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Schweizerisches Bundesblatt.

IX. Iahrg. I.

Nr. 2.

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10. Januar 1857.

Proklamation des

schweizerischen Bundesrathes an das Schweizervolk.

G e t r e u e , l i e b e Eidgenossen!

Am Morgen des 3. Herbstmouats verflossenen Jahres wurde die Schweiz mitten aus dem Frieden durch die eben so unerwartete als auffallende Kunde überrascht, daß im Kanton Ne.tenburg ein realistischer Aufstand ausgebrochen sei. So unglaublich diese Nachricht schien, so war fie doch nichts desto weniger begründet.

Ein Haufe Königlichgesinnter bemächtigte sich bei nächtlicher Weile der Stadt und des Regierungsgebäudes in Neuenburg, woselbst die Regierung gefangen und in Proklamationen die Wiederherstellung des frühexen, seit bald .) Jahren beseitigten Zustandes verkündigt wurde.

Wie vorauszusehen war, hatte jedoch der Ausstand nicht die mindeste Ausficht auf bleibenden Erfolg. Nachdem fich die überwiegende Mehrheit der Bevölternng des Kantons Nenenbnrg von dem ersten Erstaunen gesammelt hatte, schaarten sich aus allen Theilen des Landes die Büxger um die republikanische Fahne, und bevor noch die Eidgenossenschaft einschreiten konnte , wurde das Truggebild des restaurirten Fürstentums Neuchatel und Valangin zerstört und der verfassungsmäßige Zustand wieder hergestellt.

Die Bundesverfammlung der Eidgenossenschaft, den hohen Werth dieser schönen That vollkommen würdigend, erklärte daher auch am 26. Herbstmonat, daß die Republikaner des Kantons Neuenburg nicht bloß um ihr .engeres Vaterland, sondern auch um die.gesammte Schweiz fich wohlverdient gemacht hätten. Der am 4. Herhstmonat über die Königlichgesinnten davongetragene Sieg wurde mit Milde und Mäßigung verfolgt.

Die große Masse der Gefangeneu wurde bald nach dem eingeleiteten Untersuche wieder frei gegeben und die in Haft behalteneu Führer des Ausstandes mit .aller Menschlichkeit behandelt.

Bundesblatt Jahra. IX. Bd. I.

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6 Bald wurden jedoch an die Schweiz Forderungen gestellt, welche auf nichts geringeres abzielten, als die gerichtliche Untersuchung und Ahndung des Geschehenen ohne weiters zu beseitigen. Es wurde, gleichsam als Anerkennung der Rechte des Königs .von Preußen auf Neuenbura^ die sofoxtige bedingungslose Freilassung aller Gefangenen verlangt.

Hieraus glaubten wir nicht eintreten zu können, ohne gleichzeitig auf die Hoheitsrechte der Eidgenossenschaft zu verzichten und ohne den Grundsaz auzuerkennen , daß es einer Partei gestattet sei , ungeahndet den Landfrieden ^ brechen und die von allen Kantonen der Schweiz gewährleistete Verfassung und gesezmäßige Ordnung im Kanton Neuenburg, so wie di... Verfassung^ des Bundes zu zerstören.

Um die eigentümlichen und verwikelten Verhältnisse , in welchen dex Kanton Neuenburg seit einer Reihe von Jahren gestanden hat, richtig.

auffassen und beurtheilen zu können, wird es nöthig sein, einen kurzen Blik auf die neuere Geschichte dieses Landes zu werfen.

Durch Vertrag vom 19. Mai 1815 wurde der Kanton Neuenbuxg.

als souveräner Staat, mit gleichen Rechten und Pflichten wie alle übrigen Kantone, der Eidgenossenschaft einverleibt. Dagegen blieben dem Könige von Preußen, der im Jahr 1707 zum Fürsten von Neuenburg gewählt worden war, gewisse Rechte auf diefes Land durch andere europäische Verträge vorbehalten. Das Unnatürliche diefer Doppelstellung trat sofort und nach allen Richtungen zu Tage, und mehr als einmal wurde der Versuch gemacht, den Kanton Neuenburg, dessen Eutwiklung durch jene Stellung stets verkümmert w a r , in ein richtigeres Verhältniß zu der Eidgenossenschaft zu bringen. Diefer Versuch hatte aber erst im Jahr 1848 den angestrebten Erfolg, indem damals das Volk, von dem Rechte der freien Selbstkonstituirung Gebrauch machend, sich eine republikanische Verfassung gab, welche ^von sämmtlichen Mitständeu ausdrüklich garantirt worden ist. Mehr als einmal war die Bundesbehörde bemüht, auf dem Wege gütlicher Unterhandlung mit S. M. dem Könige von Preußen sich aus einander zu sezen.

Diese Bemühungen scheiterten aber an dem Verlangen, daß vor Allem der ehevorige Zustand wieder hergestellt werden müßte, - eine Forderung, auf die wir, ohne den Kanton Neuenburg und die Grundsäze des neueu Bundes zu verläugnen, unmöglich eingehen konnten.

So war der Stand der
Dinge, als die Lösung des Knotens, die aus dem Wege der Minne nicht erzielt werden konnte, am 3. Herbstmouat durch Gewalt erfolgen sollte. So sehr man auch geneigt sein mochte, die Männer zu bedauern, welche durch falsch verstandenen Eiser und irrige Voraussezungen zu solcher Gewaltthat sieh hatten hinreißen lassen, so durfte man doch nicht ohne weiters in den Gang der gerichtlichen Verhandlungen eingreifen und durch unbedingte Loslassung der Aufständischen sür eine Partei gewissermaßen ein Vorrecht zum Ausruhr sanktioniren.

Wenn wir nun mit Rüksicht auf die Souveränetätsrechte der Eidgenossenfchaft. und des Kantons Neuenburg auf die Forderung unserer Gegenpartei nicht eintreten konnten, so erklärten wir doch auf der andern Seite

7 unsere volle uud ernstgemeinte Bereitwilligkeit, die Gefangenen srei zu geben, sofern gegenüber der Schweiz ebenfalls die Erfüllung einer Bedingung eingegangen würde. Wir erklärten nämlich , in die Freilassung der Ge^ sangenen einzugehen, sofern die Unabhängigkeit des Kantons Neuenbur^ von jedem auswärtigen Verbande anerkannt und damit ein Verhältniß aufgehoben werde, dessen Unhaltbarkeit immer mehr zu Tage getreten war.

Wir erklärten uns bereit, zu jeder Unterhandlung Hand zu bieten, welche geeignet sei, die Unabhängigkeit Neuenburgs zu erreichen. Um unsere Gegenpartei nicht im mindesten zu verlezen, erklärten wir ferner unsere Bereitwilligkeit zu den mildesten Formen, weßhalb wir auch keinen Anstand nahmen, auf die Verrnittlungsanträge anderer Mächte einzugehen. Der Gang aller dieser weitläufigen Unterhandlungen ist in unserer Botschaft au die Bundesversammlung genau uud einläßlich aus einander gesezt, und es wird . das Schweizervoik, so wie dereinst die unparteiische Geschichte uns das Zeugniß nicht versagen können , daß wir kein Mittel unversucht gelassen , um den Streit einem guten und friedlichen Ende entgegen zu führen.

Doch alle diese redlichen und wohlgemeinten Bemühungen scheiterten bis jezt an jener Forderung der vorgängigen und bedingungslosen Freilassung der Gefangenen, einer Forderung, welche wir, ohne die Schweiz zu demüthigen und. ihre Ehre zu beeinträchtigen, nicht einzugehen vermochten.

Als unsere Lage schwieriger wurde, als unser Gegner bereits Miene machte,. durch die Gewalt der Waffen sein Begehren durchzufezeu, da schien uns die Zeit gekommen, an die Vertreter der Nation Berufung einzulegen und von ihnen zu vernehmen, ob der Bundesrath im Sinne dieser Nation gehandelt habe oder nicht. Mit Einmuth hat hierauf die Bundesversammlung unterm 30. Ehristmonat abhin nachstehenden Beschluß gefaßte ,,1. Der Bundesrath wird zum Zweke einer friedlichen Ausgleichung ,,der Neuenburgerfrage in gleicher Weife wie bisauhin zu allen ,,Mitteln Hand bieten, welche mit der Ehre und Würde der Schweiz ,,verträglich, und welche die Anerkennung der Unabhängigkeit Neuen,,burgs von jedem auswärtigen Verbande herbeizuführen geeignet sind.

..2. Die vom Bundesrathe erlassenen militärischen Aufgebote und die ,,übrigen, von ihm getroffenen Sicherheitsmaßnahmen find ge,,nehmigt.

,,Er ist beauftragt,
alle weitern Anordnungen zu treffen, uru, ,,im Falle eine ehrenhafte friedliche Ausgleichung nicht erzielt würde, ,,zur Verteidigung des Vaterlandes auf das ä u ß e r s t e gerüstet ,,zu sein.

,,Für die dießsalls zu bestreitenden Ausgaben wird ihm ein ,,unbeschränkter Kredit eröffnet.

,,3. Der Bundesrath ist ermächtigt, die erforderlichen Geldanleihen für ,,Rechnung der Eidgenossenschaft aufzunehmen uud die Anleihens,,kontrakte definitiv abzuschließen.

,,4. Der Bundesrath ist beauftragt, diesen Beschluß den Kantonen und ,,dem Schweizervolke in angemessener Weise bekannt zu machen.^

8 Um auf alle Ereignisse gefaßt zu sein, wurde sodann am gleichen Tage der Oberbesehlshaber über sämmtliche Truppen in dex Person des Herrn General. Wilhelm Heinrich Du so u r bestellt, und dex eidg. Oberst He-r Bundesrath Friedrich F r e ^ - H e r o s e e zum Ehef des Generalstabs ernannt.

So stehen wir vielleicht am Vorabende wichtiger Ereignisse , an d^r Schwelle von tief eingehenden Prüfungen , die möglicherweise unserm Vater..

lande beschieden find. Zwar find noch nicht alle Hoffnungen auf eine gütliche Ausgleichung verschwunden; im Gegentheile sind wir noch jezt bemüht, auf Erhaltung des Friedens hinzuwirken, sobald nur ein Ausweg gesunden werden kann, auf dem jenes Ziel, der Ehre unbeschadet, zu erreichen ist.

Ja, wir geben in dieser heiligen Stunde vor dem Schweizervolk, vor der ganzen Welt, vor Gott die Versicherung, daß wir noch jezt zu Allem in guten Treuen mitwirken wollen , . was den Frieden sichern kann , und daß wir nur dann zum äußersten Mittel schreiten werden, wenn die dargebotene Hand zur Versöhnung rüksichtslos zurükgewiesen wird. Tritt aber, was Gott verhüten möge, dieser Fall wirklich ein, dann berufen wir uns auf dich , du treues, liebes, hochherziges Schweizervolk l Wir habe^. von unsern in Gott ruheuden Vorvätern ein freies und glükliches Vaterland als eine ^eilige Erbschaft erhalten; es liegt in unserer hohen Pflicht, dieses Erbe ungeschmälert und in ursprünglicher Reinheit unfern Enkeln zu überliefern.

Den großen Werth solcher Güter empfindet man am innigsten in den Tagen der Noth, in den Tagen, in denen jene Güter in Frage stehen. Es war unferm lieben Vaterlande vergönnt, eine lange Reihe von Jahren im Frieden und im ungestörten Glüke zu verleben ; so gebe es denu Gott, daß die Zeit der Prüfung uns nicht unvorbereitet finde, sondern daß wir uns .als ein Volk erweisen, das jener großen Wol.lthaten würdig war. Und ^ier dürfen wir mit hoher Freude es anerkennen^, daß das Schweizervolk bis jezt die Prüfung würdig bestanden hat. Es sind jene Tage wieder gekommen , welche die schönsten Glanzpunkte unserer erhabenen Geschichte bilden , Tage , wo Jeder mit gehobener Seele ausrufen mag . Gottlob, .daß auch ich ein Schweizer bin l Mit nie gesehener Einmütigkeit legen Regierungen wie Völkerschaften Alles nieder aus den heiligen Altax des Vaterlandes. Kein Opfer scheint zu groß,
kein Opsex ist zu schwer jezt, wo es gilt, die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft aufrecht zu erhalten und die geliebte heimathliche Erde vom Verderben zu erretten. Kein Alter,

kein Stand, kein Geschlecht will zurük bleiben; der Jüngling will die Gefahren des Mannes theilen , der Greis will der Jugend Vorbild sein ; Alles, Alles ist opferfreudig und opferbereit ; alle Parteien sind verstummt, alle inneru Zerwürfnisse schweigen ; die Blike Aller find nur auf das eine, .hehre, hochheilige Ziel gerichtet. ^Wohlan denn, halten wir fest an dem Glauben, daß die Tage der ehrwürdigen schweizerischen Eidgenossenschaft uoch nicht gezählt seien. Halten wir fest an dem Glauben, daß der Gott unserer Väter uns nicht verlassen werde , wenn wir ihm vertrauen. Halten wir fest an dem Glauben. daß der Allmächtige, welcher unser Vaterland mitten in Europa als eine Burg dex Freiheit hingestellt hat, diese Burg

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auch zu schüzen wissen werde. Halten wir fest an der Verheißung, daß der Allmächtige auch im Schwachen sich gewaltig exweisen, daß er aus dem jezigen Dunkel wider zum Licht uus führen werde.

Möge die allgemeine Begeisterung, die überströmende Hingebung, welche die ganze Nation ergriffen hat, uus eine gute Vorbedeutung sein. Mögen wir darin ein Psand erbliken, daß unsere Anstrengungen zur .Rettung uufers Vaterlandes von Gottes Segen gekrönt sein werden.

Eidgenössische Wehrmänner l Bereits waren wir im Falle, einen Theil unsers Heeres zum Schuze der bedrohten Gränzen zu den Waffen zu rufen, und die Aufgerufenen haben mit der größten Bereitwilligkeit dem Lande und seinen Behörden fich zur Verfügung gestellt. Noch weiß kein Mensch, ob nicht die entscheidende Stunde geschlagen hat, wo das Vaterland alle.

seine Söhne um das unentweihte Banner, um das weiße Kreuz im rothen Felde schäaren muß. Das aber wissen wir, daß alsdann das ganze^ Heer wie ein Mann dem Ruse des Vaterlandes folgen wird. Zieht dann hin, eidgenössische Wehrmänner l mit festem Gottvertrauen und freu-

digem Muthe 1 Zieht dann hin ; Gott sei mit Euch und sein Engel geleite

Euch l Haltet überall gute Mannszncht ; gehorchet willig Euern Führern.

und seid eingedenk, daß nur im Gehorsam die Bürgschaft für den Sieg zu finden ist. Seid menschlich , auch wenn Jhr dem Feinde gegenübersteht, und beobachtet überall und allezeit ein solches Betragen, wie es einem freien und christlichen Heere geziemt. Lasset Euch durch die Sorge um Euere Zukunft, oder um die Zukunft Euerer Familien in der Erfüllung Euerer Pflicht nicht irre oder ängstlich machen. Diese Sorge übernimmt das dankbare Vaterland ; es erblikt darin eine heilige Ehrenschuld, die es abzutragen unter keinen Umständen ermangeln wird.

Eidgenössische Wehrmänner ^ Das Vaterland, die Welt blikt auf Euch...

Jhr werdet die Hoffnungen, die sich an Euch knüpfen, zu erfüllen wissen ^ Jhr werdet es durch die That beweisen, daß Jhr würdig seid, die Söhne großer Väter zu heißen ; Jhr werdet unsere Geschichte durch ein schönes Blatt zu bereichern Euch bestreben.

S o s e i denn g e s e g n e t , e i d g e n ö s s i s c h e W e h r k r a f t .

S e i g e s e g n e t , t h e u r e s V a t e r l a n d ^ und m ö g e s t D u , w i e f e i t J a h r h u n d e r t e n , so n o c h auf J a h r h u n d e r t e der W oh u-

.plaz freier und glüklicher V ö l k e r s c h a f t e n sein.

T r e u e s , l i e b e s S c h w e i z e r v o l k : G o t t m i t dir.

B e r n , den 3. Jänner 1857.

JIn Namen des schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: ^. .^.ornerod.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß.

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