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Schweizerisches Bundesblatt

57. Jahrgang. IV.

Nr. 29.

12. Juli 1905.

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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde von Joseph Germanier und Genossen gegen den Staatsrat des Kantons Wallis wegen Nichteintretens auf eine Wahlbeschwerde.

(Vom 7. Juli 1905.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde von Joseph G e r m a n i e r und Genossen gegen den Staatsrat des Kantons Wallis wegen Nichteintretens auf eine Wahlbeschwerde, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Der Staatsrat des Kantons Wallis hat auf die Beschwerde von Jos. Germanier und Genossen betr. die Gemeinderatswahlen von Conthey, Kanton Wallis, am 18. März 1905 folgenden Beschluß gefaßt: 1. Mit Schreiben vom 16. Dezember 1904 haben Joseph Germanier und Genossen dem Departement des Innern des Kantons Wallis zur Kenntnis gebracht, daß die Nachricht verbreitet werde, infolge der Demission eines der am 11. Dezember 1904 in Conthey gewählten Gemeinderäte sei derselbe durch einen Kandidaten ersetzt worden, der ebenfalls das absolute Mehr bei den Wahlen erhalten habe; die Petenten möchten das Departement in der Form eines Bundesblatt

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,,Eventualrekurses" wissen lassen, daß sie als ordnungsgemäß für die Periode 1905--1909 gewählte Gemeinderäte folgende Bürger betrachten, die die größte Stimmenzahl erhalten hätten: Papilloud, Vergères, Praz, Joseph Germanier, Louis Gerraanier, Antonin, Berthouzoz, Putallaz und Grenat. Für den Fall, daß gemäß dem Wahlprotokoll der Wahlen vom 11. Dezember 1904 andere Bürger als gewählt erklärt sein sollten, ersuchten die Petenten, den Gemeinderat Germanier in Erde hiervon zu< benachrichtigen; in diesem Falle, erklärten sie, würden sie einen effektiven Rekurs gegen die in Frage kommenden Wahlen erheben.

Diesem Gesuche Folge gebend, hat das Departement des Innern am 20. Dezember 1904 den Unterzeichnern des Gesuches das Wahlprotokoll mitgeteilt, und hierzu bemerkt, der Kandidat Berthouzoz, der beim ersten Wahlgang 475 Stimmen auf 793 abgegebene Wahlzettel erhalten, habe erklärt, seine Wahl nicht anzunehmen, und das Wahlbureau habe hierauf Evequoz, Maurice, der ebenfalls das absolute Mehr, nämlich 415 Stimmen erhalten hatte, als gewählt erklärt.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 1904 teilten Joseph Germanier und Genossen dem Departement des Innern mit, daß sie ihren Eventualrekurs bestätigten, und daß sie das Gesuch stellten, Berthouzoz an Stelle des Evequoz als gewählt zu erklären.

Am 26. Dezember 1904 hinterlegten sie bei der Staatskasse Fr. 100 zur Prozeßkostenversicherung.

Zur Unterstützung ihres Gesuches machten Germanier und Genossen hauptsächlich geltend, das Wahlbureau habe kein Recht gehabt, die Demission des Berthouzoz anzunehmen oder abzulehnen; dieser hätte vielmehr nach Vorschrift des Art. 62 des Wahlgesetzes innert 6 Tagen dem Departement des Innern die Nichtannahme seiner Wahl erklären sollen. Die ungesetzliche Ersetzung eines als Gemeinderat gültig Gewählten durch einen andern sei um so wichtiger, als Berthouzoz sich nicht in dem in Art. 25 des Wahlgesetzes vorgesehenen Falle befunden habe, der ihn zur Ausschlagung des Mandates berechtigt hätte. Der Staatsrat habe sich daher über die Begrüudetheit oder Unbegründetheit der Nichtannahme auszusprechen ; bis zu diesem Entscheid aber bleibe Berthouzoz gewählt. Auch wenn übrigens der Staatsrat die Ausschlagung des Mandats durch Berthouzoz annehmen sollte, würde daraus noch nicht folgen, daß Evequo& gewählt sei; der zweite Absatz des Art. 57
des Wahlgesetzes sage vielmehr gegenteils, daß in einem solchen Falle von allen, die das absolute Mehr erhalten haben, nur diejenigen gewählt sind, die die höchste Stimmenzahl erreicht haben. Da nun im

591 ganzen 9 Gemeinderäte zu wählen waren, Evequoz aber der zehnte in der Reihe derjenigen war, die das absolute Mehr erreicht haben, so ist er durch die Gemeinde nicht gewählt worden; wenn also die Nichtannahmeerklärung des Berthouzoz zugelassen wird, so wird sein Ersatzmann in einem neuen Wahlgange zu bestimmen sein, der in der vom Gesetze vorgeschriebenen Weise vor sich zu gehen hat.

2. Bevor auf die materielle Rechtsfrage eingetreten wird, muß untersucht werden, ob die Beschwerde des Germanier und Genossen innert der Beschwerdefrist eingereicht worden ist, und demnach in Berücksichtigung gezogen werden kann.

Art. 65 des Wahlgesetzes schreibt vor, ,,jede Klage gegen die Wahlen soll unter Nichtigkeitsstrafe in den 6 auf die Wahlverhandlungen folgenden Tagen, beim Staatsrat eingelegt werden," und ,,sie soll mit der Hinterlegung von Fr. 100 oder einer hinreichenden Bürgschaft zur Sicherheit der Kosten begleitet sein".

Das Gesetz stellt also an die Zulassung einer Beschwerde zwei Bedingungen, erstens, daß die Beschwerde innert 6 Tagen seit den Gemeindewahlen eingereicht, zweitens, daß die Beschwerde von einer Sicherheitsstellung oder entsprechenden Bürgschaft begleitet sein muß. Wie immer man nun das Datum ansetzt, an welchem die Beschwerde eingereicht worden ist, ob man als Besehwerde im Sinne des Art. 65 des Wahlgesetzes das Schreiben vom 16. Dezember 1904 an das Departement des Innern betrachtet, oder ob man annimmt, daß eine wirkliche Klage nicht vor dem zweiten, am 23. Dezember 1904 an das Departement gerichteten Schreiben eingereicht worden sei, sicher ist, daß die Hinterlegung der Kostenversicherung nicht innert der vorgeschriebenen Zeit erfolgt ist. Im einen wie im andern Falle geschah die Hinterlegung zu spät.

Demnach wird beschlossen: Auf die Beschwerde' wird wegen Verspätung nicht eingetreten.

II.

Gegen diesen Beschluß des Walliser Staatsrates, der den Rekurrenten am 23. März 1905 mitgeteilt worden ist, haben Joseph Germanier und mit ihm acht andere stimmberechtigte Bürger von Conthey mit Eingabe vom 15. Mai 1905 die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat ergriffen und das Hauptbegehren gestellt, der Bundegrat möge die Entscheidung des Staatsrates vom 18. März 1905 aufheben und als Gemeinderäte von Conthey diejenigen Kandidaten erklären, die bei der Gemeindeabstimmung

592 die höchste Stimmenzahl erreicht hätten, unter Ausschluß des Maurice Evequoz; eventuell möge der Bundesrat den Staatsrat des Kantons Wallis zur materiellen Entscheidung der bei ihm von den Rekurrenten anhängig gemachten Wahlbeschwerde verhalten.

Zur Begründung ihres Begehrens auf Entscheidung der materiellrechtlichen Streitfragen, deren Enlscheidung sie in ihrem Hauptbegehren verlangen, haben die Rekurrenten sich auf die gleichen Gesetzesvorschriften und Argumente berufen, die sie in der Beschwerde an den Staatsrat vorgebracht hatten, und die im Beschluß vom 18. März 1905 wiedergegeben sind.

Zur Begründung ihres Eventualbegehrens dagegen bringen sie folgendes vor : Die Weigerung des Staatsrates, auf die Wahlbeschwerde der Rekurrenten einzutreten, ist ein Akt der Rechtsverweigerung, der auf dem Wege des staatsrechtlichen Rekurses vor die Bundesbehörde gezogen werden kann. Denn in.dieser Beschwerde werden Gesetzesverletzungen geltend gemacht, die der Staatsrat von sich aus und von Amtes wegen hätte annullieren sollen, und für welche daher die Vorschrift des Art. 65 des Walliser Wahlgesetzes vom 24. Mai 1876 nicht maßgebend ist. Wenn man aber diesen Artikel für anwendbar erklären sollte, so haben die Rekurrenten die gesetzlichen Vorschriften strikte eingehalten. Die Rekurrenten haben allerdings nur einen eventuellen Rekurs an den Staatsrat gerichtet ; dies war aber durch die Unsicherheit bedingt, in welcher sie sich hinsichtlieh des proklamierten Wahlergebnisses befanden. Unter solchen Umständen die Hinterlegung von Fr. 100 oder die Stellung von Bürgen zu verlangen, rechtfertigt sich keineswegs, denn diese Summe wird vom Gesetze verlangt zur Sicherstellung der Prozeßkosten, während schon die Zahl der Rekurrenten vor dem Staatsrat (19) eine genügende Sicherheit darbot. Außerdem aber gestattet Art. 65 nicht die starre Auslegung, die ihm der Staatsrat gibt. Art. 65 bestimmt: ,,Jede Klage gegen die Wahlen soll, unter Nichtigkeitsstrafe, in den sechs auf die Wahlverhandlung folgenden Tagen, beim Staatsrate eingelegt werden. Sie soll mit der Hinterlegung von Fr. 100 oder einer hinreichenden Bürgschaft zur Sicherung der Kosten begleitet sein." Wenn hiernach die Klage innert der Frist von sechs Tagen beim Staatsrat eingereicht werden muß, so folgt hieraus noch lange nicht, daß auch die Kostenversicherung
innert des gleichen Termins erfolgen muß; das Gesetz verlangt dies nicht und die Prseclusionsfolge darf nicht präsumiert werden.

Die Bestimmung des Gesetzes über die Kostenversicherung kann nur dea Sinn haben, daß die Behörde einer Beschwerde keine Folge zu geben braucht, bevor nicht die Hinterlegung erfolgt ist,

593 wie dies übrigens auch im Klagverfahren vor dem Korrektionsgericht der Fall ist. Im vorliegenden Falle ist die Hinterlegung einige Tage nachher, immerhin nach Ablauf der sechs ersten Tage erfolgt.

Man kann aber auch sagen, daß die Rekursfrist erst mit der Mitteilung des Staatsrates vom 20. Dezember 1904 an zu laufen begann. In diesem Falle ist die Bestätigung des Eventualrekurses und die Hinterlegung von Fr. 100 innert der sechs Tage erfolgt, welche das Wahlgesetz vorschreibt.

III.

Zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen hat der Staatsrat des Kantons Wallis mit Zuschrift vom 12. Juni 1905 Nichteintreten auf die Beschwerde, eventuell die Abweisung derselben beantragt. Er führt aus: Die Gemeinde Conthey hatte am 11. Dezember 1904 neun Gemeinderäte zu wählen. Nach dem ersten Wahlgang konstatierte das Wahlbureau vor der versammelten Wahlgemeinde, daß zehn Bürger das absolute Mehr erreicht hätten ; gleichzeitig erklärte Einer unter den 9 Ersten, daß ihn besondere Umstände an der Annahme einer Wahl als Genieinderat hinderten. Unter Zustimmung der ganzen Wahlgemeinde, von der aus keinerlei Einwendung erhoben wurde, erklärte hierauf das Wahlbureau, wiederum vor versammelter Gemeinde, die andern neun Bürger, die das absolute Mehr erhalten hatten, als Gemeinderäte, Dies sind die Tatsachen, die der Beschwerde der Germanier und Genossen vor dem Staatsrat zu Grunde liegen.

Die Entscheidung des Staatsrates auf Nichteintreten auf diese Beschwerde stutzt sieh auf die Interpretation des Art. 65 des Wahlgesetzes. Eine solche Entscheidung ist nun aber im Sinne des Art. 189 des Organisationsgesetzes nicht an den Bundesrat weiterzieh bar, denn der Bundesrat prüft die kantonalen Verfügungen nur auf Grund der Verfassungsbestimmungeu. Sekundäre Bestimmungen von Gesetzen kann der Bundesrat seiner Überprüfung nur unterziehen, wenn die Interpretation derselben" an sich einen Akt der Rechtsverweigerung, einen Akt der Willkür oder eine Verletzung der Rechtsgleichheit wäre. Nichts von alledem ist aber in dem vorliegenden.Rekurs an den Bundesrat behauptet; ja es wird nicht einmal geltend gemacht, daß die Entscheidung des Staatsrates vom 18. März 1905 etwa der bisherigen Praxis dieser Behörde widerspreche.- Aus diesem Grunde rechtfertigt sich der Antrag des Staatsrat auf Nichteintreten auf die Besehwerde durch den Bundesrat.

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Prüft man aber die Frage, oh die Rekurrenten seiner Zeit ihren Rekurs beim Staatsrat in richtiger Weise eingereicht hätten, so ergibt sich: 1. Art. 65 des Wahlgesetzes bestimmt, daß Wahlbeschwerden unter Nichtigkeitsfolge in den sechs auf die Wahlverhandlung folgenden Tagen beim Staatsrat eingelegt werden sollen. Nun hat die Mitteilung der Wahl, welche die Rekurrenten vor Staatsrat angefochten haben, vor versammelter Gemeinde stattgefunden; kein Bürger kann sich also darauf berufen, er habe das Wahlergebnis nicht gekannt, denn seine Bürgerpflicht rief ihn zur Wahlgemeinde, und für alles, was dort verkündet worden ist, gilt die Präsumption, daß es, weil in richtiger Form zur öffentlichen Kenntnis gebracht, allen Bürgern bekanot sei. Nun haben allerdings die Rekurrenten am 16. Dezember 1904, indem sie Unkenntnis des Geschehenen vorschützten, beim Staatsrat das Gesuch um Mitteilung des Wahlergebnisses gestellt und der Staatsrat ist diesem Gesuche, da es sich um eine größere Wählergruppe handelte, nachgekommen. Damit ist aber am Fristenlauf nichts geändert worden; es fragt sich nach wie vor einfach, ob innert sechs Tagen nach der Wahlversammlung eine Beschwerde beim Staatsrat eingereicht worden ist oder nicht. Nun sagt schon der Text der Eingabe vom 16. Dezember 1904, daß diese Eingabe kein formeller Rekurs ist, denn die Eingabe bezeichnet sich selbst als einen ,,Eventualrekurs a und die Petenten stellen einen ,,effektiven Rekurs"1 in Aussicht; außerdem haben die Petenten am 23. Dezember 1904 eine weitere Eingabe an den Staatsrat gerichtet, die sie als ,,effektiven Rekurs"1 aufgefaßt wissen wollen. Das Gesetz kennt nun aber keinen Bventualrekurs und die Fristen für die Einreichung eines wirklichen Rekurses sind unverrückbar und peremptorisch.

Es ist somit ein Rekurs zur rechten Zeit beim Staatsrat nicht eingereicht worden.

2. Außerdem kann auf die Beschwerde auch wegen mangelnder Hinterlegung der Prozeßkostenversicherung nicht eingetreten werden, die in Art. 65 des Wahlgesetzes vorgeschrieben ist. Der Staatsrat hat diese Bestimmung des Gesetzes .dahin ausgelegt, daß die Hinterlage innert der nützlichen Frist erfolgen müsse, die für die Anbringung einer Wahlbeschwerde festgesetzt ist; der Staatsrat hat diese Entscheidung innert der Schranken seiner Kompetenz getroffen, und die Entscheidung entspricht
seiner bisherigen Praxis.

Sie entspricht auch dem Text des Gesetzes, sie braucht also nicht noch anderweitig gerechtfertigt zu werden; daß sie eine starre Interpretation11 ist, liegt in der Natur der Vorschrift. Auch das Zivilrecht kennt sie und auch dort wird die Vorschrift so gehandhabt, daß die Kostenversicherung für die Appellation innert be-

595 atimmter Frist in den Händen des Gerichtsschreibers sein muß.

Wie diese Formvorschriften im Zivilrecht bindend sind, so sind sie es auch im öffentlichen Recht. Die Entscheidung des Staatsrates verletzt also keinerlei Verfassungsvorschriften.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. In der Entscheidung vom 18. März 1905, welche die heutigen Rekurrenten in der rechtzeitig vor dem Bundesrat angebrachten staatsrechtlichen Beschwerde angefochten haben, spricht der Staats · rat des Kantons Wallis seine Weigerung aus, auf eine von den Rekurrenten bei ihm erhobene Wahlbeschwerde einzutreten, weil die Rekurrenten, abgesehen von der Frage der rechtzeitigen Einreichung ihrer Beschwerdeeingabe, die Versicherung für die Prozeßkosten nicht rechtzeitig, wie Art. 65 des WalHser Wahlgesetzes vorschreibe, geleistet hätten.

2. Die Beschwerdeführer bezeichnen die Entscheidung als einen Akt der Rechts Verweigerung, erstens weil der Staatsrat zu einer Entscheidung über die vor ihm namhaft gemachten Beächwerdepunkte schon ex officio verpflichtet gewesen sei, zweitens weil sowohl die Rekurseingabe an den Staatsrat als auch der Kostenvorachuß innert der gesetzlichen Frist deponiert worden sei, und drittens weil das Gesetz in Art. 65 eine peremptorische Frist für die Deponierung der Kostenversicherung überhaupt nicht kenne; 3. Es ist vorerst von Amtes wegen die Frage der Kompetenz des Bundesrates zu prüfen.

Art. 189 des Organisationsgesetzes umschreibt die Kompetenz der politischen Bundesbehörden dahin, daß der Bundesrat zu beurteilen habe ^Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen, auf Grundlage sämtlicher einschlägigen Bestim-1 mungen des kantonalen Verfassungsrechtes und des Bundesrechtes" .

Der Staatsrat des Kantons Wallis hat die Kompetenz des Bundesrates aus dem Grunde bestritten, weil die Rekurrenten keine Verletzung von Bundesrecht, närnlich weder einen Akt der Willkur, noch der Rechtsungleichheit noch der Rechtsverweigerung behauptet hätten. Diese Einrede beruht aber auf einem tatsächlichen Irrtum der Regierung. Die Rekurrenten haben ausdrucklich ·erklärt, die Weigerung des Staatsrates, auf ihre Beschwerde einzutreten, bedeute einen Akt der Rechtsverweigerung, sie haben damit die Behauptung einer Verletzung des Art. 4 der Bundes-

596 Verfassung erhoben, insofern also der Vorschrift des Gesetzes, daß ein Entscheid auf Grundlage von ßundesrecht verlangt werde, geniige getan.

Damit ist aber die Frage, ob die Kompetenz des Bundesrates zur Entscheidung der vorliegenden Besehwerde gegeben sei oder nicht, keineswegs erschöpft. Es fragt sich vielmehr vor allem, ob überhaupt eine Wahlbeschwerde vorliege, oder wie das Oganisationsgesetz in den oben zitierten Bestimmungen sich ausdrückt, die politische Stimmberechtigung von Bürgern, eine kantonale Wahl oder Abstimmung in Frage steht. Denn nach dei- Vorschrift des Organisationsgesetzes, Art. 175, ist in der Regel nicht der Bundesrat sondern das Bundesgericht kompetent, über Verletzungen von Art. 4 der Bundesverfassung zu entscheiden. Die Kompetenz des Bundesrates ist nur dann und insoweit gegeben, als entweder die Behauptung einer Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung in eogem Zusammenhang mit einer Verletzung von materiell rechtlichen Verfassungsnormen steht, über deren Wahrung auf Grund des Art. 189, Absatz l, des Orga.nisationsgesetzes der Bundesrat zu wachen hat, oder aber insofern die Behauptung einer Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung in einer Wahl besch werde gemäß Art. 189, Absatz 3, des Organisationsgesetzes erhoben wird.

Eine Beschwerde dieser letztern Art liegt nun in der Tat vor.

Die Rekurrenten haben, wie aus dem Beschlüsse vom 18. März 1905 zu entnehmen ist, mit ihren Eingaben vom 16. und 23. Dezember 1904 vom Staatsrat des Kantons Wallis die durch d«9 amtliche Protokoll proklamierten Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 angefochten, indem sie behaupten, daß der erstgewählte Bürger nicht berechtigt gewesen sei, die Wahl abzulehnen, sondern dieselbe gemäß dem für die Gemeinderäte bestehenden Amtszwang hätte annehmen müssen. Gegenstand der Beschwerde ist also eine Frage der passiven "Wahlfähigkeit (vgl. Entscheid des Bundesrates vom 20. Oktober 1903, über die Beschwerde des Gemeinderates von Herisau). Zweck der erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde an den Bundesrat ist es, über diese Beschwerdeeingaben einen materiellen Entscheid, sei es durch die Regierung des Kantons Wallis, sei es durch den Bundesrat selbst herbeizuführen. Die Beschwerdeführer haben also, wie sich noch das alte Organisationsgesetz vom 27. Brachmonat 1874, Art. 59, in seiner gegenüber
dem heutigen Organisationsgesetz beschränkteren Fassung ausgedrückt hat, Beschwerde ,,gegen die Gültigkeit einer kantonalen Wahl oder Abstimmung" erhoben, sie haben das Begehren auf Erlaß einer behördlichen Verfügung gestellt, durch die das Resultat einer kantonalen Wahlverhandlung in bestimmter

597 Weise festgesetzt werden soll; ihre Beschwerde muß deshalb als ,,Wahlbeschwerdea im Sinne des Organisationsgesetzes aufgefaßt werden.

Die Kompetenz des Bundesrates zur Entscheidung über die behauptete Rechtsverweigerung ist damit gegeben.

4. Die Rekurrenten haben vor dem Bundesrat die Behauptung der Rechtsverweigerung in erster Linie damit begründet, daß sie erklären, der Staatsrat hätte die von ihnen geltend gemachten Beschwerdepunkte schon von Amtes wegen entscheiden müssen.

Nun haben aber die Rekurrenten unterlassen, eine Verfassungsoder Gesetzesvorschrift anzuführen, aus der diese Pflicht des Staatsrates ersichtlich wäre. Das Gesetz über die Abstimmungen und Wahlen, vom 24. Mai 1876, sieht mit Ausnahme des Falles der Venalität (Bestechung oder Drohung) in Art. 66 die absolute Nichtigkeit eines Wahl- oder Abstimmungsergebnisses nicht vor; vielmehr wird in Art. 65 eine ,,Klage gegen die Wahlen"1 gegeben, so daß man annehmen muß, daß eine Wahlverhandlung gültig wird, wenn sie nicht innert der vorgesehenen Frist angefochten wird.

Die Rekurrenten behaupten aber ferner, sie hätten die vom Gesetze zur Sicherung der Prozeßkosten verlangte Summe von Fr. 100 auch innert der gesetzliehen Rekursfrist hinterlegt; denn sie hätten die Mitteilung vom augefochtenen Wahlergebnisse des 11. Dezember 1904 erst durch das Schreiben des Staatsrates vom 20. Dezember 1904 erhalten.

Dem gegenüber hat nun die Regierung festgestellt, daß die Verkündung des von dea Rekurrenten angefochtenen Wahlresultates, nämlich der Wahl des Bvequoz, Maurice an Stelle des Berthouzoz, François, am 11. Dezember 1904 vor versammelter Gemeinde stattgefunden habe; das Gesetz verpflichte die Bürger, an den Gemeindewahlen und Abstimmungen teilzunehmen ; es sei daher auch die Kenntnis von den Gemeindeverhandlungen des 11. Dezember 1904 seitens der Rekurrenten, die alle stimmfähige Bürger von Conthey sind, zu präsumieren; es sei daher die Rekursfrist auch vom 11. Dezember 1904 an zu berechnen, demnach aber sowohl der sogenannte ,,effektive Rekurs11 der Rekurrenten vom 23. Dezember 1904, wie die Déposition der Fr. 100 zur Prozeßkostenversicherung vom 26. Dezember 1904 verspätet gewesen.

Dies ist zweifellos richtig. Aber auch der Wortlaut des Art. 65 des mehrangeführten kantonalen Gesetzes ergibt ohne weiteres, daß die Frist von der
,,Wahlverhandlung a aa läuft, daß also eine besondere Kenntnisgabe an die Interessierten gar nicht erforderlieh ist.

Dieser nämliche Artikel bestimmt, daß eine Wahlbesehwerde an den Staatsrat mit der Hinterlegung von Fr. 100 oder einer hinreichenden

598 Bürgschaft zur Sicherheit der Kosten begleitet sein soll. Es ist unbestritten, daß eine solche Kaution weder in bar noch durch Bürgschaft innerhalb der Gtägigen Frist des Art. 65 geleistet worden ist.

Nun besteht kein Satz des Bundesrechtes, durch welche die Kantone verhindert werden, Wahlbeschwerden des kantonalen Rechtes von der Hinterlegung einer Personal- oder Realkaution abhängig zu machen, so stoßend es auch ist, daß die Ausübung des Beschwerderechtes auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes von der Hinterlage einer Kaution abhängig gemacht wird.

Wenn der Regierungsrat des Kantons Wallis sich geweigert hat, über eine Wahl beschwerde zu entscheiden, für welche die vom kantonalen Gesetze verlangte gleichzeitige Hinterlegung einer Kaution nicht vorgenommen worden war, so hat er nur das kantonale Gesetz zur Anwendung gebracht und sich einer Rechtsverweigerung nicht schuldig gemacht.

Darin, daß der Staatsrat den Art. 65 des angeführten kantonalen Gesetzes dahin interpretiert hat, daß die Kaution gleichzeitig mit der Wahlbeschwerde, oder jedenfalls innert der ßtägigen Frist eingelegt werden müsse, kann Willkür nicht erblickt werden, da sich diese Auslegung mit dem Wortlaute der angeführten Gesetzesstelle sehr gut vereinbaren läßt.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 7. Juli 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde von Joseph Germanier und Genossen gegen den Staatsrat des Kantons Wallis wegen Nichteintretens auf eine Wahlbeschwerde. (Vom 7. Juli 1905.)

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