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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde von François Groß und Genossen betreffend die Gemeinderatswahlen von St. Maurice vom 11. Dezember 1904.

(Vom 15. August 1905.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde von François G r o ß und Genossen betreffen dj die Gemeinderatswahlen von St. Maurice vom 11. Dezember1 904, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Die Gemeinderatswahlen von St. Maurice vom 11. Dezember 1904 haben laut Protokoll der Gemeindeversammlung folgendes Resultat ergeben : Abstimmende 344; absolutes Mehr 173.

Als gewählt wurden folgende 9 Kandidaten bezeichnet: Kühn, Jules mit 339 Stimmen Monnay, Jules . . . .

,, 317 ,, de W erra, Maurice . . .

,, 316 ,, Bundesblatt. 57. Jahrg. Bd. V.

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Mottiez, Joseph . . . . m i t 2 9 5 Stimmen Groß, François . . . .

,, 2« 5 ,, de Stockalper, Adrien . . ,, 181 ,, Pélissier, Maurice . . .

,,177 ,, Barman. Georges . . .

,, 175 ,, de Cocatrix, Eugène . . ,, 174 ,, Da die Zahl der zu wählenden Gemeinderäte 11 betrug, so wurde zu einem zweiten Wahlgange geschritten, an welchem 325 Wähler teilnahmen; in diesem Wahlgange erhielten die meisten Stimmen (relatives Mehr) : de Bons, Henri . . . . mit 165 Stimmen, und Arlettaz, Emil . . . .

,, 160 ,, Hierauf wurde mit 147 Stimmen auf 266 Stimmende als Gemeinderatspräsident Henri de Bons und als Gemeindevizepräsident unter Einstimmigkeit der 152 Stimmenden Joseph Mottiez gewählt.

II.

Gegen diese Wahlen hat Charles von Stockalper beim Staatsrat des Kantons Wallis rekurriert, 1. weil ein doppelter Wahlzettel zugelassen und für l Stimme gezählt worden sei ; 2. weil nichtstimmberechtigte Bürger an den Wahlen teilgenommen hätten, und 3. weil stimmberechtigte Bürger von den Wahlen ausgeschlossen worden seien.

Der Staatsrat hat am 30. Dezember 1904 daraufhin beschlossen, die bisherige Gemeindebehörde von St. Maurice habe provisorisch die Amtsgeschäfte für die Gemeinde St. Maurice weiter zu führen, bis der Staatsrat über den Rekurs entschieden haben werde.

Am 18. März 1905 hat der Staatsrat über die Beschwerde entschieden. Aus dem Beschluß ist folgendes hervorzuheben: 1. Betreffend die Einlegung und Berechnung eines doppelten Wahlzettels: Es ist richtig, daß ein doppelter Wahlzettel in der Urne gefunden und daß er als eine Stimme gezählt worden ist. Dieser doppelte Wahlzettel muß annulliert werden, denn Art. 49 des Wahlgesetzes gibt in dieser Richtung einen bestimmten Befehl. Da der Wahlzettel ausschließlich Namen der liberalen Wahlliste trug, so muß den beim ersten Wahlgang als gewählt erklärten Kandidaten dieser Liste je eine Stimme abgezogen

19 werden. Es sind dies : de Werra, Georges Barman, Mettiez, Groß, Kühn und Monnay.

2. Betreffend die Teilnahme von Nichtstimmberechtigten an den Gemeinderatswahlen : Der Bericht des Regierungskommissärs hat festgestellt: a. daß François Coutaz im Hotel Victoria in Vernayaz bis zum 21. November 1904 als Angestellter beschäftigt gewesen, daß er an diesem Datum nach Bois Noir, rière St. Maurice, zu seinen Eltern zurückgekehrt, daß er in Vérossaz heimatberechtigt ist, aber weder auf den Wählerlisten dieser Gemeinde noch denjenigen von St. Maurice steht; b. daß Edouard Gaydon (auch Guédon), Fortwächter in Savatan, laut Erklärung des Syndic von Lavey in den Wählerlisten von Lavey eingetragen ist; daß er dort gestimmt haben muß, und daß seine Frau in Epinassey, rière St. Maurice, wohnt, wo sie ihre eigene, von derjenigen ihrer Eltern getrennte Haushaltung führt.

Da somit diese beiden Personen nicht Bürger von St. Maurice sind und auch keinen Aufenthalt von drei Monaten in dieser Gemeinde aufweisen können, zudem Gaydon Stimmrecht in Lavey, Kanton Waadt, erworben hat, so sind sie in der Tat unrichtigerweise zu den Gemeindewahlen vom 11. Dezember 1904 zugelassen worden.

3. Betreffend den Ausschluß von Stimmfähigen von den Gemeindewahlen: Der Bericht des Regierungskommissärs stellt fest, daß François-Joseph Barman und Felix Barman, beide Dienstboten, von der Wahl ausgeschlossen worden sind, obwohl ihre Mutter, Witwe Basile Barman, die Herdsteuer in St. Maurice bezahlt; daß aber anderseits Louis und Xavier Barman, ebenfalls Dienstboten, stimmen konnten,- weil ihr Vater, obwohl in Massongex heimatberechtigt, die Herdsteuer in St. Maurice bezahlt; diese beiden letztern wohnen außerdem nicht bei ihrem Vater, sondern bei ihrem Dienstherrn.

Die beiden erstgenannten Barman sind demnach ungerechterweise vom Stimmrecht in St. Maurice ausgeschlossen worden, da sie sich in der gleichen rechtlichen Lage befinden wie andere Bürger, die zur Wahl zugelassen worden sind. Würde man sie nicht zulassen, so müßte man auch diesen ändern die Teilnahme an den Wahlen untersagen.

Aus dem vorstehenden geht hervor, daß das Wahlergebnis in folgender Weise korrigiert werden muß :

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Stimmende zuzuzählen die beiden Barman, die unrichtigerweise ausgeschlossen worden sind

344 2

Summe 346 abzuziehen die Stimmen von Coutaz und Gaydon . . .

2 verbleiben Absolutes Mehr

344 173

Nun ist den Kandidaten de Werra, Georges Barman, Mettiez, Groß, Kühn und Monnay gemäß den vorstehenden Ausführungen betreffend die Anrechnung des doppelten Wahlzettels eine Stimme abzuziehen und allen als gewählt erklärten Kandidaten die ungesetzliche Stimmabgabe des Coutaz und Gaydon. Die auf die als gewählt erklärten Kandidaten gefallenen Wahlstimmen reduzieren sich damit auf folgende Zahlen : Kühn 339 -- l -- 2 = 336 Monnay . . . . 317 -- l -- 2 = 314 de Werra . . . . 316 -- l -- 2 = 313 Mottiez 295 -- l -- 2 = 292 Groß 285 -- l -- 2 = 282 de Stockalper . . 181 -- 2 = 179 Péllissier . . . . 177 -- 2 = 175 Barman . . . . 175 -- l -- 2 = 172 de Cocatrix . . . 174 -- 2 = 172 Die beiden Kandidaten Barman und de Cocatrix haben somit das absolute Mehr nicht erhalten.

Es hätten demnach im zweiten Wahlgang vier Gemeinderäte gewählt werden sollen. Da dieser Wahlgang sich nur auf zwei Kandidaten erstreckt hat, so ist er nichtig. Denn für einen Wahlgang sind andere Gesichtspunkte maßgebend, je nachdem es sich um eine größere Zahl von Kandidaten handelt oder ob nur ein oder zwei Namen in Frage stehen, da das Volk, wo die Wahl einer administrativen Behörde in Frage kommt, darauf halten könnte, in dieser Behörde die Vertreter verschiedener Interessen, verschiedener Berufe, verschiedener Quartiere zu sehen und da seine Wahl verschieden ausfallen wird, je nach dem vorangegangenen Wahlresultat.

Die Kassierung des zweiten Wahlganges, der sich nur auf zwei Kandidaten anstatt auf vier erstreckt hat, zieht die Folge nach sich, daß auch die Wahl des Gemeindepräsidenten und Vizepräsidenten , die nach dem zweiten Wahlgange vorgenommen worden ist, kassiert werden muß, denn diese Wahlen können

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erst stattfinden, wenn einmal der Gemeinderat ordnungsgemäß und vollzählig gewählt ist.

Demnach wird beschlossen: ' 1. Die Wahl der Bürger Henri de Bons, Emile Arlettaz, Georges Barman und Eugène de Cocatrix zu Gemeinderäten von St. Maurice wird kassiert.

2. Gleichermaßen wird die Wahl des Henri de Bons als Präsident und diejenige des Joseph Mottiez als Vizepräsident der Gemeinde kassiert.

3. Die Gemeindebehörden von St. Maurice haben die Wahl von vier Gemeinderäten und nach deren Vornahme die Wahl eines Gemeindepräsidenten und Gemeindevizepräsidenten anzuordnen.

m.

Mit Eingaben vom 27. März und 5. Mai 1905 haben François Groß, Georges Barman, Emile Arlettaz, Joseph Mottiez und Henri de Bons eine staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat gerichtet, in welcher sie die Aufhebung des Beschlusses des Staatsrates des Kantons Wallis vom 18. März 1905 und die Validation der Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 verlangen. Sie begründen dieses Begehren mit folgenden Anbringen : 1. Der Staatsratsentscheid vom 18. März 1905 hat als Stimmende gezählt Felix und François Barman, weil diese Bürger angeblich unrichtigerweise vom Stimmrecht ausgeschlossen worden seien. Die beiden Bürger waren nicht auf die Wählerlisten eingetragen worden. Art. 30 des Wahlgesetzes bestimmt aber über die nachträgliche Eintragung folgendes : ,,Art. 30. Die Munizipalitäten sind gehalten, die Namen aller in den Gemeinden stimmberechtigten Bürger amtshalber in das Matrikelregister einzutragen.

Sechs Wochen vor den Wahlverhandlungen haben sie das Namensverzeichnis der zur Zeit der Wahlvornahme stimmfähigen Bürger veröffentlichen und anschlagen zu lassen und ein Doppel davon bei dem Gemeindesekretariate zu hinterlegen. Dieses Verzeichnis ist nach alphabetischer Ordnung auszufertigen, und es soll von Amts wegen bei jeder Abstimmung und jeder Wahl rektifiziert und vervollständigt werden.

In den acht auf die Kundmachung folgenden Tagen sollen die Einsprachen gegen dieses Verzeichnis, unter Strafe nicht mehr angehört zu werden, der Munizipalität eingereicht werden.

22 Nach Ablauf dieser Frist kann das Verzeichnis nicht mehr abgeändert werden, außer in Fällen offenbarer vom Munizipalrat selbst begangener Irrtümer bezüglich der Bürger, gegen welche Einsprache ist erhoben worden.

Ein Verzeichnis aller rechtzeitig eingereichten Einsprachen soll in acht Tagen nach Verlauf oben anberaumter Frist veröffentlicht und angeschlagen werden.

Allfällige Gegeneinsprachen sollen bei der Munizipalität eingereicht werden.

Innerhalb acht Tagen spricht sich die Munizipalität über den Wert dieser Einsprachen aus und gibt innerhalb der gleichen Frist den Einsprechern Kenntnis hiervon."

Dazu kommt noch, daß Art. 31 den Rekurs an den Staatsrat vorbehält. Aus allen diesen Gesetzesbestimmungen folgt, daß, wenn die beiden Barman sich in ihrem Stimmrecht beeinträchtigt fühlten, ihnen der Weg zur Erlangung des Stimmrechtes offen stand; sie haben sich aber, wie aus einer den Akten beigelegten Erklärung des Wahlbureaus folgt, an keine der in Art. 30 des Gesetzes genannten Behörden mit irgend einem Gesuch gewandt; sie haben daher ihr Stimmrecht nach der ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes verwirkt. Eine Ausnahme besteht nur im Falle ,,offenbarer Irrtümer" ; aber eine Rektifikation der Wahllisten kann auch in diesem Falle nur eintreten, wenn der Irrtum g e l t e n d g e m a c h t worden ist. Da nun aber, wie gesagt, die beiden Barman keinerlei Schritte zur Geltendmachung ihres angeblichen Stimmrechtes getan haben, so können diese beiden Bürger, wenn man ihr Stimmrecht überhaupt anerkennen will, höchstens jenen gleichgestellt werden, die freiwillig von ihrem Stimmrecht nicht Gebrauch gemacht haben.

2. Der Staatsrat hat ferner zu Unrecht behauptet, daß Coutaz und Gaydon unrichtigerweise zu den Gemeindewahlen von St. Maurice zugelassen worden seien.

a. Coutaz hat jederzeit in Bois Noir bei seinen Eltern gewohnt und sein Domizil daselbst nie verloren. Der Eigentümer des Hotels Viktoria hat mit Erklärung vom 30. März 1905 ausgesagt, daß er Coutaz nur vorübergehend angestellt gehabt habe und nur während eines Teiles der Saison 1904 ; ferner daß Coutaz während dieser Zeit einige Male für ein paar Tage zu seinen Eltern nach Bois Noir gegangen sei. Die Gemeinde Salvan hat auch am 30. März 1905 eine Erklärung des Inhaltes abgegeben, daß Coutaz an keiner der letzten Wahlen teilgenommen habe. Da Coutaz also Stimmrecht in Salvan nicht erworben hat und von St. Maurice

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nur provisorisch und vorübergehend fortging, so hat er das Stimmrecht in St. Maurice behalten. Da er am 11. Dezember 1904 definitiv nach St. Maurice zurückgekehrt war, so hatte er daselbst auch Stimmrecht für die Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904.

ö. Was Gaydon anbelangt, so hat der Bericht des Regierungskommissärs festgestellt, daß seine Frau und Kinder in Epinassey, rière St. Maurice, wohnen. Hier hat er also seine Heimstätte. Daß er Fortwächter ist, bewirkt kein Domizil am Dienstort und schließt St. Maurice als Domizil keineswegse aus. Wenn er in Lavey als stimmfähig eingetragen worden ist, so geschah dies zu Unrecht und gegen sein Wissen; er erklärt auch, daß er in Lavey nie gestimmt habe.

3. Aus allem dem folgt, daß die Wahl des Georges Barman und des de Cocatrix validiert werden muß. Ebenso ist der zweite Wahlgang, wo nach relativem Mehr abgestimmt worden ist, ohne gesetzlichen Grund und "aus reiner Willkür annulliert worden.

4. Endlich rekurrieren die Beschwerdeführer noch gegen die Verfügung des Staatsrates vom 30. Dezember 1904, in welcher der bisherige Gemeinderat zur provisorischen Führung der Gemeindegeschäfte verhalten wird. Die Gemeinderäte, deren Wahl der Staatsrat nicht aufgehoben hat, sind bisher an der Ausübung der Amtsgeschäfte gehindert worden und die Rekurrenten verlangen deren sofortige Einsetzung ins Amt. Auch bitten sie den Bundesrat, da unter den gegenwärtigen Umständen die Regierung von Wallis den Prozeß hinausziehen wird, um möglichste Beschleunigung seiner Entscheidung, sowie darum, daß der Entscheid über die vorliegende Beschwerde als sofort vollziehbar erklärt wird.

IV.

Der Staatsrat des Kantons Wallis hat mit Zuschrift vom 30. Mai/3. Juni 1905 die Abweisung der Beschwerde beantragt und hierzu ausgeführt: Die Beschwerdeführer beklagen sich über drei Punkte des Staatsratsbeschlusses vom 18. März 1905, erstens, daß der Staatsrat zwei Bürger namens Barman unrichtiger Weise vom Stimmrecht ausgeschlossen erklärt hat; zweitens, daß der Staatsrat erklärt hat, zwei andere Bürger, Coutaz und Gaydon, hätten ungesetzlieherweise an der Wahl teilgenommen; drittens, weil der Staatsrat den zweiten Wahlgang aus dem Grund annulliert hat, weil er sich nicht auf vier, sondern bloß auf die Wahl von zwei Bürgern erstreckte.

24 Die Kompetenz der Bundesinstanz zur Überprüfung von Wahlrekursen geht dahin, daß diese Rekurse auf Grund der Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechtes und des Bundesrechtes geprüft werden. Um also die Kompetenz des Bundesrates zu begründen, müßte eine falsche Anwendung der kantonalen Verfassung oder eine Willkürhandlung der Regierung vorliegen. Nun hat aber der Staatsrat das kantonale Wahlgesetz nur in der Weise angewendet, wie er es bisher immer getan. Auch haben die Beschwerdeführer keine Verfassungsbestimmung angerufen, sondern sich auf die Behauptung beschränkt, daß die Entscheidung de» Staatsrates nicht richtig sei. Es ist daher in erster Linie zu sagen, daß der Bundesrat zur Entscheidung der Beschwerde nicht zuständig ist, und auf die Prüfung derselben nicht eintreten kann.

Sodann fragt es sich, ob der Ausschluß der beiden Barman von der Wahl gerechtfertigt war oder nicht. Diese beiden Bürger sind Dienstboten. Die Praxis des Staatsrates geht dahin, daß dia Dienstboten nur dann an ihrem Dienstorte stimmen können, wenn sie daselbst als niedergelassen betrachtet werden können. Die Frage, ob der Dienstbote seine Steuern am Dienstorte zahlt, ist zur Bestimmung des Wohnsitzes sicherlich ein wichtiges Kriterium.

Nun besitzen die beiden in Frage stehenden Barman noch ihre Mutter, die in St. Maurice lebt, dort ihre Steuern zahlt und ihre Haushaltung führt. Man muß daher sagen, daß auch die beiden Barman dort ihre Hauptniederlassung haben, daß ihr Domizil in St. Maurice ist, und daß sie daher dort und nicht in ihrem Heimatort ihr Stimmrecht ausüben müssen.

Nun behaupten die heutigen Rekurrenten, diese beiden Bürger seien mit Recht vom Stimmrecht ausgeschlossen worden, weil sie keine Schritte zu ihrer Eintragung in die Wählerlisten getan hätten, und berufen sich hierfür auf den Text des Art. 30 dea Walliser Wahlgesetzes. Der Staatsrat hat aber dieses Gesetz nie so hart und drakonisch ausgelegt. Tatsächlich hat der Umstand, daß ein Bürger nicht auf den Wählerlisten aufgetragen war, noch nie einen Walliserbürger seines Stimmrechtes beraubt, ebenso, wie umgekehrt jemand in den Listen eingetragen sein kann, und trotzdem zu einer Wahl nicht zugelassen wird. Diese weitherzige Interpretation ist übrigens dem Staatsrat vorgeschrieben durch das Gesetz selbst, das erlaubt, daß Irrtümer berichtigt werden
können -y diese Irrtümer können aber nicht nur im Augenblick der Abstimmung berichtigt werden, sondern eventuell noch während der ganzen Frist, die nach dem Gesetze für die Anfechtung der Gültigkeit einer Wahl gegeben ist.

Coutaz und Gajdon sind zu der Abstimmung zugelassen worden, während sie keine Stimmfähigkeit in St. Maurice besitzen.

25 Kraft der Bestimmung des Wahlgesetzes kann ein Bürger an einem ändern Orte als in seinem Heimatorte erst nach einer Niederlassung von drei Monaten stimmen. Nun ist Coutaz in St. Maurice nicht heimatberechtigt und es wird nicht bestritten, daß er erst am 21. November 1904 nach St. Maurice gekommen ist. Da er alsodie dreimonatliche Niederlassung nicht besaß, so war er auch nicht stimmberechtigt. Gaydon ist Fortwächter von Savatan ; wenn er sein politisches Domizil in St. Maurice behalten wollte, so hätte er wenigstens ein dahingehendes Gesuch stellen sollen und seine Streichung von den Wählerlisten von Lavey erwirken müssen. In den Augen der Behörde von Lavey hatte er jedenfalls das Recht, dort zu stimmen, ob er nun von diesem Rechte Gebrauch gemacht hat oder nicht. Und da niemand an zwei Orten zugleich stimmen darf, so kann er nicht behaupten, daß er sein Stimmrecht auch in St. Maurice behalten habe. Coutaz und Gaydon haben also zu Unrecht an der Wahl vom 11. Dezember 1904 in St. Maurice teilgenommen.

Damit ist die Verfügung des Staatsrates vom 18. März 1905T wonach die Wahl des Georges Barman und des de Cocatrix annulliert und ein neuer zweiter Wahlgang verfügt worden ist, gerechtfertigt.

Gegenüber der am Schlüsse der Beschwerde angebrachten Bemerkung der Rekurrenten, der Bundesrat möge seine Entscheidung als sofort vollziehbar erklären, ist zu bemerken, daß die kantonale Regierung kraft ihrer Souveräaetät und kraft Art. 65 des Wahlgesetzes bestimmt, welche Behörden während eines Rechtsstreites zu funktionieren haben. Das Begehren der Rekurrenten ist daher unbegründet.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Der Staatsrat des Kantons Wallis hat durch Beschluß vom 18. März 1905 die Gemeinderatswahlen von St. Maurice vom 11. Dezember 1904 zum Teil als ungültig erklärt und die Vornahme von Neuwahlen angeordnet. Die Kekurrenten bezeichnen diese Maßregeln als ohne gesetzliche Grundlage und aus reiner Willkür erlassen, und verlangen die Aufrechterhaltung der am 11. Dezember 1904 getroffenen Wahlen und die Aufhebung des Staatsratsentscheides vom 18. März 1905.

2. Von den einzelnen Beschwerdegründen, welche die Rekurrenten formuliert haben, ist der erste der, daß der Staatsrat zu

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der Zahl der 344 Bürger, die laut Wahlprotokoll an den Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 teilgenommen haben, noch François-Joseph und Felix Barman als Stimmende hinzugerechnet hat, obwohl feststehe, daß die beiden Barman weder tatsächlich an der Wahl teilgenommen, noch überhaupt ein Gesuch um Teilnahme an der Wahl gestellt haben.

3. Der Staatsrat hat zuerst im allgemeinen die Zuständigkeit des Bundesrates bestritten, weil der Bundesrat laut Art. 189 des Organisationsgesetzes nur über die Verletzung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht urteilen könne, die Rekurrenten aber die Entscheidung vom 18. März 1905 bloß als unrichtig bezeichnen, und in dieser Entscheidung weder eine willkürliche Anwendung der kantonalen Verfassung noch ein Willkürakt der Regierung vorliege.

4. Die Kompetenzeinrede der Regierung ist zurückzuweisen.

Der Bundesrat bat in konstanter Praxis daran festgehalten, daß auf Grundlage des Art. 189 des Organisationsgesetzes alle Bürger, die an einer Wahl teilgenommen, ein Recht darauf besitzen, daß das Resultat der Wahlverhandlung nicht willkürlich aufgehoben werde (Bundesratsbeschluß in Sachen Paul Kennet und Genossen vom 6. Januar 1898, Bundesbl. 1898, I, 45 ff. und dortige Verweisungen). Insoweit dieser aus Art. 4 der Bundesverfassung abgeleitete bundesrechtliche Anspruch des Bürgers erhoben wird, ist daher auch der Bundesrat zur Prüfung einer Beschwerde kompetent.

Da nun die heutigen Rekurrenten die Aufhebung der Gemeinderatswahlen vom 11. Dezember 1904 als einen Akt der Willkür seitens der Regierung bezeichnet haben, so ist der Bundesrat zur Überprüfung der Beschwerdepunkte kompetent, mit welchen diese Behauptung seitens der Rekurrenten begründet wird.

5. Wenn man den ersten Beschwerdepunkt der heutigen Rekurrenten daraufhin untersucht, ob durch denselben der Vorwurf einer Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung begründet wird, so ergibt sich folgendes: a. Der Staatsrat hat in seinem Entscheide vom 18. März 1905 sowohl wie in seiner Rekursvernehmlassung in dem Tatbestande der Nichteintragung der beiden Barman einen ,,Ausschluß" Stimmberechtigter von der Wahlverhandlung erblickt; ein Blick auf die Modifikationen, die der Staatsrat auf Grund seines Entscheides vom 18. März 1905 an dem Wahlresultat des 11. Dezembers 1904 vorgenommen hat, zeigt, daß der Staatsrat die Tatsache der Nichteintragung der Bannau als für die Wahlen entscheidend betrachtet

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·und zu einem der zur Aufhebung führenden Kassationsgrunde gemacht hat.

In seiner Beschwerdevernehmlassung hat nun der Staatsrat .zuerst nachzuweisen versucht, aus welchem Grunde François-Joseph und Félix Barman in St. Maurice als stimmberechtigt anzusehen seien, und sodann erklärt, daß Art. 30 des Walliser Wahlgesetzes ihm vorschreibe, nicht nur alle in den Wählerlisten eingetragenen Bürger zu den Wahlen zuzulassen, sondern auch alle jene zuzulassen, die aus Irrtum von der Wählerliste weggelassen worden -seien, und dies während der ganzen Frist, die nach dem Gesetze für die Anfechtung der Gültigkeit einer Wahl gegeben sei.

Aber die heutigen Rekurrenten haben das Stimm- und Wahlrecht der beiden Barman überhaupt nicht in Frage gestellt und ebensowenig handelt es sich um die Feststellung, ob und wie nach der Veröffentlichung der Wählerlisten noch nachträgliche Berichtigungen an denselben durch die Behörden von sich aus vorgenommen werden können. Die Frage, die die Rekurrenten stellen, ist vielmehr die, ob der Umstand, daß nach geschehener Wahl das Fehlen von stimmfähigen Bürgern auf den Wählerlisten entdeckt wird, die Behörden zur Kassation getroffener Wahlen wegen Ausschlusses von Stimmfähigen berechtigt, trotzdem die betreffenden Bürger keine Schritte zur Zulassung oder Teilnahme an der Wahl -getan haben.

Diese Frage ist zu verneinen.

Schon die Rekurrenten haben darauf hingewiesen, daß die Unterlassung jeglicher Schritte zur Eintragung auf die Wählerliste .und zur Ausübung des Stimmrechtes durch die beiden Barman dem Verhalten derjenigen Stimmfähigen gleichzuhalten sei, die .zwar eingetragen sind, aber von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch machen. In der Tat kann derjenige sich nicht über Ausschluß von einem Rechte beklagen, der in einem Falle, wo das Gesetz sein Gesuch um Zulassung ausdrücklich als Voraussetzung ·der Rechtsausübung bezeichnet, ein solches Gesuch zu stellen unterläßt. Angesichts der Bestimmung des Art. 30 des Walliser Wahlgesetzes, daß der auf den Wählerlisten nicht eingetragene 'Bürger ,,sous peine de forclusion'-1 um seine Eintragung nachzusuchen habe, kann also von einem ,,Ausschluß11 der beiden Barman nicht die Rede sein. Hierzu kommt aber noch, daß nach der Erklärung des Staatsrates in der Beschwerdevernehmlassung vom 30. Mai / 3. Juni 1905 angenommen werden muß, daß die
beiden Barman nicht hätten zurückgewiesen werden können, wenn sie trotz ihrer Nichteintragung auf die Wählerlisten, trotz der Unterlassung aller rechtlichen Schritte zur Nachholung ihrer Eintragung und trotz der Ver-

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säumung der Fristen des Art. 30 des Wahlgesetzes sich tatsächlich am Abstimmungstage als Wähler präsentiert hätten. Auch ist der Rekurs an den Staatsrat, der zur teilweisen Kassation des Wahlergebnisses führte, nicht von den beiden Barman, sondern von einem ändern Bürger geführt worden. Es fehlt also der Annahme, daß die beiden Barman von der Abstimmung ausgeschlossen worden wären, jegliche Grundlage; die Annahme eines solchen Ausschlusses ist eine rein willkürliche.

o. Kann in der Nichtauftragung der beiden Barman kein Ausschluß vom Stimmrecht erblickt werden, so bliebe noch die Frage zu prüfen, ob nicht schon eben der rein formelle Mangel der unterlassenen Eintragung als Kassationsgrund zugelassen werden müßte.

Diese Frage muß aber verneint werden. Denn ihre Bejahung würde das Bestehen eines Rechtssatzes voraussetzen, wonach es zur Gültigkeit einer Wahlverhaodlung gehörea würde, daß das Verzeichnis der Stimmberechtigten absolut vollständig wäre. Jede Unvollständigkeit würde eine Kassation der Wahlverhandlung zur Folge haben.

Der Staatsrat des Kantons Wallis hat aber weder aus Verfassung noch aus Gesetz einen solchen Rechtssatz nachweisen können. Im Gegenteil steht die Walliser Gesetzgebung, indem sie dem einzelnen Stimmberechtigten das Recht der Beschwerde wegen Nichtauftragung auf das Stimmregister einräumt, auf dem Boden, daß sie nicht eine kaum mit Sicherheit zu erreichende absolute Vollständigkeit der Stimmregister voraussetzt. Durch das Verlangen nach einer solchen Vollständigkeit würde übrigens die.

Gültigkeit von Wahlen fast in jedem Falle in Frage gestellt werden können und damit die Ausübung der politischen Rechte der Bürger in einer weitgehenden Weise erschwert. Eine solche Erschwerung muß aber unter allen Umständen dann als ein willkürlicher und deshalb bundesrechtlich unzulässiger Eingriff in die Rechte der Bürger betrachtet werden, wenn dafür weder im Gesetz, noch in der Verfassung eine Handhabe geboten ist.

6. Die Gutheißung des ersten Beschwerdegrundes der Rekurrenten ergibt folgende Korrektur gegenüber dem angefochtenen Staatsratsentscbeid vom 18. März 1905: Die Zahl der Stimmenden beträgt gemäß dem von keiner Seite angefochtenen Wahlprotokoll 344. Die beiden Barman dürfen nicht als Stimmende in Berücksichtigung gezogen werden, während, unter Vorbehalt der Prüfung des zweiten Beschwerdepunktes der Rekurrenten, nach der Aufstellung des Staatsrates in Abzug kommen,

29 ·die Stimmen der von der Regierung als nicht stimmberechtigt bezeichneten Coutaz und Gaydon. Es verbleiben somit 342 gültig abgegebene Stimmen und ein absolutes Mehr von 172 Stimmen.

Nun hat der Staatsrat von den auf die einzelnen Kandidaten laut Wahlprotokoll gefallenen Stimmen Abzüge gemacht erstens wegen doppelter Berechnung eines Wahlzettels und sodann wegen der Zulassung des Coutaz und Gaydon, womit er auf folgende Stimmenzahlen kommt : Kühn <· . . .

336 Monnay 314 de Werra 313 Mettiez '292 Groß 282 de Stockalper 179 Pélissier 175 Barman, Georges 172 de Cocatrix 172 Gemäß dieser Aufstellung haben die sämtlichen am 11. Dezember 1904 als gewählt erklärten Kandidaten das absolute Mehr von 172 Stimmen erreicht und sind gültig gewählt.

7. Unter diesen Umständen braucht der Bundesrat auf eine Prüfung der Frage, ob der Staatsrat des Kantons Wallis den Bürgern Coutaz und Gaydon das Stimmrecht bei den Wahlen vom 11. Dezember 1904 in St. Maurice mit Recht oder mit Unrecht abgesprochen hat, nicht einzutreten, denn auch die Gutheißung dieses Beschwerdegrundes vermöchte an dem Bndresultat der Wahlen nichts mehr zu ändern ; in dem für die Rekurrenten günstigsten Falle könnte das Resultat vielmehr nur das sein, daß die Zahl der stimmenden Bürger auf 344 und das absolute Mehr auf 173 Stimmen angesetzt werden müßte und daß jedem der Gewählten zwei Stimmen zugezählt werden müßten.

8. Mit der Anerkennung der am 11. Dezember 1904 getroffenen Wahlen durch den Bundesrat ist aber auch der vom Staatsrat gegen den zweiten Wahlgang erhobene Kassationsgrund dahin gefallen ; denn der Staatsrat hat den zweiten Wahlgang ausschließlich aus dem Grunde aufgehoben, weil er sich nach seiner Auffassung auf vier Kandidaten hätte erstrecken sollen, während nach den obigen Ausführungen des Bundesrates bloß zwei Kandidaten gewählt werden mußten, wie dies in der Tat geschehen ist. Dieser zweite Wahlgang ist also als gültig anzusehen. Ebenso die am gleichen Tage vorgenommenen Wahlen eines Gemeindepräsidenten und Gemeindevizepräsidenten.

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9. Was endlich das Begehren der Rekurrenten betrifft, der Bundesrat möge seine Entscheidung als sofort vollziehbar erklären und die als gewählt Erklärten sofort in ihr Amt als Gemeindebehörde einsetzen, so ist zu bemerken, daß gemäß Art. 196 des Organisationsgesetzes, Absatz 2, allerdings dem Bundesrat das Recht zusteht, Entscheidungen, die ihrer Natur nach keine Aufschiebung des Vollzugs gestatten, als sofort vollziehbar zu erklären.

Da aber die Rekurrenten ihr Rechtsbegehren um sofortige Vollziehbarkeit nach dieser Richtung nicht begründet haben, auch aus den Akten ein Dringlichkeitsgrund, der die Maßregel rechtfertigen könnte, nicht zu ersehen ist, so ist das Begehren abzuweisen. Für die Zeit des Fristenlaufes zur Weiterziehung dieses Beschlusses an die Bundesversammlung ist der Zustand aufrecht zu erhalten, welcher durch die Verfügung des Staatsrates vom 30. Dezember 1904 geschaffen worden ist.

Immerhin ist in dieser letztern Hinsicht gegenüber der Einrede des Walliser Staatsrates, daß die kantonale Regierung kraft Art. 65 des Wahlgesetzes in souveräner Weise bestimme, welche Behörden pendente lite zu funktionieren hätten, festzustellen, daß dieses Recht der Regierung nur so weit geht, als ein Streit vor kantonalen Behörden in Frage kommt, daß aber die Bundesbehörden ausschließlich die Verfügungen treffen, die sich auf die Wahrung des Zustandes während des vor ihnen anhängig gemachten Rechtsstreites beziehen (Art. 191 des Organisationsgesetzes).

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird gutgeheißen, und der Beschluß des Staatsrates des Kantons Wallis vom 18. März 1905 wird aufgehoben.

Dagegen wird das Gesuch um sofortige Vollziehbarkeit des Entscheides des Bundesrates abgewiesen.

B e r n , den 15. August 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der Bundespräsident:

Kuchet.

Der II. Vizekanzler: Gtigandet.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde von François Groß und Genossen betreffend die Gemeinderatswahlen von St. Maurice vom 11. Dezember 1904. (Vom 15. August 1905.)

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