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Bundesratsbeschluß über

den Rekurs des H. Kamm, in Mollis, betreffend die Kanalisation in Glarus.

(Vom 18. August 1905.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über den Rekurs von Herrn H. Kamm, in Mollis, betreffend die Kanalisation in Glarus, auf den Antrag seines Departements des Innern, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 19. Juni 1904 hatte die Gemeinde Glarus den Bau einer rationellen Kanalisation beschlossen, welche sowohl der Bodenentwässerung als auch zur Ableitung des Brauchwassers und zum Teil des Klosettwassers aus den Häusern dienen sollte. Da in dem Projekt die Einleitung des Hauptsammelkanals in die Linth vorgesehen war, ersuchte die gemeinderätliche Baukommission, unter Berufung auf § 3 des glarnerischen Gesetzes betreffend die polizeiliche Aufsicht über die öffentlichen Gewässer und den Uferschutz, den Regierungsrat des Kantons Glarus um Bewilligung der projektierten Einmündung in die Linth.

Am 11. September 1904 erhob der heutige Rekurrent, H. Kamm zur Linthbrücke in Mollis, beim Regierungsrate Ein-

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spräche gegen die Ausführung der Kanalisation und machte dabei im wesentlichen folgendes geltend : Das glarnerische Gesetz über polizeiliche Maßregeln behufs Reinhaltung von Brunnen, Wegen, Straßen, Plätzen und Wohnstätten, vom 7. Mai 1893, verbiete, Exkremente, tierische Abfallstoffe oder Kadaver in Gewässer, welche Genußzwecken dienen, zu werfen oder gelangen zu lassen. Die Linth qualifiziere sich als ein Gewässer dieser Art, indem an verschiedenen Stellen der Linth selbst und der Nebenkanäle sogenannte Landestränken bestehen und unter anderem auch ihm, dem Einsprecher, die Benützung der Tränke beim Bad in Mollis garantiert sei. IJurch die projektierte Kanalisation in Glarus würde nun Klosettwasser, also Exkremente in die Linth geleitet. Es sei Pflicht der Regierung, die Interessen der Tränkeberechtigten, zu welchen bei Landestränken wohl jedermann zu rechnen sei, zu wahren und die Bewilligung zum Bau der Kanalisation zu verweigern.

Mit Schlußnahmen vom 29. September und 13. Oktober 1904 bewilligte der Regierungsrat von Glarus die Ausführung der Kanalisation und wies die Beschwerde des Rekurrenten mit der Begründung ab, daß -- wie schon in einem Regierungsratsbeschluß vom 18. August 1904 festgestellt worden sei -- das zitierte glarnerische Gesetz vom 7. Mai 1893 über die Reinhaltung von Brunnen, Wegen etc. auf öffentliche Gewässer keine Anwendung finde. Der Regierungsrat sei daher nicht kompetent zur Behandlung der Beschwerde, vielmehr habe der Rekurrent seine Ansprüche gemäß § 58 des glarnerischen bürgerlichen Gesetzbuches auf gerichtlichem Wege geltend zu machen.

II.

Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates von Glarus beschwert sich Rekurrent in seiner Zuschrift vom 26. Oktober 1904 beim Bundesrate.

Dabei macht er in erster Linie als ,,Privatmann" geltend, daß durch die Einmündung der Kanalisation in die Linth, speziell durch die Einleitung des Abtrittspülwassers, dieser Fluß verunreinigt und die Ausübung seines Tränkerechts unmöglich gemacht werde. Die Regierung von Glarus hätte nun, statt seine, des Rekurrenten, Tränkeservitutrechte zu schützen und ihn vor Schaden zu bewahren, das glarnerische Gesetz vom 7. Mai 1893 über die Reinhaltung von Brunnen, Wegen etc., auf welches er sich mit Recht stütze, irrtümlicherweise als unanwendbar erklärt und seine Beschwerde ungerechterweise abgewiesen.

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In zweiter Linie verweist der Rekurrent auf die Gefahr der Entstehung von Epidemien und richtet als ,,Bürger" die Aufforderung an den Bundesrat, von sich aus auf Grund der Bestimmungen, welche die Bundesverfassung, sowie die Gesetze und Verordnungen über das Linthwerk enthielten, einzuschreiten und die angefochtenen Schlußnahmen des glarnerischen Regierungsrates aufzuheben.

III.

Am 31. Oktober 1904 hat das eidgenössische Departement des Innern die Eingabe von H. Kamm der eidgenössischen Linthkommission zur Kenntnisnahme und Ruckäußerung übermittelt.

In der Antwort, d. d. 26. Januar 1905, teilt die genannte Kommission mit, daß sie eine in gleicher Sache an sie gerichtete Beschwerde von H. Kamm durch Beschluß vom 18. Dezember 1904 abgewiesen habe. Im weitern verweist die Kommission auf den Bericht des Linthingenieurs, welcher im wesentlichen folgende Ausführungen enthält: Weder die vom Beschwerdeführer zitierten Artikel und Paragraphen, noch andere Stellen der Gesetze und Verordnungen über das Linthwerk enthielten Bestimmungen, in welchen speziell von einer Verunreinigung des Linthwassers die Rede sei. Auch sei der § 10 der Verordnung über die Linthpolizei, vom 8. Februar 1869, welcher die Einleitung von Geschiebe führenden Bächen in den Linthkanal von der Genehmigung der Linthkommissiori abhängig mache, deshalb nicht anwendbar, weil es sich im vorliegenden Falle nicht um Geschiebe handle und weil ferner die Einführung der Kanalisation von Glarus in die Linth Überhaupt zirka 2100 m. oberhalb der Netstaler Brücke geschehe. Dieses Gebiet stehe aber nicht unter der Aufsicht und Jurisdiktion der Linthkommission, sondern unter der Aufsicht des Regierungsrates des Kantons Glarus, weshalb das Recht dieses Kantons im vorliegenden Falle zur Anwendung gelange.

Aber auch materiell erscheine die Beschwerde nicht als gerechtfertigt. Aus der Vernehmlassung des Bauamtes der Gemeinde Glarus und aus dein technischen Berichte über die Kanalisation gehe hervor, daß es sich vornehmlich um die Ableitung des Grundwassers, sodann um direkte Ableitung des Spülwassers und erst in letzter Linie um Abfuhr des Inhaltes der Abtrittgruben handle.

Dabei seien zudem Abtrittableitungen ohne Abtrittspülungen nicht gestattet. Infolge dieser starken Verdünnung des Ablaufwassers, das sich vor Eintritt in die Linth noch mit dem Glarnergießeo vermenge, könne von einer erheblichen Verunreinigung des Linthwassers kaum die Rede sein. Die zunächst interessierten GeBundesblatt. 57. Jahrg. Bd. V.

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meinden von Netstal, Mollis und Näfels hätten denn auch keineEinsprache gegen die Ausführung der Kanalisation erhoben.

Am 20. Februar 1905 hat das eidgenössische Departement des Innern die Akten in Sachen des Rekurses H. Kamin des weiteren noch dem eidgenössischen LaadWirtschaftsdepartement zur Kenntnisnahme und Rückäußerung zugestellt. lu seiner Antwort vom 22. Februar bemerkt dieses Departement, ,,daß die vom Rekurrenten erwähnten Nachteile für den Bundesrat keine Handhabe bieten, um gestützt auf die Bestimmungen des Bundesgesetzes über polizeiliche Maßregeln gegen Viehseuchen, vom 8. Februar 1872,.

in der Angelegenheit einschreiten zu können".

B.'

In rechtlicher Beziehung wird festgestellt: 1. Der Bundesrat ist im vorliegenden Falle lediglich insoweit zuständig, als sein Oberaufsichtsrecht nach Maßgabe der Bundes Verfassung oder eines Buudesgesetzes in Frage steht. Im übrigen ist der Bundesrat nicht Rekursinstanz mit bezug auf die vom Beschwerdeführer angefochtenen Erlasse der Behörden des Kantons Glarus und der Linthkommission.

2. Mit bezug auf die Reinhaltung der Gewässer kommt dem Bundesrat nach Maßgabe der Bundesverfassung, Art. 24, sowie des Bundesgesetzes betreffend dieFischerei, vom 21. Dezember 1888, ein allgemeines, und nach Maßgabe des Bundesgesetzes betreffend die Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien, vom 2. Juli 1886, sowie des Bundesgesetzes über polizeiliche Maßregeln gegen Viehseuchen, vom 8. Februar 1872, ein auf gewisse Fälle und Vorkehren beschränktes Oberaufsichtsrecht zu.

3. Daß die Fische in der Linth und weiter unten Schaden nehmen werden, wenn das Brauch- und Klosettwasser der Ortschaft Glarus in die Linth abgeleitet wird, ist nicht anzunehmen.

Ein Einschreiten vom Standpunkt der Fischereipolizei aus wäre also nicht gerechtfertigt. Ebensowenig erscheint es als tunlich, den Auslauf deshalb zu verhindern, weil durch denselben eine Epidemie unter Menschen oder eine Tierkrankheit verbreitet werden könnte. Wenn in den Lokalitäten, deren Abwasser nach dem Projekt in die Linth fließen würde, eine ansteckende oder sonst gefährliche Krankheit ausbrechen sollte, so werden die Behörden von Glarus sicherlich von sich aus die nötigen Maßnahmen auch mit bezug auf das Abwasser treffen, um der Verbreitung der Krankheit durch dasselbe vorzubeugen.

35 4. Es bleibt also nur noch zu erörtern, ob für den Bundesrat, vom Standpunkt der ihm zustehenden allgemeinen Oberaufsicht über die Gewässer aus, Veranlassung zum Einschreiten vorliege. Auch diese Frage muß verneint werden. Bis jetzt ist stets angenommen worden, daß sich die Oberaufsicht des Bundes auf die Fürsorge für den ungehinderten Wasserablauf beziehe und gegen Überschwemmung und Versumpfung der Flußgebiete richte.

Der Bundesrat lehnt es ab, sein Oberaufsichtsrecht auf die Fürsorge gegen die Verunreinigung der öffentlichen Gewässer auszudehnen, insofern nicht ein Anstand zwischen zwei Kantonen vorliegt oder es gilt, gegen offenbare Pflichtversäumnis seitens eines Kantons aufzutreten. Weder jene noch diese- Voraussetzung trifft im vorliegenden Falle zu.

Demnach wird beschlossen: Die Beschwerde des H. Kamm gegen den Regierungsrat des Kantons Glarus und gegen die Liuthkommission wird abgewiesen.

Bern, den 18. August 1905.

Irn Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ruchet.

Der H. Vizekanzler: Gigandet.

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Bundesratsbeschluß über den Rekurs des H. Kamm, in Mollis, betreffend die Kanalisation in Glarus. (Vom 18. August 1905.)

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