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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Kompetenz des Bundesrates zum Abschluß provisorischer Abkommen mit dem Auslande.

(Tom 21. November 1905.)

Tit.

Anläßlich der Beratungen der Bundesversammlung über die vom Bundesrate vorgenommene provisorische Regelung der Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Spanien (Bericht des Bundesrates vom 25. September 1905), erklärte sich der Vertreter des Bundesrates bereit, die Frage zu prüfen, ob nicht,, in Abweichung vom bisherigen Verfahren, in Zukunft auch provisorische Abkommen bezüglich des Abschlusses von Handelsverträgen den eidgenössischen Räten zu unterbreiten seien, und darüber in der Dezembersession zu berichten. Wir entledigen uns hiermit dieser Aufgabe.

Wie wir in unserm Bericht vom 25. September 1905 (Bundesbl. 1905, V, 210) erwähnten, ist es mehrmals vorgekommen, daß der Bundesrat von sich aus und ohne die vorherige Genehmigung der Bundesversammlung einzuholen, die Handelsbeziehungen mit ändern Staaten regelte. So wechselte der Bundesrat am 28. Dezember 1876 mit R u m ä n i e n eine Deklaration aus, durch welche die Handelsbeziehungen provisorisch, d. h. bis zum Abschluß eines eigentlichen Handelsvertrages, geregelt wurden (A. S. n. F. II, 576). Das auf 5 Mo-

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nate abgeschlossene Übereinkommen wurde durch Erklärung vom 13. Juni 1877 auf weitere 9 Monate verlängert (A. S.

n. F. m, 124).

Am 26. Juli/7. August 1879 schloß der Bundesrat mit dem unabhängig erklärten Fürstentum S e r b i e n ein provisorisches Handelsübereinkommen (A. S. n. F. IV, 448).

Am 9. Januar 1880 wurde zwischen dem schweizerischen Bundesrat und der Regierung des Königreichs B e l g i e n das Übereinkommen getroffen, daß sich die beiden Staaten vom Ablauf des Vertrages an bis zum Abschluß eines neuen Vertrages auf dem Fuße der Gleichstellung mit der meistbegünstigten Nation behandeln werden (A. S. n. F. IV, 447). Mit B u l g a r i e n bestand seit 1890 ein Meistbegünstigungsverhältnis, welches am 31. Januar 1895 durch Notenaustausch auf 2 Jahre verlängert wurde; eine neue Vereinbarung zum Zweck der Meistbegünstigung wurde durch Notenaustausch vom 28. Februar 1897 geschlossen.

In allen diesen Fällen wurde die gegenseitige Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation vereinbart; die Bundesversammlung wurde durch den Geschäftsbericht in Kenntnis gesetzt.

Eine temporäre Handelsübereinkunft mit I t a l i e n vom 28. Januar 1879 wurde vom Bundesrate schon am 31. Januar gì. J.

dringlichkeitshalbor ratifiziert und erst nachträglich der Bundesversammlung zur Genehmigung vorgelegt. Auch der Handelsvertrag vom 19. April 1892 wurde von der Bundesversammlung erst am 14. Juni genehmigt (Salis, II, Nr. 430).

Über die Frage, welche Bundesbehörde zum Abschluß von Verträgen mit dem Auslande kompetent sei, enthält die Bundesverfassung nur die kurze Bestimmung des Art. 85, Ziffer 5, wonach in den Geschäftskreis beider Räte u. a. fallen : ,,Bündnisse und Verträge mit dem Auslande.a Als Verträge im Sinne dieser Bestimmung sind alle Willenserklärungen zu betrachten, durch welche die Schweiz dem Auslande gegenüber Verpflichtungen eingeht, in welcher Form diese Willenserklärung auch abgegeben werden möge. Denn wenn die Bundesverfassung der Bundesversammlung eine bestimmte Kompetenz vorbehalten wollte, konnte sie diese Kompetenz nicht nach einem Umstände abgrenzen, der im Belieben des Bundesrates liegt. Es ist daher klar, daß es darauf nicht ankommt, ob die Vereinbarung durch Auswechselung übereinstimmender Erklärungen im Wege bloßen Notenaustausches oder durch Abschluß eines förmlichen Vertrages zu stände komme.

n Die in der Bundesverfassung aufgestellte Vorschrift bezieht sich in ihrer abstrakten Allgemeinheit auf alle Arten Verträge im obigen Sinne, welches auch ihr Inhalt sei. Grundsätzlich ist anzuerkennen, daß nicht nur wichtige und auf die Dauer geschlossene Verträge, sondern auch unwichtige und bloß für eine kurze Übergangszeit wirkende Vereinbarungen der Bundesversammlung zur Genehmigung vorzulegen sind, bevor der Bundesrat dem fremden Staate gegenüber die verpflichtende Erklärung abgibt. Die Regel muß daher sein, daß auch für handelspolitische Abkommen vorübergehender Dauer die vorgängige Genehmigung der Bundesversammlung einzuholen ist.

Anderseits aber darf ein Grundsatz wie der vorliegende, ·den die Bundesverfassung als Regel aufstellt, nicht in alle seine logischen Konsequenzen verfolgt werden, ohne Rücksicht auf die Forderungen der Wirklichkeit; eine solche Methode der Auslegung würde häufig zu extremen, praktisch undurchführbaren Sätzen, ja geradezu zu Widersprüchen mit ändern verfassungsrechtlichen Grundsätzen führen. Die Verfassung stellt die Regel auf. Sache der vernünftigen Auslegung ist es, von dieser dem Wortlaute nach absoluten Regel diejenigen Ausnahmen zuzulassen, ·die zugelassen werden können, ohne daß die von der Verfassung gewollte Regel im Grundsatze preisgegeben wird.

Die Erfahrung lehrt nun, daß die Schweiz häufig in die Lage kommt, binnen kurzer Frist eine vertragliche Verständigung mit 'einem auswärtigen Staate festlegen zu müssen, wenn sie nicht wichtige Interessen preisgeben will ; sollen diese Interessen gewahrt bleiben, so muß eine Behörde ermächtigt sein, namens der Schweiz zu verhandeln und abzuschließen. Die internationalen Beziehungen lassen sich nicht nach den Sessionen der Bundesversammlung regeln, sondern die Verhandlungen mit fremden Staaten schaffen Verhältnisse, welche ohne Nachteil für die Fortdauer guter Beziehungen, ohne Nachteil für die Interessen des schweizerischen Handels nicht unbestimmte Zeit ohne Lösung bleiben können. Es war sicher nicht die Absicht der Bundesverfassung, daß die Schweiz eher schweren, vielleicht unwiederbringlichen Schaden erleide, als daß der Bundesrat ohne vorherige Genehmigung der Bundesversammlung vertragliche Verpflichtungen mit dem Auslande eingehe. Indem die Verfassung in Art. 102, Ziffer 8, dem Bundesrat die Wahrung der
Interessen der Eidgenossenschaft nach außen und ihrer völkerrechtlichen Beziehungen überträgt, gestattet sie selber ein selbständiges Vorgehen des Bundesrates, wo es die internationalen Interessen der Bundesblatt. 57. Jahrg. Bd. VI.

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18 Schweiz gebieterisch erfordern. Der Bundesrat soll aber nur im Falle der Dringlichkeit und unter möglichster Wahrung der Kompetenzen der Bundesversammlung von sich aus Staatsverträge abschließen.

Läßt sich die Notwendigkeit einer Vereinbarung ohne Mitwirkung der Bundesversammlung voraussehen, so kann der Bundesrat die Bundesversammlung um die Ermächtigung zu selbständigem Vorgehen angehen. Oft tritt aber der Fall unvorhergesehen ein. Dann kann der Bundesrat ohne Verfassungsverletzung den Vertrag abschließen. Wenn es irgend möglich ist, wird er im Vertrag selber die spätere Genehmigung der gesetzgebenden Behörde vorbehalten, derart, daß, wenn die Genehmigung nicht erteilt wird, der inzwischen in Kraft getretene Vertrag wieder dahinfällt. Der Bundesrat ist z. B. so verfahren in der provisorischen Handelsilbereinkunft mit Serbien von 1879. Wir möchten aber auch dazu den Bundesrat nicht unbedingt verpflichten. Der Bundesrat könnte dadurch in die Unmöglichkeit versetzt werden,, den Vertrag abzuschließen, wie der jüngste Vorgang mit Spanien zeigt. Behält man im Auge, daß vernünftigerweise das Interesse des ganzen Landes gegenüber dem Auslande nicht einem Grundsatz der innern Behördenorganisation geopfert werden kann, so kommt man zum Schluß, daß es besser ist, der Bundesrat schließe den Vertrag allein, ohne Vorbehalt späterer Genehmigung durch die Bundesversammlung, als daß der Vertrag gar nicht geschlossen werde. Der auswärtige Staat wird sich nicht immer dem Risikoaussetzen wollen, daß der Vertrag zu einem ganz unbestimmten Zeitpunkt, vielleicht, wenn es ihm am nachteiligsten ist, aufgehoben werde; die Schweiz selber wird es vielleicht nicht immer ihrem Vertragsgegner zugestehen können.

Eine Ausnahme von der Regel, daß Verträge mit dem Ausland durch die Bundesversammlung genehmigt werden sollen, b e v o r sie endgültig abgeschlossen sind, ist es ohnehin, wenn der Bundesrat einen Vertrag von sich aus schließt mit dem Vorbehalt der nachträglichen Genehmigung durch die Bundesversammlung; denn einmal tritt der Vertrag in Kraft, bevor er die Zustimmung der Bundesversammlung erhalten, und sodann steht die Bundesversammlung, wenn sie zur Prüfung des Vertrages kommt, nicht mehr vor einer intakten Frage. Gestattet man aber eine Ausnahme von der Regel, so muß man die Ausnahme so formulieren, wie es die Bedürfnisse des internationalen Verkehrs erheischen.

19 Wir sind daher der Ansicht, der Bundesrat solle, wo dies ohne Verletzung wichtiger internationaler Interessen der Schweiz möglich, keine Verträge, auch keine provisorischen eingehen, ohne vorherige Genehmigung des Vertragsentwurfes durch die Bundesversammlung oder wenigstens ohne generelle Ermächtigung seitens dieser Behörde ; wenn aber wichtige Interessen den sofortigen Abschluß erfordern, so solle er dazu befugt sein, und zwar, wenn notwendig, auch ohne die nachträgliche Genehmigung der Bundesversammlung vorzubehalten. Dem Sinne der Bundesverfassung entspricht es aber, daß er der Bundesversammlung bei ihrem nächsten Zusammentritt von seinem Vorgehen Kenntnis gebe. Es wird damit allerdings in das Ermessen des Bundesrates selber gestellt, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen zu seinem selbständigen Vorgehen gegeben sind, mit ändern Worten, ob ohne Verletzung wichtiger Interessen der Abschluß des Vertrages bis zum nächsten Zusammentritt der Bundesversammlung verschoben werden kann ; allein das Bewußtsein, daß er auch einzig für die Folgen der Vereinbarung verantwortlich ist und daß er der Bundesversammlung wird Rechenschaft ablegen müssen, wird ihn davon zurückhalten, von seiner Kompetenz ohne Not Gebrauch zu machen.

Die dargelegten Grundsätze müssen nach unserem Dafürhalten auch auf die V e r l ä n g e r u n g eines Vertrages über die ursprünglich vereinbarte Dauer hinaus Anwendung finden. Die Regel bleibt auch hier die Genehmigung der die Verlängerung bewirkenden Vereinbarung durch die Bundesversammlung; der Bundesrat muß aber, mit noch besserem Grunde als bei der Aufstellung neuer "Vertragsbestimmungen, befugt sein, die Schweiz von sich aus zu verpflichten. Es ist dies schon in einer Reihe von Fällen geschehen (Salis II, °Nr. 425, 426, 431}. Wir verweisen im besondern auf den Handelsvertrag mit Spanien vom 14. März 1883, der unwiderruflich und ohne vorherige Kündigung mit dem 30. Juni 1887 ablaufen sollte; durch eine am 27, Juni 1887 in Bern ausgewechselte Erklärung wurde die Dauer des Vertrages bis zum 1. Februar 1892 verlängert. Spanien kündigte den Vertrag auf diesen Zeitpunkt und da Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Handelsvertrages vorher nicht gepflogen werden konnten, ließ sich die spanische Regierung von der gesetzgebenden Behörde ermächtigen, den Vertrag zu verlängern.
Der Bundesrat unterzeichnete darauf am 25. Januar 1892 eine Übereinkunft betreffend Verlängerung dieses Vertrages bis zum 30. Juni 1892, nicht ohne einige Abänderungen. Der Bundesversammlung wurde durch Botschaft vom 20. Januar 1892 (Bun-

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desbl. 1892, I, 529) Kenntnis von dieser Übereinkunft gegeben, und die beiden Räte nahmen davon am 29. Januar gl. Js. Vormerk im Protokoll. Der Vorgang war also ein ganz ähnlicher, wie derjenige von 1905.

B e r n , den 21. November 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der I. Vizekanzler: Schatzmann.

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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend Zentralstrafenregister und schweizer. Polizeianzeiger.

(Vom 21. November 1905.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Wie Ihnen bekannt ist, bat das zufolge Bundesbeschlusses vom 26. Oktober 1903 errichtete schweizerische Zentralpolizeibureau im Jahre 1904 seine Tätigkeit mit der Einrichtung und Führung der a n t h r o p o m e t r i s c h e n Z e n t r a l r e g i s t r a t u r begonnen und auf Anfang dieses Jahres" die beiden anderen ihm übertragenen Dienstzweige -- Führung des Z e n t r a l s t r a f e n r e g i s t e r s und Herausgabe des schweizerischen P o l i z e i a n z e i g e r s -- in Betrieb gesetzt.

Am 10. Oktober abhin befaßte sich die in Bellinzona zusammengetretene VI. Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten des nähern mit der neuen Institution.

Während die a n t h r o p o m e t r i s c h e Z e n t r a l r e g i s t r a tur und der damit zusammenhängende Nachrichtendienst zu keinen Bemerkungen Anlaß gab, gelangten in bezug auf das S t r a f e n r e g i s t e r und den P o l i z e i a n z e i g e r verschiedene Wünsche zum Ausdruck, die wir Ihnen hiermit zur Kenntnis bringen.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Kompetenz des Bundesrates zum Abschluß provisorischer Abkommen mit dem Auslande. (Vom 21.

November 1905.)

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6

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48

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22.11.1905

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