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Schweizerisches Bundesblatt.

57. Jahrgang. I.

Nr. 7.

8. Februar 1905.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung in Sachen des Rekurses der Frau Schneider, Witwe des gewesenen Hengstenwärters Fritz Schneider in Uetendorf.

(Vom 7. Februar 1905.)

Tit.

Am 2. April 1901, als das eidgenössische Hengsten- und Fohlendepot von der eidgenössischen Pferderegieanstalt in Thun abgetrennt und nach Avenches verlegt wurde, erließen wir einen "Bundesratsbeschluß betreffend die Organisation und den Betrieb des eidgenössischen Hengsten- und Fohlendepots in Avenches", dessen Artikel 15 folgendermaßen lautet: ,,Das gesamte Personal ist von der Eidgenossenschaft für bleibende Schädigung (Tod oder Invalidität) infolge Unfalls versichert." Die Art und die Höhe der Versicherung wurden damals noch nicht bestimmt, weil vorerst untersucht werden mußte, ob für den Bund die Selbst Versicherung oder die Versicherung bei einer Versicherungsgesellschaft vorteilhafter sei. Die letztere Versicherungsart erwies sich als zu kostspielig, weshalb von derselben Umgang genommen wurde.

Mittlerweile war das Bundesgesetz betreffend Versicherung der Militärpersonen gegen Krankheit und Unfall erlassen und ·durch Bundesratsbeschluß vom 18. Oktober 1901 auf 1. Januar 1902 in Kraft gesetzt worden. Dieses Gesetz erstreckt sich auch auf das Personal der eidgenössischen Pferderegieanstalt und des Kavallerieremontendepots, dessen Stellung und Funktionen ganz ähnliche sind, wie die des Personals des Hengsten- und Fohlendepots. Es schien uns deshalb richtig, das Personal dieses Depots auch hinsichtlich der Versicherung gegen Unfall mit demBundesblatt. 57. Jahrg. Bd. I.

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492 jenigen der beiden erstgenannten Anstalten gleichzustellen. Wir faßten daher in Ausführung des oben zitierten Art. 15 des Bundesratsbeschlusses vom 2. April 1901 am 9. November 1901 folgenden Beschluß: ,,Für die Ausrichtung von Unfallentschädigungen gelten die Normen des Bundesgesetzes betreffend Versicherung von Militärpersonen gegen Krankheit und Unfall,, vom 28. Juni 1901, in dem Sinne, daß das Personal des Hengstenund Fohlendepots gleich behandelt wird, wie dasjenige der Pferderegieanstalt und des Kavallerieremontendepots."

Am 15. November 1901 genehmigte das Landwirtschaftsdepartement ein von der Direktion des eidgenössischen Hengstenund Fohlendepots in Avenches aufgestelltes Dienstreglement für 'das Hilfspersonal dieses Depots, in welches die Bestimmungen über die Ausrichtung von Unfallentschädigungen ebenfalls aufgenommen wurden. Art. 9 dieses Reglements bestimmt: ,,Die Angestellten sind vom Bunde für bleibende Schädigung (Tod oder Invalidität) infolge Unfalls versichert; weitere Ansprüche können nicht erhoben werden. Die Berechnung der Höhe der Entschädigung, sowie die Berechtigung überhaupt stützen sich sinngemäß auf dieVorschriften der Militärversicherung.a Das Dienstreglement wird jedem Angestellten beim Abschluß, des Dienstvertrages eingehändigt und es haben sich die Angestellten im Dienstvertrag unterschriftlich zu verpflichten, sich den Bestimmungen des genannten Reglements zu unterziehen.

Am 27. Juni 1904 erhielt der Hengstenwärter Fritz Schneider von Uetendorf, geboren 1869, auf der Deckstation Schüpfheim voneinem ihm zur Besorgung übergebenen Zuchthengste einen Hufschlag auf die Brust, wodurch eine Zerreißung der Leber verursacht wurde, so daß der Verunglückte eine halbe Stunde nach dem Unfall an innerer Verblutung starb.

Die Beerdigung fand auf Wunsch der Hinterlassenen des Verunglückten in Thierachern statt; die Kosten derselben bezahltedas Hengsten- und Fohlendepot.

Fritz Schneider war im Oktober 1890 in den Wärterdienst der eidgenössischen Pferderegieanstalt eingetreten; im Mai 1899 wurde er zum erstenmal dem eidgenössischen Hengstendepot zugeteilt und als Hengstenwärter auf die Deckstation Escholzmatt gesandt. Im Jahre 1901 siedelte Schneider mit dem Hengstendepot von Thun nach Avenches über.

Der Verunglückte hinterließ eine Witwe mit vier Kindern, von denen das älteste zur Zeit des Unfalles 9, das jüngste 3 Jahre alt war.

493 Damit die den Hinterlassenen des Verunglückten nach Maßgabe der oben erwähnten Bundesratsbeschlüsse auszurichtende Entschädigung in .analoger Weise festgesetzt werde, wie bei Unfällen des Personals der Pferderegieanstalt und des Kavallerieremontendepots, holte das Landwirtschaftsdepartement das Gutachten des Militärdepartements ein. In Übereinstimmung mit diesem .vom Oberfeldarzt abgefaßten Gutachten wurde die Höbe der an die Witwe Schneider und ihre Kinder auszurichtenden jährlichen Pension auf Fr. 975 festgesetzt und es wurde der Witwe Schneider vom Landwirtschaftsdepartement ein auf diesen Betrag lautender Pensionsschein ausgestellt. Die Pension wurde seit dem Unfälle vom Hengsten- und Fohlendepot in Avenches in regelmäßigen monatlichen Raten an die Witwe Schneider ausbezahlt.

Gegen die Festsetzung der Unfallentschädigung ergriff die Witwe des verunglückten Wärters den Rekurs an den Bundesrat, indem sie mit Eingabe vom 10. August 1904 folgende Ansuchen stellte: 1. Es sei die ihr zugesprochene Leibrente auf die Höhe des ganzen Schadensbetrages, d. h. auf Fr. 1878 zu erhöhen.

2. Eventuell, für den Fall, daß die Grundsätze des Militärversicherungsgesetzes analog zur Anwendung kommen sollten: Es sei die Höhe der Rente gemäß dem wirklichen Einkommen des Fritz Schneider auf Fr. 1170 festzusetzen.

Für diese beiden Fälle sei der Rententitel für den Fall des Todes der Frau Schneider auf den Namen der Kinder Schneider übertragbar zu erklären.

3. Es möchte der Petentin der ihrem verstorbenen Ehemann seinerzeit versprochene Beitrag von Fr. 100 an die Umzugskosteu von Uetendorf nach Avenches nachträglich ausgerichtet werden.

4. Es möchte der Petentin an die neuen Unuugskosten von Avenches, d. h. von Villars-le-Grand nach Uetendorf ein angemessener Beitrag gewährt werden.

Wir haben dem Begehren sub Ziffer 3 entsprochen und der Rekurrentin mit bezug auf Absatz 2 des zweiten Ansuchens mitgeteilt, daß im Falle ihres Ablebens die Pensionsberechtigung auf ihre Kinder übergehe. Die Übrigen Begehren wurden abgewiesen.

In dem vorliegenden, gegen diesen Entscheid des Bundesrates an die Bundesversammlung gerichteten Rekurse vom 29. Oktober 1H04 bestreitet die Witwe Schneider dem Bundesrat das Recht zum Erlaß seines Beschlusses vom 9. November 1901 und damit die Anwendbarkeit der Bestimmungen des Militärversicherungsgesetzes und stellt folgende Begehren :

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1. Die ihr zugesprochene Pension sei auf Fr. 1878 zu erhöhen.

2. Eventuell, für den Fall, daß entgegen den in der Rekurseingabe enthaltenen Ausführungen dennoch die Grundsätze des Bundesgesetzes über die Versicherung der Militärpersoaen gegen Krankheit und Unfall, vom 18. Juni 1901, als anwendbar erklärt würden: Es sei die Höhe der Rente auf Fr. 1462. 50 festzusetzen.

Bevor wir auf diese Begehren selbst eingehen, erscheint es uns wichtig, eine andere Frage aufzuwerfen und zu prüfen, nämlich die, ob die Bundesversammlung zum Entscheid über den Rekurs der Witwe Schneider kompetent sei.

In dieser Hinsicht machen wir in erster Linie darauf aufmerksam, daß in dem Rekurs auch nicht einmal der Versuch gemacht wurde, die Zuständigkeit der Bundesversammlung zu begründen.

Sie wird vielmehr stillschweigend vorausgesetzt.

Theorie und Praxis des schweizerischen Bundesstaatsrechtes sind darüber einig, daß die Bundesversammlung nach der Bundesverfassung von 1874 nur noch bei Beschwerden gegen Entscheide des Bundesrates in Administrativstreitigkeiten als Rekursinstanz in Tätigkeit tritt. Unter diesen Administrativstreitigkeiten sind nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege nur solche zu verstehen, die sich auf Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Bürger und auf Verletzungen von Staatsverträgen beziehen. Und zwar ist das Beschwerderecht an die Bundesversammlung nur dann gegeben, wenn der Bundesrat als erste Rekursinstanz gegenüber von Verfügungen kantonaler Behörden gesprochen hat (vergleiche Blumer und Morel, Bundesstaatsrecht, III, S. 66; Schollenberger, Kommentar zur Bundesverfassung, S. 516). Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um einen Entscheid einer kantonalen Behörde, der auf Grund von Art. 102, Ziffer 2, und 113, Alinea 2, der Bundesverfassung und Art. 178, 189 und 190 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege an den Bundesrat als Rekursinstanz weitergezogen worden wäre. Vielmehr haben wir es mit einer eigentlichen verwaltungsrechtlichen Verfügung des Bundesrates zu tun, die dieser gemäß Art. 95 und 102 der Bundesverfassung erlassen hat, und die daher nicht auf dem Rekursweg an die Bundesversammlung weitergezogen werden kann. Bezüglich solcher Verfügungen steht der Bundesversammlung nur das Recht der parlamentarischen Kontrolle zu, keinesfalls
aber das Recht des Eingriffs in spezielle Fälle oder der Aufhebung getroffener Entscheide des Bundesrates (vergleiche Blumer und Morel, a. a. 0. ; Schollenberger, a.a.O., S. 514/515).

Endlich ist noch darauf zu verweisen, daß die Kompetenz der Bundesversammlung zum Entscheid über den Rekurs Schneider

495 auch dann zu verneinen ist, wenn man den nach dem Vorstehenden unhaltbaren Standpunkt einnehmen wollte, der angefochtene Entscheid des Bundesrates sei auf Grund des Militärversicherungsgesetzes ergangen. Denn nach Art. 39, letztes Alinea dieses Gesetzes ist jede Weiterziehung der Entscheide des Bundesrates ausgeschlossen.

Was nun die Frage nach der Kompetenz des Bundesrates zum Erlaß des Beschlusses vom 9. November 1901 betrifft, so ist darüber folgendes zu sagen : Die Rekurrentin hat in ihrer Beschwerde nur die Kompetenz des Bundesrates zum Erlaß des Beschlusses vom 9. November 1901 bestritten, dagegen als selbstverständlich angenommen, daß der Bundesrat zur Fassung des Beschlusses vom 2. April 1901 zuständig gewesen sei. Der Ingreß des Beschlusses vom 9. November 1901 zeigt nun aber deutlich, daß dieser Beschluß in Ausführung von Art. 15 desjenigen vom 2. April 1901 gefaßt wurde.

Die Rechtsbeständigkeit des späteren Beschlusses ist also abhängig von derjenigen des früheren, weshalb in erster Linie untersucht werden muß, ob der Bundesrat kompetent war, die Organisation und den Betrieb des Hengsten- und Fohlendepots in Avenches durch einen blossen ßundesratsbeschluß zu regeln.

Diese Frage ist zu bejahen. Die Kompetenz des Bundesrates hierzu beruht auf Art. 95 in Verbindung mit Art. 102, Ziffer 5, der Bundesverfassung. Lehre und Handhabung des schweizerischen Bundesstaatsrechtes stimmen darin überein., daß sie annehmen, dem Bundesrat stehe auf Grund dieser Artikel das in denselben allerdings nicht ausdrücklich erwähnte Verordnungsrecht zu, also namentlich das Recht zum Erlaß von Verwaltungsverordnungen.

Der Bundesrat ist das ordentliche Organ der Bundesverwaltung, weshalb ihm alle Geschälte der Bundesverwaltung zukommen, soweit nicht die Bundesversammlung oder eine andere Behörde damit betraut ist. In den Bundesgesetzen und Bundesbeschlüssen wird dem Bundesrat dieses Verordnungsrecht vom Gesetzgeber meistens ausdrücklich, oft auch stillschweigend delegiert, letzteres insbesondere bei Bundesgesetzen und Bundesbeschlüssen, die das eigentliche Verwaltungsgebiet berühren (vergleiche Blumer und Morel, a.a.O., 8.89; Schollenberger, a.a.O., S 548).

Mit Bundesbeschluß vom 1. Juli 1898 wurde nun die Errichtung eines eidgenössischen Hengsten- und Fohlendepots in Avenches angeordnet und zugleich verfügt,
daß diese Anstalt in bezug auf die Verwaltung dem schweizerischen Landwirtschaftsdepartement unterstellt sein solle. In Art. 4 dieses Beschlusses wurde der Bundesrat mit dessen Vollziehung beauftragt, d. h. es wurde ihm das

496 Verordnungsrecht in bezug auf das zur Ausführung des Bundesbeschlusses Nötige delegiert. Aus der Erwähnung der Verwaltung des Depots in Art. l des Bundesbeschlusses ist vor allem auch die Verleihung des Verordnungsrechtes in dieser Richtung an den Bundesrat zu entnehmen. Von diesem Verordnungsrecht hat er in erster Linie durch Erlaß des Bundesratsbeschlusses vom 2. April 1901 Gehrauch gemacht. Ein zweiter Ausfluß dieses Verordnungsrechtes ist aber die in Ausführung eines Artikels, des eben erwähnten Bundesratsbeschlusses ergangene Schlußnahme vom 9. November 1901. Grundsätzlich steht also die Kompetenz des Bundesrates zum Erlasse beider Beschlüsse außer allem Zweifel.

Eine andere Frage ist aber die, ob der Bundesrat berechtigt war, in seinen Beschluß vom 2. April 1901 den Art. 15 aufzunehmen, lautend : ,,Das gesamte Personal ist von der Eidgenossenschaft für bleibende Schädigung (Tod oder Invalidität) infolge Unfalls versichert.11 Die Gründe, die den Bundesrat zur Aufstellung dieser Bestimmung veranlaßten, sind einleuchtend. Das Personal des Hengstenund Fohlendepots und namentlich die zur Wartung der Tiere Angestellten sind gewissen, in der Natur der Sache liegenden Gefahren ausgesetzt, gegen die ein besonderer Schutz wohl erforderlich und gerechtfertigt ist. Dieser Gedanke hat seinen Ausdruck in jenem Art. 15 gefunden.

Ihrer Natur nach stellt sich die Bestimmung des Art. 15 dar als eine organisatorische Maßnahme, die vor allem die Bedeutung einer Regelung der Anstellungsbedingungen hat. Sie steht also den Vorschriften über Besoldung und Löhnung des Personals der Anstalt in Avenches gleich. Der Bund übernimmt auf Grund dieses Artikels dem Personal des Hengsten- und Fohlendepots gegenüber, wenn es durch Unfall dauernd geschädigt wird, gewisse Verpflichtungen beim Abschluß des Anstellungsvertrages.

Zum Erlaß solcher Bestimmungen ist der Bundesrat wiederum auf Grund seines Verordnungsrechtes befugt, kraft dessen ihm im Rahmen der durch die Bundesgesetzgehung aufgestellten Schranken die Regelung der Bedingungen zusteht, unter denen er eine Person in seine Dienste nimmt. Daran ändert es nichts, daß im vorliegenden Fall der Verunglückte vom Direktor des Hengsten- und Fohlendepots engagiert wurde, denn dem Direktor der Anstalt ist die Befugnis zur Abschließung von Anstellungsverträgen vom Bundesrat delegiert.

Was von Art. 15 des Bundesratsbeschlusses vom 2. April 1901 eben gesagt wurde, gilt nun auch für den in Ausführung

497 dieses Artikels erlassenen Bundesratsbeschluß vom 9. November 1901, da derselbe nichts anderes enthält, als die nähere Umschreibung der durch jenen Art. 15 im Prinzip festgelegten Entschädigungsverpflichtimg. In die Zeit zwischen dem Erlaß der beiden Bundesratsbeschlüsse fiel die Promulgation des Militärversicherungsgesetzes vom 28. Juni 1901. In diesem waren die Grundsätze aufgestellt worden, die für die Entschädigungsausrichtung bei Unfällen des Personals der Pferderegieanstalt und des Kavallerieremontendepots gelten sollen, also bei Anstalten mit ähnlichem Gefahrenkreis, wie er für das Personal des Hengsten- und Fohlendepots besteht. Statt nun bezüglich der Ausrichtung von Entschädigungen an das Personal des Hengsten- und Fohlendepots nochmals besondere Bestimmungen als Grundlagen des Anstelluogsvertrages aufzustellen, erklärte der Bundesrat durch seinen Beschluß vom 9. November 1901 lediglich, es sollen für die Berechnung der Unfallentschädigungen bei dauernder Invalidität oder beim Tod eines verunglückten Beamten oder Angestellten des Hengsten- und Fohlendepots die gleichen Grundsätze zur Anwendung kommen, die durch das Mililärversicherungsgesetz für die Ausmittlung der Höhe der Entschädigungen an das Personal der beiden andern Anstalten festgelegt worden waren.

Hierbei handelt es sich keineswegs um eine Ausdehnung des Mititärversicherungsgesetzes auf die Anstalt in Avenches. Es steht beispielsweise dem Angestellten des Hengsten- und Fohlendepots ein Entschädigungsanspruch auf Grund der beiden Bundesratsbeschlüsse nur zu, wenn die Schädigung dauernd und durch einen Unfall verursacht worden ist, während auf Grund des Militärversicherungsgesetzes ein Versicherungsanapruch auch bei dauernder Schädigung infolge von Krankheit entsteht. Bei vorübergehender Krankheit eines Angestellten der Anstalt in Avenches kommt Art. 16 des Bundesratsbeschlusses vom 2. April 1901 zur Anwendung, bei Erkrankung einer dem Militärversicherungsgesetz unterworfenen Person dagegen der Abschnitt B, I des genannten Gesetzes und die übrigen auf Erkrankung bezüglichen Bestimmungen desselben. Auch die im Militärversicherungsgesetz aufgestellten Bestimmungen über das Verfahren bei Erledigung der Versicherungsansprdche können trotz des Bundesratsbesehlusses vom 9. November 1901 für die Bestimmung und Zusprechung von
Entschädigungen an das Personal des Hengsten- und Fohlendepots nicht maßgebend sein. So hat sich z. B. die in Art. 39 des Militärversicherungsgesetzes eingeführte Pensionskommission nicht mit der Festsetzung der Unfallentschädiguogen für Angestellte des Hengsten- und Fohlendepots zu befassen. Vielmehr setzt der Bundesrat in Zweifelsfällen die Ansprüche der Geschädigten als erst- und letztinstamliche

498 Verwaltungsbehörde fest. Dabei muß noch hervorgehoben werden^ daß es sich bei einem solchen Entscheid des Bundesrates nichtum einen verwaltungsrechtlichen ,,Entscheid" im technischen Sinnedes Wortes handelt; der Bundesrat stellt dadurch unseres Erachtens dem Geschädigten bloß eine Offerte hinsichtlich der Höhe desSchadenersatzes. Nimmt der Geschädigte diese Offerte nicht an,, sei es, daß er mit der Berechnung nicht einverstanden ist, sei es aus einem andern Grunde, so steht es ihm immer noch frei, seinen vermeintlichen Ersatzanspruch, allerdings nicht auf den* Weg der Beschwerde an die Bundesversammlung, sondern auf demWeg der Zivilklage gegenüber dem Bund geltend zu machen.

Für den uns hier beschäftigenden speziellen Fall ergeben* sich aus den vorstehenden prinzipiellen Erwägungen folgendeSchlüsse: 1. Die Bundesversammlung ist zur Beschlußfassung über die Beschwerde der Witwe Schneider gegen den Entscheid des Bundesrates vom 3. September 1904 nicht zuständig; 2. Der Bundesrat handelte bei Fassung der Beschlüsse vom 2. April und 9. November 1901 innerhalb der Grenzen seiner Kompetenz ; 3. Der Bundesvatsbesehluß vom 9. November 1901 bezweckteweder die Ausdehnung des Militärversicherungsgesetzes auf dasHengsten- und Fohlendepot in Avenches, noch hat er sie zur Folge.

So viel über die grundsätzliche Seite der Frage. Im vorliegenden Falle darf bei der Beurteilung der von der Witwe Schneider erhobenen Ansprüche nicht außer acht gelassen werden, daß ihr verstorbener Ehemann in seinem am 31. November 1901 mit der Direktion des Hengsten- und Fohlendepots abgeschlossenen Dienstvertrag ausdrucklich erklärt hat, sich den Bestimmungen des Dienstreglements unterziehen zu wollen. Er hat damit auch den Art. & dieses Reglements, der bestimmt, daß die Entschädigung bei Unfällen nach den Grundsätzen des Militärversicherungsgesetzes berechnet werden soll, anerkannt und sich demselben ohne irgend welchen Vorbehalt unterzogen.

Die Anwendung der Grundsätze des Bundesgesetzes betreffend Versicherung der Militärpersonen gegen Krankheit und Unfall, vom 28. Juni 1901, bei der Festsetzung der Entschädigung an die Hinterlassenen des verunglückten Wärters Schneider wird demnach mit Unrecht angefochten.

Was nun den Einwand der Rekurrentin anbetrifft, bei der Festsetzung der Höhe der Pension seien die Bestimmungen des Militärversicherungsgesetzes nicht richtig angewendet worden, so ist hierüber folgendes zu bemerken :

499 Fritz Schneider bezog gemäß Dienstvertrag während der ganzen Dauer des Jahres einen Taglohn von Fr. 4.80. Nach Art. 13 des Bundesratsbeschlnsses betreffend die Organisation und den Betrieb des eidgenössischen Hengsten- und Fohlendepots erhalten die den Deckstationen zugeteilten Wärter während der Dauer der Verwendung außerhalb der Anstalt eine Tageszulage bis auf Fr. 3,.

die der Direktor je nach den Verhältnissen und Leistungen festsetzt. Schneider bezog auf Grund dieser Bestimmung während der Dauer seines Aufenthaltes auf der Deckstation Schüpfheim eine tägliche Zulage von Fr. 1.

Diese Zulage ist jedoch nicht eine Lohnerhöhung als Entgelt für vermehrte Arbeit, sondern sie bildet, gleich wie Reisetaggelder und Nachtlagervergütungen, einen Ersatz der den Wärtern durch ihre Verwendung außerhalb der Anstalt erwachsenden höhern Auslagen für ihren Unterhalt. Die Arbeitsleistung der Wärter ist in der Regel auf den Deckstationen nicht größer als im Depot,, meist eher geringer. Es wäre deshalb nicht gerechtfertigt, den Wärtern während ihrer Verwendung auf einer Deckstation einen höhern Lohn zu verabfolgen als während ihrem Aufenthalt im Depot. Dagegen ist eine Vergütung der erhöhten Verpflegungskosten arn Platze. Besonders für die verheirateten Wärter bedeutet die Versetzung auf eine Deckstation eine Vermehrung der Unterhaltskosten, da sie während der Dauer dieser Versetzung von ihren in Avenches bleibenden Familien getrennt sind und nicht mit ihnen gemeinsamen Haushalt führen können. Aber auch die ledigen Wärter können sich in Avenches billiger verpflegen al» auf den Deckstationen, da im Depot alle ledigen Angestellten gemeinsam Ordinäre machen.

Wenn demnach die Zulage auf der Deckstation nicht als ein Bestandteil des Arbeitslohnes anzusehen ist, so darf sie auch bei der Festsetzung der Unfallentschädigung nicht in Betracht gezogen werden. Durch ihre Berücksichtigung bei der Berechnung dieser Entschädigung würde man eine ungleiche Behandlung der Angestellten des Depots herbeiführen, da die Wärter, welche während der Deckperiode in Avenches bleiben, keine Zulage erhalten, somit bei Unfällen ungünstiger gestellt würden als die den Deckstationen zugeteilten Wärter.

Es mag hier noch erwähnt werden, daß die Direktion des Hengsten- und Fohlendepots in der Zuteilung der Wärter vollständig freie Hand
hat. Sie kann nach Belieben einen Wärter das eine Jahr auf eine Deckstation senden, ihn aber das nächste Jahr auch während der Deckzeit in Avenches behalten. Es kann

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demnach kein Wärter zum voraus mit Bestimmtheit auf eine Zulage rechnen oder gar einen Anspruch auf eine solche geltend machen.

Die Behauptung der Rekurrentin, die von ihrem Ehemann von der Kundsame der Deckstation erhaltenen Trinkgelder hätten zu seinem persönlichen Unterhalt vollständig ausgereicht und seien sogar zum Teil noch ihr abgeliefert worden, kann nicht ernst genommen werden. Art. 5 des Dienstreglements verbietet den Angestellten und dem Hülfspersonal des Hengsten- und Fohlendepots die Annahme von Geschenken und Trinkgeldern. Wenn der Wärter Schneider trotzdem Trinkgelder angenommen hat, so hat er dadurch gegen das Reglement gehandelt und es ist diese Widerhandlung jedenfalls kein Grund für die Ausrichtung einer höhern Unfallentschädigung.

Die Ausführungen der Rekurrentin über die Berechnungsart des Tagesverdienstes sind durchaus unzutreffend. Beim Falle Schneider kommt die Berechnungsart nach Art. 24, zweiter Absatz des Gesetzes betreffend Versicherung von Militärpersonen gegen Krankheit und Unfall gar nicht in Frage, da Schneider weder einen Jahres- noch einen Monatsgehalt bezog, sondern einfach diejenige nach Art. 23l Es kann auch nicht von einer ungleichen Behandlung und Schlechterstellung der finanziell Schwächern gesprochen werden, denn es wird ja die Pension auf Grundlage der obersten Grenze der betreffenden Klasse, d. h. von Fr. 5 ausgerichtet, während der Verstorbene gemäß Dienstvertrag einen Tagesverdienst von Fr. 4. 80 bezog. Dazu kommt noch der Umstand, daß bei Versicherten mit über Fr. 7. 50 Tagesverdienst der diesen Betrag übersteigende Verdienst gar nicht versicherungsfähig ist. Es ist also direkt das Gegenteil von dem wahr, was die Rekursschrift behauptet; nicht die höheren Beamten, sondern die finanziell Schwächern werden vom Gesetz begünstigt.

Der Rekurs der Witwe Schneider ist demnach auch materiell unbegründet.

Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen beantragen wir Ihnen : 1. Es sei auf den Rekurs der Witwe Schneider wegen Inkompetenz nicht einzutreten ; 2. Eventuell, wenn Eintreten beschlossen werden sollte: es sei dieser Rekurs als unbegründet abzuweisen.

501 Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 7.Februar 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung in Sachen des Rekurses der Frau Schneider, Witwe des gewesenen Hengstenwärters Fritz Schneider in Uetendorf. (Vom 7.

Februar 1905.)

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08.02.1905

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491-501

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