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Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs des Antonio Franchini von Mendrisio gegen den Beschluß des tessinischen Staatsrathes vom 3. Januar 1891, betreffend Ausschluß vom Stimmregister der Gemeinde Mendrisio.

(Vom 5. März 1891.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Antonio F r a n c h i n i , Alezanders sei. Sohn, von Mendrisio, gegen den Beschluß des tessinischen Staatsrathès vom 3. Januar 1891, betreffend Ausschluß vom Stimmregister der Gemeinde Mendrisio; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse : I.

Mit Dekret vom 3. Januar 1891 hat der Staatsrath des Kantons Tessin auf das Begehren eines gewissen Carlo Cavadini von Mendrisio die Gemeindebehörde von Mendrisio angewiesen, den Antonio Franchini, Sohn des verstorbenen Alexander Franchini, im Stimmregister zu streichen.

Das staatsräthliche Dekret beruft sich ohne weitere Begründung auf Litt, a des Art. 3 der Uebergangsbestimmungen des Gesetzes vom 5. Dezember 1890, also lautend:

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,,Art. 3. Die im Auslande wohnenden Tessiner können nicht als in der Gemeinde (sc. des Heimatkantons) politisch domizilirt betrachtet und deßhalb nicht in die Stimmregister eingetragen werden.

,,Als im Auslande wohnhaft werden diejenigen Tessiner angesehen : ,,a. welche eine öffentliche oder private Anstellung bekleiden, die ihren beständigen Aufenthalt im Auslande erforderlich macht.

,,Der Aufenthalt im Auslande wird auch dann als fortdauernd betrachtet, wenn der Bürger während kurzer Ferien- oder Urlaubsperioden in den Kanton zurückkehrt.10 II.

Dem Rekurrenten war von dem' gegen ihn gerichteten Streichungsbegehren keine Mittheilung gemacht worden. Der Weibel bescheinigte auf dem Kücken der betreffenden Rekurseingabe, es könne die Zustellung eines Doppels an den Betheiligten wegen dessen Abwesenheit außer Landes nicht erfolgen.

Antonio Pranchini wandte sich infolge dessen an den Staatsrath, um die Gründe seiner Ausschließung vom Stimmregister in Mendrisio in Erfahrung zu bringen.

III.

Mittelst Schriftsatz vom 24. Januar 1891 erhob Antonio Franchini gegen das staatsräthliche Dekret Beschwerde beim Bündesrathe. ' " · .'

Er verlangt Aufhebung 'dieses Dekretes : a. aus formellem Grunde, weil der Staatsrath entschieden habe, ohne ihn anzuhören; . b. aus materiellem Grunde, weil es absolut unhaltbar sei, daß er Denen beigezählt werden könne, welche eine öffentliche oder private Anstellung bekleiden, die ihren beständigen Aufenthalt im Auslande erforderlich macht, und führt zur Unterstützung seines Begehrens an: Ad a. Die Bescheinigung des Weibels über des Rekurrenten Abwesenheit ist einfach falsch-. Der Rekurrènt hat niemals aufgehört, Mendrisio zu bewohnen, wo er in seinem eigenen Hause, bei seiner Mutter und seinem Bruder, sich befindet und wo er noch am 'Abend 'vor dem 31. Dezember 1890, d. h. vordem Tage der Einreichung des Rekurses, sich befunden hat, während er freilich am

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31. Dezember 1890 augenblicklich nicht zu Hause war. Der Weibel hätte also gemäß Art. 121 der tessinischen Civilprozeßordnung den gegnerischen Kekurs in des Beschwerdeführers Haus, wo er, wie das ganze Land weiß, wohnt, seiner Mutter oder seinem. Bruder zustellen sollen.

Das staatsräthliche Dekret, auf das einseitige Begehren einer Partei und ohne Anhörung der ändern Partei erlassen, ist also null und nichtig.

Ad. b. Der Beschwerdeführer ist Bürger von Mendrisio; er besitzt dort in Gemeinschaft mit seiner Mutter nnd seinem Bruder Haus und Güter; er hat mit den genannten Personen immerfort, .wie jetzt noch, eine einzige Haushaltung gebildet, mit ihnen stets Ge/ meinde- und Kantonssteuern bezahlt und alle öffentlichen Lasten getragen. Niemals hat er beabsichtigt und beabsichtigt - auch heute nicht, seinen Wohnsitz in Mendrisio aufzugeben, welchen Ort er seiner Zeit bloß verließ, um in Como und Mailand Studien obzuliegen, und den er jetzt zeitweilig verläßt, um Geschäftsreisen zu unternehmen,, da er seit 16 Monaten Geschäftsreisender ist., in welcher Eigenschaft er Italien und die Schweiz bereist. Wenn er von seinen Reisen zurückkehrt, nimmt er Wohnung in Mendrisio, in seinem Hause, das für ihn immer offen steht, bei seiner Familie, oder aber in Mailand als Gast der Familie Miglio vacca. Allein in Mailand hat er zu keiner Zeit ein Haus oder eine Wohnung besessen,.

nicht einmal ein Miethzimmer steht ihm dort zur Verfügung.

Um ihn dem Art. 3, Litt, a, der Uebergangsbestimmungen des Gesetzes vom 5. Dezember 1890 unterstellen zu können, hätte man vorerst feststellen müssen, daß er ^eine öffentliche oder private Anstellung bekleidet, welche seinen beständigen Aufenthalt im Auslande e r f o r d e r l i c h m a c iTt.

Das ist nicht der Fall. Der Eekurrent hat sich nicht zu Dienstleistungen verpflichtet, die seinen festen Wohnsitz im Auslande verlangen Er ist auf unbestimmte Zeit für ein Handelshaus in Mailand als Eeisender bethätigt und kann diese Beschäftigung, die sich nicht als Anstellung darstellt, wieder aufgeben, wann immer es ihm beliebt; dieselbe hindert ihn auch nicht, zu ihm gutscheinender Zeit in Mendrisio sich aufzuhalten und daselbst an den kommunalen, kantonalen und eidgenössischen Abstimmungen theilzunehmen. Er war denn auch jederzeit im Stimmregister dieser Gemeinde eingeschrieben.
Nach Glück, Kommentar der. Pandekten, Band VI, S. 274; Wächter, Pan'dekten, S. 51; Serafini, S. 40, wie auch nach Art. l, §, l, des tessinischen Stimmrechtsgesetzes vom 15. Juli 1880, ist

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der Wohnsitz an jenem Orte anzunehmen, wo Jemand seinen b l e i b e n d e n Sitz aufgesehlagen hat, und es läßt sich, wie Glück wörtlich sagt, ,,daraus, daß Jemand, wenngleich eine geraume Zeit hindurch, w e g e n s e i n e r G e s c h ä f t e oder Gesundheit oder wegen Studiums an einem Orte sich aufhält, die Aufschlagung eines beständigen Wohnsitzes noch keineswegs folgern". (Vgl. Schneider's Bericht, italienische Ausgabe, S. 42; deutsche Ausgabe, S. 43.)

Der Rekurrent hat seinen häuslichen Herd, den Mittelpunkt seines häuslichen Lebens, seine Familie, sein Haus und seine Güter, in Mendrisio. Da und nicht anderswo ist daher auch sein Wohnsitz , sollte er sich auch von Zeit zu Zeit von da entfernen, sei es zum Vergnügen, zum Zeitvertreib oder in Geschäften. Da und nicht anderswo ist er notwendigerweise als domizilirt zu betrachten, weil er niemals in einer ändern Gemeinde seinen Haushalt eingerichtet hat und nicht gedenkt, denselben irgend anderswo einzurichten.

Sonderbar ! Während der Staatsrath den Eekurrenten vom Stimmregister von Mendrisio als einen eine öffentliche oder private Anstellung bekleidenden Bürger ausschloß, hat er dagegen den früher in Mendrisio aufhältlich gewesenen. Herrn Ingenieur Edoardo Gabuzzi von Bellinzona als nicht in Mailand wohnhaft betrachtet.

Und doch ist Herr Ingenieur Bd. Gabuzzi der die Aufsicht über die Vertheilung der Wassermengen des Kanals Villaresi mit einem Bureau (Ufficio) in der Via Bigli zu Mailand führende Ingenieur, bekleidet folglich ein öffentliches Amt, das als conditio sine qua non den beständigen Aufenthalt in Mailand voraussetzt.

IV.

Auf sein Begehren wurde dem Eekurrenten vom Gemeinderath Mendrisio durch Erklärung vom 28. Januar 1891 bezeugt: 1. daß Herr Antonio Franchini, Alexanders sei. Sohn, Bürger von Mendrisio, in Gemeinschaft des Vermögens und des Haushalts mit seiner Familie, d. h. seiner Mutter und seinem Bruder, Advokat Franco Franchini, lebt, welche Familie seit unvordenklicher Zeit in ·dieser Gemeinde wohnt; 2. daß der genannte Herr Antonio Franchinj bisher an beinahe sämmtlichen kommunalen, kantonalen und eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsverhandlungen in dieser Gemeinde theilgenommen hat; 3. daß die Ausschließung des Herrn Antonio Franchini vom Register der für die Wahl des Verfassungsrathes stimmberechtigten Bürger, durch das staatsräthliche Dekret von Nr. 116 vom 3. Januar 1891, e n t g e g e n der Ansicht des Gemeinderathes erfolgte,

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welcher nicht bloß Herrn Franchira im Eegister beibehalten, sondern auch dessen Recht auf Einschreibung anerkannt wissen wollte ; 4. daß entgegen der Ansicht des Staatsrathes der Gemeinderath die Ausschließung des Herrn Franchini als ungesetzlich ansehen muß, auch nach Maßgabe des Art. 3 des Gesetzes vom 5. Dezember 1890, da er nicht annehmen kann, daß der genannte Bürger deßwegen, weil er zeitweise für eigene oder fremde Eechnung Geschäftsreisen in Italien macht, seinen hauptsächlichen Wohnsitz in Mendrisio verloren habe, woselbst derselbe Güter besitzt, seine Familie hat, wo er häufig sich aufhält, während sich hinwieder nicht feststellen ließe, wo anders er einen festen Wohnsitz erworben hätte.

V.

Mit undatirtem Schriftsatz, dem Bundesrathe zugekommen am 13. Februar 1891, hat der Staatsrath hierauf erwidert, was folgt: Es geht aus den eingezogenen Erkundigungen hervor, daß der Bekurrent seit mehr als zwei Jahren beständig als Handelsreisender im Hause Gherini in Mailand angestellt ist und fortwährend im Auslande sich aufhält, indem er jeweilen bloß für wenige Ürlaubstage nach Mendrisio zurückkommt.

Seine Stellung ist mithin diejenige, von welcher in Litt, a des Art. 3 der Uebergangsbestimmungen des Gesetzes vom 5. Dezember 1890 gehandelt wird, und seine Ausschließung vom Stimmregister kann zu keinem berechtigten Zweifel Anlaß geben.

Der vom Eekurrenten geltend gemachte Umstand, daß er mit seinen Familiengenossen in Mendrisio die häusliche Gemeinschaft beibehalten habe, ist in Hinsicht auf das politische Domizil ohne jede Bedeutung. Das Gesetz hat für alle Diejenigen, welche sich in den von ihm bezeichneten Verhältnissen befinden, eine unwiderlegbare Rechtsvermuthung (prsesumtio Juris et de jure) in Betreff des ausländischen Wohnsitzes eingeführt, welche durch · die Erwägungen des Eekurrenten nicht zerstört werden kann.

Der h. Bundesrath hat bereits in diesem Sinne sich ausgesprochen, als er den von Herrn Leone de Stoppani eingereichten Eekurs abwies, obgleich der Genannte, gleichwie Herr Franchini, mit dem übrigen Theil seiner Familie, die in Lugano wohnt, die häusliche Gemeinschaft fortsetzt und ganz gewiß häufiger dahin zurückkehrt, als der gegenwärtige Bekurrent nach Mendrisio.

Was den staatsräthlichen Entscheid betrifft, durch welchen der Eekurs betreffend Streichung des Herrn Ingenieur Ed. Gabuzzi im Stimmregister von Mendrisio abgewiesen wurde, so wird zugestanden,

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daß die Bemerkungen des Rekurrenten diesfalls nicht unbegründet sind. Die von dem Staatsrathe vor seiner Schlußnahme eingezogenen Erkundigungen hatten ergeben, daß der Ingenieur Gabuzzi sich nicht in den vom Art. 3 vorgesehenen Verhältnissen befinde.

In der Folge mußte sich indessen die Behörde überzeugen, daß diese Angaben der Wahrheit nicht entsprechen, indem es nunmehr festgestellt erscheint, daß Herr Gabuzzi wirklich in Mailand bei einer industriellen Unternehmung angestellt ist.

Es wird deßhalb die Aufgabe des Staatsrathes sein, den unfreiwilligen Irrthum bei Gelegenheit der nächsten Abstimmung gutzumachen.

VI.

Mittelst Telegramms vom 27. Februar 1891 stellte das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement an den tessinischen Staatsrath die Frage, ob der Kekurrent Franchini als Angestellter des Hauses Gherini beständig in Mailand wohne, oder ob er nicht, wie die Munizipalität in Mendrisio versichert, für das genannte Haus bloß die Geschäftsreisen mache, in den Zwischenzeiträumen aber in Mendrisio weile.

Die tessinische Staatskanzlei ersuchte telegraphisch am gleichen Tage, da Herr Staatsrathspräsident und Direktor des Innern Soldati abwesend sei, um Verschiebung des Eekursentscheides bis ändern Tags, wo sie dann die gewünschte Auskunft ertheilen könne.

Am 28. Februar telegraphirte die Eegierung, daß die Krankheit und Abwesenheit des Staatsrathspräsidenten und Direktors des Innern, Soldati, bei welchem sich der ganze Aktenbündel betreffend den Kekurs Franchini befinde, fortdauere ; sie habe indessen das Telegramm des eidgenössischen Departements gestern dem Kegierungskommissär von Mendrisio übermittelt, welcher heute telegraphisch melde, daß mehrere von ihm einvernommene Bürger bestätigen, daß Franchini wirklich Angestellter in Mailand sei, dort seinen Wohnsitz habe und selten, zu ein- oder zweitägigem Aufenthalt, nach Mendrisio komme.

VII.

Mit Telegramm vom 3. März 1891 Vormittags benachrichtigte der Eekurrent das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, daß ein gewisser Alessandro Fiori von Bellinzona, Reisender des Hauses Hüssy in Luino (Italien), der sich in den ganz gleichen Verhältnissen befinde wie er, vom tessinischen Staatsrathe gegenüber einem Streichungsbegehren im Stimmregister von Bellinzona festgehalten worden sei.

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Das eidgenössische Departement richtete sofort an die tessinische Staatskanzlei die telegraphische Anfrage, oh diese Angabe thatsächlich richtig sei, und erhat sich bejahendenfalls eine abschriftliche Mittheilung der Erwägungen des staatsräthlichen Beschlusses.

Die Staatskanzlei sandte mit Begleitschreiben vom 4. März einen Protokollauszug betreffend diestaatsräthliche Verhandlung vom 7. Januar 1891 über einen Rekurs des Herrn Carlo Vonmentlen gegen die Einschreibung des genannten Alessandro Fiori ein. Der Staatsrath hat am genannten Tage den Rekurs Vonmentlen abgewiesen, unter Berufung auf den Umstand, daß' A. Fiori zwar im Auslande angestellt, jedoch gemäß der Natur seiner Anstellung nicht genöthigt sei, sich beständig im Auslande aufzuhalten, vielmehr den größern Theil des Jahres bei seiner Familie in Bellinzona zubringe, indem er ,,Vertreter"1 und nicht ,,Reisender11 des Hauses Hüssi in Luino sei; in Erwägung: 1. Wie der Bundesrath bei seinem Beschlüsse vom 9. Januar 1891 in Rekurssache des Herrn Leone de Stoppani die Leone festgestellt hat, enthält Art. 3, Litt, a, der Uebergangsbestimmungen des tessinischen Gesetzes vom 5. Dezember 1890 nichts dem Bundesrechte Zuwiderlaufendes. Diese Gesetzesstelle schließt diejenigen Tessiner, die im Auslande eine ihren beständigen Aufenthalt dort erfordernde öffentliche oder private Anstellung bekleiden, vom Stimmrecht aus. Beigefügt wird im Gesetze, daß der beständige Aufenthalt im Auslande in solchen Fällen durch die Rückkehr in den Heimatkanton für kurze Ferien- oder Urlaubsperiodeu nicht unterbrochen werde.

2. Somit kann es sich in den konkreten Fällen der Anwendung dieser Gesetzesbestimmung blos fragen, ob die thatsächlichen Verhältnisse der Anstellung -- diese selbst als feststehend angenommen -- so beschaffen seien, daß sie den beständigen Aufenthalt im Auslande nothwendig machen. Darauf hat auch der Bundesrath im Falle de Stoppani den Nachdruck gelegt.

3. Es springt in die Augen, daß zwischen der Anstellung eines Handelsreisenden und derjenigen eines am Orte der Geschäftsniederlassung selbst arbeitenden Angestellten ein gerade in Hinsicht auf das Wohnsitzverhältniß wesentlicher Unterschied besteht. Denn es ist sehr wohl möglich, daß der Handelsreisende nicht am Orte der Geschäftsniederlassnng wohnt, sondern dahin nur zeitweise, nach Beendigung
von Geschäftsreisen, sich begibt, um Bestellungen, Aufträge u. s. f. aufzugeben, eingezogene Gelder abzuliefern u. A. m., dann aber an seinen Wohnort zurückkehrt, wo er den Sitz seines Haushaltes, den Mittelpunkt seiner häuslichen und ökonomischen Verhält-

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nisse hat. Dabei kann es allerdings vorkommen, daß der Betreffende den weitaus größten Theil des Jahres auswärts, nicht an dem Orte seines Wohnsitzes, zubringt.

Ein Handelsreisender, der sich in solcher Lage befindet, kann nicht als am Orte der G-eschäftsniederlassung wohnhaft betrachtet werden. Es gilt für ihn in ganz prägnantem Sinne der Eechtssatz, daß Jemand seinen Wohnsitz an dem Orte hat, wo der M i t t e l p u n k t seiner Verhältnisse und seiner Thätigkeit sich befindet, wenn er sich auch an diesem Orte nicht fortwährend, ja wenn er sich selbst an demselben regelmäßig nur vorübergehend aufhält. (Windscheid, Pandekten I, dritte Auflage, S. 84.)

Der Staatsrath des Kantons Tessin sagt. zwar mit Eecht, daß das Gesetz vom 5. Dezember 1890 speziell für die Angestellten einen politischen Wohnsit/begriff aufgestellt habe, der von dem zivilrechtlichen Begriffe des Wohnsitzes verschieden sei. Allein es ist wohl zu bemerken, daß das tessinische Gesetz den Wohnsitz nicht mit der Anstellung in nothwendige Verbindung bringt, sondern nur diejenige Anstellung als Domizil begründend erklärt, die den b e s t ä n d i g e n Aufenthalt des Angestellten im Auslande -- von kurzen Ferien- oder Urlaubsperioden abgesehen -- nothwendig macht.

4. Werden nun die Verhältnisse des Rekurrenten näher geprüft, so ergibt sich nach den Akten .diesfalls Folgendes: a. Der Rekurrent besitzt in Mendrisio zu Eigenthum in Gemeinschaft mit seiner Mutter und seinem Bruder ein Haus, in welchem ihm jederzeit ein Absteigequartier zur Verfügung steht; er lebt, wenn er sich in Mendrisio befindet, in gemeinschaftlichem Haushalte mit seiner Mutter und seinem Bruder.

b. Er bereist für das Handelshaus Gherini in Mailand Italien und die Schweiz.

c. In Mailand führt er keine eigene Hanshaltung.

d. Es ist streitig, wie oft und jeweilen für wie lange Zeit er zu Hause sich aufhält. Der tessinische Staatsrath erklärt auf Grund der von ihm eingezogenen Erkundigungen, daß der Rekurrent beständig (,,continuamente"') im Auslande weile und nur selten für sehr wenige Tage nach Mendrisio zurückkehre.

Nach den Angaben des Eekurrenten, unterstützt durch die Erklärung der Munizipalität, hat derselbe seinen eigentlichen Wohnsitz in Mendrisio niemals aufgegeben, nahm dort bisher an beinahe sämmtlichen politischen Abstimmungen Theil und war bis jetzt im
dortigen Stimmregister eingetragen.

Der Staatsrath ist in seinen Vernehmlassungen auf die sehr einläßlichen Angaben des Eekurrenten über den Charakter seiner Thätig-

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keit als Handelsreisender, als einer freiwilligen Beschäftigung, die es ihm ermögliche, die Reisen nach seinem Ermessen zu unternehmen, dieselben namentlich durch Aufenthalt zu Hause beliebig zu unterbrechen, über seine Aufenthaltsverhältnisse in Mailand, wo er als Gast der Familie Migliovacca weile, ohne jemals ein Zimmer für sich gemiethet zu haben u. s. w., mit keinem Worte eingegangen. Derselbe begnügt sich, zu erklären, daß der Eekurrent als Handelsreisender bei der Firma Gherini in Mailand ständig angestellt sei und fortwährend im Auslande sich aufhalte, ohne sich indessen diesfalls, wie z. B. im Bekursfalle Eamponi, auf bestimmte behördliche oder private Erhebungen zu berufen.

Bei dieser Aktenlage ist anzunehmen, daß der Eekurrent den größten Theil seiner Zeit der Thätigkeit als Handelsreisender für das Haus Gherini in Mailand auf Eeiseh in Italien und in der Schweiz widmet, daß er in Mailand sich häufiger aufhält als in Mendrisio, dennoch aber an letzterm Orte seinen häuslichen Herd, den Mittelpunkt seiner persönlichen und ökonomischen Verhältnisse, beibehalten hat, und es kann nicht gesagt werden, daß der Eekurrent wie ein Lehrer, ein Büreauangestellter u. dgl. vermöge einer Anstellung genöthigt sei, sich beständig im Auslande aufzuhalten.

5. Der Staatsrath des Kantons Tessin hat in einem ändern Eekursfalle (Vonmentlen contra Fiori) am 7. Januar 1891 anerkannt, daß im Einzelfalle die Natur -der Anstellung eines Bürgers im Auslande näher zu untersuchen sei, und daß, wenn sich ergibt, daß dieselbe den beständigen Aufenthalt im Auslande nicht erheischt, Litt, a des Art. 3 der Uebergangsbestimmungen des Gesetzes vom 5. Dezember 1890 nicht Anwendung finde, beschlossen: 1

1. Dei Eekurs ist begründet. Infolge dessen wird der tessinische Staatsrath eingeladen, die Wiedereinschreibung des Eekurrenten im Stimmregister von Mendrisio zu veranlassen.

2. Schriftliche Mittheilung dieses Beschlusses an den Staatsrath für ihn und zur Bekanntgebung an die Munizipalität Mendrisio, sowie an den Rekurrenten.

B e r n , den 5. März 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bnndespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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