94 #ST#

Aus den Verhandlungen der schweiz. Bundesversammlung...

(Vom

14., 15. und 16. Januar 1857.)

Die schweiz. Bundesversammlung, welche sich am 30. Dezember v. J.

auf unbestimmte Zeit vertagt hatte, nahm ihre Beratungen über die Nenenburgerfrage wieder aus. Herr Präsident Dr. A. E s c h e r eröffnete den N a t i o n a l r a t h mit folgender Anrede : ,,Es sind gerade 14 Tage .verstrichen, seit die Bundesversammlung ,,wegen der Nenenburger-Angelegenheit außerordentlich einberufen, ihre Ver,,tagung aus unbestimmte Zeit ausgesprochen hat. Es geschah dieß, nach,,dem Sie den Bundesrath beauftragt hatten, zum Zweke einer friedlichen ,,Ausgleichung der Neuenburgerfrage zu allen Mitteln Hand zu bieten, welche ,,mit der Ehre und Würde der Schweiz verträglich und welche die Aner,,kennung der Unabhängigkeit Neueuburgs von jedem äußern Verbande her,,beizuführen geeignet seien. Diesen Beschluß faßten Sie wohl mit um so ,,mehr Aussicht aus Erfolg, da Jhre Kommission ihn mit der Mittheilung ,,zu befürworten im Falle war, daß gemäß ihr vom Bundesrathe gemachten ,,Mittheilungen vermehrte Aussicht auf eine sriedliche nnd für die Schweiz ,,befriedigende Lösung des obwaltenden Konfliktes vorhanden seien, eine Mit,,theilung, au welche die Kommissiou die weitern Bemerkungen reihte, sie ,,zweifle nicht daran, daß der Bundesrath die damalige, nach ihrer Ansicht ,,günstige Situation zu benuzen wissen werde, um die Neuenburger-Angele,,genheit auf friedlichem Wege zu einem ersprießlichen Ziele zu führen.

,,Der Bundesrath hat mittlerweile die Erwartungen, welche ihm gegen,,über ausgesprochen worden find, in anerkennenswerther Weise zu rechtfer,,tigen sich bemüht. Eine diplomatische Sendung an den Hos eines benach,,barten Monarchen, dessen wohlwollende Gesinnungen für die Schweiz von ,,Unbefangenen nicht in Zweifel gezogen werden können, und der in dem ,,obwaltenden Konflikte ein sehr bedeutendes Gewicht in die Wagfchale zu ...legen sich in der Stellung befindet, .und anderweitige Schritte, welche ge,,than worden sind , um die Mitwirkung auch der übrigen unbetheiligten ,,Großmächte zu einer füx die Schweiz befriedigenden Erledigung der Neuen,,burger-Angelegenheit zu erlangen, haben Eröffnungen herbeigeführt, welche

,,dazu berechtigen, die allseitige Anerkennnng der gänzlichen Unabhängigkeit

,,Neuenburgs in sichere Aussicht zu nehmen, sobald der Prozeß, welcher ,,wegen des Neuenburgeraufstandes in Neuenburg angehoben werden mußte, ,,niedergeschlagen sein wird. Die Ueberzeugung, daß der schweizerische Buu,,desstaat nicht neben 21 Republiken ein preußisches Fürstenthum in sich ,,schließen kann und daß auch. um anderer Gründe willen eine Oberherr,,schaft Preußens über Neuenburg zu einer politischen Unmöglichkeit gewor"den ist, die Ueberzeugung also, daß Neuenbnrg nur schweizerisch sein und ,,bleiben kann, hat sich immer mehr verbreitet und befestigt, und ist, es darf ..dieß ohne Uebertreibung gesagt werden, zur Zeit eine ganz allgemeine ge-.

9^ ,,worden. Aber indem die öffentliche Meinung in der Hauptsache der Schweiz ,,zur Seite steht und indem Geneigtheit vorhanden ist, auch eine formelle ,,Erledigung .der Neuenburger-Angelegenheit auf eine in der Hauptsache den ,,Wünschen der Schweiz entsprechende Weise herbeizuführen , wird hinwieder ,,von der Schweiz erwartet, daß sie auch ihrerseits die Erreichung dieses Zieles ,,durch ein Entgegenkommen in einer Nebensache, durch die Niederschlagung des ,,wegen des Septemberaufstandes in Neuenburg angehobenen Prozesses erleich^ ,,tere. Die Schweiz hat sich von Anfang an hiezu bereit erklärt, falls ihr da,,gegeu die volle Sicherheit für die gänzliche Unabhängigkeit Neuenburgs ,,geboten werde. Jst mau somit über das anzustrebende Ziel einig, so ,,kann es sich nur noch um die Ausmittlung des zu jenem Ziele hinführen.^ ,,den besten W e g e s handeln. Dieser Weg darf gemäß der zur Zeit in ,,Folge der stattgehabten diplomatischen Verhandlungen obwaltenden Sachlage ,,als gefunden betrachtet werden. Die Eröffnungen, die Sie, meine Herren, ,,zu gewärtigen haben, werden Sie davon überzeugen und Jhnen überdieß ,,die beruhigende Gewähr dafür bieten, daß, wenn der Natur der Sache ,,nach bis jezt von einer direkten Verhandlung zwischen den bei dem obwäl,,tenden Konflikt unmittelbar betheiligten Staaten Umgang genommen werden ,,müsse, und wenn ferner nicht außer Acht gelassen wird, daß im diploma,,tischen Verkehr nicht dieselben Formen Geltung haben, welche bei dem Ab,,schlusse von Rechtsgeschäften im bürgerlichen Leben zur Anwendung kommen, ,,auch alle wünschbare Sicherheit für eine der Schweiz und ihren Jnteressen ,,entsprechende Erledigung der Neuenburger-Angelegenheit erzielt worden ist.

,,Mit dem Wunsche,^ daß derselbe Geist der Eintracht, der uns bis,,anhin in der ernste^ ^eit, in der wir lebeu, beseelt hat, auch fortan ,,unter uns walten möge, erkläre ich die vertagte außerordentliche Session ,,des Nationalrathes für wieder eröffnet.^ Jm S t ä n d e r a t h e fand die Eröffnung der Sesfion ohne Rede statt.

Die Botschaft des Bundesrathes in der Neue^burger- Angelegenheit, welche auf Seite 27 hievor sich findet, wurde sowol im National- als im Ständerath vorgelesen.

^ ^ Die Berichterstatter der in der Neuenburger - Angelegenheit niedergesezten Kommissionen des National^ und Ständerathes hielten diejenigen
Vorträge, wie sie auf Seite 49 und 56 hievor sieh finden. Die Anträge, welche sie stellten, lauten folgendermaßen : ,,Die B u n d e s v e r s a m m l u n g d e r s c h w e i z . E i d g e n o s s e n s c h a f t , ,,nach Anhörung des Berichtes des Bundesrathes über den gegen,,wärtigen Stand der Nenenburger^Angelegenheit, vom 13. Januar 1857^ ,,im Hinblike auf die sowohl der Abordnung des Bundesrathes an ,,S. M. den Kaiser der Franzosen, als auch dem Bundesrathe selbst in ..verschiedener Weife gemachten Mittheilungen und Eröffnungen, welche eine

^6 .,,beförderliche und abschließliche Erledigung der Neuenburger^Angelegenheit ^im Sinne gänzlicher Unabhängigkeit Neue.nburgs, nachdem vorher der wegen ......des Aufstandes in Neuenburg vom 2/3. Herbstmonat 18...^ angehobene .,,Prozeß niedergeschlagen worden, iu fichere Aussicht zu stellen geeignet find; ,,in der Absicht. auch von Seite der Schweiz. so weit es ohne Ge-

..fährdung der Unabhängigkeit aller ihrer Glieder und ohne Beeinträchtigung ,,ihrer Ehre geschehen kann , zur Aufrechthaltung des Frieden^ in Europa ^beizutragen ; ,,in Ausübung der Souveränetät der Eidgenossenschaft,

,, .^ schl i e ß t .

,,Axt. 1. Der Prozeß, welcher wegen des am 2,^3. Herbstmonat 1856 ^,im Kanton Neuenburg stattgehabten Aufstandes unterm 4. Herbstmonat .,,angehober. worden . ist, wird hiemit niedergeschlagen.

,,Art. 2. Die durch das Dekret der Anklage^ammer vom 15. Ehrist,,monat 1856 in Anklagezustand versezten Personen haben, so weit dieß ,,nicht bereits geschehen ist, das Gebiet der schweiz. Eidgenossenschaft auf ,,so lange zu verlassen, bis die Neuenburger-Angelegenheit ihre vollständige

,,Erledigung gefunden hat.

,,.^lrt. 3. Da.^ definitive Uebereinkommen in der Neuenburger^.Ange,,legenheit soll der Buudesversammlung zur Genehmigung vorgelegt werden.

,,Art. 4.

,,beauftragt.^

Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses

Das Resultat der Stimmgebung für anträge ist folgendes : im Nationalrath 9l

und g e g e n die Kommissional-

Annehmende und 4 Verwerfende;

,, Ständerathe 32 ,, ,, 3 (Ein Mitglied des Nationalrathes hat sich der Abstimmung enthalten.)

.

.

Herr B r i a t te, Präsident des Ständerathes, sprach am Schlusse der Session folg'ende^ Abschiedsworte : ,,Meine Herren Ständeräthe.

,,Bei den zahlreichen Sizungen des Ständerathes, welche ich zu prä,,sidiren die Ehre hatte, machte ich e.^ mix zur Regel, die Sessionen ohne ^Reden zu eröffnen und zu schließen. Wenn ich heute davon eine Ausnahme ,,mache, so findet sich der Grund dieser Abweichung in den gegenwärtigen ^außerordentlichen Umständen.

,,Meine Herren ! Sie haben den zweiten Akt des Dramas, das sich ...in unserer kleinen Schweiz, diesem so ruhigen un.d friedlichen Lande, ^das sich nie in die Angelegenheiten seiner Nachbarn mischen und nie ihre.

^Ruhe zu stören versucht, entrollt hat, beendigt, und einen fast einmüthi.-

^ ,,gen Beschluß gefaßt, der nach der ^age, in ^er wir uns befinden, uichi ,,anders erfolgen konnte. Meine Herren! Sie konnten die Anträge des ,,Bundesrathes weder verwerfen noch modifiziren; auf Verwerfung hat ,,auch Niemand angetragen, und Modifikationen hätten nach den Vorschlag ,,gen, welche dem Nationalrath sowol als Jhnen gemacht worden find, vou ,,Jhneu nicht angenommen werden können.

,,Wenn gleich Jhr heutiger Beschluß einstimmig gefaßt worden ist, ,,wie derjenige vom 30. Dezember, der einen so erhebenden Aufschwung ,,in die Bevölkerung gebracht hat, daß jedes Schweizerherz stolz darauf ,,ist und alle Sympathien für uns gewonnen wurden, so können Sie ,,sich nicht verhehlen^ daß der nämliche Enthusiasmus Jhnen heute nicht zu ...Theil werden wird. Derjenige Theil unsers Volkes, welcher T h a t e n ,,^erlangt, und der weder Zeit noch Mittel hat, die .Angelegenheit aus ,,den Akten kennen zu lernen, wie seine Repräsentanten, wird durch Jhre

,,Schlußuahme nicht befriedigt sein. Aber auch diese Unbefriedigtheit ist ,,zu ehren , weil sie von der Empfindlichkeit des Nationalgefühls herrührt..

,,Die Zukunft wird den Beweis leisten, daß Sie, meine Herren ! die

,,Sachlage richtig gewürdigt haben, und das Volk, welches vor Allem die ,,Unabhängigkeit Neuenburgs verlangt, wird, wenn dieselbe gewährleistet ,,ist, alsdann befriedigt sein. Sollte es anders kommen, und sollten die ,,Zusicherungen, welche Sie zu Jhrer Schlußnahme bewogen haben, sich ,,nicht verwirklichen, so könnten Sie alsdann die Angelegenheit nur in ge^ ,,schiktere Hände legen; allein Sie würden das Bewußtsein in fich tragen, ,,als Biedermänner gehandelt zu haben, deren Vertrauen mißbraucht wor^ ,,den ist, was jedoch nicht stattfinden wird.

,,Jch erkläre die dießmalige Sizung auf unbestimmte ^Zeit vertagt.^ Herr Präsident t)r. E s c h e r richtete ..n den Nationalrath folgendem Schlußwort : ,,Meine Herren^ ,,Unsere Tagesordnung ist erschöpft. ^ix können uns trennen mit dem ,,Bewußtsein, unsere Pflicht gewissenhaft erfüllt zu haben. Jndem wir durch ,,unsere Schlußnahme in der Neuenburger^Angelegenheit der Welt einen ,,neuen Beweis unserer Mäßiguug gegeben, haben wir zugleich auch, wenu ,,es dessen noch bedurft hätte, einen neuen Titel .auf die allseitige Aner,,kennuug der gänzlichen Unabhängigkeit Neuenburgs und somit unsers g..,,sammten schweizerischen Vaterlandes erworben. Die Erreichung dieses Zieles, ,,nach dem wir seit Jahren gerungen und von dem wir nicht lassen werden, ,,steht uns ^- wir dürfen nicht daran zweifeln -- in naher und sicherer ,,Aussicht. Die Art aber, wie wir das Ziel, das wir uns vorgestekt, ,,anstreben, kann nur dazu geeignet fein, die öffentliche Meinung, die uns ,,jezt schon in hohem Grade zugethan ist, noch günstiger für uns zu stimmen..

,,Die wahre Kraft eines Volkes offenbart sich nicht zum mindesten durch ,,die Mäßiguug, die es in seinem Auftreten an den Tag zu legen weiß..

,,Ein kleiner Staat aber vollends wird nur durch eine ruhige Haltung und Bundesblatt. Jahrg. IX. Bd. I.

12

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Aus den Verhandlungen der schweiz. Bundesversammlung.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1857

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

06

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.02.1857

Date Data Seite

94-97

Page Pagina Ref. No

10 002 124

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.