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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die provisorische Regelung der Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Spanien.

(Vom 25. September 1905.)

Tit.

Wie in unserem Geschäftsbericht über das Jahr 1904 (Bundesblatt 1905, II, 659) erwähnt wird, haben wir am 31. August des genannten Jahres die Handelsübereinkunft zwischen der Schweiz und Spanien vom 13. Juli 1892 gekündet.

In der Kündigungsnote gaben wir dem Wunsche Ausdruck, mit der spanischen Regierung über ein neues Abkommen zu unterhandeln, durch das den gegenseitigen Interessen der beiden Länder gleichmäßig Rechnung getragen würde.

Die spanische Regierung bestätigte uns am 24. September den Empfang dieser Note mit dem Beifügen, daß sie den nämlichen Wunsch hege, daß aber der spanische Zolltarif einer Revision unterliege, weshalb die Unterhandlungen über eine neue Übereinkunft noch einige Zeit zurückgestellt werden müssen. Sie machte daher den Vorschlag, einen provisorischen M o d u s v i v e n d i zu vereinbaren, wonach sich die beiden Länder nach Ablauf der Übereinkunft gegenseitig auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation behandeln würden.

Wir waren nicht in der Lage, auf diesen Vorschlag einzutreten, vielmehr beharrten wir in unserer Note vom 1. November darauf, daß die Unterhandlungen für eine definitive Übereinkunft

211 sobald als möglich eröffnet würden, damit diese rechtzeitig abgeschlossen und ratifiziert werden könne, um am 1. September 1905 an die Stelle derjenigen von 1892 zu treten.

Die Antwort aus Madrid erfolgte erst am 10. April des laufenden Jahres ; der spanische Gesandte teilte uns an diesem Tage mit, daß es seiner Regierung aus Gründen innerpolitischer Natur dermalen nicht möglich sei, mit uns in Unterhandlungen zum Abschluß einer neuen Übereinkunft einzutreten, daß sie jedoch geneigt wäre, zu einem M o d u s v i v e n d i , bestehend in einer Ver längerang des Status quo, Hand zu bieten.

Am 14. April erklärten wir der spanischen Regierung neuerdings, daß wir nicht im Fall seien, auf ihre Absichten einzugehen, d. h. einer bloßen Verlängerung der Übereinkunft von 1892 zuzustimmen; daß wir jedoch den Umständen, die sie an der Eröffnung von Unterhandlungen hinderten, Rechnung tragen und daher bereit seien, auf einer anderen, von uns genau bezeichneten und motivierten Grundlage einen M o d u s v i v e n d i für die Dauer eines Jahres abzuschließen. Wir fügten bei, daß sie uns übrigens immer geneigt finden werde, eine definitive, den Interessen der beiden Länder entsprechende Übereinkunft abzuschließen, sobald die Verhältnisse ihr dies erlauben würden.

Diese Mitteilung gab zu einem Schriftenwechsel Anlaß, der auf spanischer Seite, hauptsächlich der Ministerkrisen wegen, einige Verzögerung erlitt, und der bis Ende Juli zu keinem Resultat führte.

Durch eine in Madrid am 2. August abgegangene Note, die am 7. gleichen Monats hier eintraf, brachte uns der in Bern akkreditierte spanische Gesandte, Herr de la Rica y Calvo, endlich zur Kenntnis, daß seine Regierung, um die Handelsbeziehungen mit den übrigen Ländern, deren Verträge mit Spanien auf der schweizerisch-spanischen Übereinkunft von 1892 beruhen, aufrecht zu erhalten, und ferner, weil sie ihre Absieht, diese Übereinkunft zu verlängern, aufgegeben habe, beim Parlament um die Ermächtigung eingekommen sei, sich mit jenen Ländern provisorisch bis zum 1. März 1906 über die Meistbegünstigungsbehandlung zu verständigen, worin die im Tarif B zu unserer Übereinkunft von 1892 gemachten Zugeständnisse Inbegriffen wären.

Diese Ermächtigung sei ihr von den Cortes durch Dekret vom 4. Juli erteilt worden. Der Gesandte fügte bei, seine Regierung habe die von
uns in der Note vom 14. April 1905 gestellten Bedingungen nicht annehmen können ; dessen ungeachtet wünsche sie ohne Verzug zu einer Verständigung zu gelangen, um jede auch nur zeitweilige Unterbrechung der Handelsbeziehungen zwischen den

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beiden Ländern zu vermeiden, und er sei daher beauftragt, uns auf Grund des erwähnten Dekretes neue Vorschläge zu unterbreiten.

Diese Vorschläge wurden einer von unserem Handelsdepartement einberufenen Konferenz vorgelegt, an der einerseits Vertreter der am Export oach Spanien hauptsächlich beteiligten Industrien (Stickerei, Seide, Maschinen, Taschenuhren, Käse, kondensierte Milch, Teerfarben, emaillierte Eisenwaren, Baumwollindustrie) und anderseits Delegierte des schweizerischen Weinhändlerverbaades, des schweizerischen Bauernverbandes, des Weinbaues und des Verbandes schweizerischer Grossisten der Kolonialwarenbranche zugegen waren.

Gestützt auf den in dieser Konferenz erfolgten Meinungsaustausch beschlossen wir am 18. August, unsere ursprünglichen Vorschläge vom 14. April in einem Punkt abzuändern, und wir gaben dem spanischen Gesandten am nämlichen Tage von diesem Beschlüsse, den wir als definitiv und unwiderruflich bezeichneten, Kenntnis.

Unsere neuen Propositionen bildeten alsdann den Gegenstand von Besprechungen mit Herrn Minister de la Rica. Am 29. August ließ die spanische Regierung uns erklären, daß sie dieselben in der Form, in der sie aus diesen Besprechungen hervorgegangen waren, d. h. mit einigen Abänderungen bloß formeller Natur, annehme. Damit war die Verständigung tatsächlich erzielt, und sie wurde auf Wunsch des Kabinetts in Madrid durch einen einfachen Notenaustausch abgeschlossen, der am nämlichen Tage, am 29. August, stattfand. Die Verständigung hat folgenden Wortlaut: I.

Die S c h w e i z verpflichtet sich, den Erzeugnissen Spaniens während der Dauer dieses provisorischeu Abkommens die Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation zu gewähren.

Diese Erzeugnisse werden daher bis am 31. Dezember dieses Jahres zu den Ansätzen des gegenwärtig noch geltenden Gebrauchstarifes und vom i. Januar 1906 an zu den Ansätzen des neuen Gebrauchs tarifes, der an diesem Tage in Kraft tritt, zugelassen.

Die spanischen Weine Malaga und Xeres werden gleich behandelt wie die italienischen Weinspezialitäten Marsala, Malvasia, Moscato und Vernaccia *).

*) Diese Weine unterliegen also der Monopolgebnhr und dem .Zollzuschlage nur dann, wenn sie mehr als 18 Volumgrade Alkohol enthalten.

213 II.

1. S p a n i e n verpflichtet sich seinerseits, auf schweizerische Erzeugnisse die niedrigsten Zölle anzuwenden, die den Produkten der meistbegünstigten Nation gewährt werden, unter Aufrechterhaltung der Vorteile, die im Tarif B der Handelsübereinkunft vom 13. Juli 1892 und in den Schlußprotokoll-Bestimmunger.1 dieser Konvention zum genannten Tarif B vorgesehen sind.

2. Es ist vereinbart, daß die Zölle entsprechend der gegenwärtigen Praxis in der gesetzlichen spanischen Landeswährung entrichtet werden können, und zwar für alle Waren, die in dem Gesetz vom 22. Februar 1902 nicht enthalten sind*).

3. Es ist ferner vereinbart : a. daß der in der Nr. 58bi« des Tarifes B zur Übereinkunft von 1892 festgesetzte Vertragszoll von 20 Pesetas per 100 kg. auf alle Haushaltungsgegenstände aus emailliertem Schmiedeisen und Stahl Anwendung finden soll, mit Ausnahme der Artikel gleicher Fakrikation, wie Bureaumaterial und Instrumente für Wissenschaften und Künste, die in andere Positionen des Tarifes fallen ; b. daß der unter Nr. 271 des Tarifes B vorgesehene Vertragszoll von Pesetas 18. 50 per 100 kg. auf alle Kabel für öffentliche elektrische Leitungen, ohne Rücksicht auf deren Durchmesser, anzuwenden ist. In Zweifelsfällen kann der Nachweis verlangt werden, daß die Kabel wirklich für öffentliche Leitungen bestimmt sind ; c. daß der in Nr. 334 des Tarifes B vorgesehene, vertragsmäßige Ansatz von 20 Pesetas per 100 kg. für Kindermehl mit Zuckerzusatz Geltung haben soll ;· d. daß die vertragsmäßigen Zölle für Stickereien auch auf die sogenannten Luftstickereien (broderies aériennes), je nach ihrer Art, Anwendung finden sollen.

III.

Dieses Abkommen tritt am 1. S e p t e m b e r 1905 in Kraft und dauert bis zum 1. M ä r z 1906. Es kann in gemeinsamem Einverständnis über diesen Zeitpunkt hinaus verlängert werden.

*) Nach diesem Gesetz sind in Gold zu entrichten: a. alle Ausfuhrzölle (Kork, Lumpen, Bleiglanz, silberhaltiges Blei und Bleiglätte) ; b. die Einfuhrzölle für Kohlen, Mineralöle, Stockfisch, Getreide, Mehl, Kakao, Kaffee, Gewürze, Tee, Fuhrwerke und Wasserfahrzeuge, Wein.

Die Zahlung dieser Zölle muß effektiv in Gold erfolgen, wobei aber die 'tarifmäßigen Ansätze um den Betrag der Wechselkursdifferenz herabgesetzt werden.

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Wir glauben hier nicht auf die Einzelheiten dieser Verständigung eintreten, noch unsere ursprünglichen Proposiüonen vom 14. April und die Gegenvorschläge reproduzieren zu sollen, die uns die spanische Regierung am 2. August zukommen ließ.

Der Chef unseres Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartements wird den Zollkommissionen der beiden Räte alle in dieser Hinsicht gewünschten Aufschlüsse erteilen.

Im Moment des Abschlusses der Verständigung haben wir die Frage geprüft, ob die Ratifikation durch die Bundesversammlung vorbehalten werden müsse, und sind zum Schluß gelangt, daß diese Frage zu verneinen sei.

Diese durchaus provisorische, für eine kurze Dauer abgeschlossene Verständigung beruht einfach auf der gegenseitigen Behandlung als meistbegünstigte Nation. Die Schweiz verpflichtet sich, den Erzeugnissen Spaniens bis zum 31. Dezember 1905 die Ansätze des gegenwärtig noch geltenden Gebrauchstarifes und nachher bis zum 1. März 1906 diejenigen des neuen, am 1. Januar nächsthin in Kraft tretenden Gebrauchstarifes einzuräumen ; Spanien übernimmt seinerseits die Verpflichtung, während der ganzen Dauer des Abkommens auf die schweizerischen Erzeugnisse die niedrigsten Zölle anzuwenden, mit Inbegriff der im Tarif B zur schweizerisch-spanischen Übereinkunft vom Jahre 1892 festgesetzten Vorteile.

Provisorische Abkommen dieser Art, die keine Änderung des auf die schweizerischen Waren bei ihrem Eintritt in das Gebiet der betreffenden Staaten anwendbaren Zollregimes zur Folge haben, sind in der Tat vom Bundesrate stets abgeschlossen worden, ohne daß er vorher die Ermächtigung der Bundesversammlung eingeholt und sie ihr nachher zur Ratifikation unterbreitet hätte.

Wir erwähnen beispielsweise den provisorischen Handelsvertrag mit Serbien, abgeschlossen am 7. August 1879 (A. S. n. F. IV, 448), das Übereinkommen mit Belgien, vom 9. Januar 1880 (A.

S. n. F. IV, 447), den Notenaustausch mit der Türkei, vom 22. März 1890 (Geschäftsbericht des Departements des Auswärtigen, Handelsabteilung, für das Jahr 1890, Bundesbl. 1891, I, 800), den Notenaustausch mit Bulgarien, vom 28. Februar 1897 (Geschäftsbericht des Handesdepartements für das Jahr 1897, Bundesbl. 1897,, I, 831).

215 Wir ersuchen Sie, von dem vorliegenden Bericht Akt nehmen zu wollen, und benützen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 25. September 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der Bundespräsident:

Ruchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die provisorische Regelung der Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Spanien. (Vom 25.

September 1905.)

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