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Bundesratsbeschluss über

die Niederlassung der Soeurs de la charité aus Besançon (Pensionat Monnot) in Vallorbe.

(Vom 5. Juni 1905.)

Der schweizerische Bundesrat hat in der Angelegenheit der Niederlassung der Soeurs de la charité aus Besançon (Pensionat Monnot) in Vallorbe, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: I.

Am 6. Oktober 1903 machte das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Waadt dem schweizerischen Justiz- und Polizeidepartement Mitteilung, daß ein gewisser Camille Monnot in Vezenay (Département du Doubs) das Gebäude des Grand Hotel in Vallorbe gemietet habe, um dort ein katholisches Pensionat für junge Mädchen unter Leitung seiner Schwester, Frl. Marguerite Monnot, unterzubringen. Diese und die übrigen Erzieherinnen seien nach einer mündlichen Erklärung des C. Monnot von ihren Gelübden entbunden.

Der-Brief des C. Monnot an den Regierungsstatthalter von Orbe lautet: ,,J'ai l'honneur de vous annoncer que j'ai loué le Grand Hôtel de Vallorbe pour y installer un pensionnat catholique de jeunes filles françaises de l'âge de sept à vingt ans, sous la direction de Mlle Marguerite Monnot.

396 L'enseignement sera conforme aux lois et règlements du Canton et sous la surveillance de la commission des écoles. Je serai reconnaissant à cette commission de bien vouloir visiter les classes et contrôler les cours qui y seront donnés aussi souvent qu'elle le jugera à propos.

Ma soeur s'adjoindra des institutrices qualifiées, toutes seront laïques. Mon établissement n'aura aucun rapport avec les institutions étrangères. L'ouverture aura lieu le quinze courant."

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement verlangte zunächst Auskunft darüber, welcher Kongregation das Lehrpersonal der Anstalt angehöre oder angehört habe. Aus einem Bericht des Regierungsstatthalters von Orbe vom 9. Dezember 1903 ergibt sich, daß Frl. Marg. Monnot sowohl als die sieben von ihr angestellten Lehrerinnen zur Kongregation der S o e u r s de la c h a r i t é de B e s a n ç o n gehört haben. Das Institut, das unter der Leitung der Soeur Marie Anna stand, ist infolge der französischen Vereinsgesetzgebung geschlossen worden. Die Schwestern seien aber alle aus der Kongregation ausgetreten mit Bewilligung ihrer Oberin und des Erzbischofs von Besançon. Sie legten auf an sie gestelltes Verlangen Säkularisationsbriefe vor. Die der Frl. Monnot ausgestellte Urkunde, datiert vom I.September 1903, lautet: ,,Nous Archevêque de Besançon, Vu les Prescriptions du Concile de Trente et les Constitutions Apostoliques, notamment de la Constitution Apostolique de S. S.

Léon XIII, en date du 6 des Ides de décembre 1900; Vu les instructions de la Sacrée Congrégation des Evêques et Réguliers; Vu la demande par laquelle Mademoiselle Marguerite M o n n o t , Soeur Lia, Religieuse de la Chanté de Besançon d'une part sollicite sa sécularisation et, d'autre part, déclare renoncer pour l'avenir à tous ses droits éventuels à une part quelconque du patrimoine de la Congrégation à laquelle elle a appartenu; Vu l'assentiment de la Supérieure Générale de la dite Congrégation des Soeurs de la Charité de Besancon à ce autorisée par son Conseil; Vu les Constitutions de la Congrégation diocésaine des Soeurs de la Charité de Besançon ; Attendu que la loi du lor juillet 1901 dans l'application qui en a été. faite, en fermant un nombre considérable des Etablissements de la Congrégation des Soeurs de la Charité de Besançon rend précaire l'existence convenable de tous ses membres;

397 Attendu, en outre, que la Maison - Mère dans laquelle on oblige la Supérieure Générale a recueillir les Religieuses expulsées est absolument insuffisante pour recevoir toutes les Religieuses chassées de leurs établissements particuliers; Considérant qu'il y a dans une telle situation un cas de force majeure de laquelle résulte la nécessité de rendre à celles des Religieuses qui la sollicitent leur liberté en les relevant de leurs obligations conventuelles afin qu'elles puissent aviser à gagner leur vie dans le monde, Avons ordonné et Ordonnons: Sur la demande de ma Soeur Lia, Mademoiselle Marguerite Monnot. et de concert avec la Supérieure Générale de sa Congrégation, Nous relevons la dite Soeur Lia Monnot de toutes ses obligations religieuses, lui accordons dispense définitive des Voeux par elle contractés et la déclarons de fait et de droit entièrement sécularisée par les présentes, par conséquent, libre désormais de tous engagements antérieurs vis-à-vis de la dite Congrégation des Soeurs de la Charité de Besançon.

Donné à Besançon, sous notre Seing, le Sceau de nos armes et le contre-seing de notre Chancelier le 1er septembre 1903.

Pour Mgr. l'Archevêque empêché: Le Vicaire Général délégué, 0 (sig.) P. de Beauséjour, V«. G1.

Par le Chancelier de l'Archevêché, (sig.) Louis de Jalleranges, Chanoine Chancelier."

Die übrigen 13 Urkunden, alle aus dem Monat September 1903, sind sämtlich nach der gleichen Formel ausgestellt.

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement verfügte am 21. Januar 1904 Ergänzung der Untersuchung durch Anwendung des Fragenschemas vom 28. November 1901.

In dem von den sämtlichen früheren Kongregationsangehörigen unterzeichneten Einvernahmeprotokoll bestätigten die Abgehörten, daß sie der Kongregation der Soeurs de la charité mit Mutterhaus in Besançon angehört haben. Sie seien in der von diesem Hause abhängigen Erziehungsanstalt in Chaprais bei Besançon angestellt gewesen. Die als Erzieherinnen bezeichneten Personen seien als solche, das Hülfspersonal ebenfalls in gleicher Stellung in Chaprais beschäftigt gewesen. Die Kongregation verfolge nur Brziehungs-

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zwecke. Einen besondern Beichtvater haben sie nicht, sie gehen zum Geistlichen von Vallorbe zur Beichte. Auch würden in der Anstalt keinerlei geistliche Übungen vorgenommen. Sie besuchten mit ihren -Zöglingen den Gottesdienst von Vallorbe.

Das Pensionat in Vallurbe sei eine rein weltliche Anstalt, gegründet von Herrn Monnot, Kaufmann in Vallorbe. Es stehe unter der Direktion von Frl. Monnot. Als Erzieherinnen wirken 7 gewesene Koügreganistinnen, überdies noch drei Personen, die keiner Kongregation angehört hätten. Außerdem seien noch 7 gewesene Kongreganistinnen in verschiedenen Stellungen in dem Pensionat Monnot als Hülfskräfte (Surveillantes, Näherinnen, Wäscherinnen, Köchinnen) beschäftigt. Diese seien alle in demselben Kongregationsinstitut in Chaprais in gleichen oder ähnlichen Stellungen beschäftigt gewesen. Beziehungen zu der früheren Kongregation oder zu deren Oberen bestünden nicht mehr. Das Grand Hôtel in Vallorbe sei von Herrn Monnot gemietet worden. Gegenwärtig seien 93 Schülerinnen im Pensionat, wovon 79 Französinnen, 4 Bernerinnen, 2 Freiburgerinnen, l Solothurnerin, l Aargauerin, 4 Elsässerinnen, l Bayerin, l Österreicherin. Zweck des Aufenthaltes in der Schweiz sei die Errichtung eines Pensionates.

Der Mietvertrag vom 21. September 1903 ist abgeschlossen zwischen Herrn Monnot und der Aktiengesellschaft des Grand Hôtel in Vallorbe fiir 3, eventuell 6, eventuell 9 Jahre. Der Mietzins belrägt für die ersten 3 Jahre Fr. 6000, für die folgenden Jahre Fr. 7000.

Frl. M. Monuot und Frl. Marie Boulée wurden in Form einer Aktenergänzung am 5. Juli 1904 zum zweitenmal abgehört. Sie sagten aus: Die Kongregation der Soeurs de charité besitzt in der Schweiz noch andere Niederlassungen, nämlich Schulen in Lauderon seit 1810 und in Les Breuleux seit 1860, in Beifonds ein im Jahr 1902 gegründetes Waisenhaus, ferner Schulen in Bassecourt (1904), Payerne (1902), Yverdon (1903). Diese Institute hängen von der Kongregation ab, aber wir können nichts Näheres über ihre Organisation aussagen. Frl. Boulée war die Oberin des Institutes in Chaprais, wenn sie auch nicht die offizielle Leitung besaß. Das Pensionat in Vallorbe hängt nicht mehr von der Kongregation ab. Frl. Boulée hat hier die Leitung der Rechnungsführung und die Verwaltung (direction de la comptabilité et l'économat).

Der Regierungsstatthalter
von Orbe bemerkte in seinem Berichte zu dieser Abhörung: ,11 résulte pour moi des trois enquêtes que j'ai instruites que nous sommes en présence du même cas que celui des frères de

399 la croix de Menestruel à la ferme de Canada à Sademier, Vallorbe, avec la différence toutefois que pour se dernier une certaine apparence de laïcité la location du Grand Hôtel a été signée par M. Camille Monnot de Vezenay, Doubs, probablement l'homme de paille de la Congrégation."

In einem Briefe an das Regierungsstatthalteramt Orbe vom 8. Juli 1904 ergänzte Frl. Monnot ihre Angaben (wie sie sagt, im Auftrage ihres Bruders) betrefiend die Ansialten der Kongregation in der Schweiz. Danach soll in Pruntrut eine im Jahr 1864 gegründete Schule bestehen, ferner in Saignelégier ein Waisenhaus, gegründet im Jahr 1865, und ein Spital, gegründet 1852. Diese Anstalten seien von der Kongregation errichtet worden.

Am 11. Juli 1904 sendete das waadtländische Justiz- und Polizeidepartement einen anonymen Brief, welchen der Regierungsstatthalter von Orbe erhalten hatte.

Der Brief enthielt eine Anzahl von bestimmten Behauptungen, unter anderm : Daß die Säkularisation nur eine scheinbare sei; Daß die Schwestern gemeinsamen Gottesdienst in einer Kapelle, welche sie in ihren Mieträumen eingerichtet hätten, hielten; Daß sie mit ihrer Generaloberin, Marie Anna Groffe in Besançon, in Korrespondenz stünden; Daß diese in Vallorbe Besuche mache, und daß die Oberin Boulée nach Besançon gehe, um der Generaloberin über die Verhöre Bericht zu erstatten; Daß der Almosner des Mutterhauses Abbé Greppi das Pensionat Monnot ebenfalls besucht habe.

Da hier ganz bestimmte Tatsachen behauptet wurden, wurde eine fernere Abhörung mit Marg. Monnot und Marie Boulée veranstaltet.

Diese hielten aber daran fest, daß sie aus der Kongregation ausgetreten und ihrer Gelübde entbunden seien, sowie daß sie ihre vollständige Freiheit wieder erlangt hätten. Außer den Gebeten am Morgen und Abend mit den Schülern würden keine gemeinsamen Religionsübungen gehalten. Diese Übungen würden in einem Arbeitssaal im 2. Stock abgehalten. Doch gaben sie auf bestimmtes Befragen zu, daß im 4. Stock eine Kapelle eingerichtet worden sei, in welcher der Geistliche von Vallorbe einbis zweimal wöchentlich Messe lese. Marie Anna Groffe sei in der Tat die Generaloberia der Kongregation der Soeurs de charité de Besançon. Sie stünden aber nicht in Korrespondenz mit ihr; doch habe sie die Anstalt einmal, im September 1903, besucht.

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Marguerite Monnot und Marie Boulée hätten Mad. Groffe zufällig (fortuitement) in Mouchard begegnet, und Marie Boulée habe in ihrer Begleitung die Reise bis Lons-le-Saunier gemacht. In der ersten Hälfte Juli sei Marie Boulée in Besançon gewesen, habe aber dort Mad. Groffe nicht gesehen. Abbé Greppi habe dem Pensionat Monnot im vergangenen Winter einen Besuch gemacht.

In einem Briefe vom 1. August 1904 an das waadtländische Justiz- und Polizeidepartement beklagten sich Marg. Monnot und Marie Boulée über die anonymen Denunziationen und versicherten aufs neue ihre vollständige Unabhängigkeit von der Kongregation.

Wenn eine alte und anhängliche Freundschaft eine ihrer früheren Genossinnen bestimmt habe, sich um ihr Schicksal zu bekümmern, so sei das ohne ihr Zutun geschehen, und sie könnten dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Die Eröffnung der Kapelle hätten sie den Behörden anzeigen wollen; sie hätten es aber nicht getan, weil sie es für zu unwichtig gehalten hätten. Die Kapelle sei eingerichtet worden für diejenigen Personen, welche gesundheitshalber nicht in die Kirche von Vallorbe gehen konnten. Zum Beleg hierfür berufen sie sich auf ein Zeugnis des Dr. Mercier in Vallorbe, welcher erklärt, er habe mehreremal seinen Patienten in dem Pensionat Monnot den Besuch der Kirche von Vallorbe untersagen müssen.

Camille Monnot, der den Mietvertrag mit der Aktiengesellschaft des Grand Hôtel in Vallorbe abgeschlossen hat, steht nach eingegangenen Erkundigungen an der Spitze des Hauses Monnot frères in Vezenay, das den Wein- und Absinthhandel im Großen betreibt. Er hat seinen Wohnort in Vezenay.

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement hat über die Angelegenheit der Soeurs de la charité de Besançon ein Gutachten von Prof. Dr. Fleiner in Basel eingeholt, welches am 23. Februar 1905 einlangte.

II.

Die Kongregation der Soeurs de la charité de Besançon, mit Mutterhaus in dieser Stadt, wurde im Jahre 1799 in Prankreich gegründet. Als Stifterin wird Jeanne Antide Thouret und als geistlicher Berater und Leiter der Kleriker Benoit Racoffe genannt, welch letzterer dem Orden der Jesuiten bis zu dessen Auflösung (1773) angehört hatte. Die Kongregation widmet sich der Jugenderziehung und Krankenpflege. Sie besitzt in Frankreich zahlreiche Niederlassungen ; bis zum Inkrafttreten des französischen Vereinsgesetzes (1. Juli 1901) ist die Diözese Besançon Hauptsitz ihrer Tätig-

401 keit gewesen. Im Jahr 1810 empfing sie in Frankreich die staatliche Autorisation. Schon im Jahre 1880 zählte sie über 1100 Mitglieder. Zu den infolge des französischen Vereinsgesetzes geschlossenen Anstalten gehörte auch die im Jahre 1866 gegründete Erziehungsanstalt in Chaprais bei Besançon. Die Statuten der Kongregation sind nicht vorgelegt worden ; es konnte auch sonst nicht mit Bestimmtheit ermittelt werden, welcher Art die Gelübde sind, welche von ihren Angehörigen geleistet werden. Katholische Autoren nennen die Gelübde der Armut, der Keuschheit, des Gehorsams und der unentgeltlichen Pflege der Armen.

III.

Das in Chaprais aufgehobene Institut der Kongregation ist, wie aus der geführten Untersuchung hervorgeht, nach Vallorbe übertragen worden, wo es im Grand Hôtel weiterbetrieben wird.

Dies erhellt mit Bestimmtheit aus folgenden Tatsachen: Das gesamte Personal, 7 Lehrerinnen und 7 andere Personen, gehörte in Frankreich mit Ausnahme von zwei Personen der Kongregation an, und es ist ausdrücklich zugegeben worden, daß sie sämtlich in Vallorbe in derselben Stellung tätig sind, wie in Chaprais. Auch die Oberin Marie Boulée ist in leitender Stellung (wie sie selbst gesagt hat, als Rechnungsfuhrerin und Verwalterin) in Vallorbe tätig. Der im Institut in Vallorbe verfolgte Zweck ist genau derselbe, wie in Chaprais: die Führung einer Erziehungsanstalt, womit die Erfüllung eines Zweckes der Kongregation betrieben wird. Die Generaloberin Mad. Greffe ist nach Gründung des Inatitutes in Vallorbe gewesen, und Marg. Monuot und Marie Boulée sind nach Gründung der Anstalt in Vallorbe mit ihr in Mouchard zusammengetroffen. Der Almosner des Ordens, Abbé Greppi hat die Niederlassung in Vallorbe ebenfalls besucht.

Es ist also alles geblieben, wie es in Chaprais war. Es sind dieselben Personen, welche die Anstalt leiten, die Oberin Marie Boulée ist dieselbe, und die Kongregationstätigkeit, wie sie in Chaprais im Betrieb einer Erziehungsanstalt entwickelt wurde, wird fortgeführt; geändert hat nur der Ort, an welchem die Kongregation ihre Erziehungsanstalt betreibt.

Gegen diese Feststellungen fallen die erhobenen Einwendungen nicht ins Gewicht; d. h. der Beweis, daß das Institut in Vallorbe keine Niederlassung der Soeurs de la charité von Besançon ist, ist nicht geleistet worden. Diese Einwendungen sind doppelter Natur : 1. Das Institut Vallorbe stehe unter weltlicher Leitung und sei von der Kongregation unabhängig.

Bundesblatt. 57. Jahrg. Bd. IV.

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2. Die früheren Angehörigen der a Kongregation seien säkularisiert.

Diese beiden Einwendungen sind näher zu untersuchen.

IV.

Bei der Übertragung der Anstalt von Chaprais nach Vallorbe ist als Mittelsperson ein Camille Monnot, Bruder einer der Kongreganistinnen, aufgetreten. In seinem Briefe an den Präfekten von Orbe erklärt er, er habe das Grand Hôtel in Vallorbe gemietet, um darin ein katholisches Pensionat unter Leitung seiner Schwester Marguerite Monnot unterzubringen (pour y installer un pensionnat catholique). Er hat nicht einmal behauptet, daß er dieses Pensionat aus eigenen Mitteln errichte; ebenso haben die abgehörten Personen nicht behauptet, daß sie zu ihm oder zu Frl.

Monnot in einem Dienstverhältnisse stehen und für ihre Lehrtätigkeit von ihm oder von ihr eine Entschädigung erhalten. Zudem ist schwer zu erklären, wie Camille Monnot, der in Vezenay an der Spitze eines großen kaufmännischen Geschäftes steht, und dort seinen Wohnsitz hat, dazu käme, in Vallorbe eine Erziehungsanstalt zu errichten.

Allerdings hat Camille Monnot den Mietvertrag mit der Aktiengesellschaft des Grand Hôtel abgeschlossen ; dies beweist aber nur, daß er rechtlich für die Bezahlung des Mietpreises haftet. Daß er die Erziehungsanstalt wirklich betreibt, ist damit durchaus nicht festgestellt und erscheint nach den Umständen als ausgeschlossen.

Es muß vielmehr mit Sicherheit angenommen werden, daß die ehemalige Oberin von Chaprais Marie Boulée auch in Vallorbe in leitender Stellung tätig ist, und zwar so, daß das neue Pensionat in gleicher Weise in Vallorbe wie früher in Chaprais in Verbindung und unter Mitwirkung der leitenden Organe der Kongregation der Soeurs de la charité aus Besançon geführt wird. Das ergibt sich aus dem im Lauf der Untersuchung zu Tage getretenen Verkehre der Generaloberin Madame Groä'e mit den mit der Leitung des Pensionates in Vallorbe betrauten Personen, aus den von ihr und dem Almosner Greppi gelegentlich dem neu gegründeten Pensionat erstatteten Besuchen, der Anordnung von religiösen Übungen in der Anstalt und aus allen übrigen Begleiterscheinungen.

Der Schluß, den der Regierungsstatthalter von Orbe gezogen hatte, bevor er den anonymen Brief erhalten, ist nach den Umständen durchaus gerechtfertigt. Camille Monnot hat als Bruder einer der Eongreganistinnen seinen Namen geliehen, um dem

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Institut nach außen den Laiencharakter zu geben, während es sich in Wirklichkeit um nichts anderes als um Übertragung der in Chaprais geschlossenen Kongregationsanstalt nachVallorbe handelt.

Der erste Einwand ist also als tatsächlich nicht erwiesen abzulehnen.

V.

Aber auch dem zweiten Einwand, der sich auf die Säkularisationsbriefe stützt, kann nicht Rechnung getragen werden.

Die in Vallorbe angesiedelten Frauen geben zu (mit Ausnahme von drei Personen), bis zu ihrer Übersiedlung in die Schweiz der Kongregation der Soeurs de la charité von Besançon angehört zu haben. Zum Beweise ihres Austrittes aus der Kongregation legen sie Säkularisationsbriefe, die vom erzbischöflichen Generalvikar von Besançon im Laufe des Monats September 1903 ausgestellt sind, vor.

8ie enthalten alle die Formel : ,,Nous relevons la dite Soeur de toutes ses obligations religieuses, lui accordons dispense définitive des voeux par elle contractée et la déclarons de fait et de droit entièrement sécularisée par les présentes, par conséquent libre désormais de tous engagements antérieurs vis-à-vis de la dite congrégation des Soeurs de la charité de Besançon."

Dièse Formel würde auf eine totale Säkularisation schließen lassen, und der Erzbischof oder sein Generalvikar wäre auch, da es sich um eine vom Papste nicht bestätigte bloße Diözesankongregation handelt, kirchenrechtlich berechtigt, eine solche Säkularisation auszusprechen; allein im vorliegenden Falle stehen alle sonst festgestellten Tatsachen einer Säkularisation entgegen, ergeben vielmehr den Beweis, daß das Pensionat in Vallorbe eine Gründung der Kongregation ist. Es kann deshalb diese Säkularisation trotz der vorgelegten Beweisurkunden nicht als vollzogene Tatsache anerkannt werden.

Es mag hier kurz rekapituliert werden, daß : 1. Das Pensionat in Vallorbe den ganzen Bestand der Erziehungsanstalt von Chaprais enthält. Die Oberin, die Lehrerinnen und das Hülfspersonal waren nach dem Zugeständnis der Schwestern in genau gleicher Stellung in Chaprais tätig, wie jetzt in Vallorbe.

Der Zweck der Kongregation wird in Vallorbe in gleicher Weise erfüllt wie in Chaprais.

2. Die Leiterinnen der Anstalt in Vallorbe ihre Beziehungen zu der Generaloberin beibehalten haben, was sie in ihren ersten Einvernahmen verschwiegen haben.

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3. Als den Tatsachen nicht entsprechend hat sich der streng weltliche Charakter des Institutes, wie er in der ersten Einvernahme behauptet wurde, erwiesen. Entgegen der anfänglich aufgestellten Behauptung ist ein für die Anstalt errichteter Betsaal (Oratoire), worin Messe gelesen wird, nachgewiesen worden.

Es mag noch darauf hingewiesen werden, daß, wenn wirklich ein Austritt aus der Kongregation erfolgt war und die Anstalt nicht mehr als Kongregationsanstalt betrieben werden wollte, gar kein Grund vorlag, sie nach der Schweiz zu verlegen, indem sie unter der supponierten Voraussetzung auch in Frankreich hätte betrieben werden können.

VI.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß das Pensionat Monnot eine Niederlassung der Soeurs de la charité de Besançon ist. Diese Niederlassung steht, wenn die Kongregation vor Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1874 in der Schweiz keine Niederlassung hatte, im Widerspruch mit Art. 52 der Bundesverfassung, welcher die Errichtung neuer Orden, denen nach der feststehenden Praxis des Bundesrates die Kongregationen gleichgestellt sind, verbietet. -- Die Niederlassung der Kongregration ist also zu untersagen, wenn diese vor 1874 in der Schweiz keine Niederlassung hatte.

Die Kongreganistinnen haben nun das Bestehen solcher Niederlassungen behauptet. Von diesen fallen als nach dem Jahr 1874 gegründet außer Betracht die Schulen in Payerne (1902), Yverdon (1903), Bassecourt (1904) und das Waisenhaus in Beifonds (1902).

Ebenso fällt außer Betracht eine im Jahrbuch Le clergé français pro 1901 erwähnte Schule in Cressier, da nach eingegangenen Erkundigungen die Tätigkeit der Schwestern dort erst im Jahre 1896 begonnen hat. Über die übrigen behaupteten Niederlassungen der Kongregation vor 1874 ist zu bemerken: a. Landeron. Es handelt sich hier um Anstellung von Lehrschwestern im Schuldienste. Der Bundesrat hat aber von jeher die. Anstellung von Ordens- oder Kongregationsangehörigen in öffentlichen oder Privatschulen nicht als Kongregationsniederlassungen angesehen. In Landeron waren die Schulschwestern bis zum neuenburgischen Schulgesetz von 1872 in den öffentlichen Schulen angestellt, seither, da dieses Gesetz Anstellung von Ordensschwestern in öffentlichen Schulen verbot, sind sie in einer Privatschule angestellt.

405 b. Bezüglich der Anstalten im Kanton Bern ist darauf zu verweisen, daß nach Art. 82 der Kantonsverfassung von 1846 und dem gleichlautenden Abs. l des Art. 88 der Kantonsverfassung von 1893 die Niederlassung von kantonsfremden religiösen Korporationen und Orden sowohl als die Erteilung von Unterricht durch Angehörige solcher Gemeinschaften anders als mit Bewilligung des Großen Rates des Kantons Bern verboten ist. Soweit es sich um eigentliche Kongregationsniederlassungen handeln würde, würden solche also nur im Widerspruch mit der Eantonsverfassung bestehen, und es könnten aus derartigen gesetzwidrigen Niederlassungen keine Rechte abgeleitet werden.

Es handelt sich aber, soweit sich aus den eingezogenen Erkundigungen ergibt, nicht um eigentliche Kongregationsniederlassungen.

In Les Breuleux sind Schwestern an der öffentlichen Schule bis zum Jahre 1897 tätig gewesen. Seit diesem Zeitpunkte sind sie an der von der Gemeinde geführten Kleinkinderschule angestellt.

In Saignelégier sind Schwestern seit 1862 an dem Bezirksspitale, dessen Verwaltung in Händen von Laien ruht, als Krankenpflegerinnen angestellt, seit 1865 zur Bedienung des als Annexanstalt des Spitals gegründeten Waisenhauses.

In Pruntrut endlich besteht eine von Laien errichtete Frauenarbeitssehule, welche von Privaten der Umgegend Bestellungen aufnimmt. Das sogenannte Ouvroir ist im Besitze der Erben der Clarisse Béchaux.

Aus diesen Feststellungen geht hervor, daß die Schwestern überall in einem Anstellungsverhältnis zu den in weltlichen Händen befindlichen Anstalten stehen.

Die Untersuchung ergibt also für die Frage, ob vor dem Jahre 1874 Niederlassungen der Kongregation in der Schweiz bestanden haben, ein negatives Resultat.

Demnach wird e r k a n n t : 1. Der Kongregation der Soeurs de la charité de Besançon (Pensionat Monnot) im Grand Hôtel in Vallorbe ist die Niederlassung in der Schweiz untersagt.

2. Es ist ihnen eine Frist von 90 Tagen, von der Eröffnung dieses Beschlusses an gerechnet, gesetzt, um ihre Verhältnisse zu ordnen.

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3. Die Regierung des Kantons Waadt ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt und wird eingeladen, dem Bundesrate über die erfolgte Vollziehung Bericht zu erstatten.

B e r n , den S.Juni 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Niederlassung der Soeurs de la charité aus Besançon (Pensionat Monnot) in Vallorbe. (Vom 5. Juni 1905.)

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14.06.1905

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