wallis, vier Klassen von 50 bis 200 Fr. monatlich; wenn das Patent für eine kürzere Zeit verlangt wird, so kann der Ansatz entsprechend ermäßigt werden.

Die Gebühren von Appenzell A.-Rh. sind also die niedrigsten, 3 bis 30 Fr. monatlich, diejenigen von Zürich die höchsten, l bis 300 Fr. monatlich, zehnmal höher als die appenzellischen.

Wenn man die Thatsache in Betracht zieht, daß die Handelsreisenden das Gebiet des gleichen Kantons nur während zwei oder drei Monaten des Jahres bereisen, diese Gebühren zusammenzählt und unter die 25 Kantone vertheilt, so erhält man eine Durchschnittsgebühr von etwa 200 Fr. jährlich per Kanton.

Gemeindegebühren, neben der kantonalen Taxe, werden in folgenden Kantonen erhoben: Aargau, das Doppelte der kantonalen Gebühr, im Verhältniß zur Zeit ; Bern, eine gleich hohe Gebühr wie die kantonale, im Verhältniß zur Zeit, mit einem Minimum von 20 Rappen täglich; Freiburg, eine verhältnißmäßige Gebühr, welche nach der Art der Waarenbezeichnung schwankt, von 2 Fr. bis 20 Ep. täglich;.

Solothurn, höchstens bis zur Hälfte der kantonalen Taxe ; Tessin, eine gleich hohe Gebühr, wie im Kanton Bern ; Wallis, von 50 Eappen bis auf 10 Fr. im Tag; Zug, bis zu einem Viertel der kantonalen Taxe, im Verhältniß zur Zeit; Zürich, eine gleich hohe Taxe wie die kantonale ; die höchste tägliche Gebühr darf ein Dreißigstel der kantonalen Taxe nicht übersteigen.

Es ist von Interesse, zu wissen, welche Einnahmen den Kantonen aus diesen Gebühren jährlich zufließen. Für eine gewisse Anzahl Kantone haben wir die Höhe des Ertrags der den Handelsreisenden allein auferlegten Gebühren nicht ermitteln können; diese letztern sind mit denjenigen, die von andern Wanderberufsarten bezogen werden, vereinigt. Wenn man aber vom Bekannten zum Unbekannten vorschreitet, wenn man die Zahlen derjenigen Kantone betrachtet, wo diese Einnahmen in verschiedene Rubriken eingetheilt und die von den Handelsreisenden herrührenden besonders gerechnet sind, so kann man sich leicht vergegenwärtigen, wie viel diese Einnahmen in der ganzen Schweiz betragen.

Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

3

34

Zürich.

1889.

1890.

Handelsreisende Fr. 8,100. -- Fr. 8,500. -- Hausirer ,, 40,700. -- ,, 42,150. -- Inhaber von Wanderlagern . . ,, 350. -- ,, 400. -- Andere Wandergewerbe. . . . ,, 11,300. -- ,, 11,900. -- Fr. 60,450. -- Fr. 62,950. -- Bern.

Hausirhandel und Wanderlager . Fr. 38,905. 10 Fr. 43,548. 40 Kunstgewerbe ,, 12,104. 80 ,, 11,836. 55 Knochen- und Lumpenhandel . . ,, 1,253. 50 ,, 1,250. -- Handelsreisende ,, 5,068. 20 ,, 4,931. 70 Fr. 57,331. 60 Fr. 61,566. 65 Luzern.

Hausirhandel Wandeiiager Handelsreisende

Fr. 9,206. -- Fr.

,, 135. -- ,, ,, 2,620. -- ,,

8,715. -- 105. -- 2,870. --

Fr. 11,961. -- Fr. 11,690. --

Uri.

Handelsreisende nnd Hausirer

. Fr.

3,622. -- Fr.

3,189. --

Schwyz.

Handelsreisende, Hausirhandel und Wanderlager Fr. 15,780. -- Fr. 15,627. -- Obwalden.

Hausirer

Fr.

1,744. 50 Fr.

2,804. 75

Nidwaiden.

Handelsreisende nnd andere Wandergewerbe Fr.

1,554. -- Fr.

1,769. --

Glarus.

Wandergewerbe

8,138. -- Fr.

9,521. 5»

Fr.

35

Freiburg.

Hausirer Standkrämer Handelsreisende

'

1889.

Fr. 9,305. -- Fr.

,, 40. -- ,, ,, 75. -- ,,

1890.

5,170. -- 40. -- 1,110. --

Fr.

9,420. -- Fr.

6,320. --

Solothurn.

Wandergewerbe

Fr.

9,610. --

Baselstadt.

Hausirer Wanderlager

Fr.

,,

9,218. -- 769. --

Fr.

,,

9,261. -- 679. --

Fr.

9,987. -- Fr.

9,940. --

Bemerkung. Die Taxe für Keisende im Kanton nicht niedergelassener Handelshäuser ist im Jahre 1890 wieder eingeführt worden.

Baselland.

Handelsreisende Hausirer

--

--

Fr. 3,520. -- 'Fr. 3,120. -- ,, 10,620. -- ,, 10,593. -- Fr. 14,140. -- Fr. 13,713. --

Schaffhausen.

Handelsreisende Hausirer und dergleichen .

Appenzell A.-Rh.

Gesammtgebühren Handelsreisende

Fr.

.

.

fl

1,215. -- Fr.

7,189. -- ,,

Fr.

8,404. --

Fr.

,,

8,283. -- Fr.

1,972. 50 ,,

1,891. -- 8,565. --

Fr. 10,456. -- 9,268. 25 2,080. 50

Fr. 10,255. 50 Fr. 11,348. 75 Appenzell I.-Rh.

Sämmtliche Wandergewerbe . . Fr.

St. Gallen.

Hausirer Handelsreisende

923. -- Fr.

1,027. --

Fr. 37,010. -- Fr. 35,490. -- ,, 9,208. -- ,, 9,550. -- Fr. 46,218. --

Fr. 45,040. --

36

Graubünden.

Wandergewerbe

Fr.

Aargau.

Markt-und andere Wandergewerbe

Fr. 25,755. 90 Fr. 26,705. 85

Thurgau.

Handelsreisende : 159 Patente 161 ,, Hausirer : 1518 Patente 1780 ,, Andere Gewerbe: 325 Patente 407 ,,

Fr.

1889.

9,171. 80 Fr.

1890.

9,991. 75

4,172. 50 Fr.

4,162. --

,, 17,754. 90 ,, 18,570. 40 ,,

2,644. 20 ,,

4,630.-

Fr. 24,571. 60 Fr. 27,362. 40 Tessin.

Verschiedene Wandergewerbe.

. Fr.

7,603. -- Fr.

6,992. --

Waadt.

Hausirer und Inhaber von Wanderlagern Fr. 28,417. -- Fr. 27,152. -- Herumziehende Künstler n. Handwerker ,, 15,091. -- ,, 15,991. -- Die Besteuerung des Ausverkaufs von Waarenlagern wird den Gemeinden überlassen, welche eine tägliche Gebühr von höchstens 10 Franken erheben dürfen. In den vier letzten Jahren hat die Stadt Lausanne allein durchschnittlich 18,500 Fr. eingenommen.

Fr. 43,508. -- Wallis.

Verschiedene Wandergewerbe . . Fr.

7,847. --

Fr. 43,143. -- --

--

37 »

Neuenburg.

Hausirer Wanderlager

1889.

1890.

Fr. 10,179. -- Fr. 11,515. 50 ,, 1,092.^90 ,, 1,728. 20 Fr. 11,_. ,,v/

Genf.

Hausirer Standkrämer

Fr. 13,243. 70

Fr.

,,

3,154. -- Fr.

642. -- .,

2,902. -- 710. --

Fr.

3,796. -- Fr.

3,612. --

Aus den hier angegebenen Zahlen kann man den Schluß ziehen, daß der Ertrag der den Handelsreisenden auferlegten Patentgebühren in den Kantonen, wo solche bezogen werden, vom Gesammterträgniß der Wandergewerbe etwa den sechsten Theil ausmacht, und daß andererseits der Gesammtertrag der den Handelsreisenden auferlegten Gebühren in der Schweiz die jährliche Summe von 50,000 Fr. nicht übersteigt.

III.

Die Verträge und die ausländische Gesetzgebung.

Wir haben gesehen, daß die meisten Kantone in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1848 mit verschiedenen deutschen Staaten und mit Italien besondere Uebereinkünfte abschlössen in Bezug auf die Gebährenfreiheit der Handelsreisenden.

Was heute dieser Frage eine ganz besondere Bedeutung verleiht, was sie zu einer verwickelten macht und von den Verhältnissen anderer Wandergewerbe unterscheidet, das ist das internationale Gepräge, welches die zahlreichen Verträge, die auf diesem Gebiete zwischen dem Auslande und der Schweiz bestehen, ihr aufgedrückt haben. Die Schweiz darf die durch diese Verträge geschaffene Sachlage nicht unberücksichtigt lassen, wenn sie sich mit ihrer inneren Einrichtung befaßt; sie hat noch stets, wenn sie dies etwa versuchte, sich Unannehmlichkeiten und Täuschungen ausgesetzt.

Um also die Stellung unserer Handelsreisenden in der Schweiz richtig zu würdigen, muß man sich genau vergegenwärtigen, was die Verträge mit sich hringen, sowohl für die Ausländer in der Schweiz, als für die Schweizer im Ausland.

38

Frankreich.

Der am 23. Februar 1882 mit Prankreich abgeschlossene Handelsvertrag stellt in Art. 22 Folgendes fest: ,,Die schweizerischen Handelsreisenden, welche für Kechnung eines schweizerischen Handelshauses Frankreich bereisen, und umgekehrt die französischen Handelsreisenden, welche für Rechnung eines französischen Handelshauses die Schweiz bereisen, können, ohne dafür eine Patenttaxe entrichten zu müssen, auf Vorweisung einer Legitimationskarte nach dem in Beilage H zu gegenwärtigem Vertrag enthaltenen Muster, oder auf den einfachen Ausweis ihrer Identität hin, Einkäufe für das von ihnen betriebene Geschäft machen und -- mit oder ohne Muster -- Bestellungen annehmen, Jedoch ohne mit Waaren zu hausiren."

Diese vollkommen klare Bestimmung hat in der Praxis niemals zu Schwierigkeiten geführt. Die schweizerischen Handelsreisenden, welche in Frankreich Geschäfte machten, hahen nie irgendwelche Klage erhoben. Ebenso verhält es sich mit Bezug auf die französischen Handelsreisenden in der Schweiz. Unseres Wissens ist ein einziger Fall vorgekommen, wo dieser Vertrag nicht zu einer Meinungsverschiedenheit wegen seiner Auslegung, aber zu einem offenbaren Mißverständniß Veranlassung gab. Im letzten Frühling wurde ein aus dem Kanton Bern gebürtiger Reisender, welcher für ein Pariser Haus Waaren absetzte, vom Polizeigerichte Delsberg zu einer Buße verurtheilt, weil er als Schweizerbürger ein Patent hätte lösen sollen.

Allein der Bundesrath hat auf Grund des Handelsvertrages dieses Urtheil aufgehoben, in der Erwägung, daß es sich um ein französisches, unter dem Schutz des Vertrages stehendes Geschäftshaus handle, und daß die Nationalität seines Handelsreisenden nicht in Betracht falle.

a Ich könnte noch den Rekurs des Kleidergeschäftes Blum-Javal anführen, welches zwei Niederlassungen, in Bern und in Besançon, hat, und welchem der Kanton Aargau eine Patentgebühr auferlegte, weil dasselbe für ein bernisches Handelshaus reisen lasse. Dieser Eekurs wurde vom Bundesrathe abgewiesen, weil es dem Keisenden der Herren Blum-Javal nicht gelang, den Beweis zu leisten, daß die Bestellungen, welche er aufnahm, von dem Hause in Besançon ausgeführt wurden.

Deutschland.

Der Niederlassungsvertrag mit Deutschland vom 27. April 1876 sagt in Artikel 6 :

39

,,Jeder Vortheil in Bezug auf Niederlassung und Gewerbeausubung, den der eine der vertragenden Theile irgend einer dritten Macht, auf welche Weise es immer sei, gewährt haben möchte oder in Zukunft noch gewähren sollte, wird in gleicher Weise und zu gleicher Zeit gegenüber dem andern vertragenden Theile zur Anwendung kommen, ohne daß hiefür der Abschluß einer besondern Uebereinkunft nöthig wird."

Eine der unmittelbaren Polgen dieser Bestimmung war die, daß der Artikel 22 des Handelsvertrages mit Frankreich auch auf die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz anwendbar ·wurde.

Dies wurde übrigens in dem Handelsvertrag mit Deutschland, vom 1. Juli 1881, ausdrücklich bestätigt, dessen Artikel 10 lautet: ,,Kaufleute, Fabrikanten und andere Gewerbetreibende, welche sich darüber ausweisen, daß sie in dem Staate, wo sie ihren Wohnsitz haben, zum Gewerbebetriebe berechtigt sind, sollen, wenn sie persönlich oder durch in ihren Diensten stehende Beisende Ankäufe machen oder Bestellungen, auch unter Mitfübrung von Mustern, suchen, in dem Gebiete des andern vertragschließenden Theiles keine weitere Abgabe hiefür zu entrichten verpflichtet sein.a Eine gleichlautende Bestimmung enthielt Artikel 9 des Vertrages mit dem Deutschen Zollverein.

Es folgte eine lebhafte Besprechung der Frage, ob der genannte Artikel 10 sich bloß auf diejenigen Reisenden beziehe, welche ausschließlich bei den Handelsleuten Bestellungen aufnehmen.

Der Bundesrath hatte dem Vertrage mit dem Zollverein die weitestgehende Auslegung gegeben, indem er in Betreff des Luzerner Gesetzes sagte, die engherzige Auslegung, zu welcher man in der Schweiz gelangt sei, würde zu Zwiespalt mit den auswärtigen Staaten, insbesondere mit Deutschland, führen.

Aber infolge des Postulates der nationalräthlichen Geschäftsprüfungskommission vom Jahre 1878 änderte er plötzlich seine Anschauungsweise und erklärte die den Handelsreisenden durch die neuen Gesetze der Kantone Bern und Baselland auferlegten Taxen als grundsätzlich \vohlberechtigt. Er legte also den Art. 10 des Handelsvertrages mit Deutschland im Sinne der Einschränkung aus.

Diese Auslegung des Vertrages mußte in Deutschland um so günstiger aufgenommen Werden, als man damals in diesem Lande sich gerade bemühte, das Wandergewerbe einer strengen Aufsicht zu unterstellen. Die deutsche Regierung erklärte sich bereit, in das Protokoll über die Auswechslung der Ratifikationen den aus-

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drücklichen Vorbehalt aufzunehmen, daß die auch in den neuen Vertrag übergegangene Bestimmung des alten Vertrages mit Bezug auf die Taxbefreiung der Handelsreisenden wie bisher ausgelegt und folglich nur auf die Aufsuchung von Bestellungen bei Kaufleuten und Gewerbetreibenden angewendet werden solle.

Man hat daraus den meiner Ansicht nach richtigen Schluß gezogen, daß die von den Kantonen den Handelsreisenden auferlegten Patenttaxen auch auf die Eeisenden aus Deutschland anwendbar seien.

Die Auffassungen wechselten jedoch diesfalls von Kanton zu Kanton.

Ich werde im Laufe dieser Arheit Gelegenheit haben, eingehender von einer Verordnung zu sprechen, kraft welcher in Deutschland die Ortsbehörde die Bewilligung, zu hausiren oder Bestellungen aufzunehmen, mit der Begründung verweigern kann, es sei für diese oder jene Artikel kein fühlbares Bedürfniß vorhanden. Wenn eine solche Verordnung wirklich besteht, so hat sie doch nicht allgemeine Geltung; denn sonst würde man nicht jedes Jahr die nämlichen Klagen über das wachsende Ueberhandnehmen der Hausirer hören.

Wie dem auch sei, so viel ist sicher bei dem gegenwärtigen Eechtszustand, daß eine auf Gegenseitigkeit beruhende Taxfreiheit in Deutschland in That und Wahrheit nicht gewährt wird.

Der Bundesrath sagt in seinem Geschäftsbericht über das Jahr 1878: y,Von selbst versteht es sich, daß Auswärtige Dicht bessern Rechtes sein dürfen, als Inländer; aber es liegt Angesichts der Bestimmungen, welche in verschiedeneu deutschen Staaten diesfalls bestehen, sowie Angesichts der Vorschrift von Artikel l, Absatz 2. des Niederlassungsvertrages mit Deutschland kein Grund zu der Annahme vor, daß deutscherseits dem Handels- und Zollvertrage von 1869 eine Auslegung zu gehen versucht werden sollte, bei welcher die angefochtenen Gesetze nicht bestehen, oder ihre Vorschriften nicht auf deutsche Geschäftsleute Anwendung finden könnten."

Der citirte zweite Absatz hat folgende Passung: ,,Jede Art von Gewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, wird es auf gleiche Weise auch den Deutschen sein, und zwar ohne daß ihnen eine pekuniäre oder sonstige Mehrleistung auferlegt werden darf."

Man findet eine wörtliche Wiederholung dieser Bestimmung in dem mit Deutschland unterm 31. Mai 1890 abgeschlossenen Niederlassungsvertrag ; dieselbe
muß mit dem Artikel 7 des gleichen Vertrages in Verbindung gebracht werden, welcher seinerseits eine wörtliche Wiederholung des Artikels 6 des Niederlassungsvertrages von 1876 ist.

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Oesterreich-Ungarn.

Der Handelsvertrag mit diesem Reiche vom 14. Juli 1868 enthielt folgende Bestimmung: ,,Art. VI. Kaufleute, Fabrikanten und andere Gewerbetreibende, welche sich darüber ausweisen, daß sie in ihrem Lande die gesetzlichen Abgaben entrichten, können, wenn sie für das von ihnen betriebene Geschäft persönlich oder durch ihre Eeisenden Einkäufe machen und -- mit oder ohne Muster -- Bestellungen suchen, dafür in den Gebieten des andern vertragenden Theiles keiner weitern Abgabe unterliegen."· Demgemäß war die Lage ebenso zweifelhaft wie -gegenüber Deutschland. Es war nicht ausdrücklich gesagt, daß man blos die Aufsuchung von Bestellungen bei Kaufleuten im Auge habe.

Seither hat die Schweiz am 23. November 1888 einen neuett Vertrag mit Oesterreich-Ungarn abgeschlossen, in welchem den Angehörigen dieses Staates die Stellung der meistbegünstigten Nation zugesichert wird, immerhin unter dem Vorbehalte, daß ihnen unter keinen Umständen in der Schweiz eine bessere Stellung als den Einheimischen eingeräumt werden dürfe.

Es ergibt sich hieraus, daß gegenwärtig die Handelsreisenden dieser beiden Länder, wenn sie bei Privaten Bestellungen aufnehmen, die kantonalen Taxen zu entrichten haben.

In Oesterreich stellt man den schweizerischen Reisenden wirklich große Hindernisse entgegen. Ganz kürzlich wurde der Reisende eines bedeutenden St. Galler Handlungshauses, welcher nur die Engrosgeschäfte in Vorarlberg und Tyrol besuchte, an der Grenze bei St. Margrethen mit seinem Fuhrwerk zurückgewiesen, obgleich er einen vom österreichischen Konsulate ausgestellten Beglaubigungsschein bei sich trug.

Italien.

Der Handelsvertrag vom 1. Februar 1884 stellte in Artikel 11 die Taxbefreiung und die gleichmäßige Behandlung der Reisenden eines jeden der beiden Länder fest, welche im andern Lande, mit oder ohne Muster, Bestellungen aufnehmen.

Am 23. Januar 1889 wurde ein neuer Vertrag abgeschlossen, welcher Italien, wie derjenige mit Oestereich-Ungarn, die Rechte der meistbegünstigten Nationen gewährt, ohne daß die italienischen Staatsangehörigen jemals darauf Anspruch machen können, besser als die Schweizer behandelt zu werden. Die italienischen Reisenden, welcheBestellungen von Haus zu Haus aufnehmen, sind also in den Kantonen, welche Patentgebühren verlangen, ebenfalls taxpflichtig.

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Selbstverständlich haben die Bestimmungen betreffend die Handelsreisenden vorzugsweise im Verkehr mit den an die Schweiz grenzenden Ländern Bedeutung. Bei den Beziehungen mit andern, weiter entfernten Ländern finden dieselben natürlich viel seltener Anwendung.

Es seien indessen hier noch folgende weitere Verträge erwähnt: 1. Der Handels- und Niederlassungsvertrag mit Dänemark vom 10. Juli 1875, der Handels- und Niederlassungsvertrag mit Großbritannien und Irland vom 6. März 1856, der Handelsund Niederlassungsvertrag mit den Niederlanden vom 1. Oktober 1878, die Niederlassungs- und Konsularübereinkunft mit Serbien vom 16. Februar 1888, welche alle vom Standpunkte der meistbegünstigten Nation aus abgeschlossen wurden; 2. Die Handelsübereinkunft mit Rumänien vom 30. März 1878, welche ausdrücklich besagt, daß die Handelshäuser beider Länder und ihre Reisenden mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen können, sofern sie nicht Waaren mit sich führen; 3. Der Handelsvertrag mit Spanien vom 14. März 1883, welcher in Artikel 9 feststellt, dalS die Handlungshäuser des einen Landes und ihre Eeisenden im andern Lande mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen können, ohne irgend eine Taxe entrichten zu müssen, sofern sie keine Waaren mit sich führen ; 4. Der Handelsvertrag mit Belgien vom 3. Juli 1889, welcher in Artikel 5 feststellt, daß die Handelsreisenden, welche in der Schweiz ein in Belgien niedergelassenes Geschäftshaus vertreten, hinsichtlich der Patentgebühr wie die einheimischen Reisenden behandelt werden sollen.

Ich lasse die Verträge und Verkommnisse mit den außereuropäischen Ländern unberücksichtigt.

Zur Vergleichung füge ich einige Angaben darüber bei, wie es in andern Ländern des Kontinents in Beziehung auf die eigenen Handelsreisenden gehalten wird.

In Oesterreich-Ungarn, Bulgarien, Prankreich, Griechenland, Italien, Portugal und in der Türkei genießen die einheimischen Handelsreisenden vollkommene Freiheit und sind keinerlei Beschränkungen unterworfen.

In Belgien bezahlen sie eine Gebühr von 10 Pranken, und für Muster wird, wenn dieselben als Waaren untergebracht werden können, eine Eingangsgebühr bezahlt, welche beim Weggang des Eeisenden zu entrichten ist.

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In Holland beträgt die Patentgebühr 26 Mark, im Uebrigen gelten die gleichen Bestimmungen wie in Belgien.

In Dänemark dürfen im Ausland niedergelassene dänische oder auswärtige Geschäftshäuser nur in Kopenhagen und in den andern Städten und nur mit den Kaufleuten Geschäfte für einen Minimalbetrag von 25 Mark abschließen. Sie müssen im Ausschiffungshafen einen Beglaubigungsschein lösen, auf welchem die Art ihres Handels und ihr Wohnort angegeben ist. Dieser Schein ist für ein Jahr gültig und kostet 156 Mark. Wenn der Reisende Vertreter eines zweiten Hauses ist, so muß er einen Zuschlag von 88 Mark bezahlen.

Uebertretungen werden mit starken Bußen belegt.

In Deutschland haben die Einheimischen keine Patentgebühr zu be'/.ahlen, wenn sie nur mit Mustern reisen; wenn sie aber Waaren mit sich führen, werden sie als Detail-Handelsreisende betrachtet und müssen hohe Gebühren entrichten.

In Spanien werden Beglaubigungsscheine verlangt. Wenn der Eeisende Waaren mit sich führt, wird er den Hausirern gleichgestellt.

In Schweden gibt es für drei Monate gültige Erlaubnisscheine, welche 112 Mark kosten und gegen eine Nachzahlung von 25 Mark per Monat erneuert werden können. In Norwegen haben die Handelsreisenden nur an den Märkten und bei den Kaufleuten Zutritt.

In Eußland herrscht völlige Freiheit, abgesehen von Finland, wo monatliche Erlaubnißscheine zum Preise von 100 Mark ausgegeben werden.

Nirgends außer in der Schweiz werden die Ausländer besser behandelt, als die Einheimischen.

IV. Kundgebungen der öffentlichen Meinung aus den letzten Jahren.

1. Die Presse.

Die Entwicklung der Ansichten über die vorwürfige Frage ist vor Allem in der Presse zu verfolgen.

Eine große Zahl Zeitungen hat wiederholt die Frage der Wandergewerbe im Allgemeinen und die der Handelsreisenden im Besondern erörtert. Ich habe sie nicht alle bei der Hand und könnte sie nicht alle anführen. Es wird genügen, einige Bruchstücke von Artikeln zu zitiren, um sich die verschiedenen Meinungen, welche zum Ausdruck gekommen sind, zu vergegenwärtigen.

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Ich hatte bereits Gelegenheit, zu sagen, daß die Schweiz auf diesem Gebiete wie auf vielen andern dasjenige, was im Auslande gesprochen wird und vorgeht, mit Aufmerksamkeit verfolgt und wiedergibt. Unsere Zeitungen merken sich sorgfältig die Wegloitungen, welche von andern Ländern kommen. Es ist dies Modesache. Gegenwärtig überwiegt der Einfluß Deutschlands. Es wird so bleiben, bis wieder ein anderer Einfluß in Europa die Oberhand gewinnt.

Die ,, N e u e Z ü r c h e r Z e i t u n g " vom 18. Dezember 1885 erwähnte einen Beschluß der oberbayrischen Handels- und Gewerbekammer, durch welchen der Grundsatz aufgestellt wurde, daß die Handelsreisenden den Hausirern gleichgehalten und an Ausländer keine Hausirpatente verabfolgt werden sollen.

Die nämliche Zeitung brachte in ihrer Nummer vom 25. Fehruar 1886 die Nachricht, die Handelskammer von Eavenshurg (Württemberg) habe beschlossen, einen Zusatz zum deutschen Gewerbegesetz zu verlangen, um die Aufnahme von Bestellungen bei den Privatpersonen zu verbieten.

Die Veröffentlichung dieser Nachrichten schien den Zweck zu haben, in der Schweiz ähnliche Bestrebungen wachzurufen und zu ermuntern.

Der in Zürich erscheinende ,, M e r k u r a ist das amtliche Organ des Vereins der schweizerischen Handelsreisenden. Er verdient aus diesem Grunde eine besondere Erwähnung.

Die Nummer dieses Blattes vom 19. Dezember 1885 enthält eine allgemeine Anklage gegen die Wandergewerbe. Es werden da längst bekannte Argumente in's Feld geführt. Man schreibt der Zeitung hierüber aus Luzern : ,,Es herrscht in Handelskreisen oft die ganz unrichtige Meinung, daß deutschen Hausirern laut Handelsvertrag ein Hausirpatent nicht verweigert werden könne. Laut Artikel 10 des Handelsvertrages mit Deutschland vom Jahre 1881 hat der Fremde nur Anspruch auf Bewilligung des Gewerbebetriebs, wenn er sich über einen Wohnsitz bei uns ausweist. Vom Hausirhandel ist übrigens im Handelsvertrag mit Deutsehland gar keine Rede, im Gegentheil ist im Schlußprotokoll zu Artikel 10 noch Folgendes vereinbart worden : nDie mit der Gewerbelegitimationskarte versehenen Reisenden dürfen wohl Waarenmuster, aber keine Waaren mit sich führen."

Man sieht, wie sehr die Konkurrenz der deutschen Reisenden und die Behandlung, welche den schweizerischen Reisenden in Deutschland zu Theil wird, die Ansichten beeinflußt.

45 Ein Korrespondent aus St. Gallen machte in demselben Blatte den Vorschlag, eine Gesellschaft zu gründen, deren Mitglieder sich verpflichten, weder von Hausirern noch von Handelsreisenden etwas au kaufen.

Die Nummer vom 7. Juli 1888 enthält einen Artikel über die Frage der Handelsreisenden in ihrer Gesammtheit. ,,Langsam und sicher in Sachen vorzugehen'"1, heißt es da, ,,wird unserm Lande und Verkehr mehr nützen, als die kurze, auf den ersten Blick richtig erscheinende Forderung vor die eidgenössischen Käthe zu bringen, die schweizerischen Patenttaxen, für Detailreisende einfach abzuschaffen. Es würde dies die Anomalie, daß die Franzosen diesfalls bessern Eechtes sind, als unsere Schweizerbürger, allerdings aufheben. Aber was wären die Folgen davon? Würden wir Schweizer uns dabei besser stellen? Das Gegentheil wäre der Fall. Anstatt, daß gegenwärtig eine nicht sehr große Zahl Franzosen unsere Privathäuser mit Offerten in französischen Weinen und Konfektionen heimsuchen, würden wir, in Folge unserer herrlichen Meistbegünstigungsverträge, mit einer Legion deutscher, österreichischer, italienischer Detailreisenden überfluthet. Die Zahl unserer eigenen Leute würde durch die Abschaffung der Taxen sich natürlich auch noch vermehren, und dann gnade Gott den Privathäusern, welche keine verschließbare Gartenpforte besitzen, die würden buchstäblich abgelaufen und bestürmt wie Kriegsfestungen. Welcher Schaden dadurch unserm Kleinhandel und -Gewerbe erwachsen würde, läßt sich, abgesehen von der Unannehmlichkeit und Zudringlichkeit, leicht ermessen an dem Stadium unserer gegenwärtigen Hausirerei, die auch zur Landplage geworden ist."

Die Eedaktion der Zeitung fügt folgende Anmerkung bei: ,,Der geehrte Herr Korrespondent wird uns hiezu die Bemerkung gestatten, daß auch von Seiten der Eeisenden jede Aenderung, wenn nur Einheit hergestellt wird, den Vorzug vor dem heutigen Zustand erhält Was ist das für ein unwürdiger Zustand, wenn gebildete Männer, die in ungehindertem Geschäftsverkehr die halbe Welt durchreist haben, dem Geschicke anheimfallen, wie vagirende Handwerksburschen behandelt zu werden !tt Die Nummer vom 15. März 1890 führt in lohender Weise das neue luzernische Gesetz über die Wandergewerbe an, und der Korrespondent macht mit Befriedigung darauf aufmerksam, daß in demselben auch die Aufnahme von Subskriptionen für Bücher, Zeitungen und illustrine Werke, sowie die Erhebung von Bestellungen bei Privatpersonen als Wandergewerbe erklärt werden.

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Das vom ,, M e r k u r " angeführte ,, L u z e r n e r T a g b l at t "· sagt, dieses Gesetz werde dem Publikum und den seßhaften Kaufleuten zum Schutze dienen.

Die in St. Gallen erscheinende ,,0 st s e h w e i z t t veröffentlicht in ihrer Nummer vom 21. Fehruar 1891 folgende Notiz: ,,Es kann ein Oesterreicher ohne jede weitere Umständlichkeit und Geldauslage auf Grund seines Heimatscheines in der Schweiz Besuche, respektive Verkäufe nach Mustern bei jedem Privaten machen (Detailreisen, Hausiren), während der Schweizer gezwungen ist, nicht nur die in Oesterreich je nach Ansicht der betreuenden Polizeibehörde, die gerade erfahrungsgemäß in dieser Angelegenheit sich ·wohl nicht unabsichtlich keiner besondern Eile befleißigt, unglaublich genau gestellten gemeindepolizeilichen Vorschriften zu beachten, wobei nicht nur Stunden, sondern Tage der besten und nicht sehr billigen Arbeitszeit verloren gehen, sondern es muß derselbe noch eine von der Steuereinschätzungskommission festgestellte Steuer (Geschäftssteuer, nicht Patent) bezahlen, für ßagatellverkäufe in 14 Tagen zirka 200 bis 400 G-ulden, und nicht in Raten, sondern für das ^ganze Jahr zum Voraus. Außerdem entwickelt aber die Polizei und Steuerbehörde in Oesterreich (meine Erfahrung betrifft speziell Vorarlberg) in diesem Punkte eine Energie und Sicherheit, die beinahe einer wichtigern Sache würdig wäre, während die schweizerische Polizeibehörde größtentheils eine ebenso große Gutmüthigkeit zeigt.

Auch die Stadt St. Gallen gehört noch lange nicht zu den besonders scharfen, und wäre ein kleines Studium im Kanton Thurgau, wo eine musterhafte Genauigkeit existirt, schon der Mühe werth, da damit dem Staate nicht nur etwas Geld eingeht, sondern auch der ansäßige Geschäftsmann, der über zu niedrige Steuern sich gewiß nicht mehr beschweren kann, doch einigermaßen geschützt ist. Deßhalb mit etwas mehr Genauigkeit in Ausführung der bestehenden Gesetze und etwas weniger Gutmüthigkeit bei Abschluß der Verträge könnte mancher Uebelstand zum Mindesten erträglicher gemacht werden.11 Ich muß bemerken, daß mir der Ausgangspunkt dieses Artikels auf einem Irrthum zu beruhen scheint. Man kann nicht mit Recht behaupten, die österreichisch-ungarischen Handelsreisenden seien jetzt in der Schweiz besser gestellt als die einheimischen. Nach dem Vertrage vom 23. November
1888 haben dieselben eine Patenttaxe zu entrichten in allen denjenigen Kantonen, wo schweizerische Eeisende zu einer solchen verhalten werden.

Soviel von der negativen Richtung.

Die Kundgebungen eines weniger engherzigen Standpunktes sind, weit zahlreicher. Ich muß darauf verzichten, sie alle wiederzugehen..

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Ich will insbesondere die Zeitungsartikel nicht besonders erwähnen, welche zu wiederholten Malen in der französischen Schweiz erschienen sind und zwar immer in einem der unbeschränkten Freiheit günstigen Sinne.

Wir haben oben gesehen, daß der ,, M e r k u r " , obwohl er das offizielle Organ der Handelsreisenden ist, doch Mittheilungen aufnimmt, welche den Begehren derselben widersprechen. Andere Artikel des nämlichen Blattes vertreten besser die Anschauungen dieses Vereins.

Die Nummer vom 26. Mai 1888 weist auf die Ungleichheit hin, welche mit Bezug auf die zwischen Deutschland und der Schweiz bestehende Gegenseitigkeit herrscht. In einigen Theilen Deutschlands bewilligt man den Schweizern kein Patent, wenn das Bedürfniß nach dem zum Kauf ausgebotenen Artikel in der Gegend nicht fühlbar ist. Die Beseitigung dieses Vorbehalts müsse verlangt werden. Es sei zu vermuthen, daß Deutschland bei der Erneuerung des Handelsvertrages für seine Angehörigen die gleichen Vortheile verlangen werde, welche den Franzosen eingeräumt werden. Dies sei ein Grund mehr, die vorwürfige Frage vor den Unterhandlungen über einen neuen Vertrag auf dem Bundeswege zu regeln. Der Beinertrag der Patentgebühren könne an die Kantone vertheilt werden, wie der Reinertrag des Alkoholmonopols. Deutschland habe im Protokoll von 1881 der Abschwächung beigestimmt, daß die Taxbefreiung sich nur auf die Reisenden beziehen solle, welche Kaufleute besuchen.

Allein wenn wir nichts thun, werde Deutschland bei der Vertragserneaerung völlige Freiheit verlangen. Es ist zu bemerken, daß die zürcherische Kommission den Gedanken an völlige Taxfreiheit für diejenigen Reisenden, welche bei Privaten Bestellungen aufnehmen, aufgegeben hat.

Die Nummer vom 4. Mai 1889 kommt auf den Gegenstand zurück. Die Durchschnittsziffer der kantonalen Taxen, welche die Handelsreisenden gegenwärtig treffen, beträgt 400 Fr. jährlich. Man könnte mit einer Einheitstaxe nicht so weit gehen. Es werden 150 Fr.

vorgeschlagen. Statt zu sagen: Der einheimische Reisende muß von jeder Taxe befreit sein, wie der ausländische, müsse man den Satz umkehren und sagen: Der ausländische Reisende muß der gleichen einheitlichen Taxe unterstellt werden, wie der schweizerische. In den großen Kantonen sollte der Erleichterung wegen das Patent nicht nur am Begierungssitze, sondern in
den Grenzbezirken ausgestellt werden. Für die Uebertretungen sollte man gleichförmige Strafbestimmungen aufstellen.

Ich bemerke, daß die angeführte Berechnung offenbar falsch ist. Der Durchschnitt der kantonalen Taxen für die Handelsreisenden.

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beträgt nicht 400 Fr., jährlich, oder wenigstens ist dies nur in der Theorie der Fall. Um diesen Betrag zu erreichen, müßten die Handelsreisenden das ganze Jahr unterwegs sein. Allein bekanntlich erscheinen sie nur zu gewissen Zeiten des Jahres. Wenn man den Betrag auf die Hälfte ermäßigt, wie wir gethan haben, kommt man der Wahrheit näher. Um den Durchschnittsertrag festzustellen, muß man nämlich noch in Betracht ziehen, daß die Patente je nach dem Werth der Waaren in Klassen abgetheilt werden, und daß diejenigen der untern und mittlern Klassen die weitaus zahlreichsten sind.

Die ,, S c h w e i z e r I n d u s t r i e - und H a n d e l s - Z e i t u n g a in St. Gallen bringt in ihrer Nummer vom 29. Mai 1889 einen Artikel der ,,Deutschen Industrie-Zeitung" über den Beruf der Handelsreisenden. Dieser Beruf, sagt sie, wird immer mehr zur Grundlage des internationalen Verkehrs. Man trifft deutsche Reisende in allen überseeischen Ländern. Die Berliner Kleidergeschafte schicken jedes Jahr mehr als tausend Reisende in alle Länder der Erde. Die Fabrikanten von Kurzwaaren, von Lederwaaren, von Spielwaaren der gleichen Stadt senden mehr als achthundert Reisende aus, die Weißwaarenhändler drei- bis vierhundert. Die Eeisenden in Artikeln aus versilberten Metallen oder aus Gold und Silber, in Posamenteriewaaren, Haud.schuhwaaren, Pelzwerk und Teppichen übersteigen auch die Zahl tausend. Es gibt allermindestens sechstausend Beisende aus Berlin in allen Ländern Deutschlands, des übrigen Europa und jenseits des Meeres.

In den Vereinigten Staaten, sagt das ,, B r i t i s h T r a d e - J o u r n&l*, herrscht eine sehr entschiedene Bewegung, welche dahin geht, es möchten die Taxen der Handelsreisenden abgeschafft werden.

In Frankreich beschäftigt man sich damit, ihnen Eisenbahnbillete zu herabgesetztem Preise zu verschaffen.

In Elbeuf haben etwa zwanzig kleine Fabrikanten sich zusamraengethan, um auf gemeinsame Kosten Eeisende zu unterhalten, welche ihre Muster mit sich fähren.

2. Die Vereine.

Am 9. Februar 1889 hat die unter dem Vorsitz des Herrn Cramer-Prey tagende Schweizerische Handelskammer von einer umfangreichen und interessanten Denkschrift über diesen Gegenstand Kenntniß genommen, deren Uebermittlung an's Eidg. Justiz- und Polizeidcpartement der Vorort ihr beantragte. Dieses Aktenstück verdient eine eingehende Betrachtung.

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Den Sektionen waren folgende drei Fragen vorgelegt worden: ,,1. Erachten Sie ein sofortiges Vorgehen des Vereins in der Frage der Aufhebung der Patenttaxen der Handelsreisenden für angezeigt ?

2. Wenn Ja: sind Sie einverstanden mit der Ausarbeitung einer diesbezüglichen Eingabe an den h. Bundesrath für sich und zu Händen der h. Bundesversammlung durch den Vorort; oder schlagen Sie andere Mittel und Wege vor?

3. Wünschen Sie, daß der in der Volksabstimmung vom 11. Mai 1884 verworfene Bundesbeschluß vom 11. Dezember 1883 in der gleichen Passung wieder aufgenommen werde ; oder wünschen Sie dessen Ersetzung durch einen neuen bessern Entwurf?"

Der T h u r g a u i s c h e H a n d e l s - u n d G e w e r b e v e r e i n spricht sich sehr entschieden für die Beibehaltung des status quo aus. Seine Beweisführung ist indessen eine nur oberflächliche, keine stichhaltige, wenn er sagt : Die französischen Reisenden genießen allerdings in der Schweiz vollkommene Freiheit, aber die schweizerischen Reisenden werden in Prankreich ebenso behandelt, nnd das Uebrige hat wenig zu bedeuten.

Er steht übrigens mit seiner Ansicht allein da.

Andere Vereine glauben, man solle einstweilen keine Schritte thun, aber nur aus Opportunitätsgründen.

Der B a s l e r I n d u s t r i e - und Ge wer b e v e r e i n glaubt, es bestehe eine der Sache feindselige Strömung; die kleinen Handelsleute seien der Taxbefreiung der Handelsreisenden nicht günstig gestimmt ; viele Gemeinden halten am Bezug ihrer Gebühren fest ; man müsse einen nochmaligen Mißerfolg vermeiden.

Die F i n a n z - und H a n d e l s d i r e k t i o n des Kantons Glarus spricht sich in gleichem Sinne aus ; der Zug der Zeit gehe nach Erhöhung und nicht nach Abschaffung der Gebühren ; ein Versuch, die Kantonalsouveränität auf diesem Gebiete einzuschränken, würde schlechte Aufnahme finden ; die Ansichten hierüber weichen von Kanton zu Kanton zu sehr ab, als daß man eine einheitliche Gebühr einführen könnte; manche Kantone wüßten nicht, wie sie diesen Einnahme-Ausfall wieder ersetzen sollten.

Die andern Sektionen, welche einer neuen Lösung grundsätzlich günstig gestimmt sind, lassen sich in zwei Gruppen theilen : die eine, die weniger zahlreiche, will den Bundesbeschluß von 1883 in seiner alten Form wieder aufnehmen, die andere will die völlige Gebührenfreiheit auf die Eeisenden beschränken, welche mit Kaufleuten oder Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

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mit Personen Handel treiben, die den verkauften^?Artikel in ihremGewerbe verwenden.

Zur erstem Gruppe gehören: Die I n t e r k a n t o n a l e j u r a s sisch e I n d u s t r i e g e s e l l s c h a f t , die A s s o c i a t i o n c o m m e r ciale et i n d u s t r i e l l e genevoise, der B ö r s c n v c r e i n von G l a r u s , die K a u f m ä n n i s c h e G e s e l l s c h a f t von Aarau. 11 ; Diese Vereine gehen von verschiedenen Gesichtspunkten aus : Sie werfen der eidgenössischen Jurisprudenz Inkonsequenz vor.

Sie beklagen sich besonders darüber, daß in gewissen Kautonen (Aargau, Solothurn, Bern) Patente nur für mindestens einen Monat und in Baselland sogar nur für mindestens drei Monate ausgestellt werden. Solche Taxen kommen oft einem Verbote gleich; mau möge doch nicht glauben, daß ein Handelshaus, um, wie so häufig der Fall ist, einige wenige Bestellungen in einem Kanton aufzunehmen und einige Tage in demselben zu reisen, eine ebenso hohe Taxe zahlen wolle, wie wenn es während langer Zeit Geschäftsreisen machen ließe. Sie beklagen sich über ungleiche Behandlung von Kanton zu Kanton mit Bezug auf den Unterschied, welcher von einigen derselben zwischen den auf ihrem Gebiete niedergelassenen Geschäftshäusern und denjenigen, die in andern Kantonen ihren Sitz haben, gemacht wird. Noch aridere Gesichtspunkte werden hervorgehoben.

Allerdings haben unsere Reisenden in einer großen Zahl von Ländern keine Patentgebühren zu entrichten, aber die Gegenseitigkeit sei für uns nur eine scheinbare wegen des übermäßigen Eingangszolls, der dort die Einführung unserer Waaren verhindere. Der Leiter eines EngrosHauses kann im Innern der Schweiz Geschäfte abschließen, die sich jährlich in die Hunderttausende von Pranken belaufen, und er bezahlt nichts. Warum dieser Unterschied? Warum errege der Detailhändler Verdacht, sobald er das Gehiet seiner Gemeinde verlasse?

Man führt an, er und sein Eeisender seien zu aufdringlich, sie belästigen das Publikum und veranlassen die Leute durch zu leichtes Kreditgeben zum Schuldenmachea. Aber man kann den Engroshändlern den gleichen Vorwurf machen. Niemand ist gezwungen, ihnen irgend etwas abzukaufen ; die Einen wie die Andern kann man abweisen. Man sage, die Handelsreisenden machen den Detailgeschäften am Orte selbst Konkurrenz; allein dies geschieht zwischen den
verschiedenen Kantonen und Ortschaften gegenseitig, so daß die Sache sich ausgleicht. TJebrigens verkauft der Reisende Artikel und Spezialitäten , welche in den Läden der Ortschaft sich nicht vorfinden und welche die Privatpersonen, die sich dieselben verschaffen wollen, auch außerhalb des Ortes gekauft hätten. Da das Haus sein ganzes Vermögen und alle seine Einkünfte an seinem Wohnorte versteuert, so bilden die Patentgebühren eine Doppelbesteuerung. Es besteht

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auch eine offenbar ungleiche Behandlung unserer Eeisenden im Vergleich mit den Geschäftshäusern, welche die vierte Seite der Zeitungen mit Anzeigen und Anpreisungen füllen und welche den Privaten direkt illustrirte Preislisten und Prospekte zusenden, Geschäfte, wie der ,,Louvre1*, der ,,Printemps11, der ,,Bon Marche", deren Konkurrenz für den Lokalhandel ungleich gefährlicher ist. Die dem schweizerischen Handelsreisenden auferlegten Patentgebühren richten ihn zu Grunde und begünstigen den Ausländer.

Warum gibt es so viele Handelsreisende, welche mit Privatleuten Geschäfte im Kleinen abschließen ? Weil die schweizerischen Geschäftshäuser, insbesondere diejenigen, welche in kleinen Städten oder auf dem Lande ihren Sitz haben, sich nur durch dieses Mittel aufrecht halten können. Wenn sie sich auf ihren Wohnort beschränken müßten, wäre ihr Geschäftskreis zu eng begrenzt, sie könnten nur kümmerlich ihr Leben fristen und nicht eine genügende Auswahl und Verschiedenartigkeit in ihren Waaren bieten. Die Aufnahme von Bestellungen in andern Kantonen und Städten sei für diese Geschäftshäuser eine Existenzfrage.

Diese Ansichten lassen sich in folgender Weise zusammenfassen : 1. die Bestellungsreisen sind für unsere Gewerbe nothwendig; 2. die meisten kantonalen Gesetze enthalten in dieser Beziehung einen offenbaren Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit ; 3. sie legen dem schweizerischen Handel Lasten auf, ohne ihn irgendwie gegen die ausländische Konkurrenz zu schützen ; 4. die Geschäftshäuser, welche Bestellungen aufnehmen, werden doppelt besteuert ; 5. in einer gewissen Anzahl von Kautonen besteht eine ungleiche Behandlung zwischen den Kantonseinwohnern und denjenigen Reisenden, die aus andern Kantonen kommen ; 6. von allen diesen Standpunkten aus betrauhtet, sind die Patenttaxen der Handelsreisenden verfassungswidrig.

Die zweite Gruppe wird vertreten durch das K a u f m ä n n i s c h e D i r e k t o r i u m von St. Gallen, die S e i d e n i n d u s t r i e g e s e l l s c h a f t in Zürich, den B e r n i s c h e n V e r e i n für H a n d e l und I n d u s t r i e , d e nS c h w e i z e r i s c h e n S p i n n e r - , Z w i r n e r - u n d W e b e r v e r e i n , den V e r e i n schweizerischer Handelsroisender.

Das K a u f m ä n n i s c h e D i r e k t o r i u m wünscht ohne Weiteres die Abschaffung jeglicher Gebühr ; die Gebühren von Kanton zu Kanton erscheinen ihm ebenso unzuläßig, wie die Binnenzölle, die

52 Brückengelder und ähnliche andere Schranken. Die Lage sei um so unerträglicher, da die Ausländer zum Nachtheil der Einheimischen begünstigt werden. Doch sei es am Platze, der öffentlichen Meinung dadurch Kechnung zu tragen, daß man einen Unterschied mache zwischen denjenigen, welche in den Läden Bestellungen aufnehmen und denjenigen, welche auch die Privatleute besuchen Man könnte den Bundesbeschluß von 1883 in diesem Sinne vervollständigen.

Die K a u f m ä n n i s c h e G e s e l l s c h a f t von Zürich stellt sich auf den gleichen Standpunkt; sie würde noch weiter gehen und die völlige Beseitigung jeder Taxe befürworten, wenn sich nicht dor V e r e i n s c h w e i z e r i s c h e r H a n d e l s r e i s e n d e r zu Gunsten einer einheitlichen Taxe ausgesprochen hätte. Die Hauptsache sei die Einführung eines gleichmäßigen, allgemein gültigen Verfahrens.

Man müsse diese Frage der Kantonalhoheit entziehen und sie zu einer eidgenössischen machen. Die Schweiz habe nicht gewagt, den Ausländern die unnatürliche Behandlung zu Theil werden zu lassen, der sie ihre eigenen Angehörigen unterwirft. Ebenso habe es sich verhalten bei der Judenfrage und bei der Frage betreffend den Schutz der Fabrikzeichen. Und immer war dies ein Beweis, daß unsere innern Einrichtungen unhaltbar geworden seien. Die Gesellschaft verlangt eine einheitliche jährliche Taxe von 100 Fr. Die Ausweiskarten würden von der Eidgenossenschaft hergestellt und den Kantonen abgegeben. Die Vertheilung des Ertrages geschähe nach der Bevölkerungszahl. Man könnte sogar die Frage prüfen, ob es nicht am Platze wäre, von den Eeisenden ausländischer Geschäftshäuser höhere Gebühren zu verlangen.

Die S e i d e n i n d u s t r i e g e s e l l s c h a f t und der B e r n i s c h e H a n d e l s - und I n d u s t r i e v e r e i n sprechen sich im gleichen Sinne aus.

Der S p i n n e r - , Z w i r n e r - und W e h e r v e r e i n möchte eine einheitliche und gleichmäßige Gebühr für die Hausirer und die von Haus zu Haus Bestellungen aufnehmenden Reisenden.

Schon zur Zeit der Ausarbeitung des Bundesbeschlußentwurfes von 1883 hatte der V e r e i n s c h w e i z e r i s c h e r H a n d e l s r e i s e n d e r ein Gesuch an den Bundesrath gerichtet, in welchem er verlangte, es möchten die Kantonsregierungen eingeladen werden, binnen kurzer Frist ihre
Gesetze und Verordnungen über den Gewerbebetrieb mit der Bundesverfassung in Einklang zu bringen; bis dahin sollten diese Erlasse als verfassungswidrig außer Kraft erklärt werden.

Auch dieses Mal wagten demnach die Zunächstbetheiligten nicht, volle Freiheit zu verlangen. Sie beschränkten sich darauf, eine gleichmäßige, einheitliche Gebühr für die schweizerischen und die

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ausländischen Keisenden zu fordern und legten die Wirkungen einer solchen Maßregel dar : Die Kantone würden dabei finanziell nichts oder doch nur sehr wenig verlieren; die kleinen Geschäfte würden gegen eine übermäßige Konkurrenz geschützt sein ; die Ungleichheit gegenüber den Ausländern und von Kanton zu Kanton würde aufhören, Frankreich, welches von den kantonalen Gebühren nichts habe wissen wollen, würde eine einheitliche Taxe annehmen. Völlige Freiheit würde den Lokalhandel zu Grunde richten. Man müsse ganz scharf unterscheiden zwischen Engrosreisenden und Detailreisenden. Wenn das Schweizervolk zwischen voller Taxfreiheit und einer einheitlichen Gebühr zu wählen hätte, so würde es sich gewiß für das Zweite entscheiden.

Man könne nicht mehr auf die finanziellen Bedürfnisse der Kantone hinweisen, nachdem die Alkoholeinnahmen ihnen neue Hülfsquellen eröffnet haben.

Der V o r o r t theilt die Ansicht des D i r e k t o r i u m s von St. G a l l e n und der K a u f m ä n n i s c h e n G e s e l l s c h a f t von Z ü r i c h ; aber er macht dieses Zugeständniß bloß aus Opportunitätsgründen. Volle Taxfreiheit wäre für ihn die richtigste und gerechteste Lösung. Es gebe kein verfassungsmäßiges oder gesetzliches Hinderniß für die nunmehr vorgeschlagene Maßregel angesichts der Thatsache, daß die Kantone trotz des Bundesbeschlusses vom Jahr 1859 und des Artikels 31 der Bundesverfassung mit der stillschweigenden Zustimmung der Eidgenossenschaft die willkürlichsten Gebühren aufstellen konnten. Litera o des Artikels 31 verleihe dem Bunde die nöthige Kompetenz. Es sei blos zu befürchten, daß man gegen den Widerspruch von rechts und links zu kämpfen haben ·werde : rechts stehen die Kantone und Gemeinden, welche hohe Gebühren beziehen ; links die Kantone, welche keine Gebühren beziehen und viele Reisende aussenden, wie Baselstadt und Genf. Auch sollte man nicht eine einheitliche Gebühr von so ausgesprochen fiskalischem Charakter aufstellen, daß das Ausland dieselbe von vornherein ablehnen würde, oder daß man darauf zurückkommen müßte.

In der am 9. Fehruar 1889 abgehaltenen Sitzung hat Herr Bundesrath Numa Droz, der Vorsteher des Departements des Auswärtigen und des Handels, Zweifel an dem Erfolge des vom Vororte vorgeschlagenen Schreibens geäußert. Er erhielt wenigstens diesen Bindruck in einer Unterredung,
die er hierüber mit seinem Kollegen, dem Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, hatte. Die Franzosen werden höchstens einer ganz niedrigen, einheitlichen Taxe, ähnlich derjenigen, die sie in Belgien entrichten, zustimmen. Wenn man sich nicht an den Bundesbeschluß von 1859, der nie aufgehoben worden sei, und an den vom Volke nur mit schwacher Mehrheit abgelehnten Beschluß von 1883 halten wolle, so müsse man einen Mittel-

weg suchen. Man könne indessen darüber streiten, ob eine eidgenössische Taxe verfassungsmäßig sei. Es ließe sich vielleicht Folgendes erreichen: Die Keisenden, welche, mit oder ohne Muster, bei Privatleuten Bestellungen aufnehmen, würden in dem Kantone, wo sie wohnhaft sind, eine Gebühr von höchstens 100 Fr. bezahlen. Die Keisenden ausländischer Handelshäuser würden diese Taxe in dem ersten Kantone bezahlen, den sie besuchen. Die Answeiskarte wäre nach eidgenössischem Muster herzustellen. Die Gesetzgebung über den Hansirhandel und die Waarenlager würde den Kantonen überlassen.

Wenn man sich nicht verständigt, steht ein neuer Mißerfolg in Aussicht.

Die Handelskammer beschloß, auf den Antrag des Vorortes nicht einzutreten, und lud diesen ein, einer neuen DelegirtenVersammlung materielle Vorschläge zu unterbreiten, wobei sie sich vorbehielt, über dieselben ihre Ansicht schriftlich kundzugeben.

Eine nochmalige Zusammenkunft der Handelskammer fand am 30. April 1889 in Zürich statt. Der Vorort, unter dem Vorsitz des Herrn Cramer-Prey, stellte folgenden Antrag : ,,Die Delegirtenversammlung des Schweizerischen Handels- und ludustrievereins beschließt, den h. Bundesrath zu ersuchen : 1. Er möge mit thunlichster Beförderung der Bundesversammlung einen neuen Entwurf zu einem Bundesbeschluß betreffend die P a t e n t t a x e n der H a n d e l s r e i s e n d e n vorlegen, in der Meinung, daß derselbe spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 1891 sollte in Kraft treten können.

2. Er möge in einem solchen Entwürfe folgende hauptsächlichste Grundsätze zur Geltung kommen lassen : a. Alle inländischen und ausländischen Handelsreisenden, welche ausschließlich mit solchen Leuten in geschäftlichen Verkehr treten, die den oder die betreffenden Artikel zum Wiederverkauf oder zur Ausübung ihres Gewerbes verwenden, sind Grosreisende. Diese können, sofern sie keine Waaren mit sich führen, auf den üblichen Ausweis ihrer Identität hin, im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, ohne hiefür irgend eine Taxe entrichten zu müssen.

6. Alle übrigen inländischen und ausländischen Handelsreisenden sind als Detailreisende zu betrachten. Diese können, sofern sie keine Waaren mit sich führen, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, haben hiefür indessen eine Legitimationskarte zu lösen, welche vom Tage ihrer Ausstellung an ein Jahr Gültigkeit nat und zur Bereisung des ganzen Gebietes der Eidgenossenschaft berechtigt.

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e. Die Legitimationskarte hat folgenden Wortlaut: Die Gebühr für dieselbe beträgt Fr. 150 und ihr Besitz enthebt für die Dauer ihrer Gültigkeit von der Bezahlung jeglicher kommunalen oder kantonalen Patenttaxe.

Die Legitimationskarte ist zu lösen: für Handelsreisende inländischer Firmen bei der oder den näher zu bezeichnenden Amtsstellen des Domizilkantons, für ausländische Handelsreisende bei der oder den näher zu bezeichnenden Amtsstellen des Domizilkantons, für ausländische Handelsreisende bei der oder den näher zu bezeichnenden Amtsstellen desjenigen Kantons, der zuerst bereist wird.

d. Eventuelle Strafklausel für mißbräuchliche Benutzung der Legitimationskarte.

e. Am Schlüsse eines jeden Jahres wird der Ertrag der bezogenen Taxen -- abzüglich 4 °/o des Betrags als Einzugsgebühr -- von den betreffenden Kantonen an die Bundeskasse abgeliefert und sodann unter sämmtliche Kantone nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl vertheilt.

f. Die Gesetzgebung über das Hausirwesen bleibt Sache der Kantone.a Der Vorort setzte auseinander, daß diese Vorschläge sich im Allgemeinen auf diejenigen einer Delegirtenversammlung des Vereins schweizerischer Handelsreisender stützen ; er zieht dieselben denjenigen des Herrn Droz vor, da diese letzteren Ungleichheiten bestehen lassen würden.

Ein Hauptunterschied wird gemacht zwischen den Engros- und den Detailreisenden. Die Engrosreisenden sind gegenwärtig, abgesehen vom Kanton Schwyz, von jeder Gebühr befreit. Die allgemeine Meinung in der Schweiz geht dagegen dahin, daß die Detailreisenden mit einer Tace belegt werden sollen. Zwischen diesen beiden Arten von Geschäftsbetrieben wird die Praxis ganz leicht unterscheiden können.

Eine Gebühr von Fr. 150 jährlich muß als Vermittlung zwischen der gegenwärtigen Sachlage und dem Grundsatz völliger Taxbefreiung betrachtet werden. Es wäre unmöglich, für die ganze Schweiz eine einheitliche Gebühr von Fr. 400 aufzustellen, und es wäre dies auch nicht gerecht, weil die meisten Geschäftshäuser, welche Detailhandel treiben, nur innerhalb eines ziemlich engen Gebiets Reisen ausführen lassen.

Der Verein Schweizerischer Handelsreisender legt großes Gewicht darauf, daß diese Angelegenheit von der Eidgenossenschaft vor dem Abschluß nener Handelsverträge geordnet werde.

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Das Protokoll gibt Auskunft über die Diskussion, welche nun folgte.

Hr. Budolf Schmid möchte die Gebühr auf Fr. 200 erhöhen, um dadurch den lästigen Hausbesuchen entgegenzutreten. -- Hr. Heitz unterstützt diesen Vorschlag, um den Einnahme-Ausfall der Kantone zu verringern. -- Hr. A. Jenny-Kunz verlangt eine nach Zonen verschiedene Gebühr. -- Hr. Hohl glaubt nicht, daß das Schweizervolk seine Ansicht geändert habe. Er unterstützt indessen die Vorschläge des Vororts.

Dieselben wurden angenommen.

Die Handelskammer ermächtigte ihren Präsidenten, die von ihm redigirten Beschlüsse der Versammlung der Delegirten des Schweizerischen Handels- und Industrievereins zu unterbreiten.

Die Delegirtenversammlung hat gleichen Tages (30. April 1889) die Vorlage angenommen.

Als der Vorort im Monat Mai 1890 dem Eidgenössischen Justiuund Polizeidepartement das Protokoll der Delegirtenversammlung von 1890 übermittelte, erklärte er es für unmöglich, den gegenwärtigen Zustand länger fortdauern zu lassen, und wies auf die enge Beziehung der Frage zu den bevorstehenden Handelsvertrags-Unterhandlungen hin. Infolge weiterer Schritte stellte der Vorsteher des Departements die Vorlage eines Gesetzesentwurfs auf das Frühjahr 1891 in Aussicht.

Auch der Centralausschuß des S c h w e i z e r i s c h e n G e w e r b e vereins beschäftigte sich mit den unsern Handelsreisenden auferlegten Taxen. Eine Zeitung berichtet über die diesfälligen Verhandlungen einer Sitzung, welche im Frühling 1890 stattgefunden hat. Der Ausschuß verlangt, das Gegenrecht solle durch die Verträge besser gesichert werden. Die Unterscheidung zwischen Engros- und üetailreiseuden wird lebhaft bestritten. Das demokratische Gefühl werde verletzt, sagt Hr. Scheidegger, Direktor der Lehrwerkstätten in Bern, wenn man sehe, daß der Reisende eines Weinhändlers, welcher in Wirtschaften Bestellungen aufnehme, gebührenfrei ausgehe, während sein Kollege, der ein Faß bei einem Privaten absetze, eine Gebühr bezahlen müsse. -- Hr. Dr. Stößel bemerkt, das Patent habe hauptsächlich den Zweck, das Publikum gegen die Zudringlichkeit der Hausirer nnd der Detailreisenden zu schützen, und entbehre jedes fiskalischen Charakters.

57 Man bemerkt. daß in Frankreich alle Handelsreisenden ohne Unterschied ein Patent von Fr. 20 bezahlen müssen. -- Hr. HuberBurckhardt von Basel heht die Notwendigkeit hervor, die seßhaften Handelsgeschäfte in der Nähe der Grenze gegen die Unterdrückung durch ausländische Handwerker und Erämer, welche weder Gebühren noch Steuern bezahlen, zu schützen. Es sei der Mühe werth r die Sache anläßlich der Handelsverträge näher in's Auge zu fassen.

Die aus der Schweiz kommenden Baugewerbe-Arbeiter zahlen z. B. im Großherzogthum Baden eine besondere Gebühr, auch wenn sie nur zeitweilig dort arbeiten. -- Unter Gegenseitigkeit, sagt man weiter, verstehen wir den Zustand, bei dem die einheimischen Handelsreisenden alle Vortheile genießen, welche den ausländischen Reisenden in der Schweiz eingeräumt sind, und die Schweizer im Auslande alle Vortheile genießen, welche den Ausländern in ihrem eigenen Lande gewährt werden. Nun sei aber z. B. Oesterreich-Ungarn den schweizerischen Detail-Handelsreisenden verschlossen, wenn dieselben sich nicht im Kaiserreiche niederlassen. -- Der Hausirhandel und die Wanderlager seien der kantonalen Gesetzgebung zu unterstellen.

Der Centralausschuß beschließt, der Delegirtenversammlung des Vereins folgende Vorschläge zu machen: 1. Gegenseitigkeit.

2. Einheitliches Patent.

3. Strenge Aufsicht über die Handelsreisenden.

4. Verbot des Waaren- und Musterverkaufs unter Strafe des Patententzugs.

Die Umfrage, welche der Centralausschuß bei den Sektionen des Grewerbevereins hielt, ergab folgende Resultate : 1. Vierzehn Sektionen von fünfzehn sprachen sich zu G-unsten eines Bundesgesetzes aus. Liestal will die Sache den Kantonen anheimstellen.

2 Alle Sektionen, mit Ausnahme von Beute-Oberegg, sprechen sich gegen die völlige Taxfreiheit aus. Acht Sektionen wollten Freiheit für die Engros-Reisenden und Gebühren bloß für die Detailreisenden. Der G e w e r b e v e r e i n von Z ü r i c h will die EngrosKeisendeu einer ermäßigten Taxe unterwerfen.

3. Nur die Sektion Arbon und der Schuhmachermeisterverein sprechen sich für eine einheitliche Gebühr von Fr. 150 aus. Die Sektion Schaffhausen betrachtet diese Ziffer als Maximum.

4. In den Handelsverträgen muß die Gegenseitigkeit in bestimmtester Weise vorbehalten werden.

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5. Es wird allgemein anerkannt, daß die Konkurrenz der Handelsreisenden den seßhaften Kaufleuten den größten Schaden zufügt und durch Ansetzung übermäßig billiger Preise, Gewährung langer, verführerischer Kreditfristen und Erleichterung des Schuldenmachens einen verderblichen Einfluß ausübt.

6. Was die nachbarlichen Beziehungen betrifft, so konstatirt die Sektion Schaffhausen, daß schweizerische Handwerker nur sehr selten im Großherzogthum Baden Beschäftigung finden. Die Deutschen beschäftigen gewöhnlich nur ihre Landsleute, und die Schweizer sollten ebenso verfahren.

Die in Altdorf am 15. Juni 1890 zusammengetretene Delegirtenversammlung sagt in einer von ihrem Präsidenten, Hrn. Dr. Stößel, unterzeichneten Znschrift an die Handelsabtheilnng des Eidgenössischen Departements des Auswärtigen, daß sie in Centralausschuß und Sektionen die Präge der Patenttaxen der Handelsreisenden in Diskussion gesetzt und folgende Beschlüsse gefallt habe : ,,1. Die Vertreter des Gewerbestandes bieten gerne Hand, um auf dem Wege eines Buudesgesetzes anzustreben : ,,a. Die Gleichstellung der inländischen Handelsreisenden mit den ausländischen, welche iu die Schweiz kommen ; ,, fr. Einführung einer schweizerischen Patenttaxe unter Aufhebung der kantonalen Taxen.

,,2. Es werden den Anträgen des Schweizerischen Handels- und Industrievereins folgende prinzipielle Wünsche beigefügt: ,,a. Es möchte bei künftigen Handelsvertragsunterliandlungen von den betreffenden Staaten rücksichtlich der Besteuerung der Handelsreisenden volle Gegenseitigkeit gefordert werden.

,,b. Es möchte von allen Reisenden eine einheitliche, staatliche Kontroigebühr erhoben und der Verkehr dieser Beisenden ebenfalls einer strengern Aufsicht unterstellt werden. Der Verkauf von Mustern oder Waaren wäre strenge, eventuell mit Entzug des Patentes, zu ahnden.

,,c. Bei Festsetzung der Taxe ist sowohl die große Belästigung des Publikums durch Hausirer und Detailreisende, wie auch die ßenachtheiligung der steuerzahlenden Niedergelassenen in Betracht zu ziehen, beziehungsweise es ist die Taxe möglichst hoch anzusetzen."1 Ich könnte den Kundgebungen der Presse und der Vereine noch zahlreiche persönliche Mittheilungen, die mir zugekommen sind, beifügen. Sie sind in der Regel sehr kategorisch gehalten. So

59 schrieb mir vor kurzem der Chef eines neuenburgischen Handlungshauses : ,,Das ganze Schweizergebiet ist für ernsthafte Handelsgeschäfte nicht groß genug, wenn sie gegen die ausländische Konkurrenz kämpfen wollen, eine Konkurrenz, welche in Ländern ihre Kreise zieht, die zehnmal größer sind, als das unsrige. . . . Dit» kantonalen Gebühren zwingen die schweizerischen Kaufleute, in den Kantonen mit prohibitiven Taxen zum Schein Filialen und Musterniederlagen zu gründen, Vertreter am Orte zu bestellen u. s. w., alles Mittel, welche sich meistens der Polizeikontrole und der Patentzahlung entziehen.a

V. Die eigentlichen Hansirer (Colporteurs).

1. Sind dieselben durch die Verträge von den Taxen befreit?

Ein gewisser Hunold, Alpenkräuterhändler in Oberurnen (G-larus), fragte im Jahre 1882 die Bezirksverwaltung Engen im Großherzogthum Baden an, was eine Ausweiskarte kosten würde zur Erlangung der Erlaubniß, während eines Monats seine Produkte in diesem Bezirk auf dem Hausirwege zu verkaufen.

Die Bezirksverwaltung Engen antwortete ihm: 1. Im Großherzogthum koste die Ausweiskarte SVz Mark und die Gewerbesteuer für Hausirer 3 Mark monatlich.

2. Man werde ihm keinerlei Ausweiskarte verabfolgen, da ein Bedürfniß, daß Jemand mit Alpenkräutern hausire, im Bezirke nicht vorhanden sei.

Hunold beklagte sich hierüber bei der Schweizerischen Gesandtschaft in Berlin, welche ihm im wesentlichen antwortete, der Entscheid der Bezirksbehörde Engen entspreche einer Verfügung des Reichskanzlers vom 7. März 1877, wie auch dem Niederlassungsvertrag zwischen der Schweiz und Deutschland.

Am 30. Juni desselben Jahres unterstellte die G-larner Regierung die ganze Angelegenheit dem Bundesrathe, weniger, wie sie sagte, in der Hoffnung, eine dem Wunsche ihres Landsmanns entsprechende Lösung zu erzielen, als um über den Sinn, welchen man dem Vertrage mit Deutschland beilege, und damit auch über das Kecht der Schweizerkantone, den deutschen Hausirern Gebühren aufzuerlegen, in's Klare zu kommen.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement unterzog den Fall einer gründlichen Prüfung. Ich hahe die Denkschrift vor mir, welche es zur Vorlage an den Bundesrath bereit gestellt hatte, und entnehme derselben die folgenden Auseinandersetzungen.

60

Es bestehen über diesen Gegenstand zwei Verträge zwischen der Schweiz und Deutschland: der Niederlassungsvertrag vom 27. April 1876 und der Handelsvertrag vom 23. Mai 1881.

A.

Das Departement erinnert an die Bestimmungen des Art. l des Niederlassungsvertrages: ».Die Deutschen sind in jedem Kantone der Eidgenossenschaft in Bezug auf Person und Eigenthnm auf dem nämlichen Fuße und auf die nämliche Weise aufzunehmen und zu behandeln, wie es die Angehörigen der andern Kantone sind oder noch werden sollten. Sie können insbesondere in der Schweiz ab- und zugehen und sich da?clbst dauernd oder zeitweilig aufhalten, wenn sie den Gesetzen und Polizeiverordnungen nachleben.

,.Jede Art von Bewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, wird es auf gleiche Weis» auch den Deutschen sein, und zwar ohne daß ihnen eine pekuniäre oder sonstige Mehrleistung auferlegt werden darf."

Art. 3 des nämlichen Vertrages sichert den Schweizern in Deutschland alle Rechte zu, welche Art. l den Deutschen in der Schweiz einräumt.

Es scheint aus den angeführten Artikeln hervorzugehen, sagt das Departement, daß den Schweizern die Ausübung des Hausirge·werbes in Deutschland zu den gleichen Bedingungen wie den Deutschen gestattet werden mulo, und zwar auch dann, wenn sie in der Schwein ihren Wohnsitz haben und nur zeitweilig nach Deutschland gehen.

Aber es ist nach dem Abschluß des Vertrages ein neuer Thutumstand hinzugekommen: Der deutsche Gesandte in der Schweiz hat unterm 10. Dezember 1876 eine Note an den Bundesrath gerichtet, worin er diesem vorschlug, in das Protokoll iiher die Auswechslung der Batifikationen eine Erklärung aufzunehmen, des Inhalts, dal.i das Feilbieten im Umherziehen nicht unter die Gewerbsarten zu rechnen sei, von welchen Art. l spricht. Die Note des bevollmächtigten Ministors machte darauf aufmerksam, daß es weder in Deutschland noch in der Schweiz ein einheitliches Gesetz üher den Hausirhandel gebe, und dal.i die Schweiz schon in ihrem Niederlassungsvertrage mit Oesterrcich das Hausirgewerbe als außer denjenigen Gewerbsarten stehend erklärt habe, deren freie Ausübung den Angehörigen der beiden Länder gegenseitig gewährleistet worden sei.

Diese Bemerkung hinsichtlich des österreichisch-schweizerischen Niederlassungsvertrages ist richtig. Der Art. l jenes Vertrages besagt ausdrücklich, daii die den Angehörigen beider Länder zuge-

(H

·sicherte Gleichberechtigung sich weder auf die Ausübung des Apothekerberufs noch auf das Hausirgewerbe erstrecke. Auch ein in der Schweiz niedergelassener Oesterreicher könnte daher von dem Rechte, Hausirhandel zu treiben, ausgeschlossen oder mit höhern Gebühren belegt werden als ein Schweizer und umgekehrt.

Der Bundesrath antwortete auf die Note des Generals Köder vom 10. Dezember 1876, er gebe zu, daß der Niederlassungsvertrag mit Deutschland sich nicht auf dea Hausirhandel von einem Lande nach dem andern beziehe ; aber die Bürger des einen Vertragsstaates sollten als Niedergelassene in dem andern auch mit Bezug auf den Hausirhandol den Einheimischen gleichgestellt werden (19. Dezember 1876).

Das Deutsche Ministerium des Auswärtigen drang darauf, der Bundesrath möge mit ihm eine Erklärung auswechseln, in welcher klar und einfach ausgedrückt werde, daß der Hausirhandel von Deutschen in der Schweiz oder von Schweinern in Deutschland den besondern Gesetzen der beiden Staaten oder der Kantone unterstellt bleibe. Der Bundesrath entschied sich aber in seiner Sitzung vom 26. Dezember 1876 dahin, an seinem Beschluß vom 19. desselben Monats festzuhalten, von der Ansieht ausgehend, der Vorschlag des deutschen Ministeriums würde eine Abänderung des Vertrags in sich schließen, welcher der Bundesrath nicht zustimmen dürfe, da der Vertrag von der Bundesversammlung genehmigt worden sei.

Die Schweizerbehörde besitzt kein Aktenstück, in welchem ausdrücklich angegeben ist, welchen Beschluß Deutschland infolge der Haltung des Bundesraths gefaßt hat. Es findet sich unter den Akten ein Brief der Schweizerischen Gesandtschaft in Berlin, in welchem dieselbe über eine Unterredung Bericht erstattet, die sie hinsichtlich der Genehmigung des Niederlassungsvertrages mit dem Legationsrath Hellwig gehabt hat. Dieser Brief ist vom 27. Dezember datirt; die Schweizerische Gesandtschaft kennt den Bundesrathsbeschluß vom 19. Dezember und setzt denselben dem Hrn. Hellwig auseinander. Der Letztore anerkennt, daß dieser Beschluß dem Vertrage entspricht, während seiner Ansicht nach durch den Vorschlag Deutschlands der Vertrag wirklich abgeändert wird. Aber, fügt Hr. Hellwig hinzu, Deutschland beharrt auf seinem Vorschlag, weil es seit mehreren Monaten «in Gesetz vorbereitet, um seine einzelnen Staaten zu ermächtigen, Ausländern
das Hausiren zu verbieten, wenn die Staaten finden, die örtlichen Bedürfnisse erheischen diese Art Handel nicht. Herr Hellwig fügt hinzu, wenn man eine Ausnahme zu Gunsten der Schweizer machte, so müßte man diese Vergünstigung auf alle Länder ausdehnen, welche das Vorrecht der meistbegünstigten Nation genießen.

62

Unterm 28. Dezember 1876 legte das Deutsche Ministerium des Auswärtigen der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin einen Protokollentwuvf behufs Auswechslung der Batifikationen vor. Darin ist vom Hausirhandel keine Eede. Dieses Protokoll wurde am 31. Dezember unterzeichnet.

Der theilweise Mißerfolg dieser von Seite Deutschlands zu dem Zwecke, die Nichtanwendbarkeit des Vertrags auf den Hausirhandel durchzusetzen, unternommenen Schritte hat die deutsche Kegierung nicht verhindert, unterm 7. März 1877 die projektirten Bestimmungen zu veröffentlichen. Nach Art. l dieser Bestimmungen muli der Ausländer, welcher in Deutschland ein Wandergewerbe betreiben will, mit einer Ausweiskarte versehen sein, und nach Art. 2 dürfen keine derartigen Karten mehr verabfolgt werden, wenn für das gleiche Gewerbe eine den Bedürfnissen des Bezirks entsprechende Anzahl von Personen solche Ausweise schon erhalten haben. Diese Bestimmungen blieben dem Bundesrathe nicht unbekannt. Er erwähnt sie in seinem Geschäftsbericht für's Jahr 1877; aber er beschränkt sich darauf, zu sagen, dieselben bilden einen interessanten Beitrag zur Auslegung des Niederlassungsvertrags.

Das Departement untersucht: 1. Ob die deutsche Verordnung bei genauer Auslegung des Vertrags auf die Schweizer anwendbar sei ; 2. oder ob, entsprechend dem bundesräthlichen Vorschlag vom 19. und 26. Dezember 1876, dieselbe zwar wohl auf die in dur Schweiz wohnhaften Schweizer anwendbar sei. nicht aber auf die in Deutschland niedergelassenen; S. oder endlich ob, wie Deutsehland verlangt, dieselbe auf alle Schweizer wie überhaupt auf alle Nicht-Deutschen anwendbar sei, auch wenn dieselben in Deutschland wohnhaft und niedergelassen wären.

Das Departement ist der Ansicht, der Bumlesrath sollte an der zweiten dieser Lösungen festhalten.

Er könnte die dritte nicht annehmen, weil er dieselbe als eine Abänderung des Vertrages erklärt hat, welcher beizustimmen er nicht die Ermächtigung hatte, und weil die deutsche Regierung angesichts der Weigerung des Bundesrathes nicht darauf bestand, diese Auslegung oder vielmehr diese Abänderung des Vertrags in das Protokoll über die Auswechslung der Ratifikationen aufeunehmen.

Er könnte ebenso wenig auf der ersten Lösung beharren, auch wenn er sie als richtig ansähe; denn er hat am 19. und 20. Dezember 1876 den Vorschlag gemacht, zu sagen, der Art. 1. Alinea 2,

63 beziehe sich nicht auf den Hausirhandel von einem Lande zum andern. Sein Vorschlag ist allerdings nicht ausdrücklich angenommen worden; da er ihn aber im Sinne einer authentischen Interpretation des Art. l gemacht hat, so kann er ihn nicht zurücknehmen.

B.

Die Denkschrift bespricht hierauf die Folgen, die sich aus dem mit Deutschland unterm 23. Mai 1881 ahgeschlossenen Handelsvertrag ergeben haben. Ich habe diese Frage schon unter Ziffer III dieses Berichtes berührt und hervorgehoben, welchen Einfluß die plötzliche Umkehrung der eidgenössischen Kechtsanschauung im Jahre 1878 auf die Auslegung des Handels- und des Niederlassungsvertrags ausgeübt hat.

Einen fernem Beweis, daß die Verträge mit Deutschland den Schweizern nicht das Kecht, in diesem Lande zu hausiren, gewährleisten, sehe ich darin, daß auch in Bayern die Ortsbehörde die Befugniß besitzt, unumschränkt darüber zu entscheiden, ob ein Bedürfniß, daß mit diesem oder jenem Artikel hausirt werde, vorhanden sei. Wenn das Gesuch bewilligt wird, so muß der Petent die bayrische Staatsabgabe und eine Gebühr'von 40 Mark entrichten. Und dann hat er erst nur das Eecht, mit seinen Waaren in einem bestimmten Bezh'k zu hausiren.

Ich werde später auf die Stellung zurückkommen, in der sich unsere Handelsreisenden in Deutschland befinden, um hier nur von den schweizerischen Hausirerri zu sprechen ; ich ziehe aus dem eben Gesagten den Schluß, daß die letzteren in Deutschland thatsächlich keinerlei Schutz genießen. -- In dem Vertrag mit Oesterreich-Ungarn sind sie ausdrücklich von jedem Schutze ausgeschlossen. -- Andererseits ist in den übrigen Verträgen keinerlei Vorbehalt zu ihren Gunsten aufgenommen, so daß die Bestimmung betreffend die meistbegünstigte Nation auf sie nicht Anwendung findet.

Demzufolge besteht zwischen den Handelsreisenden und den Hausirern der wesentliche Unterschied, daß wir mit Bezug auf die Ersteren durch Verträge gebunden sind, die wir in unserer eigenen Gesetzgehung nicht mißachten dürfen, während mit Bezug auf die Zweiten die Schweiz und die Kantone vollkommen freie Hand haben, die Schweiz wenigstens keiner Macht gegenüber verpflichtet ist, die Fremden besser als die eigenen Angehörigen zu behandeln.

64

2. Soi! die Stellung der Hausirer gleichzeitig mit derjenigen der Handelsreisenden geordnet werden?

Unter der Herrschaft der Bundesverfassung von 1848, welche die Handelsfreiheit von einem Kanton zum andern gewährleistete, machte die Mehrheit der nationalräthlichen Kommission, gestützt auf den Beschluß vom 29. Juli 1859, auf den Unterschied zwischen den Handelsreisenden und den Hausirern aufmerksam. Diese letzteren verrichten ihre Geschäfte innerhalb eines Kantons, während die Handelsreisenden die Vermittler des interkantonalen, ja des internationalen Verkehrs sind. Da der Verkauf auf Muster stattfindet und die Aufnahme von Bestellungen in der Wohnung geschieht, so kann sich der Verkäufer iu dem einen Kanton befinden und der Käufer in einem andern. Diese Verhältnisse hatte mau im Auge, als man die Handelsfreiheit in der Verfassung gewährleistete.

B l u m e r steht in seinem Handbuch des Bundesstaatsrechts nicht ganz auf diesem Standpunkt; in seinen Augen sind die Hausirer in fast ebenso hohem Maße wie die Handelsreisenden die Vermittler der Handelsbeziehungen von Kanton zu Kanton. Dennoch beherrscht« diese Unterscheidung das Bundesstaatsrecht lange Jahre hindurch.

Der Bechtssatz, auf den sich der Bmidesbeschluß von 1859 stützt, wurde in dem Bundesbeschluße vom Jahre 1860 bestätigt, durch welchen der Rekurs der Thurgauer Eegierung abgewiesen wurde, die ja' gerade einen Unterschied machen wollte zwischen den bei Kaufleuten und den bei Privatpersonen aufgenommenen Bestellungen. l)er Beschluß von 1859, heißt es in demjenigen von 1860, hat die Grenzlinie festgestellt zwischen den Hausirern und den Inhabern von Wanderlagern einerseits und den Handelsreisenden andererseits. Dieser Unterschied beruht in der wesentlichen Thatsache, daß die ersteren Waaren mit sich führen, die letzteren nicht.

Nicht als ob keine Versuche gemacht worden wären, die übrigen Einschränkungen der Arbeits-, Handels- und Gewerbefreiheit zu beseitigen oder wenigstens zu vermindern. Der Bundesrath versuchte es seinerseits bei der partiellen Verfassungsrevision im Jahre 1865.

Unter die Revisionspunkte nahm er auch ,,das Eecht des freien Gewerbebetriebs im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft11 auf. Aber die eidgenössischen Käthe theilten diesen Standpunkt nicht. Die Berichte ihrer Kommissionen heben vielmehr hervor, daß, wenn der
Gewerbebetrieb über die Kantonsgrenzen hinaus freigegeben wäre, die nicht seßhaften Bürger aller Gerechtigkeit zuwider ein Vorrecht gegenüber den seßhaften und steuerzahlenden Einwohnern erhielten.

Die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen den Handelsreisenden und den Hausirern ist also ein alter Satz unseres Staatsrechtes.

65 Sind Gründe vorhanden, um auf diese Unterscheidung zurückzukommen? Die beste Methode, sich darüber Bechenschaft zu geben, scheint mir darin zu bestehen, daß man die Dienste in's Auge faßt, welche diese beiden Berufsarten dem Publikum leisten.

Wenn wir sie vom Standpunkt ihrer Nützlichkeit aus betrachten, ·wird kein Zweifel übrig bleiben.

Während die Handelsreisenden mit jedem Jahre mehr zu Vermittlern des internationalen Verkehrs werden, während dieselben unzweifelhaft die Zukunft für sich haben und die Regierungen mehr und mehr es als ihre Pflicht betrachten; sie möglichst zu schätzen, sollten dagegen meines Erachtens die Berufsarten der Hausirer und . Wanderkrämer nicht begünstigt werden; denn sie entsprechen keinem allgemeinen Bedürfnisse mehr. Sie haben gewiß in jener Zeit ihre Bedeutung gehabt, als die Verbindungswege noch wenig zahlreich und dazu beschwerlich waren. Die Ankunft eines Hausirers mit seinem, allerlei Gebrauchs- oder Luxus-Gegenstände enthaltenden Ballen war ein kleines Ereigniß für die abgelegenen Dörfer und Weiler und für die Gehöfte auf den Bergen. Der Wanderkrämer bot den Leuten Gelegenheit, ihre Ausstattung zu erneuern, ohne daß sie eine lange und mit Kosten verbundene Reise zu machen hatten. Man konnte sich damals hesser als heutzutage über die Uebelstände, welche die Ankunft dieser Gewerbsleute mit sich bringt, hinwegsetzen, weil dieselben zum Theil durch die Vortheile, welche man von ihnen zog, ausgeglichen wurden. Aber seit Landstraßen und Eisenbahnen das Land durchziehen, ist es nicht mehr so Die Sitten haben sich verändert; die Eeisen im Innern des Landes sind weit häufiger geworden; die Kaufläden sind viel zahlreicher und besser ausgerüstet, Auswahl und billige Preise überall zu finden.

Andererseits gibt es unter den Hausirern viele mehr oder weniger verdächtige Personen. Unter dem Deckmantel dieses Gewerbes ist es ihnen möglich, sich in die abgelegenen oder von ihren Bewohnern .gerade verlassenen Häuser einzuschleichen. Derartige Fälle kommen sehr oft vor; Diebstähle werden zur Anzeige gebracht, aber man kommt nicht dazu, sie gerichtlich zu beurtheilen, weil die Urheber nicht haben erwischt werden können. Die Herkunft der bei Standkrämern, auf Waiiderlagern und Liquidationen zum Verkauf gebrachien Waaren ist oft sehr zweideutig. Man weiß, aber man kann nicht
gerichtlich nachweisen, daß dieselben um Spottpreise angekauft und aus Konkursmassen entwendet worden sind. Es gibt organisirte Verbindungen von Land zu Land, wirkliche Verbrecherbanden, deren Geschäftsbetrieb in Betrug, KreditmitôbraucL, betrügerischem Bankerott und Hehlerei besteht.

Bundesblatt. 43. Jahrg.

Bd. III.

5

66

Wenn man Hausirern oder Wanderkrämern etwas abkauft, ist man gewöhnlich äußerst schlecht bedient. Ihre Artikel sind fast immer von sehr untergeordneter Beschaffenheit oder geradezu Ausschnßwaare. Ein seßhafter Kaufmann nimmt sich in Acht, das Publikum zu täuschen; denn abgesehen davon, daß der Gedanke, es sei dies unehrenhaft, ihn davon abhält, würde er sich der Gefahr aussetzen, seine Kundschaft zu verlieren. Ebenso verhält es sich mit dem Handelsreisenden, welcher zu bestimmten Zeiten erscheint und Vertreter eines bekannten Hauses ist. Weder der Eine noch der Andere würden sich gern begründeten Vorwürfen aussetzen. Wenn sie sich Unredlichkeit zu Schulden kommen ließen, würden sie selbst dabei zu Grunde gehen. Der Hausirer und der Wanderkrämer brauchen sich keine solchen Gedanken zu machen ; sie reisen von einem Land, von.

einem Kanton zum andern, erscheinen unregelmäßig und nur in langen Zwischenräumen, wechseln den Namen und sind nicht mehr da, wenn die Klagen derjenigen laut werden, deren Leichtgläubigkeit sie ausgebeutet haben.

Diese Berufsarten sollten nicht begünstigt werden, weil sie unnöthig und gefährlich sind. Jede Berufsart hat nur insoweit auf die Fürsorge der Regierung und des Landes Anspruch, als sie der Gesellschaft Dienste leistet. Der Nutzen für die Gesammtheit überwiegt alle anderen Erwägungen. Beim Hausirhandel scheinen mir die Dienstleistungen sehr zweifelhaft zu sein. Ich kenne die Leute, welche dieses Gewerbe ausüben, aus eigener Anschauung. Sie verdienen es meistens nicht, daß man sich ihrer annimmt. Wenn sie nicht Hehlerei treiben, so ist ihr Gewerbe eine verkappte Bettelei, und der Bettel ist ja strafgesetzlich verboten. Oft ist beides mit einander verbunden. An vielen Häusern sieht man ein Schildchen mit den Worten: Eingang für Bettler und Hausirer verboten. Ich fühle mich um so mehr berechtigt, so zu reden, weil die Leute, welche diese Berufsarten ausüben, nicht im wahren Sinne des Wortes Arbeiter sind; sie bringen nichts hervor; sie sind nur überflüssige, lästige und oft unehrliche Mittelspersonen.

Alles, was man zu Gunsten des Hausirhandels sagen kann,, ist, daß arme, schwächliche und alte Leute auf diese Weise ihren Lebensunterhalt erwerben. Auch Frauen fristen kümmerlich ihr Leben mit diesem Gewerbe. Ich will diesen Gefühlsgrund gelten lassen.

Nichts kann die
Kantone verhindern, denjenigen ihrer Angehörigen, die sich in einem dieser Fälle befinden, kostenfreie Patente auszustellen. Der Kanton Nenenburg thut dies seit mehreren Jahren und hat auf diese Weise eine Anzahl Familien dem Elend entrissen.

Bei der Umfrage, welche der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins vorgenommen hat, ist mit Bezug auf den

67

Hausirhandel die Ansicht geäußert worden, ein Bundesgesetz dürfe denselben nicht begünstigen, sondern müsse vielmehr trachten, ihn durch hohe Taxen einzuschränken. Es ist dies wenigstens die in der Geschäftswelt allgemein verbreitete Anschauung. Wie mir neulich ein hervorragender Industrieller der deutschen Schweiz, ein Mitglied der eidgenössischen Käthe, schrieb, glaubt man, der größte Schaden für unsere Handwerker und kleinen Kaufleute rühre vom Hausirhandel und den Wanderlagern her. Namentlich aus Deutschland finde eine eigentliche Ueberschwemmung statt.

In einigen Kreisen geht man sogar noch weiter. Man macht aus der Sache nicht nur eine Nützlichkeitsfrage, sondern greift den Grundsatz an und scheut sich nicht, der Handelsfreiheit selbst entgegenzutreten. Man erklärt rund heraus, die Zeit der Manchestertheorie sei vorbei, und wie wir in Zollangelegenheiten von ihr abgegangen seien, so" brauchen wir sie auch im Binnenverkehr nicht mehr zu befolgen.

Die Schweiz habe ein Pabrikgesetz erlassen, sie wolle die Arbeiter gegen Unfälle und Krankheit schützen, sie greife zu Polizeimaßregeln gegen gewisse Ausstellungen auf Märkten und öffentlichen Festen, sie beschütze die Fabrikmarken und die Erfindungspatente, sie schreibe die Sonntagsruhe vor, sie ergreife alle diese Maßregeln mit Bücksicht auf das allgemeine Wohl, ohne sich um den Schaden zu kümmern , welcher gewissen Privatinteressen daraus erwachsen könne.

Sie sollte daher nicht zurückweichen, sondern auch den Muth haben, das Wandergewerbe zu unterdrücken.

Diese Ansicht ist zwar noch weit davon entfernt, das Uebergewicht zu erlangen, aber ich führe sie als ein Kennzeichen der Gegenströmung an, welche sich gebildet hat.

Wenn man sich auf den Standpunkt der Opportunität stellt und den Erfolg abwägt, welchen neue Vorlagen dieser Art bei der Bundesversammlung und beim Schweizervolk haben dürften, so glaube ich, man sollte die Lösung der an und für sich schon recht schwierigen Frage der Handelsreisenden nicht dadurch gefährden, daß man sie mit derjenigen der Hausirer, Wander- und Standkrämer in Verbindung bringt.

Wir haben im Laufe dieser Darstellung gesehen, daß die von den Handelsreisenden bezogenen Patentgebühren bloß den sechsten Theil des ganzen Ertrags der Taxen ausmachen, welche die Wandergewerbe entrichten. Wir ziehen daraus den Schluló,
daß man sich hüten sollte, an den Gebühren für den Hausirhandel und die Wanderlager zu rütteln, weil dieselben für Kantone und Gemeinden eine viel höhere Bedeutung haben.

Ich komme so zu dem naturgemäßen Schluß, daß das Hausirund Wanderlagerwesen den Kantonen überlassen werden soll, mit

68 dem Vorbehalt, daß der Bund auf Grund der Gewerbefreilieit die Oberaufsicht führe. Nichts kann uns veranlassen, dieses Gewerbe auf die gleiche Stufe zu stellen mit demjenigen der Handelsreisenden.

Damit sagen wir übrigens keineswegs, daß die Schweiz beim Abschluß neuer Verträge darauf verzichten müsse, wirksame Maßregeln gegen das Hereinströmen auswärtiger Hausirer und Wanderkrämer zu ergreifen.

Wir befinden uns im Zustande der Nothvvehr. Die unheilvollen Wirkungen der gegenwärtigen Sachlage können durch noch so hohe Gebühren nicht aufgehoben werden.

Unsere eigenen Angehörigen, welche die gleichen Artikel auf dem Hausirwege verkaufen, zahlen Kantons- und Gemeindesteuern, leisten Militär- und Feuerwehrdienst; aber sie werden von Ausländern, welche eine gewandtere Zunge haben, überflügelt. Neulich noch sagte mir ein Kaufmann aus der deutschen Schweiz, daij auch aus diesem Grunde die Schaaren jener Unzufriedenen sich mehren, welche alle Bundesgesetze verwerfen.

Das österreichische Gesetz, welches solchen Uebelständen xu steuern bezweckt, enthält eine Bestimmung, laut welcher in Ortschaften von mehr als 10,000 Einwohnern, Avenu sich in denselben eine genügende Anzahl von Kaufläden findet, der Hausirhaiidol und das Aufstellen von Wanderlagern untersagt oder auf gewisse Tage in der Woche eingeschränkt werden darf. Außerdem muß der Hausirer oder Wanderkrämer nachweisen, daß er seine Waare im Innern des Landes gekauft hat. Wir huldigen in der Schweiz allerdings dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit. Dieser Grundsatz wird zwar durch das Beeilt der Steuererhebung abgeschwächt; aber er schließt jede Verbotmaßregel aus. Das Verbot, das in Österreich oder in Deutschland besteht, wäre also bei uns unzulässig mit Bezug auf die Bewohner unseres Gebietes. Aber das Ausland hat nicht ohne Weiteres ein Recht, sich auf die Verfassungsvorschriften zu berufen, welche unsere innern Einrichtungen beherrschen; ein solches Eecht kann höchstens aus den Verträgen hervorgehen. Die Verträge aber müssen sich auf Gegenseitigkeit stützen. Jede Klausel, welche praktisch nicht zur Gegenseitigkeit führt, beruht auf Täuschung.

Ich stehe nicht an, hier am Schlüsse meiner Auseinandersetzung über die Hausirer und Wanderkrämer zu erklären, daß die Kantone gewiß das Recht haben, gegenüber Deutschland und OesterreichUngarn
Maßregeln der Gegenwehr (Eepressalien) zu orgreifen. Ich glaube, sie haben, ohne daß die Bundesgesetzgebung hierüber etwas festzustellen hätte, das Recht, in ihre Gesetze den Vorbehalt aufzunehmen, daß ausländische Hausirer, welche übrigens den gleichen Gebühren und Abgaben zu unterwerfen sind, wie die einheimischen, nur

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Man hat in der Schweiz den Fehler begangen, diese Frage, welche von vorneherein hätte abgeklärt werden sollen, zu lange im Unklaren zu lassen. Man sollte endlich einer der Hauptklagen der schweizerischen Handelswelt abhelfen und dem Gefühle der Rechtsgleichheit Genüge thun, welches durch das von einigen Ländern gegen uns eingeschlagene Verfahren empfindlich verletzt worden ist.

Gestatten Sie mir, noch einen allgemeiner gehaltenen Schlußgedanken auszudrücken. Nicht nur die Wandergewerbe schaden den kleinen Kaufleuten ; wenn man jene auch gänzlich unterdrücken würde, würden die Klagen der Letztern doch nicht verstummen. Die neuen Verkehrsmittel haben Alles über den Haufen geworfen; die Konkurrenz hat sich verdreifacht, die Zahl der Detail-Verkaufsläden hat sich beträchtlich vermehrt; die ländliche Bevölkerung verdient weniger und kauft weniger als früher; die Konsumvereine, die Verkäufe auf Abzahlung, welche man nicht verhindern kann, die wirklichen oder scheinbaren Liquidationen, die großen Läden und Bazare thun das Uehrige. Diese Umstände würden durch die Unterdrückung des Hausirhandels keineswegs leiden, sondern vielmehr noch größere Bedeutung erlangen. Man muß sich keinen falschen Vorstellungen hingeben. Wenn man sich die Hebung der kleinen Geschäfte zum Ziele setzen will, so kann man auf diesem G-ebiete Heilmittel versuchen; aber man muß auf eine ernstliche und dauerhafte Besserung verzichten.

VX. Was ist zu thun?

Nach Ausscheidung der Hausirer und andern Wauderkrämer bleiben uns drei Lösungen möglich.

Entweder: Den auswärtigen Handelsreisenden jegliche Freiheit verweigern nnd sie, wie die schweizerischen Reisenden, der besondern Gesetzgebung jedes Kantons unterwerfen, folglich den jetzigen Zustand beibehalten; oder : Nach dem Vorschlage des Vororts des Schweizerischen Handels- und Industrievereins eine einheitliche Gebühr einführen für die Beisenden inländischer Geschäfte und solcher auswärtiger Häuser, die Vertragsstaaten angehören ; oder endlich,: Unbedingte Taxbefreinng herstellen und den im Jahre 1884 verworfenen Bundesheschluli wieder aufnehmen.

Sind nun, was zunächst in's Gewicht fällt, die Zeitumstände günstig, haben sich die Ansichten geändert, oder muß die gegenwär-

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tige Stimmung des Volkes uns veranlassen, diese Eeformen aufzuschieben?

Es ist immer schwierig, die verschiedenen Ansichten zu ergründen in einer Sache, in welcher Privatinteressen auf dem Spiele stehen.

Die Betheiligten machen immer mehr oder weniger Lärm, das geht nun einmal nicht anders. Die kleinen Kaufleute verwechseln gerne das öffentliche Interesse mit ihrem Privatvortheil. Bis zu einem gewissen Grade meinen sie es ehrlich; die Wärme, die sie ihrer Sache widmen, ist eine aufrichtige. Indessen steht diesen Klagen einer Minderheit das große Publikum gegenüber, das, -wenn es sich selbst überlassen und nicht von einer rührigen Propaganda beeinflußt wird, stets, wenn auch zuweilen nicht offen, dem Grundsatze der Freiheit huldigt.

Versetzen wir uns in's Jahr 1884 zurück! Die Bundesversammlung hatte mit großer Mehrheit jenen Beschluß gefaßt, welcher die völlige Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von jeder Gebühr festsetzte. Dieser Beschluß wurde an und für sich nur wenig angegriffen.

Unglücklicherweise stand er aber in Verbindung mit drei andern zu gleicher Zeit erlassenen und der gleichen Referendumsfrist unterstellten Beschlüssen. Diese drei anderen Beschlüsse erregten aus ver. schiedenen Gründen lebhaften politischen Widerspruch. Durch den einen wurde das Bundesstrafgesetz revidirt und demselben der sogenannte ,,Stahio-Artikel" beigefügt, welcher die eidgenössische Strafgerichtsbarkeit erweiterte ; der zweite vermehrte das Personal des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements:, der dritte erhöhte die Besoldung der Schweizerischen Gesandtschaft in Washington. Es wurde das Losungswort ausgegeben : ,,Alles verwerfen, was von Bern kommt.* Der Beschluß über die Geschäftsreisenden ward von dem gleichen Verneinungsstrome fortgeschwemmt. Aber während die verwerfende Mehrheit heim Stabio-Artikel 43,705, beim Justiz- und Polizeidepartement 65,187 und bei der Gesandtschaft in Washington sogar 81,904 Stimmen betrug, so stieg sie bei dem Beschluß über die Abschaffung der Patentgebühren nur auf 15,355 Stimmen. Es ist dies wenig auf eine Zahl von 360,000 Stimmenden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß gegen den zuletzt genannten Beschluß allein das Referendum nicht verlangt worden wäre. Das Eeferendnm ist immer eine schwer bewegliche Maschine, und die kleinen Interessen, welche durch jenen
Beschluß verletzt wurden, hätten nicht genügt, um eine ernsthafte Volksbewegung hervorzurufen. Gesetzt auch, man hätte die nöthige Zahl von Unterschriften zusammengebracht, so ist doch sehr wohl möglich, daß diese Bemühung umsonst gewesen und der Beschluß der Räthe vom Volke mit großer Mehrheit genehmigt worden wäre.

Wenn damals eine der Sache wirklich feindselige Stimmung vorhanden gewesen wäre, so hätte sie sich in der Presse geoffenbart,

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·was nicht der Fall war, und die Bundesversammlung, welche die Empfindungen und Bestrebungen des Volks und der Kantone wiederspiegelt, hätte nicht eine so entschlossene Haltung eingenommen.

Seither hat das Interesse für die schweizerischen Handelsreisenden an Boden eher noch gewonnen.

Ich führe zum Beweis nur die in Neuenburg im Jahre 1885 abgehaltene Konferenz an, in welcher, obwohl sie kurze Zeit nach der Niederlage von 1884 stattfand, die Regierangen von zwölf Kantonen, welche eine Bevölkerung von 1,700,000 Seelen vertreten, sich alle entschieden za G-unsten der Taxbefreiung aussprächen.

Später haben Kantone, welche zuerst die schweizerischen Reisenden besteuerten, freiwillig auf die aus dieser Besteuerung herstammende Einnahme ganz oder theilweise verzichtet, so die Kantone Waadt, Freiburg und Solothurn. Eine andere bezeichnende Thatsaehe ist die, daß die Regierung eines der volkreichsten Kantone, welcher die Handelsreisenden mit den höchsten Gebühren belegt, Zürich, entschieden für völlige Taxbefreiuug eingetreten ist, in welchem Sinne übrigens aneli das Zürchervolk im Jahr 1884 mit großer Mehrheit sich ausgesprochen hat.

Die Kundgebungen aus neuester Zeit, welche der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins veranlaßt hat, haben ebenfalls ihre große Bedeutung. Sie boten ein erfreuliches Schauspiel.

Die hauptsächlichsten Handels- und Gewerbevereine der Schweiz, die Vertreter der gewichtigsten Interessen, die Vertreter von Tausenden und aber Tausenden von Bürgern, haben die Einführung eines einheitlichen Systems an der Stelle des gegenwärtigen Zustandes, den sie als unhaltbar betrachten, verlangt.

Wir können hier noch den vom Schweizerischen Gewerbeverein in seiner Versammlung zu Altdorf im Jahre 1890 angenommenen Beschluß erwähnen. Auch er will einheitliche, auf Schweizer wie auf Ausländer gleichmäßig anwendbare Gebühren, verlangt aber allerdings, dalS sie so hoch als möglich gehalten werden.

Ueber den Betrag der Gebühren kann man gewiß verschiedener Ansicht sein; aber bedeutsam ist, daß das Bedürfniß nach einer « i n h e i t l i c h e n Gebühr auch in diesem letztangeführten Verein, welcher an der Beibehaltung der Taxen mehr Interesse hat als andere, sich geltend gemacht hat. Es beweist dies zur Genüge, wie unhaltbar der jetzige Zustand ist.

In der That kann es so nicht
fortgehen. Die Schweiz ist das einzige Land der zivilisirten Welt, wo die Ausländer besser behandelt werden als die Einheimischen. Was nach einem großen Kriege der Sieger nicht wagte, dem Besiegten aufzuerlegen, das nehmen wir frei-

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willig und leichten Herzens auf uns. Nichts widerspricht der Würde eines Landes mehr, als ein solches Verhältniß; nichts ist demüthigender für unsern Charakter. Wir machen darauf Anrpruch, das freieste Volk Europa's zu sein, wir sind stolze Kepublikaner, und ·wir können nicht einmal unsere Mitbürger auf unserm eigenen Gebiete schützen ; wir lassen diese doppelte, gegen uns selbst gerichtete Ironie fortbestehen, daß der Schweizer in seinem eigenen Lande weniger gut behandelt wird als der Ausländer, und daß er nach Prankreich gehen muß, um die Gewerbefreiheit zu genießen, welche man ihm daheim verweigert. So weit sind wir gekommen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. -Und diese Sehmach nehmen wir auf uns, um kantonale Gebühren zu retten, deren jährlicher Betrag nicht pinmal Pr. 50,000 erreicht. Wir ertragen sie unter dem nichtigen Verwände, die Stellung der kleinen Verkaufsläden zu schützen, deren Existenz von so vielen andern Seiten her bedroht wird und für welche die Handelsreisenden durchaus nicht die gefährlichsten Konkurrenten sind. Das demüthigenrte Gefühl, das uns beschleichen muß, ist um so stärker, weil wir uns nicht etwa damit entschuldigen können, wir seien gezwungen worden, wir hätten einer höhern Gewalt nachgeben müssen. Aus freien Stücken, aus kleinlicher, eigennütziger Berechnung haben wir eine der Grundregeln des allgemein gültigen Staatsrechts geopfert; aus einem eigenthümlicheu Mangel an Logik und Festigkeit haben wir, um Vorurtheilen einer vergangenen Zeit uns gefällig zu erweisen, einen von der Bundesgewalt klar und bestimmt aufgestellten Grundsatz fallen gelassen. Die Schwankungen und Wandlungen in der eidgenössischen Rechtsprechung haben in dieser Hinsicht die schlimmste Wirkung ausgeübt. Alle Spitzfindigkeit, welche man angewandt hat, um auf die engherzigste Auslegung zurückzukommen, hält nicht Stich angesichts der alles Andere in den Schatten stellenden einen Thatsache, daß man auf diese Weise zu dem traurigen Ergebnisse kam, unsern Mitbürgern im eigenen Lande eine untergeordnete Stellung anzuweisen.

Dieser Gesichtspunkt beherrscht alle anderen. Wir haben im tiefsten Herzensgrund ein natürliches Gefühl des Stolzes, an welches man nicht umsonst appellirt. Die Schweiz, welche auf allen andern Gebieten als Vertreterin des Freiheitsgedankens dasteht, die Schweiz, die so
leidenschaftlich für die Gleichheit aller Bürger eintritt, die so eifersüchtig ist auf ihre und ihrer Kinder Unabhängigkeit, die Schwein, welche jedes Jahr Millionen opfert, um ihr Heer auf der Höhe der Anforderungen der Jetztzeit zu erhalten, wird ein derartiges Verhältniß nicht länger dulden wollen. Wenn man das Schweizervolk ein zweites Mal fragen wird : Willst Du, daß noch länger die Ausländer in der Schweiz besser behandelt werden als die Schweizer? so wird es

73 sicherlich mit Nein antworten und sich für die gleichmäßige Behandlung, für die Einheitlichkeit aussprechen.

Wie kann aber diese Gleichheit, diese Einheitlichkeit erzielt werden? Etwa dadurch, daß man die höchsten Gebühren der Kantone bestimmten Kegeln unterwirft, daß man einen Rahmen feststellt, innerhalb dessen sie sich bewegen dürfen, wie Postulate der Bundesversammlung vom Bundesrathe verlangt haben? Der Bundesrath hat bis jetzt Anstand genommen, diese Aufgabe zu lösen, und ich glaube, er hat gut daran gethan.

Den Kantonen Eegeln für die Anwendung der Taxen auferlegen, ist eine sehr schwierige Sache. Willkür bleibt Willkür; man kann sie nicht reglementiren. Bei einem hinkenden System, wie das angeregte, welches eine bedenkliche Neigung zeigt, feste Grundsätze aus untergeordneten Rücksichten preiszugeben, hätte man alle Uebelstände einer Einmischung des Bundes ohne die Vortheile einer solchen.

Wie, wenn wir, mit oder ohne dieses unzulängliche Korrektiv, die kantonalen Taxen beibehielten und dieselben auch den Ausländern auferlegen wollten? Von einer solchen Vorstellung soll man sich nur, sobald wie möglich, freimachen. Glaubt denn Jemand, daß die Länder, mit welchen wir in unserm eigensten Interesse die Handelsverträge zu erneuern uns anschicken, daß Prankreich z. B. jemals seine Reisenden, welche von allen Gebühren völlig befreit sind, dem seltsamen Mischmasch der kantonalen Taxen unterwerfen lassen werde?

Es hieße dies die französische G-eistesrichtung, welche vor Allem nach Einheit strebt, und die offenbaren Absichten der französischen Regierung ganz gewaltig verkennen. Trotz gewisser sclmtzzöllncrischer Bestrebungen, welche hervorgetreten sind und die nicht vor den Folgen einer durchgängigen Anwendung des Generaltarifs zurückschrecken würden, kann man sagen, daß die überwiegende Mehrheit des Schweizervolks vor Allem die Erneuerung der Handelsverträge wünscht. Und wenn ein großes Land wie Prankreich, das schon seiner besonderen Lage wegen sich volle Handlungsfreiheit zu wahren trachtet und der Ablehnung der Verträge sich zuneigt, als Vorbedingung des Eintretens hinstellt, dalò für seine Geschäftsreisenden die kantonalen Einrichtungen nicht zu gelten haben, so werden die kantonalen Gebühren nicht schwer hrs Gewicht fallen gegenüber den so wichtigen Interessen, welche den Abschluß eines
'Vertrages erheischen. Es scheint mir dies um so richtiger zu sein, als Frankreich gerade eines der wenigen Länder ist, wo es zahlreiche schweizerische Geschäftsreisende gibt und wo dieselben keinerlei Plackerei ausgesetzt sind.

Mit andern Ländern wird es sich im Großen und Ganzen ebenso verhalten.

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Könnten wir vielleicht den Ablauf der Verträge im Jahre 1892 vorübergehen lassen, ohne diese Präge zu ordnen? Wenn wir auch wollten, das Ausland würde es nicht zugeben. Es gibt Verhältnisse, und das vorwürfige gehört zu denselben, welche stärker sind als aller Widerstand und kleinliche Interessen zum Schweigen bringen.

Ich komme auf diesem Wege zu der unvermeidlichen Alternative: Entweder Befreiung der ausländischen Reisenden von den kantonalen Gebühren wie bisanhin -- oder keine Handelsverträge. Das Schweizervolk wird darüber nicht unschlüssig sein.

Oder hätte noch Einer don traurigen Muth, zu behaupten, daß wir, ohne moralischen Schaden, die kantonalen Gebühren für die Ausländer abschaffen und für die Schweizer beibehalten können?

Ich hoffe zur Ehre unseres Landes, daß nicht der Krämergeist in seiner unedelsten, schlimmsten und engherzigsten Gestalt in diesem Punkte den Sieg davontragen wird.

Ich weise also alle Lösungen zurück, welche die Beibehaltung der kantonalen Taxen mit sich brächten, auch jene, welche das in einigen Kantonen gebräuchliche Verfahren verallgemeinern würde, für jede Waarenldasse ein Maximum und ein Minimum festzusetzen und den Ausländern das Maximum abzufordern. Dieser unwürdige Ausweg würde der Billigkeit, welche in den internationalen Beziehungen herrschen muß, widersprechen.

Die Beibehaltung der kantonalen Taxen würde auch noch den Uebelstand im Gefolge haben, daß die Gemeindetaxen bestehen blieben.

Man kann sogar sagen, daiS boi der gegenwärtigen Sachlage die Kantone, die größeren namentlich, nicht verhindert wären, anstatt für den ganzen Kanton Gebühren zu erheben, solche für die Bezirke einzuführen und so den Handelsreisenden die Existenz za verunraoglichen unter dem Vorwand, man wolle eine ebenso hohe Einnahme erzielen wie kleinere Kantone.

Wir haben gesehen, wie unbedeutend die kantonalen Taxen sind und wie gering das fiskalische Interesse ist, das die Kantone haben, dieselben angesichts der viel wichtigem Interessen, die auf dem Spiele stehen, beizubehalten. Wir haben gesehen, daß die Schweiz mit andern Mächten und nicht nur mit sich selbst zu rechnen hat. Außerdem steht es den Kantonen nach den großen Suramen, die ihnen aus der Vertheilung der Alkoholeinnahmen zufließen, schlecht an, von den Lücken zu sprechen, welche die Bundesgesetzgebung in ihre
"Verwaltungseinnahmon reiße. Wenn man nun jenen weitern, zu Gunsten der Beibehaltung der kantonalen Taxen angerufenen Grund, das Interesse des seßhaften Kleinhandels, näher prüft, so wird man erkennen, daß derselbe nicht höher anzuschlagen ist.

75 Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der seßhafte Handel anderen Faktoren und anderen Ursachen die Schuld an der mißlichen Lage, über die er sich beklagt, beimessen muß. Es gibt noch einen in die Augen springenden Grund, der mir unwiderleglich scheint.

In den meisten Ländern Europa's sind die einheimischen Reisenden von jeder Taxe befreit. Nun gibt es auch in diesen Ländern seßhafte Kaufleute, welche ihre örtlichen Steuern entrichten, und einen Kleinhandel, welcher die Abgaben trägt. Diese Kaufleute und dieser Kleinhandel halten sich jedoch aufrecht; sie bestehen weiter trotz der schlimmen Zeiten, und es kommt ihnen nicht in don Sinn, eine Schutzgebühr gegen Andere zu verlangen. Die Existenzbedingungen sind für sie die gleichen wie bei uns. Die Miethe ist ebenso theuer, die Steuern sind noch höher und zahlreicher, die Kundsame ist ebenso, wenn nicht in noch höherem Maße, sparsam und schwer zu befriedigen, die Konkurrenz ist ebenso groß, die Eingangszölle auf den Waaren sind mindestens ebenso hoch, der Kampf gegen die großen Kaufläden ist mit ebenso ungleichen Waffen zu führen. Ich finde keinen Grund, den man zu Gunsten des schweizerischen Kleinhandels anführt, und den man nicht mit ebenso viel oder mehr Eecht zu Gunsten des Kleinhandels dieser Länder geltend machen könnte. Dennoch hält sich dieser aufrecht und führt den Kampf um's Dasein weiter. Die Konkurrenz der Geschäftsreisenden kann also nicht so verderblich sein, wie man in der Schweiz behauptet.

Man kann die gleiche Wahrnehmung in denjenigen Kantonen machen, wo die schweizerischen und ausländischen Handelsreisenden von jeder Gebühr befreit sind. Die Lebensbedingungen sind dort nicht weniger schwierig als in den andern Kantonen. Der hauptsächlichste Beweisgrund, auf den man» sich stützt, hält also nicht Stand.

Andererseits gibt es aber ein viel wichtigeres und allgemeineres Interesse als dasjenige des Kleinhandels, das Interesse des großen Publikums, der Konsumenten. Auf dem ökonomischen Gebiete muß man sich vorzugsweisetauf den Standpunkt dieses Interesses stellen. Wenn ich mich für die Beibehaltung der Gebühren der Hausirer und Wanderkrämer zu Gunsten der Kantone erkläre, so thue ich dies vielmehr im Interesse des Publikums als in demjenigen der Kleinhändler, welchen diese Gewerbsleute Konkurrenz machen. Wenn sie gute Waare verkauften,
wenn sie sich nicht ein Geschäft daraus machten, das Publikum zu täuschen, wenn nicht viele unter ihnen Landstreicher wären, wenn die Ausübung ihres Berufes nicht mit unlautern Machenschaften zusammenhinge, so hätte ich mich auch zu der Ansicht bekennen können, ihnen mehr Freiheit zu gewähren.

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Sobald der Schutz nicht allgemein ist, wird er zur Ungerechtigkeit. Warum soll man den Einen verweigern, was man den Andern gestattet? Warum soll man nur gewisse Gewerbs- und Hadelszweige begünstigen? Und wer soll die Bedürfnisse eines jeden derselben abmessen? 31 an befrage die Gewerbetreibenden jeder Art ; Alle odor fast Alle werden sagen, dass sie Schutz nöthig haben.

Stelle man sich einmal eine Staatseinrichtung vor, in welcher der Schutz allgemein wäre: Schutz für den Gewerbetreibenden, für den Kaufmann, für den Landwirth, für die freien Berufsarten gegen die Konkurrenz der Genossen und Kollegen, Einschränkung der Zahl der Aerzte, der Apotheker, der Zahnärzte und Ingenieure, Einschränkung der Zahl der Gasthäuser und Wirthschaften, nicht vom Standpunkt der öffentlichen Moral aus, sondern im Interesse ihrer Eigenthümer Wo nähme der Staat die Kraft und das Gold her, um allen diesen Schutz zu bewerkstelligen, und welches Beamtenheer würde or dazu brauchen ! Und welches wäre die unvermeidliche Wirkung des schönen Gedankens? Die Verarmung aller jener Berufsarten, deren Gedeihen man gern gefördert hätte, das Hinschwinden aller ihrer Kräfte, die Einschränkung der Thätigkeit der befähigten Personen und die Unterdrückung des Unternehmungsgeistes ; der Stumpfsinn der orientalischen Welt würde an die Stelle der Thatkraft des Abendlandes treten.

Ich war beim Beginn dieser Arbeit entschlossen, Ihnen, nur mit einigen redaktionellen Verbesserungen, die einfache Rückkehr zur Beseitigung aller Gebühren der Handelsreisenden vorzuschlagen, wie sie im Bundesbeschluss von 1883 enthalten war. Ich habe schon einmal in den eidgenössischenRäthenn diesen Vorschlag gemacht und noch in der interkantonalen Konferenz von 1885 diesen Gedanken unterstützt.

Es wäre das die einzige ganz klare und logische Lösung, dio einzige, welche den Abschluß neuer Verträge wesentlich erleichtern und alle äußeren und inneren Schwierigkeiten beseitigen würde.

Wenn ich trotzdem einer einheitlichen Gebühr zustimme, so geschieht dies, nachdem ich von dem Vorgehen des Vororts des Schweizerischen Handels- und Industrievereins Kenntniss genommen habe ; ichthue es mehr ausUeberlegungg als ausNeigung,, ich thue «s im, Sinne des Entgegenkommens, eines Zugeständnisses, um des Friedens willen, um mit der Sache zu Ende zu kommen. Ich thue es auch
aus dem Grunde, weil der Verein schweizerischer Handelsreisender, welcher die an einer freisinnigen Lösung hauptsächlichBethei-ligten in sich schließt, nicht weiter gehen wollte, sondern ein Kompromiß aufGrundd einer einheitlichenGebührr als nothwendig ansieht

und, durch die bisherigen Mißerfolge klüger oder furchtsamer geworden, nicht gewagt hat, zur G-ebührenfreiheit zurückzukehren.

Man kann zu Grünsten einer ganz mäßigen einheitlichen Taxe wohl auch anführen, daß es gewissermaßen billig sei, wenn die Handelsreisenden den Gegenwerth der Steuern zu bezahlen haben, die den seßhaften Kaufleuten auferlegt werden. Dieser Beweisgrund ist indessen nur tli eilweise stichhaltig, da ja die Geschäftshäuser, welche von den Handelsreisenden vertreten werden, die Steuern an ihrem Wohnorte entrichten. Darin beruht eben der große Unterschied zwischen den Reisenden, welche seßhafte Geschäftshäuser vertreten, und den Hausirern oder Wanderkrämern, welche keinen festen Wohnsitz haben.

Der seßhafte Kleinhandel hat sich darum nicht allzusehr zu beklagen; wenn der Gedanke des Steuerausgleichs die Oberhand gewinnt, so werden seine Interessen genügend wahrgenommen. Es wird dann bis zu einem gewissen Grade ein Ausgleich der Lasten eintreten. Und die Kaufleute des einen Kantons, auch diejenigen, welche es bisher nicht thaten, werden mit größerer Leichtigkeit in andern Kantonen reisen lassen können.

Allein welche Grundlage wählen, welche Ziffer festsetzen?

Da es sich darum handelt, zugleich die Lage der einheimischen und der ausländischen Reisenden zu regeln, so wäre es interessant gewesen, eine Zählung in den Kantonen zu veranstalten, um zu wissen, tvie viele Ausländer diesen Beruf betreiben, und aus welchen Ländern dieselben stammen; es wäre von Interesse gewesen, das VerluiltniiJ der auswärtigen Reisenden zu den einheimischen kennen zu lernen.

Unsere Gesandten sollten uns auch Auskunft geben können über die Zahl der schweizerischen Reisenden in den Ländern, bei deren Regierung sie beglaubigt sind, über die Art ihres Handels und über den größern oder geringern Grad von Wohlwollen, der ihnen seitens der Behörden entgegengebracht wird.

Aber ich anerkenne die Schwierigkeit, eine solche Statistik durchzuführen, die große Gefahr ihrer Ungenauigkeit; ich begreife, daß die Lösung Eile hat, und daß es jetzt zu spät ist, diese Arbeit zu unternehmen.

Ich habe große Achtung vor den Arbeiten des Vororts des Handels- und Industrievereins und schätze die von ihm mit Sorgfalt gesammelten Daten. Doch scheint es mir, er habe sich durch die Beschwerden dos seßhaften Handels etwas zu sehr hinreißen lassen, als er eine einheitliche Patentgebühr von Fr. 150 vorschlug.

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Vergessen wir nicht, daß wir über diese Taxe mit andern Ländern unterhandeln müssen, und daß diese letztern sie annehmen sollen.

Ich glaube nicht, daß z. B. Frankreich einer Taxe, die Fr. 100 übersteigt, seine Zustimmung ertheilen würde ; wir werden schon Müho genug haben, diesen Staat nur für eine so hohe Taxe zu gewinnen.

Bei einer Gebühr von Fr. 100 werden die Patente der auswärtigen Keisenden, welche bis jetzt nichts bezahlten, bis zu einem gewissen Grade den Verlust, den die Kantone an den Patenten der schweizerischen Reisenden erleiden, ausgleichen.

Ich nehme nur ungern die Unterscheidung zwischen den EngrosReisenden, welche sich bloß an die Geschäftsleute wenden, und denjenigen Reisenden an, welche nach der geläufigen Formel Bestellungen auf Muster in den Häusern oder bei solchen Personen aufnehmen, die nicht mit den gleichen Artikeln Handel treiben oder sie nicht in ihrem Gewerbe verwenden. Diese Unterscheidung scheint mir weder gerecht noch logisch zu sein. Yiele Reisende treiben beiderlei Geschäfte. Aber der Begriff scheint sich nun einmal in der deutschen Schweiz fest eingebürgert zu haben, und ich wünsche vor allen Dingen, daU die neuen Vorschläge Erfolg haben. Was mich noch -weiter veranlaßt, gegen die Besserstellung der EngrosReisenden nichts einzuwenden, ist der Umstand, dali sie für dieso selbst eine "weitherzige Maßregel, im Uebrigen aber ein Schritt ist auf dem Wege zur gänzlichen Gebührenfreiheit auch der andern Han delsreisenden.

Das Verfahren und die Förmlichkeiten sind so viel als möglich zu vereinfachen. Man muß verwickelte Polizeimaßregeln und unnöthige Plackereien vermeiden. Ich stelle mich in dieser Hinsicht ganz auf den Boden der Vorschläge des Vororts.

Es ist noch ein weiterer Punkt zu beachten, den ich nicht genug betonen kann: Wir müssen für die Handelsreisenden wie bei andern Vertragsbedingungen volles Gegenrecht verlangen. Das Bundesgesetz, welches den Unterhandlungen als Grundlage dienen soll, muß in dieser Hinsicht so klar als möglich sein.

Die Vorschläge des Vorortes hedürfen in dieser Richtung einer Ergänzung. Es bestand hier eine große Lücke in den früher mit einigen Ländern abgeschlossenen Verträgen. Man muß im Gesetze auf die klarste und bestimmteste Art sagen, daß den Eeisenden aus denjenigen Ländern, wo die schweizerischen Eeisenden härtern Bedingungen
unterstellt sind, besonders den Keisenden aus Ländern, wo die Verweigerung eines Patents der Willkür der Ortsbehörden überlassen ist, kein Patent ertheilt werde, mit andern Worten: Patente sollen den Keisenden eines Landes nur in dem Maße gewährt werden, in welchem jenes Land solche den Schweizern ausstellt.

79 Aufrichtige und wirkliche Gegenseitigkeit ist die Grundlage aller internationalen Vereinbarungen. Wenn mau von ihr abgeht, vernichtet man das Vertragsrecht. Dieser Gedanke ist ganz unzweifelhaft richtig.

In Prankreich z. B., wo für die Handelsreisenden volle Freiheit besteht, gelangt man nun auch zu der Erkenntniß, daß diese Freiheit nur denjenigen Ländern zugestanden werden soll, welche sie selbst bethätigen. Eine sehr verbreitete Zeitung, der ,,Figaro a , brachte in dea letzten Tagen die Nachricht, daß gemäß einem ministeriellen Erlaß die Gemeinderäthe berechtigt seien, die Handelsreisenden aus Ländern, welche den Franzosen nicht Gegenrecht gewähren, mit Gebühren zu belegen. Das genannte Blatt erblickt in dieser Maßregel weniger das Bestreben, das einheimische Gewerbe zu schützen, als den Willen, alle andern Staaten zur Einführung des Gegenrechts zu veranlassen.

Auch der französische Geschäftsreisende bedarf des Gegenrechts, um seiner Thätigkeit freien Spielraum zu verschaffen. Er hat es so gut verstanden, die meisten Staaten der französischen Industrie dienstbar zu machen, daß die bloße Nachricht von einer Aenderung der französischen Zollpolitik ganz Europa in Aufregung bringt. Er hat es durch seine Gewandtheit, durch seine Intelligenz und, fügen wir hinzu, durch den Werth seiner Waaren verstanden, dem französischen Gewerbefleiló weite Absatzgebiete zu eröffnen und Millionen von Arbeitern die Existenz zu sichern. Da die französische Eegierung die Dienste, welche diese Pionnière der kommerziellen und gewerblichen Interessen ihrem Lande leisten, nach Verdienst würdigt, so entwickelt sie für dieselben ebenso viel Sorgfalt wie der Fürst einer Militärmonarchie für sein Heer. Die öffentliche Meinung begreift die Wichtigkeit dieser Bemühungen und unterstützt die Regierung.

Der . ,, B e i s e n d e K a u f m a n n 1 1 in Wien bemerkt dazu, man könne aus dieser Maßregel auf den festen Willen der französischen Eegierung schließen, in den zu eröffnenden Verhandlungen ihre Handelsreisenden mit aller Macht zu schützen.

Wir sind um so mehr berechtigt, völlige Gleichstellung zu verlangen, als in den meisten Ländern, mit welchen wir zu unterhandeln haben werden, die Zahl der schweizerischen Eeisenden sozusagen gering ist im Vergleich zu den Eeisenden, welche von diesen Ländern her in die Schweiz kommen. Aber
wir müssen den Vorkehrungen der französischen Eegierung mehr Wichtigkeit beimessen, weil, wie schon bemerkt, Frankreich eines der wenigen Länder ist, wo die schweizerischen Eeisenden etwas zahlreicher verkehren und auch gute Geschäfte machen. Dabei bleibt es noch fraglich, welche Folge die den Franzosen wie den Schweizern und den andern Ausländern aufzuerlegende einheitliche Taxe von Fr. 100 für die schweizerischen Handelshäuser haben wird. Es ist hier ein dunkler Punkt, der mir noch einige Besorgniß verursacht.

80 Die Gebühr von Fr. 100 hat übrigens gute Aussicht, die Mehrheit der Räthe und des Volkes auf sich zu vereinigen. Die Kautone, in denen gegenwärtig schon vollständige Freiheit herrscht, umfassen eine Bevölkerung von über 500,000 Seelen und werden sich gewiß für sie aussprechen. Der Eest wird sich ohne Mühe in den andern Theilen der Schweiz finden. Es scheint mir sogar ein Referendumsbegehren wenig wahrscheinlich zu sein.

VII. Der verfassungsrechtliche Gesichtspunkt.

Schlußwort.

Ist es nothwendig, die Bundesverfassung zu revidiren, um unter den soeben angegebenen Bedingungen eine einheitliche Taxe einzuführen ?

Ist dies nothwendig, weil dem Bunde nicht die Befugniss zukömmt über die Handelsreisenden ein Gesetz zu erlassen?

Oder, unter der Toraussetzung, daß er diese Befugniss besitzt, ist es nothwendig, weil der Bund keine Steuer (Abgabe) einführen darf?

Ich will diese beiden Fragen nach einander prüfen.

1.

Wie wir gesehen haben, ist der Bundesbeschluß von 1859 nie förmlich aufgehoben worden. In bestimmten Fällen hat anläßlich staatsrechtlicher Rekurse eine verschiedene Rechtsprechung stattgefunden; in beiden eidgenössischen Räthen sind sachbezügliche Postulate aufgestellt, aber niemals ist ein allgemein verbindlicher Beschluß gefasst worden, durch welchen der Beschluß des Jahres 1859 abgeändert worden wäre.

Der Berichterstatter der ständeräthlichen Kommission von 1860 Dr. J a k o b D u b s , widerlegte den Gedankengang jener Partikularisten à outrance, welche die auf Muster Bestellungen aufnehmenden Handelsreisenden den Hausirern gleichstellen wollten, indem er sagte : ,,Diese Argumentationen stehen mit dem Grundprinzip der Freiheit des Verkehrs überhaupt im Widerspruche. Es ist völlig wahr, da 3 dieses Prinzip auch seine Schattenseiten hat, welche für den Gewerbtreibenden in der großen Zahl der Konkurrenten auf dem gleichen Gebiete und für das Publikum in der durch die Konkurrenz ebenfalls gesteigerten Möglichkeit des Fehlgreifens beim Kaufen

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liegen. Allein die Bundesverfassung hat dieser Schattenseiten ungeachtet und bei voller Kenntniß derselben dennoch das Prinzip der Verkehrsfreiheit im Innern der Schweiz postulirt, weil die Vortheile desselben überwiegend sind. Dieses Prinzip besteht aber im Handelsverkehr aus zwei Stücken: erstlich aus dem Rechte, frei zu v e r k a u f e n , und zweitens aus dem Rechte, frei zu k a u f e n . Wenn eine Gesetzgebung eines Kantons nun den Grundsatz aufstellt, es dürfe ein Handlungsreisender nur an Gewerbsleute wieder verkaufen, nicht aber an das gesammte Publikum, so schädigt sie viel weniger den erstem als das letztere; sie nöthigt das Publikum, aus zweiter Hand zu kaufen, \vo es aus erster Hand kaufen könnte, und somit dem Zwischenhändler Provisionen (faux frais) zu bezahlen."

Gegen die Einwendung, daß der angesessene Handelsmann dem fremden Handelsreisenden gegenüber in eine ungünstigere Stellung komme, indem er dem Staate Steuern bezahle, letzterer aber nicht, bemerkte Dubs: ,,Das Handelshaus, das Musterreisende aussendet, bezahlt seine Steuern an seinem Domizil, und zwar auch für den Erwerb und das Vermögen, das es außer dem Heimatkanton macht. Dadurch ist die Ausgleichung für den vermeintlichen Verlust gegeben. . . . Es würde gerade das entgegengesetzte Verfahren die Gleichheit der Schweizerbürger stören, und bei jenem Standpunkte wäre es überhaupt unmöglich, mit irgend welchem Staate einen Vertrag über gegenseitige Verkehrsfreiheit abzuschließen, weil ja der Fall jedesmal eintritt, daß der Fremde bei uns steuerfrei Verkehr treiben darf, während der Einheimische infolge seiner Ansäßigkeit an die Staatslasten u. s. f.

beizutragen hat."

Diese Betrachtungen bekunden besser als jede weitere Auseinandersetzung den Geist, von welchem damals die Mehrheit der Bundesversammlung geleitet und beseelt wurde. Sie bleiben immer wahr und haben ihre volle rechtspolitische Bedeutung heute noch. Sie haben eine ganz besondere Bedeutung im Munde eines Mannes, welcher viele Jahre lang in den politischen Behörden der Eidgenossenschaft eine so hervorragende Stellung eingenommen hat.

Ich werde später auf eine andere von Hrn. Dubs ausgesprochene Ansicht zu sprechen kommen.

Dr. J. J. B l u m e r erklärt sich in seinem Bundesstaatsrecht, I. Theil, Seite 463, mit dem Bundesbeschlusse von 1859 einverstanden.

Er kritisirt
nur die Unterscheidung zwischen Handelsreisenden und Hausirern. Aus seiner Bemerkung ist der Schluß zu ziehen, man hätte auch den Hausirern die Wohlthat der Gebührenfreiheit zukommen lassen sollen. Er bestreitet in der That nicht, daß die HandelsBundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

6

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reisenden die Vermittler des Verkehrs von Kanton zu Kanton seien, aber er sagt, die Hansirer nehmen die gleiche Stellung wie jene ein.

Mit andern Worten: Hr. Blumer wäre gerne noch weiter gegangen als die Bundesversammlung.

Auch der Bundesrath suchte, wie sich aus seiner Botschaft üher die Partialrevision von 1865 ergibt, die Schranken betreffend das Hausirwesen niederzureißen. Es herrschte Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und den Käthen; dieselbe bestand darin, daß die Eäthe nicht so weit gehen und den Hausirern nicht die gleiche Freiheit wie den Handelsreisenden gestatten wollten.

Das war der Stand der Gesetzgebung unter der Herrschaft der 1848er Verfassung, welche nur die Handelsfreiheit von Kanton zu Kanton gewährleistete.

Es handelt sich heute darum, zu wissen, ob die Verfassung von 1874 von diesem Grundsatz zurückgekommen sei. Hier liegt der Kernpunkt der Frage. Nicht ohne Erstaunen sieht man, daß die neue Verfassung der Einführung von Beschränkungen der Handelsfreiheit zum Verwände gedient hat. Folgendes ist mit dürren Worten die Beweisführung, welche sich unter der etwas unbestimmten Ausdrucksweiso des Geschäftsberichts von 1878 verbirgt: Die Verfassung von 1848 wollte die Handelsfreiheit in ausgedehnter Weise gewährleisten; unter der Herrschaft dieser Verfassung erließ die Bundesbehörde einen Beschluß, welcher den Kantonen verbietet, die Handelsreisenden mit Gebühren zu belegen; allein das Jahr 1874 hat uns eine weniger freisinnige Verfassung gebracht, die den Kantonen ihre Handlungsfreiheit mit Bezug auf die Gebühren der Handelsreisenden zurückgab; demgemäß ist der Beschluß von 1859, als der neuen Verfassung widersprechend, thatsächlich abgeschafft, und den Kantonen steht es frei, die Handelsreisenden mit Patenttaxen zu belegen.

Dieser eigenthümliche Gedankengang hält die Prüfung nicht aus.

Ich habe den bundesräthlichen Bericht von 1883 erwähnt, welcher die ganze Beweisführung der Kommissionen des Jahres 1878 über den Haufen wirft. Ich will nicht darauf zurückkommen ; aber man kann die Sache nicht hesser ausdrücken, als es in jenem Berichte geschehen ist: ,,Der Besteuerungsvorbehalt darf nicht so aufgefaßt und dergestalt ausgedehnt werden, daß ein gemeinschweizerisches, individuelles Recht nun schlechter gestellt wäre, als vor 1874 ein interkantonales es war."Es handelt sich in
der That um ein individuelles Eecht. Dr. Jakob Dubs, der Berichterstatter von 1860, erklärt es ausdrücklich in seinem im Jahre 1877 erschienenen Buche, betitelt: ,, D a s ö f f e n t liche Recht der Schweizerischen Eidgenossenschaft.11

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Der Verfasser, ein wenig dem allgemeinen Zuge folgend und persönlich sehr föderalistischen Anschauungen huldigend, zeigt allerdings das Bestreben, die kantonalen Patenttaxen zu rechtfertigen.

Aber er sagt nichtsdestoweniger: ,,Die Verfassung von 1874 (Artikel 31) garantirt nun einfach die Freiheit des Handels und Gewerbes, und zwar nicht bloß von Kanton zu Kanton, sondern überhaupt im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft, so daß dieser Grundsatz in generellster Form jetzt als ein gemeinschweizerisches Grundrecht betrachtet werden muß. Im Gebiete des Handels hatte diese Abänderung namentlich zur Folge, daß auch der sogenannte ambulante Handelsverkehr, der Hausirhandel und die Aufnahme von Bestellungen unter die Bundesverfügung fällt.a Ich will nur diesen einen Punkt, in meinen Augen den wesentlichsten, festhalten: die Aufnahme von Bestellungen fällt seit der Verfassung von 1874 unter die Bundesverfügung. Die Schlußfolgerung ist leicht zu ziehen.

Kann man vernünftigerweise behaupten, die Verfassung von 1874 habe weniger weitherzig sein wollen als diejenige von 1848? Ist es erlaubt, anzunehmen, sie habe zu der in diesem speziellen Punkte im Jahr 1859 abgeschafften Mannigfaltigkeit der kantonalen Gesetzgebungen zurückkehren wollen, während sie doch in so vielen andern Punkten Einheit und Vereinheitlichung brachte? Kann man sagen, die Verfassung von 1874 habe in einem einzigen Punkte die Rechte des Bundes einschränken wollen?

Fassen wir zunächst die äußern Umstände in's Auge, unter denen die Eevision von 1872--1874 sich vollzog. Ernste Ereignisse hatten die Lage Europa's von Grund aus verändert ; Deutschland und Italien, die im Innern lange gespalten gewesen, hatten ihre Einigung zu Stande gebracht; die Schweiz sah sich auf allen Seiten von mächtigen, mehr oder weniger stark organisirten Staaten umgeben. Die Schweiz fühlte ihrerseits das Bedürfniß nach größerer Zentralisation, sie konnte sich den Einheitsbestrebungen, die andere Völker erfüllten, nicht entziehen; die größere Einheit wurde für sie eine Existenzfrage; sie wollte eine sicherere staatliche Stellung erringen, den fremden Regierungen gegenüber ein festeres und gleichartigeres Ganzes bilden, ,,vertragsfähigera werden.

Es lag also nicht im Geiste der Revision, in irgend einem Punkte die Befugnisse des Bundes einzuschränken, und es müßte
demnach die Einführung irgend welcher Beschränkung des Bundes vollkommen klar ausgedrückt sein, ehe man sie zugeben könnte. Aber man findet eine solche Beschränkung nirgends, weder in der bundesräthlichen Botschaft vom 17. Juni 1870, noch in den Verhandlungen der Eäthe, noch im Texte der neuen Verfassung angedeutet oder ausgesprochen.

84 Vergegenwärtigen wir uns den rechtlichen und thatsächlichen Zustand, der zur Zeit der Revision in Bezug auf unsere Frage herrschte.

Die schweizerischen Handelsreisenden waren durch die Eidgenossenschaft vollkommen geschützt, die Hausirer dagegen dem kantonalen Hechte unterstellt. Wenn also der Artikel 31 einen Vorbehalt macht für Abgaben, welche von kommerziellen und gewerblichen Berufsarten bezogen werden, so kann er, was die Kantone betrifft, nicht die Handelsreisenden im Auge haben, da ja damals die Kantone ihnen keinerlei Gebühr auferlegen durften.

Forschen wir nach der ursprünglichen Passung des Art. 31 in den Jahren 1871 und 1872. Man findet sie in jenem stenographischen Bulletin der eidgenössischen Eäthe, welches damals in französischer Sprache erschien. Der Entwurf eines Artikels 30, welcher in Diskussion gezogen wurde, umfaßte den jetzigen Art. 31 (Handels- und Gewerbefreiheit) nnd den jetzigen Art. 33 (Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten).

Der Vorbehalt unter lit. c ist wörtlich so gefaßt wie in Art. 31 des definitiven Textes: ,,Vorbehalten sind: y.c. Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbsbetriebes und über die Benutzung der Straßen."

Der folgende Absatz lautet ebenfalls gleich : ,,Diese Verfügungen dürfen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen."· Dr. Joos stellt einen Abänderungsantrag mit Bezug auf die Heilkunde.

Dr. Scheuchzer schlägt vor, die lit. b und c des Artikels zu streichen. Er erklärt, damit die Aerzte und die freie Ausübung des ärztlichen Berufes im Auge zn haben. Eventuell will er für don Artikel in der vorliegenden Form stimmen, weil er im Allgemeinen der Ansicht ist, daß der Vorschlag der Kommission bereits einen merklichen Portschritt bedeute.

Anderwert spricht vom ärztlichen Berufe.

Carteret fragt, ob sich die Handels- und Geworbefreihoit auch auf die Lehrer, auf die religiösen Körperschaften, die sich mit Unterricht befassen, beziehe.

Cossy, Heer, Desor, Philippin und Klein sprechen nur von den Aerzten und den Advokaten.

85 Ein Vorschlag von Desor, was von schon patentirten Aerzten, Chirurgen, Thierärzten und Apothekern gesagt werde, in die üebergangsbestimmungen zu verweisen, wird dem Abänderungsantrag Scheuchzer gegenübergestellt und siegt über denselben mit 66 gegen 28 Stimmen.

Von den Handelsreisenden ist mit keinem Worte die Hede.

Im Ständerathe erinnert Estoppey, der Berichterstatter der Kommission, daran, daß vor 1848 die Handels- und Gewerbefreiheit in der Schweiz nicht bestand, daß vielmehr eine Menge Schranken vorhanden waren, welche die Entwicklung von Gewerbe und Handel hinderten. Der Grundsatz der Freiheit ist durch die Verfassung von 1848 aufgestellt worden; er ist in unsere Sitten übergegangen, so daß nicht zu befürchten steht, daß wir in dieser Hinsicht Rückschritte machen werden. War es daher nöthig, diesen Grundsatz in der neuen Verfassung nochmals aufzustellen? Der Nationalrath hat es für zweckmäßig erachtet, eine bezügliche Bestimmung beizubehalten.

Die ständeräthliche Kommission pflichtet dieser Anschauung bei. Sie empfiehlt daher die Annahme des Art. 30 mit der einzigen Abänderung, daß die Einschiebung, welche sich unter lit. a befindet, gestrichen und durch folgende am Schlüsse des Absatzes beizufügende Worte ersetzt werden solle : ,,in dem in Art. 33 angegebenen Umfange. u Blumer, Eingier, Dubs und Näf sprechen vom Ohmgeld.

James Fazy spricht vom Genfer Octroi.

Ein Vorschlag der Herren Lusser und Stamm, dahin zielend, die Fassung der lit. a des Artikels an die Kommission zurückzuweisen, wird angenommen.

Die andern Abschnitte des Art. 30 werden von Niemand bekämpft, und der Artikel angenommen, abgesehen von lit. a, betreffend das Salz- und Pulverregal und die Konsumgebühren.

Von allen diesen Verhandlungen hat ein einziger Punkt auf die Handelsreisenden Bezug, nämlich die Erklärung des Berichterstatters, die Handels- und Gewerbefreiheit sei so volksthümlich geworden, daß es kaum nothwendig wäre, diesen Grundsatz wieder in die Verfassung aufzunehmen.

Aus dem Gesagten ziehe ich den Schluß, daß die Bundesverfassung von 1874 hinsichtlich der Handelsreisenden nicht engherziger als diejenige von 1848 ist. Es f o l g t d a r a u s , daß der in lit. c e n t h a l t e n e V o r b e h a l t sich n i c h t a u f d i e H a n d e l s reisenden bezieht.

86 Wie hätte man es auch rechtfertigen wollen, sie auf diese Eeiseni^n anzuwenden, angesichts des Art. 4 der nämlichen Verfassung, welcher allen Schweizern die Gleichheit vor dem Gesetze gewährleistet? Jener Grundsatz wird verletzt, wenn der Kanten Uri, in welchem die Handelsreisenden eine Bevölkerung von weniger als 20,000 Seelen vorfinden, das Recht hat, ebenso hohe Patenttaxen zu fordern, wie dor dreißigmal stärker bevölkerte Kanton Bern. Nicht die Einführung einer einheitlichen Gebühr also ist verfassungswidrig, wohl aber widerspricht die Beibehaltung der kantonalen Gebühren der Verfassung.

2.

Die Schweiz hat eine doppelte Pflicht zu erfüllen : sie muß sich in den Stand setzen, mit den auswärtigen Staaten über die Gegenstände des nothwendigsten Bedarfs Verträge abzuschließen, und sie darf ihre eigenen Angehörigen nicht in eine schlimmere Lage bringen, als diejenige ist, welche den Ausländern eingeräumt wird. Wozu hätte die Eevision von 1874 gedient, wenn sie uns nicht gestattete, diesen beiden Anforderungen, welchen alle Länder gerecht werden müssen, zu genügen, wenn sie einen Zwiespalt zwischen unsern Interessen und unserm politischen Selbsthewußtsein, zwischen unsern internationalen Verpflichtungen und unserer nationalen Ehre fortbestehen ließe ? Wozu ·würde es der Schweiz dienen, ein Heer geschaffen zu hahen, mit großen Schritten der Eechtseinheit zuzustreben, ihren Bürgern alle Grundrechte gewährleistet und sich freie Hand zu Unterhandlungen auf allen Gebieten geschaffen zu haben, wenn sie in diesem hesondern Punkte ihre Ohnmacht eingestehen müßte?

Da die Schweiz, wie bemerkt, zweierlei Pflichten zu erfüllen hat, so muß sie nach Möglichkeit darnach trachten, dieselben mit einander in Einklang zu bringen. Jedoch haben ihre internationalen Verpflichtungen offenbar eine größere Tragweite als Erwägungen von bloß interner Bedeutung. Kleinliche Ansprüche der Kantone müssen offenbar zurücktreten vor Bedürfnissen, für welche die allgemeinen Landesinteressen den Vorrang verlangen.

Diese so nothwendige Vereinbarung der Pflichten ist nicht ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man die vorwürfige Angelegenheit etwas näher in's Auge faßt. Die Hindernisse sind nur scheinbare.

Es ist Sache der Gesetzgebung, eine einheitliche Gebühr für die schweizerischen und ausländischen Handelsreisenden einzuführen. Den Unterhandlungen mit fremden Eegierungen ein Gesetz zu Grunde legen, heißt von der gesetzgeberischen Gewalt Gebrauch machen und thun, was die Schweiz auf andern Gebieten, bei den Zoll- und bei den

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Auslieferungsverträgen, bereits gethan hat. Damit wird also kein neuer Grundsatz angewendet.

Das Recht des Bundes, über die den Handelsreisenden aufzuerlegenden Gebühren Gesetze zu erlassen, ist unbestritten. Es wäre ja gleichfalls eine g e s e t z g e b e r i s c h e Arbeit, wenn man, wie die eidgenössischen Eäthe vom Bundesrath verlangt haben, ein Maximum der Taxen aufstellen wollte. Man geht nicht viel weiter, wenn die Vereinheitlichung der Gebühr gefordert wird. Indem man den Kantonen eine einheitliche Gebühr vorschreibt, übt man einen geringern Zwang aus als wenn man jegliche Gebühr beseitigt. Der Bundesbeschluß von 1859 ist ein gesetzgeberischer Akt; ebenso derjenige von 1883. Dennoch ist weder im Jahre 1859 noch im Jahre 1883 das G-esetzgebungsrecht des Bundes ernstlich bestritten worden. Wenn der Bundesbeschluß von 1883 vom Volke mit schwacher Mehrheit verworfen worden ist, so geschah es nicht deßhalb, weil man die Bundeskompetenz bestritt, sondern aus Opportunitätsgründen, wie man denn auch das Volk andere Gesetze und Beschlüsse verwerfen sieht, in Bezug auf welche die Befugniß des Bundes unzweifelhaft ist.

Die Bundesverfassung spricht schlechthin von der Besteuerung des Gewerbebetriebs. Sie sagt nicht, ob diese Besteuerung vom Bunde oder von den Kantonen auszugehen habe. Indessen ist dies eine bloße Formfrage; die Hauptsache ist, daß der Ertrag den Kantonen zukomme. Wir dürfen übrigens diesen letzten Punkt ganz bei Seite lassen.

Ich habe nachgewiesen, daß lit. c des Art. 31 der Bundesverfassung die Handelsreisenden nicht im Auge hatte.

Ich glaube, die verschiedenen Punkte, welche Sie mir zur Prüfung unterbreitet nahen, behandelt und auf alle mir gestellten Fragen geantwortet zu haben.

Wenn dem nicht so wäre, so bin ich bereit, in diesem Bericht diejenigen Zusätze und Abänderungen anzubringen, welche Sie mir gefälligst bezeichnen wollen.

Die letzten Tage haben uns zwei neue Thatsachen gebracht: einerseits die mit gewaltiger Mehrheit erfolgte Verwerfung des Bundesgesetzes über die Rücktrittsgehalte der arbeitsunfähig gewordenen eidgenössischen Beamten und Angestellten durch das Schweizervolk, andererseits die stark ausgesprochene schutzzöllnerische Haltung der französischen Kammer und ihrer Zollkommission, mit Aufstellung eines Doppeltarifs (Maximal- und Minimaltarif). Während das erste dieser beiden Ereignisse anzudeuten scheint, daß in unserm Volke neuerdings

88 eine verneinende Strömung herrscht, ist das zweite geeignet, auf uns einen tiefen Eindruck zu machen und uns die Nothwendigkeit noch besser begreifen zu lehren, daß wir mit unsern Nachbarn rechnen müssen. Ich bin nach wie vor fest überzeugt, daß eine gerechte und praktische Lösung der Handelsreisenden-Frage für die Schweiz eine unabweisbare Aufgabe ist.

Von dieser Ueberzeugung geleitet, erlaube ich mir, Ihnen im Anhange einen Vorentwurf zu einem Bundesbeschlusse betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden zu unterbreiten.

Genehmigen Sie, Herr Bundesrath, die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung.

N e u e n b ü r g , den 24. März 1891.

Cornaz, Mitglied des Schweiz. Ständerathes.

89

Anhang.

Vorentwurf.

Bnndesbeschlnß betreffend

die Patenttaxen der Handelsreisenden, Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft und der Vorschläge des Bundesrathes vom 1891, beschließt: 1. Die Handelsreisenden, welche für Rechnung eines in der Schweiz ansäßigen oder eines ausländischen Handelshauses die Schweiz bereisen und ausschließlich mit solchen Geschäftshäusern Handel treiben, die die betreffenden Waaren wieder verkaufen oder für ihre beruflichen Bedürfnisse verwenden, haben, sofern sie nicht Waaren mit sich führen, das Recht, auf den bloßen Ausweis ihrer Identität hin, im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft, mit oder ohne Muster, Bestellungen aufzunehmen, ohne irgend einer Gebühr unterworfen zu sein.

2. Alle andern schweizerischen oder ausländischen Reisenden werden als Detailreisende betrachtet. Sie können mittelst Vorweisung einer Ausweiskarte mit einjähriger Gültigkeit und unter der Bedingung, daß sie keine Waaren mit sich führen, auf dem ganzen Schweizergebiete reisen und mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen.

3. Die Ausweiskarte wird nach einem einheitlichen, vom Bundesrathe festgesetzten Muster angefertigt. Sie kostet

90

100 Fr. und ihre Be/ahlung befreit für die Dauer ihrer Gültigkeit von jeder andern kantonalen oder Gemeindetaxe.

Für die Reisenden in der Schweiz ansäßiger Handelshäuser wird diese Karte von der Amtsstelle des Kantons, wo das Geschäft seinen Sitz hat, ausgestellt, für die Reisenden ausländischer Häuser von der Amtsstelle des Kantons, den sie in erster Linie bereisen.

Der Ertrag der Ausweiskarten nach Abzug einer Bezugsgebühr von 4 % zu Gunsten des Kantons, der sie verabfolgt hat, wird arn Schluß eines jeden Jahres an die Kantone nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl vevtheilt.

4. Ein Gros- oder Detail-Handelsreisender, welcher Waareu 'mit sich führt und dieselben seiner Kundschaft, anbietet, verfällt in eine Buße bis auf 1000 Franken.

5. Die ausländischen Handelsreisenden, von welchen in den Artikeln l und 2 die Rede ist, genießen nur dann die Wohlthat der gegenwärtigen Bestimmungen, wenn das Land, in welchem die durch sie vertretenen Geschäftshäuser ansäßig sind, den schweizerischen Handelsreisenden nicht härtere Gebühren und Bedingungen auferlegt.

6. Die Gesetzgebung über das Hausirwesen und die Wanderlager verbleibt den Kantonen.

7. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Beschlusses zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

8. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Frage der Patenttaxen der Handelsreisenden. (Vom 29. Mai 1891.)

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