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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Paul Sandoz in La Chaux-de-Fonds gegen den Entscheid des Justizdepartements des Kantons Neuenburg vom 9. August 1905 betreffend die Wiedereintragung der Kommanditgesellschaft Paul Sandoz & Cie. (Kommanditär Léon Lugeon) in La Chaux-deFonds in das Handelsregister.

(Vom 1. Dezember 1905.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t hat

über den Rekurs des Paul Sandoz in La Chaux-de-Fonds gegen den Entscheid des Justizdepartements des Kantons Neuenburg vom 9. August 1905 betreffend die Wiedereintragung der Kommanditgesellschaft Paul Sandoz & Cie. (Kommanditär Léon Lugeon) in La Chaux-de-Fonds in das Handelsregister ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, f o l g e n d e n Beschluß gefaßt:

ü

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 22. August 1903 wurde die aus dem unbeschränkt haftenden Gesellschafter Paul Sandoz und dem Kommanditär Léon Lugeon (Kommandite Fr. 5000) bestehende Kommanditgesellschaft

512 Paul Sandoz & Cie. iu La Chaux-de-Fonds im Handelsregister gestrichen. Gleichzeitig wurde unte) 1 dei1 gleichen Firma ein«; neue Kommanditgesellschaft eingetragen, welcher wiederum Punì Sandoz als unbeschränkt haftender Gesellschafter angehörte. Als Kommanditär beteiligte sich Charles Joseph mit der Summe von Fr. 5000. Diese Gesellschaft übernahm Aktiven und Passiven der gelöschten Firma Paul Sandoz & Cie. und damit die Verpflichtungen aus dem am 14. Juli 1903 genehmigten Nachlaßvertrag der alten Firma, welche den Gläubigern versprochen hatte, in sieben halbjährlichen Raten den vollen Betrag ihrer Schulden nebst 3% Jahreszins zu bezahlen.

Die erste Rate wurde am 14. Januar "1904 von der neuen Firma pünktlich entrichtet. Die Bezahlung der zweiten, am 14. Juli 1904 fälligen Rate unterblieb. Infolgcdesseu erlangte die Banque Populaire Suisse in St. Immer am 5. Oktober 1904 gemäß Art. 315 des Betreibungsgesetzes für sich den gerichtlichen Widerruf des Nachlaßvertrages gegenüber der n e u e n Firma ; in der Meinung, es könne dies der alten gelöschten Firma gegenüber, mit welcher der Nachlaßvertrag abgeschlossen war, nicht mehr erlangt werden, da die nützliche Frist des Art. 40 des Betreibungsgesetzes verflossen sei. Die neue Firma schlug nun sämtlichen Gläubigern einen neuen Nachlaßvertrag vor, welcher jedoch die gerichtliche Genehmigung nicht erlangte ; daher wurde am 21. Januar 1905 über sie der Konkurs ausgesprochen. Nachträglich gelang es nun aber Paul Sandoz & Cie.

doch, atri 22. Mai 1905 die Bewilligung /u einem Nachlaßvertrag zu erhalten, gemäß welchem die Gläubiger 10°/o ihrer Forderungsbeträge erhalten sollten. Der Konkurs wurde daher am 5. Juni 1905 widerrufen.

II.

Unter den Gläubigern bei diesem Nachlaßvertrage befand sichj auch Julien Weibel, père, in St. Immer, welcher als Gcssionar der vorerwähnten Banque Populaire Suisse in St. Immer aus dem Nachlaßvertrag der alten Firma vom 14. Juli 1903 eine Forderung von Fr. 31,622. 70 geltend gemacht hatte. Da ihm nun hiervon durch die Firma Paul Sandoz & Cie. (Kommanditär Joseph) nur ein kleiner Teil gedeckt werden konnte, so verlangte er am L Blai, daß die am 22. August 1903 gelöschte Firma Paul Sando/.
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Forderung Befriedigung suchen könne. Zur Begründung führte er an : Die Kommanditgesellschaft Paul Sandoz & Cie. (Lugeon) ist zwar aufgelöst, aber nicht liquidiert worden, wie dies in Art. 611, beziehungsweise 580 ff., des Obligationenrechts vorgeschrieben ist.

Es hat nur eine Konfusion der Aktiven und Passiven beider Gesellschaften stattgefunden infolge der eingetretenen Succession.

Da die Liquidation nicht stattgefunden hat, kann jeder Gläubiger der alten Firma deren Wiedereintragung verlangen.

III.

Paul Sandoz & Cie. beantragten Abweisung dieses Begehrens.

Sie führten aus : Die Übernahme von Aktiven und Passiven einer zu löschenden Gesellschaft durch einen neuen Geschäftsinhaber erfüllt selbst das Erfordernis der Liquidation. Das ganze Vermögen ist auf die neue Firma übergegangen, und diese hat sich verpflichtet, die Schulden zu bezahlen. Im vorliegenden Falle handelt es sich tatsächlich nur um den Wechsel eines Schuldners, des Kommanditärs ; dies berührt nur die Gesellschaft und nicht Dritte. Weibel hat diesen Vorgang anerkannt, indem er die neue Gesellschaft für die mit der alten kontrahierten Schulden verfolgte. Die sechs Monate seit Löschung der . alten Gesellschaft, innert welchen Weibel gegen dieselbe noch hätte vorgehen können, sind nun verflossen und können nicht verlängert werden.

IV.

Am 9. August 1905 verfügte das Justizdepartement von Neuenburg als Aufsichtsbehörde über das Handelsregister dieses Kantons die Wiedereintragung der alten Firma Paul Sandoz & Cie.

(Kommanditär Lugeon), indem es die Frage, ob deren Liquidation vollständig durchgeführt sei, verneinte, mit Rücksicht auf die Forderung, welche Julien Weibel gegen dieselbe geltend machte und im Hinblick auf die Entscheide des Bundesrates vom 19. November 1901 in Sachen Manufacture Anglo-Française d'Aciers et Outils Meyer & Cie. contra Duvanel & Juvet (Bundesbl. 1901, IV, S. 920), vom 11. November 1902 in Sachen A. Coconcelli & Cie. (Buudesbl. 1902, V, S. 527), und vom 28. Mai 1904 in Sachen Karl Easer contra Greutert, Peterelli & Cie. (Bundesbl.

1904, III, S. 735).

Diese Verfügung wurde Paul Sandoz & Cie. durch den Registerführer von La Chaux-de-Fonds am 10. August notifiziert.

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V.

Paul Sandoz, als unbeschränkt haftender Gesellschafter der mehrgenannten Kommanditgesellschaft, ergriff dagegen rechtzeitig den Rekurs an den Bundesrat mit Eingabe vom 15. August 1905 und beantragte, der Bundesrat wolle in Aufhebung der Verfügung vom 9. August feststellen, daß für die Kommanditgesellschaft Sandoz & Cie. (Kommanditär Lugeon) eine Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister nicht mehr bestehe.

Aus der Begründung dieses Antrags ist folgendos hervorzuheben : Die Liquidation der alten Gesellschaft ist durchgeführt worden, indem die neue Gesellschaft Aktiven und Passiven der alten übernommen hat. Diese Verschmelzung der beiden Gesellschaften zu einem Rechtssubjekt ist von Julien Weibel anerkannt worden.

Von dieser Überzeugung ist auch das Kantonsgericht von Neuenburg ausgegangen, als es die Bewilligung zu einem Nachlaßvertrag am 19. Dezember 1904 verweigerte und hervorhob, es würde Weibel ansonst des Rechtsvorteils berauben, welchen derselbe durch den gegen die neue Gesellschaft ausgesprochenen Widerruf des Nachlaßvertrages der alten Firma erlangt hätte.

Unte.r allen Umständen muß aber heute die Liquidation der alten Gesellschaft als beendigt bezeichnet werden, da die mit derselben verschmolzene neue Gesellschaft den Nachlaßvertrag vom 22. Mai 1905 erlangt und sowohl gegenüber den alten als den neuen Gläubigern erfüllt hat. Die von Julien Woibel behauptete Forderung besteht also tatsächlich nicht mehr, sie ist getilgt. Die von der Aufsichtsbehörde angerufenen Entscheide dos Bundesrates können auf vorliegenden Fall keine Anwendung finden, da es sich hier um eine Universalsuccession einer neuen Gesellschaft in das Vermögen einer bisherigen und die Liquidation des Gesamtvermögens durch die Erfüllung eines von der neuen Gesellschaft erlangten Nach laß ver träges handelt. Julien Woibel hat auch kein rechtliches Interesse, die Wiedereintragung der alten Gesellschaft zu verlangen. Da das Vermögen derselben nicht mehr vorhanden ist, so bleiben ihm nur die Rechtsmittel der Art. 585 ff. des Obligationenrechts. Der unbeschränkt haftende Gesellschafter der beiden Gesellschaften ist ein und derselbe. Die Klage gegen diesen verjährt aber erst nach fünf Jahren seit der Auflösung der Gesellschaft.

515 VI.

Diesem Rekurs gegenüber berief sich das Justizdepartement lediglich auf den Standpunkt, den es im Entscheide vom 9. August eingenommen hatte.

VII.

Julien Weibel, dem der Rekurs ebenfalls mitgeteilt wurde, äußert sich darüber folgendermaßen : Die -Konfusion von Aktiven und Passiven zweier Geschäfte bildet nicht einen Grund für den Untergang von Obligationen {vide Obligationenrecht Art. 144). Beide Gesellschaften existieren nebeneinander. Der Umstand, daß der Nachlaßvertrag der neuen Gesellschaft auch die Schulden der alten umfaßt, ist nicht wesentlich, sondern nur eine Folge der Übernahme von Aktiven und Passiven der letztern. Durch diesen Vorgang erfolgt keine Novation, das alte Schuldverhältnis ist nicht untergegangen. Vielmehr haben wir es hier mit einem Vertrag zu gunsten Dritter zu tun, der gemäß Art. 128 des Obligationenrechts Julien Weibel berechtigte, von der neuen Gesellschaft Erfüllung zu fordern.

Die Behauptung ist also unrichtig, die letztere habe durch Erfüllung ihres Nachlaßvertrages die alte Gesellschaft liberiert. -- Das von der Gegenpartei erwähnte Urteil des Kantonsgerichts von Neuenburg vom 19. Dezember 1904 berührt in keiner Weise das Rechtsverhältnis des Julien Weibel zur alten Gesellschaft.

Entsprechend dem Standpunkte, den der Bundesrat in seinen Entscheiden eingenommen hat, müssen die Registerbehörden, gestützt auf Art. 875 des Obligationeurechts, die Wiedereintragung stets auch dann verfügen, wenn nur noch unliquidierte Gesellschaftspassiven vorhanden sind (Entscheid in Sachen Naser contra Greutert, Peterelli & Cie.). Ein Interesse hat Weibel an der Wiedereintragung deshalb, weil er gegen den alten Schuldner auf dem Wege der Konkursbetreibung vorgehen will und außerdem noch beabsichtigt, Léon Lugeon als Kommanditär der alten Firma zivil- und strafrechtlich für seine Schuld am Verfall des Gesellschaftsvermögens von Paul Sandoz & Cie. zur Verantwortung zu ziehen.

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B.

In rechtlicher Beziehung fäüt in Betracht: Da der Gläubiger Julien Woibel im Nachlaßvertrag der neuen Kommanditgesellschaft Paul Saudoz & Cie. vom 22. Alni 1!)()5 nur für 10°/o seiner Forderung an die alte Gesellschaft Dockung erhalten hat, so kann sein Interesse an der Wicdcrcintragung der letztern in das Handelsregister nk-ht in Abrede gestellt werden.

In einer Reihe von Fällen hat der Bundesrat entschieden, eine Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft müsse so lange im Handelsregister eingetragen bleiben, als ihre Liquidation nicht beendet sei; als beendigt sei eine Liquidation aber erst dann zu betrachten, wenn alle Passiven getilgt seien (vgl. ßundesratsbeschluß vom 19. November 1901 in Sachen Meyer & Cie. [ßnndesbl. 1901,, IV, 924], vom U. November 1902 in Sachen Coconcelli [ßundosblatt 1902, V, 527], vom 31. März 1904 in Sachen Meier, Schmid & Cie. [Bundesbl. 1904, ]I, H29 ff.] und vom 28. Mai 1904 in Sachen Naser [Bundesbl. 1904, III, 735]). In der Tat hat jeder Gläubiger ein Interesse daran, daß die ihm verpflichtete Gesellschaft eingetragen bleibe, weil er sie nur solange sie eingetragen ist, oder spätestens sechs Monate nach ihrer Löschung, auf Konkurs betreiben kann (Bundesgerichtliche Entscheidungen, XXIX, I, 506; XXVIII, I, 419; XXX, T, 7(>0).

Ob die von Julien Weibel geltend gemachte Forderung wirklich bestehe, hat der Handelsregisterführer nicht zu entscheiden; dies wird Sache der Gerichte sein. Es genügt, daß eine nicht offenbar unbegründete Forderung behauptet wird. Namentlich beweist die Tatsache, daß die neue Gesellschaft Paul Sandoz
die Aktiven und Passiven der alten übernommen hat, keineswegs, daß diese Forderung nicht bestehe. Denn der bisherige Schuldner wird durch diese Übernahme seiner Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht entlastet, sondern der alte Schuldner haftet neben dem neuen weiter.

Die alte Gesellschaft Paul Sandoz & Cie. ist also als in Liquidation befindlich wieder in das Handelsregister einzutragen.

D e m n a c h wird beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

517 2. Die Kommanditgesellschaft Paul Sandoz & Cie, (Kommanditär Léon Lugeon) in La Chaux-de-Fonds ist in das Handelsregister wieder einzutragen.

B e r n , den 1. Dezember 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, ' Der Bundespräsident:

Euch et.

Der I. Vizekanzler : Schatzmann.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Paul Sandoz in La Chaux-de-Fonds gegen den Entscheid des Justizdepartements des Kantons Neuenburg vom 9. August 1905 betreffend die Wiedereintragung der Kommanditgesellschaft Paul Sandoz & Cie. (Kommanditär Léo...

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1905

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20.12.1905

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511-517

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