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Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs der Herren L. Häfliger und Streitgenossen von Triengen und Winikon (Luzern) gegen den Beschluß des luzernischen Großen Rathes vom 30. Mai 1891 betreffend eine Grossrathswalverhandlungen im Wahlkreise Triengen.

(Vom 17. November 1891.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat ° in Sachen des Rekurses der Herren L. H ä f l i g e r , Großrath und Gemeinderathspräsident C. F i s c h e r , Gerichtsschreiber, und Alois H e l m ü H e r , Posthalter in Triengen, sowie der Herren Joh.

K a u f m a n n , Gemeinderathsvizepräsident Richard M ü l l e r , Friedensrichter, und J. K a u f m a n n , Posthalter, in Winikon, gegen den Beschluß des Großen Käthes des Kantons Luzern, vom 30. Mai 1891, betreffend die Fortsetzung der Wahlverhandlungen zur Wahl eines dritten Grossrahtsmitgliedes des Wahlkreises Triengen ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse I.

Mit Eingabe an den Bundesrath vom 7. Juni 1891 beschweren sieh die Rekurrenten über folgende Vorkommnisse: Im luzernisehen Wahlkreise Triengen, der aus den Gemeinden Triengen, Kulmerau, Winikon und Wilihof besteht und drei Großräthe zu wählen hat, kam bei den Integralerneuerungswahlen vom 10. Mai 1891 eine Wahl nicht zu Stande.

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. Die Fortsetzungswahl fand am 24. Mai statt. Bei derselben betrug das absolute Mehr 295 Stimmen. Nach der Zusammenstellung der vier Gemeindewahlbüreaux erhielt der liberale Herr Kaufmann 295, der konservative Herr Fischer 293 Stimmen.

Am 25. Mai begann die Session des Großen Käthes, die sich auf die Tage des 26., 27., 29. und 30. Mai ausdehnte. Im Laufe der Sitzung vom 27. Mai legte der Regierungsrath die Wahlverbale vor, mit einer Zuschrift vom 26. Mai, die für den Wahlkreis Triengen die oben angeführten Zahlen mittheilt.

Am 27. Mai langte beim Großen Rathe eine Beschwerde gegen die Zusammenstellung der Stimmen, wie sie die Wahlbüreaux des Kreises Triengen vorgenommen hatten, ein.

In der Sitzung vom 30. Mai stellte der Q-roße Rath das Resultat der Wahlverhandlung vom 24. Mai in der Weise fest, daß er das absolute Mehr auf 296 berechnete und jedem der Kandidaten 295 Stimmen, einem Dritten eine Stimme zutheilte; der Große Rath erklärte demgemäß, die Wahl sei nicht zu Stande gekommen, und beauftragte den Regierungsrath, die Fortsetzung derselben in einem dritten Wahlgange anzuordnen.

Der Regierungsratb setzte hierauf den dritten Wahlgang auf Sonntag, 14. Juni, an.

Die Rekurrenten erheben gegen dieses Vorgehen Einspruch, indem sie behaupten, Herr Kaufmann sei am 24. Mai gewählt worden.

Sie berufen sich auf § 2 des Zusatz-Gesetzes vom 17. Februar 1869 zum luzernischen Organisationsgesetze vom 7. Juni 1866, welcher also lautet: ,,Einsprüche gegen die Gültigkeit einer Großraths- oder Verfassungsrathswahl müssen, wenn sie von Mitgliedern des Wahlbüreau's ausgehen, in der Wahlurkunde selbst bemerkt werden.

Anderweitige Einsprüche gegen die Gültigkeit einer Wahl müssen, soweit möglich mit den erforderlichen Nachweisen versehen, dem Großen Rathe bis zu seiner ersten Sitzung nach der Wahl eingereicht werden, ansonst sie als verspätet außer Berücksichtigung fallen. Wenn ein Dritttheil des Großen Bathes einen amtlichen Untersuch einer rechtzeitig angefochtenen "Wahl verlangt, so hat der Große Rath den Entscheid aufzuschieben. In diesem Falle hat das Obergericht entweder durch ein Mitglied aus seiner Mitte oder eine andere Gerichtsperson das Material in Bezug auf die wesentlichen Anfechtungsgründe sammeln zu lassen und nach geschlossenem Untersuch das gesamrnte Material dem Großen Rathe zu übermitteln, welcher entscheidet.tt

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In rechtlicher Beziehung führen sie sodann aus: Die Bureaux waren einstimmig bei Feststellung des Wahlergebnisses ; die am 27. Mai beim Großen Rathe eingelangte Beschwerde ist also eine ,,anderweitige" im Sinne des Gesetzes und hätte bis zur ersten Sitzung nach dem Wahlakte dem Großen Rathe eingereicht werden sollen.

Die Einreichung fand erst in der dritten Sitzung der Behörde nach der Wahl statt; die Beschwerde ist also verspätet und muß außer Berücksichtigung fallen.

Der Wille des Gesetzes ist scharf und unzweideutig ausgesprochen. Paragraph 96 des Organisationsgesetzes vorn 7. Juni 1866 bestimmte, daß Wahlbeschwerden, die nicht .von Büreaumitgliedern ausgehen, dem Großen Rathe ,,während seiner ersten Sitzung nach der Wahl" eingereicht werden müssen. Das neue Gesetz vom 17. Februar 1869 enthält die noch genauere Fassung: ,,bis zu seiner ersten Sitzung nach der Wahl".

Der Große Rath hat somit das Gesetz verletzt, indem er auf die verspätete Einsprache eintrat.

Er hat das Gesetz noch unter einem andern Gesichtspunkte gebrochen.

Paragraph 66, Absatz 2, des Organisationsgesetzes lautet: ,,Die Frage, ob ein Stimmzettel als eine verlerne Stimme zu betrachten sei oder nicht, wird von den Mitgliedern des Büreau's durch Stimmenmehrheit entschieden."1 Eine Minderheit des Büveau's kann ihre Ansicht im Wahlverbal verurkunden; geschieht dieß, so muß eine Nachprüfung durch die Oberbehörde eintreten.

Ist aber das Wahlbüreau e i n s t i m m i g , so gibt es kein gesetzliches Mittel, um seine Feststellungen umzustürzen.

Es fällt eben sehr in Betracht, daß in j e d e m Wahlbüreau je ein Stimmenzähler und ein Schreiber der liberalen und der konservativen Partei angehört.

Die Praxis hat diese Rechtssätze stets sanktionirt. Eine Konsequenz derselben ist es auch, daß die Siegel von den Stimmkartenpaketen nicht abgenommen werden dürfen, wenn das Wahlverbal keinen Einspruch eines Büreaumitgliedes aufweist.

Regierungsrath und Großer Rath haben noch in neuerer Zeit, anläßlich einer Gemeinderathswahl in Weggis (1887) und einer Großrathswahl in Littau (1889), in dem vom Gesetze gewollten Sinne entschieden. Man sehe: Staatsvevwaltungsbericht des Regie-

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rungsrathes von 1887, Seite 397, und Genehmigung desselben durch den Großen Rath 1889.

Die Rekurrenten betrachten es als selbstverständlich, daß ein dritter Wahlgang bis nach dem Entscheide der Bundesbehörde über den Rekurs zu unterbleiben habe.

Sie verlangen nach dem Gesagten: 1. Aufhebung des Großrathsbeschlusses vom 30. Mai 1891 und Anerkennung der Wahl des Herrn Bernhard Kaufmann von Winikon zum Mitgliede des Großen Käthes für den Kreis Triengen.

2. Aufhebung des Regierungsbeschlusses vom 2. Juni, betreffend Anordnung des dritten Wahlganges auf den. 14. Juni 1891 und Einstellung jedes weitem Wahlverfahrens bis nach Erledigung der vorliegenden Beschwerde.

II.

Der Bundesrath entsprach durch Verfügung vom 10. Juni 1891 dem zweitangeführten Begehren der Rekurrenten und lud die Regierung von Luzern ein, sieh über den Rekurs der Herren Häfliger und Genossen vernehmen zu lassen, inzwischen aber und bis zur Entscheidung der Rekurssache durch die Bundesbehörde die Wahlverhandlungen im Kreise Trieagen einzustellen.

Die Regierung sandte bereits unterm 12. Juni ihre Vernehmlassung auf den Rekurs ein, in der Meinung, daß der Bundesrath sofort den Gegenstand materiell erledigen könne, so daß eine Verschiebung des auf den 14. Juni angesetzten dritten Wahlganges nicht nöthig wäre; eventuell verlangte sie, daß die Sache dem Großen Rathe vorgelegt und dieser Behörde Gelegenheit gegeben werde, sich auszusprechen; auch behielt sie sich vor, gegen die Kompetenz des Bundesrathes Einwendungen zu erheben. Der Bundesrath beharrte jedoch auf seiner Verfugung, indem er bemerkte, daß er sonst nicht mit Sachkenntnis entscheiden könnte, und die Regierung auf den präjudiziellen Bundesrathsbeschluß vom Jahre 1883 in Sachen Glanzmann und Konsorten hinwies, auch erklärte, daß ihm eine Vernehmlassung des Großen Käthes erwünscht sei. Hierauf, am 13. Juni, sistirte die Regierung die Großrathswahl im Kreise Triengen.

III.

Am 15. Juni übermittelte das Bidg. Justiz- und Polizeidepartement die ßekursschrift der Herren Häfliger und Genossen der Luzerner Regierung zu Händen des luzernischen Großen Käthes.

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Mit Schreiben vom 16. Juni sandte das Departement die Autwort der Regierung den Rekurrenten zur Anbringung allfälliger Gegenbemerkungen.

Am 2. August langte, mit Datum Luzern, Juli 1891, die Vernehmlassu des Büreau's des Großen Rathes beim Bundesrathe ein. Das Bureau war durch Schlußnahme des Großen Rathes vom 14. Juli beauftragt und bevollmächtigt worden, im Namen des Rathes dem Bundesrathe den gewünschten Bericht zu erstatten.

Als sodann Herr Großrath Häfliger mit Schreiben vom 17. August diese Vernehmlassung für sich und Streifgenossen zur Einsicht verlangte, wurde ihm vom Eidg. Justizdepartemente geantwortet, daß er vorerst die Antwortschrift der Regierung zurückzustellen habe, worauf Herr Häfliger diese Schrift mit Brief vom 27. August ohne Gegenbemerkung zurücksandte. Derselbe erhielt nun die großräthliche Vernehmlassung zur Einsicht, mit Ansetzung einer kurzen Frist zur Einreichung allfälliger Gegenbemerkungen.

Nach wiederholten Mahnungen ging eine vom 19. Oktober datirte Replik unterm 22. Oktober beim Bundesrathe ein.

Von der Einholung einer Duplik wurde abgesehen.

IV.

Die Rechtsschriften der Luzerner Behörden haben im Wesentlichen den nachstehend skizzirten Inhalt:

a. Antwort des Regierungsrathes.

In seinem Schreiben an den Großen Rath, vom 26. Mai, beschränkte sich der Regierungsrath darauf, dem Großen Rathe den Inhalt der Wahl verbale mitzutheilen, nach denen Kandidat Kaufmann 295, Kandidat Fischer 293 Stimmen erhalten hatte.

Die Wahlbeschwerde trägt das Datum des 25. Mai, und wenn sie auch erst am 27. Mai dem Großen Rathe zukam, wie die Herren Häfliger und Genossen sagen, so war sie doch nicht verspätet; denn § 2 des Gesetzes vom 17. Februar 1869 kann im vorliegenden Falle nicht Anwendung finden.

Seit der Verfassungsrevision von 1875, welche an der Stelle der Großrathswahlen am Hauptorte eines aus mehreren Gemeinden bestehenden Kreises die Wahl in den Gemeinden einführte, ist die gedachte Gesetzesbestimmung nicht mehr praktisch anwendbar; denn die Bürger könnten sonst genölhigt werden, sich zu beschweren, bevor ihnen das Wahlresultat des Kreises bekannt geworden ist, es würde dies z. B. dann der Fall sein, wenn die Grossrathssitzung,

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wie es im vorliegenden Falle geschah, schon am Tage nach der Wahl stattfindet.

Paragraph 66, Absatz 2, des Organisationsgesetzes von 1866 hat nicht den Sinn, daß eine Beschwerde gegen einen einstimmigen Entscheid des Wahlbüreau's (über die Gültigkeit einzelner Stimmen) ausgeschlossen sei.

Der Regierungsrath hat allerdings anläßlich einer Gemeinderathsvvahl in Weggis es abgelehnt, den Entscheid des -- mehrheitlich liberal bestellten -- dortigen Wahlbüreau'a einer Nachprüfung zu unterziehen; der Große Rath hat aber seither, gerade in dem von den Rekurrenten angerufenen Falle von Littau, umgekehrt entschieden (Verhandlungen des Großen Rathes von 1889, Seite 144 ff.).

Die Genehmigung des regierungsräthliche Staatsverwaltungsberichtes durch den Großen Rath bedeutet keineswegs, daß alle in dem Berichte aufgenommenen und im Großen Rallie nicht beanstandeten grundsätzlichen Entscheide des Regierungsrathes auch für den Großen Rath maßgebend seien.

. Materiell ist zu bemerken, daß das Wahlbüreau Winikon dem liberalen Kandidaten Kaufmann eine Stimmkarte zurechnete, welche mit "Behegig" übersehrieben war; dasselbe Bureau hat dagegen eine mit ,,Fischer Triengen" und eine andere mit ,,Fischer" über schriebene Karte als ungültig erklärt, obwohl nur ein Kandidat Namens Fischer in der Wahl sieh befand und die beiden Parteien für ihre Kandidaten Kaufmann und Fischer gedruckte Kandidatenlisten ausgegeben hatten. Wenn dem liberalen Kandidaten der mit "Behegige" überschriebene Stimmzettel zugezählt wurde, so müssen dem konservativen Kandidaten offenbar auch die mit ,,Fischer Triengen" und "Fischer" überschriebenen Zettel zugezählt werden.

So erhält jeder Kandidat 295 Summen, bei einem absoluten Mehr von 296.

Der Große Rath hätte, ohne sich einem begründeten Vorwurfe der Parteilichkeit auszusetzen, weitergehen und die mit ,,Behegige" überschriebene Stimmkarte ungültig erklären können; dann hätte sich das absolute Mehr auf 295 gestellt und Kandidat Fischer wäre gewählt gewesen.

b. Antwort des Großen Rathes.

1. Der Bundesrath ist in Sachen dermalen nicht kompetent.

Eine Wahl ist noch nicht erfolgt. Nach Artikel 59, Ziffer 9, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege hu t aber der Bundesrath nur über Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen zu urtheilen.

546 2. Der Mangel einer Einsprache von Seite eines Büreaumitgliedes ist unwesentlich. Die Unterzeichnung eines Aktenstückes in amtlicher Stellung bedingt keineswegs die Anerkennung seines Inhaltes.

Uebrigens ist die persönliche Meinung eines Büreaumitgliedes über die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Stimmkarte für Niemanden verbindlich.

3. Der Regierungsrath hat das Wahlresultat nicht konstatirt; dessen Zuschrift an den Großen Rath vertrat einzig die sonst übliche Bekanntmachung des Wahlresultates im Kantonsblatt. Die offizielle Konstatirung des Wahl résultâtes erfolgte erst durch den angefochtenen Großrathsbeschluß vom 30. Mai. Nach der Geselzesauslegung der Rekurrenten wäre eine Beschwerde, schlechterdings unmöglich gewesen. Allein der von den Rekurrenten angerufene § 2 des Gesetzes vom 17. Februar 18S9 ist (aus den schon vom Regierungsrath entwickelten Gründen) seit dem Inkrafttreten der Staatsverfassung von 1875 thatsächlich abrogirt. Mit dem citirten § 2 sind auch eine Reihe von Paragraphen des Organisationsgesetzes von 1866, handelnd von den Großrathswahlen, seit 1875 thatsächlich außer Kraft. Gestützt auf § 67 der Staatsverfassung, der ihm hiezu die Vollmacht ertheilt, erläßt der Regierungsrath nun jeweilen vor einer Großrathswahl eine besondere Verordnung zur Regelung des Wahl Verfahrens.

Dieses seit 1875 eingeschlagene,,Verfahren ist bis jetzt von keiner Seite angefochten worden.

Ob übrigens die Beschwerde gegen die Wahl in Triengen verspätet oder nicht verspätet einlangte, ist durchaus ohne Belang.

Der Große Rath mußte auch ohne dieselbe die Wahlverhandlung prüfen und über letztere Beschluß fassen. Man vergleiche §§ 97 a und 6, des Organisationsgesetzes, welche lauten: ,,§ 97 a. Die Versammlung untersucht die Wahlurkunden und Wahlfähigkeitszeugnisse der Gewählten den Wahlkreisen nach, wobei jeweilen die Mitglieder des betreffenden Wahlkreises im Ausstande sich befinden.

,,Die Voruntersuchung kann besondern Kommissionen übertragen werden.

,,§ 97 b. Die Versammlung bestätigt die Wahlurkunden, wenn sie den Gesetzen gemäß sind; sie verwirft dieselben, wenn wesentliche Unförmlichkeiten bei einer Wahlverhandlung stattgefunden haben, ganz oder zum Theil. Im Falle der Verwerfung gibt sie hievon dem Regierungsrathe behufs der sofortigen Anordnung neuer Wahlen Kenntniß."

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^Die Versammlung kann auch den Regierungsrath mit der nähern Untersuchung von Einsprüchen gegen eine Wahlverhandlung oder mit Einleitung gerichtlicher Verfolgung beauftragen.1* 4. Paragraph 66, Absatz 2, des Organisationsgesetzes sagt nicht und keine anderweitige Gesetzesstelle sagt es, daß die Büreaumitglieder e n d g ü l t i g über die Frage entscheiden, ob ein Stimmzettel als eine verlerne Stimme zu 'betrachten sei oder nicht. Ein Rekurs gegen den Entscheid des Büreau's ist keineswegs ausgeschlossen.

Der Entscheid in Sachen Triengen steht mit der bisherigen Praxis des Großen Käthes nicht im Widerspruche. Der Große Rath hat sich stets das Recht gewahrt, eine Nachprüfung des Wahlresultates vorzunehmen, auch wenn keine Einsprache eines Büreaumitgliedes vorlag. So z. B. in Sachen der Wahlbeschwerde Bucher und Genossen von Wolhusen, wo ebenfalls die Stimmkarten nachgeprüft wurden, welche Beschwerde am 21. Februar 1888 vom Bundesrathe als unbegründet abgewiesen wurde.

Der Beschluß des Regierungsrathes von 1887 ist für den heutigen Fall bedeutungslos. Es handelte sich um eine Gemeinderathswahl, nicht um eine Großrathswahl. Für Gemeinderathswahlen ist der Regierungsrath Kassationsbehörde. Sodann sind Regierungsrathsbeschlüsse für den Großen Rath nicht verbindlich, auch wenn sie in den Rechenschaftsbericht aufgenommen werden, zumal dann nicht, wenn sie eine Sache betreffen, über welche der Regierungsrath allein zu entscheiden hat, während der Große Rath für das ihm unterstellte Gebiet eine selbstständige, von derjenigen des Regierungsrathes abweichende Praxis befolgt.

Das Bureau des Großen Käthes schließt seine Vernehmlassung mit dem Gesuche: Der Bundesrath wolle auf den Rekurs Mangeïs Kompetenz nicht eintreten, eventuell denselben als unbegründet abweisen.

Auftragsgemäß wird beigefügt, daß eine Minderheit des Großen Rathes den Rekurs für begründet hält, jedoch ausdrücklich darauf verzichtet hat, ihren Standpunkt an dieser Stelle geltend zu machen, und nur verlangt, daß desselben in der großräthlichen Vernehmlassung Erwähnung geschehe.

V.

Die Replik der Rekurrenten bemerkt: 1. Der Bundesrath erscheint ebensowohl kompetent, wenn von der Kantonsbehörde eine in Wirklichkeit gültige Wahl als ungültig erklärt worden ist, wie wenn unigekehrt eine ungültige Wahl als gültig erklärt wurde.

548 2. Paragraph 2 des Gesetzes von 1869 ist auch unter der Verfassung von 1875, d. h. mit der Wahl der Großräthe in den Gemeinden, sehr wohl anwendbar. Der Bürger beschwert sich eben über das Wahlverfahren in der Gemeinde. Thatsächlich ist ja auch im Rekursfalle die Beschwerde von Triengen schon am 27. Mai beim Großen Rathe eingelangt, und doch ist nach der Aussage des großräthlichen BüreaiTs die offizielle Konstatirung des Wahlresultates erst am 30. Mai erfolgt. Der Regierungsrath hatte seinerseits das Wahlresultat schon am 25. Mai konstatirt. Das Großrathsbüreau widerspricht sich im gleichen Satze, wenn es schreibt: ,,Der Regieruûgsrath hat das Wahlresultat nicht konstatirt, die Zuschrift an den Großen Rath vertrat einzig die sonst übliche Bekanntmachung des Wahlresultates im Kantonsblatt u .

3. Der Große Rath hat nach Paragraph 97 des Organisationsgesetzes die ,,Wablurkundeu" zu prüfen, nicht die Entscheide des Wahlbüreau's über die Gültigkeit von Stimmen, und er kann die Wahlurkunden verwerfen, wenn, wie das Gesetz sagt, ,,bei einer Wahlverhandlung wesentliche Unförmlichkeiten stattgefunden haben".

Die Fassung von Entscheiden durch das Wahlbüreau ist aber keine Unförmlichkeit, sondern die Befolgung einer gesetzlichen Vorschrift.

Beim Entscheide des Wahlbüreau's muß es sein Bewenden haben, da nicht ausdrücklich ein Rekursrecht statuirt ist.

Der Großrathsbeschluß in Sachen Littau ging gegen das Gesetz. Im Falle Wolhusen war die Frage nicht die gleiche. Aber auch das Vorhandensein eines zweiten Beschlusses vermöchte nicht das Gesetz zu brechen.

Die Entscheide des Wahlbüreau's waren im vorliegenden Falle auch materiell ganz richtig. Der Stimmzettel ,,Beherige* (d. h. Bisherige) enthielt die deutliehe Bezeichnung einer bestimmten Person, des bisherigen Großrathes Kaufmann. Die Stimmzettel mit Ulrich ' Fischer oder bloß Fischer dagegen mußten verworfen werden.

,,Ulrich Fischer" sind in Triengen zwei, ,,Fischer" mehr als hundert, und am 10. Mai (1. Wahlgang) hatten mehrere Fischer kandidirt; in Erwägung: I. Ueber die Eintretensfrage.

Wie der Bundesrath in seinem Beschlüsse vom 1. Juni 1883 in Rekurssache Glanzmann und Genossen von Escholzrnatt (Kanton Luzern), betreffend die Kassation einer Bezirksrichterwahl, ausgeführt hat, wird das Beschwerderecht der Bürger von den Bundesbehörden auch in den Fällen anerkannt, wo gegenüber den Beschlüssen der

549 Kantonsbehörden die G ü l t i g k e i t einer kantonalen Wahl oder Abstimmung behauptet und durch Anrufung der eidgenössischen Rekursinstanz zur Anerkennung gebracht werden will (vergi, z. B.

Bundesblatt 1876, I, 953, und III, 191; 1877, II, 529; 1884, II, 762 ff.).

Das aus einer Wahlverhandlung hervorgegangene Wahlresultat, so lautet eine Erwägung zu dem citirten Bundesrathsbeschlusse von 1883, bildet eine rechtliche Thatsache, deren willkürliche Vernichtung Seitens einer kantonalen Behörde ebensowohl eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger, die an der Wahl theilgenommen haben, involviren würde, als wenn die Behörde unter Mißachtung verfassungsrechtlicher Vorschriften die Wahl als aufgehoben erklären und einen neuen Wahlakt anordnen wollte.

Der Bundesrath findet diese Erwägung auch im vorliegenden Rekursfalle zutreffend, wo wiederum die Frage zu beurtheilen ist, ob eine Wahlverhandlung zu einem rechtsgültigen Resultale geführt, bezw. ob eine Kantonsbehörde mit Recht einen Wahlgang als resultatlos erklärt hat.

II. XJeber die Sache selbst.

1. Den politischen Bundesbehörden steht die Kompetenz zur Beurtheilung von Beschwerden betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen kraft den Bestimmungen der Artikel 5, 85, Ziffer 8, 102, Zitier 2 und 3, und 113, Absatz 2, der Bundesverfassung zu.

Nach Maßgabe des letztgenannten Artikels hat das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege in Artikel 59, Ziffer 9, die Erledigung solcher Beschwerden o als eine Administrativsache dem Bundesrathe, bezw. der Bundesversammlung zugeschieden, sofern dabei Rechte von Privaten oder Korporationen in Frage kommen, welche ihnen entweder durch die Bundesverfassung oder die Bundesgesetzgebung oder durch die vom Bunde gewährleistete und infolge dessen zu schützende kantonale Verfassung zugesichert sind' (vergi.

Bundesrathsbeschluß vom 1. Juni 1883 in Sachen Glanzmann und Konsorten, Erwägung l zur Kompetenzfrage, a. a. O., nebst den dort allegirten Vorentsoheiden).

2. Demzufolge haben die politischen Bundesbehörden auch auf diesem Gebiete nicht mit solchen Beschwerden sich zu befassen, welche bloß die von den Kantonsbehörden den Bestimmungen und Vorschriften kantonaler Gesetze gegebene Auslegung und Anwendung anfechten.

Freilich kann auch die Anwendung der kantonalen Gesetzgebung gegen Sätze des Bundesrechts oder des kantonalen Ver-

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fassungsrechts verstoßen, so z. B. dadurch, daß sie den verfassungsmäßigen Grundsatz der Rechtsgleichheit der Bürger vor dem Gesetze verletzt oder das Recht des Bürgers auf freie, selbstständige Ausübung seines politischen Stimmrechts bei einem Wahlakte nicht hat zur Geltung kommen lassen. Und es hat sich der Buodesrath von jeher die Kompetenz zugeschrieben, auf dem seiner Kognition unterstellten Rekursgebiete insbesondere die Beschwerden betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen unter solchem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte zu prüfen und eventuell materiell zu beurtheilen.

Es fragt sieh daher, ob im Rekursfalle eine Beschwerde dieser Art vorliege, und eventuell, ob sie sachlich gerechtfertigt sei.

3. Die Beschwerde der Herren Häfliger und Genossen gegen den Großrathsbesohluß vom 30. Mai beruft sich nicht auf bestimmte Sätze des eidgenössischen oder kantonalen Verfassungsrechts, um das Begehren der Aufhebung jenes Beschlusses durch die Bundesbehörden zu begründen; sie erklärt dagegen, daß derselbe in doppelter Beziehung die luzernische Wahlgesetzgebung mißachte und verletze und daß er mit der bisherigen Praxis der Käntonsbehördeu im Widerspruch stehe.

Die Rekurrenten behaupten, daß der Große Rath die ihm am 27. Mai zugekommene Wahlbeschwerde aus Triengen nach Vorschrift des § 2 des kantonalen Gesetzes vom 17. Februar 1869 als verspätet hätte von der Hand weisen sollen ; sie behaupten ferner, daß der Große Rath nach Maßgabe von Paragraph 66, Absatz 2, des kantonalen Gesetzes vom 7. Juni 1866 nicht befugt gewesen sei, das Wahlverbal des Kreises Triengen in Bezug auf die einhelligen Entscheide der Bureaux über die Gültigkeit einzelner Stimmen einer Nachprüfung zu unterstellen.

Schließlich beanstanden die Rekurrenten auch die materielle Richtigkeit des großräthliehen Beschlusses.

Der Regierungsrath und der Große Rath des Kantons Luzeru entgegnen, daß die erstangeführte Gesetzesstelle seit der Einführung der Wahlverhandlung in den Gemeinden durch die Verfassung von 1875 praktisch unanwendbar und thatsächlich nicht mehr gehandhabt worden sei, und daß die zweitangeführte Gesetzesstelle das Recht des Rekurses an den Großen Rath gegen Entscheide eines Wahlbüreau's nicht ausschließe, daß der Große Rath überdieß vermöge anderer positiver Bestimmungen des gleichen Gesetzes das unbedingte Recht
der Nachprüfung der Wahlvevbale besitze und dasselbe Stetsfort ausgeübt habe, so z. B. in einem im Jahre 1887 vorgekommenen, letetinstanzlich vom Bundesrathe behandelten Be-

551 schwerdefalle aus dem Kreise Wolhusen, ferner im Jahre 1889 in Bezug auf eine Großrathswahl im Kreise Littau.

Die luzernischen Behörden «halten gegenüber der Kritik der Rekurrenten den angefochtenen Großrathsbeschluß auch in materieller Beziehung für durchaus richtig und üben ihrerseits an Entscheiden des Wahlbüreau's Winikon, die zu Gunsten des liberalen Kandidaten lauteten, Kritik.

Die Rekurrenten führen einen Regierungsbeschluß aus dem Jahre 1887, betreffend die Gemeinderathswahlen von Weggis, an, bei welchem der Regierungsrath den § 66 des Organisationsgesetzes in dem von ihnen vertretenen Sinne ausgelegt und angewendet hat, worauf von den Behörden erwidert wird, daß der Regierungsrath Kassationsbehörde für Gemeinderathswahlen sei und daß seine Entscheidungen in keinem Falle, am wenigsten bei Großrathswahlen, den Großen Rath binden können.

Großrathsbeschlüsse, durch welche die citirten Gesetzesstellen in ihrem Sinne ausgelegt und angewendet wurden, sind von den Rekurrenten nicht angeführt worden.

4. Aus dem Gesagten erhellt, daß es sieh im Rekursfalle lediglich um Fragen der Auslegung und Anwendung kantonalgesetzlicher Bestimmungen betreffend die Voraussetzungen des Wahlbescbwerderechts der Bürger bei Großrathswahlen und des Umfanges der großräthliehen Kompetenz bei Prüfung von Wahlakten handelt und daß von einer Verletzung des Bundesrechts oder des kantonalen Verfassungsrechts durch den angefochtenen Großrathsbeschluß nur in der Weise die Rede ist, daß angedeutet wird, der Große Rath habe bisher das Gesetz anders ausgelegt und gehandhabt, er habe also gegenüber den Wählern des Kreises Triengen durch seine Schlußnahme den Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze (^Art. 4 der Bundesverfassung und § 4 der Kantons Verfassung) verletzt.

Allein in letzterer Richtung erscheint folgende Erwägung zutreffend, welche dem wesentlichen Inhalte nach schon zu dem mehrerwähnten Bundesrathsbeschlusse von 1883 in Sachen Glanzmann und Konsorten aufgestellt wurde: Wenn die Behauptung aufgestellt wird, daß durch den fraglichen Entscheid der die Rechtsgleichheit der Bürger postulirende Artikel der kantonalen und eidgenössischen Verfassung verletzt sei, so erachtet sich zwar der Bundesrath im vorwürfigen Falle, da es sich um die Gültigkeit einer kantonalen Wahl handelt, zur Beurtheilung dieses sonst der Kognition des Bundesgerichtes anheimfallenden Beschwerdepunktes als kompetent; er hält jedoch weder

552 den Nachweis, daß unter den gleichen Verumständungen seit dem Inkrafttreten der Verfassung von 1875 im Kanton Luzern vom Großen Rathe ein anderes Recht angewendet worden ist, für erbracht, noch würde er, wenn dies wirklich der Fall wäre, dadurch zur Aufhebung eines, wie der vorliegende, verfassungsrechtlich unanfechtbaren und eine allgemein anwendbare Rechtsnorm für künftige Fälle aufstellenden Entscheides einer Kantonsbehörde sich veranlaßt sehen, beschlossen: 1. Der Rekurs wird, soweit der Rechtsbestand und die Bedeutung kantonaler Gesetzesbestimmungen in Frage liegen, wegen materieller Inkompetenz des Bundesrathes, soweit eine Berufung auf Bundesrecht und kantonales Verfassungsrecht stattgefunden hat, wegen sachlicher Unbegründetheit abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der h. Regierung des Kantons Luzern in zwei Ausfertigungen, von denen die eine für sie und die andere für den Großen Rath bestimmt ist, sowie in einer Ausfertigung dem Herrn Grolkath Häfliger in Triengen, für ihn und Streitgenossen, mitzutheilen.

B e r n , den 17. November 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss über den Rekurs der Herren L. Häfliger und Streitgenossen von Triengen und Winikon (Luzern) gegen den Beschluß des luzernischen Großen Rathes vom 30. Mai 1891 betreffend eine Grossrathswalverhandlungen im Wahlkreise Triengen. (Vo...

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