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Schweizerisches Bundesblatt.

57. Jahrgang. V.

Nr. 45.

1. November 1905,

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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde von Jean Wüthrich und Genossen gegen den Staatsrat des Kantons Wallis wegen Verweigerung ihrer Eintragung auf die Gemeindestimmregister von Sitten.

(Vom 27. Oktober 1905.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde von Jean W üthrich und G e n o s s e n gegen den Staatsrat des Kantons Wallis wegen Verweigerung ihrer Eintragung auf die Gemeindestimmregister von Sitten, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 28. November 1904 stellten Jean Wüthricb von Trüb, Friedrich Roth von Melchnau und Franz Schmid (auch Schmidt genannt) von Romanshorn beim Staatsrat des Kantons Wallis das Gesuch um Eintragung in die Stimmregister, welche für die am 11. Dezember 1904 vorzunehmenden Gemeinderatswahlen von Sitten aufgestellt worden waren. Der Staatsrat wies Bundesblatt. 57. Jahrg. Bd. V.

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490 das Gesuch mit Beschluß vom 8. Dezember 1904, der den Rekurrenten am folgenden Tag eröffnet wurde, auf Grund folgender Erwägungen ab: Die Bürger Wuthrich, Roth und Schmid sind nicht im Besitze der Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung, die laut Art. 25 des Niederlassungsgesetzes vom 20. Mai 1898 zur Ausübung des Stimmrechtes in Gemeindeangelegenheiten erforderlich ist. Außerdem haben sie ihre Auftragung auf die Liste der Steuerpflichtigen, wozu sie als Arbeiter nach Art. 31 des kantonalen Steuergesetzes verpflichtet gewesen wären, nicht verlangt; indem sie sich der Tragung der öffentlichen Lasten entzogen, haben sie den Charakter ihres Aufenthaltes in Sitten als eines zeitweiligen und vorübergehenden bestätigt. Wollte man den Genannten das Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten geben, so müßte man es auch den Dienstboten und Studenten gewähren.

U.

Gegen diesen Beschluß haben Wuthrich, Roth und Schmid am 7. Februar 1905 die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat ergriffen und das Rechtsbegehren auf Aufhebung desselben und auf Anerkennung ihres Stimmrechtes in kantonalen und den Gemeindeangelegenheiten von Sitten gestellt. Sie bringen hierfür vor: Die Rekurrenten haben seinerzeit ihre Auftragung auf die Stimmregister von Sitten verlangt, um an der Abstimmung über die Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 teilzunehmen.

Indem sie den Entscheid des Staatsrates des Kantons Wallis, der sie daran verhinderte, an den Bundesrat weiterziehen, wollen sie nicht etwa die Wahlverhandlung vom 11. Dezember 1904 anfechten, sondern lediglich ihr Stimmrecht in Gemeindesachen von Sitten durch die eidgenössische Behörde feststellen lassen. Diese Feststellung ist um so wichtiger, als sich 50 andere Bürger in derselben rechtlichen Lage befinden wie die Rekurrenten.

Die Rekurrenten haben 3 Monate vor der Abstimmung vom 11. Dezember 1904 ihre ordnungsgemäßen Papiere bei der kompetenten Behörde hinterlegt; Wuthrich hat seinen Heimatschein in Sitten am 1. Februar 1903 hinterlegt, Roth und Schmid die ihrigen im August 1904. Es ist ferner durch amtliche Bescheinigung erwiesen, daß Wuthrich und Roth an den Staat eine Gewerbetaxe von Fr. 3. 40 für das Jahr 1904 bezahlt haben. Eine Gemeindesteuer haben sie in Sitten allerdings nicht bezahlt; sie ist von ihnen aber auch nie verlangt worden, und die Tatsache der Nichtbezahlung der Gemeindesteuer beweist keineswegs, daß die Rekurrenten nicht die Absicht gehabt haben, in Sitten ihren Wohnsitz zu nehmen. Die Rekurrenten haben als Indu-

491 striearbeiter den Mittelpunkt ihrer Lebensstellung an ihrem Arbeitsort, also in Sitten, und sie haben auch die Absicht, sich hier eigentlich niederzulassen. Wenn übrigens der Staatsrat die Rekurrenten als gemeindesteuerpflichtig betrachtete, so hätte er die Steuer auf Grund des Art. 66 des kantonalen Steuergesetzes von ihren Arbeitgebern erheben können, da die letztern kraft der gesetzlichen Vorschrift für die richtige Bezahlung der Gemeindesteuern auf den Arbeitslöhnen haften. Nach alledem kommt den Rekurrenten das Stimmrecht zu auf Grund des Art. 43 der Bundesverfassung, der Art. 58 und 59 der Walliser Verfassung, des Walliser Wahlgesetzes vom 24. Mai 1876, Art. 2, und des Niederlassungsgesetzes vom 20. Mai 1893, Art. 24 und 25; die Verweigerung des Stimmrechtes bedeutet eine willkürliche und rechtsungleiche Behandlung der Rekurrenten.

III.

Zur Vernehmlassung über die Beschwerde eingeladen, hat der Staatsrat des Kantons Wallis mit Zuschrift vom 22. April 1904, die er durch eine weitere Zuschrift vom 25. Juli 1905 ergänzt hat, die Abweisung der Rekurrenten beantragt. In der Begründung dieses Antrages setzt er im wesentlichen auseinander: Der Staatsrat hat das Gesuch der Rekurrenten um Eintragung auf die für die Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 aufgestellten Stimmregister einmal wegen Verspätung, sodann aus materiellen Gründen abgewiesen. Da die Rekurrenten gegen den formellen Abweisungsgrund keine Einwendung vor dem Bundesrat erhoben haben, so besteht derselbe zu Recht, und hat zur Folge, daß der Bundesrat schon aus diesem Grunde auf den Rekurs nicht eintreten kann.

Hinsichtlich der materiellen Entscheidungs- und Abweisungsgründe des Staatsrates ist festzustellen, daß Wüthrich bei seinem Arbeitgeber in Pension ist, daß sein Arbeitsvertrag auf 14tägige Kündigung lautet, daß er im Besitze einer Aufenthaltsbewilligung seit dem 1. Mai 1900 ist, daß er an den Staat die Gewerbetaxe als Arbeiter bezahlt, daß er aber auf die Gemeindesteuerlisten nicht eingetragen ist. Roth, ebenfalls in Pension bei seinem Meister, ebenfalls mit 14tägiger Kündigungsfrist angestellt, hat seine Aufenthaltsbewilligung erst am 1. Oktober 1904 erhalten; auch er hat die Gewerhetaxe als Arbeiter an den Staat gezahlt, ist aber nicht auf dem Gemeindesteuerregister eingetragen und bezahlt keine Gemeindesteuern. Schmid hat am 1. August 1904 seine Aufenthaltsbewilligung auf die Vorweisung eines Reisepasses und Wanderbuches hin bekommen ; er ist geboren 1884 ; ob er aber am 11. Dezember das zwanzigste Altersjahr vollendet hatte, konnte O

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nicht festgestellt werden. Wie die beiden Vorgenannten ist er bei seinem Meister in Pension und auf Mtägige Kündigung angestellt; er hat weder eine Steuer an den Staat noch an die Gemeinde bezahlt.

Von einer ungleichen rechtlichen Behandlung der Rekurrenten gegenüber ändern Schweizerbürgern kann keine Rede sein, denn die unten darzustellenden Grundsätze über die Ausübung des Stimmrechtes in Gemeindeangelegenheiten sind auf die Rekurrenten in gleicher Weise angewandt worden, wie dies bisher der Fall gewesen ist.

Von einer Verletzung des Art. 43 der Bundesverfassung kann vor allem nicht die Rede sein, da dieser als Voraussetzung für die Ausübung des Stimmrechtcs eine dreimonatliche Niederlassung vorschreibt, die Rekurrenten aber selbst zugeben, daß sie bloß im Besitze von Aufenthaltsbewilligungen sind.

Auch Art. 58 der Kautonsverfassung ist nicht verletzt. Der Artikel schreibt vor, daß die Urversammlung bestehe: ,,1. aus den Burgern; 2. aus den durch die Bundesgesetzgebung zum Stimmen berechtigten Wallisern und Schweizern11. Da die hier vorgesehene Bundesgesetzgebung nicht erlassen ist, so muß wieder auf Art. 43 der Bundesverfassung zurückgegriffen werden, wonach einzig die Niederlassung zur Ausübung des Stimmrechtes berechtigt. Da die Rekurrenten, wie oben gesagt, Niederlassung nicht besitzen, so kann auch keine Rede von einer Verletzung der Kantonsverfassung sein.

Es bliebe also nur noch zu prüfen, ob die von den Rekurrenten behauptete Verletzung kantonaler Gesetze vorliegt. In dieser Materie zu entscheiden ist aber einzig die kantonale Regierung kompetent. Übrigens bestimmt das Wahlgesetz vom 24. Mai 1876 in Art. 2, lit. c, daß in kantonalen und Gemeindesachen die Urversammlung in jeder Gemeinde gebildet ist ,,aus den da sich aufhaltenden Wallisern und Schweizern unter den durch die Bundesgesetzgebung zu bestimmenden Bedingungen11.

Aus dem bereits oben angegebenen Grunde können die Beschwerdeführer aus dieser Bestimmung keine Rechte für sich ableiten.

Ferner bestimmt das Niederlassungsgesetz vom 20. Mai 1893 in Art. 25 : ,,In kantonalen und Gemeindeangelegenheiten sind (die im Wallis wohnenden Schweizer aus ändern Kantonen) in derjenigen Gemeinde stimmberechtigt, wo sie seit drei Monaten ihren Wohnsitz haben. Der Wohnsitz muß ein wirklicher sein und sich aus den tatsächlichen Verhältnissen
ergeben, in welchen sich der Wähler befindet". Der hier vom Gesetze geforderte ,,wirkliche Wohnsitz" ist das gleiche wie die von der Bundesverfassung verlangte ,,Niederlassung". Einen solchen Wohnsitz besitzt aber ein

493 Arbeiter, der irgendwo bei einem Meister arbeitet, nicht, insbesondere dann nicht, wenn er auf 14tägige Kündigung angestellt ist und bei seinem Meister noch in Pension lebt. Außerdem verpflichtet das kantonale Steuergesetz alle Handwerker und Industriellen, sich in die Gemeindesteuerlisten einschreiben zu lassen; auch den heutigen drei Rekurrenten lag diese Verpflichtung ob, sie haben sich derselben aber entzogen; die Tatsache, daß sie sich zur Tragung der öffentlichen Gemeindelasten weigern, ist aber wieder ein Grund mehr, sie auch vom Gemeindestimmrecht auszuschließen. Alles in allem ist zu sagen, daß die Rekurrenten gemäß ihrer Berufsart, die sie von einem Orte zum ändern treibt, der flottanten Bevölkerung zugezählt werden müssen, und daß ihnen auch der Wille und die Absicht fehlte, sich in Sitten niederzulassen. Der Bundesrat hat selbst bei Anlaß einer Anfrage des Staatsrates des Kantons Wallis einmal ausgesprochen, daß keine allgemeine Regel für die Beantwortung der Frage, ob wirklicher Wohnsitz vorliege oder nicht, aufgestellt werden könne. Würde man aber dieser Art Bürger überall nach drei Monaten Stimmrecht geben, so würde man ihnen gestatten, innerhalb eines Jahres an mehreren Orten zu stimmen ; dies wäre in Widerspruch mit der Vorschrift der Bundesverfassung, wonach ein Bürger nicht zugleich an zwei Orten stimmen kann.

IV.

Auf die Einladung zur Angabe bestimmter Daten betreffend angebliche Hinterlegung der Heimatscheine durch Rolh und Schmid, betreffend Ausstellung der Aufenthaltsbewilligungen und betreffend das Geburtsdatum Schmids haben die Rekurrenten nicht geantwortet.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: i. Die Beschwerdeführer haben in ihrem Rekurs an den Staatsrat des Kantons Wallis das Rechtsbegehren auf Eintragung in die Listen der an den Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 in Sitten Stimmberechtigten gestellt. Nachdem der Staatsrat dieses Gesuch mit Beschluß vom 8./9. Dezember 1904 als materiell unbegründet bezeichnet hat, haben sie in dem heute vorliegenden, rechtzeitig eingereichten staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat vom 7. Februar 1905 ihr früheres Rechtsbegehren insofern wiederholt, als sie ihre Eintragung auf die Stimmregister der Gemeinde Sitten verlangen und über ihr Stimmrecht eine für

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die Zukunft maßgebende Entscheidung des Bundesrates provozieren wollen ; dagegen erklären sie, auf eine Anfechtung der Gemeinderatswahlen, die unterdessen um 11. Dezember 1904 stattgefunden haben, zu verzichten.

Der Bundesrat hat stetsfort den Grundsatz befolgt, daß er kompetent ist, auf Beschwerde hin Über das Stimmrecht eines Bürgers ohne Rucksicht auf eine bestimmte, bevorstehende oder ergangene Wahl oder Abstimmung, mit Rechtskraft für die Zukunft zu erkennen (vgl. Bundesratsbeschluß i. S. Bielmann vom 7. März 1896, Bundesbl. 1896, II, 779/780). Eine solche Entscheidung wird im vorliegenden Falle verlangt.

2. Der Staatsrat des Kantons Wallis hat vorerst in seiner Rekursvernehmlassung gegen die materielle Behandlung der Beschwerde durch den Bundesrat die Einrede erhoben, daß die Beschwerde der Rekurrenten an den Staatsrat als letzte kantonale Instanz verspätet gewesen sei, und daß der Staatsrat die Beschwerde aus diesem formellen Grunde abgewiesen habe.

Allerdings sind die Fristen des kantonalen Verfahrens auch bei solchen Beschwerden einzuhalten, in denen eine Entscheidung für die Zukunft, unabhängig von einem bestimmten vorangegangenen Wahlakt verlangt wird. In casu hat aber der Staatsrat die Verspätungseinrede dem bei ihm angebrachten Gesuche der Rekurrenten in seinem Entscheide vom 8. Dezember 1904 gar nicht entgegengehalten, er hat vielmehr das Gesuch materiell abgewiesen, und die Gründe seines Entscheides sind alle materieller Natur. Hat nun aber der Staatsrat bei dei- Fällung seines Entscheides der angeblichen Fristversäumung keine Beachtung geschenkt, so kann er sich auch vor dem Bundesrat nicht auf dieselbe berufen; seiner Einrede ist daher keine Folge zu geben.

3. Für die materielle Beurteilung des Rechtsbegehrens können die Rekurrenten Art. 45 der Bundesverfassung, Absatz 4 und 5 nicht anrufen; denn hier wird bloß das Stimmrecht der Niedergelassenen normiert, während die Rekurrenten unbestrittenermaßen bloß im Besitze von Aufenthaltsbewilligungeu sind.

Gemäß Art. 45 und 47 bleibt es bis zu dem Zeitpunkt, wo der Bund selbst von seiner Gesetzgebungsbefugnis in der Materie Gebrauch machen wird, den Kantonen Überlassen, das Stimmrecht der Aufenthalter zu normieren, und nach ihrem Dafürhalten die Bedingungen festzusetzen, unter welchen sie den Aufenthaltern auch Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten einräumen wollen.

Dies ist im Walliser ^Gesetz vom 20. Mai 1893 betreffend die im Kanton Wallis niedergelassenen und dort sich aufhaltenden

495 Schweizerbürger uud Ausländer* geschehen. Art. 24 bestimmt: ,,Die im Wallis wohnenden Aufenthalter aus ändern Kantonen genießen dieselben politischen Rechte wie die niedergelassenen ,,Schweizerbürger"1, und Art. 25 (Absatz 2): ,,In kantonalen und Gemeindeangelegenheiten sind sie in derjenigen Gemeinde stimmberechtigt, wo sie seit drei Monaten ihren Wohnsitz habentt ; (Absatz 3) ,,Der Wohnsitz muß ein wirklicher sein und sich aus den tatsächlichen Verhältnissen ergeben, in welchen sich der Wähler befindet14.

4. Nach diesen Feststellungen muß es sich fragen, ob der Bundesrat überhaupt zur Entscheidung des Rekurses kompetent sei. Der Staatsrat des Kantons Wallis verneint die Kompetenz, weil es sich ausschließlich um die Anwendung kantonalen Gesetzesrechtes handle und hierin die kantonalen Behörden allein zuständig seien. Nun sind zwar in der Tat einerseits die politischen Rechte der Aufenthalter, soweit sie Gegenstand des gegenwärtigen Rekurses sind, durch Bestimmungen des zitierten Wahlgesetzes vom 20. Mai 1893 normiert; anderseits kann der Bundesrat, wie aus den Bestimmungen des Art. 189 des Organisationsgesetzes klar hervorgeht, nur entscheiden ,,auf Grundlage des kantonalen Verfassungsrechtes und des Bundesrechtes. Demnach steht es dem Bundesrat allerdings nicht zu, zu untersuchen, ob die Maßnahmen kantonaler Behörden sich auf eine unanfechtbare Auslegung des Gesetzes stützen oder nicht; es bleibt ihm kraft der Bestimmungen des Organisationsgesetzes nur die Prüfung darüber vorbehalten, ob die Gesetzesauslegung und -anwendung der Kantonsbehörden in Widerspruch mit Art. 4 der Bundesverfassung klares Recht und den Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz verletze. Dies allein ist im vorliegenden Falle zu prüfen.

5. Die oben angeführten Bestimmungen des Walliser Gesetzes vom 20. Mai 1893 werden laut den ausdrücklichen Erklärungen des Staatsrates dahin ausgelegt, daß demjenigen Aufenthalter das Gemeindestimmrecht eingeräumt wird, der sich über einen tatsächlichen dreimonatlichen Wohnsitz ausweisen kann. Es fragt sich, ob der Staatsrat nicht bei der Beurteilung der Tatsachen, die den ,,wirklichen Wohnsitz"1 begründen, den Rekurrenten diesen Wohnsitz zu Unrecht absprach.

a. Da seitens der Rekurrenten keine bestimmten Angaben über das Alter S c h m i d s erlangt werden konnten, und bloß
feststeht, daß Schmid im Jahre 1884 geboren ist, so mußte sein Anspruch auf Zulassung zu den Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 schon wegen Mangels des Nachweises des stimmfähigen Alters abgewiesen werden.

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b. Hinsichtlich R o t h s fehlt es an bestimmten Angaben der Rekurrenten, wann dessen Aufenthaltsbewilligung ausgestellt worden ist. Die Beschwerdeführer haben die allgemeine Behauptung aufgestellt, sie sei ,,im August" 1904 erteilt worden, haben aber auf die Gegenbehauptung der Regierung hin, daß die Bewilligung vom 1. Oktober 1904 datiere, keine nähern Angaben gemacht. Auf Grund der Angaben des Staatsrates muß daher angenommen werden, daß dem Wohnsitz Roths vor allem die dreimonatliche Dauer mangelte, Roth daher aus diesem Grunde auf Ausübung des Gemeindestimmrechtes am 11. Dezember 1904 keinen Anspruch erheben konnte. In diesen beiden Fällen ist somit die Entscheidung des Staatsrates nicht nur nicht willkürlich, sondern durchaus gerechtfertigt.

c. Aber auch hinsichtlich des Beschwerdeführers Wüthrich bedeutet der angefochtene Beschluß vom 8. Dezember 1904, wenn auch die Entscheidung des Staatsrates nicht unanfechtbar erscheint, keine Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung.

Die Tatsache, auf welche die Regierung mit besonderem Nachdruck verwiesen hat, daß nämlich der Rekurrent nicht auf die Gemeindesteuerlisten von Sitten eingetragen sei, und -daß er in Sitten die Gemeindesteuer nicht bezahlt habe, kann allerdings nicht gegen die Stirn m berech tigung des Rekurrenten angeführt werden. Wenn aus der Nichtbezahlung der Steuern gefolgert werden will, daß Rekurrent keinen Wohnsitz in Sitten besitze, so ist dies unrichtig; denn der politische Wohnsitz ist an sich von der Erfüllung der Steuerpflicht unabhängig und eine gesetzliche Bestimmung, welche diejenigen Bürger, die ihrer Steuerpflicht nicht nachkommen, vom Stimmrecht ausschlösse, existiert im Kanton Wallis nicht. Auch die Behauptung des Staatsrates, daß ,,der Beruf der Rekurrenten sie von Ort zu Ort treibe", ist hinsichtlich Wüthrichs, der seit Juni 1900 in Sitten arbeitet, kaum aufrecht zu halten. Und wenn der Staatsrat daraufhinweist, daß der Rekurrent keinen eigenen Hausstand besitzt, daß er bei seinem Meister in Pension lebt, daß er auf 14tägige Kündigung angestellt ist, so könnte nicht mit Unrecht entgegnet werden, daß dies ausschließlich Tatsachen sind, die, privaten Abmachungen unterliegend, durch die Lebensstellung eines Junggesellen und Arbeiters bedingt sind. Wenn nach alledem die vom Staatsrat angeführten Tatsachen kaum als
ausschlaggebend können betrachtet werden, so erscheint doch die Entscheidung des Staatsrates keineswegs als eine willkürliche, sie stützt sich nicht bloß auf vorgeschobene oder offenbar unhaltbare Gründe, sondern auf Erwägungen sachlicher Natur. Eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung liegt daher, nicht vor.

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Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 27. Oktober 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde von Jean Wüthrich und Genossen gegen den Staatsrat des Kantons Wallis wegen Verweigerung ihrer Eintragung auf die Gemeindestimmregister von Sitten. (Vom 27. Oktober 1905.)

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01.11.1905

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