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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Rekurs von J. Grandjean und Sohn, Weinhändler in Lausanne, und Konsorten gegen den Bundesrathsbeschluß vom 1 Juni 1891 in Sachen C. Sibilin und Konsorten betreffend Uebertretung des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht.

(Vom 12. Dezember 1891.)

Tit.

Unterm 23. März 1891 hat Herr Eugen Métraux, Fürsprecher in Lausanne, Namens C. Sibilin und Konsorten beim Bundesrath einen Rekurs eingereicht mit dem Ersuchen um Aufhebung eines Urtheils des Polizeigerichts des Amtsbezirks Lausanne vom 17. Februar 1891 wegen Ubertretung von Art. 15 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht.

Dieser Rekurs wurde von uns mit Beschluß vom 1. Juni 1891 abgewiesen. Die Erwägungen, welche uns bei letzterm geleitet haben, finden sich mit dem Beschlüsse selbst im Bundesblatt Bd. III, 8. 291, abgedruckt, und wir erlauben uns deßhalb, auf dieselben zu verweisen.

Gegen unsern Entscheid führt nun Herr Eugen Métraux Namens der Mitbestraften, Grandjean und Sohn und Konsorten, bei der Bundesversammlung mit Rekurseingabe vom 13. Oktober 1891 Beschwerde.

Im Eingang der Rekursschrift werden zunächst die auch aus unserm erwähnten Beschluß ersichtlichen Thatsachen nochmals erwähnt und sodann darauf hingewiesen, daß es in Frankreich Üblich

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sei, Wein in ,,litres commerciaux"' zu verkaufen, welche gewöhnlich kleiner seien, als ein wirklicher Liter. Durch sein Inserat habe daher der erste Rekurrent, Sibilin,-darauf aufmerksam machen wollen : 1. daß der fragliche Wein in Zukunft per Flasche und nicht mehr per Liter verkauft werde, und 2. daß die Flaschen nicht alle genau einen Liter halten (was aus der Bezeichnung ,,litres commerciaux français" hätte hervorgehen sollen). Sibilin erkennt aber immerhin an, daß der gewählte Ausdruck zweideutig gewesen sei, und unterzieht sich daher unserm Beschluß.

Die übrigen Rekurrenten führen aus, daß sie Sibilin nicht autorisirt hätten, das fragliche Inserat auch in ihrem Namen erscheinen zu lassen, und lehnen jede diesbezügliche Verantwortlichkeit ab. Sie behaupten, daß sie nichts anders gethan hätten, als Wein in nicht geeichten Flaschen zu verkaufen, aber ohne einen bestimmten Inhalt zu garantiren.

Sie berufen sich dabei auf Art. 15 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht, welcher lautet: ,,Wer im Verkehr ungeeichte oder unbezeichnete Maße, Gewichte und Wagen gebraucht, verfällt etc.", indem sie dafür halten, daß nur, wenn es sich um ein bestimmtes Maß der Waare handle, das Gesetz den Gebrauch geeichter Maße vorschreibe, während im andern Fall, wo keine Maßoder Inhaltsbestimmung angegeben werde, sondern nur ein Verkauf einer individuell bestimmten Waare vorliege, Art. 15 des Bundesgesetzes keine Anwendung finden könne. Im letzteren Fall sei auch kein Betrug möglich, weil es sich ja nicht um eine genau bestimmte Menge handle. In Beziehung auf den Handel mit Wein würde also nur dann ein Verkauf nach Maß angenommen werden können, wenn der Wein in Gegenwart des Konsumenten direkt dem Faß entnommen würde, in welchem Fall die Flasche geeicht sein müßte. Wenn der Wein dagegen in verschlossenen Flaschen bezogen werde, so müsse angenommen werden, daß der Verkauf ohne Angabe eines bestimmten Maßes stattfinde. Der Käufer habe demnach nur dann das Recht, sieh über Uebervortheilung zu beschweren, wenn ihm eine kleinere Flasche geliefert werde, als diejenige , welche ihm beim Abschluß des Verkaufes vorgewiesen worden sei. Diese Art des Verkaufes komme im Handel auch mit andern Waaren vor, indem z. B. Seifen nicht per Gewicht, sondern per Stück verkauft werden.

Die Rekurrenten verweisen ferner auf das Kreisschreiben des Landwivthschafts- und Handelsdepartements des Kantons Waadt

739 vom 13. August 1887, nach welchem das genannte Departement den Verkauf von altem Wein in ungeeichten, aber wohlversehlossenen Flaschen gestattet habe. Sie citiren im Weitern das Kreisschreiben unseres Industrie- und Landwirthschaftsdepartements vom 30. Oktober 1890, nach welchem sich Derjenige einer Uebertretung von Art. 15 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht schuldig mache, welcher Flüssigkeiten per Liter, aber in ungeeichten Flaschen verkaufe. Die Behörden hätten daher zu beweisen gehabt: 1. Daß die Rekurrenten ihren Wein per Liter verkauft hätten, und 2. daß sie ihre nicht geeichten Flaschen als Literflaschen ausgegeben hätten. Beides sei aber nicht bewiesen worden ; zunächst sei außer Zweifel, daß die Rekurrenten ihren Wein nicht per Liter verkauft hätten. Sie hätten aber auch nicht das Publikum über die Größe ihrer Flaschen zu täuschen gesucht, was ein wirkliches Delikt gewesen wäre, wegen dessen sie dem Strafrichter hätten überwiesen werden müssen, wovon indessen nie die Rede gewesen sei.

Es gehe ferner aus den übereinstimmenden Rapporten der Polizeiangestellten hervor, daß die Rekurrenten, wenn ein Käufer einen Liter Wein vom Faß verlangt hätte, geeichte Flaschen benützt und nur dann ihre ungeeichten Flaschen gebraucht hätten, wenn der Käufer bouchirten Wein verlangt habe.

Der Bundesrathsbeschluß sei endlich auch inkonstitutionell in rlem Sinne, daß er die Gleichheit der Bürger vor dem Geset/, verhetze, welche durch Art. 4 der Bundesverfassung garantirt sei. Es sei in der That der Verkauf von Wein in nicht geeichten Flaschen nicht nur im Kanton Waadt (mit Ausnahme von Lausanne) gestattet, sondern auch auf dem ganzen Gebiet der Schweiz. Dasselbe Haus Chatelet, welches in Lausanne bestraft worden sei, treibe den Handel mit bouchirten Weinen in den Kantonen Genf, Born, Zürich, Neuenburg und Solothurn, wo diese Art des Verkaufes stillschweigend orier sogar ausdrücklieh gestattet sei. Eine große Menge von Getränken und Spirituosen werde übrigens in der Schweiz in verschlossenen, nicht geeichten Flaschen verkauft, so z. B. alle feinen Weine, die pharmazeutischen Spezialitäten, die Champagnerweine (selbst inländische), gewisse Biere, selbst hie und da gewöhnliche Biere. Es hätten daher die Rekurrenten eine ganz ausnahmsweise Behandlung erfahren, indem sie allein bestraft worden seien.
Diese neue Rekurseingabe wurde nochmals dem Landwirthschafts- und Handeladepartement des Kantons Waadt zur Vernehmlassung überwiesen; wir entnehmen der letztern, datirt vom 20. November, Folgendes: Zunächst weist das Departement darauf hin, daß die Bestrafung der Rekurrenten nicht wegen des mehrerwähuten Inserats von

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Sibilin erfolgt sei, sondern weil dieselben Wein in ungeeichten Flaschen verkauft hätten, welche einen Inhalt von ungefähr einem Liter haben und den Schein erwecken, als enthielten sie wirklich einen Liter, während durch eine Expertise des Eichmeisters von Lausanne konstatirt worden sei, daß die von Sibilin ,,litres commerciaux* genannten Flaschen mitunter nur SVs bis 9 Deziliter hielten.

Das Kreisschreiben Nr. 75 vom 13. August 1887 habe speziell den Verkauf von Wein hei öffentlichen Festen und in Gasthöfen im Auge gehabt. Der Zweck desselben sei gewesen, eingelassene Mißbräuche abzustellen. Dieses Kreisschreiben sei nur an die Polizeibehörden und nicht an das Publikum gerichtet gewesen ; die Rekurrenten hätten davon keine Kenntniß gehabt und dasselbe sei nur vom Advokaten der Rekurrenten herbeigezogen worden, um darin Entschuldigungsgründe für das Verfahren seiner Klienten zu finden.

In Folge des Kreisschreibens des Schweiz. Industriedepartements vom 30. Oktober 1890, welches am 14. November publizirt worden sei, habe das Departement den Betreffenden bis zum 31. Dezember 1890 Frist eingeräumt, damit sie sich den Vorschriften gemäß einrichten könnten; den Rekurrenten seien Exemplare dieses Kreisjschreibens zugestellt worden, aber Niemand habe um eine Fristverlängerung nachgesucht.

Die Rekurrenten gestehen, daß sie sich zuerst geweigert hätten, den Verkauf in bisheriger Weise fortzusetzen, aber Sibilin ' habe ihnen erklärt, alle Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen.

Die Affichen von Chatelet & Cie., welche den Verkauf des Weins per Liter angaben, blieben bis Ende Dezember in den Verkaufsstellen angeschlagen und erst in den ersten Tagen des Monats Januar seien neue Plakate an die Stelle getreten, in welchen das Wort Liter durch Flasche ersetzt worden sei, zu gleicher Zeit, wo das Inserat von Sibilin in den Zeitungen erschien. Die Bezeichnung ,,litre commercial11 sei im ganzen Kanton unbekannt, der Liter sei eine bestimmte Maßgröße und keineswegs nur eine Bezeichnung einer Flasche beliebiger Form und Größe.

Es sei ungenau, daß das Publikum benachrichtigt worden sei, die Flaschen, welche durch Sibilin oder seine Depothalter verkauft worden seien, hielten nicht das gesetzliche Maß. Im Gegentheil hätten viele Personen ihre eigenen Literflasehen mitgebracht, um den Wein in dieselben abziehen zu lassen, wobei wiederholt konstatirt worden sei, daß die Sibilin-Liter das gesetzliche Maß nicht enthalten. Von daher seien vielfache Reklamationen von Seite der

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Käufer, meist der arbeitenden Klasse angehörend, eotstanden, welche mit Recht verlangten, daß die Polizei derartige Mißbräuche nicht dulden sollte.

Die Flaschen des Hauses Chatelet & Cie. seien den geeichten Literflaschen ähnlich, sie hätten den Anschein, denselben gleich zu sein, und täuschten in dieser Beziehung das Publikum, während die gewöhnlichen Weinflaschen (von circa 7,5 dl.) keinen Irrthum aufkommen lassen.

Entgegen der Ansicht der Rekurrenten glaubt das Departement, daß das Gesetz die handeltreibenden Personen habe ver- ' pflichten wollen, bekannte Maße anzuwenden, und es nicht in das Belieben derselben stelle, willkürliche zu verwenden, deren Größe zwar wohl der Verkäufer, nicht aber der Käufer kenne. Wenn man der Anschauung der Rekurrenten beipflichten würde, so wäre das Bundesgesetz über Maß und Gewicht ein todter Buchstabe.

Das von den Rekurrenten gewählte Beispiel des Verkaufs von Seife in Stücken sei nicht zutreffend, weil hiebei eine Täuschung nicht vorkomme, während das der Fall sei, wenn der Verkauf in Flaschen stattfinde, welche gesetzlichen Flaschen ähnlich seien.

Endlich wird noch darauf hingewiesen, dnß die Rekurrenten nicht bloß die eidgenössischen Vorschriften, sondern auch den Beschluß des Staatsrathes des Kantons Waadt vom 26. September 1876 übertreten hätten, welcher in Art. 2 die im Verkehr mit Getränken allein zulässigen Flaschen aufzählt. Weil die Rekurrenten andere als die dort erwähnten Flaschen im Verkehr verwendet hätten, seien sie bestraft worden und es würde dem Departement unlogisch vorkommen, wenn die Bundesversammlung das Urtheil eines Civilgerichts aufheben würde, welches wegen Uebertretung eines Bundes- und eines kantonalen Gesetzes gefällt worden sei.

Entgegen den Ausführungen der ReUurrenten müssen wir an unserm Entscheid vom 1. Juni a. c. festhalten. Was zunächst das mehrfach erwähnte Inserat betrifft, so anerkennt der erste Rekurrent selbst, daß der in demselben gebrauchte Ausdruck ,,litre r.ommercial"' zweideutiger Natur gewesen sei, und unterzieht sich unserm Beschluß. Wir hnben uns also nur noch mit den Depothaltern des Claude. Sibilili, den heutigen Rekurrenten, zu beschäftigen.

Vor allem heben wir hervor, daß während längerer Zeit das Haus Chatelet & Cie. in Genf gewöhnlichen Wein per Liter verkauft hat in Flaschen, welche notorisch selten (von 15 in Genf untersuchten Flaschen waren nur 4 richtig befunden wordenj l Liter enthalten haben. Es wurde dadurch das kaufende Publikum,

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Die betreffenden Kantonsbehörden, auf deren Gebiet unser Inspektor solche Flaschen vorgefunden hntte, wurden ersucht, gegen diesen Mißbrauch einzuschreiten, und es sind denn auch in einzelneu Kantonen Bestrafungen erfolgt. Als trotzdem der Verkauf in gleicher W.eise fortgesetzt wurde, sah sich unser Industrie- und Landwirthschaftsdepartement genöthigt, durch das Kreisschreiben vom 30. Oktober 1890 sämmtliehe Regierungen darauf aufmerksam zu machen und sie einzuladen, für Abhülfe zu sorgen. Das \vaadtlandisehe Departement, dem die Aufsicht über Maß und Gewicht anvertraut ist, erließ die nöthigen Bekanntmachungen und suchte den Mißbrauchen zu steuern. Durch die direkte Zustellung des Krcisschreibens vom 14. November 1890 an die heutigen Rekurrenten suchte es denselben klar zu machen, daß das bisherige Verfahren des Verkaufs von Wein vom 1. Januar 1891 an nicht mehr zulässig sei. Die Depothalfer Sibilin's schienen auch das Unrechtmäßige dieses Verkaufes einzusehen, indem sie sich zuerst weigerten, den Wein in den bisher üblichen Flaschen weiter zu verkaufen.

Sie mußten wohl aus eigener Erfahrung eingesehen haben, daß die Forderungen der Behörden, angesichts des zu kleinen Inhalts der Flaschen, gerechtfertigt seien, und ließen sich erst beschwiclitigen, als der Hauptagent des Hauses Chatelet & Cie. in Genf, Sibilin, alle Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen erklärte. Darin liegt aiier ein erster Fehler der Bestraften; statt den Weisungen der Behörden, die im Interesse der Allgemeinheit, aber nicht in demjenigen des Verkäufers lagen, sieh zu "unterziehen, statt auch auf ihr eigenes Rechtsgefühl zu achten, machten sie sich zu, Mitschuldigen des Agenten.

Und was that der Agent, resp. das verkaufende Haus selbst?

Die bisherigen ungesetzlichen Flaschen wurden beibehalten, wohl auch der Preis; sie änderten, nur ihre Plakate ah, ersetzten das Wort Liter durch Flasche und glaubten dadurch allen Forderungen entgegengekommen zu sein. Das mehrfach erwähnte Inserat, in welchem, gleichsam den Behörden zum Trotz, mitgetheilt wurde, daß der Verkauf von Wein in ungeeichten Flaschen forlgesetzt werde, war eine wirkliche Provokation, gegen welche das Departement einsehreiten mußte. Die Rekurrenten behaupten nun zwar, daß sie von dem Inserat vor
dessen Erseheinen keine Kenntniß gehabt und demselben ihre Zustimmung verweigert hätten, wenn sie dasselbe vorher hätten einsehen können. Tatsächlich hat aber Niemand von ihnen nachher dagegen Einsprache erhoben.

Die Auslegung, welche der Advokat der Rekurrenten dem Gesetz gibt, scheint uns auch nicht zutreffend zu sein, und wir

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gehen dießbeziiglich mit dem waadtländischen Departement einig.

Art. 9 des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht schreibt vor, daß die Regierungen der Kantone m i t m ö g l i c h s t e r S t r e n g e darauf zu achten haben, daß im Verkehr keine andern als mit dem Gesetz und dessen Vollziehungsverordnung übereinstimmende geeichte Maße etc. gebraucht werden. Nun gibt es ja in der That Ausnahmen, wo aus verschiedenen Gründen der Verkauf nicht per Maß oder Gewicht stattfindet, sondern wo auch ungeeichte Flaschen Verwendung finden (besonders bei altem Wein, der in Flaschen lagert). Im vorliegenden Fall aber halten wir die Berufung hierauf nicht für gerechtfertigt. Das waadtländische Departement macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die verwendeten Flaschen den Anschein erwecken, als ob es Flaschen von einer bestimmten und gesetzlichen Maßgröße seien, während dieselben kleiner sind, und es wird durch diesen Urnstand das Publikum zu täuschen gesucht.

Dieß gilt um so mehr,0 als die gleichen Gefäße thatsächlich während längerer Zeit als Literflaschen ausgegeben und vom Publikum auch angenommen worden waren. Und weiter ist in Betracht zu ziehen, daß durch die Bezeichnung ,,litre commercial" in dem Inserat die Größe der Flaschen als l 1. haltend bestimmt war und man daher hier mit Recht verlangen mußte, daß die Flaschen a°uch wirklich den genannten Inhalt besitzen und geeicht sein sollten.

Die Berufung auf das Kreisschreiben des waadtländischen Departements vom 13. August 1887 halten auch wir nicht für statthaft, da dasselbe sich nur mit dem Verkauf von Wein bei festlichen Anlässen und in Gasthöfen beschäftigt. Durch dieses Kreissehreiben sollte dem Mißbrauch gesteuert werden, daß bei derartigen Anlässen offene Weine (die in Fässern lagern) in beliebige und meist kleine Flaschen, welche oft kaum 3 dl. halten, abgezogen und dann doch zum Preise des halben Liters abgegeben werden.

Das Departement wollte verhindern, daß offener Wein durch das unmittelbar vor dem Gebrauch stattfindende Einfüllen in Flaschen zum Flaschenwein (welcher in Flaschen gelagert hatte) gestempelt werde. Wir glauben hier auf diesen Unterschied aufmerksam machen zu sollen. Es wird Niemandem einfallen, bei Wein, welcher in Flaschen abgezogen und aufbewahrt wird, welcher oft jahrelang in denselben lagert, zu verlangen, daß die betreffenden
Flaschen geeicht seien. Derartige Flaschen werden oft nur ein Mal gebraucht, wenigstens nur einmal während einer längern Reihe von Jahren, und die Flasche dient hier in der That nur als Mittel der Aufbewahrung und nicht als Maß. Anders dagegen, wenn der Wein in Fässern gelagert wird, in welchem Fall nur geeichte Flaschen benutzt werden sollen.

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Ganz analog verhält es sich mit dem in Frage kommenden Weinverkauf des Hauses Chatelet & Cie. und seiner Depothalter.

Die Weine, um die es sich hier handelt, sind nicht als Flaschenweine anzusehen, der Wein wird in den Flaschen nicht gelagert, sondern das betreffende Haus hat nur die Methode des Abzieheiis in Flaschen gewählt, um so einen großem Vertrieb zu erzielen.

Fassen wir noch den Käufer des Weines in's Auge, so haben wir es hier mit der sogenannten arbeitenden Klasse zu thun. Wir glauben nun, daß die Bestimmungen des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht hauptsächlich auch zum Schutze dieser Bevölkerungsklasse da sind, und finden, daß das genannte Haus nur zu sehr seineu eigenen Vortheil im Auge gehabt und durch die schon allzu lange \vahrende Benützung zu kleiner FJaschen die kaufeade Bevölkerung bedeutend geschädigt hat.

Wir verweisen ferner auf das Reglement des Staatsralhes des Kantons Waadt vom 26. September 18f6. Nach Art. 21 des Buudesgesetzes über Maß und Gewicht werden spezielle Verordnungen über den Verkauf von Lebensrnitteln etc. von den Kantonsregierungeu erlassen. Gestützt auf diesen Artikel ist in Art. 2 des waadtländiscben Réglementes die Bestimmung aufgestellt, die einzigen für den Kleinverkauf von Getränken gestatteten Flaschen seien diejenigen von l I., 5, 2, l und 1h dl. Das kantonale Departement kann daher verlangen, daß im Detailverkehr von Getränken nur diese Maßgrößen und nicht beliebige andere verwendet werden. Die Rekurrenten haben sich auch gegen diese Bestimmung, zu deren Aufstellung die waadtländisohen Behörden gesetzlich befugt waren, verfehlt und mußten bestraft werden.

Was endlich die Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz betrifft, so ist dieser Vorwurf nicht gerechtfertigt. Die gesetzlichen Bestimmungen über Maß und Gewicht sind für alle Bürger dieselben, und wenn nur in einzelnen Fällen von Gesetzesübertretung Strafen ausgesprochen werden, so können die Betroffenen sich nicht über letztere beklagen, wenn sie schuldig befunden worden sind. Zu beklagen ist nur, daß nicht alle Fehlbaren bestraft werden.

Durch das Vorstehende glauben wir unsere Ansichten zu dem vorliegenden Rekurs hinlänglich dargelegt zu haben, und wir beehren uns, den Antrag zu stellen, es seien die Herren Grandjean & Cie. in Lausanne und Konsorten mit ihrem Rekursbegehren abzuweisen.

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Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 12. Dezember 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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16.12.1891

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