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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Tessin vom 18. Juli 1904.

(Vom 3. März 1905.)

Tit.

Durch Dekret vom 18. Juli 1904 hat der Große Rat des Kantons Tessin ein Verfassungsgesetz betreffend Abänderung der Art. 3 und 15 der Kantonsverfassung vom 2. Juli 1892 beschlossen. In der Volksabstimmung vom 6. November 1904 wurde das Gesetz bei einem absoluten Mehr von 10,622 gültigen Stimmen mit 10,906 gegen 10,221 Stimmen angenommen.

Mit Begleitschreiben vom 29./30. November 1904 hat der Staatsrat des Kantons Tessin dem Bundesrat das Verfassungsgesetz zur Erlangung der eidgenössischen Gewährleistung übermittelt.

Die abgeänderten Art. 3 und 15 der Verfassung beziehen sich auf die Wahl der Mitglieder des Großen Rates und des Staatsrates. An wesentlichen Neuerungen, die durch die Revision im Verfassungsrecht des Kantons Tessin geschaffen werden, sind folgende zu nennen: a. In bezug auf die Großratswahlen (Art. 3): 1. Während bisanhin durch ein besonderes Gesetz Zahl (8) und Umfang der Wahlkreise bestimmt war, teilt der revidierte Art. 3 der Verfassung im zweiten Alinea das Kantonsgebiet für die Großratswahlen in 4 Wahlkreise ein und bestimmt ihren Umfang; eine Änderung der Wahlkreis-

758 eînteilung kann somit inskünftig nur in den Formen der Verfassungsrevision vor sich gehen.

2. Einen weitern Ausbau des schon bisher gültigen proportionalen Wahlverfahrens bringt die Revision des Art. 3 der Verfassung durch Einführung des ergänzenden Systems der Gruppierung der Bruchteile; danach erfolgt die Zuteilung der in den Wahlkreisen nicht schon auf Grund des allgemeinen Wahlquotienten bestimmten Abgeordneten nach folgendem Modus: die von jeder Gruppe in den einzelnen Wahlkreisen erhaltenen Bruchteile werden für den ganzen Kanton zu einer einzigen Summe vereinigt, welche durch die Anzahl der in den Wahlkreisen nicht bestimmten Abgeordneten plus eins dividiert wird. Die Zuteilung der sonach als gewählt erklärten Abgeordneten an die einzelnen Wahlkreise erfolgt sodann in der Weise, daß die jeder Gruppe zukommenden Abgeordneten demjenigen Wahlkreis oder denjenigen Wahlkreisen zugewiesen werden, in denen sich für die betreffende Gruppe die größten Bruchteile ergeben haben, immerhin so, daß jeder Wahlkreis die ihm gemäß der Wählerliste zukommende vollständige Vertretung erhält.

Die weitern Vorschriften für die Ausübung des proportionalen Wahlverfahrens werden, wie bisanhin, dem Gesetz vorbehalten.

b. In bezug auf die Staatsratswahlen (Art. 15): 1. Während die 5 Staatsräte bisher ebenfalls im proportionalen Wahlverfahren gewählt wurden, soll dies in Zukunft nach dem System des limitierten Votums geschehen, so daß jeder Wähler bloß für 4 Kandidaten stimmen darf. Weitere Vorschriften über dies Wahlverfahren sind dem Gesetz vorbehalten.

2. Während bisher bei Ersatzwahlen in den Staatsrat nur dann die absolute Mehrheit entschied, wenn nicht mehr als zwei Ersatzwahlen vorzunehmen waren, wird bezüglich dieser Ersatzwahlen inskünftig ohne Rücksicht auf ihre Zahl das System des absoluten Mehrs zur Anwendung kommen.

Die Überprüfung des Wortlauts der abgeänderten Verfassungsbestimmungen mit Rücksicht auf Art. 6 der Bundesverfassung hat ergeben, daß sie nichts dem Bundesrechte zuwiderlaufendes enthalten. Das limitierte Votum für die Wahl 'der Regierungsräte

759 durch das Volk ist zwar eine für diese Art von Wahlen bei uns noch nicht eingeführte Einrichtung. Es entspricht aber diese Neuerung dem durch das Proportionalwahlsystems sich immer mehr einbürgernden System einer rechtlich geschützten Minderheitsvertretung, wogegen vom Standpunkte des Bundesverfassungsrechtes eine Einwendung nicht zu erheben ist.

Wir beantragen Ihnen, dem Verfassungsgesetz des Kantons Tessin vom 18. Juli 1904 die nachgesuchte eidgenössische Gewährleistung nach dem beigelegten Beschlussesentwurf zu erteilen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 3. März 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesratee, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Kingier.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluß betreffend

die eidgenössische Gewährleistung des tessinischen Verfassungsgesetzes vom 18. Juli 1904.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 3. März 1905 über das tessinische Verfassungsgesetz vom 18. Juli 1904, in Betracht: daß dieses Gesetz nichts dem Bundesrecht widersprechendes enthält; daß es in der Volksabstimmung vom 6. November 1904 von der Mehrheit der stimmenden Bürger angenommen worden ist; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Dem Verfassungsgesetz des Kantons Tessin vom 18. Juli 1904 wird die eidgenössische Gewährleistung erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

·jr-O-ES--

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Tessin vom 18. Juli 1904. (Vom 3. März 1905.)

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