#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

43. Jahrgang. IV.

Nr. 39.

23. September 1891.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz) : 4 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Kp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druck und Expedition der Buchdruckerei Karl Stämpfli & de. in Bern.

# S T #

Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs von Bernhard Barmet und Leonz Geißeler, in Udligenschvvyl (Luzern), betreffend politische Stimm- "" berechtigung.

(Vom 11 September 1891.)

Der schweizerische Bundesrath

hat in Sachen des Rekurses von 1) Bernhard Barmet, Postillon, in Udligenschvvyl, Kanton Luzern, und 2) Leonz Geißeler, Senn, daselbst, betreffend politische Stimmberechtigung; auf den Berieht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse:

I.

Durch Erkenntniß vom 9. Mai 1891 hat der luzernische Regierungsrath, als kantonale Rekursbehörde, in Bestätigung früherer Erkenntnisse vom 14. Februar und 14. März gleichen Jahres, entgegen den Schlußnahmen und dem Gutachten des Gemeinderathes, die Abtragung der Rekurrenten vom Stimmregister der Gemeinde Udligenschwyl verfügt.

Bandesblatt. 43. Jahrg. Bd. IV.

29

396 II.

Gegen diese regierungsräthlichen Erkenntnisse haben Barmet und Geißeler mit Schriftsatz yom 15. Mai 1891 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrath ergriffen. Sie führen aus : Seit längerer Zeit in Udligenschwyl domizilirt und im Besitze sämmtlicher Requisite der Stimmfähigkeit, wie sie § 27 der luzernischen Staatsverfassung fordert, sehen wir uns, durch die regierungsräthlichen Rekursentscheide des Stimmrechts in unserer Wohngemeinde beraubt. Wir erblicken hierin eine Verletzung der Bestimmungen der Bundesverfassung betreffend die Rechte der Niedergelassenen.

Zur Begründung unserer Beschwerde berufen wir uns auf die wiederholten Vernehmlassungen des Gemeinderathes von Udligenschwyl an die luzernische Regierung über die von Parteileidenschaft diktirten Rekurse gegen unsere Stimm berech tigung in Udligenschwyl.

m.

Der Gemeinderath von Udligenschwyl bemerkt in der Rekursantwort an den Regieruugsrath, vom 12. März 1891: Der Regierungsrath stützte sich bei seiner Schlußnahme vom 14. Februar auf irrige Voraussetzungen.

B e r n h a r d B a r m e t führt die Post von Udligenschwyl nach Luzern und umgekehrt seit 1. November 1889, nicht nur zeitweilig und nicht nur den Abendkurs, wie der Regierungsrath annahm.

Er hält sich dabei nicht mehr als 4 Stunden in Luzern auf, ist 5 Stunden unterwegs und bleibt ungefähr 15 Stunden in Udligenschwyl, wo er seine Wohnung hat und die Mahlzeiten (Frühstück, Mittag- und Nachtessen) einnimmt, wo er seinen Heimatschein deponirt und sich beim Sektionschef militärisch angemeldet hat, nachdem ' er sich beim Sektionschef in Luzern abgemeldet hatte. Er ist in. Luzern vom Stimmregister abgetragen.

Der Gemeinderath wendet sich hierauf gegen einzelne Erwägungsgründe des regierungsräthlichen Erkenntnisses vom 14. Februar, indem er sagt: Der Dienstherr Barmets, Postpferdehalter Anton Bossardt r wohnt allerdings in Luzem ; allein dieser Umstand ist für den Wohnsitz Barmets unerheblich. Bossardt könnte ebensogut in Zeli wohnen und Barmet doch die Post von Udligenschwyl nach Luzern und zurück führen. Hätte dann Barmet sein Domizil auch in Zeli, da* er seit Jahren nicht gesehen hat?

397 Unzutreffend ist ferner die Gleichstellung Barmets mit den Angestellten der Dampfschifffahrtsgesellschaft auf dem Vierwaldstättersee. Von diesen letztern müssen, abwechselnd bald diese, bald jene in Flüelen übernachten; Barmet übernachtet ausnahmslos in Udligeûsehwyl.

Ausnahmsweise, während 10--14 Tagen im Februar 1891, versah Barmet, infolge der Krankheit zweier anderer Knechte des Postpferdehalters Bossardt, den Dienst Luzern-Münster. Sonst war er ununterbrochen auf der Route Udligenschwyl-Luzern thätig. Als er im Winter 1889/1890 erkrankte, blieb er in Udligenschu'yl. Wenn er erst kürzlich die militärische Ab- und Anmeldung bei den Sektionpchefs vollzog, so war das eine Dienstnachlässigkeit, die nichts gegen das Domizil in Udligenschwyl beweisen kann.

In der Rekursantwort vom 7. Mai 1891 fügte der Gemeinderath bei: ·?

Wenn Barmet nicht hier stimmen kann, so ist er faktisch um's Stimmrecht gebracht; denn während der Zeit, wo die Abstimmungen in Luzern stattfinden -- 10 Uhr Vormittags bis 2 Uhr Nachmittags -- ist er entweder auf der Fahrt oder in Udligenschwyl.

L e o n z G e i ß e l e r wurde am 14. März vom Regierungsrath ohne Motivirung und ohne vorherige Einvernahme des Gemeinderathes vom Stimmregister gestrichen, obgleich Geißeler: 1.) seit 10. November 1890 in Udligenschwyl seinen Wohnsitz hat, Tag und Nacht daselbst sich aufhält und hier mit 6 Personen Haushaltung führt; 2) einen Theil der Familie hier hat und einen Sohn hier die Schule besuchen läßt; 3) den Heimatschein für sich und Familie in Udligenschwyl deponirt hat; 4) seine Vermögenssteuern hier entrichten wird und hier rechtlich belangt sein will ; 5) sich beim Sektionschef in Ebikon ab- und bei demjenigen in Udligenschwyl angemeldet hat, wobei ihm mitgetheilt wurde, der Gemeinderathsschreiber Frey in Udligenschwyl, welcher gegen seine (Geißelers) Stimmberechtigung an den Regierungsrath rekurrirt hatte, habe seine Bestrafung wegen verspäteter Anzeige des Domizilwechsels beantragt.

Geißeler hat allerdings auch ein Geschäft in Buchenrain, dem seine Frau vorsteht, welche einen Theil der Familie bei sich hat.

Allein das Hauptgeschäft befindet sich in Udligenschwyl, wo er selbst wohnt.

398 IV.

Zur Bekräftigung der unter Ziffer II und III enthaltenen Angaben sind von den Rekurrenten folgende Belege eingereicht worden : a. Für Barmet, 1. Ein Stimmfähigkeitszeugniß, ausgestellt in Escheubach unterm 6. Februar 1891, unterzeichnet Namens des Gemeiuderathes von Präsident und Schreiber, und besagend, daß der Gemeindeangehörige Barmet, Bernhard, Postillon, Sohn des Heinrichs sei., geb. 1864, nach Maßgabe der Staatsverfassung die Requisite der politischen Stimmberechtigung besitze.

2. Ein Empfangschein, ausgestellt in Udligenschwyl unterm 6. Februar 1891 und unterzeichnet vorn Gemeindeammann, besagend, daß Bernhard'Barmet, ledig, von Eschenbach, alt 26 Jahre, Postillon, wohnhaft im ,,Engel", dem Gemeindeammann einen Heimatschein abgegeben habe.

3. Ein Zeugniß, ausgestellt in Udligenschwyl den 14. März 1891 und unterzeichnet von Wittwe Henseler, geb. Thürig, zum ,,Engel", besagend, daß Bernhard Barmet, Postillon, seit 1. November 1889 bei der Ausstellerin ständig in Kost und Logis stehe, mit einziger Ausnahme von etwa 10--14 Tagen im Winter 1891, als er einen ändern Postkurs besorgen mußte.

4. Ein Zeugniß der Kanzlei des Stadtrathes von Luzern, ausgestellt arn 8. Mai 1891 und unterzeichnet vom Stadtschreiber, besagend, daß Bernhard Barmet, von Eschenbach, Postfuhrknecht bei Hrn. Postpferdehalter Bossardt in Luzern, auf den Stimmregistern der Stadtgemeinde Luzern nicht aufgetragen sei.

5. Ein Zeugniß, ausgestellt in Luzern am 20. Mai 1891 und unterzeichnet von Anton Bossardt, Postpferdehalter, besagend, daß Postillon Bernhard Barmet, von Eschenbach, nicht beim Unterzeichner, sondern, seitdem er den Postkurs Udligenschwyl-Luzern führt (1. November 1889), bei Familie Henseler, zum ,,Engel", in Udligenschwyl wohne und in Kost und Logis stehe.

b. Für Geißeler.

1. Ein Empfangschein, ausgestellt in Udligenschwyl am 4. Februar 1891 und unterzeichnet vom Gemeindeammann, besagend, daß J. L. Geißeler mit Familie, von Neuenkirch, alt 34 Jahre, Senn, wohnhaft im Dorf, dem Gemeindeammann einen Heimatschein abgegeben habe.

O

399 2. Bin Slimmfähigkeitszeugniß, ausgestellt in Neuenkirch am 14. Februar 1891 und unterzeichnet Namens des Gemeinderathes vom Präsidenten und Schreiber, besagend, der Gemeindeangehörige Joseph Leonz Geißeler, Senn, in Buchenrain, nach Maßgabe der Staats Verfassung die Requisite der politischen Stimmfähigkeit besitze.

3. Eine Bescheinigung, ausgestellt in Udligenschwyl am 15. Mai 1891 und unterzeichnet von Lehrer Alois Kaiser, besagend, daß Gottfried Geißeler, Sohn des Herrn Joseph Geißeler, von Neuenkirch, Senn, in Udligenschwyl, die vierte Klasse der hiesigen Primarschule besuche.

V.

Der Regierungsrath des Kantons Luzern hat sich über den Rekurs Barmet und Geißeler in drei Zuschriften an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vernehmen lassen.

In einer ersten Zuschrift, d. d. 29. Mai 1.891, machte der Regierungsrath geltend, daß der Bundesrath zum Entscheide nicht kompetent sei. Nach Art. 59, Ziff. 9, des Bundesgeselzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sind dem Entscheide des Bundesrathes unterstellt Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen und Abstimmungen. Der regierungsräthliche Entscheid vom 14. Februar bezieht sich auf eine am 15. Februar erfolgte Friedensrichterwahl, derjenige vom 14. März auf die kantonale Revisionsabstirnmung vom 15. März, derjenige vom 9. Mai auf die am 10. Mai erfolgten Großrathswahlen. Die beiden Wahlen, die zweite wenigstens, soweit sie den Wahlkreis betrifft, zu dem Udligenschwyl gehört, sowie die Abstimmung vom 15. März sind unbeanstandet geblieben; die Gültigkeit derselben ist von keiner Seite, auch von den Beschwerdeführern nicht, in Zweifel gezogen worden.

Der Regierungsrath erwartet daher, der Bundesrath werde auf die Beschwerde nicht eintreten; eventuell behält er sich vor, auf den Gegenstand der Beschwerde sich näher einzulassen.

Mit Rückäußerung vom 1. Juni 1891 ersuchte das eidgenössische Departement den luzernischen Regierungsrath, auf die Sache, unter Vorbehalt seines Rechtsstandpunktes hinsichtlich der bundesräthlichen Kompetenz, materiell einzutreten, indem es alsdann um so eher im Falle sein werde, auch über die Kompetenzfrage mit Sachkenntniß zu urtheilen und dem Bundesrathe eine bezügliche Vorlage zu machen.

Hierauf sandte der Regierungsrath unterm 3. Juni 1891 unserm Justiz- und Polizeidepartement eine zweite Zuschrift, in welcher er zur Sache selbst folgende Bemerkungen machte :

400

i. Betreffend

Bernhard Barmet.

Als Knecht hat er nach unserer Auffassung Domizil bei seinem Dienstherrn, d. h. in Luzern, wo er auch aufs Stimmregister gehört. So wird es im Kanton Luzern ausnahmslos mit den Angestellten der öffentlichen Transportanstalten gehalten. Zum Beispiel übernachtet die Mannschaft des letzten Abendschiffes Luzern-Flüelen beständig in Flüelen, nichtsdestoweniger üben die betreffenden Leute ihr Stimmrecht in der Stadt Luzern und nicht in Flüelen aus.

Niemandem ist es bisher eingefallen, etwas Anderes zu verlangen.

Oder: das Fahrpersonal der durchgehenden Züge, welches regelmäßig die Nacht außerhalb des Kantons zubringt, steht unbeanstandet auf dem Stimmregister der Stadt Luzern, von wo die betreffenden Züge ausgehen; Niemand muthet den Bahnangestellten zu, statt im Kanton Luzern im Kanton Tessin oder anderwärts zu stimmen. Wir'inachen auf die Konsequenzen aufmerksam, welche sich aus einer gegentheiligen Auffassung des Falles Barmet ergeben würden.

Uebrigens machen wir auf die Thatsache aufmerksam, daß Bernhard Barmet, obwohl er den Postkurs Luzern-Udligenschwyl seit dem 1. November 1889 führt, doch, laut Bescheinigung des Gemeindeammannes von Udligenschwyl, den Heimatschein erst unterm 6. Februar 1891 in Udligenschwyl abgegeben hat; er gab also, obwohl das Verhältnis, welches den Wohnsitz in Udligenschwyl begründen soll, schon seit 14 Monaten dauerte, erst im verflossenen Februar die Erklärung ab, er wolle Udligenschwyl als sein Domizil betrachtet wissen; vorher war sein Domizil unter genau gleichen faktischen Verhältnissen, nach seiner eigenen Meinung, Luzern. Da der Heimatschein den 6. Februar in Udligenschwyl abgegeben wurde, konnte Barmet die Stimmberechtigung hier, nach § 27 der Staatsverfassung vom Jahre 1875, nicht vor dem 7. Mai erlangen, gerade früh genug, um an den Großrathswahlen vom 10. Mai sich zu betheiligen. Daß nun Barmet erst auf den Moment der Großrathswahl die formellen Bedingungen für Ausübung des Stimmrechts in Udligenschwyl erfüllte, obwohl die faktischen Verhältnisse schon seit 14 Monaten unverändert angedauert hatten, läßt Vorsicht gegenüber dem Auftragungsbegehren geboten erscheinen, wenn man sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, das sogenannte Wahlknechtenthum gefördert zu haben.

·A Q.^Betreffend

Joseph Geißeler.

Derselbe ist Käser und hat zwei Mulchen, das eine in der Gemeinde Buchenrain, das anderepn der Gemeinde Udligenschwyl.

401

Die Besorgung derselben erfordert, daß er zeitweise in Udligenschwyl, zeitweise in Buchenrain sich aufhält. In unserm Entscheide vom 14. Februar nahmen wir, gestützt auf Ausweise, an, die g a n z e Familie des J. Geißeler habe Domizil in Buchenrain ; nunmehr weist sich der Letztere darüber aus, daß eines seiner Kinder die Schule in Udligenschwyl besucht.

Was von Barmet gesagt wurde, gilt auch von Geißeler. Geißeler wollte, bis Wahlen in Sicht kamen, bei denen ihm oder seinen Parteigenossen die Verschiebung einer Stimme von Buchenrain nach Udligenschwyl wünsehenswerth erscheinen mochte, selbst Buchenrain als seinen Wohnsitz betrachtet wissen; hier hat er bisher Steuern bezahlt, nur für die Zukunft will er, laut Vernehmlassung des Gemeinderathes von Udligenschwyl, hier Steuern bezahlen und rechtlich belangt sein. Er hat auch, gerade wie Barmet, obwohl er nach der Behauptung des Gemeinderathes von Udligenschwyl da sein Domizil seit dem 10. November 1890 haben soll, den Heimatschein erst den 4. Februar 1891 eingelegt, um für die Wahlen vom 10. Mai gerade früh genug der Vorschrift des § 27 der Staatsverfassung Genüge zu leisten. Wir machen noch auf die Thatsache aufmerksam, daß Geißeler, 34 Jahre alt, in Buchenrain militärisch angemeldet war und sich erst dann hier ab- und in Udligenschwyl anmeldete, als er durch die Motive unserer Entscheide auf diesen Umstand hingewiesen wurde.

VI.

Nach Empfang dieser Vernehmlassung richtete unser Justizund Polizeidepartement am 4. Juni 1891 ein Schreiben an die Regierung von Luzern, aus welchem hier folgende Stellen mitgetheilt werden mögen: ,,Ganz mit Ihnen darüber einverstanden, daß dem sogenannten Wahlknechtenthum mit aller Strenge entgegengetreten werden soll, und auch darin Ihnen beistimmend, daß die nach längerem vorgängigem Aufenthalt in Udligenschwyl erst kurz vor den Wahlen erfolgte Abgabe der Schriften an diesem Orte durchaus der Annahme Vorschub leistet, als sei es den Rekurrenten nur im Hinblick auf diese Wahlen eingefallen, den Wohnsitz-in Udligenschwyl gesetzlich zu reguliren, um so daselbst an den Wahlen sich betheiligen zu können, müssen wir doch finden, daß die Beweggründe zu einem Domizilwechsel rechtlich nicht in Betracht fallen können und daß auch in den vorliegenden Fällen Alles darauf ankommt, ob die subjektiven und objektiven Merkmale und ^Erfordernisse des Wohnsitzes, verbunden mit der gesetzlichen Regulirung desselben, als gegeben zu betrachten seien.

402 In dieser Beziehung nun möchten wir gerne die Akten noch etwas vervollständigt sehen.

Gewiß wird die Frage, ob Barmet und Geißeler seit dem Zeitpunkte der Schriftenabgabe im Sinne des § 27 der Luzerner Staatsverfassung in Udligenschwyl domizilirt seien, sich wesentlich leichter beurtheilen lassen, wenn genau vorliegt, ob und welche Umstände für die Annahme eines anderwärtigen Domizils sprechen.

Wir möchten Sie daher bitten, uns gefälligst mitzutheilen, welche Momente nach Ihrer Auffassung bei Barmet -- außer dem von Ihnen bereits angeführten Motiv des Wohnsitzes des Dienstherrn -- für das Domizil in der Stadt Luzern, welche bei Geißeler für die Beibehaltung des Domizils in Buchenram sich anführen lassen.11

VII.

Der Regierungsrath erwiderte darauf mit Zuschrift vom 29. Juli 1891 was folgt: ,,Mit Zuschrift vom 4. Juni abhin ersuchten Sie uns um Ergänzung unserer Vernehmlassung in Stimmreehtssachen Barmet und Geißeler. Sie finden, daß die Beweggründe zu einem Domizilwechsel rechtlich nicht in Betracht fallen können und daß auch in den vorliegenden Fällen Alles darauf ankommt, ob die subjektiven und objektiven Merkmale und Erfordernisse des Wohnsitzes, verbunden mit der gesetzlichen Regulirung desselben, als gegeben zu betrachten seien.

Wir können diesen Ausführungen nur mit einer gewissen Restriktion beipflichten. Unsere Gesetzgebung ist bezüglich des Stimmrechts sehr sorgfältig und enthält eine Reihe von Bestimmungen, welche das Wahlknechtenthum in dieser oder jener Form unmöglich machen sollen. Trotz dieser schützenden Bestimmungen ist aber trotzdem, wie wir u. A. in der Beantwortung des Rekurses des liberalen Romite in Großwangen nachgewiesen haben, das Wahlknechtenthum nicht absolut zu verhindern. Wird es nun aber unzuläßig erklärt, die B e w e g g r ü n d e zu einem Domizilwechsel, auch wenn dieselben 'durchaus klar sind, zu würdigen, so wird die Folge eine Vermehrung des Uebels sein, welches weder Sie noch wir wollen.

Uebrigens erscheint uns der Beweis, daß Barmet und Geißeler nicht in Udligenschwyl, sondern in Luzern, bezw. Buchenrain, ihren Wohnsitz hatten, schon durch unsere Ausführungen vom 3. Juni abhin erstellt.

403

Barmet ist Knecht des Postfuhrhalters Bossardt, letzterer hat seinen Wohnsitz unbestritten in Luzern. Es steht im Belieben des Dienstherrn, dem Barmet jederzeit eine andere Route zur Fahrt anzuweisen. Würden wir erklären, daß Barmet nicht in Luzern stimmberechtigt sei, so würde derselbe faktisch seines Stimmrechts beraubt, bezw. die Möglichkeit der Erlangung eines Stimmrechtsdomizils von der Laune des Dienstherrn abhängig gemacht. Unser Entscheid, daß Barmet in Luzern und nicht in Udligenschwyl stimmberechtigt sei, ist also im Interesse des Barmet selbst.

Im Weitern verweisen wir auf die Belege l und 2. Aus ersterm ergibt sich, daß Barmet am 13. Februar in Luzern noch nicht militärisch abgemeldet war. Beleg 2, zur Zeit von den Rekurrenteu selbst aufgelegt, beweist, daß Bossardt für den Unterhalt des Barmet in Udligenschwyl aufkommt. Daß das L o g i s des Barmet bei dieser Rechnungsstellung nicht ausschlaggebend ist, beweist der Umstand, daß desselben bei den Rechnungen für das dritte und vierte Quartal 1890 etc. gar keine Erwähnung geschieht.

G e i ß e l e r betreffend verweisen wir auf die Belege 3 und 4.

Aus denselben ergibt sich, daß Geißeler selbst Buchenrain als sein Domizil betrachtete, da er dort sich militärisch angemeldet hatte."

VIII.

Die vom Regierungsrathe in seiner letzten Zuschrift an das eidgenössische Departement angerufenen Belege sind : \. Eine Bescheinigung des Sektipnschefs von Luzern, ausgestellt in Luzern am 13. Februar 1891, besagend, daß der im wehrpflichtigen Alter stehende Bammert (sollte heißen Barmet), Bernhard, des Heinrich, Postführer, von Eschenbach, Kanton Luzern, geboren 1864, laut Stamm-Kontrole A Nr. 4722, unterm 26. November 1888 in Luzern angemeldet und seither daselbst sich nie wieder abgemeldet hat.

2. Ein Auszug aus dem Tagebuch des Herrn Karl Henseler sei., Wirth zum ,,Engel" in Udligenschwyl, mit Datum Udligenschwyl, den 12./III. 91, unterzeichnet ,,für getreuen Auszug pr. Gderathskanzlei : Fr. Meyer, Gdch. u und mit dem Stempel der Gemeinderathskanzlei Udligenschwyl versehen, folgenden Inhalts : Fol. 154, B o s s a r d , F u h r h a l t e r i n 1890, Febr. 11. 'Für das erste Quartal, vember, Dezember 1889 und Jänner'1890, für und Logis dem Postillion B a m m e r t erhalten

Luzern.

die Monate NoStallmiethe, Kost . . . Fr. 185

404

1890, Mai 13. Für das zweite Quartal, die Monate Februar, März und April, für Stallmiethe, Kost und Logis erhalten Fr. 185 1890, August 5. Für das dritte Quartal, die Monate Mai, Juni und Juli, pr. Kost und Stallmiethe erhalten . . Fr. 185 1890, Novbr. 4. Für das vierte Quartal, die Monate August, September und Oktober, pr. Kost und Stallmiethe erhalten Fr. 185 1891, Febr. 3. Für das fünfte (?) Quartal, die Monate November, Dezember und 91 Jänner, für Stallmiethe und Kost . F r . 185 «> für Bamtnert erhalten 3. Eine Bescheinigung des Sektionschefs von Udligenschwyl, ausgestellt am 12. Februar 1891 und besagend, daß ,,Herr Josef Leonz Geißeler und Bernard Bamert hierorts kein Domizilwechsel (Anmeldung) angezeigt haben."1 4. Eine Mittheilung des Sektionschefs Fluder, d. d. Ebikon, 13. Februar 1891, an das Tit. Militär- und Polizei-Departement, dahinlautend, ,,daß Geißeler Leonz von Heinrich Senn von Neuenkirch Ersatzpflichtig seit 1889 in Buchenrein wohnhaft. Derselbe hat sich nicht abgemeldet in Buchenrein, somit wäre Geißeler Strafbara ; in E r w ä g u n g : I. In Betreff der Kompetenzfrage.

Es ist richtig, daß Artikel 59, Ziffer 9, des .Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 nach seinem Wortlaute ,,Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen und Abstimmungen1*, nicht Stimmrechtsbeschwerden dem Entscheide des Bundesrathes bezw. der Bundesversammlung unterstellt. Allein nach mehrjähriger vielfacher Unsicherheit in der Anhandnahme und Erledigung einschlägiger Fragen (seit 1874) hat die Praxis namentlich im Jahre 1889 anläßlich der damaligen tessinischen Großraths wählen der politischen Bundesbehörde die Ueberzeugung beigebracht, daß die Stimmrechtsfragen sich von den Wahl- und Abstimmungsfragen sachlich nicht trennen lassen und daß es logisch geboten ist, derjenigen Behörde, welche über die letzteren zu erkennen hat, auch die Beurtheilung der ersteren zu übertragen. Denn die Stimmrechtsfragen sind als ein wesentlicher Bestandtheil, ja als der Kern der Wahlgültigkeitsfragen anzusehen.

Nach wie vor 1874 sind Stimmrechtsfragen, ohne daß dagegen irgendwelcher Einspruch erhoben worden wäre, von der politischen Bundesbehörde erledigt worden, wenn dieselben mit der Frage der

405

Gültigkeit einer konkreten Wahl oder Abstimmung zusammentrafen.

Dieser rein äußere und zufällige Umstand kann indessen für die Feststellung der Kompetenz des Bundesrathes nicht ausschlaggebend sein. Der innere Grund seiner Kompetenz liegt in dem innern Zusammenhange zwischen den beiden Fragen : Stimmrecht der Einzelnen und Gültigkeit des Wahl- und Absümmungsakten. Und ein j e d e r Stimmrechtsentscheid ist von präjudizieller Bedeutung filicine Wahl oder Abstimmung. Die Präjudizien für seine Entscheidungen über Wahlbeschwerden darf sich aber der Bundesrath nicht von einer ändern Behörde diktiren lassen ; sonst hört er auf, Richter über diese Beschwerden zu sein (vergi. Rechtsschriften des Bundesrathes an das Bundesgericht in Sachen des Kompetenzkonfliktes mit dem Staatsrathe von Tessin vom 7. Juni und 7. September 1889, im Bundesblatte 1889, IU, 573--576; IV, 46--50).

In Festhaltung dieser Rechtsanschauung hat der Bundesrath seit 1889 zahlreiche Rekursentscheide über Stimmrechtsfragen getroffen (vergi, z. B. Bundesblatt 1891, I, 76, 213, 214, 273, 421--439).

Der Bundesrath hält sich demgemäß für kompetent zur materiellen Beurtheilung der durch den vorliegenden Rekurs aufgeo" worfenen Stimmrechtsfragen.

II."In Betreff der Hauptsache.

a. Rücksichtlich beider Rekurrenten.

Nach § 27 der luzernischen Staatsverfassung wird das Stimmrecht für kantonale Wahlen und Abstimmungen ausschließlich in der Wohngemeinde ausgeübt. Als Wohngemeinde gilt diejenige Gemeinde, wo der betreffende Bürger in den letzten drei Monaten vor der fraglichen Wahl oder Abstimmung seinen ununterbrochenen gesetzlich rêgulirten Wohnsitz gehabt hat.

Demnach knüpft die Kantonsverfassung das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten an die Thatsache des Wohnsitzes in einer Gemeinde des Kantons.

Der Begriff des Wohnsitzes ist in der luzernischen Verfassung nicht näher bestimmt. Es darf daher angenommen werden, daß für denselben die gemeinrechtlich feststehenden Merkmale gelten, nach welchen zum Begriff des Wohnsitzes das j Zusammentreffen zweier Elemente nothwendig ist: 1. eines äußern, objektiven: der Ort muß den ^Mittelpunkt der Lebensführung des Betreffenden bilden, und

406

2. eines Innern, subjektiven, eines Willenselementes: der Betreffende muß diesen Ort auch in der That als sein gegenwärtiges Heim betrachten, er muß den Willen haben, an demselben dauernd zu verweilen.

Sind diese Bedingungen erfüllt, so hat die Person an dem fraglichen Orte den Wohnsitz erworben. Dabei kommt es nicht darauf an, aus welchen Beweggründen sie diesen Ort zu ihrem Heim erwählt hat; die Beweggründe können mannigfaltig sein, sie können auch politische sein, indem ein Bürger der politischen Verhältnisse wegen den Wohnsitz an einem Orte ihm zusagend findet und darum lieber da als anderswo wohnt; es fragt sich in jedem Falle bloß, ob die den Wohnsitz begründenden Elemente vorhanden seien oder nicht, und darnach wird die Frage des Wohnsitzerwerbes zu beurtheüen sein.

Die Regierung des Kantons Luzern hat Recht, wenn sie die Beweggründe zu einem Domizilwechsel in d e r Richtung zu prüfen sich vorbehält, ob nicht der Wille, einen neuen Wohnsitz zu nehmen, bloß vorgespiegelt werde, ob es sich nicht etwa im konkreten Falle um ein fiktives, ein Scheindomizil handelt, durch welches einzig und allein ein politischer Zweck, die Ausübung des Stimmrechts, an einem Orte erreicht werden will, während das wirkliche Domizil des betreffenden Bürgers an einem ändern Orte fortbesteht. Der Regierung kann aber n i c h t beigestimmt werden, wenn sie aus der klar zu Tage liegenden Absicht eines Bürgers, an einem bestimmten Orte seine politischen Rechte auszuüben, dea Schluß zieht,, es fehle dem betreffenden Bürger deßwegen der zur Begründung des Wohnsitzes an diesem Orte nothwendige Wille. Vielmehr wird auch in einem solchen Falle Alles darauf ankommen, ob in subjektiver und objektiver Richtung die Elemente des Wohnsitzerwerbes als vorhanden zu betrachten seien oder nicht.

Eine solche Untersuchung allein wird in allen Fällen der Kantonsbehörde die richtige und wirksame Waffe gegen das mit Recht auch von ihr verabscheute sog. ,,Wahlknechtenthum u in die Hand geben.

Daraus folgt, daß die Regierung von Luzern dem Umstände, daß die beiden Rekurrenten erst am 6. bezw. 4. Februar 1891 durch Abgabe ihrer Heimatscheine den thatsächlich schon seit November 1889 bezw. 1890 bestehenden Wohnsitz in Udligenschwyl gesetzlich geordnet und damit zu erkennen gegeben haben, daß sie sich das Recht der Theilnahme an den im Frühjahr und Sommer 1891 in jener Gemeinde stattfindenden Wahlen sichern wollten, ein Gewicht beigelegt hat, das demselben in rechtlicher Hinsicht nicht zukommt.

407

Freilich hat die Regierung nach Maßgabe der kantonalen Gesetzgebung vollkommen Recht gehabt, als sie die Theilnahme der Rekurrenten an den Abstimmungen in Udligeuschwyl für den 15. Februar und 15. März 1891 untersagte; denn damals hatten dieselben in Udligenschwyl noch nicht einen g e s e t z l i c h r e g u l i r t e n Wohnsitz während wenigstens drei Monaten vor dem Wahl- oder AbstimmungstHge ausgeübt.

Eine andere Frage aber ist, ob die Verweigerung des Slimmrechts auch für die Wahlen vom 10. Mai 1891 begründet war, an welchem Tage das genannte gesetzliche Requisit erfüllt war, und ob der Ausschluß der Rekurrenten vom Stimmregister ia Udligenschwyl auch jetzt noch festgehalten werden kann.

Die Regierung mißt ferner mit Unrecht d e m Ums;fande ein großes Gewicht bei, daß die Rekurrenten sich erst nach dem 13. Februar 1891 bei den Sektionschefs der Gemeinden Luzern und Ebikon militärisch abgemeldet und bei demjenigen von Udligenschwyl augemeldet haben.

Die Rekurrenten haben sich durch diese Versäumniß ganz gewiß eines Dienstfehlers, eines Verstoßes gegen militärpolizeiliehe Vorschriften schuldig gemacht. Allein diese Unterlassung 'macht nach Maßgabe weder der eidgenössischen noch der kantonalen Verfassung die Regelung des politischen Wohnsitzes zu einer ungenügenden, sie könnte daher nur dann für die Frage des WohnsitzErwerbes in Udligenschwyl rechtserheblich sein, wenn die Rekurrenten nicht die nothwendigen Erfordernisse zur gesetzlichen Regulirung ihres Wohnsitzes erfüllt hättet', und wenn auch die gemeinrechtlichen Voraussetzungen des Erwerbes eines Wohnsitzes bei ihnen mangelten, was nun in Bezug auf einen jeden der beiden Rekurrenten näher zu untersuchen ist.

b. Mit Bezug auf Bernhard Barmet.

\. Der einzige Grund, weßhalb die Regierung von Luzern ·diesen Rekurrenten als in Luzern und nicht in Udligenschwyl wohnhaft betrachtet, ist der Umstand, daß sein Dienstherr in Luzern wohnt. Daß Barmet selbst in Luzern einen Wohnraum benütze, daß er dort Eltern oder sonstige Familiengenossen habe, bei denen er absteige und sich während dienstfreien Stunden aufhalte, daß er dort seine Mahlzeiten einnehme und die Nacht zubringe, daß er den größten Theil des Tages in Luzern verweile, all' das wird von ihr nicht behauptet. Es ist anzunehmen, daß bis zum November 1889 die Verhältnisse Barmets wirklich so waren, daß er selbst Luzern als seinen Wohnort betrachtete. Die Parteien haben darüber

408 keine nähern Angaben gemacht. Im November 1889 aber haben diese Verhältnisse sich geändert, und es trifft, wie gesagt, keinesder erwähnten objektiven Merkmale des Domizils in Luzern bei Barmet mehr zu.

Die -Regierung bezeichnet es als eine von ihr grundsätzlich befolgte Regel, das Domizil der Angestellten öffentlicher Transportanstalteii als an dem Orte bestehend anzunehmen, wo ihr Dienstherr wohnt. So werde es z. B. gehalten gegenüber den Angestellten der in Luzern domizilirenden Dampfschifffahrtsgesellschaft auf dem Vierwaldstättersee, obgleich dieselben beständig in Flüelen übernachten, so auch gegenüber dem Fahrpersonal der durchgehenden Eisenbahnzüge, welches regelmäßig die Nacht außerhalb des Kantons zubringt.

Ohne hier untersuchen zu müssen, ob die Gegenbemerkungen des öemeinderathes von Udligenschwyl, dahin gehend, daß die Dampfschiffangestellten bald da, bald dort übernachten, thatsächlich begründet seien, kann der Bundesrath die von der Regierung aufgestellte Rechtsregel nur dann für zulässig und begründet ansehen^ wenn der Angestellte nach seinen Dienstverhältnissen an keinem Orte des Kantons und auch nicht in einem ändern Kantone ein Heim besitzt und infolge dessen seines Stimmrechts überall verluatig ginge, wenn nicht ein Wohnsitz desselben im Kanton von Rechts wegen angenommen, flngirt würde. In diesem Falle dürfte es sich rechtfertigen, dem Angestellten das Stirnmrecht am Wohnorte des Dienstherrn zu sichern, indem man ihn als dort wohnhaft betrachtet,, mögen auch die objektiven Elemente eines Wohnsitzes desselben dort durchaus mangeln. In allen übrigen Fällen aber kann angesichts der Vorschrift des § 27 der Luzernerverfassung der Wohnort des Dienstherrn nicht auch als derjenige des Angestellten gelten, es sei denn, daß die thatsächlich en Verhältnisse ein wirkliches Wohnen des Letztern an diesem Orte beweisen.

Wenn diese Rechtsauffassung festgehalten und überall konsequent angewendet wird, so können aus derselben nicht, wie die Regierung befürchtet, bedauerliche Konsequenzen sich ergeben. Es werden z. B. die Angestellten der Dampfschifffahrtsgesellschaft auf dem Vierwaldstättersee oder das Fahrpersonal von durchgehenden Eisenbahnzügen nicht als in Luzern domizilirt zu betrachten sein, wenn sie in Luzern kein Heim besitzen, wohl aber anderwärts, wenn sie z. B. in Flüelen oder
im Kanton Tessin eine Wohnung gemiethet, dort ihre Familie haben u. s. w. Es hätte ja doch keinen guten Sinn, Bürger, die im Dienste einer Unternehmung öffentlicher oder privater Natur stehen, als am Geschäftssitze wohnhaft sich zu denken, während sie, für Jedermann erkennbar, that-

409 sächlich anderswo sich aufhalten. Dieß gilt sowohl in dem Falle, wo eine juristische Person,, eine Gesellschaft, die Unternehmung betreibt, also nur ein künstlich geschaffener Sitz besteht, als auch dann, wenn, wie im Rekursfalle, eine physische Person der Dienstherr ist. Mit Recht bemerkte der Gemeinderath von Udligenschwyl, daß ja der Dienstherr des Rekurrenten Barmet an einem von der Postroute, welche dieser zu befahren hat, weit entfernten und ihm ganz unbekannten Orte des Kantons Luzern wohnen konnte, und fragte, ob die Regierung den Barmet dann auch'als an diesem Orte wohnhaft betrachten würde. Man kann noch weiter gehen und fragen, wo der Wohnsitz des Angestellten im Kanton Luzeru anzunehmen wäre, wenn der Dienstherr, was ja ganz wohl möglich wäre, persönlich in einem ändern Kantone wohnte und nur gewisse Einrichtungen zum Betriebe des Geschäftes im Kanton Luzern besäße.

Aus dem Gesagten folgt, daß gerade die von der Regierung aufgestellte Regel zu unannehmbaren Konsequenzen führen müßte.

Der Bundesrath hat übrigens auch schon in ändern Rekursfällen im gleichen Sinne wie hier sich ausgesprochen, z. B. durch Beschluß vom 5. August 1891 (s. Buuclesbl. 1891, IV, 113, ia Verbindung mit Bundesbl. 1889, III, 418), betreffend die Großrathswahlen im tessinischen Wahlkreise Mareggia und speziell betreffend das Stimmrecht der Bürger Della Santa und Casellini, Angestellte auf den Dampfschiffen des Luganei-see's; auch in jenem Falle erklärte der Bundesrath den Umstand, daß die Dampfschiffgesellschaf't ihren Sitz in Lugano hat, für die Frage des Wohnsitzes der beiden Bürger als ganz bedeutungslos.

2. Demnach wird, da Luzern nach den konkreten Verhältnissen nicht, bezw. nicht mehr als der Wohnort Barmet's gelten kann, zu untersuchen sein, ob die Voraussetzungen des Domizils für Udligenschwyl zutreffen, wie der Rekurrent es behauptet.

Die von der Regierung in dieser Beziehung unwidersprochen gebliebenen Angaben des Gemeinderathes von Udligenschwyl (vergi.

Fakt. III) begründen in der That die Annahme, daß Barmet, seitdem er (November 1889), mit einer Unterbrechung von höchstens zwei Wochen wegen außerordentlicher Umstände, die Post von Udligenschwyl nach Luzern und umgekehrt fährt, in Udligenschwyl den Mittelpunkt seiner persönlichen Verhältnisse hat und daß er auch, soweit dieß bei einem Angestellten, wie er, überhaupt möglich ist, den Willen besitzt, dort dauernd zu verbleiben.

410

c. Mit Bezug auf Josef Lèonz Geißeler.

Dieser Rekurrent war unzweifelhaft bis zum November 1890 in Buchenrain wohnhaft. Seit jener Zeit betreibt er persönlich seinen Beruf als Käser in Udligensuhwyl, wo er mit angestellten Personen und einem Sohne Haushaltung führt. In Buchenrain hat eiserne Frau und andere seiner Kinder zurückgelassen ; seine Frau steht dem dortigen Geschäfte vor. Er hat für sich und Familie den Heimatschein in Udligeuschwyl deponirt und erklärt, hier steuerpflichtig und rechtlich belangbar zu .sein.

Diese Verhitltnisse sind nicht bestritten. Die Regierung sagt bloß, die Geschäfte erfordern es, daß Geißeler zeitweise in Udligenschwyl, zeitweise in Buchenrain sich aufhalte. Sie behauptet nicht, daß er in Udligenschwyl bloß zur Geschäftsbesorgung verweile, dagegen in Buchenrain mit den dortigen Familiengliedern haushalte und lebe.

Unter diesen Umständen muß mit dem Gemeiuderathe von Udligenschwyl angenommen werden, Geißeler betreibe in dieser Gemeinde sein Hauptgeschäft, er habe daselbst den Hauptsitz seiner Thätigkeit, in Buchenrain aber bestehe eine geschäftliche Zweigniederlassung, eine Filiale seines Geschäfts. Derartige Verhältnisse kommen, namentlich bei Käsern, nicht selten vor, und es wurde in solchen Fällen auch vom Bundesgerichte angenommen, der Wohnsitz des Ehemannes und Familienvaters sei an dem Orte begründet, ·wo derselbe sich persönlich niedergelassen hat, wo er sein Hauptgeschäft betreibt und seine Ausweisschriften deponirt hat (vergi, bundesgerichtliche Entscheidungen, I. Bd., S. 26 ff.), beschlossen: 1. Der Rekurs ist unbegründet, soweit er sich auf die Regie-rungsentscheide vom 14. Februar und 14. März 1891 bezieht, er ist dagegen begründet rüeksichtlich des Regierungsentscheides vorn 9. Mai 1891 und, so lange die gegenwärtigen Wohnverhältnisse der Rekurrenten fortdauern, in Hinsicht auf die Theilnahme derselben an künftigen Wahlen und Abstimmungen in Udligenschwyl.

Die Regierung des Kantons Luzern wird daher eingeladen, die Einschreibung der beiden Rekurrenten im Stimmregister von Udligen,-schwyl zu veranlassen.

411

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Luzern, sowie einem jeden der Rekurrenten schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 11. September 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers: Schatzmann.

Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. IV.

30

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss über den Rekurs von Bernhard Barmet und Leonz Geißeler, in Udligenschwyl (Luzern), betreffend politische Stimmberechtigung. (Vom 11. September 1891.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1891

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

39

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

23.09.1891

Date Data Seite

395-411

Page Pagina Ref. No

10 015 441

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.