17.053 Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung der Übereinkommen Nr. 94 und Nr. 100 des Europarates über die grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit vom 30. August 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Übereinkommen Nr. 94 und Nr. 100 des Europarates über die grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2014

P

14.3106

Europäische Unternehmen, die Personal in die Schweiz entsenden. Eröffnung von Entscheiden (S 16.6.14, Recordon)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. August 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2016-1926

5947

Übersicht Die Europäischen Übereinkommen Nr. 94 und Nr. 100 regeln Fragen der grenzüberschreitenden Verwaltungszusammenarbeit; sie sehen Regelungen für die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen vor und ermöglichen für Verwaltungsverfahren die Beweiserhebung im Ausland. Die Schweiz hat beide Übereinkommen unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert, weil ihnen nur wenige Staaten beigetreten sind. Im Zusammenhang mit Vollzugsproblemen beim Entsendegesetz hat sich nun gezeigt, dass die beiden Übereinkommen im Verkehr mit den Verwaltungsbehörden der Nachbarstaaten Erleichterungen versprechen und die Rechtssicherheit erhöhen würden.

Die beiden Übereinkommen sehen für die Vertragsparteien verschiedene Optionen und Auswahlmöglichkeiten vor, von denen die Schweiz mit entsprechenden Erklärungen Gebrauch machen soll.

Für die Zukunft soll schliesslich die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, damit der Bundesrat selbstständig Staatsverträge über die Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen abschliessen kann.

5948

BBl 2017

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Aufgrund einer sachbereichsübergreifenden Untersuchung des Bundesamtes für Justiz vom 14. März 2011 über Probleme und mögliche Lösungen auf dem Gebiet der Amtshilfe, der Rechtshilfe und des Souveränitätsschutzes beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) am 11. Mai 2011 u. a. damit, die Ratifizierung der beiden Europäischen Übereinkommen Nr. 94 und Nr. 100 aus den Jahren 1977 und 1978 über die grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit durch die Schweiz vorzubereiten. Die Ratifikation war Teil eines Vorhabens zum Erlass eines Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden und über den Schutz der schweizerischen Souveränität (VE-ZSSG).

Zu diesem Vorhaben wurde 2013 eine Vernehmlassung durchgeführt (vgl. Ziff. 1.4).

An seiner Aussprache vom 11. Februar 2015 nahm der Bundesrat Kenntnis vom Entscheid des EJPD, das Vorhaben nicht weiterzuverfolgen. Dies wurde damit begründet, dass «die Probleme bei der Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden heute ohne Gesetzesprojekt gelöst werden können». Zudem solle, so der damalige Entscheid des EJPD, mit der (separaten) Ratifikation der beiden Europaratsübereinkommen zugewartet werden, bis die damals laufende Evaluation der Übereinkommen durch den Ausschuss für rechtliche Zusammenarbeit des Europarates (CDCJ) abgeschlossen ist. Das CDCJ hat allerdings im Oktober 2015 wegen hoher Arbeitsbelastung auf die Fortführung der Evaluation verzichtet.

Seither haben sich insbesondere bei der Anwendung und Durchsetzung des Entsendegesetzes (EntsG)1 Probleme manifestiert, für die die Ratifikation der beiden Übereinkommen mindestens punktuelle Abhilfe verspricht. Die Zustellung eines amtlichen Dokuments an einen Empfänger im Ausland ist nach schweizerischer Rechtsauffassung eine hoheitliche Handlung, die aufgrund der Gebietshoheit der Staaten grundsätzlich nicht auf dem Gebiet eines fremden Staats vorgenommen werden darf.

Ein solcher Hoheitsakt ist entweder vom Staat am Ort des Empfangs vorzunehmen (mittels Rechts- oder Amtshilfe) oder durch diesen zu billigen. Im Vollzug von Bundesgesetzen kann die Zustellung von amtlichen Dokumenten an Empfänger im Ausland zum Alltagsgeschäft gehören. So bewirkt der Vollzug des Entsendegesetzes durch die kantonalen Arbeitsmarktbehörden eine hohe Anzahl von amtlichen Dokumenten
an Dienstleistungserbringer im Ausland, die gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen mit der EU (FZA)2 während 90 Tagen im Jahr Dienstleistungen in der Schweiz erbringen können. An den Grundsatz der Gebietshoheit müssen sich auch die kantonalen Vollzugsbehörden halten, die fehlbare Arbeitgeber im Ausland mit 1

2

Bundesgesetz vom 8. Oktober 1999 über die flankierenden Massnahmen bei entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und über die Kontrolle der in Normalarbeitsverträgen vorgesehenen Mindestlöhne, SR 823.20 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681

5949

BBl 2017

den Verwaltungssanktionen nach Artikel 9 EntsG belangen können. Die vereinzelt lange Zustelldauer auf dem diplomatischen Weg kann den Gesetzesvollzug beeinträchtigen, da die Zustellung über mehrere Stellen erfolgt und unter Umständen Wochen oder gar Monate dauert.

Am 16. Juni 2014 hat der Ständerat dem Postulat 14.3106 Recordon zugestimmt, mit dem das lange Zustellungsverfahren von Entscheiden kantonaler Arbeitsmarktbehörden im Rahmen des Vollzugs des Entsendegesetzes bemängelt wird. Dies vereitle die Effizienz der flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr (FlaM).

Der Bundesrat wurde beauftragt, die Möglichkeit zu prüfen, von Unternehmen aus dem EU-/EFTA-Raum, die Personal in die Schweiz entsenden, ein Zustelldomizil in der Schweiz zu verlangen. Schon in seiner Stellungnahme vom 14. Mai 2014 zum Postulat Recordon hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, dass die Pflicht zur Begründung einer vorübergehenden Niederlassung im Sinne des Postulanten eine unbegründete und unverhältnismässige Einschränkung der Personenfreizügigkeit bedeute und in Konflikt mit dem FZA stehen würde.

Am 18. Dezember 2015 hat der Bundesrat im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung (BV)3 zur Steuerung der Zuwanderung zusätzliche Massnahmen zur Bekämpfung der Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt beschlossen. Er verabschiedete unter anderem die Botschaft zur Revision des Bundesgesetzes gegen die Schwarzarbeit (BGSA) 4 und legte das Vorgehen bezüglich der künftigen Ausgestaltung der FlaM zum freien Personenverkehr Schweiz­EU fest. Eine zu diesem Zweck eingesetzte Arbeitsgruppe, die im Auftrag des Bundesrates den Verbesserungsbedarf von Vollzug und Missbrauchsbekämpfung der FlaM zu prüfen hatte, empfahl dem Bundesrat, Massnahmen zu prüfen, welche die Zustellung von amtlichen Dokumenten im Rahmen des Vollzugs der FlaM vereinfachen würden. Die Arbeitsgruppe kam zum Schluss, dass das Erfordernis einer Zustelladresse in der Schweiz für ausländische Dienstleistungserbringer nicht konform wäre mit dem Verbot der Beschränkung der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung gemäss Artikel 17 Anhang I FZA. Der Bundesrat entschied daraufhin, dass die Lösung auf dem Weg völkerrechtlicher Verträge zu suchen sei, die den Zweck erreichen, ohne gleichzeitig Verpflichtungen aus anderen Abkommen zu
verletzen. Er beschloss am 18. Mai 2016, dem Parlament zu beantragen, das Europäische Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland (Übereinkommen Nr. 94) und das Europäische Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland (Übereinkommen Nr. 100) im Hinblick auf die Ratifikation zu genehmigen sowie eine Kompetenzgrundlage für den Bundesrat zu schaffen, die ihm den selbstständigen Abschluss bilateraler Abkommen im Bereich der Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen erlauben würde.

3 4

SR 101 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit; SR 822.41; BBl 2016 157

5950

BBl 2017

1.2

Probleme der grenzüberschreitenden Verwaltungszusammenarbeit

In der Verwaltungspraxis von Bund und Kantonen stellt sich regelmässig die Frage, wie mit Amtshilfeersuchen ausländischer Behörden in jenen Bereichen umzugehen ist, für die es weder eine gesetzliche noch eine staatsvertragliche Regelung gibt. Ein auch für die betroffenen Privaten bedeutsames Sonderproblem stellt dabei die Frage dar, ob und wie ausländische Behörden amtliche Dokumente an Adressaten in der Schweiz bzw. ob und wie schweizerische Behörden amtliche Schriftstücke an Adressaten im Ausland rechtswirksam zustellen können. Für diese zwei Fragenkomplexe ­ Zustellungen in das Ausland und aus dem Ausland in die Schweiz sowie Unterstützungsleistungen bei der Erhebung von Beweisen in Verwaltungsverfahren ­ bieten die zwei Übereinkommen des Europarates staatsvertragliche Lösungen an, die sich in der Praxis bewährt haben. So haben insbesondere die Nachbarstaaten der Schweiz anlässlich einer vom Europarat 2015 durchgeführten Evaluation bestätigt, dass die Übereinkommen problemlos funktionieren und zu keinen Schwierigkeiten geführt haben, die gerichtlich zu klären gewesen wären 5.

1.2.1

Zustellungen

Damit eine Verfügung wirksam werden kann, muss sie korrekt eröffnet werden (Art. 34 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 19686 über das Verwaltungsverfahren [VwVG]). Mit der Eröffnung wird dem Adressaten ermöglicht, den Verfügungsinhalt zur Kenntnis zu nehmen 7; das Dokument ist grundsätzlich in der für das Verfahren massgeblichen Amtssprache zu verfassen. Im Unterschied dazu stellt die Zustellung «einen Vorgang [dar], bei welchem den Adressatinnen und Adressaten die Verfügung übermittelt wird»; sie ist also eine «Teilhandlung im Rahmen des Eröffnungsvorgangs»8.

In der Praxis stellt die Frage, wie amtliche Dokumente an Empfänger im Ausland zugestellt werden dürfen bzw. wie im spiegelbildlichen Fall eine ausländische Behörde Schriftstücke an Empfänger in der Schweiz zustellen darf, ein besonderes Problem der internationalen Zusammenarbeit dar9. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtslage wie folgt beschrieben: «En effet, la notification d'un acte officiel susceptible de déployer des effets juridiques (par opposition à un acte au contenu purement informatif) constitue un acte de puissance publique dont l'exécution incombe aux autorités locales (...). C'est pourquoi lorsque la notification doit intervenir à l'étranger, il convient de procéder par la voie diplomatique ou consulaire à moins qu'une convention internationale ne prévoie expressément le contraire (...).

5 6 7

8

9

Siehe Europarat CDCJ(2015) 10.rev. Mosaic.

SR 172.021 Felix Uhlmann/Alexandra Schilling-Schwank, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger (Hrsg.), Praxiskommentar VwVG, 2. A. Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 34, Rz. 2.

Felix Uhlmann/Alexandra Schilling-Schwank, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger (Hrsg.), Praxiskommentar VwVG, 2. A. Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 34, Rz. 9.

Siehe dazu Bericht des Bundesamtes für Justiz vom 14. März 2011, S. 43 f.

5951

BBl 2017

La notification directe, à l'étranger, par la poste est un acte d'autorité publique sur territoire étranger. Une autorité judiciaire ou un organisme de l'Etat d'envoi ne peut y procéder qu'avec le consentement de l'Etat de destination. La notification irrégulière d'un acte judiciaire est dépourvue d'effet.»10 Diese Rechtsauffassung fusst auf der Vorstellung, dass die Zustellung amtlicher Dokumente auf fremdem Hoheitsgebiet einen Eingriff in die staatliche Souveränität darstellt. Ohne entsprechende staatsvertragliche Abrede stellt die direkte postalische Zustellung «im Lichte des Völkerrechts einen Eröffnungsmangel» dar 11. An Personen im Ausland müssen Verfügungen und Entscheidungen grundsätzlich auf dem diplomatischen Weg zugestellt werden12; die direkte postalische Zustellung ist lediglich für «blosse Mitteilungen ohne rechtsgestaltende Wirkung» zulässig13. Verschiedentlich sieht das Bundesrecht vor, dass Parteien in Verwaltungsverfahren in der Schweiz ein Zustelldomizil (Art. 11b VwVG)14 oder eine Vertretung15 zu bezeichnen haben. Die schriftliche Aufforderung, ein Zustelldomizil zu bezeichnen, gilt nicht mehr als rein informelles Schreiben und musste bis anhin ­ staatsvertragliche oder spezialgesetzliche Sonderregelungen vorbehalten ­ auf dem diplomatischen Weg zugestellt werden16; solche Schreiben müssen ausdrücklich auf die Folgen der Nichtbeachtung hinweisen. Wird dann trotz der Aufforderung kein Zustelldomizil in der Schweiz bezeichnet, so kann die Behörde Verfügungen und Entscheide durch Publikation in einem amtlichen Blatt ­ für die Bundesbehörden im Bundesblatt17 ­ eröff-

10 11

12

13

14

15 16

17

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Aug. 2011, C-2343/2009, E.2.2.

Urteil 2C_827/2015 des Bundesgerichts vom 3. Juni 2016 (auszugsweise publiziert in BGE 142 II 411), amtlich nicht veröffentlichte E. 3.2. Das Bundesgericht präzisiert in diesem Urteil, dass eine in Verletzung des Territorialitätsprinzips erfolgte direkte postalische Zustellung die Anfechtbarkeit der Verfügung begründet, aber nicht zu ihrer Nichtigkeit führt. Im Urteil 4A 161/2008 vom 1. Juli 2008, E. 4.1, kam das Bundesgericht allerdings zum Schluss, dass die souveränitätsverletzende Zustellung eines einleitenden Schriftstückes in einer privatrechtlichen Streitigkeit nichtig sei; der Empfänger des Schriftstückes dürfe sich auf die Völkerrechtswidrigkeit der Zustellung berufen, um sich gegen die Anerkennung des Entscheides in der Sache zu widersetzen.

Ersatzweise steht der Weg der amtlichen Publikation einer Verfügung offen. Siehe statt vieler Urteil des Bundesgerichts vom 13. Mai 2009 (2C_182/2009), E. 3: «Eine amtliche Zustellung (scil. des bundesgerichtlichen Urteils) an seine ausländische Adresse durch das Bundesgericht wäre völkerrechtswidrig. Das Urteil ist dem Beschwerdeführer daher durch Publikation im Bundesblatt zu eröffnen.» Vera Marantelli-Sonanini/Said Huber, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger (Hrsg.), Praxiskommentar VwVG, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 11b Rz. 6 m.w.H..

Siehe auch Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 18. Juli 2006 (K 18/04), E. 1.2.

Spezialgesetzlich kann davon abgewichen werden. So sah Art. 12 Abs. 3 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) vor, dass Personen, die aus dem Ausland ein Asylgesuch stellen, keine Zustelladresse in der Schweiz bezeichnen müssen.

Diese Bestimmung ist allerdings mit der dringlichen Änderung des Asylgesetzes bis am 28. September 2019 suspendiert worden.

Beispielsweise Art. 118 des Bundesgesetzes vom 14. Dez. 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11).

So Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 18. Juli 2006 (K 18/04), E. 3.

Vera Marantelli-Sonanini/Said Huber, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger (Hrsg.), Praxiskommentar VwVG, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 11b, Rz. 12.

Als Beispiel siehe etwa BBl 2017 1207 (Steueramtshilfe) oder BBl 2017 1220 (Nummernwiderrufsverfahren).

5952

BBl 2017

nen18. Solche ausserordentlichen Eröffnungen brauchen wegen der den «Betroffenen empfindlich tangierenden Säumnisfolgen» eine «ausreichend bestimmte, genügende gesetzliche Grundlage»19.

Im Bundesrecht und namentlich im Staatsvertragsrecht findet sich eine zunehmende Zahl von Bestimmungen, die eine direkte postalische Zustellung von verwaltungsrechtlichen Schriftstücken erlauben.20 Eine besondere praktische Bedeutung haben die Regelungen auf dem Gebiet der Steueramtshilfe erlangt. 21 Zudem sieht das schweizerische Rechtshilferecht (einseitig) vor, dass für bestimmte Sachgebiete direkte postalische Zustellungen aus dem Ausland zulässig sind.22 Angesichts des regen Schriftverkehrs mit dem Ausland und dem Bedürfnis nach rascher Kommunikation erweist sich der diplomatische Weg oft als schwerfällig. In vielen Sachbereichen hat der Souveränitätsvorbehalt seine Bedeutung eingebüsst, und es sprechen keine gewichtigen Gründe mehr dafür, die Zustellungen unbedingt und in allen Fällen über den diplomatischen Verkehr laufen zu lassen.

18

19 20

21

22

Res Nyffenegger, in: Auer/Müller/Schindler (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Zürich/St. Gallen 2008, Art. 11b Rz. 4; Lorenz Kneubühler, ebenda, Art. 36 Rz. 7. Fraglich ist allerdings, ob in den Fällen, in denen eine direkte postalische Zustellung nicht möglich ist, noch zu prüfen wäre, ob die Verfügung auf diplomatischem Weg zugestellt werden kann, bevor der Weg der amtlichen Publikation beschritten wird; siehe dazu Felix Uhlmann/Alexandra Schilling-Schwank, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger (Hrsg.), Praxiskommentar VwVG, 2. A.

Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 34, Rz. 19.

BGE 142 II 411 E. 4.2. S. 412.

So wurde beispielsweise mit dem Zusatzabkommen vom 27. Aug. 2009 zum Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich die direkte postalische Zustellung für die Eröffnung von Steuerforderungen vereinbart; siehe dazu BBl 2009 1631, S. 1642 (siehe Art. 28bis Abs. 2 SR 0.672.934.91). Siehe auch Art. 29 des Sozialversicherungsabkommens der Schweiz mit Brasilien, das die Bundesversammlung am 9. Juni 2015 genehmigt hat, das aber noch nicht in Kraft getreten ist, oder den Notenaustausch vom 17. Mai 2013 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Europäischen Kommission zur Notifikation hoheitlicher Akte im Bereich der Wettbewerbspolitik (SR 0.251.268.11).

Von der Frage nach der Zustellungsart ist jeweils die Frage zu unterscheiden, ob Schriftstücke in der Originalsprache des Absenders zugestellt werden dürfen oder ob Übersetzungen in die (Amts-)Sprache des Empfängers zu erstellen sind.

Siehe Art. 14 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 28. Sept. 2012 über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (StAhiG, SR 651.1). In diesem Zusammenhang wird in der Literatur auch auf den möglichen Nutzen des Übereinkommens Nr. 94 hingewiesen; siehe Charlotte Schoder, Praxiskommentar StAhiG, Zürich 2014, Art. 14 Rz. 171.

Insbesondere für Strafen bei Strassenverkehrsdelikten, siehe Art. 68 IRSG (SR 351.1) und Art. 30 IRSV (SR 351.11) sowie Art. 52 Schengen-Durchführungsübereinkommen (SDÜ, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19 ff., übernommen im Rahmen des SchengenAssoziierungsabkommens, SR 0.362.31). Zum Ganzen siehe die Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Nov. 2016 zur ­ mittlerweile vom Nationalrat abgelehnten ­ Mo 16.3835 «Direktzustellung von Verkehrsbussen aus dem Ausland nur per
eingeschriebener Post». Vgl. weiter Art. 23 des Bundesgesetzes vom 21. Dez. 1995 über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts (SR 351.20): «Prozessakten und Entscheide der Internationalen Gerichte können dem Empfänger in der Schweiz mit der Post zugestellt werden.»

5953

BBl 2017

1.2.2

Beweismittel

Ein hauptsächliches Problem der grenzüberschreitenden Verwaltungszusammenarbeit besteht darin, dass eine ausländische (Verwaltungs- oder Justiz-)Behörde ein Verwaltungsverfahren nach den Regeln ihres eigenen (ausländischen) Rechts durchführt und in Verbindung damit auf Unterstützung durch die schweizerischen Behörden angewiesen ist ­ beispielsweise weil sie Auskünfte über die hiesige Rechtslage und Verwaltungspraxis benötigt oder auf Beweismittel (Dokumente, Parteien- oder Zeugenaussagen u. dgl.) abstellen möchte, die sich auf schweizerischem Staatsgebiet befinden. Amtshandlungen eines ausländischen Staates oder für einen ausländischen Staat auf dem schweizerischen Staatsgebiet stellen eine Verletzung der schweizerischen Souveränität dar und stehen ­ wenn sie ohne die erforderliche Bewilligung eines Departements oder des Bundesrates (Art. 31 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. Nov. 199823, RVOV) vorgenommen werden ­ gemäss Artikel 271 des Strafgesetzbuches (StGB)24 unter Strafe.

Zwar stehen auch für diese Fälle in vielen Sachgebieten gesetzliche oder staatsvertragliche Antworten zur Verfügung; eine subsidiäre Querschnittslösung fehlt indessen. Hier bietet das Übereinkommen Nr. 100 verschiedene Grundregeln, die im Verhältnis zu den Vertragsstaaten zur Anwendung kommen können, was für Behörden und Private zusätzliche Rechtssicherheit schafft.

1.2.3

Die Verwaltungszusammenarbeit in der Europäischen Union (EU)

Das Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten der EU wird durch die EU explizit nicht harmonisiert oder vereinheitlicht (Art. 197 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]). Gemäss dem sogenannten Prinzip der Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten vollziehen Letztere grundsätzlich das Unionsrecht. Ein direkter Vollzug des Unionsrechts durch die EU findet nur in speziellen Bereichen wie beispielsweise dem Wettbewerbsrecht statt.

Gestützt auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit bestehen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten sowie zwischen den EU-Mitgliedstaaten unter sich zwar qualifizierte Kooperationspflichten. Aus Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) lässt sich aber keine allgemeine Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe ableiten. Die Amtshilfe in Verwaltungssachen beziehungsweise die Verwaltungszusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten ist entsprechend nicht umfassend, sondern sektoriell geregelt. Im Folgenden seien einige Gebiete exemplarisch dargestellt: ­

23 24

Im Bereich der direkten Steuern ­ ein in der EU nicht harmonisierter Bereich ­ leisten die EU-Mitgliedstaaten einander seit 1977 gegenseitig Amts-

SR 172.010.1 SR 311.0

5954

BBl 2017

hilfe. Die einschlägige Richtlinie der EU25 begründet alle erforderlichen Verfahren für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Steuerverwaltungen in der EU ­ etwa durch Informationsaustausch (der auf Ersuchen, spontan oder automatisiert erfolgen kann), mittels der Teilnahme an behördlichen Ermittlungen, gleichzeitigen Prüfungen und gegenseitigen Zustellungen von Steuerbescheiden. Hierzu sei angemerkt, dass die beiden Europaratsübereinkommen auf Steuersachen nicht anwendbar sind, es sei denn, die Vertragsstaaten ergänzen den Anwendungsbereich mittels einer entsprechenden Erklärung (siehe gleichlautender Art. 1 Abs. 2 der beiden Übereinkommen).

25

26

27

28

­

Die Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 1/200326. Für den Bereich des Kartellrechts beispielsweise ist in der Verordnung vorgesehen, dass Wettbewerbsbehörden eines Mitgliedstaats für die Behörden eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen der Amtshilfe Inspektionen durchführen können. Informationen über die Umsetzung des EU-Wettbewerbsrechts werden über das Europäische Wettbewerbsnetz (European Competition Network ECN) ausgetauscht.

­

Im Produkterecht leisten die Marktüberwachungsbehörden der Mitgliedstaaten untereinander und mit der Europäischen Kommission Amtshilfe, indem sie Informationen austauschen, Inspektionen oder andere Massnahmen für andere Behörden in ihrem Hoheitsgebiet durchführen und sich an Inspektionen beteiligen, die in anderen Mitgliedstaaten eingeleitet werden (Art. 24 Abs. 2 Verordnung [EG] Nr. 765/200827).

­

Im Bereich des Konsumentenschutzes leisten die mitgliedstaatlichen Behörden einander gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz28 Amtshilfe bei der Feststellung von Verstössen gegen konsumentenschutzrechtliche Vorschriften und bei der Durchsetzung von Massnahmen zum Schutz der Interessen von Konsumentinnen und Konsumenten.

­

Um die Verwirklichung der vier Grundfreiheiten zu vereinfachen, wurde das elektronische Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) eingerichtet, das der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten untereinander oder zwischen ihnen und der Europäischen Kommission dient, soweit es um die Umsetzung von binnenmarktrelevanten Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. L 64 vom 11.3.2011, S. 1.

Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1.

Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates, ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30.

Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz), ABl. L 364 vom 9.12.2004, S. 1.

5955

BBl 2017

Rechtsakten der EU geht.29 Verwendung findet IMI auch im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen bzw. bei der Kontrolle eines angemessenen Schutzniveaus dieser entsandten Arbeitskräfte. Die entsprechende Richtlinie der EU30 verpflichtet die Mitgliedstaaten unter anderem zu enger Zusammenarbeit und zur Leistung von gegenseitiger, unverzüglicher Amtshilfe. Die Zusammenarbeit kann auch die Zusendung und Zustellung von Schriftstücken umfassen. Weiter sieht die Richtlinie die grenzüberschreitende Vollstreckung von Geldbussen vor.

Die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU enthalten punktuell Bestimmungen über die internationale Amtshilfe zwischen den Behörden der Schweiz und jenen der EU sowie ihrer Mitgliedstaaten. So sehen das Zinsbesteuerungsabkommen vom 26. Oktober 200431 und das Betrugsbekämpfungsabkommen vom 26. Oktober 200432 beispielsweise vor, Amtshilfe vor allem im Fiskalbereich gegenüber EU-Mitgliedstaaten zu leisten. Mit dem Abkommen vom 17. Mai 201333 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts sind Amtshilfeverfahren auch für den Bereich des Wettbewerbsrechts staatsvertraglich geregelt worden. Ausserhalb des Steuerbereichs verfügt die Europäische Kommission bzw.

das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) vereinzelt und gestützt auf eine staatsvertragliche Grundlage über die Kompetenz, in der Schweiz in Zusammenarbeit mit den zuständigen schweizerischen Behörden Finanzkontrollen und Überprüfungen vor Ort vorzunehmen, um festzustellen, ob ein Betrugs- oder Korruptionsdelikt oder eine sonstige rechtswidrige Handlung zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union vorliegt.34 Die beiden Europaratsübereinkommen erlauben den Vertragsparteien, weitergehende Staatsverträge über die Verwaltungszusammenarbeit abzuschliessen35, weshalb kein Konflikt zwischen diesen Über29

30

31 32 33 34

35

Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems und zur Aufhebung der Entscheidung 2008/49/EG der Kommission (IMI-Verordnung), ABl. L 316 vom 14.11.2012, S. 1.

Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems (IMI-Verordnung), ABl. L 159 vom 28.5.2014, S. 11.

SR 0.641.926.81. Das Abkommen ist mit dem Änderungsprotokoll vom 27. Mai 2015 geändert worden. Dieses ist am 1. Jan. 2017 in Kraft getreten (AS 2016 5003).

SR 0.351.926.81 SR 0.251.268.1 Art. 3 Anhang B zum Anhang des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr (SR 0.748.127.192.68); Ziffer III Anhang III des Abkommens vom 5. Dez. 2014 für wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft zur Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft an das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation «Horizont 2020» und an das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung in Ergänzung zu «Horizont 2020» sowie zur Beteiligung der Schweizerischen Eidgenossenschaft an den ITER-Tätigkeiten von «Fusion for Energy» (SR 0.424.11).

Siehe Art. 12 des Übereinkommens Nr. 94 und Art. 16 des Übereinkommens Nr. 100.

5956

BBl 2017

einkommen und den bestehenden oder zukünftigen bilateralen Verträgen mit der Europäischen Union besteht.

1.3

Die beantragten Massnahmen

1.3.1

Die Übereinkommen im Überblick

Der Europarat hat Ende der 1970er-Jahre zwei Übereinkommen erarbeitet, welche die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Verwaltungssachen zum Gegenstand haben: Das Europäische Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland (SEV36-Nr. 94) verpflichtet die Vertragsstaaten, einander bei der Zustellung von Urkunden in Verwaltungssachen Amtshilfe zu leisten. Es sieht vor, dass jeder Vertragsstaat eine zentrale Behörde bezeichnet, die Zustellungsersuchen aus dem Ausland entgegennimmt und ihnen stattgibt. Das Übereinkommen ist auf alle Verwaltungssachen anwendbar, wobei Steuer- und Strafsachen ausgeschlossen sind, es sei denn der Vertragsstaat hat eine gegenteilige Erklärung abgegeben. Die Vertragsstaaten dürfen ferner andere spezielle Sachgebiete ausschliessen. Das Europäische Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland (SEV-Nr. 100) ist ebenfalls auf alle Verwaltungssachen anwendbar und sieht die gleichen Optionen zur Ausdehnung bzw. Einschränkung des Anwendungsbereichs vor. Es unterscheidet zwischen Amts- und Rechtshilfe und versteht Letztere als Zusammenarbeit, die auf Gesuch einer richterlichen Behörde ­ oder einer Behörde, die richterliche Aufgaben ausübt ­ im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorgenommen wird. Im Rahmen der Amtshilfe wiederum ­ also der Zusammenarbeit auf Ersuchen einer Amtsstelle in einer Verwaltungsangelegenheit ­ informieren die Staaten einander über Vorschriften und Übungen, erteilen Auskünfte über Tatsachen und übermitteln Schriftstücke. Sie können für die Beantwortung des Gesuchs Ermittlungen anstellen, nicht aber Zwangsmittel anwenden (Art. 15). Im Bereich der Rechtshilfe sind für die Beantwortung des Gesuchs hingegen auch Zwangsmittel zulässig (Art. 20 Abs. 1).

Die Schweiz hat beide Übereinkommen 1977 und 1978 unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert, u. a. weil ihnen nur wenige Mitgliedstaaten des Europarates ­ darunter aber fast alle Nachbarstaaten der Schweiz ­ beigetreten sind. Der Bundesrat hat am 18. Mai 2016 beschlossen, die Übereinkommen dem Parlament im Hinblick auf die Ratifikation zur Genehmigung zu unterbreiten.

Die beiden Übereinkommen liegen in den Amtssprachen des Europarats, d. h. in einer französischen und einer englischen
Fassung vor. Die deutsche und die italienische Fassung haben den Status von Übersetzungen und sind auf die Übersetzungen abgestimmt, welche die Nachbarstaaten Deutschland, Österreich und Italien erstellt haben. Beide Übereinkommen sollen in der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts veröffentlich werden. Die beiden Musterformulare, die dem Übereinkommen Nr. 94 als Anhang beigegeben sind, werden jedoch nicht in die zwei anderen Amtssprachen des Bundes übersetzt; sie werden in Form eines Verweises (Art. 6 des Publikations36

Sammlung der Europäischen Verträge (SEV), www.coe.int/de/web/conventions/full-list

5957

BBl 2017

gesetzes vom 18. Juni 200437, PublG) amtlich veröffentlicht, da sie lediglich als Begleitschreiben für die zentralen Behörden genutzt werden sollen und nur diese betreffen.

1.3.2

Erforderliche Gesetzesänderungen

Wie erwähnt regelt das Bundesrecht die Modalitäten der Zustellung von ausländischen Verwaltungsakten an Empfängerinnen und Empfänger in der Schweiz nur punktuell und uneinheitlich. Das Gleiche gilt auch für die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Formen schweizerische Behörden ausländischen Verwaltungsstellen bei der Beibringung von Beweismitteln in (ausländischen) Verwaltungsverfahren behilflich sein dürfen oder gar zur Amtshilfe verpflichtet sind.

Den Grundprinzipien der beiden Übereinkommen folgend sollen daher für jene Rechtsgebiete, in denen ein ausgewiesener Modernisierungs- und Harmonisierungsbedarf besteht, entsprechende Bestimmungen eingeführt werden. Bei dieser Gelegenheit werden in einzelnen der betroffenen Gesetzesbestimmungen auch geringfügige inhaltliche oder redaktionelle Korrekturen vorgenommen, die sich in der Praxis als notwendig erwiesen haben.

1.4

Vernehmlassung

Im Jahr 2013 hat der Bundesrat eine Vernehmlassung über den Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden und über den Schutz der schweizerischen Souveränität (VE-ZSSG) durchgeführt; die Vernehmlassung erstreckte sich auch auf die vom Bundesrat vorgeschlagene Ratifikation der beiden Übereinkommen des Europarates.38 Die damals eingegangenen Stellungnahmen zu den Übereinkommen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der beantragte Beitritt zum Übereinkommen Nr. 94 fand in der Vernehmlassung positive Aufnahme: Von den Kantonen haben ZH, OW, SG, AG, SH und SO keine Einwände gegen eine Ratifikation dieses Übereinkommens oder begrüssen diesen ausdrücklich. Bundesgericht und Bundesverwaltungsgericht begrüssen es ausdrücklich, wenn die Zustellungsverfahren vereinfacht werden, und befürworten daher die Ratifikation des Übereinkommens. Unter den Parteien unterstützen CVP und FDP die Ratifikation dieses Übereinkommens. Die SVP veranschlagt den Nutzen einer Ratifikation zu beiden Abkommen als zu gering bzw. als gar nicht vorhanden, weshalb sie sie ablehnt.

Die Stellungnahmen zum Übereinkommen Nr. 100 fielen etwas heterogener aus: Während vier Kantone (OW, SG, AG und SO), das Bundesgericht und die CVP eine

37 38

SR 170.512 Die Vernehmlassungsunterlagen sowie der Ergebnisbericht sind zu finden unter www.bundesrecht.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2013 > EJPD.

5958

BBl 2017

Ratifikation ausdrücklich begrüssen39, lehnen sie u. a. die SVP, die FDP und die Bankiervereinigung ab. Begründet wird dies mit dem mutmasslich geringen Nutzen einer Ratifikation und mit einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber Vereinfachungen der grenzüberschreitenden Amtshilfe, wie sie mit dem VE-ZSSG angestrebt worden war.

1.5

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Am 16. Juni 2014 hat der Ständerat dem Postulat 14.3106 Recordon zugestimmt.

Dieses bemängelt die langen Zustellverfahren von Entscheiden der kantonalen Arbeitsmarktbehörden im Rahmen des Vollzugs des Entsendegesetzes und schlägt vor, dass Unternehmen aus dem EU/EFTA-Raum, die Personal in die Schweiz entsenden, hier ein Zustelldomizil zu bezeichnen haben. In seiner Stellungnahme weist der Bundesrat darauf hin, dass eine solche Massnahme mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen nicht vereinbar ist, dass aber der Beitritt zum Übereinkommen Nr. 94 des Europarates punktuell Abhilfe schaffen könnte.

Eine vom Bundesrat eingesetzte Arbeitsgruppe empfahl, Massnahmen zu prüfen, welche die Zustellung von amtlichen Dokumenten im Rahmen des Vollzugs der flankierenden Massnahmen vereinfachen würden. Eine verwaltungsinterne Expertengruppe kam im Rahmen dieser Arbeit auch zum Schluss, dass das Erfordernis eines Zustelldomizils in der Schweiz für ausländische Dienstleistungserbringer gegen das Verbot der Beschränkung der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung gemäss Artikel 17 Anhang I des FZA verstossen würde.

Der Bundesrat hat in der Folge beschlossen, der Bundesversammlung die Ratifikation des Abkommens Nr. 94 zu beantragen. Dieses sieht verschiedene Übermittlungswege vor, mit denen die Schwierigkeiten, die bei der Eröffnung von Verfügungen nach dem Entsendegesetz deutlich geworden sind, jedenfalls bei Unternehmen aus Vertragsstaaten des Übereinkommens verringert werden können.

Der Bundesrat erachtet somit das Anliegen des Postulats als erfüllt und beantragt dessen Abschreibung.

2

Erläuterungen zu den zwei Übereinkommen des Europarates

2.1

Europäisches Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland (Übereinkommen Nr. 94)

Das Europäische Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland verpflichtet die Vertragsstaaten, 39

Das Bundesverwaltungsgericht verlangt, dass verhindert wird, dass Herkunftsstaaten asylsuchender Personen unter Berufung auf das Übereinkommen von schweizerischen Amtsstellen Auskünfte erlangen können, die unter dem Aspekt von Art. 97 Abs. 1 AsylG als sensibel zu betrachten wären.

5959

BBl 2017

einander bei der Zustellung von Urkunden in Verwaltungssachen Amtshilfe zu leisten. Das Übereinkommen wurde im Jahr 1977 zur Unterzeichnung aufgelegt, es ist 1982 in Kraft getreten. Vertragsparteien sind Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich und Spanien. Die Schweiz hat das Abkommen am 24. November 1977 unterzeichnet. Der Bundesrat hat im Elften Bericht vom 24. August 201640 über die Schweiz und die Konventionen des Europarates erklärt, dass er dem Parlament eine Botschaft über den Beitritt zu diesem Übereinkommen vorlegen will.

Das Übereinkommen eröffnet den Vertragsstaaten verschiedene Optionen zur konkreten Ausgestaltung. Wahlmöglichkeiten bestehen zur Zulässigkeit der direkten postalischen Zustellung sowie zur Zustellung durch diplomatisches oder konsularisches Personal. Die Nachbarstaaten der Schweiz haben von diesen Wahlmöglichkeiten unterschiedlich Gebrauch gemacht: So lässt Österreich etwa die Anwendbarkeit auf Steuersachen zu. Deutschland und Italien schliessen demgegenüber die Anwendung auf dem Gebiet des Aussenhandelsrechts («échanges de marchandises et de services, transactions financières et paiements» und «interdictions et ... restrictions des échanges transfrontaliers de marchandises») aus. Österreich erlaubt die direkte postalische Zustellung ausser für Enteignungsanordnungen, Verfügungen über die Aushebung zum Militärdienst sowie waffenrechtliche und fremdenpolizeiliche Anordnungen. Auch bei der Bezeichnung der zentralen Behörden sind unterschiedliche Lösungen gewählt worden: Österreich kennt für bestimmte Themen eine Bundesstelle, während in allen anderen Fällen die zentralen Behörden in den einzelnen Bundesländern angesiedelt sind. Eine reine Länderlösung hat Deutschland gewählt, während Frankreich, Italien, Spanien und Luxemburg eine einzige zentrale Behörde kennen. Hinzuweisen ist schliesslich auf den Umstand, dass Deutschland für die Übermittlung von Dokumenten eine deutsche Übersetzung verlangt. 41

2.1.1

Geltungsbereich

Das Übereinkommen ist auf alle Verwaltungssachen anwendbar, mit Ausnahme der Steuer- und Strafsachen (Art. 1 Abs. 2). Eine Definition der Verwaltungssachen ist im Übereinkommen nicht enthalten. Die Staaten können den Anwendungsbereich mittels einer Erklärung ausdehnen oder einschränken. So erlaubt Artikel 1 Absatz 2 des Übereinkommens den Vertragsstaaten, den Anwendungsbereich des Übereinkommens auf Steuersachen sowie auf Verfahren über Straftaten, deren Verfolgung und Bestrafung im Zeitpunkt des Ersuchens nicht in die Zuständigkeit seiner Gerichte fällt, auszudehnen. Ebenso können gestützt auf Artikel 1 Absatz 3 gewisse Verwaltungsbereiche mittels Erklärung vom Anwendungsbereich des Übereinkommens 40 41

BBl 2016 7045, hier 7059.

Erklärung Deutschlands zu Art. 11. Nach Auskunft der deutschen Behörden wird die Untersagung der Postzustellung streng gehandhabt. Allerdings würden die deutschen zentralen Behörden die eingegangenen Dokumente regelmässig auf dem Postweg an die Adressaten weiterleiten. Gegenüber der heutigen Praxis wäre für die Schweiz also trotz der Erklärung Deutschlands mit einem erheblichen Zeitgewinn zu rechnen.

5960

BBl 2017

ausgenommen werden. Eine Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Steuersachen haben Österreich und Estland erklärt.

Mit dem Ausdruck «Verfahren über Straftaten, deren Verfolgung und Bestrafung im Zeitpunkt des Ersuchens nicht in der Zuständigkeit seiner Gerichte fällt» sind Fälle des Verwaltungsstrafrechts gemeint.42 Dieser Ausdruck wurde mutatis mutandis aus Artikel 1 des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 195943 über die Rechtshilfe in Strafsachen übernommen.

2.1.2

Übermittlungswege

Inhaltlich wurde das Übereinkommen weitgehend dem Haager Übereinkommen vom 1. März 195444 betreffend Zivilprozessrecht und und dem Haager Übereinkommen vom 15. November 196545 über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen nachgebildet, die die Schweiz ratifiziert hat. Es sieht vor, dass die Staaten eine zentrale Behörde bezeichnen, welche die Zustellungsersuchen entgegennimmt und das Erforderliche zu veranlassen hat (Art. 2 Abs. 1). Bundesstaaten können mehrere zentrale Behörden bezeichnen (Art. 2 Abs. 1; von dieser Möglichkeit haben Österreich und Deutschland Gebrauch gemacht).

Neben der Zustellung über die zentrale Behörde lässt das Übereinkommen auch andere Zustellungswege zu, wenn die Staaten keine einschränkende Erklärung abgeben. So kann ein Schriftstück von einem Konsularbeamten (oder von einem Diplomaten)46 des ersuchenden Staates dem Empfänger direkt zugestellt werden (Art. 10 Abs. 1; sogenannter direkter konsularischer Weg). Zudem ist die Möglichkeit, die Zustellung unmittelbar durch die Post vorzunehmen, auch vorgesehen (Art. 11).

Die Möglichkeit, via den diplomatischen Weg47 zuzustellen, besteht weiterhin (Art. 12 Abs. 1). Dieser zeitintensive Weg sollte jedoch vermieden werden. Im Rahmen des Haager Zustellungsübereinkommens in Zivilsachen benützt die Schweiz diesen Weg einzig dann, wenn der Empfänger ein Staat ist oder sonst eine Person oder internationale Organisation, die Immunität geniesst.

42 43 44 45 46 47

Ziff. 12 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 94.

SR 0.351.1 SR 0.274.12 SR 0.274.131 Wenn der Absenderstaat im Empfangsstaat nur diplomatisches, aber kein konsularisches Personal akkreditiert hat.

Beim diplomatischen Weg sendet die ausländische Behörde ihr Gesuch ihrem eigenen Aussenministerium. Dieses leitet es seiner Botschaft im ersuchten Staat weiter.

Die Botschaft übermittelt das Gesuch dem Aussenministerium des ersuchten Staates.

5961

BBl 2017

2.1.3

Formalitäten und Erledigung von Zustellungsersuchen

Das Übereinkommen sieht vor, dass jedes Zustellungsersuchen nach einem Muster zu erstellen ist, für das sich im Anhang des Übereinkommens eine entsprechende Vorlage findet (Art. 3). Der ersuchte Staat kann die Zustellung durch einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger vornehmen, wenn dieser zur Annahme bereit ist (Art. 6 Abs. 2). Ansonsten sind die vom innerstaatlichen Recht bestimmten Zustellungsformen einzuhalten. In beiden Fällen muss dem Schriftstück keine Übersetzung beigefügt werden (Art. 7 Abs. 1). Der Empfänger kann jedoch die Annahme mit der Begründung verweigern, dass er die Sprache, in der das Schriftstück abgefasst ist, nicht versteht (Art. 7 Abs. 2). Die zentrale Behörde kann dann selber eine Übersetzung in eine Amtssprache vornehmen oder die ersuchende Behörde um eine Übersetzung bitten.

Wünscht der ersuchende Staat für die Zustellung die Beachtung einer bestimmten Form, so hat der ersuchte Staat diese zu ermöglichen, sofern sie mit seinem eigenen Recht vereinbar ist (Art. 6 Abs. 1 Bst. b).48 In diesem Fall ist das Schriftstück allerdings zu übersetzen oder mit einer separaten Übersetzung zu versehen. Der Wunsch der ersuchenden Behörde, dass das Schriftstück innert einer bestimmten Frist zuzustellen wäre, ist vom ersuchten Staat nach Möglichkeit zu berücksichtigen (Art. 6 Abs. 3).

Das Zustellungsverfahren wird dadurch abgeschlossen, dass die ersuchte Behörde ein Zustellungszeugnis ausstellt, mit dem es die Erledigung des Gesuches feststellt oder die Gründe dafür aufführt, weshalb es nicht erledigt werden konnte (Art. 8).

Das Übereinkommen sieht auch für dieses Zeugnis ein Muster vor.

2.1.4

Verweigerungsgründe

Die ersuchte Behörde kann Zustellungsersuchen, die nicht dem Übereinkommen entsprechen, ablehnen; diesfalls hat sie die ersuchende Behörde umgehend über die Gründe zu informieren (Art. 5). Artikel 14 zählt die zulässigen Verweigerungsgründe auf. So soll die Zustellung verweigert werden können, wenn das Ersuchen eine Materie beschlägt, die vom Übereinkommen nicht erfasst ist (Art. 14 Abs. 1 Bst. a).

Sollte der Empfänger an der von der ausländischen Behörde angegebenen Adresse nicht erreichbar sein oder sollte sich seine Adresse nicht leicht feststellen lassen, so darf das Zustellungsgesuch ebenfalls abgelehnt werden (Art. 14 Abs. 1 Bst. c). Von Bedeutung ist allerdings auch, dass sich die ersuchte Behörde auf den Standpunkt stellen darf, dass eine Zustellung die Souveränität, Sicherheit, öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen ihres Staates beeinträchtigen könnte (Art. 14 Abs. 1 Bst. b). Damit stehen dem ersuchten Staat ausreichende Handlungsmöglichkeiten offen, um im Einzelfall eine Güterabwägung vornehmen zu können.

48

Eine mit dieser Bestimmung vergleichbare Regelung findet sich in Art. 11a Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das internationale Privatrecht (IPRG, SR 291).

5962

BBl 2017

2.1.5

Nutzen einer Ratifikation durch die Schweiz

Die geltende Rechtslage sorgt regelmässig für Unsicherheiten bei den betroffenen Verwaltungsstellen, die Verwaltungsdokumente ins Ausland zustellen müssen, und bei Empfängerinnen und Empfängern in der Schweiz, die Dokumente aus dem Ausland direkt per Post erhalten. Selbst die eidgenössischen Gerichte haben keine gefestigte einheitliche Praxis zur Frage, wie Verwaltungsakten an Empfänger im Ausland zugestellt werden müssen. Es entspricht einem ausgewiesenen Bedürfnis der betroffenen Verwaltungsstellen, dass Verwaltungsdokumente rasch, zuverlässig und rechtlich korrekt ins Ausland geschickt werden können. Obschon vergleichsweise wenige Europaratsmitglieder das Übereinkommen ratifiziert haben, befinden sich vier Nachbarstaaten der Schweiz darunter. Eine grosse Zahl von Zustellungen betreffen Empfänger oder Absender in diesen Staaten. Eine Umfrage der Direktion für Völkerrecht bei den zuständigen Behörden in Frankreich, Österreich und Deutschland hat ergeben, dass diese Staaten einen Beitritt der Schweiz sehr begrüssen würden, weil die Verwaltungszusammenarbeit erheblich erleichtert werden könnte.

Die Statistik des Bundesamtes für Justiz hat im Jahr 2015 gesamthaft 60 Zustellungsersuchen in Verwaltungssachen von ausländische Staaten erfasst; 48 dieser Ersuchen sind aus Vertragsstaaten des Übereinkommens gekommen. Aus der Schweiz wurden 2015 über das Bundesamt für Justiz gesamthaft 286 Ersuchen an ausländische Staaten gerichtet49; mehr als die Hälfte, nämlich 146 waren an Empfänger in Vertragsstaaten des Übereinkommens gerichtet50. In der Vernehmlassung ist der Beitritt der Schweiz zu diesem Übereinkommen nahezu einhellig begrüsst worden.51 Ferner erhalten die schweizerischen Botschaften in Italien, Österreich, Frankreich und Deutschland direkt von kantonalen oder anderen Bundesbehörden zahlreiche Zustellungsgesuche. Im Jahr 2015 hat beispielsweise die Botschaft in Österreich 381 Gesuche erhalten. Die schweizerische Botschaft in Deutschland hat ­ nur im Rahmen des Vollzugs des Entsendegesetzes ­ 2343 Gesuche von kantonalen Behörden erhalten.

Die meisten Zustellungen in Verwaltungssachen betreffen Deutschland. Rückfragen des Bundesamtes für Justiz bei den deutschen Behörden haben ergeben, dass 2015 rund 200 Zustellersuchen bei den deutschen Behörden eingegangen sind, die zukünftig nach den Regeln des
Übereinkommens Nr. 94 abgewickelt werden könnten. Wie die Schweiz haben auch die deutschen Behörden ein Interesse daran, dass der Zustellungsverkehr auf eine verlässliche Rechtsgrundlage gestellt wird.

49 50

51

Darin nicht erfasst sind die 302 Zustellungen der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS) in Genf.

Es ist zu erwähnen, dass die statistischen Angaben über einen längeren Zeitraum keinem einheitlichen Muster folgen. In einzelnen Jahren haben umfangreiche ausländische Verwaltungsverfahren im Ausland für überdurchschnittlich hohe Zahlen gesorgt.

Die Angaben des Jahres 2015 scheinen allerdings ein grundsätzlich zuverlässiges Bild über die tatsächlichen Fallzahlen zu geben.

Der Kanton Zürich regte an, dass auch das Wettbewerbsrecht vom Geltungsbereich ausgenommen werden sollte.

5963

BBl 2017

2.1.6

Erklärungen der Schweiz zum Übereinkommen

Unter Berücksichtigung der Erklärungen, die insbesondere die Nachbarstaaten der Schweiz abgegeben haben, und angesichts der Anliegen, die im Vernehmlassungsverfahren vorgetragen worden sind, schlägt der Bundesrat vor, dass die Schweiz folgende Erklärungen abgibt:

52

­

Eine Erklärung zu Artikel 1 Absatz 2, wonach das Übereinkommen auf Verfahren über (Verwaltungs-)Straftaten Anwendung findet, deren Verfolgung und Bestrafung im Zeitpunkt des Ersuchens nicht in die Zuständigkeit eines Gerichtes fällt. Von dieser Ausdehnung ausgeschlossen sind Dokumente auf den Gebieten des Steuerrechts und der Finanzmarktaufsicht. Damit soll das Übereinkommen insbesondere zur Linderung der Probleme beitragen, die beim Vollzug des Entsendegesetzes deutlich geworden sind.

­

Eine Erklärung zu Artikel 1 Absatz 3, wonach das Übereinkommen auf dem Gebiet der Finanzmarktaufsicht und des Nachrichtendienstes keine Anwendung findet.

­

Eine Erklärung zu Artikel 2 Absatz 1, wonach das Bundesamt für Justiz die Rolle der zentralen Behörde übernimmt. Bestehende direkte Kontakte zwischen Fachbehörden bleiben davon unberührt und können weiterhin gepflegt werden.52

­

Eine Erklärung zu Artikel 7 Absatz 2, wonach die Schweiz ­ sollte der Empfänger in der Schweiz die Zustellung mangels Übersetzung ablehnen ­ eine erneute Zustellung erst vornimmt, wenn die ersuchende Behörde die Dokumente in die Amtssprache des Zustellungsorts übersetzt oder eine Übersetzung in dieser Sprache liefert.

­

Eine Erklärung zu Artikel 10 Absatz 2, wonach die Schweiz die Zustellung unmittelbar und ohne Zwang durch Konsularbeamte oder Diplomaten an Schweizer Staatsangehörige, an Staatsangehörige eines dritten Staates oder an Staatenlose zulässt, wenn die Dokumente zusammen mit einem Schreiben in einer Sprache, die der Empfänger versteht, oder in der Amtssprache des Zustellungsorts übermittelt werden. Aus diesem Schreiben muss hervorgehen, dass der Empfänger von der im Schreiben bezeichneten Behörde Informationen über seine Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Zustellung der Dokumente oder eine Übersetzung der Dokumente in einer Sprache, die er versteht, oder in der Amtssprache des Zustellortes erhalten kann. Die Schweiz würde ein Musterschreiben zur Orientierung beilegen.

­

Eine Erklärung zu Artikel 11 Absatz 2, wonach die Schweiz die direkte postalische Zustellung an Schweizer Staatsangehörige, an Staatsangehörige eines dritten Staates oder an Staatenlose nur unter der Voraussetzung zulässt, dass die Dokumente zusammen mit einem Schreiben in einer Sprache, die der Empfänger versteht, oder in der Amtssprache des Zustellungsorts übermittelt werden. Aus diesem Schreiben muss hervorgehen, dass der Empfänger von der im Schreiben bezeichneten Behörde Informationen über seine Siehe Ziff. 18 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 94.

5964

BBl 2017

Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Zustellung der Dokumente oder eine Übersetzung der Dokumente in einer Sprache, die er versteht, oder in der Amtssprache des Zustellortes erhalten kann.53 Die Schweiz würde ein Musterschreiben zur Orientierung beilegen.

2.2

Europäisches Übereinkommen über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland (Übereinkommen Nr. 100)

Das Europäische Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland verpflichtet die Vertragsstaaten, sich bei der Durchführung von Verwaltungsverfahren gegenseitig bei der Beibringung von Beweismitteln zu unterstützen. Das Übereinkommen wurde im Jahr 1978 zur Unterzeichnung aufgelegt; es ist 1983 in Kraft getreten. Vertragsparteien sind bisher Aserbaidschan, Belgien, Deutschland54, Italien, Luxemburg und Portugal. Die Schweiz hat das Übereinkommen am 15. März 1978 unterzeichnet.

Der Bundesrat hat im Elften Bericht vom 24. August 201655 über die Schweiz und die Konventionen des Europarates angekündigt, dass er der Bundesversammlung eine Botschaft über den Beitritt vorlegen will.

2.2.1

Geltungsbereich des Übereinkommens

Das Übereinkommen regelt die grenzüberschreitende Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen. Unter Amtshilfe wird die Zusammenarbeit auf Gesuch einer Amtsstelle in einer Verwaltungssache verstanden. Rechtshilfe meint die Zusammenarbeit auf Gesuch einer richterlichen Behörde im Rahmen eines Gerichtsverfahrens. Das Übereinkommen enthält keine Legaldefinition des Begriffs Verwaltungssachen. Ein Vertragsstaat kann den Anwendungsbereich mittels einer Erklärung ausdehnen oder einschränken. So kann er jederzeit erklären, dass er bezüglich der an ihn gerichteten Ersuchen das Übereinkommen auch in Steuersachen sowie auf Verfahren über Straftaten anwendet, deren Verfolgung und Bestrafung im Zeitpunkt des Ersuchens nicht in die Zuständigkeit seiner Gerichte fällt. Mit dem Ausdruck «Verfahren über Straftaten, deren Verfolgung und Bestrafung im Zeitpunkt des Ersuchens nicht in der Zuständigkeit seiner Gerichte fällt» sind Fälle des Verwaltungsstrafrechts gemeint. 56 Innert fünf Jahren nachdem das Übereinkommen für den betreffenden Vertragsstaat

53

54 55 56

Die Erklärung ist inspiriert von der vergleichbaren Regelung in Art. 16 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (SR 0.351.12).

Deutschland hat ein Gesetz zur Ausführung der beiden Übereinkommen erlassen (BGBl. 1981 I S. 665).

BBl 2016 7045, hier 7059 f.

Ziff. 13 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 100.

5965

BBl 2017

in Kraft getreten ist, kann er die Verwaltungssachen bezeichnen, für die er das Übereinkommen nicht als anwendbar erklärt.57 Jeder Vertragsstaat hat eine zentrale Behörde zu bezeichnen, die Beweisersuchen entgegennimmt und bearbeitet (Art. 2). Bundesstaaten können mehrere zentrale Behörden bezeichnen. Beispielsweise hat in Deutschland jedes Bundesland eine zentrale Behörde festgelegt. Darüber hinaus kann jeder Vertragsstaat andere, subsidiäre Behörden bezeichnen, deren örtliche Zuständigkeit festzulegen ist. Die ersuchende Behörde hat jedoch jederzeit das Recht, sich an die zentrale Behörde zu wenden.

Amtshilfeersuchen nach diesem Übereinkommen sind in einer Amtssprache des ersuchten Staates zu stellen; zulässig ist aber auch ein fremdsprachiges Ersuchen, dem die erforderliche Übersetzung beigegeben ist (Art. 9). Zudem ist ein Ersuchen dann entgegenzunehmen, wenn es in einer der Amtssprachen des Europarates ­ Französisch und Englisch ­ abgefasst ist (Art. 9 Abs. 2).

2.2.2

Formen der Amtshilfe

Das Übereinkommen regelt drei verschiedene Tatbestände: ­

Eine Behörde des ersuchenden Staates darf die Behörde eines Vertragsstaates um eine Auskunft über Rechts- und sonstige Vorschriften sowie über die einschlägige verwaltungsrechtliche und verwaltungsgerichtliche58 Praxis ersuchen (Art. 13). Die Antwort kann von erklärenden Kommentaren begleitet sein und die Form eines Berichts über die Anwendung im ersuchten Staat haben.

­

Behörden der Vertragsstaaten können einander um Auskünfte über Tatsachen ersuchen und um Abschriften oder um Auszüge von Verwaltungsschriftstücken bitten (Art. 14). Bei der Auskunftserteilung oder Informationsweitergabe sind die Rechte der betroffenen Personen zu respektieren.59

­

Die ersuchte Behörde hat dafür die erforderlichen Ermittlungen anzustellen, wobei nur Massnahmen verlangt werden dürfen, die das innerstaatliche Recht erlaubt und die ohne Ausübung von Zwang durchgeführt werden können (Art. 15). Unter Ermittlungen versteht das Übereinkommen beispielsweise den Augenschein von Örtlichkeiten, verwaltungsrechtliche Feststellungen oder Auskünfte über ein bestimmtes Verhalten.60

Die ersuchte Behörde kann sich ausdrücklich vorbehalten, dass die erteilten Auskünfte und übermittelten Informationen ausschliesslich zu jenen Zwecken verwendet werden, die im Ersuchen genannt worden sind (Art. 16 Abs. 1). Zudem steht es ihr 57

58 59 60

Italien und Deutschland erklären die Nichtanwendung des Übereinkommens auf Aussenwirtschaftsangelegenheiten (Warenverkehr, Dienstleistungsverkehr, Kapital- und Zahlungsverkehr) sowie Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze. Bei Fällen des Verwaltungsstrafrechts erklären diese Länder die Anwendung, machen aber einen Vorbehalt bei Nichtreziprozität.

Ziff. 44 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 100.

Ziff. 48 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 100.

Ziff. 49 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 100.

5966

BBl 2017

frei, die entsprechenden Antworten selber zu verfassen oder das Ersuchen der innerstaatlich sachlich zuständigen Behörde zur Beantwortung weiterzuleiten (Art. 17 Abs. 1)61; auch die externe Vergabe der Beantwortung ist grundsätzlich zulässig (Art. 17 Abs. 2).

Die Kosten für die Erledigung von Amtshilfeersuchen gehen grundsätzlich zulasten des ersuchten Staates (Art. 8). Allerdings darf er sich besondere Kosten rückerstatten lassen, die ihm dadurch entstanden sind, dass er für die Erledigung des Gesuches auf die Unterstützung von Sachverständigen angewiesen ist oder Übersetzungen anfertigen lassen muss (Art. 18).

2.2.3

Rechtshilfe in Verwaltungssachen

Das Übereinkommen unterscheidet systematisch zwischen Amtshilfe, die von Verwaltungsbehörden verlangt und geleistet wird, und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, die von Gerichten oder von Behörden ausgeht, die über gerichtliche Aufgaben und Befugnisse verfügen. Die Rechtshilfe besteht darin, dass der ersuchende Staat die zuständige Behörde des ersuchten Staates bitten kann, Erhebungen durchzuführen (Art. 19 Abs. 1). Als Erhebungen zählen die traditionellen verwaltungsrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Beweiserhebungsmassnahmen, wie Zeugeneinvernahme oder beeidete Aussagen.62 Wichtig ist allerdings, dass nur jene Erhebungen vorzunehmen sind, die das innerstaatliche Recht überhaupt erlaubt (Art. 19 Abs. 1); auch darf nur dann und nur so weit Zwang ausgeübt werden, als dies im innerstaatlichen Recht vorgesehen ist (Art. 20 Abs. 1).

Auch für die Rechtshilfe in Verwaltungssachen gilt die Regel, dass die Kosten grundsätzlich vom ersuchten Staat zu tragen sind, dass aber Kosten für den Einsatz von Sachverständigen, für die Übersetzung von Dokumenten oder für bestimmte Verfahrensformen vom ersuchenden Staat zurückzuerstatten sind (Art. 21).

2.2.4

Ablehnungsgründe

Von zentraler Bedeutung sind die Möglichkeiten, die es einem ersuchten Staat erlauben, ein ausländisches Ersuchen abzulehnen (Art. 7). Betrifft ein Ersuchen einen Gegenstand, der nicht als Verwaltungssache im Sinne des Übereinkommens ­ und der massgeblichen Erklärungen des Vertragsstaates ­ gelten kann, so darf die ersuchte Behörde es unter Angabe der Gründe ablehnen. Gleiches gilt für Ersuchen, deren Erledigung geeignet ist «die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen»63 des ersuchten Staates zu beeinträchtigen (Art. 7 Abs. 1 Bst. b). Abgelehnt werden dürfen vor allem aber auch jene Gesuche, 61 62 63

Das kann allenfalls auch eine kantonale Behörde sein, wenn ein Ersuchen kantonales Verwaltungsrecht beschlägt.

Ziff. 60 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 100.

Der Begriff der «wesentlichen Interessen» erfasst auch finanzielle oder wirtschaftliche Interessen des Vertragsstaates; Ziff. 32 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 100.

5967

BBl 2017

deren Erledigung die Grundrechte und wesentliche Interessen von Personen beeinträchtigen könnten, die vom Ersuchen betroffen sind (Art. 7 Abs. 1 Bst. c), sowie Gesuche, die mit dem innerstaatlichen Recht sonst wie nicht vereinbar sind (Art. 7 Abs. 1 Bst. d). Damit kann wirkungsvoll allfälligen Befürchtungen begegnet werden, dass Amtshilfeersuchen nach diesem Übereinkommen zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung von Privaten führen könnten. Es wird Aufgabe der zentralen Behörde sein, sorgfältig und gegebenenfalls in Rücksprache mit den sachlich zuständigen Behörden zu prüfen, ob ein Ablehnungsgrund vorliegt.

2.2.5

Nutzen einer Ratifikation durch die Schweiz

Trotz der geringen Zahl an Vertragsstaaten bringt die Ratifikation des Übereinkommens für die Verwaltungsbehörden von Bund und Kantonen, aber auch für Personen, die potenziell von Amts- oder Rechtshilfemassnahmen betroffen sein könnten, Vorteile. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere im Verhältnis zu den beiden Nachbarstaaten Deutschland und Italien die grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit vereinfacht und auf eine solide Grundlage gestellt werden kann.64 Allfällige Nachteile, wie sie teilweise in der Vernehmlassung befürchtet worden sind, können ohne Weiteres einerseits durch den Vorbehalt des schweizerischen Rechts vermieden werden, das bestimmt, welche Massnahmen überhaupt möglich sein könnten; andererseits erlauben die weitreichenden Ablehnungsgründe (Art. 7) die sachgerechte Erledigung einzelner Gesuche und eine optimale Berücksichtigung von öffentlichen und privaten Interessen, die der Erledigung von Ersuchen entgegenstehen könnten.

Wie oben dargestellt, ist es Aufgabe des Bundesamtes für Justiz als zentrale Behörde im Sinne des Übereinkommens, Beweiserhebungsersuchen aus den Vertragsstaaten entgegenzunehmen und vorzuprüfen. Liegt kein offensichtlicher Ablehnungsgrund vor, so wird das Bundesamt für Justiz das Ersuchen an die sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsbehörde des Bundes oder der Kantone zum Vollzug weiterleiten. Diese kann die Beweiserhebungsmassnahmen ergreifen, die ihr das schweizerische Recht ermöglicht. Die Erledigung des Ersuchens ­ d. h. die Übermittlung der erhobenen Beweise an die ersuchende ausländische Behörde ­ wird dann wieder vom Bundesamt für Justiz vorgenommen. Die Rolle des Bundesamtes für Justiz soll in der Organisationsverordnung vom 17. November 199965 für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement verankert werden.

64

65

Gemäss Auskunft der deutschen Behörden hat das Übereinkommen Nr. 100 in der Verwaltungspraxis zwar keine grosse Bedeutung erlangt, aber es hat den gelegentlichen Amtshilfeverkehr auf diesem Gebiet vereinfacht. Aus der Schweiz seien ­ so die Auskunft der deutschen Behörden ­ bisher keine Beweisaufnahmeersuchen bekannt.

SR 172.213.1

5968

BBl 2017

2.2.6

Erklärungen der Schweiz zum Übereinkommen

Die Schweiz soll nach Auffassung des Bundesrates von verschiedenen Optionen Gebrauch machen und entsprechende Erklärungen abgeben. Der Bundesrat schlägt vor, dass die Schweiz folgende Erklärungen abgibt:

66 67

68

­

Eine Erklärung zu Artikel 1 Absatz 2, wonach das Übereinkommen auf Verfahren über (Verwaltungs-)Straftaten Anwendung findet, deren Verfolgung und Bestrafung im Zeitpunkt des Ersuchens nicht in die Zuständigkeit eines Gerichtes fällt. Von dieser Ausdehnung ausgeschlossen sind Ersuchen auf den Gebieten des Steuerrechts und der Finanzmarktaufsicht.

­

Eine Erklärung gemäss Artikel 1 Absatz 3, wonach das Übereinkommen auf den Gebieten des Finanzmarktaufsichtsrechts und des Nachrichtendienstes keine Anwendung findet.

­

Eine Erklärung zu Artikel 2 Absatz 1, wonach das Bundesamt für Justiz die Rolle der zentralen Behörde übernimmt. Es ist indessen auch hier darauf hinzuweisen, dass anderweitig vereinbarte direkte Kontakte zwischen schweizerischen Fachbehörden mit ihren ausländischen Partnern ­ wie sie etwa die FINMA66 oder die Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) aufgebaut haben ­ weiterhin gepflegt werden dürfen, ohne dass das Bundesamt für Justiz eingeschaltet werden müsste.67 Sachbereichsspezifische staatsvertragliche Grundlagen, die sich auch zur Behördenzusammenarbeit äussern und direkte Kontakte erlauben, gehen dem Übereinkommen vor.68

­

Eine Erklärung gemäss Artikel 22, wonach die Schweiz die Durchführung von Erhebungen durch Diplomaten oder Konsularbeamte in der Schweiz nur unter der Voraussetzung zulässt, dass keine Zwangsmittel angewendet werden und dass die Erhebung ausschliesslich Angehörige von deren EntsendeDie Finanzmarktaufsicht ist gemäss der geplanten Erklärung der Schweiz vom Geltungsbereich des Übereinkommens ausgenommen.

Siehe Ziff. 19 des Erläuternden Berichts des Europarates zum Übereinkommen Nr. 100: «En effet, la Convention prévoit, à côté de cette voie principale ou normale de transmission, d'autres voies que l'on pourrait qualifier de subsidiaires et qui sont, dans l'ordre: la communication directe entre autorités, utilisable par le biais de l'article 12, ou l'exécution par la voie diplomatique ou consulaire des commissions rogatoires, prévue à l'article 22.» Gemäss Art. 12 des Übereinkommens gehen bestehende oder zukünftige Vereinbarungen, Absprachen und Übungen dem Abkommen vor. Dies ist beispielsweise auch für die Tätigkeitsgebiete von fedpol von Bedeutung: Der direkte Informationsaustausch der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) mit ausländischen Partnerinstitutionen beruht auf dem Geldwäschereigesetz vom 10. Okt. 1997 (SR 955.0) und erfolgt nach den Vorgaben der «Groupe d'action financière» (GAFI) und der «Egmont Group». Dieser Informationsaustausch wird vom Übereinkommen nicht erfasst.

So ist beispielsweise das UVEK gestützt auf die Art. 7 und 38 des Wasserrechtsgesetzes vom 22. Dez. 1916 (SR 721.80) zuständig, bei Gewässerstrecken, welche die Landesgrenzen berühren, die Nutzungsrechte zu begründen und die Wasserrechte zu verleihen.

Als Grundlage für die Verleihung wurden zwischen den betroffenen Staaten jeweils Staatsverträge abgeschlossen, welche die Nutzung der betroffenen Gewässerabschnitte sowie die Verwaltungszusammenarbeit im Grundsatz regeln (z. B. Abkommen vom 1. Aug. 2008 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über die Nutzbarmachung des Inn und seiner Zuflüsse im Grenzgebiet, SR 0.721.809.163.1).

5969

BBl 2017

staat oder eines Staates, den dieser vertritt, betrifft. 69 Betrifft die Erhebung Schweizerische Staatsangehörige oder Angehörige eines Drittstaates lässt die Schweiz ihre Durchführung nur zu, sofern keine Zwangsmittel angewendet werden und vorgängig eine Genehmigung der zentralen Behörde eingeholt wurde.

3

Erläuterungen zu den Umsetzungserlassen

3.1

Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968

Wie erwähnt soll der Beitritt zum Übereinkommen Nr. 94 die Zustellung von amtlichen Schriftstücken aus dem Ausland in die Schweiz und aus der Schweiz an Empfänger im Ausland vereinfachen. Dazu ist eine Änderung von Artikel 11b des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 196870 (VwVG) nötig: Sofern die ausländische Behörde die direkte Zustellung von amtlichen Schriftstücken erlaubt, ist die Bezeichnung eines Zustelldomizils entbehrlich.

Weiter soll der Bundesrat in einem neuen Absatz 3 ermächtigt werden, selbstständig völkerrechtliche Verträge über die Rechts- und Amtshilfe in Verwaltungssachen abzuschliessen. In solchen Verträgen können die sachbereichsspezifischen Modalitäten der Zustellung geregelt und die Zustellungswege verkürzt werden. Mit diesen Verträgen soll ein Beitrag zur Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit geleistet werden können, insbesondere auch mit Staaten, die nicht Vertragsparteien der Übereinkommen Nr. 94 und Nr. 100 sind.

3.2

Änderungen in drei immaterialgüterrechtlichen Erlassen

Im Bereich des Immaterialgüterrechts ist der Rechts- und Behördenverkehr stark internationalisiert. Wo die ausländische Behörde direkte Zustellungen erlaubt, besteht auch für die Schweiz kein Anlass, auf das bisher zwingende Erfordernis eines Zustellungsdomizils in der Schweiz zu beharren. Aus diesem Grund sollen die entsprechenden Bestimmungen im Markenschutzgesetz vom 28. August 199271, im Designgesetz vom 5. Oktober 200172 und im Patentgesetz vom 25. Juni 195473 angepasst werden. Dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) soll die Kompetenz verliehen werden, gegenüber der zuständigen ausländischen Stelle zu erklären, dass die direkte postalische Zustellung im Bereich des geistigen Eigentums hierzulande zulässig ist, sofern der Schweiz Gegenrecht gewährt wird. Von praktischer Bedeutung ist das namentlich im Verhältnis zur EU, wo künftig im gegenseitigen Einvernehmen eine direkte postalische Zustellung von Schriftstücken 69 70 71 72 73

Eine vergleichbare Erklärung haben Belgien, Italien und Deutschland abgegeben.

SR 172.021 SR 232.11 SR 232.12 SR 232.14

5970

BBl 2017

des IGE auf dem Gebiet der EU und umgekehrt von Schriftstücken des Europäischen Marken- und Designamts (EUIPO) auf dem Gebiet der Schweiz zulässig sein soll.

Aus redaktionellen Gründen muss zudem Artikel 19 des Designgesetzes angepasst werden: Neu wird die Abkürzung IGE bereits in Artikel 18 eingeführt, weshalb in Artikel 19 die Bezeichnung für das Institut für Geistiges Eigentum nicht mehr ausgeschrieben werden muss.

4

Auswirkungen der Übereinkommen und der Umsetzungserlasse

4.1

Auswirkungen auf den Bund

4.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Finanzielle Auswirkungen hat der Beitritt zu den beiden Übereinkommen insofern, als einerseits mit Vereinfachungen in den Verfahrensabläufen zu rechnen ist, die sich allerdings nicht quantifizieren lassen. Andererseits wird es dem Bundesamt für Justiz als zentraler Behörde im Sinne der beiden Übereinkommen obliegen, ausländische Ersuchen entgegenzunehmen, sie zu bearbeiten oder an weitere Fachbehörden weiterzuleiten sowie die Erledigungsakten zurückzusenden; dazu kommen in Einzelfällen förmliche Beweiserhebungen (mit allfälligen nachfolgenden Beschwerdeverfahren) und Kostenabrechnungen.

4.1.2

Personelle Auswirkungen

Als zentrale Behörde ist das Bundesamt für Justiz dafür verantwortlich, dass die ausländischen Ersuchen erledigt werden, weshalb die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung stehen müssen. Zwar kann die mit dem Inkrafttreten der Übereinkommen sicher eintretende Erhöhung der Anzahl Ersuchen nur schwer abgeschätzt werden, doch muss mindestens mit einer Verdreifachung des operativen Aufwands für Zustellungen und Beweiserhebungen gerechnet werden. Als neue Zentralstelle muss das Bundesamt für Justiz auch die nötigen Grundlagenarbeiten verrichten (u. a. das Zurverfügungstellen eines Rechtshilfeführers für Verwaltungssachen) und die Beratungstätigkeit gegenüber schweizerischen und ausländischen Behörden übernehmen.

Aufgrund der verbleibenden Unsicherheiten über den tatsächlichen Aufwand der neuen Aufgaben sollen vorerst zusätzlich 300 Stellenprozente für juristisches und nicht juristisches Personal beim Bundesamt für Justiz eingesetzt werden. Der Stellenbedarf soll spätestens im 1. Quartal 2021 erneut evaluiert werden. Dieser Mehrbedarf kann wie folgt begründet werden: ­

Dem Bundesamt für Justiz als der zentralen Behörde obliegt es Zustellungsersuchen der Behörden des Bundes und der Kantone an die ausländischen zentralen Behörden weiterzuleiten, sofern die Dokumente nicht direkt an die Empfänger zugestellt werden können. Mit der neuen Rechtsgrundlage wird ­ das entspricht den Erfahrungen auf dem Gebiet der Rechtshilfe in Zivil- und 5971

BBl 2017

Strafsachen ­ die Anzahl Zustellungsersuchen steigen. Gegenwärtig sind es rund 380 pro Jahr, die indessen ohne staatsvertragliche Verpflichtung und mit bestehendem Personal, das eigentlich für andere Aufgaben in der Rechtshilfe in Zivil- und Strafsachen eingesetzt ist, nebenbei erledigt werden. Das in den letzten Jahren manifest gewordene Bedürfnis diverser Schweizer Behörden, Zustellungsersuchen an das Ausland stellen zu können, ist ein Hauptgrund für die hier beantragte Ratifikation. Die neue staatsvertragliche Verpflichtung zur Zustellung und Beweiserhebung in Verwaltungssachen verändert die Rahmenbedingungen für die Erledigung der fraglichen Zustellungsersuchen. Insbesondere im Bereich der internationalen Rechtshilfe sind in den letzten Jahren im Bundesamt für Justiz laufend neue Aufgaben durch Inkrafttreten neuer bi- oder multilateraler Rechtsgrundlagen für die internationale Strafrechtszusammenarbeit angefallen, und infolgedessen sind die Fallzahlen in den wichtigsten Geschäftsarten stetig gestiegen. Diese Belastungszunahme konnte bislang nur noch sehr knapp mit den bestehenden Ressourcen aufgefangen werden, indem längere Behandlungsfristen hinzunehmen waren. Dieser Umstand steht jedoch klar im Widerspruch zum in der Rechtshilfe geltenden Beschleunigungsgebot 74, weshalb die zusätzlichen Aufgaben im Bereich der Verwaltungsrechtshilfe nicht mit bestehenden Personalressourcen im Bundesamt für Justiz bewältigt werden können.

74

­

Auch bisher vom EDA und den schweizerischen Missionen auf dem diplomatischen Weg zugestellte Dokumente werden neu über die zentrale Behörde abgewickelt werden. Selbst in Fällen, in denen die direkte postalische Zustellung zulässig wäre, wird ­ auch dies eine Erfahrung aus der Straf- und Zivilrechtshilfe ­ die zentrale Behörde Unterstützung leisten müssen, etwa bei Adress- oder Aufenthaltsnachforschungen. Hinzu kommt das Bedürfnis der schweizerischen Behörden nach Beratung, die von der zentralen Behörde zu leisten sein wird.

­

Die zentrale Behörde wird ausländische Zustellungsersuchen formell und inhaltlich vorprüfen müssen, wofür Rückfragen oder Aufforderungen zur Ergänzung oder Nachbesserung beim ersuchenden Staat nötig werden können. Ebenso ist mit Vorabklärungen wie Adressnachforschungen etwa bei Einwohnerkontrollen zu rechnen. Soll ein ausländisches Ersuchen abgelehnt werden, muss die zentrale Behörde dies ausreichend begründen. Auch hier ist mit zusätzlichen Beratungsaufgaben zu rechnen, beispielsweise gegenüber Personen in der Schweiz, die Dokumente aus dem Ausland direkt zugestellt erhalten.

­

Die gleichen Überlegungen gelten für die Aufgaben, die dem Bundesamt für Justiz als zentraler Behörden nach dem Beweiserhebungsübereinkommen erwachsen. Insbesondere die Vorprüfung ausländischer Ersuchen wird aufwendig sein: Handelt es sich um eine Verwaltungssache im Geltungsbereich des Übereinkommens? Sind die Voraussetzungen des Übereinkommens erArt. 17a des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG, SR 351.1).

5972

BBl 2017

füllt? Welche Schweizer Behörde ist für den Vollzug zuständig? Ebenso wird die Übermittlung der von der sachlich zuständigen Behörde erhobenen Beweismittel an die ersuchende ausländische Behörde zusätzlichen Aufwand generieren. Auch das mit der Erklärung zu Artikel 22 vorgesehene Genehmigungsverfahren wird für das Bundesamt für Justiz Zusatzaufwand verursachen.

4.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die beiden Übereinkommen erfassen auch das kantonale Verwaltungsrecht. Mit anderen Worten können auch die Kantone Zustellungen von eigenen Verwaltungsdokumenten an einen Empfänger in einem Vertragsstaat nach Massgabe der Regelungen im Übereinkommen Nr. 94 vornehmen, was zu Vereinfachungen führen sollte. Betreffen Beweiserhebungsersuchen einer Behörde eines Vertragsstaates kantonales Verwaltungsrecht oder ein kantonales Verwaltungsverfahren, so wird zwar das Ersuchen vom Bundesamt für Justiz als zentraler Behörde entgegengenommen, zur Ausführung aber den zuständigen kantonalen Stellen zugewiesen. Es ist mit keinem nennenswerten Aufwand für die Kantone zu rechnen.

5

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

5.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 27. Januar 201675 zur Legislaturplanung 2015­2019 noch im Bundesbeschluss vom 14. Juni 201676 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt. Wie in Ziffer 1 dargestellt, haben die verwaltungsinternen Arbeiten zum Vollzug der flankierenden Massnahmen dazu geführt, dieses Vorhaben nach Verabschiedung der Legislaturplanung an die Hand zu nehmen.

5.2

Verhältnis zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage hat keine direkten Bezüge zu Strategien des Bundesrates.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bun75 76

BBl 2016 1105.

BBl 2016 5183.

5973

BBl 2017

desversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199777, RVOG).

Eine solche Delegationsnorm liegt nicht vor, weshalb die Genehmigung der beiden Übereinkommen der Bundesversammlung obliegt.

Die Änderungen der Umsetzungserlasse stützen sich auf die für diese Bundesgesetze massgeblichen Kompetenzbestimmungen der BV.

6.2

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200278 sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Die beiden Übereinkommen regeln Fragen der Zustellungen und der Amtshilfe in Verwaltungssachen, die innerstaatlich auf Gesetzesstufe geregelt sind. Sie berühren die Rechtsstellung der von Zustellungen und Beweiserhebungsmassnahmen betroffenen Privaten und wirken sich auf deren Rechtsstellung in einem in- oder ausländischen Verwaltungs- oder Verwaltungsgerichtsverfahren aus. Zudem berühren sie auch die Zustellungen und Beweiserhebungsmassnahmen, welche die Kantone gestützt auf ihr kantonales Recht vom Ausland brauchen. Sie enthalten demnach wichtige rechtsetzende Bestimmungen.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags ist deshalb nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem fakultativen Referendum zu unterstellen.

Nach Artikel 141a BV können die Verfassungs- oder Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, der dem Referendum untersteht, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden. Die im Entwurf vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der beiden Übereinkommen. In einzelnen Sachgebieten sollen insbesondere die grenzüberschreitenden Zustellungswege in einer Art und Weise vereinfacht werden, wie sie vom Übereinkommen Nr. 94 vorgezeichnet sind. Zudem soll der Bundesrat die Kompetenz erhalten, bilaterale Verträge über die Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen selbstständig abzuschliessen. Die im Anhang zum Bundesbeschluss aufgeführten Gesetzesänderungen dienen daher der Umsetzung der beiden Übereinkommen und können deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.

77 78

SR 172.010 SR 171.10

5974

BBl 2017

6.3

Inkrafttreten

Die beiden Übereinkommen sehen identische Bestimmungen über das Inkrafttreten vor. Für die Schweiz werden sie am ersten Tag des Monats in Kraft treten, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunden folgt.79 Der Bundesrat wird die Ratifikationsurkunden nach Ablauf der Referendumsfrist oder nachdem der Bundesbeschluss in einer allfälligen Referendumsabstimmung angenommen worden ist, hinterlegen. Er erhält in Artikel 4 Absatz 2 des Bundesbeschlusses die Kompetenz, das Inkrafttreten der Änderung der Bundesgesetze zur Umsetzung der beiden Übereinkommen zu bestimmen.

79

Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens Nr. 94; Art. 23 Abs. 3 des Übereinkommens Nr. 100.

5975

BBl 2017

5976