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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Friedrich Lottenbach, Landwirtes in Weggis, gegen ein Urteil des luzernischen Kassationsgerichtes betreffend die Bestrafung des Rekurrenten wegen unbefugten Wirtens.

(Vom 28. Juli 1905.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des Friedrich L o t t e n b a c h , Landwirtes in Weggis, gegen ein Urteil des luzernischen Kassationsgerichtes betreffend die Bestrafung des Rekurrenten wegen unbefugten Wirtens, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Mit Urteil vom 19. Oktober 1904 hat das Bezirksgericht Weggis den Friedrich Lottenbach in Anwendung des § 41 des luzernischen Wirtschaftsgesetzes ,,wegen Vergehens des unbefugten Wirtens" zu einer Geldbuße von Fr. 20, sowie zur Tragung sämtlicher Untersuchungs- and Gerichtskosten verurteilt.

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Gegen dieses Urteil hat Lottenbach beim Obergericht des Kantons Luzern die Kassationsbeschwerde eingereicht und die Aufhebung des Urteiles verlangt.

Das Obergericht hat diese Kassations,beschwerde mit Urteil vom 2t. März 1905, das dem Beschwerdeführer am 6. April 1905 mitgeteilt worden ist, abgewiesen, erwägend: 1. daß der Kassationsbewerber, welcher zugegebenermaßen während der Sommermonate des verflossenen Jahres 1904 an Passanten, welche den bei seiner Pachtliegenschaft Mattberg zu Weggis vorbeiführenden lligiweg begingen, ohne Besitz eines Wirtpatentes gewerbsmäßig an einem hierzu hergerichteten Tisch an fraglicher Straße Milch und Limonade ausgeschenkt hat, vom Bezirksgerichte Weggis bestraft worden ist; 2. daß dieser Urteilspruch im wesentlichen damit motiviert wird, daß der vom Beklagten betriebene gewerbsmäßige Ausschank genannter Getränke, wenn auch auf freiem Platze erfolgt, doch unter die Kategorie der nach § 22 des Gesetzes über die Wirtschaften einer Patenttaxe von Fr. 5--40 unterstellten Temperenzwirtschaften falle und die völlige Freigebung des Verkaufes alkoholfreier Getränke nicht nur zu erheblicher Vermehrung der Temperenzwirtschaften und Verkaufsstellen, sondern auch zu vielfachem Mißbrauch im Ausschenken geistiger Getränke führen würde; 3. daß durch vorliegende Kassationsbeschwerde mit Bezugnahme auf die §§ 272 und 273, Absatz 2, des Strafrechtsverfahrens Aufhebung fraglichen Urteils verlangt wird : a. weil in casu das nach § 2 des zitierten Gesetzes über die Wirtschaften zum Begriffe einer (patentpflichtigen) Wirtschaft gehörige Erfordernis eines zum Genüsse der Getränke und Speisen eigens bestimmten Lokales fehle; b. weil der Verkauf von Milch und Limonade, welche nicht in einer Wirtschaft, einem Hause, erfolgt, auch gemäß dem in Art. 31 der Bundesverfassung garantierten Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit nicht an eine staatliche Konzession gebunden werden dürfe, ebenso nach § 3 des Wirtschaftsgesetzes nur für den Kleinverkauf geistiger Getränke ein Wirtschaftspatent vorgeschrieben und endlich die Unterstellung des Ausschanks von Milch und Limonade unter staatliche Kontrolle auch durch die Tendenz des mehrangeführten Wirtschaftsgesetzes, welche nach § 15 eod. in der Verhütung von Völlerei bestehe, naturgemäß nicht geboten sei;

871 4. daß, was vorab den erstangeführten Kassationsgrund betrifft, zu konstatieren ist, daß § 2 des Wirtschaftsgesetzes, wo als Wirten ,,jede Art gewerbsmäßigen Kleinverkaufs von Getränken mit Ausschluß von gebrannten Wassern und zubereiteten Speisen in eigens zu d e r e n G e n u ß b e s t i m m t e m Lokale" bezeichnet wird, für Fälle, wie das in Frage stehende, seine Ergänzung in § 32 leg. cit. findet, wonach ,,kein Wirt ohne vorher eingeholte Bewilligung von Seite der Ortspolizei an e i n e m Orte als in seinem Wirtslokal auch nur vorübergehend wirten darf; 5. daß also, wenn schon eine im Besitz eines Wirtpatentes befindliche Persönlichkeit in dieser Weise in der Ausübung des Wirtgewerbes durch das Gesetz beschränkt wird, dies offenbar in bezug auf jemanden, welcher, wie der heutige Kassationsbewerber, ohne Wirtschaftspatent Getränke ausschenkt, um so mehr zutrifft, wobei der Umstand, daß der Ausschank im Freien, an offener Straße an Passanten stattfindet, sowie die Natur der verabfolgten Getränke ohne Bedeutung sind, da bei sinngemäßer Auslegung die Bezeichnung ,,Lokal11, wie sie im Wirtschaftsgesetze gebraucht wird, nicht a u f g e s c h l o s s e n e Räume sich beschränkt; §2 leg. cit. gaoz allgemein von ,,G e t r a n k e n " 1 spricht und § 22 eod. unter den patentpflichtigen Wirtschaften auch die Kaffeewirtschaften und Temperenzwirtschaften aufführt, mit dein bloßen Unterschiede, daß für diese eine mäßige Taxe fixiert ist; 6. daß diese Auffassung laut dem der staatswirtschaftlichen Vernehmlassung beigelegten Berichte des in Wirtschaftssachen zuständigen Staatswirtschaftsdepartements auch der bisherigen regierungsrätlichen Praxis entspricht, wonach unter anderm auch Abstinenten vereine für ihre Waldfeste Wirtsbewilligungen nach § 14 des Wirtschaftsgesetzes zur Verabfolgung von Getränken an Ort und Stelle zu lösen haben 5 7. daß jedenfalls aber die im angefochtenen Urteile dem Wirtschaftsgesetze gegebene Auslegung nicht gegen dessen klaren, unr zweideutigen Inhalt verstößt, wogegen die vom Kassationsbewerbeerheblich gemachten Billigkeitsgrunde nicht aufzukommen vermögen 5 8. daß, nachdem also die Vorinstanz bei Beurteilung dieses Strafialles . auf dem Boden des Gesetzes sich bewegt hat, naturgemäß auch von einer oberinstanzlichen Urteilsremedur wegen Verletzung des Verfassungsgrundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit und Widerspruchs gegen die Tendenzen des Wirtschaftsgesetzes vorliegend nicht die Rede sein kann ;

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9. daß bei dieser Sachlage vorliegendem Kassationsgesuche keine Folge zu geben ist.

II.

Gegen dieses Urteil des Kassationsgerichtes vom 21. März 1905 hat Lottenbach mit Eingabe vom 23. Mai 1905 die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrat erhoben, und das Rechtsbegehren auf Aufhebung desselben und des Urteils des Bezirksgerichtes Weggis gestellt, und verlangt, es sei der Staat Luzern pflichtig zu erkennen, dem Rekurrenten alle ergangeneu Kosten zu ersetzen.

Dies Rechtsbegehren wird mit folgenden Vorbringen begründet: Der der Bestrafung des Rekurrenten zu Grunde liegende Tatbestand ist der, daß Fr. Lottenbach, Pächter der Liegenschaft Mattberg am Rigi bei Weggis, am Rigiweg durch seine Frau und Kinder an einem hierzu hergerichteten Tische Milch und Limonade an die Passanten verkaufte; der Verkauf fand unter freiem Himmel, in großer Entfernung vom Hause Lottenbachs statt.

Die Bestrafung des Rekurrenten für diese Handlungsweise involviert eine Verletzung der in Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit, denn es liegt hier kein Fall vor, wo das Geselz eine Beschränkung der Handelsund Gewerbefreiheit für zulässig erklärt. Es kann nur lit. c des Art. 31 der Bundesverfassung in Betracht kommen, wo das Wirtschaftswesen und der Kleinhandel mit geistigen Getränken in dem Sinne vorbehalten sind, daß die Kantone dieselben auf dem Wege der Gesetzgebung den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen können. Der Kanton Luzern hat von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht durch Modifikation seines Wirtschaftsgesetzes vom 22. November 1883. Es fragt sich also, ob sich das Wirtschaftsgesetz innert den Schranken des Art. 31 der Bundesverfassung hält, oder ob nicht eine extensive Interpretation des kantonalen Gesetzes vorliegt. Nun fällt auch nach dem Wirtschaftsgesetz der angegebene Tatbestand nicht unter dea Begriff des ,,Wirtens", denn nach § 2 dieses Gesetzes ist Wirtschaft rjede Art gewerbsmäßigen Kleinverkaufs von Getränken und zubereiteten Speisen in eigens zu deren Genuß bestimmten Lokalen"; der Tisch aber, auf welchem der Rekurrent die Milch und die Liinonadenfläschchen aufstellte, ist kein Lokal..

Allerdings hat das Obergericht diesen Standpunkt nicht gelten lassen, und erklärt, das Bezirksgericht Weggis habe nicht gegen den klaren, unzweideutigen Wortlaut des Gesetzes geurteilt. Was.

aber § 32 des Wirtsehaftsgesetzes, den das Obergericht zur Unter-

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Stützung seiner Argumentation vorbringt, hier zu tun haben soll, ist nicht einzusehen, denn darin ist ein ,,Wirt" im Sinne des Gesetzes vorausgesetzt (dessen Begriff eben im § 2 gegeben war).

Ebensowenig kann seitens des Obergerichtes mit den Temperenzund Kaffee wirtschaften argumentiert werden, denn diese betreiben den gewerbsmäßigen Kleinverkauf von Getränken in eigens dazu bestimmten Lokalen, fallen also unter das Gesetz. Wenn endlich ·auf die Praxis hinsichtlich der an Abstinentenvereine für deren Waldfeste erteilten Bewilligungen verwiesen wird, so ist diese Praxis unzutreffend und die betreffenden Vereine hätten sieh gegen dieselbe mit Recht auflehnen können; zudem stützt sich hier das Vorgehen der Behörden auf § 14 des Wirtschaftsgesetzes, der vorliegenden Falles nicht in Betracht kommt. Demnach stellt sich die Handlung des Rekurrenten nicht als Wirten im Sinne des Wirtschaftsgesetzes dar; es ist lediglich eine unrichtige Auslegung ·des Gesetzes durch die Gerichte, welche die Bestrafung des Rekurrenten verschuldet hat. Diese Handhabung des Gesetzes steht im Widerspruch mit den Vorschriften des Bundesrechtes.

Eventuell wird noch bemerkt: Die kantonalen Gesetze über das Wirtschaftswesen müssen sich innert den Schranken des Artikels 31 der Bundesverfassung halten. Die Auslegung dieses Artikels ist nicht an Hand der auf Grund desselben erlassenen kantonalen Gesetze, sondern selbständig nach allgemeinen Kriterien vorzunehmen. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, stellt sich ·die Handlung des Rekurrenten dar als Kleinhandel mit nicht.geistigen Getränken. Zum Begriff des Wirtens gehört aber nach allgemeinen Grundsätzen ein Wirtslokal, ein gewisser Umfang des Betriebes, regelmäßig auch die Verabreichung von geistigen Getränken und zubereiteten Speisen. Dem entspricht nun das Vorgehen des Rekurrenten nicht. Auch die Milchhändler verkaufen ihre Milch auf der Straße und die Krämer verkaufen Limonade und Sirup über die Gasse, aber noch niemand ist es eingefallen, darin eine Wirtschaft zu sehen ; etwas anderes hat auch Rekurrent nicht getan.

Zudem macht der Buudesgesetzgeber noch eine wichtige Einschränkung, indem er die Vorbehalte an die Voraussetzung knüpft, daß sie durch das öffentliche Wohl gefordert seien. Im vorliegenden Falle kann aber nicht die Rede davon sein, daß das öffentliche Wohl
die Unterstellung des Verkaufs von Milch oder Limonade auf öffentlicher Straße an Touristen unter gesetzliche Beschränkungen verlange. Der Kleinhandel mit nichtgeistigen Getränken, wie ihn Rekurrent betrieben hat, genießt vielmehr den vollen .gesetzlichen Schutz des Art. 31 der Bundesverfassung. In jeder Richtung in vol viert daher die Bestrafung des Rekurrenten wegen

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unbefugten Wirtens eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit gemäß Art. 31 der Bundesverfassung.

III.

Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat die Abweisung der Beschwerde Lottenbach beantragt und zur Begründung diesesAntrages eine Vernehmlasaung des luzernischen Obergerichtes ins.

Recht gelegt. In dieser Vernehmlassung wird ausgeführt: Was die Natur der Kassationsbeschwerde nach der kantotonalen Gesetzgebung betrifft, so lauten die einschlägigen Bestimmungen des luzernischen Strafrechtsverfahrens wörtlich : ,,§ 271. (Kassation.) In appellabeln Polizeifällen sollen die Kassationsgesuche auf dem Wege der Appellation geltend gemacht werden, und es findet eine Kassation statt: a. wegen Inkompetenz des Gerichtes ; b. wenn das Urteil von einem nicht gehörig besetzten Gericht ausgegangen ist; c. wegen Verletzung wesentlicher gesetzlicher Rechtsformen.

§ 272. Bei inappellabel Polizeistrafprozessen sind hingegen Kassationsgesuche innert der Appellationsfrift schriftlich dem Obergerichte einzureichen, und die Kassation findet statt aus den im vorhergehenden Paragraph angegebenen Gründen, sowie wenn gegen den klaren, unzweideutigen Inhalt des Gesetzes ist geur-teilt worden.

§ 273. (Neuerliche Beurteilung.) Im Falle der Kassation wird der Rechtsfall zu neuerlicher Beurteilung an die erste Instanz zurückgewiesen. Es kann hierfür von dem Obergerichte ein anderes.

Gericht als dasjenige welches früher urteilte, bezeichnet werden,.

Zeigt sich in einem Kassationsfalle, daß bloß das Gesetz unrichtig angewendet wurde, so kann das Obergeriuht von sich au& das Urteil verbessern.11 Es ergibt sich daraus, daß im vorliegenden inappellabeln.

Strafprozeß dem Obergericht als Kassationsinstanz nicht eine Überprüfung der bezirksgerichtlichen Entscheidung bezüglich ihrer materiellen Richtigkeit schlechthin, sondern lediglich die Untersuchung der Frage zustand, ob jenes Urteil auf einem Verstoß gegen den klaren, unzweideutigen Inhalt des Gesetzes oder auf einer Verletzung einer wesentlichen gesetzlichen Rechtsform beruhe.

875' B.

In rechtlicher Beziehung fällt infBetracht: Der Beschwerdeführer ist auf Grund der Tatsache, daß er am Rigiweg an einem hierzu eigens hergerichteten Tische den Passanten Miich und Limonade verkauft hat, vom Bezirksgericht Weggis durch Urteil vom 19. Oktober 1904 wegen unbefugten Wirtens in Übertretung des § 41 des Wirtschaftsgesetzes gebüßt worden. Das Obergericht dea Kantons Luzern hat durch Urteil vom 21. März/6. April 1905 eine gegen das erstinstanzliche Urteil erhobene Kassationsbeschwerde abgewiesen, weil ein Verstoß gegen die klaren, unzweideutigen Vorschriften des Wirtschaftsgesetzes nicht vorliege, und aus diesem Grunde auch von keiner Verletzung des Verfassungsgrundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit die Rede sein könne. Die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrat wird erhoben, weil durch die ausgesprochene Buße der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gegenüber dem Rekurrenten verletzt werde.

Die Beschwerde ist beim Bundesrate rechtzeitig innert 60 Tagen seit der Eröffnung des Kassationsurteiles vom 21. März 1905, nicht aber innert der Frist von 60 Tagen seit der Eröffnung des erstinstanzlichen Urteiles vom 19. Oktober 1904 erhoben worden.

Nun war gemäß den Ausführungen in der Vernehmlassung des Regierungsrates (Berieht des Obergerichtes des Kantons Luzern) das erstinstanzliche Urteil vom 19. Oktober 1904 inappellabel und hatte die Einlegung der Kassationsbeschwerde eine Prüfung nur der Frage durch das Obergericht zur Folge, ob in dem angefochtenen Urteil eine Verletzung unzweideutig klaren Rechtes vorliege. Daraus ergibt sich, daß der Bundesrat jene Frage, ob in der Bestrafung des Rekurrenten eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung liege, nicht mehr in ihrem ganzen Umfange, sondern nur insofern untersuchen kann, als der Rekurrent durch Einlegung der Kassationsbeschwerde sich noch ein Recht auf die Prüfung des erstinstanzlichen Urteiles zu wahren vermochte. Als Streitfrage ist demnach vom Bundesrate zu untersuchen, ob es unzweideutig klarem Verfassungsrecht widerspreche, d. h. ob es nach Maßgabe des Art. 31 der Bundesverfassung willkürlich sei, daß die Bestrafung des Rekurrenten vom Obergericht des Kantons Luzern aufrecht erhalten worden ist.

Der Bundesrat ist zu einer Entscheidung auf Grund des Artikels 189, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes kompetent.

Die Gründe, mit denen der Rekurrent die behauptete Verfassungsverletzung nachzuweisen versucht, sind die gleichen, die

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er bereits vor dem luzernischen Obergericht vorgebracht hatte.

Das Obergericht ist auf dieselben nicht eingetreten, von der Auffassung ausgehend, daß, wenn eine Verletzung klaren Gesetzesrechtes, nämlich der Vorschriften des kantonalen Wirtschaftsgesetzes nicht vorliege, auch ausgeschlossen sei, daß eine willkürliche Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung vorliegen könnte. Dieser Ansicht kann indessen der Buiidesrat nicht beitreten, es sind vielmehr die vorgebrachten Anfechtungsgründe im einzelnen daraufhin zu untersuchen, ob das Bundesrecht in willkürlicher Weise verletzt ist.

Der Rekurrent behauptet, es könne für die Beurteilung des inkriminierten Tatbestandes nur Art. 31 der Bundesverfassung lit. c in Frage kommen. Danach verlange die Bundesverfassung als erste Voraussetzung des Rechtes der Kantone zur Einschränkung des Wirtschaftsgewerbes den Erlali eines Gesetzes. Ein Gesetz, das den vorliegenden Tatbestand trèfle, sei im Kanton Luzern nicht erlassen; deshalb könne weder eine Patenttaxe verlangt, noch wegen Nichteinlösung einer solchen Buße verhängt werden.

Außerdem aber könne auch nach dem materiellen Inhalt der Verfassungsvorschrift, die inkriminierte Handlung nicht als konzessionspflichtig erklärt, eventuell könnte die Konzessionspflicht nur dann ausgesprochen werden, wenn sie nachweislich im öffentlichen Wohle begründet sei.

Diese Behauptungen beruhen auf einem Irrtum über den Sinn und die Tragweite der lit. c des Art. 31 der Bundesverfassung.

Wie der Bundesrat stetsfort erklärt hat, geht aus der Entstehungsgeschichte der B undesverfassungsrevision vom 25. Oktober 1885 klar hervor, daß die damals vom Schweizervolke beschlossene neue lit. c entgegen dem Prinzip der Handels- und Gewerbefreiheit den Kantonen die Stellung der ,,Bediirfnisfrage" gestatten wollte, und daß für diesen Fall, aber auch für diesen Fall allein, die Vorschrift aufgestellt wurde, Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit dürfen nur io der Form des Gesetzes eingeführt werden. Im vorliegenden Falle ist nun die Frage, ob ein Bedürfnis für eine Wirtschaft resp. für den Verkauf von Mileh oder Limonade vorliege oder nicht, überhaupt nicht aufgeworfen ; die Handlung des Rekurrenten ist nicht auf Grund der Verneinung der Bedürfnisfrage, sondern wegen Unterlassung der Einholung einer Bewilligung als straffällig
beurteilt worden und der Rekurrent behauptet auch heute nicht, daß ein Bedürfnis für den Verkauf von Getränken, wie er ihn betrieben hat, bestehe. Die Vorschrift des Art. 31 lit. c kommt daher überhaupt nicht in Betracht, und es kann von einer Verletzung derselben nicht die Rede sein.

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Daß, abgesehen von der Vorschrift der lit. c eine willkürliche Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung vorliege, hat der Rekurrent nicht behauptet, und es könnte eine solche Verletzung in dem angefochtenen Urteile auch nicht gefunden werden. Lit. e des Art. 31 behält den Kantonen ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben" vor. Auf Grund dieses Vorbehaltes hat der Bundesrat den Kantonen das Recht zuerkannt, Gewerbe wie das Wirtschaftsgewerbe konzessionspflichtig zu erklären und einer speziellen Aufsicht und Kontrolle zu unterstellen, und er hat solche Maßregeln der Kantone geschützt, gleichgültig, ob sie in der Form von Gesetzen oder von anderen Erlassen getroffen worden waren, wenn sie nur die Ausübung von Handel und Gewerbe nicht unmöglich machten oder in unzulässigem Maße erschwerten.

Auf Grund dieser Vorschrift hat ferner der Bundesrat zugelassen, daß auch die alkoholfreien Wirtschaften als patentpflichtig erklärt wurden und es kann daher auch vom Standpunkte des Bundesrechtes nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten, wenn in einem Verkauf von Milch und Limonade an Passanten zu sofortigem Konsum an einem eigens an der Straße hierzu aufgestellten Tische ein gewerbsmäßiges Verwirten dieser Getränke erblickt wird, das dem Patentzwange unterliegt.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 28. Juli 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bundesblatt.

57. Jahrg. Bd. IV.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Friedrich Lottenbach, Landwirtes in Weggis, gegen ein Urteil des luzernischen Kassationsgerichtes betreffend die Bestrafung des Rekurrenten wegen unbefugten Wirtens. (Vom 28. Juli 1905.)

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02.08.1905

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