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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung der drei Verfassungsgesetze des Kantons Genf vom 17. Juni 1905 über die Einbürgerung, über das Recht der Initiative und über das Verfahren zur Festsetzung der Wahl- und Abstimmungsergebnisse und die Wahl des Staatsrates.

(Vom 11. September 1905.)

Tit.

Mit Schreiben vom 25. Juli 1905 teilte der Staatsrat des Kantons Genf dem Bundesrat mit, daß in der Volksabstimmung vom 16. Juli 1905 1. das Verfassungsgesetz vom 17. Juni 1905 betreffend Abänderung der Art. 18, 19 und 20 der genferischen Verfassung von 1847 mit 1855 gegen 129 Stimmen; 2. das Verfassungsgesetz vom 17. Juni 1905 zum Ersatz des dahinfallenden Verfassungsgesetzes vom 6. Juni 1891 über das Recht der Initiative mit 1818 gegen 158 Stimmen; 3. das Verfassungsgesetz vom 17. Juni 1905 betreffend Abänderung des Art. 27 des Verfassungsgesetzes vom 28. August 1886 und Art. 66 des Verfassungsgesetzes vom 6. Juni 1891 mit 1838 gegen 129 Stimmen angenommen worden seien; der Staatsrat ersucht, in Anwendung

134 von Art. 6 der Bundesverfassung um Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung für die drei Gesetze.

A. Bezüglich des ersten dieser Gesetze ist folgendes zu bemerken : Art. 18 der Verfassung von 1847 erleidet durch das neue Gesetz nur in Ziff. 5 eine Veränderung. Die Bestimmung lautet in der alten Fassung: Art. 18. Sont citoyens genevois: . . . .

5. Les étrangers admis à la naturalisation suivant les conditions prescrites par la loi.

Während der Anfang des Satzes unter Ziff. 5 nunmehr lautet : 5. Les confédérés et les étrangers . . . .

Art. 19 der Verfassung von 1847 ist schon durch das Verfassungsgesetz vom 21. September 1901 abgeändert worden. Die Bezeichnung des jetzt zur Genehmigung vorliegenden Verfassungsgesetzes ist also insofern ungenau, als es sich bei Abänderung des Art. 19 nicht um die Verfassungsbestimmung vom Jahr 1847, sondern um die Abänderung des Verfassungsgesetzes vom 21. September 1901 handelt. Während dieses Gesetz die einzelnen Bedingungen, von denen die Einbürgerung von Schweizern und Ausländern abhängen sollte, aufzählte, begnügt sich die neue Verfassungsbestimmung mit der Aufstellung eines Prinzips für die Einbürgerung von Schweizern und Ausländern und verweist bezüglich der nähern Bedingungen der Einbürgerung auf das Gesetz. Dabei ist zu beachten, daß im Kanton Genf ein neues Einbürgeruiigsgesetz in Vorbereitung begriffen ist. Die neue Verfassungsbestimmung lautet: ,,Art. 19. Peuvent devenir citoyens genevois, s'ils remplissent les conditions prescrites par la loi: 1° Les Confédérés et les étrangers auxquels est accordé le droit à la naturalisation genevoise à raison de leur naissance dans le canton de Genève.

2° Les Confédérés auxquels ce droit est accordé à raison de la durée de leur domicile dans le dit canton.

In ähnlicher Weise wird durch das neue Verfassungsgesetz Art. 20 der Kantonsverfassung von 1847 abgeändert. Erbehandelt tlie Möglichkeit der Rückerwerbung des genferischen Bürgerrechts durch die infolge Heirat ihres Bürgerrechts verlustig gegangene Genferin nach Auflösung der Ehe. Während Art. 20 der Verfassung von 1847 selbst die Bedingungen der Bückkehr ina

135 genferische Bürgerrecht aufstellte, enthält der neue Art. 20 nur das Prinzip und überläßt die Ausführung desselben dem Gesetz.

Dieses Verfassungsgesetz enthält nichts, was dem Bundesrecht widerspräche. Immerhin dürfte es, angesichts der Kürze der Bestimmungen, angezeigt sein, den neuen Art. 19 und 20 gegenüber die Bestimmungen des Art. 44, Absatz 2 der Bundesverfassung und des Bundesgesetzes betreffend die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe vom 25. Juni 1903 ausdrücklich vorzubehalten. In gleicher Weise wurden die Bestimmungen des Bundesrechts seinerzeit bei Gewährleistung des genferischen Verfassungsgesetzes vom 21. September 1901 vorbehalten.

B. Der Hauptinhalt des V e f a s s u n g s g e s e t z e s ü b e r d a » R e c h t der I n i t i a t i v e ist folgender: Wie bisher steht das Recht der Initiative dem Großen Rat, dem Staatsrat und den stimmfähigen Einwohnern des Kantons zu;, geht ein Initiativbegehren von letztern aus, so muß es mindestens 2500 Unterschriften tragen. Die Initianten können 1. den ausgearbeiteten Entwurf eines Gesetzes oder eines Beschlusses (arrêté législatif) vorschlagen, · 2. die Ausarbeitung eines Gesetzes, eines Beschlusses (arrêtélégislatif) über einen bestimmten Gegenstand, oder die Aufhebung oder Abänderung eines Gesetzes, eines Beschlusses; vom Grossen Rat verlangen.

Der Große Rat muß innert Jahresfrist (früher innert 6 Monaten) nach Einreichung des Initiativbegehrens bei der Staatskanzlei einen endgültigen Beschluß über den Gegenstand der Initiative fassen.

Wird ein ausgearbeiteter Entwurf vorgelegt, so kann der Große Rat a. den Entwurf annehmen oder verwerfen; b. den Entwurf abändern oder selbst einen neuen Entwurf ausarbeiten.

Im erstem Fall muß bloß das Projekt der Initianten mit Angabe des Entscheids des Großen Rats der Volksabstimmung unterbreitet werden, während früher gleichzeitig über den Entscheid des Großen Rats und den Entwurf der Initianten abgestimmt werden mußte. Das neue Gesetz bringt in dieser Hinsicht also eine Vereinfachung.

Im zweiten Fall werden beide Projekte gleichzeitig der Abstimmung unterstellt. Hiebei haben die Stimmberechtigten das-

136 Recht beiden Vorlagea zuzustimmen. Diese Neuerung bezweckt, die Annahme einer Veränderung des gegebenen Rechtszustands zu ·erleichtern, indem auch die Stimmen derjenigen auf diese Weise zur Geltung kommen können, die, im Prinzip der Reform geneigt, sich weder dem einen noch dem anderen Projekte anschließen möchten. Gleicherweise können auch die Gegner jeder Reform doppelt verneinen.

Wird seitens der Initianten die Ausarbeitung, die Abschaffung oder die Abänderung eines Gesetzes verlangt, so kann der Große Rat einen Entwurf ausarbeiten oder sich weigern auf das Begehren einzutreten. Sein Beschluß unterliegt der Volksabstimmung.

Spricht sich die Mehrzahl der Stimmenden gegen die Weigerung des Großen Rats aus, so hat dieser innert sechs Monaten ein Gesetz über den fraglichen Gegenstand auszuarbeiten. Dieses Gesetz wird dann dem Volk zur Abstimmung unterbreitet.

In allen Fällen muß die Volksabstimmung innert 40 Tagen seit dem Beschluß des Großen Rats stattfinden.

Ein Vorschlag gilt in der Volksabstimmung nur dann als angenommen, wenn er die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. Von zwei dem Volk gleichzeitig unterbreiteten Entwürfen gilt derjenige als angenommen, welcher mehr Stimmen erhält. Bei Stimmengleichheit gilt der Entwurf des Großen Rates als angenommen.

Auch dieses Verfassungsgesetz steht nicht im Widerspruch mit dem Bundesrecht.

G. Das d r i t t e V e r f a s s u n g s g e s e t z bringt zunächst in Abänderung des Art. 27 des Verfassungsgesetzes vom 28. August 1886 eine Vereinfachung des der Feststellung der Wahl- und Abstimmungsresultate dienenden Verfahrens. Bisher vereinigten «ich die sämtlichen Wahlbureaux am Tage nach der Abstimmung in öffentlicher Sitzung zur Zählung der Stimmen, sprachen die Gültigkeit der Verhandlungen aus und verkündeten das Resultat.

Nach dem neuen Art. 27 wird die Zählung der Stimmen in öffentlicher Sitzung von der Staatskanzlei vorgenommen unter der Kontrolle dreier vom Staatsrat bezeichneter Stimmberechtigter, die als Präsidenten oder Vizepräsidenten eines Wahlbureaus gewaltet hatten. Hierauf nimmt der Staatsrat das Resultat entgegen und spricht die Gültigkeit der Verhandlungen aus.

Das gleiche Verfassungsgesetz fügt dem Art. 66 des Verfassungsgesetzes vom 6. Juni 1891 ein zweites Alinea bei, dahin gehend, daß unter Vorbehalt von Art. 29 der Verfassung von 18d7 diejenigen als Staatsräte gewählt sind, die im Listenskrutinium

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das relative Mehr erreicht haben, sofern dieses Mehr mindestens einem Drittel der gültigen Stimmzettel gleichkommt. Wird ein zweiter Wahlgang nötig, so entscheidet schlechthin das relative Mehr. Bei Stimmengleichheit gilt der ältere Kandidat als gewählt.

Dieses 2. Alinea ist die Wiederaufnahme des durch Verfassungsgeseta vom 6. Juli 1892 aufgehobenen frühern Art. 37 der Verfassung.

Auch gegen die durch das dritte Verfassungsgesetz eingeführten Veränderungen des bisherigen Zustands ist vom bundesrechtlichen Standpunkt aus nichts einzuwenden.

Wir beantragen daher, den drei Verfassungsgesetzen in der Form des im Entwurf nachfolgenden Buudesbeschlusses die Genehmigung zu erteilen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 11. September

1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Buchet.

Der II. Vizekanzler :

Oigandet.

Bundesblatt.

57. Jahrg. Bd. V.

11

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(Entwurf.)

Bundesbeschluß betreffend

die eidgenössische Gewährleistung der drei Verfassungsgesetze des Kantons Genf vom 17. Juni 1905 über die Einbürgerung, über das Recht der Initiative und über das Verfahren zur Feststellung der Wahl- und Abstimmungsresultate und über die Wahl des Staatsrats.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des ßundesrates vom 11. September

1905; in Betracht daß das Verfassungsgesetz betreffend die Einbürgerung, zwar an sich nichts Bundesrechtswidriges hat, daß aber die darin niedergelegten Grundsätze über die Einbürgerung von Ausländern infolge ihrer allgemeinen Fassung verschiedener Ausführung fähig sind, und es sich deshalb empfiehlt, die Bestimmungen des Art. 44 der Bundesverfassung und des Bundesgesetzes betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe vom 25. Juni 1903 vorzubehalten ;

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daß die beiden ändern Verfassungsgesetze im übrigen nichts den Vorschriften des Bundesrechts Zuwiderlaufendes enthalten; daß sie in der Volksabstimmung vom 16. Juli 1905 von der Mehrheit der Stimmenden angenommen worden sind; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Den drei Verfassungsgesetzen des Kantons Genf vom 17. Juni 1905 wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Gegenüber dem Verfassungsgesetz über die Einbürgerung werden Art. 44 der Bundesverfassung und das Bundesgesetz betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerre'chtes und den Verzicht auf dasselbe vom 25. Juni 1903 vorbehalten.

2. Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

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13.09.1905

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