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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates und seine Wahl durch das Volk.

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(Vom 3. Mai 1940.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns hiermit, Ihnen über das Volksbegehren vom 29. Juli 1989 betreffend die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates und seine Wahl durch das Volk, sowie über die beiden Motionen Müller-Amriswil und Wettstein, beide vom 15. Dezember 1938, Bericht und Antrag zu unterbreiten.

Am 29. Juli 1939 reichte die sozialdemokratische Partei der Schweiz, gestützt auf Art. 121 der Bundesverfassung und das Bundesgesetz vom 27. Januar 1897 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Eevision der Bundesverfassung, ein Volksbegehren nachstehenden Inhalts ein : «Die Art. 95 und 96 der Bundesverfassung werden durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 95. Die oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft ist ein Bundesrat, der aus neun Mitgliedern besteht.

Die Mitglieder des Bundesrates werden von den stimmberechtigten Schweizerbürgern jeweils am Tage der Nationalratswahlen auf die Dauer von vier Jahren, mit Amtsantritt am folgenden 1. Januar, gewählt.

Wahlfähig ist jeder in den Nationalrat wählbare Schweizerbürger, der von mindestens 30 000 Stimmberechtigten unterschriftlich zur Wahl vorgeschlagen wird. Es darf jedoch aus keinem Kanton mehr als ein Bundesrat gewählt werden. Die Wahl .erfolgt in einem die ganze Schweiz umfassenden Wahlkreis.

Art. 96. Bei der Wahl des Bundesrates sind die politischen Richtungen und die Sprachgebiete der Schweiz angemessen zu berücksichtigen. Wenig-

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stens drei Mitglieder müssen den französisch, italienisch und romanisch sprechenden Teilen, wenigstens fünf den deutsch sprechenden Teilen der Schweiz angehören.

Ersatzwahlen sind, falls die Gesamterneuerung nicht innert sechs Monaten bevorsteht, unverzüglich durchzuführen.

Art. 96MB. Die Bundesgesetzgebung trifft die nähern Bestimmungen über die Ausführung der in Art. 95 und 96 -aufgestellten Grundsätze.» Wie wir im Bericht vom 18. September 1939 (Bundesbl. 1939, II, S. 866) feststellten, ist dieses Volksbegehren von 157 081 Unterschriften unterstützt worden und somit zustande gekommen. Mit Beschluss des Nationalrates vom 21. September 1939 und des Ständerates vom 5. Dezember 1939 haben Sie diesem Berichte zugestimmt und den Bundesrat beauftragt, über die Sache selbst Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen.

Schon vorher, am 15. Dezember 1938, waren in den beiden Bäten Motionen betreffend die Erweiterung der Mitgliederzahl des Bundesrates auf neun eingereicht worden. Im Nationalrat war es die Motion von Müller-Amriswil und 24 Mitunterzeichnern, die folgenden Wortlaut hat: «Der Bundesrat wird eingeladen, den eidgenössischen Bäten eine Vorlage zu unterbreiten auf Abänderung der Bundesverfassung, gemäss welcher die Zahl der Mitglieder des Bundesrates von sieben auf neun erhöht wird; der Abänderungsvorschlag ist so rechtzeitig vorzulegen, dass die Volksabstimmung über ihn vor Beginn der neuen Amtsperiode der eidgenössischen Räte und des Bundesrates vom Jahre 1939 stattfinden kann.» Am gleichen Tage war im Ständerat von Wettstein und 7 Mitunterzeichnern eine solche Motion mit folgendem Wortlaut eingereicht worden: «Der Bundesrat wird eingeladen, den eidgenössischen Eäten auf die Frühjahrssession 1939 Bericht und Antrag einzubringen über die Abänderung der Bundesverfassung im Sinne der Erhöhung der Zahl der Mitglieder des Bundesrates von sieben auf neun.» Beide Motionen wurden in Postulate umgewandelt und als solche in der Märzsession 1939 angenommen. Wir behandeln diese gleichzeitig mit dem Volksbegehren, da sie ja nicht nur den gleichen Gegenstand betreffen wie der erste Teil des Volksbegehrens, sondern mit ihm inhaltlich zum Teil übereinstimmen.

Die beiden Hauptfragen, die Erhöhung der Mitgliederzahl und die Volkswahl, sollen .getrennt erörtert werden. Obwohl sie in allen seit den neunziger
Jahren gemachten Anregungen immer Hand in Hand gegangen sind, besteht unter ihnen doch nicht ein so enger innerer Zusammenhang, dass sie nicht zweck mässigerweise gesondert behandelt werden könnten. Der erste Teil wird sich

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daher mit der Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates befassen. Im Zusammenhang damit wird für den Fall der Erhöhung der Mitgliederzahl auch zu prüfen sein, ob die Bestimmung, nach welcher aus keinem Kanton mehr als ein Bundesrat gewählt werden darf, zu streichen oder abzuändern ist, und ob gewisse Garantien zugunsten sprachlicher und politischer Minderheiten geschaffen werden sollen, wie das Volksbegehren sie fordert. In einem zweiten Teil soll die Wahl des Bundesrates durch das Volk besprochen werden.

Erster Teil.

Die Erhöhung der Mitgliederzahl.

A. Die grundsätzliche Frage.

I. Geschichtlicher Überblick.

Das Volksbegehren und die beiden Postulate verlangen übereinstimmend, dass die Zahl der Mitglieder des Bundesrates auf neun erhöht werde. In diesem Sinne sei Art. 95 BV abzuändern, welcher bestimmt: «Die oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft ist ein Bundesrat, welcher aus sieben Mitgliedern besteht.» Dieser Satz steht seit dem 12. September 1848, d.h. seitdem die Eidgenossenschaft als Bundesstaat besteht, unverändert, wenn auch nicht unangefochten, in der Bundesverfassung. Schon damals war man über die Mitgliederzahl durchaus nicht einig gewesen. Die Bevisionskommission hatte nämlich einen Bundesrat von fünf Mitgliedern vorgeschlagen, wohl in Anlehnung an die Verfassungsentwürfe aus den Jahren 1832 und 1888, wo ein Landammann und vier Bundesräte in Aussicht genommen worden waren.

Diese Entwürfe dürften ihrerseits an die helvetische Verfassung vom 12. April 1798 angeknüpft haben, welche ein Direktorium von fünf Mitgliedern geschaffen hatte mit vier, später sechs dem Direktorium unterstellten Ministern, während die zweite helvetische Verfassung vom 25. Mai 1802 einen Vollziehungsrat von nur drei Mitgliedern (bestehend aus dem Landammann und zwei Statthaltern) kannte, der fünf Staatssekretäre zu ernennen hatte. Entgegen dem Vorschlag der einstimmigen Kommission beschloss aber die Tagsatzung vom 15. Mai 1848 auf Antrag des Kantons Aargau, die Zahl der Bundesräte auf sieben zu erhöhen, dies namentlich, um auch kleineren Kantonen die Aussicht zu eröffnen, eine Vertretung im Bundesrat zu erhalten. Ein Antrag des Kantons Schwyz, noch weiter zu gehen und die Mitgliederzahl auf neun zu erhöhen, da man in der Schweiz nur ungern eine so grosse Macht in so wenig Händen vereinigt sähe, wurde abgelehnt.

An der Zahl sieben wurde in der Folge fast während eines halben Jahrhunderts nicht gerüttelt. Sogar bei den Verfassungsrevisionec der Jahre 1870--1872 und 1878/74 ist diese Frage nicht einmal diskutiert worden, so dass der Art. 83 der alten Verfassung unverändert als Art. 95 in die neue übernommen werden konnte. Schon vorher aber hatte der Wunsch der kleineren

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Kantone, ihre Aussichten auf eine Vertretung im Bundesrat zu verbessern, zu zwei andern Postulaten geführt. Das eine ist die Beschränkung der Wiederwählbarkeit der Bundesräte auf zwei Amtsdauern, die in verschiedenen Volkseingaben verlangt wurde, nachdem alle sieben Sitze immer wieder den grossen Kantonen überlassen worden waren, so dass Bundesrat Numa Droz von einer «Heptarchie» der grossen Kantone sprechen konnte. Diese Beschränkung wurde jedoch in der Volksabstimmung vom Jahre 1866 mit andern Verfassungsänderungenabgelehnt. Ebensowenig fanden die bei der Verfassungsrevision vom Jahre 1870 gemachten Anregungen dieser Art Anklang. Das andere Postulat ist der Antrag des Genfers Carteret im Nationalrat, dass nicht zwei Bürger des gleichen Kantons unmittelbar nacheinander in den Bundesrat gewählt werden dürfen. Auch dieser Antrag wurde bei der Bevision des Jahres 1874 nicht berücksichtigt. Aber schon im Jahre 1875 wurden zwei Vertreter aus andern Kantonen gewählt (Landammann Heer von Glarus und Minister Hammer von Solothurn), worauf diese Klagen von selbst verstummten.

Erst die vom Nationalrat am 23. Juni 1892 angenommene Motion, welche die Ausarbeitung einer Vorlage, «über die bei der stets steigenden Geschäftsvermehrung nötig werdenden Eeformen in der Bundesverwaltung» verlangte, gab dem Bundesrat Veranlassung, die Frage einer Änderung der Mitgliederzahl zu prüfen. In der berühmt gewordenen, von Bundesrat Schenk ausgearbeiteten Botschaft vom 4. Juni 1894 betreffend Organisation und Geschäftsgang des Bundesrates wurde sie einlässlich diskutiert mit dem Ergebnis, dass an der Zahl sieben festgehalten werden soll. Von der Erweiterung befürchtete man namentlich eine Lockerung des innern Zusammenhaltes (Bundesbl. 1894, II, S. 787 ff.). Die Bundesversammlung folgte im wesentlichen den Anträgen des Bundesrates. So blieb es also beim alten. Indessen ist diese Frage seither doch nie mehr recht zur Buhe gekommen. Schon im Jahre 1899 kam die sogenannte Doppelinitiative zustande, indem gleichzeitig mit einer auf die Proportionalwahl des Nationalrates gerichteten Initiative ein zweites Volksbegehren eingereicht wurde, das (mit 56 031 Unterschriften), ähnlich dem vorliegenden, die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates auf neun und die Wahl des Bundesrates durch das Volk verlangte (Bundesbl. 1899, IV,
S. 741 ff.).

Massgebend für das Begehren um Erweiterung des Bundesrates waren wohl vorwiegend die parteipolitischen Gesichtspunkte der Minderheitenvertretung.

Die Bundesversammlung empfahl jedoch durch Bundesbeschluss vom 21. Juni 1900 Verwerfung in beiden Punkten (Bundesbl. 1900, III, S. 670 f.). In der Volksabstimmung vom 4. November 1900 wurde das Volksbegehren denn auch (mit 270 522 gegen 145 926 Stimmen und mit 14 gegen 8 Ständestimmen) verworfen (Bundesbl. 1900, IV, S. 775).

Einige Jahre später erörterte der Bundesrat diese Frage neuerdings in seiner Botschaft vom 2. Juli 1909 über die Eeorganisation des Politischen Departements (Bundesbl. 1909, IV, S. 289 ff.) und sodann in der Botschaft vom 9. Juli 1912 betreffend die Beorganisation der Bundesverwaltung (Bundesbl.

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1912, IV, S. 61 ff.). Beide Male gelangte er, unter Berufung auf seine Botschaft vom Jahre 1894, dazu, die Erweiterung des Bundesrates abzulehnen. Veranlasst durch einen Antrag der Kommission des Nationalrates (Bundesbl. 1913, II, S.3) prüfte der Bundesrat diese Frage erneut in seiner Botschaft vom 13. März 1913 betreffend die Organisation der Bundesverwaltung (Bundesbl. 1913, II, S. l ff.) im Zusammenhang mit der Frage, ob nicht das System der wechselnden Leitung des Politischen Departements, zu dem man 1894 zurückgekommen war, wieder (zugunsten des sogenannten System Droz) zu verlassen, und ob nicht ein Präsidialdepartement zu schaffen sei. Er sprach sich darin jedoch wiederum gegen eine Erhöhung aus. Eichtiger als eine solche sei es, dem Bundesrat den massenhaften Kleinkram abzunehmen und die Kompetenzen nach unten zu delegieren. In diesem Sinne machte der Bundesrat positive Vorschläge, die dann auch zum grossen Teil realisiert worden sind (BG vom 26. März 1914 über die Organisation der Bundesverwaltung). Die Anträge der Kommissionsminderheiten, welche eine Erhöhung auf neun Mitglieder verlangten, wurden jedoch im Sommer 1913 vom Nationalrat und im Herbst darauf vom Ständerat abgelehnt.

Unterdessen war aber im Juni 1913 der inzwischen verstorbene Bundesrat Perrier durch Calonder ersetzt worden, so dass die Westschweiz nur noch durch Bundesrat Decoppet vertreten war. Im Herbst 1913 reichten daher Kichard und zwei Mitunterzeichner im Ständerat eine Motion ein, die eine Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates auf neun forderte. Sie gelangte aber infolge Ausbruch des Weltkrieges nicht zur Behandlung und wurde abgeschrieben.

Die gleiche Frage wurde 1916 im Nationalrat von Micheli und 48 Mitunterzeichnern durch eine neue Motion wieder aufgenommen, die einstimmig erheblich erklärt wurde.

Durch Botschaft vom 6. August 1917 (Bundesbl. 1917, III, S. 643 ff.)

gab ihr der Bundesrat Folge und beantragte, nachdem er früher konsequent einen ablehnenden Standpunkt eingenommen hatte, zum erstenmal die Erhöhung der Mitgliederzahl auf neun. Zur Begründung machte er geltend, dass namentlich politische Erwägungen eine Erhöhung notwendig erscheinen lassen.

Sie wäre aber auch in administrativer Hinsicht sehr vorteilhaft. Der Ständerat, der die Priorität hatte, trat auf die Vorlage ein und nahm sie in der
Schlussabstimmung (mit 21 gegen 8 Stimmen) an, jedoch mit der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Ergänzung, dass mindestens fünf Mitglieder des Bundesrates anwesend sein müssen, um gültig verhandeln zu können. Die Aufnahme einer Bestimmung zugunsten der Minderheiten lehnte er jedoch ab.

Als der Nationalrat im März 1918 sich mit der Vorlage befasste, hatte sich die politische Lage schon wesentlich verändert, da die Westschweiz inzwischen einen zweiten Vertreter erhalten hatte, so dass die romanische Schweiz nunmehr .mit vier Mitgliedern vertreten war. Infolgedessen war das Interesse an der Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates erheblich gemindert. Die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission beantragte zwar, auf die Vorlage einzutreten.

609 Der Eat folgte aber (mit 72 gegen 53 Stimmen) dem Antrag der katholischkonservativen Minderheit und trat auf die Vorlage nicht ein, nachdem die Fraktionen der freisinnigen und der katholisch-konservativen Partei sich dahin ausgesprochen hatten, dass die Beform nicht mehr dringlich sei, während die sozialdemokratische Partei erklärt hatte, sich der Stimme enthalten zu wollen.

Der Ständerat, an den die Vorlage zurückkam, beschloss dann in der Frühjahrssession 1919, dem Beschluss des Nationalrats zuzustimmen, womit die Vorlage endgültig abgelehnt war.

Hierauf ruhte diese Frage wieder während beinahe zwanzig Jahren. Dann gab die Tatsache, dass der Anspruch der sozialdemokratischen Partei bei der Wahl vom 15. Dezember 1938 nicht berücksichtigt wurde, dieser die äusserliche Veranlassung zur Einleitung des Volksbegehrens vom 29. Juli 1939, das nun Gegenstand dieser Botschaft ist. In diesem werden in ähnlicher Weise wie seinerzeit im Volksbegehren vom Jahre 1899 zwei Forderungen aufgestellt: erstens Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates auf neun, wobei die politischen Eichtungen und die Sprachgebiete angemessen berücksichtigt werden, insbesondere aber wenigstens drei Mitglieder den französisch, italienisch und romanisch sprechenden Teilen und wenigstens fünf den deutsch sprechenden Teilen der Schweiz angehören sollen. Zweitens wird die Volkswahl verlangt.

Dabei soll die ganze Schweiz einen einzigen Wahlkreis bilden, und das Vorschlagsrecht soll von mindestens 30 000 Stimmberechtigten ausgeübt werden können. In teilweiser Übereinstimmung mit diesem Volksbegehren wird in den mehrfach erwähnten Motionen, die nun zu Postulaten umgewandelt sind, die Erhöhung der Mitgliederzahl auf neun gewünscht. Auch diese stehen, wie ihr Datum zeigt, mit der Bundesratswahl vom 15. Dezember 1938 im Zusammenhang. Nicht zur Behandlung gelangt sind zwei frühere Motionen, diejenige von Nationalrat Huber-St. Gallen vom 11. Dezember 1919, welche die Erhöhung der Mitgliederzahl und die Volkswahl des Bundesrates nach Proporz verlangt hatte, sowie die auf Erhöhung der Mitgliederzahl gerichtete Motion von Nationalrat Eeinhard vom 3. April 1935.

Das ist der äussere Entwicklungsgang dieser Frage seit der Errichtung des Bundesstaates.

u. Gründe für die Erhöhung der Mitgliederzahl.

1. Das Volksbegehren fordert die Erhöhung
der Mitgliederzahl vor allem aus politischen Erwägungen. Es besteht kein Zweifel darüber, dass dieses Begehren im Zusammenhang steht mit Ersatzwahlen der letzten Jahre, bei welchen der sozialdemokratische Anspruch nicht berücksichtigt worden war, und dass die Erweiterung des Bundesrates dieser Partei den Eintritt in den Bundesrat ermöglichen soll, ohne an der bisherigen Vertretung der Parteien etwas ändern zu müssen. Die beiden Postulate scheinen ähnlichen Erwägungen zu folgen. Daneben verlangt die Initiative die Aufnahme einer Bestimmung, wonach wenigstens drei Mitglieder den französisch, italienisch und romanisch

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sprechenden Teilen und wenigstens fünf den deutsch sprechenden Teilen der Schweiz angehören müssen.

a. Was zunächst die Berücksichtigung der Sprachgebiete betrifft, so ist diese grundsätzlich allgemein anerkannt.. In unserem Bundesstaate, der sich aus Angehörigen mehrerer Sprachstämme und Kulturen zusammensetzt und der seine ideelle internationale Mission in dem Nachweis erblickt, dass mehrere Volksstämme verschiedener Sprache und Kultur und von ungleicher zahlenmässiger Stärke frei und friedlich in einem Staate zusammenleben und einträchtig für das gemeinsame Ziel, für Eecht, Freiheit und Kultur, zusammenarbeiten können, ist dieser Grundsatz nicht nur ein Gebot der Selbsterhaltung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Er ist auch von jeher anerkannt worden, obschon seine Durchführung nicht immer leicht war. So war die Westschweiz im Bundesrate stets durch zwei Mitglieder vertreten, mit Ausnahme der Jahre 1848--1874 (als Franscini und Pioda im Bundesrat waren), 1875--1881 (Ersetzung von Ceresole durch Hammer), 1913--1917 (Ersetzung Perriers durch Calonder) und seit 1984 (Ersetzung Musys durch Etter), wo sie nur einen Vertreter hatte.

Ausserdem befand sich in den Jahren 1848--1864 und seit 1911 ein Tessiner und von 1913--1919 ein Eomanischbündner im Bundesrat. Die romanische Schweiz in ihrer Gesamtheit war somit vertreten: mit einem Mitglied in den Jahren 1875--1881, mit zwei Mitgliedern in den Jahren 1848--1875, 1881 bis 1911 und seit 1934, mit drei Mitgliedern von 1911--1917 und von 1919--1934 und mit vier Mitgliedern von 1917--1919. Schon dieser Überblick zeigt nicht nur das redliche Bestreben, den Minderheiten gerecht zu werden (die mit 28 % der Bevölkerung vorübergehend über die Mehrheit im Bundesrat, d. h. über genau 57 %, verfügten), sondern auch die Schwierigkeit der Durchführung, die sich in den grossen Schwankungen (zwischen einem und vier Vertretern) ausdrückt, die ein Element der Unsicherheit geworden sind und immer wieder Unzufriedenheiten auf der einen oder andern Seite ausgelöst haben.

Proportional würden, rein arithmetisch betrachtet, von sieben Sitzen auf die deutsche Schweiz fünf entfallen und auf die romanische zwei. Nun hat aber die Erfahrung der letzten Jahrzehnte gelehrt, dass es, vom Standpunkt einer höhern Staatsraison aus gesehen, richtiger ist, den sprachlichen Minderheiten
nicht nur zwei, sondern drei Sitze zu überlassen, so dass auch die italienisch sprechende Bevölkerung einen ständigen Vertreter erhielte und die Westschweiz deren zwei, womit die unliebsamen Schwankungen aufhören würden.

Bei sieben Bundesräten war dies aber nicht immer möglich, ohne dass die der deutschsprachigen Bevölkerung verbleibende Vertretung von vier Mitgliedern gelegentlich als Zurücksetzung empfunden wurde, wie eine Motion Legier gezeigt hat. Sind statt dessen neun Sitze zu verteilen, so kann den Wünschen der sprachlichen Minderheiten entsprochen werden, ohne der deutschsprechenden Bevölkerung ein zu grosses Opfer zuzumuten. Vom Standpunkt der Berücksichtigung der sprachlichen Minderheiten wäre somit die Erhöhung der Mitgliederzahl erwünscht.

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b. Dazu kommt die Vertretung der politischen Eichtungen, für welche das Volksbegehren eine ausdrückliche Garantie in die Verfassung aufnehmen möchte, wie dies schon in den Jahren 1913 und 1917 von Kommissionsminderheiten beantragt worden ist. Der Grundsatz der Einheitsregierung, wonach die Mehrheitspartei alle Eegierungsmitglieder stellt und die Verantwortung allein übernimmt, der in den ersten Jahrzehnten unseres Bundesstaates durch die Verhältnisse gegeben war, ist erstmals im Jahre 1891 durch die Aufnahme eines katholisch-konservativen Vertreters durchbrochen worden. Von da an war diese Partei bis zum Jahre 1919 durch ein Mitglied, seither aber (Ersetzung Decoppets durch Musy) durch zwei Mitglieder vertreten. Von 1917--1919 gehörte auch ein liberal-demokratischer Vertreter (Gustave Ador) dem Bundesrate an. Seit dem Jahre 1980 hat ferner die Bürger- und Bauernpartei einen Vertreter, während die sozial-demokratische Partei in den letzten Jahren mehrnîals ohne Erfolg auf eine Vertretung Anspruch erhoben hat. Dass diese Partei, zahlenmässig betrachtet, genügend ausgewiesen wäre, um Anspruch auf eine Vertretung im Bundesrate zu erheben, ist unbestritten.

Heute steht man«nun vor der grundsätzlichen Frage, ob man den beschrittenen Weg weiter gehen und die Vertretung der politischen Parteien in der Regierung weiter ausbauen will. Bejaht man sie, so ist dies, wie noch zu zeigen sein wird, ein weiterer, wenn auch nicht entscheidender Grund für die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates. Nicht nur beim Bund, sondern auch in den Kantonen ist man in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr dazu übergegangen, Minderheitsparteien zur Vertretung in der Eegierung zuzulassen.

In einzelnen Kantonen (z. B. Aargau, Luzern und Bern) ist dieser Grundsatz sogar in der Verfassung verankert.

Dass es schwierig ist, allen diesen Wünschen zu entsprechen, solange man nur über sieben Sitze verfügen kann, hat sich bei den Bundesratswahlen der letzten Jahre gezeigt, welche die Initiative mit dem Begehren der Erweiterung auf neun Mitglieder auf den Plan gerufen haben. Und zwar handelt es sich nicht nur um Fragen der Opportunität, sondern um solche grundsätzlicher Art, weil die verschiedenen Arten von Bindungen, die aus höheren Interessen nötig erscheinen (nach sprachlich-kulturellen, politischen, regionalen Gesichtspunkten,
wozu auch die traditionellen Ansprüche der drei grössten Kantone kommen), bei bloss sieben zu vergebenden Sitzen für einen andern äusserst wichtigen Faktor nicht genügend Baum lassen würden, nämlich für die persönliche Qualifikation des Kandidaten zum Amt. Das Format der Staatsmänner, die künftig unsern Staat zu leiten haben werden, darf aber darunter auf keinen Fall Schaden leiden. Über allen Eücksichten, die durchaus berechtigt sind, darf doch die Tüchtigkeit und die persönliche Eignung zum Amte nicht vergessen werden.

So spricht also die Berücksichtigung der Minderheiten für die Erweiterung des Bundesrates auf neun Mitglieder. Ebenso die Tatsache, dass bei einem siebenköpfigen Bundesrat die Mehrheit seiner Mitglieder stets von den Kantonen Bern, Zürich, Waadt und Tessin gestellt würde, wenn man die tradi-

612 tionelle Vertretung der drei grössten Kantone und eine ständige Vertretung der italienisch sprechenden Bevölkerung anerkennen will.

2. Neben den politischen Argumenten werden aber auch schwerwiegende administrative G r ü n d e geltend gemacht. Der bei weitem wichtigste unter ihnen ist die Entlastung des Gesamtbundesrates und der einzelnen Bundesräte, um ihnen die Möglichkeit zu geben, den grossen Fragen der Staatsleitung mehr Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken und die Geschäfte ihres eigenen Departements besser zu überblicken und zu kontrollieren. Diese Seite der Frage ist in der Botschaft vom Jahre 1894 geradezu als der Kern der Eeorganisation des Bundesrates betrachtet worden und wird auch heute noch von vielen Befürwortern der Erweiterung des Bundesrates in den Vordergrund gestellt.

a. Als die Tagsatzung im Jahre 1848 sich nicht mit den von ihrer Kommission vorgeschlagenen fünf Bundesräten begnügte, sondern die Mitgliederzahl auf sieben festsetzte, sprach u. a. auch die Erwägung mit, dass sieben Mitglieder eher in der Lage sein werden, die zu erwartende Geschäftslast zu bewältigen.

Die Erfahrung zeigte dann bald, dass diese Geschäfte einen viel grösseren Umfang annahmen als man erwartet hatte. Schon im Jahre 1894 schrieb der Bundesrat in seiner Botschaft (Bundesbl. 1894II783) : «Um von der gewaltigen Vermehrung der Geschäfte der Bundesverwaltung ein anschauliches Bild zu bekommen, genügt es, einen vergleichenden Blick zu werfen auf die Verwaltungsberichte aus den früheren und den jüngsten Perioden, auf die Budgets in Eubriken und Summen, auf die eidgenössischen Staatskalender, auf Zahl und Umfang der früher und jetzt für die Bundesadministration in Anspruch genommenen Lokalitäten, auf die Begistraturen der Departemente, auf die Menge der in den verschiedenen Perioden an das Archiv abgegebenen Akten, auf die Traktandenlisten der eidgenössischen Kate.» Das gilt auch heute noch.

Nur ist zu beachten, dass seit jener Botschaft wiederum eine genau gleich grosse Spanne Zeit verflossen ist, und dass die Ausdehnung der Geschäfte bis auf den heutigen Tag zugenommen hat, seit dem Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 sogar in erheblich verstärktem Masse. Einen allgemeinen Eindruck dieser Entwicklung vermitteln die folgenden Zahlen: Jahrgang

1849 1870 1900 1913 1920 . 1930 1938

Ordentliche Ausgaben in Millionen Fr.

2,8 18,2 60,2 105,8 276,9 426,4 578,0

Personalbestand in der Zentralverwaltung

im ganzen

80 807

3079 8874 19877 66756 74373 65590 62950

2883 4992 4625 6427

613 Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass die Aufgaben der Bundesverwaltung sich seit der Schaffung des Bundesstaates vervielfacht haben. Hand in Hand mit dieser Entwicklung ging daher das Bestreben, durch Delegation von Kompetenzen nach unten dafür zu sorgen, dass das Arbeitspensum des Bundesrates ein erträgliches Mass nicht überschreite. Obschon dies zu einem guten Teil gelungen ist, kann doch nicht bestritten werden, dass die Mitglieder des Bundesrates heute zum Teil mit Arbeit überlastet sind. Selbst für normale Zeiten dürfte sich bei einzelnen Departementen eine Entlastung als notwendig erweisen.

b. Von dieser Notwendigkeit einer Erleichterung ist denn auch jedermann, der die Verhältnisse kennt, überzeugt. Nur über die hiefür einzuschlagenden Wege gehen die Ansichten gelegentlich auseinander. Eine Erleichterung grundsätzlicher Art, welche der gesamten Bundesverwaltung zugute kommt, insbesondere aber dem Gesämtbundesrat und seinen Mitgliedern, ist in den letzten Jahrzehnten versucht und zum Teil auch erreicht worden durch eine s t r a f f e r e D u r c h f ü h r u n g des Prinzips der Gewaltentrennung. In Frage kommt hier eine Ausscheidung jurisdiktioneller oder gesetzgeberischer Aufgaben und Zuteilung an die hiefür geschaffenen Organe. In diesem Sinne wurde seit den neunziger Jahren eine Eeihe von Kompetenzen, die mit der Eechtsprechung zusammenhängen, vom Bundesrat auf das Bundesgericht übertragen.

Viel wirksamer wäre die Befreiung der Bundesverwaltung von den Aufgaben gesetzgeberischer Natur, wie sie gelegentlich vorgeschlagen worden ist.

Ein grosser Teil der Zeit und der Arbeitskraft des Gesamtbundesrates, seiner Mitglieder und der Abteilungschefs wird nämlich verbraucht für die Vorbereitung von Verfassungsänderungen, Gesetzen und Bundesbeschlüssen bis zu ihrer Vertretung im Parlament oder gar vor dem Volke. Indessen kann, wie schon in.der Botschaft vom Jahre 1894 (S. 20 ff.) dargetan worden ist, keine Bede davon sein, dass dem Bundesrat diese Arbeit abgenommen werden könnte, indem etwa nach amerikanischem Muster auch der vorbereitende Teil der Gesetzgebung der Verwaltung ganz entzogen würde. Dagegen wäre es möglich -- und die Verhältnisse drängen auch bei uns in dieser Richtung --, der Regierung auch für normale Zeiten mehr Kompetenzen einzuräumen, da jede Überdimensionierung des
Parlamentarismus mit der Zeit ungesund und sogar gefährlich werden kann.

c. Statt dieser Art der Entlastung, die man als absolute bezeichnen kann, weil sie das Arbeitspensum der Bundesverwaltung im ganzen vermindert, ist auch eine solche denkbar, die lediglich die Aufgaben anders verteilt. Hier stellt sich die Frage einer Delegation von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten nach unten,.und zwar sowohl beim Gesamtbundesrat wie bei den einzelnen Departementsvorstehern.

aa. Die Ü b e r l a s t u n g des Kollegiums hat ihre Ursache im wesentlichen im Regierungssystem selbst, das man als das schweizerische bezeichnen kann. Die Exekutive ist nämlich im Bund nach dem herkömmlichen Muster einer kan-

614 tonalen Eegierung als Kollegialbehörde organisiert, von welcher grundsätzlich der Entscheid über alle Geschäfte ausgeht, wobei jedes Mitglied gleichzeitig einer Verwaltungsabteilung (Departement) vorsteht. In ihrer ersten Passung, die auf viel einfachere Verhältnisse zugeschnitten war, bestimmte die Bundesverfassung ausdrücklich, die Einteilung in Departernente habe lediglich zum Zweck, die Prüfung und Besorgung der Geschäfte zu fördern, der jeweilige Entscheid habe aber vom Bundesrat als Behörde auszugehen (was durch das Organisationsgesetz vom 16. Mai 1849 näher ausgeführt wurde). Nach der engen Interpretation, welche man dieser Bestimmung anfänglich gab, hatten die Departemente keinerlei Beschlusskompetenzen. Sie hatten nur die Beschlüsse des Gesamtbundesrates vorzubereiten und auszuführen. Das Kollegium hatte sich also auch mit Detailfragen der Bundesverwaltung zu befassen. Dies envies sich bei der zunehmenden Geschäftslast bald als unhaltbar. Die Praxis half sich mit einer weniger einschränkenden Interpretation der Verfassung, wonach eine Delegierung von Kompetenzen an die einzelnen Departemente als zulässig erachtet wurde, wenn den Parteien die Möglichkeit eines Eekurses an den Gesamtbundesrat vorbehalten war. In diesem Sinne wurden mehr und mehr Kompetenzen an die Departemente und von diesen an ihnen untergeordnete Amtsstellen delegiert (vgl. Bundesbeschluss vom 21. August 1878, Art. 20 Abs. 2). Viel später wurde diese Auffassung dann auch in der Verfassung selbst, Art. 108, festgelegt (durch Volksabstimmung vom 25. Oktober 1914) *). Dass diese Art der Entlastung eine recht unvollkommene war, da sie grundsätzlich in allen Fällen die Bekursmöglichkeit an den Gesamtbundesrat gewährte, ist leicht einzusehen.

Für eine noch weitergehende Entlastung wird man sich fragen, ob nicht eine Änderung des Systems angezeigt wäre, da doch die Schwierigkeiten in diesem selbst liegen. In Frage käme dann der Übergang zum Direktorialsystem, so dass eine deutliche Trennung gemacht würde zwischen Eegierung und Verwaltung. Der Bundesrat hätte sich bloss mehr mit den eigentlichen Eegierungsgeschäften, mit der Führung und Leitung des Staates, also mit politischen Fragen zu befassen. Diesen könnte er aber seine volle Aufmerksamkeit widmen. Die Verwaltungsgeschäfte hingegen würden von den hiefür bestellten
Verwaltungsdirektoren und der ihnen unterstellten Verwaltung besorgt. Sie wären zu diesem Zweck mit den nötigen Kompetenzen auszustatten und hätten *) Vgl. dazu das Bundesgesetz vom 26. März 1914 über die Organisation der Bundesverwaltung, Art. 23 (A. S. 30, 292 ff.), den Bundesratsbesohluss vom 17. November 1914 betreffend die Zuständigkeit der Departemente und der ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von Geschäften, sogenannte Delegationsverordnung, samt Abänderungen vom I.März 1918, 4. November 1919, 25.November 1919, 27. Dezember 1928, 22. März 1929 und 30. Dezember 1937, Bundesratsbesohluss vom 26. Februar 1926 über die Zuständigkeit des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements und seiner Dienstabteilungen zur selbständigen Erledigung der von der aufgelösten innerpolitischen Abteilung übernommenen Geschäfte, sowie den Bundesratsbeschluss vom 19. Februar 1926 betreffend die Aufteilung der Geschäfte der innerpolitisohen Abteilung.

615 auch die Verantwortung in diesem Rahmen selbst zu tragen. Die Konsequenz davon wäre, dass ihnen auch gestattet würde, in den eidgenössischen Bäten ihre Vorlagen selbst zu vertreten.

Diese Art der Organisation hätte den Vorteil, dass sie den Gesamtbundesrat (und zugleich seine einzelnen Mitglieder) wirksam entlasten würde. Sie hätte aber den grossen Nachteil, zwei Kategorien von Eegierungsmitgliedern zu schaffen, wobei die Verwaltungsdirektoren, wie die Botschaft von 1894 ausführt, als die eigentlichen aktiven Führer der Verwaltung bald den Vorteil grösserer Geschäftskenntnis erhalten würden, so dass den Bundesräten die nötige Präponderanz und Autorität ihnen gegenüber abgehen würde. Diese könnten auch nicht dadurch erreicht werden, dass man die Bundesräte durch das Volk wählen liesse, während die Verwaltungsdirektoren von der Bundesversammlung gewählt würden. Aus diesen Erwägungen hat der Bundesrat diese Aufteilung zwischen Begierung und Verwaltung, die übrigens der schweizerischen Auffassung durchaus fremd ist, schon im Jahre 1894 und seither konsequent abgelehnt, und die Bundesversammlung ist ihm darin gefolgt.

Die seit dem letzten Weltkrieg gemachten Erfahrungen sprechen auch nicht zugunsten der vorgeschlagenen Neuerung, Vielmehr kann eine Schmälerung des Ansehens der Eegierung, wie sie mit diesem System verbunden wäre, heute weniger als je in Frage kommen. Wir lehnen deshalb alle nach dieser Eichtung gehenden Vorschläge ab.

Die Entlastung des Gesamtbundesrates ist somit nur in einem beschränkten Umfange möglich.

bb. Je geringer aber die Möglichkeit ist, das Pensum des Gesamtbundesrates zu verkleinern, desto wichtiger ist dieEntlastungder einzelnen M i t g l i e d e r des Bundesrates, damit jeder Bundesrat den Geschäften des Gesamtbundesrates, aber auch denjenigen seines eigenen Departements mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmen kann. Eine solche ist nur auf zwei Arten denkbar : entweder wiederum durch Delegation nach unten (die sogenannte vertikale Lösung) oder durch Verbreiterung der Basis, d. h. Erhöhung der Mitgliederzahl (die sogenannte horizontale Lösung).

Die Frage der Delegation von Kompetenzen an einzelne Abteilungen und Ämter ist schon in der Botschaft vom Jahre 1894 einlässlich besprochen worden. Sie wurde damals sogar als das einzige Mittel betrachtet, das geeignet sei, die
Departementsvorsteher einigermassen zu entlasten und ihnen auch bei vermehrten Aufgaben die Bewältigung ihrer administrativen Geschäfte neben ihren legislatorischen Arbeiten und ihren Pflichten als Mitglieder des Bundesrates zu ermöglichen. Seither ist die Entwicklung weiter fortgeschritten.

Obschon die Entlastung nach unten inzwischen in beträchtlichem Umfange durchgeführt wurde, besteht doch kein Zweifel darüber, dass die Arbeitslast für die einzelnen Bundesräte noch grösser geworden ist. Beim Volkswirtschaftsdepartement übersteigt sie selbst in normalen Zeiten das zulässige Mass, so dass eine wirksamere Entlastung unvermeidlich erscheint. Bis zu einem gewissen Grade dürfte eine solche allerdings auch ohne Erhöhung der

616 Mitgliederzahl des Bundesrates zu erreichen sein. Eine genauere Untersuchung würde vielleicht da und dort die Möglichkeit einer zweckmässigen Delegation nach unten ergeben.

Am einfachsten wäre dies wohl zu erzielen in Verbindung mit der Einführung sogenannter Unterstaatssekretäre, welche gewisse Angelegenheiten untergeordneter Bedeutung in den Bäten selbst vertreten könnten. Die Übertragung dieser Einrichtung, die in grossen Einheitsstaaten vielleicht eine Notwendigkeit ist, auf die einfachem Verhältnisse unserer Bundesverwaltung würde sich aber, wie schon in der Botschaft vom Jahre 1894 dargetan worden ist, trotzdem nicht empfehlen. Ansätze dafür hatten wir während des Weltkrieges, indem einzelne Beamte des Volkswirtschaftsdepartements auf Grund der generellen Vollmachten das Becht erhielten, in den Bäten aufzutreten.

Diese Lösung dürfte sich aber nur für ausserordentliche Verhältnisse als vorübergehende Erscheinung rechtfertigen. Zweckmässiger wäre wohl eine bessere Verteilung der Lasten unter den einzelnen Departementen.

d. Wirksamer als die Entlastung nach unten wäre der andere Ausweg: die E r h ö h u n g der M i t g l i e d e r z a h l auf neun. Diese Neuerung wäre jedenfalls geeignet, eine erhebliche Entlastung der einzelnen Mitglieder des Bundesrates zu bringen.

Die Wünschbarkeit einer Entlastung auf diesem Wege hat der Bundesrat erstmals in seiner Botschaft vom Jahre 1917 vertreten, während er bis dahin geglaubt hatte, mit andern Hilfsmitteln (insbesondere mit der Delegation nach unten) auszukommen. Infolge des Weltkrieges hatten aber die Geschäfte eine derart unerwartete Ausdehnung gewonnen, dass eine Erhöhung der Mitgliederzahl damals als Notwendigkeit erschien.

In den dreiundzwanzig Jahren, die seither verstrichen sind, hat sich die Geschäftslast der einzelnen Departementsvorsteher trotz weitgehender Delegierung der Kompetenzen noch beträchtlich erhöht. Dass aber die Geschäfte der Bundesverwaltung wieder in merklicher Weise zurückgehen könnten, ist auf lange Frist hinaus kaum zu erwarten. Auch wenn in Europa wieder Friede sein wird, werden die Nachkriegsverhältnisse, wie die Erfahrungen aus dem Weltkrieg es beweisen, mit ihren neuen sozialen, wirtschaftlichen, finanziellen kulturellen und politischen Problemen die Arbeitskraft des Bundesrates noch während vielen Jahren unvermindert
in Anspruch nehmen.

m. Gründe gegen die Erhöhung der Mitgliederzahl.

Die vorstehende Untersuchung ergibt- also, dass für die vorgeschlagene Erweiterung der Mitgliederzahl sowohl politische wie auch administrative Gründe ins Treffen geführt werden können. Diesen Gründen, die für eine Erhöhung sprechen, stehen jedoch auch ernste Bedenken gegenüber, auf die wir nachstehend mit der gleichen Objektivität und Sachlichkeit eintreten.

617 1. Das stärkste Argument, das gegen eine Erweiterung ins Feld geführt werden kann, geht dahin, dass die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates seine Einheit und Geschlossenheit g e f ä h r d e t und seine Ents c h l u s s k r a f t schwächt. Auf diese Gefahr hatte der Bundesrat schon in seiner Botschaft vom Jahre 1894 (S. 25) hingewiesen und die Befürchtung daran geknüpft, dass sie sich zum Schaden des Landes auswirken könnte.

Bei Anlass der Eeorganisation der Bundesverwaltung im Jahre 1913 führte er darüber in seiner Botschaft folgendes aus: «Die gegenwärtige Mitgliederzahl verbürgt, wie die Erfahrung lehrt, die innere Geschlossenheit, den festen innern Zusammenhang und damit die Kraft und Einheit der Exekutive. Der Eat ist heute noch ein geschlossener Körper; man war aufrichtig bestrebt, nicht nur einig zu scheinen, sondern es auch zu sein. Mit den Vertretern der Minderheit ist ein gutes und loyales Verhältnis ausnahmslos möglich gewesen.

Wir fürchten, dass bei einer vermehrten Zahl leichter innere Gruppierungen ermöglicht würden, welche den Zusammenhalt lockern und damit die Kraft und den Einfluss der Behörde nach aussen vermindern könnten» (Bundesbl. 1913 II 13, vgl. auch Bundesbl. 1917 III 649 f.).

Was damals gesagt wurde, kann heute nur bestätigt werden. Es ist in der Tat eine alte und längst sprichwörtlich gewordene Erfahrungstatsache, dass ein einheitlicher Entschluss um so schwerer zu erreichen ist, je mehr Personen dabei mitzuwirken haben. Zwar ist zuzugeben, dass die innere Geschlossenheit und Entschlusskraft des Bundesrates an und für sich weniger von der Zahl als vielmehr vom Willen seiner Mitglieder zur Verständigung abhängt.

Aber auch in dieser Beziehung würden die Schwierigkeiten grösser, wenn sich der Bundesrat aus Vertretern von Auffassungen zusammensetzen würde, die in wesentlichen Fragen einander gegensätzlich gegenüberstehen. Man denke z. B. an wichtige Probleme der Wirtschafts-, der Finanz- und der Aussenpolitik.

Sollten auf diesem Gebiete die sich widersprechenden Auffassungen, die zweifellos im Volkskörper bestehen, auch in die Landesregierung hineingetragen werden, so könnten jene Gegensätze in der Tat dazu führen, ihre Geschlossenheit und Entschlusskraft, wenn auch nicht zu lahmen, so doch zu beeinträchtigen. In bewegten Zeiten, wie wir sie durchmachen,
sind jedoch Geschlossen. heit und Entschlossenheit für das Land von grösster, vielleicht von vitaler Bedeutung. Die heutigen Verhältnisse mit ihren grossen Spannungen, die der Entwicklung oft eine rasche und unerwartete Wendung geben, verlangen von einem Volk, wenn es erfolgreich bestehen will, immer eine Konzentration der Kräfte und demgemäss eine erhöhte innere Disziplin. Die Freunde der Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates hoffen diesem Ziel zu dienen in der Meinung, dass diese Neuerung weitere, zahlenmässig starke Kreise hinter die Landesregierung stellen und zu positiver Mitarbeit heranziehen würde. Man wird sich aber fragen müssen; ob nicht die Gefahr besteht, dass das, was dadurch an horizontaler Verbreiterung der Eegierungsbasis gewonnen werden könnte, an vertikaler Vertiefung wieder verloren ginge. Denn ebenso wichtig, Bundesblatt. 92. Jahrg. Bd. I.

47

618

wenn nicht wichtiger und wertvoller als die äussere Konzentration der Kräfte ist die innere Konzentration des Geistes auf einen klaren und festen Kurs.

Dieser muss in erster Linie getragen sein von der Eegierung. Ist diese innerlich geschlossen und stark, so wird sie in der Lage sein, diese Klarheit, Euhe und Festigkeit trotz allen Schwierigkeiten auch auf das Volk zu übertragen.

Ist aber die Eegierung in sich selbst zwiespältig und dadurch unentschieden, so wird die Zwiespältigkeit und Gegensätzlichkeit im Volk erst recht sich mehren.

Je grösser die Mitgliederzahl des Bundesrates ist, desto grösser ist auch die Möglichkeit und die Gefahr von Gruppenbildungen im Schosse des Bundesrates selbst, der Bildung einer Mehrheit und einer Minderheit oder gar von mehreren kleineren Gruppen. Dadurch würde eine starke Führung geschwächt, vielleicht sogar in Frage gestellt, was sich auf die Dauer für das Land, gerade in Zeiten der Bewegung und der Entscheidung, gefährlich auswirken könnte.

In den kantonalen Eegierungen hat die Entwicklung in den letzten hundert Jahren auch nicht zu einer Erhöhung, sondern im Gegenteil zu einer Verringerung der Mitgliederzahl geführt. Bestanden nämlich in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Eeihe von kantonalen Eegierungen noch aus 9, 11, 12, 18 und 15 Mitgliedern, so bestehen heute die meisten aus sieben oder aus fünf Mitgliedern *). Allerdings dürfte diese Entwicklung zum mindesten mitbedingt sein durch den Umstand, dass einerseits das Tätigkeitsgebiet der kantonalen Eegierungen durch die Bundesverfassung des Jahres 1848 erheblich eingeschränkt worden ist, andererseits aber das System der Eegierungsräte im Nebenamt mehr und mehr durch dasjenige der Eegierungsräte im Hauptamt ersetzt wurde. Übrigens ist nicht zu übersehen, dass an die Geschlossenheit des Bundesrates weit grössere Anforderungen gestellt werden als an eine kantonale Regierung, schon deswegen, weil dieses Kollegium nicht nur eine Eegierung im engern Sinne darstellt, sondern zugleich auch die Funktionen des Staatsoberhauptes ausübt. Aus ähnlichen Überlegungen kann auch der Vergleich mit ausländischen Ministerien, die eine grössere Anzahl von Mitgliedern haben, nicht als schlüssig anerkannt werden.

2. Gegen die Erhöhung der Mitgliederzahl spricht ferner der Umstand dass sie eine Vermehrung der
Verwaltungskosten und andere Ausgaben sowie eine Erweiterung des Beamtenapparates zur notwendigen Folge hätte. Auch wenn man sich bewusst ist, dass es sich bei dieser Erweiterung des Bundesrates zum grossen Teil nur um eine andere Verteilung bisheriger Aufgaben handelt, ist doch leicht einzusehen, dass es nicht möglich sein wird, *) Die Kantonsregierung besteht heute aus fünf Mitgliedern in den Kantonen Solothurn, Baselland, Schaffhausen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Wallis und Neuenburg. Aus sieben Mitgliedern besteht sie in den Kantonen Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Basel-Stadt, Appenzell A.-Rh., St. Gallen, Waadt und Genf. Neun Regierungsräte haben die Kantone Bern und Appenzell l.-Rh., und der Kanton Nidwaiden hat deren elf.

619 zwei neue Departemente zu bilden, ohne den Beamtenapparat zu vermehren und eine Erhöhung der Verwaltungskosten auf sich zu nehmen. Den beiden Departementen müssen die nötigen Abteilungsvorstände, Adjunkte, Sektionschefs, Fachexperten und das erforderliche Kanzleipersonal zur Verfügung gestellt werden. Es müssen ihnen die geeigneten Lokalitäten angewiesen werden.

Dazu kommt der Materialverbrauch aller Art usw. Um das Ausmass dieser Ausweitung etwas genauer angeben zu können (wie dies wünschenswert wäre), müssten eingehende Untersuchungen und Berechnungen angestellt werden.

Aber auch ohne solche lässt sich jedenfalls soviel sagen, dass diese Kosten in der heutigen Zeit, wo mit allen Kräften eine Verminderung der Ausgaben und insbesondere der Verwaltungskosten angestrebt werden muss, bei der Beurteilung dieser Fragen ernstlich ins Gewicht fallen. Auch ist die Gefahr nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Schaffung von zwei neuen De partementen eine gewisse Attraktivkraft ausüben und zur Sahaffung neuer Kompetenzen und staatlicher Aufgaben führen könnte, was einer weitern Erhöhung der Verwaltungskosten rufen müsste.

Dass die dadurch bedingte Vermehrung der Beamtenschaft, auch abgesehen von der Kostenfrage, nicht gerade erwünscht ist, bedarf wohl keiner nähern Begründung.

3. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass diese Neuerung zu politischen Kämpfen Anlass geben kann, die gerade in der heutigen unruhigen Zeit nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Zwar ist es richtig, dass der Kampf um die grundsätzliche Frage nicht mehr verhindert werden kann, nachdem die Initiative sie dem Volke zur Diskussion gestellt hat. Die Volksabstimmung über die vorgeschlagene Verfassungsänderung ist also unvermeidbar, und ebenso sind es die damit im Zusammenhang stehenden Erörterungen dafür und dagegen. Indessen ist nicht zu übersehen, dass im Falle der Annahme der Neuerung diese Kämpfe sich noch lange darüber hinaus fortsetzen und stets wieder erneuern würden. Die Organisation der Bundesverwaltung müsste in wichtigen Punkten geändert werden; neue Departemente wären zu organisieren und die bisherigen umzugestalten. Die Schaffung der nötigen Gesetzgebung und ihre Durchführung würden vielleicht Jahre beanspruchen und während dieser Zeit immer wieder zu politischen Auseinandersetzungen Veranlassung geben.

4. Aber
auch nach Durchführung der Eeorganisation ist mit gewissen Schwierigkeiten zu rechnen. Insbesondere ist zu befürchten, dass durch die Schaffung neuer Departemente und durch die neue Zuteilung der Kompetenzen neue Eeibungsflächen im Verwaltungsapparat entstehen, die zurzeit noch nicht erkennbar sind. Heute können Meinungsverschiedenheiten und einander widerstrebende Interessen schon in den Departementen abgeklärt und ausgeglichen werden. Dieser Ausgleich wird erschwert, wenn Aufgabenkreise, die organisch ineinandergreifen, auf verschiedene Departemente verteilt werden.

Allerdings wird es mit der Zeit möglich sein, diese Beibungen weitgehend auszuschalten. Bis dahin aber wäre mit mancherlei Schwierigkeiten in dieser Eichtung zu rechnen.

620 IV. Zur Frage der Schaffung eines Präsidialdepartementes.

Es wäre heute wohl noch verfrüht, für den Fall, dass eine Erweiterung des Bundesrates beschlossen werden sollte, Vorschläge über die Verteilung der Aufgaben unter die Departemente zu machen. Dagegen dürfte es sich rechtfertigen, wenigstens über die grundsätzliche Frage, ob nicht das neunte Departement als Präsidialdepartement auszugestalten wäre, einige Bemerkungen anzufügen.

In engstem Zusammenhang damit steht die Organisation der Leitung des Politischen Departementes, die ein wechselvolles Schicksal hinter sich hat. Bis zum Jahre 1888 wurde dieses Departement jeweils durch Bundesratsbeschluss dem Bundespräsidenten anvertraut. Dann ging man zum ständigen Departementsvorsteher über (System Droz), um 1895 wieder zum alten System zurückzukehren. Das OG vom Jahre 1914 stellte die Kontinuität in der Leitung wieder her. Dieses System ist seither, mit einer kurzen Unterbrechung von 1917--1919, beibehalten worden. Die gemachten Erfahrungen dürften ziemlich allgemein der Erkenntnis zum Durchbruch verhelfen haben, dass von der Wiedereinführung des jährlichen Wechsels in der Leitung des Politischen Departements heute nicht mehr die Rede sein kann.

Diese Ordnung der Dinge, die namentlich auf die Bedürfnisse des Politischen Departements Rücksicht nimmt, bringt aber keine befriedigende Lösung für die Bundespräsidentschaft. Die Befugnisse und die Bedeutung des Bundespräsidenten werden durch sie erheblich eingeschränkt, während dieser anderseits mit Geschäften überlastet bleibt, da er neben seinem eigenen Departement noch die zahlreichen Präsidialgeschäfte zu besorgen hat.

Die Schaffung eines besondern Präsidialdepartements wäre vielleicht geeignet, wirksame Hilfe zu bringen. Der Bundespräsident erhielte dadurch die Möglichkeit, sich ausschliesslich den Aufgaben der Bundespräsidentschaft zu widmen. Diese könnten infolgedessen erheblich erweitert werden, und zwar einerseits durch den weitern Ausbau der Präsidialverfügungen und anderseits, indem ihm Gelegenheit gegeben und zur Pflicht gemacht würde, sich vorwiegend mit den grossen Aufgaben der Staatsleitung zu beschäftigen. In diesem Sinne hätte er insbesondere auch den wichtigsten Vorlagen der andern Departemente vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken. Dadurch könnte der Grundsatz, dass die
Hauptentscheidungen vom Bundesrat als Kollegialbehörde ausgehen, wieder besser zur Geltung gebracht werden. Im Zusammenhang damit würde sich ferner die Frage stellen, ob die Amtsdauer eines solchen Bundespräsidenten nicht verlängert werden müsste (z. B. auf drei Jahre). Ebenso wird man sich anderseits fragen müssen, ob eine solche Ordnung mit unsern Grundanschauungen überhaupt vereinbar wäre, ob damit nicht eine allzu grosse Machtfülle in die Hände eines einzigen Mannes gelegt würde, und ob nicht wenigstens gewisse Kautelen geschaffen werden müssten.

621

V. Zusammenfassung.

Die vorstehenden Erörterungen, welche versuchen, das Dafür und Dagegen in objektiver Weise einander entgegenzustellen, haben uns zu folgenden Schlüssen geführt. Die Tatsache, dass der Gesamtbundesrat und seine einzelnen Mitglieder, insbesondere einige derselben, mit Arbeit ausserordentlich belastet sind, würde eine Erhöhung der Mitgliederzahl als wünschenswert erscheinen lassen. Ausserdem wäre die an sich unbestrittene verhältnismässige Vertretung der verschiedenen Sprachen- und Kulturstämme bei neun Mitgliedern leichter möglich. Auch die Berücksichtigung der hauptsächlichsten parteipolitischen Eichtungen liesse sich bei dieser Lösung besser bewerkstelligen, insbesondere dann, wenn man in diesem Sinne noch einen Schritt weiter gehen will als bisher.

Immerhin ist zu bemerken, dass die Frage der Vertretung der sozialdemokratischen Partei im Bundesrat, die bekanntlich den Ausgangspunkt der Erörterungen gebildet hat, in diesem Zusammenhang nicht grundsätzliche Bedeutung besitzt, so wichtig diese Frage an sich sein mag. Denn diesen Wünschen könnte auch bei einem siebengliedrigen Bundesrate Eechnung getragen werden.

Diesen Gründen, welche für die Erhöhung der Mitgliederzahl sprechen, stehen aber als Gegengründe gegenüber der Umstand, dass die Geschlossenheit und Entschlusskraft des Kollegiums geschwächt werden könnten, ferner dass erhöhte Verwaltungskosten und andere Ausgaben damit verbunden wären, dass die Zahl der Beamten vermehrt werden müsste, und schliesslich, dass die mit der Durchführung dieser Neuerung verbundenen politischen Kämpfe und die Schaffung neuer Beibungen im Verwaltungsapparat vermieden werden sollten.

Diese Bedenken sind es, die den Bundesrat veranlassen, keinen A n t r a g auf E r h ö h u n g der M i t g l i e d e r z a h l einzubringen. Die nötige Entlastung wäre auf dem Wege einer baldigen Eevision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesverwaltung vom 26. März 1914 im Sinne einer andern Verteilung der Geschäfte unter den Departementen und durch weitere Delegation nach unten zu suchen. Sollten die eidgenössischen Eäte diese Bedenken nicht teilen, so würden wir es ihnen überlassen, die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates in Form eines Gegenvorschlages zur Initiative dem Volk und den Ständen zur Stellungnahme zu unterbreiten. In diesem Falle
könnte für den Gegenvorschlag folgende Fassung in Frage kommen: «Die Art. 95 und 100 der Bundesverfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 95. Die oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft ist ein Bundesrat, welcher aus neun Mitgliedern besteht.

Art. 100. Um gültig verhandeln zu können, müssen wenigstens fünf Mitglieder des Bundesrates anwesend sein.

Nach Art. 100 wird ein neu°r Art. 100bls mit folgendem Wortlaut eingefügt:

622 Die Bundesgesetzgebung trifft die nähern Bestimmungen über die Ausführung der in Art. 95 und 100 aufgestellten Grundsätze.

Der Bundesrat wird bis zur Eevision des Bundesgesetzes vom 26. März 1914 über die Organisation der Bundesverwaltung die Verteilung der Geschäfte unter die Departemente von sich aus vornehmen.»

B. Sonderfragen.

Falls man sich dazu entschliessen sollte, die Zahl der Mitglieder des Bundesrates zu erhöhen, so stellen sich drei Fragen neu, nämlich erstens, ob über die Vertretung von Minderheiten eine Bestimmung in die Verfassung aufzunehmen sei, zweitens, ob die heute geltende Vorschrift, dass nicht mehr als ein Mitglied aus dem nämlichen Kanton gewählt werden darf (Art. 96, Absatz l, zweiter Satz), gestrichen werden sollte, und drittens die Frage des Quorums für die Verhandlungsfähigkeit (Art. 100). Diese drei Fragen sind hier etwas näher zu prüfen.

I. Die Vertretung von Minderheiten.

Während die beiden Postulate bezüglich der Vertretung von Minderheiten nichts sagen, wird im Volksbegehren vorgeschlagen, in Art. 96 folgenden Absatz l aufzunehmen: «Bei der Wahl des Bundesrates sind die politischen Eichtungen und Sprachgebiete der Schweiz angemessen zu berücksichtigen. Wenigstens drei Mitglieder müssen den französisch, italienisch und romanisch sprechenden Teilen, wenigstens fünf den deutsch sprechenden Teilen der Schweiz angehören.» Damit soll die Gewissheit dafür geschaffen werden, dass die wichtigsten Volksgruppen, sowohl nach sprachlichen wie nach parteipolitischen Gesichtspunkten betrachtet, im Bundesrat in angemessener Weise vertreten seien.

Ein weniger weitgehendes Begehren war bereits in der sogenannten Doppelinitiative vom Jahre 1899 enthalten, nach welcher «wenigstens zwei Mitglieder der romanischen Schweiz angehören» sollten. Diese Bestimmung stiess damals aber auf wenig Sympathien. In seiner Botschaft vom Jahre 1917 erklärte der Bundesrat, davon absehen zu wollen, «die Verfassungsrevision mit irgendwelchen formalen Garantien über die Vertretung der sprachlichen oder politischen Minoritäten zu beschweren», namentlich um unerwünschte Verfassungskämpfe zu vermeiden (Bundesbl. 1917 III 653). Im Ständerat wurden hierauf von Vertretern von Minderheiten bezügliche Anträge gestellt. Alle wurden aber abgelehnt, während im Nationalrat diese Frage gar nicht zur Abstimmung kam.

1. Was zunächst die angemessene Berücksichtigung der Landessprachen betrifft, so ist diese in der Eidgenossenschaft seit dem Jahre 1848 nicht nur grundsätzlich anerkannt, sondern tatsächlich praktiziert worden.

Die deutschschweizerische Mehrheit hat es je und je als ihre moralische Pflicht betrachtet, die andern
Sprachen proportional zu den Bevölkerungszahlen zuGeltung kommen zu lassen, und sie hat darüber hinaus oft von ihrer Vorzugsstellung Gebrauch gemacht, um ihnen eine noch etwas stärkere Vertretung ein-

623 zuräumen. Die Geschichte zeigt in der Tat, dass die sprachlichen Minderheiten, durchschnittlich gesehen, im Bundesrate mehr als proportional vertreten waren.

Auch auf diesem Gebiete ist in der Schweiz also der völkerrechtliche Begriff der sprachlichen Minoritäten, im Sinne ihrer rechtlichen Schlechterstellung, nicht bloss formell, sondern tatsächlich unbekannt. Das Prinzip selbst steht somit, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde, nicht zur Diskussion.

Ebenso ist das Ausmass der Vertretung, die den romanischen Landessprachen im Falle der Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates zukommen soll, kaum bestritten. Denn diese Verfassungsänderung verfolgt ja unter anderem gerade den Zweck, diesen Minderheiten in Zukunft drei Vertreter geben zu können, wie es das Volksbegehren vorschlägt. Ein Volksteil von 28% würde also in Zukunft mit SS1^ % in der Eegierung vertreten sein.

In Frage steht somit nur, ob eine formelle Garantie zugunsten der einzelnen Landessprachen aufgenommen werden soll. Dass hiefür eine Notwendigkeit nicht besteht, dafür dürften die bisherigen Erfahrungen genügend Gewähr bieten. Vielmehr ist zu beachten, dass die Aufnahme einer ausdrücklichen Garantie in die Verfassung zu Verlegenheiten und Zwangslagen führen könnte, die sich für das Ganze sehr nachteilig auswirken würden. So hätte möglicherweise z. B. die Notwendigkeit, sofort einen Vertreter der sprachlichen Minderheiten zu wählen, zur Folge, dass hervorragende Kräfte dauernd ausserhalb des Bundesrates bleiben müssen.

Diesen Argumenten kann nicht etwa die Tatsache entgegengehalten werden, dass die Bundesverfassung in Art. 107 bereits eine solche Minderheitengarantie bezüglich des Bundesgerichts aufgestellt hat, und dass sich daraus keine Schwierigkeiten ergeben haben. Denn die Verhältnisse liegen dort wesentlich anders. Einmal ist die Zahl der Bundesrichter erheblich grösser (gegenwärtig sind es 24), und sodann handelt es sich dort nicht um die Leitung und Führung des Staates, so dass höhere Staatsinteressen nicht in die Quere kommen. Vielmehr ist die Vertretung der Landessprachen beim Gericht schon aus sachlichen Gründen erwünscht. Die angemessene Berücksichtigung der sprachlichen Minderheiten im Bundesrat muss daher ungeschriebenes Gesetz bleiben, das, im ganzen genommen, nicht weniger zuverlässig eingehalten
werden soll.

2. Noch bedenklicher wäre die Aufnahme einer Garantie zugunsten der politischen Parteien. Denn hier liegen schon die grundlegenden Voraussetzungen wesentlich ungünstiger. Hat man es nämlich bei den sprachlichen Gruppen mit klaren Begriffen und verhältnismässig konstanten Zahlen zu tun, so trifft bei den politischen Parteien weder das eine noch das andere zu.

Schon die Zugehörigkeit zu einer solchen ist oft unklar, weiss doch die Partei selbst nur schätzungsweise, wieviele Anhänger sie hat. Überdies bilden die Parteigruppierungen ein unstetes Bild, das sich in wenigen Jahren wesentlich verändern kann. Parteien gehen unter, spalten sich auf, schliessen sich nach andern Gesichtspunkten zusammen, neue Parteien mit ganz andern Programmen bilden sich, andere nehmen eine unerwartete Entwicklung, während bisher

624 führende Parteien mehr in den Hintergrund treten. Auf diese Weise ist es denkbar, dass die parteipolitische Konstellation nach wenigen Jahren schon ganz anders aussieht. Aus solchen und andern Gründen ist hier das Prinzip der proportionalen Vertretung in der Eegierung weit davon entfernt, so allgemein anerkannt zu werden wie bei den sprachlichen Gruppen. Während in Diktaturstaaten überhaupt nur eine Partei anerkannt ist, weil der Parteienstaat dem Begriff der Diktatur widerspricht, beansprucht in einer zweiten Gruppe von Staaten die jeweilige Mehrheitspartei oder eine Mehrheitskoalition alle Begierungssitze für sich. In -einer dritten Kategorie von Staaten endlich wird eine proportionale Vertretung der wichtigsten Parteien in der Eegierung zugelassen, wobei dieser Proporz entweder in der Eechtsordnung festgelegt oder freiwillig ist. In letzterem Falle ist er dann, je nach den Verhältnissen, mehr oder weniger ausgeprägt. Unter der Herrschaft der Bundesverfassung wurde der Bundesrat bis in die neunziger Jahre ausschliesslich von einer Bichtung, der freisinnigen, bestellt. Seither hat sich der Grundsatz der Berücksichtigung der grossen Minderheitsparteien immer mehr durchgesetzt. Heute nun besteht in weiten Kreisen die Bereitschaft, noch einen Schritt weiter zu gehen und alle bestehenden grossen Parteien zu berücksichtigen. Am ernsthaften Willen, auch künftig alle grossen Parteien, die zu aufrichtiger Mitarbeit am Staate bereit sind, zur Vertretung im Bundesrat zuzulassen, ist wohl nicht zu zweifeln. Von hier bis zur Aufnahme einer formellen Garantie in der Bundesverfassung wäre aber ein grosser Sprung, ein Sprung ins Dunkle, der mancherlei Gefahren mit sich bringt. Dies vor allem deswegen, weil man damit unvorsichtigerweise künftigen Parteien und Parteikoalitionen, deren Programm man noch nicht kennt, einen Blankowechsel ausstellen würde, dessen Einlösung in einzelnen Fällen schwer fallen könnte. Denn, ganz anders als bei den sprachlichen Minderheiten, sind hier Situationen denkbar, unter denen die Wahl eines Vertreters einer Partei, die formell «an der Eeihe» wäre, mit vitalen Interessen des Staates nicht vereinbart werden könnte. Dabei ist nicht nur an die Möglichkeit zu denken, dass eine starre Verfassungsbestimmung die Wahl des Tüchtigsten verhindern könnte. Bedenklicher wäre, dass jede Partei,
die über mindestens einen Neuntel der Wähler verfügt, einen Bechtsanspruch auf eine Vertretung Hätte, ohne Bücksicht auf ihre Einstellung zu den grundlegenden Fragen des Staates. Die Einführung des Proporzes in ein Kollegium, das zur Führung und Leitung, zu raschen Entschlüssen und zum entschlossenen Handeln berufen ist, von dessen klarem und stetigem Kurs das Wohl der Gesamtheit abhängt, könnte hier ganz andere Wirkungen haben als bei einem gesetzgebenden Organ, Wirkungen, die für den Staat sogar verhängnisvoll sein könnten.

Auch die Anwendung einer derartigen Bestimmung würde die grössten Schwierigkeiten bereiten. Was ist eine politische Eichtung ? Und wann ist ihre Vertretung eine angemessene ? Darüber hätte die Wahlbehörde zu entscheiden. Und zwar kommen zwei grundsätzliche Auffassungen in Frage. Entweder entscheidet die Bundesversammlung über die Angernessenheit nach

625 ihrem freien Ermessen, unter Berücksichtigung aller Umstände, also insbesondere auch der höhern Staatsraison und der Opportunität. Dann ist aber die Bestimmung in der Verfassung wertlos. Sie bietet keine Garantien und kann nur Schwierigkeiten bereiten. Oder diese Angemessenheit bedeutet Proportionalität: Jede Partei, die mindestens einen Neuntel der Wähler hinter sich hat, hat Anspruch auf einen Sitz. Dann stellt sich aber die Frage: MUSS ein Bundesrat zurücktreten, wenn seine Partei dieses Quorum nachträglich verliert, z. B. durch Aufspaltung oder wenn zwei kleinere Parteien sich zusammengetan haben, so dass die neue Partei grösser ist als die im Bundesrat vertretene?

Was hat zu geschehen, wenn die Partei einem Bundesrat das Vertrauen entzieht? Und wenn eine der grösseren Parteien keine Vertretung will? MUSS ihr dann trotzdem eine gegeben werden? Und welche Garantien sind gegeben -gegen die Verletzung der Bestimmung ? Was hätte zu geschehen, wenn einmal von der Vorschrift bewusst abgewichen, würde, z. B. im höheren Interesse des Staates?

Weit bedenklicher noch 'als diese Unklarheiten und Unsicherheiten wäre aber, dass bei einem solchen Proporz jeder Bundesrat als Vertreter einer politischen Partei erscheinen müsste. Auch wenn er sich selbst über die Parteigegensätze stellen würde -- was bei diesem System erheblich schwerer fallen müsste --, so würde er doch als Parteimann angesehen und beurteilt. Dadurch würde aber der Kampf der Parteien in die Eegierung hineingetragen, und der Proporz würde sich in diesem Kollegium, wo Geschlossenheit und Entschlossenheit von entscheidender Bedeutung sind, als zersetzende Kraft auswirken. Dem scheinen allerdings die Erfahrungen in den Kantonen, die einen solchen Proporz in ihrer Verfassung festgelegt haben, zu widersprechen. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Verhältnisse in den Kantonen wesentlich andere sind. Denn hinter dem Kanton steht immer noch die Eidgenossenschaft. Und ausserdem sind die Aufgaben des Bundesrates von denjenigen einer kantonalen Regierung erheblich verschieden.

Aus solchen Erwägungen lehnen wir die Aufnahme einer Bestimmung über die angemessene Vertretung der politischen Parteien ab.

II. Ein Kanton -- höchstens ein Bundesrat.

Die zweite Frage betrifft den Grundsatz «ein Kanton -- höchstens ein Bundesrat». Es fragt sich nämlich,
ob der seit dem Jahre 1848 in der Verfassung (Art. 96, Absatz 1) stehende Satz «Es darf jedoch nicht mehr als ein Mitglied aus dem nämlichen Kanton gewählt werden» nach einer Erhöhung der Mitgliederzahl gestrichen werden soll. Dies wird zwar weder von den beiden Postulaten noch vom Volksbegehren verlangt. Die ersteren sprechen überhaupt nicht davon, während das letztere ausdrücklich die Beibehaltung dieser Bestimmung vorsieht. In der Presse ist aber ihre Streichung als die notwendige Konsequenz der Erhöhung der Mitgliederzahl verlangt worden. Sie ist deshalb an dieser Stelle zu erörtern. In der Tat steht diese Frage in einem innern

626 Zusammenhang mit der Zahl der Mitglieder des Bundesrates : Je grösser nämlich diese Zahl ist, desto weniger ist diese Bestimmung gerechtfertigt.

Aufgestellt wurde sie seinerzeit als eine Garantie gegen die Vorherrschaft der grossen Kantone. Während der Staatenbund lediglich nach Ständestimmen gezählt hatte, wurde im Bundesstaat das demokratische Prinzip des Erfordernisses der Mehrheit nach Köpfen eingeführt, neben welchem für gewisse Fragen das Erfordernis des Ständemehrs beibehalten ist. Bei der Wahl des Bundesrates ist das demokratische Prinzip sogar von überwiegender Bedeutung, da neben den 187 Nationalräten die 44 Ständeräte, deren Stimmen bei diesen Wahlen koordiniert sind, nur in beschränktem Ausmass zur Geltung kommen.

Diesem Umstände gegenüber sollte die in Frage stehende Bestimmung das nötige Gegengewicht bilden. Wie berechtigt dies war, zeigte die Tatsache, dass trotzdem während längerer Zeit die sieben grössten Kantone alle Bundesratssitze für sich in Anspruch nahmen, was dann zum Buf nach der Erhöhung auf neun Mitglieder geführt hat. Würden diese Verhältnisse nun durch die Erhöhung der Mitgliederzahl auf neun grundlegend geändert?

Zwar ist zuzugeben, dass die beiden grössten Kantone zusammen etwa einen Drittel der gesamten schweizerischen Bevölkerung haben, so dass von neun Sitzen proportional drei auf sie entfallen würden. Und ebenso ist es richtig, dass die geltende Beschränkung gelegentlich die Wahl des Tüchtigsten verunmöglicht, was zu bedauern ist. Trotzdem wird man an ihr festhalten müssen, weil die folgenden Argumente, die noch schwerer ins Gewicht fallen) für sie sprechen.

Wollte, man nämlich diese Schranken beseitigen, so bestünde die Gefahr, dass die drei grössten Kantone beständig die Mehrheit im Bundesrat hätten, obwohl sie nur über 40 % der gesamten Bevölkerung verfügen. Das müsste nicht nur als unbillig empfunden werden, es wäre auch eine bedenkliche Schwächung der föderativen Struktur des Bundes. Ist doch diese Kautel als eine der Garantien dieses Charakters in die Verfassung eingebaut worden. Es haben sich denn auch im Verlaufe der Geschichte immer wieder Bestrebungen gezeigt, diese Eigenart stärker zu betonen. In diesem Sinne sind die Anregungen aufzufassen, welche verbieten wollten, dass aus dem gleichen Kanton nacheinander zwei Bundesräte gewählt werden können,
sowie die Vorschläge auf Beschränkung der Wiederwählbarkeit der Bundesräte. Durch die in die Diskussion geworfene Neuerung würde somit das bisherige Gleichgewicht in bedenklicher Weise gestört. · III. Das Verhandlungsquorum.

Notwendig wäre hingegen eine Erhöhung des Quorums für die Verhandlungsfähigkeit. Art. 100 BV bestimmt nämlich: «Um gültig verhandeln zu können, müssen mindestens vier Mitglieder des Bundesrates anwesend sein.» Bei den Beratungen im Jahre 1848 war vorgeschlagen worden, statt dessen zu sagen, dass für einen gültigen Bèschluss mindestens drei gültige Stimmen nötig seien. Dies wurde aber abgelehnt, weil dann ein Quorum von drei Mit-

627 gliedern, also die Minderheit, genügt hätte. Die geltende Eegelung (Art. 100 BV und Art. 7 OG) bestimmt nun, dass bei allen Beschlüssen die Mehrheit der Stimmen entscheidet, ein Beschluss jedoch, um gültig zu sein, wenigstens die Stimmen von drei Mitgliedern auf sich vereinigt haben muss, dass der Präsident mitstimmt und bei gleichgeteilten Stimmen den Ausschlag gibt.

Nach Erhöhung der Mitgliederzahl auf neun müsste dieses Quorum mindestens auf die einfache Mehrheit, d. h. auf fünf Mitglieder, erhöht werden.

Dies dürfte aber auch genügend sein. Es entspräche dies ungefähr dem bisherigen Verhältnis. Allerdings müsste dann auch die für einen Beschluss erforderliche Mindestzahl auf vier erhöht werden, was aber lediglich im Bundesgesetz festzulegen wäre.

Wir gelangen also bezüglich der ersten Frage zum Ergebnis, dass keinen Antrag auf Erhöhung der Mitgliederzahl stellen. Für den Fall Bejahung dieser Frage würden wir empfehlen, das Verhandlungsquorum fünf Mitglieder zu erhöhen und Änderungen betreffend die Vertretung Minderheiten und der Kantone abzulehnen.

wir der auf der

Zweiter Teil.

Die Yolkswahl.

I. Einleitung.

Der zweite Teil des Volksbegehrens verlangt die Wahl des Bundesrates durch das Volk. Diese war schon bei der Schaffung des Bundesstaates in Frage gestanden, war aber damals von einer knappen Mehrheit (10 gegen 9) abgelehnt worden. In der Folge wurde sie -- mit wechselnder Begründung -- immer wieder von Minderheitsparteien postuliert. So hatte in den sechziger Jahren der Grütliverein sie im Sinne eines bessern Ausbaues der Volksrechte gefordert, wobei er in der Presse namentlich durch den St. Galler Nationalrat Bernet unterstützt wurde. In der nationalrätlichen Kommission stellte hierauf der Genfer Eadikale Vautier einen bezüglichen Antrag, der aber von Alfred Escher bekämpft und von der Kommission abgelehnt wurde. Ähnlich erging es einem Antrag des radikalen Solothurners Wilhelm Vigier in der ständerätlichen Kommission. Die Diskussion im Volk ging jedoch weiter. Oberst Scherer, der spätere Bundesrat, trat aus demokratischen Gründen für die Volkswahl ein, James Fazy wegen der bessern Trennung der Gewalten, während Bundesrat Dubs sich als Föderalist mit einigen Vorbehalten dafür aussprach.

So kam es, dass bei den Debatten des Jahres 1872 über die Verfassungsrevision der Genfer Carteret, der Mitarbeiter Fazys, im Nationalrat neuerdings die Volkswahl vorschlug. Sein Antrag gelangte aber nicht zur Abstimmung, weil ihn der Antragsteller als entwertet zurückzog, nachdem ein Eventualantrag Cérésoles angenommen worden war, nach welchem die Wahl nicht nur durch das Volk, sondern auch durch die Kantone erfolgen sollte. Auch eine negative Form der Volkswahl, die damals von Kaiser im Nationalrat vorgeschlagen

628 worden war, wurde abgelehnt, nämlich das Recht des Volkes, den Bundesrat abzuberufen, für das sich auch Dubs eingesetzt hatte. Dann wurde es um diese Frage wieder still bis in die neunziger Jahre. Ermutigt durch die Tatsache, dass in der Zwischenzeit in den Kantonen die Wahl der Eegierung durch das Volk grosse Fortschritte gemacht hatte, eröffnete der «Grütlianer» wiederum die Diskussion durch eine Artikelserie. Am 22. April 1898 reichte hierauf die sozialpolitische Gruppe im Nationalrat (Wullschleger, und Scherrer-Füllemann) eine bezüglich Motion ein. Bevor diese jedoch behandelt werden konnte, war die von einigen St. Galler Demokraten eingeleitete sogenannte Doppelinitiative zustande gekommen, deren zweites Begehren, ähnlich dem heute vorliegenden, die Erhöhung der Mitgliederzahl auf neun und die Wahl des Bundesrates durch das Volk verlangte, wobei der romanischen Schweiz zwei Sitze gesichert werden sollten. Beide Eäte lehnten sie indessen ab (der Nationalrat mit 79 gegen 33 und der Ständerat mit 28 gegen 7 Stimmen). Ebenso wurde sie in der Volksabstimmung vom 4. November 1900 mit starkem Mehr verworfen (mit 270 522 Nein gegen 145 926 Ja und mit 12 4 / 2 verwerfenden gegen 7 2/2 annehmenden Ständen). Seither wurde die Volkswahl immer nur im Zusammenhang mit der Erhöhung der Mitgliederzahl postuliert. Zehn Jahre später stellte nämlich Blumer in der nationalrätlichen Kommission, die sich mit der Beorganisation der Bundesverwaltung zu befassen hatte, neben dem Antrag auf Erhöhung der Mitgliederzahl auch denjenigen auf Einführung der Volkswahl. Der Bundesrat stellte eine Prüfung dieser Fragen in Aussicht. In seiner Botschaft vom 13. März 1913 betreffend die Organisation der Bundesverwaltung sprach er sich dann gegen die Volkswahl aus (Bundesbl. 1913 II 13 ff.), und die beiden Eäte folgten ihm darin. In der Botschaft vom Jahre 1917 wird diese Frage kaum noch erwähnt (Bundesbl. 1917 III 645 f.). In den anschliessenden Beratungen der beiden Eäte wurde sie zwar diskutiert, aber verneint. Eine Motion Nationalrat Huber-St. Gallen vom 11. Dezember 1919, welche die Erweiterung des Bundesrates und seine Wahl durch das Volk nach Proporz gefordert hatte, gelangte nicht zur Behandlung. Nunmehr wird die Volkswahl in der vorliegenden Initiative vom 29. Juli 1939 verlangt, wiederum in Verbindung mit der Erhöhung
der Mitgliederzahl auf neun. Die Veranlassung dazu ist diesmal bekanntlich die Tatsache, dass die sozialdemokratische Partei bei den Bundesratswahlen nicht berücksichtigt worden ist.

Soll nun dem Begehren entsprochen werden? Diese Frage ist hier unabhängig von derjenigen betreffend die Erhöhung der Mitgliederzahl zu prüfen.

Die Tatsache, dass diese beiden Fragen seit den neunziger Jahren immer zusammengegangen sind, scheint allerdings den Schluss zu rechtfertigen, dass mit der Entscheidung zugunsten der Erhöhung der Mitgliederzahl auch schon die Frage der Volkswahl präjudiziert sei. Dass dem nicht so ist, wurde schon in der Botschaft vom Jahre 1917 ausgeführt. «Nun hängt aber», heisst es hier, «die Vermehrung der Bundesratssitze organisch keineswegs mit der Volkswahl zusammen. Es ist nicht einzusehen, weshalb eine Exekutive von neun Mitgliedern eher der Volkswahl unterstellt werden müsste als eine solche von

629 sieben. Wir erachten es für wünschenswert, dass die Frage der Mitgliederzahl von derjenigen der Volkswahl losgelöst und ganz unabhängig davon behandelt werde» (Bundesbl. 1917 III 652 f.). Man kann also, wie Nationalrat Häberlin, der spätere Bundesrat, sich ausdrückte, sehr wohl für die Erweiterung der Mitgliederzahl, aber gegen die Volkswahl sein. -- Man darf sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen: Je grösser die Zahl der zu wählenden Bundesräte ist, desto grösser sind --· wenn die ganze Schweiz einen einzigen Wahlkreis bilden soll -- die Schwierigkeiten, die sich der Volkswahl entgegenstellen.

Die Tatsache, dass die beiden Begehren in den letzten fünfzig Jahren immer gleichzeitig gestellt wurden, erklärt sich daraus, dass beide in gleicher Weise als die geeignetsten und sich gegenseitig ergänzenden Mittel angesehen wurden, um den Wünschen der Minderheiten, von denen die Anregungen ausgingen, zum Erfolg zu verhelfen. Die Frage der Volkswahl stellt sich also hier durchaus selbständig.

II. Grundsätzliche Erwägungen.

Der Vorzug der Volkswahl, der sie grundsätzlich als sympathisch erscheinen lässt, besteht darin, dass das Volk Gelegenheit erhalten würde, in einer wichtigen Frage seinen Willen direkt zur Geltung zu bringen. Dass das Volk auf die Wahl seiner Eegierung Einfluss hat, gehört zum Begriff der Demokratie überhaupt, dass es sie selbst unmittelbar wählt, ist ein Ausfluss der reinen Demokratie. In diesem Sinne sagte schon Montesquieu im Hinblick auf die Demokratie «C'est donc un des principes essentiels de ce genre de gouvernement que le peuple nomme ses ministres, c'est-à-dire ses autorités». Das Urbild davon ist die Wahl der Regierung an offener Landsgemeinde. Die Volkswahl kann sogar als ein demokratisches Ideal bezeichnet werden, das als Grundsatz ausser Diskussion steht.

So schön aber dieser Gedanke an sich ist, und so segensreich er sich in kleinen Kreisen auswirken mag, so schwierig ist seine Durchführung in grösseren und komplizierteren Verhältnissen. Wenn aber dieser gute und demokratische Gedanke nicht richtig durchgeführt werden kann, so liegt es nahe, dass sich seine Wirkung ins Gegenteil verkehrt, und dass dieses im Namen der Demokratie eingeführte Eecht des Volkes zu einer erheblichen Gefahr für sie werden könnte.

Grundlegende Voraussetzung dafür, dass der Volkswille
sich richtig auswirken kann, ist -- neben der Freiheit der Wahl -- der Umstand, dass die Wähler ihre Kandidaten kennen und in der Lage sind, sie nach Fähigkeit und Charakter zu beurteilen, und auch zu wissen, welche Anforderungen das Amt an sie stellt. Nun ist es wohl richtig, dass das Volk für Personenfragen in der Politik ein besonderes Interesse zeigt, und man darf mit dem Zürcher Staatsrechtslehrer Bluntschli anerkennen, dass das Volk, wenigstens das politisch geschulte und erfahrene, einen guten Instinkt für menschliche Tüchtigkeit hat.

Dagegen ist die andere Voraussetzung der Volkswahl, dass nämlich die grosse Masse der Wähler in der ganzen Schweiz den Kandidaten zum mindesten

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einigermassen kennen sollte, in der Eegel nicht erfüllt. In einem grossen Teil der Fälle waren die Bundesratskandidaten nur einem kleinen Teil des SchweizerVolkes bekannt. Für die Mitglieder der Bundesversammlung ist die Aufgabe eine viel leichtere als für den einzelnen Bürger. Sie haben meistens während Jahren Gelegenheit, den Mann in dieser oder jener Eigenschaft an der Arbeit zu beobachten und zu sehen, wie er sich in den verschiedensten Lagen nach Fähigkeit und Charakter bewährt. Dies ist aber gerade bei unserem Begierungssystem besonders wichtig, weil der einzelne Bundesrat nicht nur eine politische, sondern auch eine administrative Aufgabe zu erfüllen hat, da er einerseits Mitglied des Kollegiums, anderseits aber Vorsteher eines Departements ist.

Neben den politischen Voraussetzungen, die mehr in Erscheinung treten und leichter beurteilt werden können, muss deshalb auch auf die Eignung für ein Departement Bücksicht genommen werden. Niemand ist aber besser in der Lage, diese Anforderungen des Amtes einerseits und die entsprechenden Fähigkeiten des Anwärters anderseits zu beurteilen als die Mitglieder der Bundesversammlung. Diese Seite der Funktionen der Bundesversammlung ist denn auch eine der am wenigsten angefochtenen. Überdies darf man nicht übersehen, dass gerade überragende Persönlichkeiten, prinzipienstarke Charaktere, die mehr ihren Grundsätzen und ihrer Überzeugung als den momentanen Stimmungen des Volkes folgen, in der Volkswahl oft grössere Mühe haben, sich durchzusetzen als weniger bedeutende, aber schmiegsamere Politiker.

Was ist aber die Folge, wenn der Wähler den Kandidaten nicht genügend kennt und daher nicht selbst ein Urteil über ihn hat ? Er muss sich dann eben auf das Urteil anderer verlassen, die -- tatsächlich oder angeblich -- ein solches haben. Und das sind seine Partei, die Presse, das Badio, die Propaganda überhaupt. An die Stelle der verantwortlichen Mitglieder der Bundesversammlung treten also andere, zum Teil unverantwortliche Kräfte. Damit ist jedoch die Gefahr gegeben, dass letzten Endes nicht das Gesamtwohl- ausschlaggebend ist, sondern dass lediglich Einzelinteressen sich durchsetzen. Und zwar braucht man hiefür den guten Glauben dieser Zwischenglieder durchaus nicht in Zweifel zu ziehen. Dem Kulissenspiel, dem man mit der Volkswahl einen Biegel schieben will,
würde man also dadurch gerade Vorschub leisten.

Wenn aber der Wähler sich dergestalt auf das Urteil anderer verlassen muss, so wird er leicht zum Spielball der verschiedenen Interessen. Die Wahlpropaganda gewinnt dann entscheidende Bedeutung. Die persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Kandidaten treten gegenüber den Leistungen der Propaganda in den Hintergrund, und am meisten Aussichten auf Erfolg hat derjenige, für den die tüchtigste und finanzkräftigste Propaganda arbeitet. Die weitere unerfreuliche Folge davon ist ein heftiger Wahlkampf, der nicht davor zurückschreckt, die Kandidaten einer andern Partei in der breiten Öffentlichkeit zu diskreditieren, oft mit recht zweifelhaften Mitteln. Dabei wird es für die Betroffenen meistens ein schlechter Trost, sein, wenn sie dafür von ihrer eigenen Partei über die Massen gerühmt werden. «Von der Parteien Gunst und Hass verzerrt, schwankt ihr Charakterbild.» Sich einer solchen Prozedur

631 auszusetzen, ist jedoch nicht jedermanns Sache. Gerade die wertvollsten Kräfte können auf diese Weise davon abgehalten werden, sich als Kandidaten zur Verfügung zu stellen. Und ausserdem ist diese Art der Wahl auch für den Gewählten noch lange ein Hemmnis in seiner Tätigkeit. ' Dies insbesondere dann, wenn die amtierenden Bundesräte sich periodisch einer Wiederwahl unterziehen müssen. Ausserdem könnte die Stabilität unserer Eegierung gefährdet werden.

All dies wird nicht widerlegt durch den Hinweis auf die Tatsache, dass in den Kantonen die Wahl der Eegierung durch das Volk seit den sechziger Jahren sich immer mehr durchgesetzt hat und nun in allen Kantonen (durch Urnenwahl oder an der offenen Landsgemeinde) ausgeübt wird. Dass die Volkswahl auf diesem Boden sich bewährt hat, soll hier nicht bestritten werden, obschon auch in den Kantonen die Wahlkämpfe um die Eegierung mitunter recht unerfreuliche Formen annehmen. Dagegen muss betont werden, dass die Verhältnisse im Kanton ganz andere sind als im Bund. Schon die Tatsache allein, dass im Kanton alles viel kleiner, einfacher und übersichtlicher ist, würde eine verschiedene Behandlung rechtfertigen. Dann ist aber auch die Stellung des Bundesrates, namentlich in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt, erheblich verschieden von derjenigen einer kantonalen Eegierung. Die Volkswahl der Eegierung ist denn auch in andern Staaten kaum zu finden.

Für eine Änderung des Wahlsystems wird namentlich geltend gemacht, dem Volke müsse deswegen ein grösserer Einfluss auf die Wahl der Eegierung gegeben werden, weil ihre Machtfülle und ihre Bedeutung sich seit der Schaffung des Bundesstaates gewaltig gesteigert haben. Auch erhalte dadurch die Eegierung selbst einen stärkeren Halt, während anderseits die Bundesversammlung gegenüber einer so gewählten Eegierung freier sein werde in ihrer Kritik als gegenüber einer von ihr selbst gewählten Behörde. Diese Argumente erweisen sich aber bei näherer Prüfung als Trugschlüsse. Denn je wichtiger die Eolle der Eegierung im Staat ist, desto weniger kann man es zulassen, dass die Wahl ihrer Mitglieder von den Machenschaften unverantwortlicher Kräfte abhängig sein soll. Das zweite Argument aber, dass einerseits die Stellung der Eegierung und anderseits diejenige des Parlaments gestärkt würde, enthält einen innern Widerspruch. Zu
einem guten Teil kommt es nämlich nur darauf an, wie stark die Stellung der Eegierung im Verhältnis zum Parlament ist, so dass nicht gesagt werden kann, dass die Stellung beider gestärkt würde.

Eichtig ist nur, dass die Position des Bundesrates gegenüber der Bundesversammlung gestärkt würde, wenn dieser nicht mehr von ihr, sondern vom Volke zu wählen wäre. Ob dieser Erfolg aber gewünscht wird, mag bezweifelt werden. Der Umstand, dass auch der Bundesrat vom Volke gewählt wäre, würde jedenfalls die Aufgabe der Bundesversammlung, ihn zu überwachen und an semer Geschäftsführung Kritik zu üben, nicht erleichtern. Es wäre sogar denkbar, dass aus dieser Tatsache eine unerfreuliche Eivalität sich entwickeln könnte. Das Gleichgewicht der Kräfte, die in unserm Bundesstaat wirken, würde dadurch gestört. Dies insbesondere auch deswegen, weil das

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föderative Moment, das heute bei den Bundesratswahlen -- wenn auch nur in bescheidenem Umfange -- zur Geltung kommt, künftig überhaupt in Wegfall geraten würde. Dass die Volkswahl in der Eichtung der bisherigen Entwicklung unseres Staatswesens liege, ist kaum zutreffend, wohl aber wäre sie, wie schon Euchonnet erkannt hat, ein weiterer Schritt zur Herstellung des Einheitsstaates. Wollte man aber für die Wahl eines Bundesrates die Mehrheit der Kopfstimmen und der Ständestimmen verlangen, so würde das Zustandekommen einer Wahl noch aussichtsloser.

m. Praktische Schwierigkeiten.

Abgesehen von diesen prinzipiellen Bedenken muss man sich darüber klar werden, wie die Volkswahl sich praktisch auswirken würde. Und da tauchen sofort eine Eeihe von Schwierigkeiten auf.

Vor allem ist es einleuchtend, dass es nicht dem Zufall überlassen werden kann, für welche Kandidaten jeder Bürger seine Stimme abgeben will. Sonst könnte es vorkommen, dass Hunderte von Personen Stimmen erhalten, ohne dass eine derselben auch nur einen erheblichen Bruchteil der Stimmen auf sich vereinigen würde. Es muss also von Anfang an eine Konzentration auf eine kleinere Anzahl von Kandidaten vorgenommen werden, soll das Wahlgeschäft Aussicht haben, zu einem positiven Ergebnis zu kommen. Eine Beschränkung des Vorschlagsrechts ist somit unerlässlich. Während die Doppelinitiative in dieser Eichtung noch nichts vorgesehen hatte, will das vorliegende Volksbegehren die Wahl auf jene Kandidaten beschränken, die von mindestens 30 000 Stimmberechtigten unterschriftlich zur Wahl vorgeschlagen werden.

Dem Wahlakt müsste also für jede Wahl eine Unterschriftensammlung, ähnlich wie bei der Verfassungsinitiative, vorausgehen. Da nichts Gegenteiliges vorgesehen ist, würde dieses Verfahren auch für die Wiederwahl bereits amtierender Bundesräte Platz greifen. Alle vier Jahre müssten somit für jeden Bundesrat 30 000 Unterschriften aufgebracht werden. Welche Umtriebe, welche Propaganda und welche Aufwühlung der politischen Leidenschaften damit verbunden wären, kann man sich denken. Selbst wenn man diese Bestimmung dahin abändern würde, dass die amtierenden Bundesräte ohne solche Unterschriftensammlung als vorgeschlagen gelten, würde immer noch reichlich viel Beunruhigung der Öffentlichkeit mit einer solchen Wahl verbunden sein.

Weiter stellt sich die
Frage, welche Mehrheit für das Zustandekommen einer Wahl erforderlich ist. Die Doppelinitiative bestimmte, es sollen nur zwei Wahlgänge stattfinden, wobei im ersten das absolute, im zweiten das relative Mehr entscheide. Es bedürfte oft zweier Wahlgänge, was die Wahl sehr schwerfällig machen würde. Um dies zu vermeiden, ist vorgeschlagen worden, wenn im ersten Wahlgang eine Wahl nicht zustande komme, so sei sie von der Bundesversammlung vorzunehmen. Dass diese Lösung noch ungeschickter wäre, bedarf wohl keiner weitern Begründung. Das vorliegende Volksbegehren enthält nun diesbezüglich überhaupt keine Vorschrift mehr.

Daraus muss man wohl schliessen, dass schon im ersten Wahlgang das relative

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Mehr genügt. Damit wäre aber die Möglichkeit gegeben, dass ein Kandidat gewählt wäre, obwohl er nur einen kleinen Bruchteil der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt hätte. Das wäre ein recht unerfreuliches Ergebnis. Anderseits würde das Wahlverfahren ausserordentlich schwerfällig und schleppend, wenn man die Wahlgänge solange wiederholen wollte, bis das absolute Mehr erreicht wäre. Man braucht sich nur daran zu erinnern, dass selbst in der Bundesversammlung oft mehrere Wahlgänge nötig sind, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Dazu kommen noch die Fälle der Ablehnung und der unerwartet nötig werdenden Ersatzwahlen, für welch letztere das Volksbegehren sofortige Durchführung vorsieht, falls die Gesamterneuerung nicht innert sechs Monaten bevorsteht.

Noch grössere Schwierigkeiten bereitet bei der Volkswahl das Problem der Minderheiten. Schon die Berücksichtigung der Sprachstämme, die von der Bundesversammlung bisher in kluger Weise durchgeführt wurde, müsste hier zu Komplikationen führen. Da die deutschsprachige Bevölkerung über fast drei Viertel aller Stimmen verfügt, wäre es denkbar, dass die grösste Zahl der Stimmen auf lauter Deutschschweizer fallen würde. Es bliebe dann allerdings die Lösung, dass man trotzdem nur so viele Deutschschweizer als gewählt betrachten würde als der deutsch sprechenden Schweiz proportional zukommen, während für die andern Sitze diejenigen Angehörigen der andern Sprachstämme, welche die meisten Stimmen erhielten, gewählt wären. Es wäre aber nicht ein erfreuliches Ergebnis, wenn einer gewählt wäre, obwohl er vielleicht nicht einmal halb so viele Stimmen erhalten hätte wie einer, der als nicht gewählt erklärt werden müsste. Ausserdem wäre bei diesem Verfahren Voraussetzung, dass die Proportion, in welcher die Sprachen berücksichtigt werden müssten, in der Verfassung festgelegt wäre. Die Bedenken, die hiegegen sprechen, haben wir bereits an anderer Stelle (S. 624 f.) erörtert. Wir haben dort auch darzutun versucht, dass die Aufnahme einer Garantievorschrift zugunsten der parteipolitischen Minderheiten noch weniger in Frage kommt. Auf keinen Fall wird es jedoch möglich sein, das Stärkeverhältnis der Parteien in der Verfassung selbst festzulegen, da dieses ja in stetigem Flusse begriffen ist. Damit ist aber die Anwendung des Verfahrens, das wir soeben bezüglich der Sprachen
besprochen haben, unmöglich. Es dürfte auch schwer halten, ein anderes Verfahren zu finden, das die angemessene Berücksichtigung der politischen Parteien ermöglicht. So könnte sich die Volkswahl gerade für die parteipolitischen Minderheiten, die sich so viel von ihr versprechen, verhängnisvoll auswirken.

Und wie wäre es um das Zusammenarbeiten der verschiedenen Sprachstämme bestellt, wenn die Minderheiten nicht die ihnen zukommende Anzahl Vertreter hätten oder wenn ihnen diese zwar gegeben würde, die Deutschschweizer aber ihre Stimme einem Westschweizer oder einem Tessiner geben würden, der wohl ihr Vertrauen, aber nicht dasjenige seiner Stammesgenossen besitzt?

Berücksichtigt man weiter, dass das bisherige System keine grundsätzlichen Schwierigkeiten bereitet, dass man mit ihm sogar gute Erfahrungen gemacht hat, so wird man, wie seinerzeit Alfred Escher im Nationalrat, sagen Bundesblatt. 92. Jahrg. Bd. I.

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634 müssen: Man soll nicht unnötigerweise die urundlagen des Staates andern, blossen Theorien zuliebe. Dies um so weniger dann, wenn schon diese Theorie nicht widerspruchslos in sich selbst ist. Namentlich aber führen uns die bisherigen Erfahrungen hier zum Schluss: quieta non movere.

Somit empfehlen wir Ihnen, das Begehren auf Einführung der Wahl des Bundesrates durch das Volk abzulehnen.

Wir ergreifen gerne den Anlass, Sie unserer vorzüglichen Hochachtung zu versichern.

Bern, den S.Mai 1940.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Pilet-Golaz.

Der Bundeskanzler:

G. Bovet.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

das Volksbegehren für die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates und seine Wahl durch das Volk.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsichtnahme in das Volksbegehren vom 29. Juli 1989 betreffend die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates und seine Wahl durch das Volk, gestützt auf Art. 121 ff. der Bundesverfassung und Art. 8 ff. des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Kevision der Bundesverfassung, nach Einsichtnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 8. Mai 1940, beschliesst :

Art. 1.

Der Abstimmung des Volkes und der Stände wird das Volksbegehren vom 29. Juli 1989 unterbreitet, das folgenden Wortlaut hat:

635 «Die unterzeichneten stimmberechtigten Schweizerbürger stellen hiermit gemäss Art. 121 der Bundesverfassung und gemäss dem Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung folgendes Begehren: Die Art. 95 und 96 der Bundesverfassung werden durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 95. Die oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft ist ein Bundesrat, der aus neun Mitgliedern besteht.

Die Mitglieder des Bundesrates werden von den stimmberechtigten Schweizerbürgern jeweils am Tage der Nationalratswahlen auf die Dauer von vier Jahren, mit Amtsantritt am folgenden 1. Januar gewählt.

Wahlfähig ist jeder in den Nationalrat wählbare Schweizerbürger, der von mindestens 80 000 Stimmberechtigten unterschriftlich zur Wahl vorgeschlagen wird. Es darf jedoch aus keinem Kanton mehr als ein Bundesrat gewählt werden. Die Wahl erfolgt in einem die ganze Schweiz umfassenden Wahlkreis.

Art. 96. Bei der Wahl des Bundesrates sind die politischen Bichtungen und die Sprachgebiete der Schweiz angemessen zu berücksichtigen. Wenigstens drei Mitglieder müssen den französisch, italienisch und romanisch sprechenden Teilen, wenigstens fünf den deutschsprechenden Teilen der Schweiz angehören.

Ersatzwahlen sind, falls die Gesamterneuerung nicht innert sechs Monaten bevorsteht, unverzüglich durchzuführen.

Art. 96bis. Die Bundesgesetzgebung trifft die nähern Bestimmungen über die Ausführung der in Art. 95 und 96 aufgestellten Grundsätze.»

Art. 2.

Es wird dem Volk und den Ständen beantragt, das Volksbegehren (Art. 1) zu verwerfen.

Art. 3.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

1898

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates und seine Wahl durch das Volk. (Vom 3. Mai 1940.)

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