1088

# S T #

Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft sind ani 1. Juni zur ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

Im Nationalrathe wurde die Session durch den Präsidenten, Herrn Oberstdivisionär Ed. M ü l l e r aus Bern, mit folgenden Worten, eröffnet : Meine Herren!

Bevor wir mit unseren Verhandlungen beginnen, wollen wir eines Mannes gedenken, der seit unserer letzten Session unserer obersten Gerichtsbehörde durch den Tod entrissen wurde, des Herrn Bundesrichter Alois Kopp.

Von früher Jugend an stand derselbe im öffentlichen Leben und er widmete demselben seine ganze Kraft bis zu seinem Ende.

Schon im Jahre 1851 finden wir den damals kaum 24 Jahre zahlenden jungen Mann im Nationalrathe, dem er bis 1865 angehörte,, während er gleichzeitig in seinem Heimatkanton Luzern sowohl in Gemeinde wie im Staate in verschiedenen Stellungen thätig war.

1863 wurde er Mitglied des luzernischen Obergerichts, 1870 Mitglied des Regierungsrathes, 1871 Schultheiß und gleichzeitig Vertreter Luzerns im Ständerathe, dessen Präsidium er in den Jahren 1873/74 führte. Im Jahre 1879 wählte ihn die Bundesversammlung zum Mitgliede des Bundesgerichts und 1887 zum Präsidenten desselben.

Es genügen diese wenigen Daten, um zu zeigen, welch' reiche Thätigkeit der Dahingegangene in unserem Staatsleben entfaltet hat und wie sehr ihm allseitiges Vertrauen dauernd geschenkt wurde. Er hat sich desselben in den schwierigsten Lagen würdig gezeigt, und seine Pflichttreue, sein Gerechtigkeitssinn, seine Loyalität und sein scharfer Verstand, mit einem Worte seine Tüchtigkeit, haben ungetheilte Anerkennung gefunden. Nur zu früh ist Alois Kopp seiner Thätigkeit entrissen worden.

Meine Herren ! Ich lade Sie ein, das Andenken des Verstorbenen zu ehren, indem Sie sich von Ihren Sitzen erheben.

1089 Im Ständerath hielt Herr Präsident K e l l e r s b e r g e r (Aargau) bei der Eröffnuog folgende Ansprache:

Meine Herren Ständeräthel Gestatten Sie mir, der ich Sie im Laufe weniger Monate an 3 Todtenhügel führen mußte, zum Schlüsse meiner Präsidentschaft auch einen Blick in's Lehen zu thun. Ein Leben, das sich uns zur Zeit reich an neuen Gestaltungen und bedeutenden Ereignissen präsentirt.

Die alten Formen brechen und der Staat sucht neue Bahnen für die Gestaltung seines sozialen und politischen Lebens.

Der Bund ringt mit den Privatinteressen, die bisher einen Theil der nationalökonomischen Aufgaben unseres Landes als ihre Domäne bewirthschaftet haben, um die Ausdehnung seiner Machtsphäre auch aul' dieses Gebiet, das er sich berufen erachtet in den Dienst der A l l g e m e i n h e i t zu stellen, weil ein mächtiger Theil der Ges a m m t i n t e r e s s e n des Landes auf diesem Gebiete zusammenlaufen. Die V e r s t a a t l i c h u n g der E i s e n b a h n e n und das B a n k n o t e n m o n o p o l sind diese Ziele.

Die I n i t i a t i v e , durch welche der Parlamentarismus seine Prärogativen dem Volke abgetreten, wird uns neue politische Bewegung, neues Leben im Bunde bringen, aber auch manchen Sturm und manche Ueberraschung. Der Parlamentsstaat ist über Nacht zum Volksstaat geworden und wir müssen gewärtigen, welche Früchte die aktive und positive Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung bringen wird, ob in ihr die Keime der Zerstörung unserer bisherigen Verfas'sungsgrundlagen oder diejenigen eines Weiterausbaues und einer fortschrittlichen Entwicklung derselben liegen. Ich hoffe von der guten politischen Schulung unseres Volkes und seiner bisherigen Verfassungstreue das letztere, wenn uns allerdings manche Ueberraschung nicht erspart bleiben wird.

Den Vortritt aber im Reigen dieser öffentlichen Fragen beanspruchen immer noch die sozialen Fragen- der U n f a l l - und K r a n k e n v e r s i c h e r u n g , und die rasche und glückliche Ausgestaltung derselben durch die Gesetzgebung muß immer noch unsere erste Sorge sein.

Die materielle Besserstellung unseres Volkes und namentlich derjenigen, deren ganze Existenz von der täglichen Arbeitsfähigkeit ihrer Hände abhängig ist, gehört zu den fruchtbringendsten, aber auch schwierigsten Aufgaben des Staates, der heute kein manchesterlicher Polizeistaat, sondern ein alles Menschliche umfassender und mitfühlender Gesellschaftsstaat sein soll.

1090 Ein Volk aber, das, wie das unsere, in einer Republik die oberste Staatsgewalt auszuüben berufen ist, darf auch nicht zu eiuejn Bruchtheile durch Existenz- und Nahrungssorgeu niedergedrückt sein, ohne daß das Land selbst und seine politische und nationale Entwicklung schwer leiden müßte.

Das Vaterland darf seinen Augehörigen nie zur ganz liebeund freudelosen Heimat werden, und Keinem darf es einen Platz verweigern, wo er sein Haupt niederlegen kann.

Wollen wir von unsern Bürgern opferfähige Liebe zum Vaterland und alle jene Biirgertugenden verlangen, die für seine Wohlfahrt nöthig sind, so soll diese Liebe und Bürgertugend auch ihr materielles Aequivalent finden in der treuen Fürsorge des Staates für die Gedrückten und wirtschaftlich Schwachen.

Das Vaterland muß auch ein Herz für den Geringsten seiner Bürger haben.

Diese Fürsorge, sie ist in unserm Vaterlande angebahnt und geht ihrer Ausgestaltung entgegen und sie wird unserem Arbeitsstand eine kräftige Hand bieten zur Sicherung seiner Existenz.

Leider aber sind wir bis jetzt nicht so glücklich gewesen, auch demjenigen Stand wirksame Hülfe in Aussicht zu stellen, der ebenso sehr über die Noth der Zeit und seine gedrückte Lage zu klagen berechtigt ist. * Es ist dieses unser B a u e r n s t a n d , speziell unser Kleinbauernstand. Wohl thut die Eidgenossenschuft durch jährliche reiche Bundesbeiträge außerordentlich viel für die allgemeine Hebung der Landwirthschaft.

Allein von diesen reichen Mitteln, welche die Eidgenossenschaft der Landwirthschaft zur Verfügung stellt, kommt eben ein verhältnißmäßig nur geringer Theil dem Kleinbauern zu gut.

Diese kleinbäuerlichen Existenzen sind wirklich durch verschiedene Umstände und durch ökonomisch allerdings schwer zu sanirende wirthschaftliche Verhältnisse, deren Beseitigung nicht in ihrer Macht liegt, in eine Nothlage gerathen, der wirksam zu begegnen bis jetzt nicht gelungen ist. Bis jetzt ist der Weg, die Formel, die wir für den Arbeiterstand in der Unfall-, Krankenund Altersversicherung glücklich gefunden haben, für den Bauernstand noch nicht gefunden worden. Sie ist auch, soll allgemein und mit Berücksichtigung aller der verschiedenen Verhältnisse und besonderen Ursachen wirksam und dauernd geholfen werden, ungemein schwer zu finden.

Jedenfalls muß ein umfassendes und gründliches Studium der Ursachen und Gründe des Rückganges der kleinbäuerlichen Land-

1091 wirthsehaft und zwar in den verschiedensten Theilen des Landes vorausgehen, ehe an eine wirksame Hülfe gedacht werden kann.

Diese Ursachen und Verhältnisse aber gründlich zu studiren, ·die verschiedenartigen Einflüsse, Zustände' und ökonomischen Einwirkungen, die den Kleinbauernstand bedrücken, in sachverständiger, umfassender Weise festzustellen, und nach einer wirksamen Aenderung und Beseitigung dieser schlimmen Einflüsse zu forschen, das sollte zur Zeit eine unserer ersten und nächsten Sorgen sein.

Könnte der Bund die Formel, den Weg finden, der nach Mitgabe unserer finanziellen Kräfte dem Kleinbauernstand wirksam uud in nationalöküuomisch richtiger und dauernder Weise unter die Arme greifen könute, dann wäre uns ein Wurf von höchster Tragweite gelungen.

Der Bauernstand hat auch bereits die Iniliative ergriffen , um seine speziellen bäuerlichen Interessen selbst an die Hand zu nehmen, und wir können dieses Aufwachen aus einer gewissen trostlosen und dumpfen Resignation zur eigenen, frischen Anhandnahme der sich gestellten Ziele durch den Bauernstand nur begrüßen.

Wir fürchten auch nicht, daß dieses Zusammenstehen und Einstehen des Bauernstandes für seine Interessen zu einem starren Abschließen desselben gegenüber den übrigen Ständeu und gegenüber dem ganzen Gemeinwesen sich gestalte. Ein solches Zurückziehen in den engen Kreis eigener Interessen ohne alle Rücksicht auf das Ganze und Allgemeine und aile andern im Staatshaushalte vorhandenen^und zur Existenz der Gesammtheit der Natica nothwendigen Faktoren, wie es schon jetzt ia gewissen Kreisen tendirt wird, müßte zum Schaden Aller ausfallen.

Jede Nation und namentlich ein so reich gestaltetes Gemeinwesen wie das schweizerische muß naturnothwendig aus verschiedenen Stufen, Ständen und Volkselementen bestehen, die sich zu gegenseitiger Hülfe und zu gegenseitigem Schutz1 vereinigen und wo jeder Stand und jede Stufe als ein Theil des Ganzen sich fühlen und in ihrem Kreise und nach ihren Kräften zu' dem gemeinsamen Ziele Aller, der Wohlfahrt und dem Gedeihen : dès Gesammtstaates, beitragen und mitarbeiten muß.

Nichts aber wird dieser befürchteten Absonderung und der Abschließung der einen Stände gegen die andern mehr entgegenwirken und wird Allen die Notwendigkeit des Zusammenhanges aller Elemente des Volkes mehr zum Bewußtsein bringen,
als wenn wir, und speziell, die besser situirten Stände, den nothleidenden Ständen unsere werkthätige Fürsorge vor Allem zuwenden und i h r e Interessen und die Sanirung i h r e r Läge zum Gegenstand der

1092 a l l g e m e i n e n Sorge d e r G e s a m m t h e i t d e r g a n z e n Nat i o n machen.

Ich betrachte es deßhalb neben der im Gange befindlichen Lösung der Arbeiterfrage als unsere nächste Sorse, auch dem Bauernstand die helfende Hand zu bieten und ihm zu beweisen,, daß seine Sorge auch die S o r g e des g e s a m m ten L a n d es ist.

Im Großen und Ganzen glaube ich auch konstatiren zu dürfen, daß die Bundesversammlung in ihrer letztvergangenen Sitzungsperiode in der Behandlung der sozialen und politischen Fragen von einem einheitlichen und großen Staatsgedanken sich leiten ließ und über ihr der Geist eidgenössischer Solidarität gewaltet hat.

Hoffen wir auch, daß der Zolltarif nicht zur Klippe werde, an welcher dieser Geist der Solidarität und der billigen Rücksichtnahme der Einen gegen die Andern scheitere.

Ob solches auch bei der Lösung idealer Fragen konstatirt werden darf, und ob hier dieser eidgenössische Solidaritäts- und Einheitsgedanke nicht verlassen und Ziele verfolgt wurden, die vom Wege zum Allgemeinen und Ganzen abirrten in die Sackgasse der Sonderinteressen, das zu entscheiden will ich Ihnen überlassen.

Mit an Einstimmigkeit grenzender Mehrheit hat dt»s schweizerische Parlament die Errichtung eines Landesmuseums beschlossen.

Und unser solchen Bestrebungen sonst nicht immer ohne Weiteres zustimmendes Volk hat die Größe und Bedeutung dieses idealen und patriotischen Gedankens erfaßt und unsere Schlußnahme stillschweigend gutgeheißen.

Was wollen wir unserem Volke nun antworten, wenn es wissen will, warum dieser schöne und von den Berufenen der Nation s(y warm empfohlene Gedanke wieder begraben werden soll ? Können und dürfen wir ihm die innern und eigentlichen Gründe sagen?

Dürfen wir ihm sagen: Wir stimmen für Bern, damit, da der Ständerath definitiv beharrt hat, unsere Schlußnahme gar nicht in'sLeben trete.

Oder dürfen wir ihm sagen: Lieber gar nichts, als daß das Museum dahin komme, wohia ein Theil der Bundesversammlung es nicht wünscht.

Welches Beispiel der Solidarität und des Gemeinsinns geben wir dadurch dem Lande, wenn wir eine schöne und patriotische Schlußnahme, der unser Volk zugestimmt, nachträglich aus solchen Motiven zertreten ?

Es ist ein Pendant zum Zündhölzligesetz, tönt es im Volk.

1093 Welche Stimmung aber, und das wolle man zumeist bedenken, schaffen wir für die Zukunft in den einzelnen Theilen des Landes, wenn ähnliche Fragen von uns wieder zu entscheiden sind?

Nur noch wenig Wochen, und es glühen auf allen Höhen des Schweizerlandes die Feuer und von allen T.hürmen der Eidgenossenschaft läuten die Glocken zu ein und derselben Stunde die Bundesieier ein · und zur selben Stunde wird das ganze Land vom Jura bis zu den Alpen und vom Bodau bis zum Leman nur von einem einzigen großen und allem Schweizervolke,gemeinsamen Gedanken -durchleuchtet und die Glockentöne werden ihn in jede Hütte, jeden Palast tragen : den G e d a n k e n an das e i n i g e und e i n z i g e Vaterland.

Und wenn wir in dieser Stunde der Erinnerung und der Samm·luns; zurückblicken in die 600jährige. Geschichte unseres Landes, ·so belehren uns ihre Blätter, daß jeweilen die Eintracht und der .aufs Ganze und Allgemeine gerichtete vaterländische Geist und das ·demselben entspringende Kralibewußtsein unser Vaterland groß und glücklich und daß stets der Geist der Zwietracht und der Selbstsucht, der Zersplitterung und der Sonderinteressen es unglücklich und klein gemacht haben.

Möge die Bundesfeier diesen Geist der Eintracht und des vaterländischen Gemeinsinnes und die Liebe zum Gesammtvaterland neuerdings in uns allen befestigen und die Nebel der Sonderinter·essen und der Zwietracht zerstreuen. Möge dieser Geist auch walten über der künftigen Arbeit unseres Parlamentes.

Zum Schlüsse, meine Herren, betrachte ich es als meine Pflicht, und ich bin überzeugt, im Namen von Ihnen allen zu sprechen, wenn ich von diesem Platze aus einem Kollegen einen warmen Abschiedsgruß nachrufe, dessen Austritt aus unserm Rathe für diesen, die ganze Bundesversammlungund das ganze Vaterland einen schweren Verlust bedeutet, den wir alle schmerzlich, und nachhaltig empfinden. Es betrifft dies unsern aus dem Ständerathe scheidenden langjährigen Kollegen Dr. Hoffmann.

.

Ich , würde die Bescheidenheit unseres, scheidenden Kollegen zu verletzen befürchten, wollte ich auch nur flüchtig berühren, welche hervorragende und maßgebende Stellung derselbe in den Räthen der Eidgenossenschaft eingenommen hat. Wir alle wissen, -daß sein Name mit jeder großen Errungenschaft der Eidgenossenschaft von der Schöpfung der neuen Bundesverfassung an
bis auf den heutigen Tag aufs Engste verknüpft ist.

Möge unserm Kollegen noch ein langer und freundlicher Lebensabend und jene innere Befriedigung besehieden sein, auf die ein

1094 an Arbeit und Erfolgen so reiches Lehen wie das seinige vollen Anspruch hat.

Indem ich Ihnen, meine Herren Kollegen, noch meinen Dank ausspreche für das mir bewiesene Wohlwollen und für die Nachsicht mit meiner Geschäftsführung, erkläre ich die ordentliche Junisitzung für eröffnet.

# S T #

Aus den Verhandlungen des Schweiz, Bundesrathes, (Vom 29. Mai 1891.)

Herr Georges P. A. R o s s i g n o l nus Frankreich wird zum Professor für allgemeine Geschichte und Geographie in französischer Sprache am eidgenössischen Polytechnikum gewählt.

Dem Credito ticinese in Locamo mit Zweiganstalt in Lugano wird die Ermächtigung zur Emission von Banknoten im Betrage von Fr. 1,000,000 ertheilt.

Die Einführungsgesetze der Kantone Glarus (vom 7. Mai 1891) und Waadt (vom 16. Mai 1891) zum Bundesgesetze über Schuldbetreibung und Konkurs werden unter den gleichen Erwägungen genehmigt, wie dasjenige des Kantons Thurgau (s. Bundesbl. l, 752).

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Schweizerische Bundesversammlung.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1891

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

23

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

03.06.1891

Date Data Seite

1088-1094

Page Pagina Ref. No

10 015 275

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.