461 3) daß es ganz angemessen ist, wenn der Bund eine eingreifende und leitende Jnitiative nimmt, ohne aber damit den Eharakter des Unternehmens und die Stellung der Kantone zu demselben und zu dem Bunde zu verrüken ; 4) daß es aber nothwenig erscheint, insbesondere die Frage über den ..Korrektionsplan gleichzeitig mit den übrigen Fragen zu erledigen ; 5) daß indessen, wie der Bundesrath selbst erklärt, hinsichtlich dex verschiedenen Korrektionspläne jezt ein definitiver Entscheid noch nicht gefaßt werden kann . und eine Vervollständigung der Untersuchung stattzufinden hat, damit bei vorzunehmendem leztem Entscheide die technische und finanzielle Seite jedes der drei Projekte so klar und vollständig als möglich vorliege,

b e schl i e ß t .

1) Der Bundesrath ist eingeladen, ohne Verzug diejenigen VervollBändigungen der technischen und finanziellen Untersuchungen und Vorarbeiten anzuordnen, welche zur endlichen Feststellung des Korrektionsplanes nöthig sind.

2) Es wird ihm hiefür ein Kredit von Fr. 50,000 bewilligt.

3) Der Bundesrath wird bis zur nächsten Dezembersizung Bericht erstatten.

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der

nationalräthlichen Kommission in. Sachen des Standes Thurgau gegen den Stand St. (fallen, betreffend die strafrechtliche Verfolgung des Fürsprech Franz (Grübler zu Wyl im Kanton St. fallen.

(Vom 17. Juli 1857.)

Tit. !

Der faktifche Sachverhalt in dieser Sache ist kurz folgender:

Unterm 27. März 1849 kontrahirten Alons. J f e n r i n g und Alons Lüt e n e g g e r aus dem Kanton Thurgau, welche mit einander in einem gemeinsamen Geschäfte stunden, bei Fürsprech G r ü b l e r zu Wyl , im Kanton St. Gallen, ein Anleihen von 100 Gulden. Jfenring quittirte .den Grübler, übergab aber sofort zu einem speziellen Gebrauch das erCaltene Geld dem Lütenegger, welcher ihm unter gleichem Datum eine..

462 Empfangsbescheinigung ausstellte.

Auf Lichtmeß 1850 hätte diese Schuld wieder an Grübler zurückzahlt werden sollen. Da Lütenegger, der die.

Rückzahlung machen sollte, dieses nicht konnte, so begaben sich beide wieder zu Grübler, wo unterm 4. Hornung 1850 ein neuer Schuldschein für 100 Fl. zu Stande kam, der von Lütenegger unterzeichnet wurde. Nach der Behauptung des Leitern ist durch diesen neuen Schein der ältere mittelst Novation getilgt worden, während Grübler behauptet, er habe auch auf diesen leztern Schuldschein eiu Baaranleihen von 100 Fl. gemacht.

Am 12. Hornung 1853 wurde die letztere Schuldschrist au Grübler bezahlt. Da aber die altern Schuldscheine vom 27. März 1.849 unver.richtet, der einte in den Händen Grüblers, der andere in Händen Jsen-^ rings zurückgeblieben waren, so entstund über deren rechtliche Gültigkeit ein Prozeß. Zuerst wurde Jsenring für die am 27. März 1849 bei Grübler in Empfang genommenen 100 Fl. belangt, und dieser suchte dan^ hinwieder den Lüteneggex an, welcher aneh wirklich gerichtlich verfällt wurde, diese Summe abzutragen. Lütenegger stellte nun eine Strasklag.^ gegen Grübler und Jsenring auf Betrug, verübt im Komplott, wozu er sich um so mehr veranlaßt fand , da Grübler im Prozesse als Zeuge aufgetreten und nach seiner Meinung sich verdächtig benommen hat.

Gegen Grübler wurde ferner eingeklagt, daß er bei dem obgedachten Geldanleihen, so wie bei andern Anleihen an thurgauische Bürger Wucher^ zins bezogen habe.

Die Voruntersuchung wurde gegen den Angeschuldigten eingeleitet, wobei sich Grübler auf erhaltene Eitation mehrmals vor thurgauischen^ .Verhöramte stellte.

Unterm 14. Hornung 1855 erließ die Anklagekammer des Kanton.^ Thurgau den Beschluß : es seien Franz Grübler und Alo.)s Jfenring wegen.

Betrug, und ersterer noch überdieß wegen Wucher, in den Anklagebank versetzt, und dem Gefchwoxnengerichte überwiesen.

Das Bezirksamt W^l wurde von dem Verhöramt Thurgau requixirt^ dem Grübler den Ueberweifnngsbeschluß sammt der daraufhin formulirteu Anklageakte mitzutheilen und ihm zn eröffnen, es werde seine Auslieferung verlangt werden , sofern er nicht für freiwillige Stellung vor Schwurgericht .Kaution leiste.

^ Grübler protestate gegen die Kompetenz der thurganifchen Gerichte.

Als das thurgauische Verhöramt von dieser Protestation seiner Re^ gierung Kenntniß gab, abstrahirte diese von .einem Auslieserungsbegehren,.

und befchloß, daß dem eingeleiteten Verfahren lediglich Fortgang zu lassen sei..

Grübler langte hierauf mit einem Schutzgesuche bei der Regierung von St. Gallen ein, und diese stellte an diejenige von Thurgau die For^

deruug, daß in Kraft des Bundesgefetzes am 24. Juli 1852 über Aus-

Lieferung von Verbrechern und Angeschuldigten , wenn Grübler strafrechtlich ^erfolgt werden wolle, die Auslieferung Grüblers verlangt werden müsse^.

4 6 .

.

.

.

.

.wo dann der Regierung von St.

Galleu die Wahl zustehe , die Ausliefe-

...ung zu bewilligen, oder den Angeklagten den St. Gallischen Gerichten zu überweisen.

Die Regierung des Kantons Thurgau wollte aus diese Forderung nicht eingehen.

Die zwischen den beiden Regierungen gepflogene Korrespondenz führte ^u feiner Ausgleichung der Ansichten.

Mit Zuschrift vom 14. Juli 1855 gelangte die Regierung des Kantons St. Gallen an den Bundesrath, und machte bei demselben die. obgedachte Forderung geltend.

..^ Am 3l. Oktober 1855 erkannte der Bundesrath , und zwar gestuft auf das bestehende Bundesgefetz über Auslieferung von Verbrechern und

Angeschuldigten :

1) Die Regierung des Kantons Thurgau habe, bevor der gerichtlichen Verhandlung gegen Grübler durch die dortseitigeu Behörden weiterer

Fortgang gegeben werde, die Auslieferung des Angeschuldigten bei

der Regierung von St. Gallen nachzusuchen.

2) Sofern die Regierung von St. Gallen die Vexvflichtuug übernimmt,

den Straffall gegen Grübler selbst in gesetzliche Behandlung zu

ziehen, so stehe ihr zu, die Auslieferung zu verweigern, wornach dann jede weitere Verhandlung durch die thurgauischen Behörden zu unterbleiben hätte.

Gegen diese Entscheidung hat nun die Regierung des Kantons Thurgau den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen.

Wir würden allzu weitläufig werden , wenn wir alle die Behauptungen und Gründe, welche von Seite St. Ballens, Thurgaus und des Bundesxathes im Verlaufe dieser Angelegenheit geltend gemacht wurden, anführen wollten, und müssen es daher unterlassen und uns darauf beschränken, den.

Sachverhalt, so wie wir ihn hier angeführt haben, zu beurtheileu.

Es handelt sich um die strafrechtliche Verfolgung von zwei verschiedenen Vergehen, nämlich des B e t r u g s und des W u c h e r s . Es find bei der bisherigen Behandlung des Geschäfts beide Vergehen auseinander gehalten worden, und es ist daher sachgemäß, daß wir deu gleichen Gang befolgen.

A.

B e t r e f f e n d das V e r g e h e n des Betruges.

Hinsichtlich dieses Vergehens wird angenommen, es sei, wenn es wirklich existirt, auf dem Gebiete des Kantons Thurgau begangen worden.

Nach den Akten ist es Thatsache, daß Franz Grübler beschuldigt wird^.

als Zeuge vor den Gerichten des Kantons Thurgau erschienen zu sein.

uud dort eiue betrügerische Aussage gethau zu haben. Auch der Bundesrath

464 uimmt dieses an; denn nach der Motivirung seiner Entscheidung läge da^ ^oruni delicti conIInissi im Thurgau, das l^oru.n domicili hingegen im Kanton St. Gallen. Der Bundesrath gibt dann aber dem letztern l^oruIn den Vorzug, und dieses ist es, was die Regierung des Kantons Thurgau uicht will gelten lassen.

Es handelt sich um die Frage: Jn wie weit ist ein Kanton zur Strafverfolgung gegen ein Jndivi^ duum, welches in seinem Gebiete eine strafbare Handlung verübt, in einem andern Kanton aber verbürgert oder niedergelassen ist, berechtiget^ Der Bundesrath scheint in der Motivirung seiner Entscheidung znzu...

geben, daß in Kraft des allgemeinen gültigen ^oruIn delicti commisi i.^ der Regel der Kanton, in welchem die strafbare Handlung verübt wurde, zur Strafverfolgung berechtigt fei, daß er also zu untersuchen, zu urtheilen und zu strafen habe.

Der Bundesrath stellt dann aber die Ansicht auf: Falls der Thätex fich nicht in der Gewalt des Kantons, wo das Vergehen verübt wurde, befinde, sondern in seinem Heimaths- oder Niederlassungskanton sieh auf^ halte, und es sich um ein Vergehen handle, wegen dessen eine Ausliefe^ rung anbegehrt werden könne, so höre das I.'oruni delicti compissi auf, wirksam zu sein, und es trete das ^.oruni domicilii an dessen Stelle, fall^ der Heimaths^. oder Niederlassnngskanton dasfelbe beanspruche. Der Kanton, in welchem das Vergehen verübt wurde, dürfe in diesem Falte gar nicht rnehr handeln, namentlich dürfe er kein Kontnmazialversahren anordnen.

Diese Ansicht wird ans dem Bundesgesetze über Auslieferung der

Verbrecher und Angeschuldigten vom 24. Juli 1852 abgeleitet. Es soll in diesem Gesetze nicht bloß ein Recht, sondern eine Verbindlichkeit liegen, die Anslieferung eines Verbrechers zu fordern, bevor gegen denselben etwas vorgekehrt werben dürfe.

^ie von dem Nationalrath niedergesetzte Kommission vermag es nicht, dieser Ansicht zu folgen.

Das Ausiieferungsgefetz sagt einfach : ,,Jeder Kanton ist dem andern gegenüber verpflichtet, die Verhaftung ,,und Auslieferung derjenigen Personen zu gewähren, welche wegen eines ,,der im Art. 2 bezeichneten Verbrechen (Vergehen) verurtheilt worden sind, ,,oder wegen eines solchen Verbrechens gerichtlich verfolgt werden. Die ,,Auslieferung von Personen, die in einem Kanton verbürgert oder nieder^ ,,gelassen find, kann jedoch verweigert werden, wenn der Kanton sich ver^ ,,pflichtet , dieselben nach seinen Gesetzen beurtheilen und bestrafen, oder ...eine bereits über sie verhängte Strafe vollziehen zu lassen.^ Jn dieser Gesetzesvorschrift können wir keine Pflicht , die Auslieferung^ begehren zu müssen, erblicken.

Wir fassen die Sache so ans: Wegen eines jeden Verbrechens und Vergehens k a n n d.e Auslieferung begehrt und gewährt werden, aber die Kantone find nicht hinsichtlich aller

46.^ ^ergehen, sondern nur hinsichtlich der im Art. 2 bezeichneten, verpflichtet^ die Verhaftung zu gewähren. Derjenige Kanton aber, in welchem dex Auszuliefernde verbürgert oder niedergelassen ist, kann fich der Pflicht der^ Auslieferung entziehen, wenn er eine andere Pflicht übernimmt, nämlich

die Pflicht, selbst zu strafen.

Gegenüber einem solchen Kanton kann derjenige Kanton, wo das.

Vergehen verübt wurde, begehren, daß der erstexe Kanton den Thätex ausliefere oder bestrafe. Die Wahl steht bei dem xe^.uirirteu Kanton; zwei Pflichten sind ihm alternativ vorgeschrieben , aber er kommt erst in den Fall zu wählen, wenn der Berechtigte die Erfüllung der einen oder andern Pflicht fordert.

.^ Ein Berechtigter ist niemals verpflichtet , sein Recht geltend zu machen, .

sondern er kann auf dasselbe verzichten.

Man kann einwenden , es könne Thurgau auf die Auslieferung perzichten , aber dann müsse es auch auf die Verfolgung des Franz Grübler.

verzichten.

Das aber gerade steht nirgends in dem Gesetze.

Gegen einen Thäter, welchen der Richter des l^oruIn delicti coInIni......^ nicht in seiner Gewalt hat, giebt es verschiedene Vorkehren .

1. Er kann von Seite des Kantons, wo der Thäter sich aufhält, die Festnehmung und Auslieferung desselben begehren.

2. Er kann die Betretung des Thäters abwarten.

3. Er kann das Kontumazialverfahren einleiten.

Nach unserer Ansicht hat der Richter des I.^oruIn delicti commit.

die Wahl unter diesen Vorkehren.

Gemäß dem bundesräthlichen Entscheide hätte er keine Wahl , fondern er müßte unbedingt den erften Weg einfehlagen, wenigstens gegenüber.

dem Kanton , in welchem der Thäter verbürgert oder niedergelassen ist.

Wir wollen von dem Kontuma^ialversahren einstweilen abstrahiren , .^nd fragen : Warum soll der betreffende Kanton nicht den zweiten We^ .einschlagen, näm.ich die Betretnng des Angeschuldigten abwarten dürfen..

Wenn zugegeben wird .-- und es wird und muß dieses zugegeben, werden - der Kanton , in welchem ein Vergehen verübt wird, dürfe den Thäter ohne Rücksicht , wo er heimathrechtig oder niedergelassen ist, sosort festnehmen und ihn beurtheilen, so ist nicht abzusehen, warum er nicht.

auch später sollte festgenommen werden dürfen. Gefetzt, es begeht ein St. Galler im Kanton Thurgau auf der Durchreise einen Diebstahl, s.^ wird d^h niemand behaupten wollen , man dürfe ihn nicht verhaften und ihm den Prozeß machen. Gesetzt nun aber, der Diebstahl des durchreifenden St.. Gallers wird erst nach seiner Entfernung entdeckt ; er kommt aber nach Ta^en, Wochen ^der Monaten wieder in den Kanton Thurgau, warum soll mau ihn nicht verhaften und ihm den Prozeß machen dürfen .^ Was für ein restlicher Unterschied besteht, ob ein Thäter am ersten Tage .der That oder s^ät^.r verhaftet wird .^

^66 Entweder muß man den Grundsatz aufstellen , wenn ein verärgerter oder niedergelassener Einwohner eines Kantons in einem andern Kantone ein Verbrechen oder Vergehen verübt, so tritt nicht das l^orunI delicti ^on.Inissi, sondern das .^orum domicilii ein; oder man muß das l.'oruIn ^e1icti unbeschränkt gelten lassen, gemäß welch' letzterm der Thäter, sei es früher, sei es später, festgenommen werden darf.

Davon aber das ^oruni domicilii allgemein eintreten zu lassen, kanu wohl keine Rede sein ; es würde dieses allen bisherigen Rechtsbegrissen widerstreiten.

Die Bundesverfassung selbst beschränkt in ihrem Art. 50 das l^oruIn domicilii auf persönliche Schuldansprachen.

Die bundesräthliche Entscheidung geht also jedenfalls zu weit, wenu^ fie grundsätzlich festfetzt, es dürfe ein in .inem Kanton Verbürgertex odex Niedergelassener, welcher in eineut andern Kanton ein Vergehen verübt hat, im Betxetnngsfalle nicht angehalten, sondern es müsse die Aus^ Lieferung desselben anbegehrt werden.

Was dann das Kontumazialverfahren betrifft, so kann die Kommission auch hier nicht finden, daß dasselbe, gestützt auf das Bundesgesetz über die Auslieferung, als unstatthaft erklärt werden könne. Das Auslieferungsgesetz ist, wie es bezeichnend den Namen trägt, ein Gesetz über A u s ^ l i e f e r u n g , und kömmt nur zur Anwendung, wenn eine Auslieferung begehrt wird. Bestühnde dieses Gesetz nicht, so könnt.. eine Auslieferung dennoch statt finden ; aber es stünde im Belieben des requirirten Kantons, ob er dieselbe gewähren wolle oder nicht, während nun das Gesetz bei gewissen Vergehen ihm die Auslieferung oder die Bestrafung zur Pflicht macht.

St. Gallen sagt , der Pflicht müsse ein entsprechendes Recht gegen^ überstehen, und dieses Reeht bestehe darin , daß es sordern kö..ne ; der Richter des l^oruIn delicti coInnnssi müsse bei ihm ein ...^sliefexnngs..

begehren stellen. Allein dem ist nicht also. St. Gallen hat z. B. auch

die Pflicht , jedem Schweizerbürger die Niederlassung zu gewähren , aber dieser Pflicht ^eht ni^.t als entsprechendes Recht gegenüber, daß der Schweizerbürger die Niederlassung begehreu muß.

Das der Auslieferungspflicht gegenüberstehende Recht beruht vielmehr darin , daß der betreffende Kanton seinerseits in vorkommenden Fällen ebenfalls die Auslieferung begehren kann.

Es wird hervorgehoben, daß Uebelstände eintreten könnten, weuu ^man das Kontumazialversahren zulasse. Ein Kautou könnt.' die Bürger des andern Kantons ungerechter Weise verfolgen ; das durch die BundesVerfassung garantirte Recht der Niederlassung könnte verkümmert werden u. s. w.

Solche Besorgnisse gehen von der Voraussetzung aus, es werden di^ Kantone ihre Justizgewalt mißbrauchen. Von einer solchen Voraussetzung dars man aber nicht ausgehen. Könnten .die Kautone .n.cht in gleich^ Weise die niedergelassenen Bürger eines andern Kauto^s ungerecht b^

467 urthellen und ihnen das ..^edexlassungsree^t verkümmern .^ Soll ^ihnen darum die Judikatur über die Niedergelassenen entzogen werden.

Dieses ist gewiß nicht der Fall, sondern wenn der .Bürger eines Kantons in einem andern Kanton ungerecht behandelt werden sollte , so kä^n von der Regierung des betreffenden Kautons bei der Bundesbeh^örde Beschwerde geführt werden.

Es wird zugegeben , daß statt des ^ornni delicti coniInissi das ^oraIn domicilii uux bei den Vergehen eintreten solle, welche im Art. 2

des Auslieferungsgesetzes aufgezählt find ; die politischen Vergehen und

^Preßvexgehen , so wie andere, befinden fich nicht darunter. Also hinficht...

lich dieser Vergehen will man die Strafverfolgung dem Richter des I^oruIn Delicti comnnssi einräumen .^ Welche Jnkonsequenz bietet sich .nicht in dieser Anschauungsweise dar.'

Wenn bei Erlaß des Bundesgefetzes über die Auslieferung die Abficht gewesen wäre , zu Gunsten der iu einem Kanton vexbürgerten oder niedergelassenen Einwohner ein .^ornIn domicilii für anderwärts verübte Vergehen zu gründen, fo würde man das Gesetz auf alle möglichen Vergehen ausgedehnt, und dasselbe nicht ängstlich auf gewisse Arten von Ver.gehen beschränkt .hab^n, ^damit mau den eigenen oder niedergelassenen Bürger in allen Fälle.. und nicht bloß in einzelnen hätte beschirmen tonnen.

Man legt ein großes Gewicht darauf, daß , wenn ein Kanton die Auslieferung verweigere, er dann selbst zu strafen im Falle sei. Allein das ^ist gar nichts Außerordentliches, sondern etwas ganz .Gewöhnliches, wozu es nicht einmal eines Gesetzes bedarf. Wenn z. B. ein Oestreicher in der Schweiz einen Mord ^begienge und dann sich flüchtete, so würde Oestreich denselben nicht .ausliefern ; aber würde es ihn deßwegen ungestraft lassen ^ Gewiß .nicht.

Es wird dann ferner .hervorgehoben, wie man einem Kanton zumutheu wolle, ein anderwärts über einen Angehörigen oder Niedergelassenen ergangenes Kontumazurtheil zu vollziehen. Wir bemerken hierüber, was die Vollziehung solcher Urtheile ^betrifft, so können immer r.och iu gegebenen Fällen Erörterungen darüber statt finden. Es wird von den Stxafuxtheileu gelten, was vou den Eivilurtheilen, hinsichtlich welcher. ...ex

Art. 49 der Bundesverfassung lautet : ,, Die rechtskräftigen Eiviluxtheile,

,,welche ln einem Kanton gefällt find, sollen in der ganzen Schweiz ^ooll,, zogen werden können... Ein Urtheil, um aus Vollziehung Anspruch macheu zu können, muß also immerhin r e c h t s k r ä f t i g sein. Was die Rechtskraftigkeit betrifft, so bildet die Kompetenz einen wesentlichen Moment. .Sollte der Bürger oder Niedergelassene eines Kantons in ganz inkompetenter Weife von den ^Gerichten eines andern Kantons verurtheilt werden , so läßt steh der Kompetenzpunkt erörtern , und wenn die betrefsenden Kantone fich .aicht vexständi.geu , so wird die Bundesbe.horde eutscheiden.

Wir möchten sodann fragen, ob nicht auch Uebelstände eintrete...

Bundesblatt. Jahrg. IX. Bd. II...

55

46^ können, wenn man der Anficht St. Gallens huldigt. Die .Begrisssbestimmungen auch der gemeinsten Verbrechen sind verschieden ; namentlich der Betrug hat weitere und engere Gränzen der Strasbaxkeit. Wenn nun im Kanton St. Gallen diese Gränzen allfällig enger, im Kanton Thurgau weiter find, so würde der St. Galler ein Privileginm genießen, Handlungen im Kanton Thurgau ungestraft vorzunehmen , hinsichtlich welch' gleicher Handlungen der Thuxgauer bestraft wird.

Was von Seite St. Gallens über die Anwendung des Kontumazialvexfahrens im Allgemeinen und nach den Bestimmungen des thurgauisehen Gesetzes insbesondere gesagt wird, ist von keinem Gewicht. Denn was das thurgauische Gesetz betrifft , so ist die Anwendung desselben Sache der thurgauifchen Behörden, uud nur wenn die Anwendung mit der Bundes verfassung oder einem Bundesgesetze im Widerspruch stünde, könnte dieselbe angefochten werden. St. Gallen behauptet nun freilich, dieses fei der Fall. Allein wir theilen diese Anficht nicht.

Was dann die Anwendung des Kontumazialverfahrens im Allgemeinen betrifft, ob vorerst alle Mittel, um sich der Person eines Verbrechers habhast zu macheu, angewendet werden müssen oder nicht, so läßt sich eine Gesetzgebung gar wohl denken, welche keinen Zwang zur Erscheinung vor Gericht annimmt, sondern bestimmt, daß wenn Einer ans eine Vorladung nicht erscheint, er als ungehorsam i. e. in contuInaciaIn ver urtheilt werde, und der Zwang erst bei der Verurtheilung eintrete.

Wir kommen also hinsichtlich des ersten Vergehens, welches dem

Franz Grübler zur Last gelegt wird, nämlich hinsichtlich des Betruges, zu dem Schlusse, daß die Regierung von Thurgau nicht gehalten sei, die Auslieferung zu begehren , und daß die Gerichte des Kantons Thurgau kompetent seien , die Betrugshandlung zu untersuchen und zu beurtheilen , vorausgesetzt, daß die Betrugshandlung im Kanton Thurgau statt hatte.

B. B e t r e f f e n d das V e r g e h e n des Wuchers.

Nach dem bisher Gesagten geht die Kommission, so weit es die Zuständigkeit des I^oruIn delicti co.nInissi betrifft, mit der Ansicht der Regierung des Kantons Thurgau einig. Sie geht dann aber nicht mehr mit ihr einig , wo sie selbst diesem Grundfatze untreu wird und behauptet, die thurgauifchen Gerichte seien kompetent, Schweizerbürger, welche im Gebiete des Kantons Thurgau kein Verbrechen oder Vergehen begangen haben, zu beurtheilen und zu bestrafen. Wir find nicht einverstanden damit, daß z. B. wenn ein Thurgauer Bürger im Kanton St. Gallen von einem St. Galler mißhandelt wird, die Gerichte des Kantons Thurgau den St. Galler strafen dürfen. Würde ein solches Strafurtheil er^ folgen , dann wäre unseres Erachtens der oben berührte Fall vorhanden ; das Urtheil wäre nämlich wegen mangelnder Kompetenz nicht rechtskräftig und könnte von Seite St. Gallens mit Erfolg angefochten werden.

Mag Thurgau gegenüber dem Ausland seinen Grundsatz , es sei der t^urgauische Strafrichter kompetent, sobald ein thura^auische... .Bürger ver-

.

.

^

letzt worden, geltend machen und sehen, wie es damit auskommt; aber im schweizerischen Bundesfiaate , gegenüber den Kantonen , können wir ihm denselben nicht einräumen. Wir glauben, es würde dadurch der betreffende Artikel der Bundesverfassung , gemäß welchem Niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden soll, wirklich verletzt.

Ob der Wucher, welcher dem Franz Grübler zur Last gelegt wird, auf St. gallischem oder thurgauischem Gebiete statt gefunden habe, darüber find die Partheien nicht ganz einig.

Wir lassen es dahin gestellt und sind der Ansicht, wenn die betreffende Handlung aus thurgauischem Gebiete statt gefunden hat, so find .^ke thurgauischen Gerichte kompetent, wenn nicht - nicht.

Es ist sodann , was den Wucher betrifft , zu bemerken , daß dieses Vergehens in dem Auslieferungsgesetze keine Erwähnung geschieht, und also die Argumente alle , welche bezüglich des Vergehens des Betrugs von Seite st. Gallens geltend gemacht werden, in Beziehung auf den Wucher keine Anwendung finden, vorausgesetzt, daß ein Wucher im Kanton Thurgau verübt wurde.

Der Bundesrath in seinem letzten Berichte spricht sich aus, die Vergehen des Betrugs und des Wuchers, welche dem Franz Grübler zur Last gelegt werden, hängen zusammen, und deßwegen könne mau keine Unterscheidung eintreten lassen. Wie aber, wenn die Regierung des Kantons Thurgau die Klage auf Betrug gänzlich fallen ließe und lediglich den Wucher verfolgen wollte ..

Wir haben noch im Allgemeinen zu bemerken , daß der Bundesrath in seinem Entscheide sich auch auf Art. 8 und 9 des Auslieferungsgesetzes beruft. Allein diese Artikel schreiben nur den Inodus vor, welcher befolgt werden muß, wenn eine Auslieferung begehrt wird; aber fie schreiben nicht vor , daß in irgend einem Falle die Auslieferung begehrt werden müsse.

Der Bundesrath spricht sodann in seinem letzten^Berichte aus ,^ daß das Bundesgefetz es nur mit flüchtigen Verbrechern zu thun habe.

Jn seiner Entscheidung in dem Konflikte zwischen Thurgau und St. Gallen spricht er dieses nicht aus , sondern sie ist so gehalten , daß daraus die Kompetenz des Heimaths- oder Niederlassungskantons unbedingt abgeleitet werden kann. Auch in dieser Beziehung geht die bundesräthliche Ent-

seheidung jedenfalls zu weit.

Jn Umfassung Anträge.

alles

Gesagten stellt die Kommission

nachstehende

Bern, den 17. Juli 1857.

Namens der Kommission :.

^astmir ^s^er, I). .I. I^ Berichterstatter.

470 ^ntra.^ der ..^..^...ritat der ..^ommis^on.

der

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g schweizerischen Eidgenossenschaft,

auf den Rekurs der Regierung des Kantons Thurgau gegen eine bundes...

räthliche Entscheidung vom 3l. Oktober 1855, geu.äß welcher in einem Konflikte gedachter Regierung mit derjenigen des Kantons St. Gallen in Anwendung des Bundesgesetzes, betreffend Auslieferung von Verbrechern oder Angeschuldigten, vom 24. Juli .1852, ausgesprochen wurde: .^.

1) Die Regierung des Kantons Thurgau habe, bevor der gegen einen gewissen Fürsprech Franz G r ü b l e r in W.,.l eingeleiteten gerichtlichen Verhandlung durch die dortfeitigen (thurgau.schen) Behörden weiterer Fortgang gegeben werde , die Auslieferung. des Angeschul^ digten bei der Regierung von St. Gallen nachzusuchen.

2) Sofern die Regierung von St. Gallen die Verpflichtung übernimmt,

den Stressali gegen Grübler selbst in gesetzliche Behandlung zu ziehen,

so stehe ihr zu , die Auslieferung zu verweigern , wonach dann jede weitere. Behandlung durch die thurgauischeu .Belade.... zu unter^ bleiben hätte; und

nach Kenntnisnahme von der Antwort der Regierung des Kautons. St. Gallen auf obige Rekurseingabe ,

Jn Erwägung:

h-t,

1) daß das Bundesgesetz über Auslieferung von Verbrechern oder An..

geschnldigten, vom 24. Juli l 852, keine Verpflichtung in sich schließt,

gemäß welcher ein Kanton gegenüber dem andern gehalten ist, eine Auslieferung zu verlangen ; 1) daß jeder Kanton berechtigt ist, die auf seinem Gebiete verübten Verbrechen und Vergehen zu untersuchen und zu beurtheil^u , beschlossen: 1) Die Regierung des Kantons Thurgau sei nicht gehalten, di.e Aus..

lieferung des Franz Grübler , Fürsprech , iu W.^l , bei^ der Regierung des Kantons St. Gallen nachzusuchen ; 2) seien die Gerichte des Kantons Thurgau kompetent, Vergehen, welche allfällig Franz Grübler auf dem Gebiete des Kantors .Thurgau verübte, zu untersuchen und zu benrthei.en.

471 Antrag der .^inoritat der ^mm.^lon.

Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , auf den Rekurs der Regierung des Kantons Thurgau gegeu eine bundesräthl.che Entscheidung vom 31. Oktober 1855, gemäß welcher iu einem Konflikte gedachter Regierung mit derjenigen des Kantons St. Gallen in Anwendung des Bundesgesetzes, betreffend Auslieferung von Verbrechern ^der Angeschuldigten, vom 24. Juli 1852, ausgesprochen wurde: t) Die^ Regierung des Kantons T h u r g a u habe, bevor der gegen einen gewissen Fürsprech Franz G r ü b l e r in Wvl eingeleiteten

. gerichtlichen Verhandlung durch die dortseitigen (thurgauischen) Be..

hörden weiterer Fortgang gegeben werde, die Auslieferung des An..

geschädigten bei der Regierung von St. Gallen nachzusuchen.

2) Sofern die Regierung von St. Gallen die Verpflichtung übernimmt,

den Straffall gegen Grübler selbst in gesetzliche Behandlung zu

ziehen, so stehe ihr zu, die Auslieferung zu verweigern, wonach dann jede weitere Behandlung durch die thurgauischen Behörden zu unterbleiben hätte ; und nach Kenntnißnahme von der Antwort der Regierung des Kautons St. Gallen auf obige Rek.urseingabe , hat beschlossen^ 1) Die Regierung des Kantons Thurgau habe, bevor der gerichtlichen Verhandlung gegen Grübler hinsichtlich der Betrugsklage Folge ge..

geben werden darf, mit Bezug auf dieses Vergehen, die Ausliese-

rung des Angeschuldigten bei der Regierung von St. Galleu nach-

zusucheu.

2) Sosern die Regierung von St. Gallen die Verpflichtung übernimmt, die Betrugsklage gegen Grübler nach den Gesetzen des Kautons St. Gallen durch die St. Gallischen Gerichte beurtheilen zu lassen, so stehe ihr zu, die Auslieferung zu verweigern, wonach dann jede weitere Verhandlung durch die thuxgauischen Behörden zu unter-

bleiben hätte.

3) Sei eine gerichtliche Verfolgung des in W.^.l seßhaften und daselbst

verbürgerteu Franz Grübler wegen angeblicher Wucherhandlungen, welche derselbe im Kanton St. Gallen begangen haben soll, durch die thuxgaulscheu Gerichte unstatthaft ^).

*) Borstehender Antrag wutde von beiden Räthen zum Beschluß erhoben (siehe eidg Gesezsammlung, Band v, Seite ..^1).

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Bericht der nationalräthlichen Kommission in Sachen des Standes Thurgau gegen den Stand St. Gallen, betreffend die strafrechtliche Verfolgung des Fürsprech Franz Grübler zu Wyl im Kanton St. Gallen. (Vom 17. Juli 1857.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1857

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

61

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.11.1857

Date Data Seite

461-471

Page Pagina Ref. No

10 002 358

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