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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde der Kistlergenosssame in Reichenburg, Kanton Schwyz, wegen Verletzung des eidgenössischen Forstgesetzes, vom 1 1.Oktober 1902 (Ablösung einer schädlichen Waldservitut).

(Vom 17. Januar 1905.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde der Kistlergenoßsame in Reichenburg, Kanton Schwyz, wegen Verletzung des eidgenössischen Forstgesetzes, vom 11. Oktober 1902 (Ablösung einer schädlichen Waldservitut), auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

1. Die Bundesversammlung hat am 9. April 1894 eine Subvention der Eidgenossenschaft für die Kosten der Verbauung und Korrektion des Rütibaches bei Reichenburg, Kanton Schwyz, beschlossen, unter der Bedingung (Art. 10 des Bundesbeschlusses), daß ,,zum Schutze der auf den Kistleralpen im Einzugsgebiet des Rütibaches bereits vorhandenen oder neu zu begründenden Holzwuchses und zur Ermöglichung einer zweckentsprechenden Bewirtschaftung desselben, eine angemessene Regelung der dortigen Wald- und Weideverhältnisse beförderliehst stattzufinden" habe (vgl. A. S. n. F., Bd. XIV, pag. 233).

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2. Auf Grund dieses Bundesbeschlusses hat der Kanton Schwyz für die Kistleralpgenoßsame, Gemeinde Reichenburg, beim Bundesrat ein Projekt über Aufforstung, Entwässerung und Verbaue im Einzugsgebiet des Rütibaches eingereicht. Der Bundesrat bewilligte für dieses Projekt am 23. Dezember 1897, in Ausführung des Bundesbeschlusses vom 9. April 1894, eine Subvention in bestimmter Höhe, neben andern unter den Bedingungen, daß von nun an in den Kistleralpen keine Ziegen mehr gehalten werden dürfen; daß von Schneebrücken Umgang zu nehmen sei und dieselben durch Terrassierungen oder Mauern zu ersetzen seien; daß die Einfriedigung nun, soweit Material vorhanden, mit Mauern, im übrigen mit Pfosten und Draht zu erstellen sei, und daß endlich vor Beginn der Projektarbeiten die Kistleralpgenoßsame zu erklären habe, daß sie mit dem Bundesratsbeschluß einverstanden sei.

Auf die Übermittlung dieses Bundesratsbeschlusses durch die Regierung des Kantons Schwyz antwortete die Kistlergenoßsame am 18. April 1898, es sei der Bundesratsbeschluß betreffend Aufforstung, Umzäunung, Verbot des Ziegen weidganges u. s. w. für sie nicht annehmbar und daher abzulehnen.

Als nun aber die Allgemeine Genoßsame Reichenburg, ebenfalls eine Alpgenoßsame, sich zur Ausführung des Aufforstungsprojektes bereit erklärte, beschloß die Kistlergenoßsame am 31. Juli 1898: 1. sie wolle die projektierte Aufforstung selbst ausführen; 2. sie wolle die erforderlichen Schritte einleiten, um das Holzrecht der Allgemeinen Genoßsame vom Grund und Boden der Kistleralpen, welcher Eigentum der Kistlergenoßsame sei, abzulösen.

Gegen diese Ausführung des Aufforstungsprojektes protestierte die Allgemeine Genoßsame, indem sie den Kistlergenossen die Befugnis zur Ablösung des Holzrechtes (der Allgemeinen Genoßsame) bestritt. Hierauf machte die Kistlergenoßsame gerichtlich das Begehren um Ablösung des Holzrechtes der Allgemeinen Genoßsame geltend, wurde aber mit demselben abgewiesen, und zwar erstinstanzlich vom Bezirksgericht der March durch Urteil vom 3./4. Mai 1899, zweit- und letztinstanzlich vom Kantonsgerieht Schwyz durch Urteil vom 12. September 1899.

Die Urteilsgründe der letzten Instanz gehen dahin : ^Uie Kistlergenoßsame ist unbestrittenermaßen Eigentümerin von Grund und Boden der Kistleralp und besitzt das alleinige und unbeschränkte Atzungsreeht ; dagegen hat die Allgemeine Genoßsame mit der

137 Kistlergenoßsaine das gleichmäßige Mitanteilhaberrecht und Mitbenutzungsrecht an dem auf der Kistleralp wachsenden Holz, welches Recht nicht als eine Servitili der Allgemeinen Genoßsame bezeichnet werden kann, sondern welches ein Eigentumsrecht der Allgemeinen Genoßsame an dem auf der Kistleralp stehenden und wachsenden Holz ist. Ist nun aber nicht bloß eine Servitutberechtigung der Allgemeinen Genoßsame an den Waldungen der Kistleralp konstatiert, so kann von einer Ablösungsberechtigung im Sinne des Art. 14 des eidgenössischen Forstgesetzes vom 24. März 1876, welches die Ablösung von Dienstbarkeiten vorschreibt, nicht die Rede sein, sondern es kann dieser Zustand nur diirch ein Übereinkommen der Parteien abgeändert werden. tt 4. Nach Beendigung dieses Prozesses forderte die Regierung dea Kantons Sehwyz die Kistlergenoßsame am 9./l3. August 1900 auf, die projektierte Aufforstung durchzuführen, wie sie es am 3l. Juli 1898 beschlossen und bekannt gegeben habe, und setzte der Genoßsame, da eine weitere Hinausschiebung der Ausführung die Auszahlung der in Aussicht stehenden Bundessubvention gefährden könne, am 4. Februar 1901 eine Frist zur vorbehaltlosen Annahme des Bundesratsbeschlusses vom 23. Dezember 1897 an. Die Kistlergenoßsame antwortete, sie halte an ihrer Schlußnahme vom 31. Juli 1898 (siehe oben) fest.

Daraufhin beschloß der Regierungsrat des Kantons Sehwyz am 15. März 1901 : ,,in Erwägung: ,,daß mit dieser Schlußnahme der Kistlergeuoßsame die (von ihm) den 4. Februar 1901 verlangte vorbehaltlose Erklärung der Genoßsame betreffend Aufforstung nicht gegeben ist; ,,daß die Allgemeine Genoßsame Reichenburg bereits schon unterm 18. Februar 1900 beschlossen hat, sie werde die projektierte Aufforstung im Kistleralpgebiet mit den bezüglichen Subventionen ausführen und allfällige Atzungsentschädigungen und Unkosten, kommen dieselben auf dem Wege gütlicher Vereinbarung oder durch Expropriation zu stände, übernehmen, ,,in Anwendung von § 59 der kantonalen Vollziehungsverordnung zum eidgenössischen Forstgesetz, ,,Das der Kistlergenoßsame zustehende Atzungsrecht auf dem Wftldgebiete der Kistleralp ist mit dem Zwecke, welchem diese Waldungen dienen, unvereinbar, und es wird die Allgemeine Genoßsame eingeladen, dessen Ablösung innerhalb der Ausmarchung laut Schiedsgeriehtsurteil von 1850 beziehungsweise innerhalb der durch dieses Urteil gezogenen Grenze beförderliehst anzustreben.

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·und durchzuführen, um nach Durchführung dieser Atzungsabilösung ·die Aufforstung im Sinne des vorerwähnten Regierungsratsbe-schlusses vom 1. März 1900 sofort vorzunehmen."

5. Die Allgemeine Genoßsame trat, gestützt auf diesen Regierungsratsbeschluß, nach Vorschrift der §§ 59 ff. der schwy.zerischen Yollziehungsverordnung zum eidgenössischen Forstgesetz vorerst im Mai 1901 mit der Kistlergenoßsame in Unterhandlung betreffend gütliche Ablösung von deren Atzungsrecht auf der ·Kistleralp.

Da diese Unterhandlungen resultatlos verliefen, verlangte die Allgemeine Genoßsame beim Marchgericht als dem zuständigen Bezirksgericht die Bestellung von Schätzern, welche die Ablösungssumme zu bestimmen hätten.

Das Marchgericht wies die Petentin aber ,,zur Zeit", und die Justizkommission des Kantons Schwyz, an welche das Urteil auf dem Wege der Kassationsbeschwerde weitergezogen worden war, mit Entscheid vom 17. August 1901 definitiv ab. Die letztere -Instanz gründete ihren Entscheid auf die Erwägung, daß die Allgemeine Genoßsame die Berechtigung zur Ablösung des Atzungsrechtes der Kistlergenoßsame nicht habe, weil die Allgemeine Genoßsame nicht Alleineigentümerin des Waldes auf den Kistleralpen .sei, sondern nur Miteigentümerin des Waldes (zu gleichen Teilen) mit der Kistlergenoßsame.

Zur Entkräftung der Voraussetzungen dieses Entscheides sah ·die Allgemeine Genoßsame sich genötigt, nun das Recht der Kistlergenoßsame an den Waldungen der Kistleralp gerichtlich feststellen zu lassen ; sie erhob daher eine Feststellungsklage des Inhaltes, ·es sei zu erkennen, daß die Kistlergenossen nur als Mitglieder der Allgemeinen Genoßsame ein Miteigentums- und Mitbenutzungsrecht an den Waldungen der Kistleralp besitzen. Diese Klage ist sowohl durch das Bezirksgericht March wie durch das Kantonsgericht Sehwyz, durch letzteres mit Urteil vom 28./29. Mai 1903, im Sinne der Klägerin entschieden worden.

In dem kantonsgerichtlichen Urteil findet sich folgender Passus : ,,Die allgemeine Genoßsame hat sich seit 1835 als Korporation ausgebildet und über die vom Weidgang abgezäunte Waldung tatsächlich als E i g e n t ü m e r i n verfügt. Ihre Organe sind ·die Genossengemeinde, die Genossenverwaltung, Schreiber, Bannwart und Weibel. Die Alpgenossenschaft als solche beteiligte sich daran in keiner Weise und deren einzelne Genossen nur als «Glieder der Allgemeinen Genoßsame. Diese war und ist also

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zusammengesetzt aus Alpgenossen und Nichtalpgenoasen, beziehungsweise aus den Hofleuten als Bürgern der Gemeinde Reichenburg.

V e r m ö g e n s o b j e k t d e r A l p g e n o s s e n s c h a f t , d.h. d e r Kistlergenoßsame, ist die o f f e n e Weid, nicht aber ·der W a l d . Über letztern übt sie als juristische Person gar ikein Eigentumsrecht aus; dasselbe kommt einzig und aliein im Verband und in der Mitbetätigung als Mitglieder der Allgemeinen ·Genoßsame resp. als Hofleute zum Ausdruck und zur Geltung."

6. Die Allgemeine Genoßsame wiederholte nun ihr Gesuch ·um Bestellung von Schätzern beim Bezirksgericht March; dieses 'Gericht entsprach dem Gesuch am 30. Januar 1904. Aber auch dieser Beschluß des Marchgerichtes wurde von der Justizkommis-·sion des Kantons Schwyz, auf die Beschwerde der Kistlergenoßsame hin, mit Entscheid vom 25. März 1904 aufgehoben, und .zwar aus dem Grunde, weil gemäß §§ 59 ff. der schwyzerischen Vollziehungsverordnung zum eidgenössischen Forstgesetz der Bestellung von Schätzern der Versuch einer gütlichen Verständigung vorauszugehen habe und dies vorliegenden Falles nicht geschehen .sei ; eine Bezugnahme auf den frühern Versuch gütlicher Verständigung vom Mai 1901 zwischen den Parteien sei nicht statthaft, weil es sich dort um die Frage des Loskaufs des Holzrechtes der Allgemeinen Genoßsame gehandelt habe.

7. Entsprechend der Weisung der Justizkommission des Kantons Schwyz forderte am 8. April 1904 die Allgemeine Genoßsame die Kistlergenoßsame nochmals zu einer gütlichen Verständigung auf; die Kistlergenoßsame beantwortete diese Aufforderung mit einer ebenfalls vom 8. April 1904 datierten Erklärung, ,,daß nach wie vor die Pflicht zur Abtretung bestritten wird und diese Streitfrage im Sinne des Vollziehungsbeschlusses zu Art. 45 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 11. Oktober 1902 durch den h. Regierungsrat, beziehungsweise Bundesrat, vorerst zu entscheiden isttl.

8. Daraufhin stellte die Allgemeine Genoßsame bei der Regierung des Kantons Schwyz das Gesuch, ,,der Regierungsrat möchte die Kistlergenoßsame zur Abtretung des Atzungsrechtes auf dem Waldgebiete in der Kistleralp verpflichten".

Die Kistlergenoßsame wendete gegen dieses Gesuch in ihrer Vernehmlassung an den Regierungsrat vom 28. Juli 1904 ein, daß laut dem
eidgenössischen Forstgesetz nur derjenige die Ablösung einer Servitut erlangen könne, welcher Eigentümer von Grund und Boden sei; der Grund und Boden der Kistleralp gehöre aber nicht der Allgemeinen Genoßsame, sondern der Kistler-

140 genoßsame. Auch die kantonale Vollziehungsverordnung gebe einzig dem Eigentümer die Befugnis, die auf den Waldungen haftenden schädlichen Dienstbarkeiten abzulösen; die Allgemeine Genoßsame könne daher weder nach der einen noch nach der andern Gesetzgebung von sich aus die Expropriation verlangen.

Der Regierungsrat des Kantons Schwyz bewilligte das Gesuch der Allgemeinen Genoßsame durch Beschluß vom 23. August 1904,, indem er beschloß : ,,nach Belesung des Gesuchschreibens und der Vernehmlassung der Kistlergenoßsame, welche verlangt, daß auf das Begehren der Allgemeinen Genoßsarne nicht eingetreten werde, sowie nach Prüfung der beidseitig eingelegten Akten, und in Berücksichtigung, daß jahrelange Unterhandlungen zwischen den beiden Genoßsamen und wiederholte Vermittlungsversuche des Regierungsrates und des Forstdepartementes in dieser Sache zu keinem Vergleiche geführt haben, in Anwendung des Art. 21 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei und des kantonsrätlicben Vollziehungsbeschlusses vom 2. Dezember 1903 zu Art. 45 dieses Bundesgesetzes vom 11. Oktober 1902a, ,,1. Dem Gesuche der Allgemeinen Genoßsame Reiehenburg; wird entsprochen und die Kistlergenoßsame demnach verpflichtet, das ihr zustehende Atzungsrecht auf dem Waldgebiet der Kistleralp der Allgemeinen Genoßsame abzutreten.

2. Die Allgemeine Genoßsame wird zur zwangsweisen Enteignung dieses Atzungsrechtes im Sinne der §§ 59 bis 76 der kantonalen Forstverordnung ermächtigt,.11 Diese Schlußnahme ist der Kistlergenoßsame am 27. August 1904 zugefertigt worden.

II.

Mit Eingabe vom 10. September 1904 hat die Kistlergenoßsame Reichenburg diesen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Schwyz an den Bundesrat weitergezogen und das Rechtsbegehren gestellt, es sei dieser Entscheid aufzuheben und dem Begehren der Allgemeinen Genoßsame zur zwangsweisen Abtretung des Atzungsrechtes im Waldgebiete der Kistleralp, weil der gesetzlichen Grundlage entbehrend, keine Folge zu geben.

Die rechtliche Begründung dieses Begehrens geht im wesentlichen von folgenden Gesichtspunkten aus:

141 Art. 21 des Bundesgesetzes vom 11. Oktober 1902 bezieht sich nur auf ö f f e n t l i c h e Waldungen. Der Kistiergenoßsame ist der öffentliche Charakter nicht zuzuerkennen. Irn Grunde gekommen handelt es sich um eine Gemeinschat'tswaldung, welche als Privatwaldung im weitern Sinne anzusehen ist. Aber selbst, wenn man das Vorhandensein einer öffentlichen Waldung annehmen wollte, so kann doch auf Grund des Art. 21 des eidgenössischen Forstpolizeigesetzes eine Expropriation der Kistlergenossenschaft durch die Allgemeine Genossenschaft Reichenburg nicht ausgesprochen werden. Der Vollziehungsbeschluß des schwyzeiisehen Kantonsrates vom 2. Dezember 1903 zu Art. 45 des eidgenössischen Forstpolizeigesetzes, auf den sich der angefochtene Regierungsbeschluß bezieht, verweist ausdrücklich auf die §§ 59 bis 76 der kantonalen Vollziehungsverordnung vom 1. Dezember 1876 zum frühern eidgenössischen Forstpolizeigesetz. § 58 dieser Vollziehungsverordnung ist durch den neuen Vollziehungsbeschluß weder ausdrücklich noch stillschweigend aufgehoben. Dieser § 58 bestimmt .aber, daß ,,alle auf den Waldungen haftenden besonders schädlichen Dienstbarkeiten, wie das Weide- und Benutzungsrecht, das Farren- und Streusammeln u. dgl. von dem Eigentümer des dienenden Grundstückes losgekauft werden können".

Damit ist also nur dem E i g e n t ü m e r des dienenden Grundstückes ein Loskaufsrecht gegeben. Als Eigentümer einer Waldung kann aber einzig' der Eigentümer von Grund und Boden angesehen werden. Grund und Boden stehen aber nicht im Eigentum der Allgemeinen Genossenschaft, der das Expropriationsrecht verliehen werden will, sondern waren von jeher und sind heute noch unbestrittenes Eigentum der Kistlergenossenschaft. Diese Reehtsauffassung gelangte in dem Entscheid der Justizkommission vom 17. August 1901 zur Geltung. Der Entscheid des Regierungsrates vom 23. August 1904, wie schon der vom 15. März 1901, beruht daher auf falscher Voraussetzung, verstößt gegen klares Recht und kann deshalb nicht geschützt werden.

III.

Die Regierung des Kantons Schwyz sandte am 29. September als Antwort eine Rechtsschrift der Allgemeinen Genoßsame Reichenburg ein mit der Erklärung, daß sie die darin gegebenen faktischen und. rechtlichen Ausführungen in allen Teilen unterstütze.

Aus dem rechtlichen Teile der Antwort ist hervorzuheben : Bei den Waldungen der Kistleralp handelt es sich um öffentliche, nicht um Privatwaldungen. Dies wird hergeleitet aus § 2

142 der Vollziehungsverordnung des Kantons Schwyz zum frühern eidgenössischen Forstpolizeigesetz von 1876, in welchem die Gemeindeund Korporationswaldungen den Privatwaldungen gegenübergestellt werden.

Schon der erste regierungsrätliche Entscheid vom 15. März 1901 r der heute noch in Rechtskraft steht, ermächtigte die AllgemeineGenoßsame Reichenburg zur Expropriation des der Kistlergenoßsame zustehenden Atzungsrechtes auf dem Waldgebiete der Kistleralp. Die zivilrechtlichen Voraussetzungen, von denen damals der Regierungsrat ausging, sind durch die spätem gerichtlichen Urteile,, welche die Allgemeine Genoßsame Reichenburg infolge des Entscheides der Justizkommission vom 17. August 1901 zu provozieren, sich genötigt sah, bestätigt worden.

Durch den Vollziehungsbeschluß des Kantonsrates vom 2. Dezember 1902 zu Art. 45 des neuen eidgenössischen Forstpolizeigesetzes vom 11. Oktober 1902 ist § 58 der frühern kantonalen Vollziehungsverordnung ausgeschaltet worden. Der nach § 64 dieser Verordnung erforderliche Verständigungsversuch zwischen dem Waldeigentümer (der Allgemeinen Genoßsame Reichenburg) und demDienstbarkeitsberechtigten(Kistlergenoßsame)hat stattgefundenEs können demnach der Durchführung der Expropriation durch die Allgemeine Genoßsame keine Hindernisse mehr in den Weg: gelegt werden. Übrigens muß, selbst wenn man ein Fortbestehen des § 58 der Vollziehungsverordnung zum frühern eidgenössischen Forstpolizeigesetze annimmt, eine vernünftige Interpretation dazu führen, diese Bestimmung auch auf den Fall auszudehnen, wodas Weidrecht aus einem noch bestehenden Eigentumsrecht an Grund und Boden abgeleitet wird. Maßgebend ist jedenfalls dasneue Bundesgesetz, das nicht nur eine Ablösung, sondern eine Zwangsenteignung von für die Waldwirtschaft schädlichen Dienstbarkeiten und Nebennutzungen gestattet. Eine andere Interpretation, würde jede forstliche Tätigkeit ausschließen. Übrigens haben ja.

die Kistlergenossen, soweit sie als Einzelne zur allgemeinen Genoßsame gehören, auch Anteil an dem Nutzen, der durch Ablösung desWeidrechtes auf dem Wald der Allgemeinen Genoßsame entsteht.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Das Rechtsbegehren der Kistlergenoßsame Reichenburgund heutigen Rekurrentin geht auf Aufhebung der Verfügung desRegierungsrates des Kantons Schwyz vom 23. August 1904, in welcher die Behörde ,,die Kistlergenoßsame verpflichtet, das-

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ihr zustehende Atzungsrecht auf dem Waldgebiet der Kistleralpder Allgemeinen Genoßsame abzutreten, und die Allgemeine Genoßsame zur zwangsweisen Enteignung dieses Atzungsrechtes, im Sinne der §§ 59 bis 76 der kantonalen Forstverordnung ermächtigt".

Diese Beschwerde ist rechtzeitig innert der 14tägigen Frist,, welche in Art. 45 des Bundesgesetzes betreffend die Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 11. Oktober 1902 (Forstpolizeigesetz> bestimmt ist, beim Bundesrat eingereicht worden.

Die Rekurrentin stützt ihr Begehren vor dem Bundesrat formell uüd materiell auf Art. 21 dieses Bundesgesetzes, sowie auf § 58 der Vollziehungsverordnung des Kantons Schwyz vom 1. Dezember 1876 zu dem frühern eidgenössischen Gesetz.

Der angerufene Art. 21 des gegenwärtig geltenden eidgenössischen Forstpolizeigesetzes lautet: ,, Dienstbarkeiten und Rechte auf Nebennutzungen in öffentlichen Waldungen, welche sich mit einer guten Waldwirtschaft nicht vertragen, sind abzulösen, wenn nötig auf dem Wege der Zwangsenteignung. Dabei sollen örtliche wirtschaftliche Verhältnisse angemessen berücksichtigt werden.

Über die Ablösungspflicht entscheidet die zuständige kantonale Behörde unter Vorbehalt des Rekurses an den Bundesrat.

Der Bundesrat wird für Ablösung entsprechende Fristen^ setzen."1 § 58 der schwyzerischen Vollziehungsverordnung vom 1. Dezember 1876 lautet: ,,Alle auf den Waldungen haftenden, besonders schädlichen Dienstbarkeiten, wie das Weide- und Beholzungsrecht, das Farrenund Streuesammeln und dergleichen, können von den Eigentümern der dienenden Grundstücke losgekauft werden."

2. Die Kistlergenossenschaft bestreitet, daß sie auf Grund desArt. 21 des Forstpolizeigesetzes gezwungen werden könne, sich von der Allgemeinen Genossenschaft Reichenburg betreffs des ihr in den Waldungen der Kistleralp eigentümlich zustehenden Weiderechtes expropriieren zu lassen.

3. Zu prüfen ist zunächst die Kompetenzfrage. Für das» Expropriationsrecht, das durch das Bundesgesetz von 1902 eingeführt wurde, ist, wie sich aus Art. 45 ergibt, das kantonaleRecht maßgebend erklärt worden mit einer einzigen Beschränkung.

Der Entscheid der zuständigen kantonalen Behörde über die Pflicht.

144 aur Abtretung oder Ablösung ist nämlich binnen 14tägiger Frist an den Bundesrat weiterzieh bar. Damit ist der Bundesrat zur Rekursbehörde über die Frage der Abtretungspflicht gemacht.

Über die Ausdehnung dieser Kompetenz ist dem Bundesgesetze selbst direkt nichts zu entnehmen. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes kann aber abgeleitet werden, daß man damit eine Garantie schaffen wollte gegenüber den Entscheiden der kantonalen Verwaltungsbehörden über die Expropriationspflicht, und zwar sowohl gegenüber demjenigen, der gezwungen wird, ein seinen Wald schädigendes Recht abzulösen, als gegenüber demjenigen, der enteignet wird.

In der Kompetenz über die Abtretungspflicht zu entscheiden ist jedenfalls inbegriffen der Entscheid über : die Notwendigkeit der Ablösung von die Waldwirtschaft schädigenden Rechten in einem bestimmten Waldgebiet; über die Frage, ob das zu enteignende Recht zu denjenigen gehört, welche das Gesetz der Enteignung unterwerfen wollten und der Entscheid über die Person desjenigen, der das Abiretungsvei'fahren als Expropriant durchzuführen hat, sowie auch ·die Bestimmung derjenigen Person, deren Berechtigungen in be.stimmtem Umfange zu enteignen sind.

Insofern von den kantonal zuständigen Behörden das kantonale Expropriationsverfahren angewendet worden ist, unterliegt dieses fedenfalls insoweit der Nachprüfung des Bundesrates, als es Normen ·enthielte, welche dem Bundesgesetz zuwiderlaufen.

Die Frage der Ablösungsnotwendigkeit des Weidganges in den Waldungen der Kistleralp ist von keiner Seite bestritten ·worden; sie ist eigentlich schon im Entscheid des Regierungsrates
Bestritten ist, daß es sich um ein der Abtretung unterliegendes Recht handelt, daß das kantonale Expropriationsrecht richtig angewendet ist, und daß die Personen des Enteigners und des zu Enteignenden richtig bestimmt sind.

Nach dem oben Gesagten ist der Bundesrat zur Entscheidung dieser Fragen kompetent.

3. Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates des Kantons Schwyz bezeichnet als zu expropriierendes Recht das der

145 iKistlergenossenschaft zustehende Weide- (Atzungs-) recht auf dem Waldgebiet der Allgemeinen Genoßsame Reichenburg. Es kann 'keinem Zweifel unterliegen, daß die im Wald bestehenden Weiderechte zu den eine gute Waldwirtschaft schädigenden Rechten gehören, welche in Art. 21 des Forstpolizeigesetzes bezeichnet sind. Schon Art. 20 des Forstpolizeigesetzes von 1876 enthielt diesen Grundsatz für die Schutzwaldungen, in dem es bestimmte, daß die üblichen Nebennutzungen, welche die Waldwirtschaft beeinträchtigen, wie n a m e n t l i c h der W e i d g a n g j e g l i c h e r V i e h g a t t u n g und das Streuesammeln auf bestimmte Fristen zu begrenzen, zeitweilig einzustellen oder ganz aufzuheben seien.

Das frühere Gesetz sprach aber in Art. 14 nur von Weid, Streu- und andern D i e n s t b a r k e i t e n , so daß sich Schwierigkeiten ergaben, wenn diese Rechte juristisch andere Grundlagen · als ein Recht an fremder Sache hatten. Das neue Gesetz suchte diese Schwierigkeiten der Durchführung dadurch zu beseitigen, daß es in Art. 21 ganz allgemein von ,,Dienstbarkeiten und Rechten auf Nebennutzungen11 spricht.

Die Botschaft des Bundesrates (Bundesbl. 1898, III, p. 551) bemerkt hierzu : ,,Im Art. 14 des jetzigen Gesetzes ist nur von Dienstbarkeiten die Rede; wir haben demselben noch beigefügt ,,oder sonstige Rechte auf Nebennutzungen1*. Es können nämlich Fälle vorkommen, wo z. B. das Recht zur Benutzung einer Weide nicht als Servitut, sondern als ein Mitrecht auf Grund und Boden behauptet und anerkannt wird, infolgedessen das Weiderecht laut
Ebenso zeigt die Diskussion im Nationalrate (vgl. das stenographische Bulletin 1899, Juni, p. 74 ff.), daß man auch die Fälle treffen wollte, in denen das Weiderecht auf einem Eigentumsrechte an Grund und Boden beruht.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Kistlergenossenschaft übt ihr Weiderecht im Wald aus gemäß eines ihr an Grund und Boden zustehenden Eigentumsrechtes. Aber trotzdem ist durch das kantonsgerichtliche Urteil (vgl. den im Tatbestand zitierten Passus) anerkannt, daß der Holzbestand im Eigentum der Allgemeinen Genossenschaft Reichenburg steht und daß die Kistlergenossenschaft (vorbehalten gewisse Nutzungsrechte) als juristische Person keinerlei Eigentumsrecht an diesem Holzbestand zu beanspruchen
hat. Wenn auch die auf historischen Verhältnissen beruhende juristische Konstruktion zu der Annahme eines Eigentumsrechtes am Grund und Boden geführt hat, so ist vom GeBundesblatt. 57. Jahrg. Bd. I.

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sichtspunkt der Forstwirtschaft das sich aus diesen Verhältnisse» ergebende Weiderecht nichts anderes, ala ein Recht auf Nebennutzungen, und diese Rechte sollen durch den Art. 21 des neuen Forstpolizeigesetzes, wenn nötig auf dem Wege der Expropriation, beseitigt werden.

Nach dem Gesagten kann es nicht zweifelhaft sein, daß dasWeiderecht der Kistlergenossenschaft zu den Rechten gehört, welche der Zwangsenteignung unterliegen.

4. Die Kistlergenossenschaft bestreitet aber die Anwendbarkeit des Art. 21 auch aus dem Grunde, weil es sich nicht um eine öffentliche, sondern um eine Privatwaldung handle. Dieser Einwand ist unerheblich, da die Waldung der Kistleralp zu den Schutzwaldungen gehört und auf Privatschutzwaldungen nach Art. 27 des Gesetzes Art. 2l Anwendung findet. Aber nach Art. 2, lit. a, des neuen Bundesgesetzes, womit § 2 der Vollziehungsverordnung des Kantons Schwyz vom 1. Dezember 1876 zu dem früheren eidgenössischen Forstpolizeigesetz übereinstimmt, ist die Waldung auf der Kistleralp als Korporationswaldung unter die öffentlichen Waldungen zu wählen.

Der Einwand ist also auch tatsächlich unbegründet.

5. Die Rekurrentin beruft sich ferner auf § 58 der Vollziehungsverordnung des Kantons Schwyz vom 1. Dezember 1876 zu dem früheren eidgenössischen Forstpolizeigesetze. Diese Berufung kann aber nicht zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führen. Es mag dahingestellt bleiben, ob dieser § 5& nicht schon durch das Vollziehungsdekret des Kantonsrates von Schwyz vom 2. Dezember 1903 zu Art. 45 des neuen eidgenössischen Forstpolizeigesetzes vom 11. Oktober 1902 beseitigt ist, da er dort nicht zitiert ist, sondern nur gesagt wird, die Enteignung erfolge nach §§ 59 bis 76 der bestehenden Vollziehungsverordnung. Jedenfalls ist dieser § 58, da er nur die Dienstbarkeiten erwähnt und nicht die sonstigen Rechte auf Nebennutzungen umfaßt, gegenüber dem neuen Bundesrecht zu eng gefaßt, und es kann sich der zu enteignende Inhaber eines Weiderechtes, das auf Eigentum an Grund und Boden beruht, nicht darauf berufen, daß die kantonale Vorschrift nur die Enteignung von Dienstbarkeitsrechten vorsehe. Denn das neue Bundesrecht umfaßt, wie oben ausgeführt, auch die Enteignung solcher auf Eigentum beruhender Weiderechte. Damit ist die Anwendung beschränkender kantonaler Satzung beseitigt.

6. Endlich ist auch gegen die vom Regierungsrate des Kantons Schwyz erfolgte Bestimmung der Personen des Expropriautea

147 und Expropriaten nichts einzuwenden. Die Allgemeine Genossenschaft Reichenburg ist nach rechtskräftigem Urteil des Kantonsgerichtes Schwyz alleinige Waldeigentümerin, die Kistlergenossenbchaft Inhaberin des Weidganges. Der Natur der Sache nach kann vom forstwirtschaftlichen Gesichtspunkte, der hier der ausschlaggebende ist, dagegen nichts eingewendet werden, wenn der Eigentümer des Waldes angehalten wird, den Inhaber des Weiderechtes zu enteignen.

Demnach wird e r k a n n t : Der Rekurs der Kistlergenossenschaft gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Schwyz vom 23. August 190-1 wird abgewiesen.

B e r n , den 17. Januar 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Suchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde der Kistlergenosssame in Reichenburg, Kanton Schwyz, wegen Verletzung des eidgenössischen Forstgesetzes, vom 11.Oktober 1902 (Ablösung einer schädlichen Waldservitut). (Vom 17. Januar 1905.)

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25.01.1905

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