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Bundesr atsb eschluß über

die Beschwerde des Th. Liebert in Emmishofen, Kanton Thurgau, wegen Verweigerung einer Bewilligung zum Betriebe einer Privatkrankenanstalt.

(Vom 3. März 1905.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des Th. L i e b e r t in Emmishofen, Kantern Thurgau, wegen Verweigerung einer Bewilligung zum Betriebe einer Privatkrankenanstalt, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

lln tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 26. November 1904 hat Th. Liebert in Emmishofen, Kanton Thurgau, die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Beschluß des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 28. Oktober 1904 erhoben, in welchem die Regierung die Erteilung eiaer Bewilligung an den Petenten zum Betriebe einer Privatkrankenanstalt in Emmishofen verweigert hat.

In dieser Eingabe wird folgendes ausgeführt :

762 Th. Liebert hat mit Eingabe vom 11. August 1904 dem thurgauischen Sanitätsdepartement, und selben Tages auch dem Physikate Kreuzungen mitgeteilt, daß er in seiner Liegenschaft zur ,,Seeschau" bei Emmishofen eine Kuranstalt und Erholungsheim nach physikalisch-diätetischem Heilverfahren unter der ärztlichen Leitung von Herrn Dr. med. Brauchli eröffnet habe. Der thurgauische Regierungsrat hat darauf unterm 9. September beschlossen, dem Petenten sei die Aufnahme von Kranken jeder Art untersagt.

Die Räumlichkeiten der günstig gelegenen Liegenschaft zur ,,Seeschau" seien zwar zur Beherbergung chronisch Kranker geeignet, so daß die Aufnahme Pflegebedürftiger bis auf die Zahl von 15 oder höchstens 18 bewilligt werden könnte. Dennoch sei die Bewilligung zu verweigern, da der Verordnung betreffend die Privatkrankenanstalten vom 10. Mai 1895 nur formell genügt werde.

Die Anstellung des Dr. med. Brauchli als ärztlicher Leiter der Anstalt sei nur der Form halber erfolgt, in Wahrheit aber gedächten Liebert und seine Frau diese Leitung zu führen nach dem sogenannten Naturheilverfahren, als dessen Anhänger sie bis anhin in Deutschland praktiziert hatten.

Herr Dr. Brauehli war allerdings für das physikalisch-diätetische Heilverfahren nicht besonders vorgebildet und hätte sich dessen vollständige Beherrschung erst allmählich aneignen müssen.

Herr Liebert dachte sich nun, der Kegierungsrat würde seine Bedenken fallen lassen, wenn er einen gerade in diesem Zweige der medizinischen Wissenschaft vollständig bewanderten Arzt anstelle; er fand einen solchen in der Person von Frl. Dr. G. Purtscherr approbierte Schweizerärztin, damals noch angestellt im Sanatorium Oberwaid bei St. Gallen. Sie wollte neben ihrer dortigen Praxis wöchentlich mehrmals die Anstalt besuchen, erklärte sich bereit, auf telephonischen Anruf sofort zu kommen und nötigenfalls auch über Nacht in der Anstalt zu bleiben.

Unter diesen Umständen hat Herr Liebert sein Konzessionsgesuch beim Regierungsrat den 16. September erneuert. Doch wurde er auch diesmal, mit Entscheid vom 17. September abgewiesen und zwar mit der Begründung, es sei auch jetzt noch anzunehmen, die Anstellung eines ärztlichen Leiters sei nur pro forma geschehen; es bestehe nach wie vor die Vermutung, Petent und seine Ehefrau wurden selbst die ärztliche Leitung übernehmen wollen.
Nach diesem Entscheide beschloß Herr Liebert, um alles zu tun, was geeignet sein könnte, jenen Verdacht zu zerstreuen,.

Frl. Dr. Purtscher als ständigen in der Anstalt wohnenden Arzt anzustellen. Nachdem dies geschehen, wandte er sich durch uns

763 neuerdings an den Regierungsrat mit Eingabe vom 17. Oktober 1904. Daraufhin erfolgte unterm 28. Oktober der Entscheid, gegen welchen die heutige Zuschrift sich richtet.

Die Begründung lautet im Wesentlichen : ,,Es mag wohl ,,momentan das Bestreben der Eheleute Liebert sein, sich mit dem ,,Verbot der Ausübung ärztlicher Praxis möglichst zu arrangieren; ,,allein ihre bisherige Tätigkeit, namentlich auch der Prospekt der ,,früher von ihnen in Konstanz betriebenen Anstalt und der urspi'üng,,liche Vertrag mit Dr. Braüchli lassen ihre Versprechungen, sich ,,selbst nicht mehr als Naturheilkundige in ihrer Anstalt selb,,ständig zu betätigen, sondern sich der von ihnen angestellten ,,Ärztin unterzuordnen, als unnatürlich und daher unzuverläßig ,,erscheinen."

Mit dieser Argumentation hat der Regierungsrat eine schlecht verhehlte Frontveränderung vorgenommen; denn während er früher sich auf den Standpunkt stellte, der Petent erfülle gegenwärtig die Voraussetzungen der Verordnung betreffend die Privatkrankenanstalten vom 10. Mai 1895 nicht, sieht er sich wenigstens jetzt zu dem Zugeständnisse veranlaßt, diese Frage offen zu lassen, (also die Hauptfrage zu umgehen) und stellt nun auf einmal darauf ab, es sei unsicher ob die jetzige Unterordnung unter das Gesetz auch in Zukunft andauern werde.

In diesem Entscheide liegt eine schwere Verletzung der bundesverfassungsmässigen Garantie der Handel- und Gewerbefreiheit.

Die Freiheit, das Gewerbe: ,,Betrieb einer Kuranstalt" auszuüben, wird dem Petenten entzogen im Grunde nur darum, weil er möglicherweise in Zukunft sich in Ausübung dieses Gewerbes einer Gesetzesverletzung schuldig machen könnte. Das bedeutet einfach eine prinzipielle Verschliessung des betreffenden Gewerbes für den Petenten und seinesgleichen.

Was will denn noch weiter von dem Peteoten verlangt werden um die durch die Verordnung vom 10. Mai 1895 geforderte ärztliche Leitung der Anstalt herbeizuführen? Genügt die ständige Anwesenheit eines verantwortlichen approbierten Arztes noch nicht für eine Kuranstalt mit allerhöchstens 18 Insassen?

Es geht natürlich nicht an, die Ablehnung eines Konzessionsbegehrens mit Gesetzesübertretungen zu motivieren, die in Zukunft vorkommen könnten. Mit dieser Argumentation könnte der Betrieb beinahe jedes Gewerbes untersagt und damit die Garantie des Art. 31
Bundesverfassung illusorisch gemacht werden. Überaus zahlreich sind ja die Gewerbe, deren Weiterbetrieb untersagt werden kann, falls der Inhaber beim Betrieb des Gewerbes gewisse Normen verletzt; wollte man nun die Möglichkeit, daß sie ver-

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letzt werden könnten, an Stelle des Beweises setzten, so läge es in der Hand der zuständigen Behörden, die Ausübung eines Gewerbes gestützt auf willkürliche Suppositionen zu verhindern oder in unzulässiger Weise zu erschweren. Es würde natürlich der thurgauischen Regierung freistehen, später zu kontrollieren, ob der Besitzer der Kuranstalt noch immer bemüht sei, sich mit dem Gesetz zu ^arrangieren", d. h. sich ihm (ob gern oder ungern spielt keine Rolle) zu unterwerfen, oder ob er später die jetzt vorhandenen Voraussetzungen wieder entfallen lasse; im letztern Falle wäre die Regierung um geeignete Maßnahmen auch nicht in Verlegenheit.

Herr Liebert und seine Frau haben allerdings in Deutschland den Beruf von Naturärzten ausgeübt; es ist aber nicht zulässig, daraus, daß sie dies dort erlaubtermassen taten, so ohne weiteres zu schliessen, sie würden es auch hier Unerlaubtermassen tun wollen.

Der Regierungsrat findet es ,,unnatürlich, und daher unzuverlässig", daß der Petent und seine Frau sich der von ihnen angestellten Ärztin unterordnen sollten. Noch viel unnatürlicher aber, ja geradezu ein psychologisches Rätsel wäre das Gegenteil, wenn nämlich eine akademisch gebildete Dame auf dem Gebiet ihres SpezialStudiums sich von Laien dreinreden Hesse. Die einzige Voraussetzung, unter der solches denkbar wäre, nämlich ökonomische Abhängigkeit, liegt durchaus nicht vor; Frl. Dr. Purtscher verläßt eine ungekündigte durchaus angenehme Stellung, Herr Direktor Wagner vom Sanatorium Oberwaid entläßt sie sogar nur aus Gefälligkeit gegen Herrn Liebert. Überhaupt ist Frl. Dr. Purtscher auf diese Stellung in Emmishofen durchaus nicht angewiesen, diese sagt ihr aber gerade der ihr gewährleisteten absoluten Selbständigkeit wegen zu.

Die Verordnung vom 10. Mai 1895 betreffend die Privatkrankenanstalten fordert ärztliche Leitung gewiß nur zum Schutze der Pfleglinge solcher Anstalten, nicht aber zum Schutze des Ärztestandes vor unangenehmer Konkurrenz.

Wie widerspruchsvoll übrigens die thurgauische Praxis in Anwendung der Verordnung vom 10. Mai 1895 ist und zu welcher ungleichen Behandlung sie führt, mag daraus ersehen werden, daß unter den Augen und mit Genehmigung des Regierungsrates im Eanton Thurgau von einem nicht approbierten Dr. Maag eine Heilanstalt betrieben wird, die, hier nur pro forma, jährlich nur l bis
2 mal von einem approbierten Arzt besucht wird. Hier also wird angenommen, es sei dem Erfordernis der ärztlichen Leitung genügt, wenn aber Herr Liebert in der Anstalt selbst einen

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approbierten Arzt hält, dann soll das eine Umgehung der Verordnung bedeuten. Eine derartige Praxis ist nicht Handhabung des Gesetzes, sondern Willkür.

Aus den erwähnten Gründen ersuchen wir Sie, auf Grund von Art. 31 Bundesverfassung den Beschluß des thurgauischen Regierungsrates vom 28. Oktober 1904 nichtig zu erklären.

II.

Zur Vernehmlassung eingeladen, beantwortete die Regierung des Kantons Thurgau mit Zuschrift vom 16. Dezember 1904 die Beschwerde Lieberts mit folgenden Ausführungen: Der Rekurrent Th. Liebert, mit gewöhnlicher Volksschulbildung ausgerüstet, war ursprünglich Strumpfwirker, besuchte dann Kurse bei dem in Dresden eine Badeanstalt betreibenden Naturheilkundigen, Magnétiseur und Masseur Max Lindner, war darauf in einer Badeanstalt in Eamenz (Sachsen) tätig und eröffnete im Jahre 1898 in Konstanz als ,,Vertreter der arzneilosen Heilweisea ein ,,Naturheilbad," wobei er seine Kurmittel für ,,Lungen-, Herz-, Magen-, Nieren-, Blasenleiden, Unterleibs- und Frauenkrankheiten, Gicht, Rheumatismus, Bleichsucht und Blutartnut, Skrophulose und Nervenkrankheiten aller Arttt empfahl.

Seine Ehefrau empfahl sich 'in einem besonderen Prospekte für die Behandlung von Frauenleiden mit den Anwendungen der gesamten Naturheilkunde. Warum die Anstalt in Konstanz aufgegeben wurde, ist nicht erhoben; immerhin ist Tatsache, daß die dortigen Behörden sich wiederholt mit derselben befaßten.

Ein wegen fahrläßiger Körperverletzung gegen Th. Liebert eingeleitetes Strafverfahren -- er war beschuldigt, durch Massage eines an Blinddarmentzündung leidenden Patienten dessen Krankheit verschlimmert zu haben -- wurde wieder eingestellt. Die Ehefrau Liebert wurde vergangenes Frühjahr vom Statthalteramt Luzern wegen unbefugter Ausübung der ärztlichen Praxis in Strafuntersuchung gezogen. Aus den bezüglichen Akten ergibt sich, daß sie in Gasthöfen ärztliche Konsultationen erteilte und an Frauen äussere und innere Untersuchungen vornahm.

Mit Eingabe vom 11. August d. J. zeigte Th. Liebert an, daß er mit dem 15. August eine ,,Kuranstalt11 und Erholungsheim nach physikalisch-diätetischem Heilverfahren in dem von ihm käuflich erworbenen Herrsehaftssitz zur ,,Seeschau" in Emmishofen eröffnen werde unter ärztlicher Leitung des Herrn Dr. med. A.

Brauchli in Egelshofen. Die hierauf durch das Sanitätsdepartement gemachten Erhebungen ergaben außer den bereits erwähnten per-

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sönlichen Verhältnissen der Eheleute Liebert unter anderm folgendes hinsichtlich des vertraglichen Verhältnisses zwischen Dr. Brauchli und Liebert : Ersterer verpflichtete sich für zwei Jahre, jede Woche mindestens 2 mal je zwei Stunden und auf Verlangen zu jeder Zeit die Anstalt zu besuchen. Die Behandlung hat nach den Grundsätzen des Naturheilverfahrens zu erfolgen. Medikamente, d. h. narkotische Mittel dürfen nur im Einverständnis mit der Anstaltsdirektion erfolgen. Diätetische Verordnungen können nur im Einverständnis mit der Anstaltsdirektion erfolgen. Dem Besitzer steht das Recht zu, regelmäßig eine Kontrolle über die Ausführung der Verordnungen und eventuell selbst auch oder durch seine Gattin Massage, innere Massage oder spezielle Anwendungen vornehmen zu lassen.

Nachdem durch unsere Schlußnahme vom 9. September dem Rekurrenten der Anstaltsbetrieb untersagt worden war, weil keine Gewähr dafür vorliege, daß für die ärztliche Behandlung der Patienten der Arzt und nicht vielmehr der Petent und seine Ehefrau die maßgebenden Anordnungen treffen, stellte Rekurrent.

wie in seiner Rekursschrift ausgeführt ist, das Gesuch, die Anstalt unter der ärztlichen Leitung der Fräulein Dr. med. G. Purtseher betreiben zu dürfen, und es erfolgten unsere abweisenden Schlußnahmen vom 17. September und 28. Oktober.

Im Kanton Thurgau steht die Ausübung des ärztlichen Berufes nur den auf Grund der eidgenössischen Medizinalprüfung diplomierten Ärzten zu. Dementsprechend bestimmt auch § 2 der Verordnung betreffend die Privatkrankenanstalten vom 10. Mai 1895, daß die Bewilligung für den Betrieb einer solchen Anstalt an Bewerber, die nicht Ärzte sind, nur unter der Bedingung erteilt werden solle, daß die ärztliche Besorgung der Kranken einem patentierten, zur Berufsausübung im Kanton berechtigten Arzte übertragen werde.

Die formelle Erfüllung dieser Bestimmung hat nicht notwendig zur Folge, daß die Betriebsbewilligung erteilt werden m u ß ; sie ist vielmehr zu verweigern, wenn trotz formeller Bestellung eines Arztes zur Besorgung der Kranken die Annahme als begründet erseheint, der Anstaltsbetrieb werde zur Umgehung des gesetzlichen Verbotes der Ausübung des ärztlichen Berufes durch Unberechtigte führen. Denn die zitierte Verordnung verlangt in erster Linie, daß die nötigen Garantien für einen richtigen Anstaltsbetrieb
geboten seien (§ l, lit. b der Verordnung), und ein mit dem Gesetze in Konflikt geratener Betrieb wäre jedenfalls kein richtiger. Das gesetzliche Verbot des Arztnens durch Unberechtigte geht überhaupt der Verordnung voran, und es ist eine

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geradezu selbstverständliche Voraussetzung der Betriebsbewilligung für eine Privatkrankenanstalt, daß die Verhältnisse nicht zum vornherein eine Umgehung des gesetzlichen Verbotes erwarten lassen.

Die persönlichen Verhältnisse der Eheleute Liebert sind offenbar derartige, daß die Annahme, sie werden den Anstaltsbetrieb zur Umgehung des Verbotes ärztlicher Berufsausübung benutzen, begründet ist. Hierfür spricht vor allem die Tatsache, daß sie sich als Vertreter der arzneilosen Heilweise bekennen; denn als Vertreter der arzneilosen Heilweise massen sie sich die Befähigung an, ebensogut oder besser, auf Grund natürlicher Veranlagung, die Heilung von Krankheiten bewirken zu können, als die durch medizinisches Studium herangebildeten Ärzte. Die sogenanaten Naturärzte sind zum vornherein Anhänger der Freigebung der ärztlichen Praxis ; es ist daher einleuchtend, daß sie als ,,Besitzer und technische Leiter" (siehe Eingabe vom 11. August) einer Krankenanstalt zum vornherein versucht sind, sich über das Verbot der ärztlichen Bef'ugsausübung hinwegzusetzen und dasselbe als eine ungerechtfertigte Einschränkung empfinden. Wir halten dat'ür, daß der grundsätzliche Ausschluß der sogenannten Naturärzte von der Berechtigung zum Betriebe einer Krankenanstalt als berechtigt erscheinen müßte.

Seitens der Eheleute Liebert hat aber bereits eine solche Betätigung als Naturärzte stattgefunden, daß nicht daran zu zweifeln ist, es werde von ihnen der Betrieb einer Krankenanstalt als Mittel zu weiterer Berufsausübung (als Naturärzte) beabsichtigt. Hierfür spricht der Prospekt, den sie für ihre Anstalt in Konstanz aufgestellt haben, und es liegt die Annahme nahe, daß sie trotz der hinsichtlich der Freigebung der ärztlichen Praxis den Naturärzten günstigeren Gesetzgebung des deutschen Reiches hoffen, im Kanton Thurgau unter weniger genauer Kontrolle zu stehen und aus diesem Grunde ihre Anstalt nach Emmishofen verlegen wollen.

Hierfür spricht ferner die Tatsache, daß sieh wenigstens die Ehefrau Liebert hat beikommen lassen, auch in solchen schweizerischen Gebieten Kurpfuscherei zu treiben, wo die ärztliche Praxis nicht freigegeben ist. Die Akten des Statthalteramtes Luzern sind geeignet, das Treiben der Ehefrau Liebert in durchaus ungünstigem Lichte, erscheinen zu lassen. Daß für die Bewilligung des Anstaltsbetriebes nicht
nur die Qualitäten des Th. Liebert, sondern auch diejenigen seiner Ehefrau in Betracht fallen, bedarf keiner weitern Erörterung.

Sodann ist aber namentlich der Vertrag mit Dr. Brauchli indizierend. Dieser Vertrag geht geradezu dahin, daß sich Th.

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Liebert für sich und seine Ehefrau die Beaufsichtigung des Arztes und die selbständige Anordnung der Behandlungsweise seiner Kuranteo vorbehält. Wenn man es auch nicht mehr mit der Anstellung des Dr. Brauchli als Anstaltsarzt und mit dem bezüglichen Vertrage zu tun hat, so bleibt nichtsdestoweniger erstellt, daß Th. Liebert bei Eröffnung seiner Anstalt in Emmishofen -- wofür er auch die Bewilligung des Regierungsrates nicht erst abgewartet und sich dadurch eine Buße zugezogen hat -- nicht gewillt war, Hie ärztliche Behandlung seiner Kuranten ausschließlich dem Arzte zu überlassen, und diese Tatsache muß notwendig auch hinsichtlich der Anstellung von Fräulein Dr. Purtscher Mißtrauen erwecken.

Notgedrungen, infolge der abweisenden regiminellen Beschlüsse vom 9. und 17. September hat Rekurrent die Fräulein Dr. Purtscher als ständigen Anstaltsarzt engagiert, um sich bestmöglich mit den gesetzlichen Vorschriften abzufinden, zu arrangieren, wie wir uns in der Schlußnahrne vom 28. Oktober ausgedrückt haben.

Es ist, einleuchtend, daß diese Änderung hinsichtlich der Gewähr für eine richtige Anstaltsleitung im Sinne der Beachtung des Verbotes ärztlicher Berufsausübung seitens der Eheleute Liebert keine bessere Situation herbeigeführt hat, auch wenn der uns nicht genauer bekannte Vertrag mit Fräulein Dr. Purtscher unverfänglich lauten sollte; man darf vielmehr, ohne dieser Ärztin zu nahe zu treten, annehmen, sie werde nicht im Falle sein, die Eheleute Liebert von der Betätigung als Anhänger arzneiloser Heilweise abzuhalten; denn sie tritt in ein Abhängigkeitsverhältnis zu denselben, und ein Widerstand gegen sie hätte wohl einfach die Entlassung und die Anstellung eines willfährigeren Arztes zur Folge.

Von einer Änderung unserer Argumentation in den verschiedenen Schi ussnahmen kann nicht gesprochen werden; sie beruhen sämtliche darauf, daß die Gewähr für richtigen Anstaltsbetrieb im Sinne der für die Ausübung des ärztlichen Berufes bestehenden gesetzlichen Vorschrift mangle. Die letzte Schlußnahme, gegen die sich die Beschwerde ausschließlich richtet, hatte es mit formell sich dem Gesetze möglichst anbequemenden Verhältnissen zu tun ; allein, was vorangegangen war, mußte zu dem Schlüsse führen, daß in Wirklichkeit nicht im geringsten eine bessere Gewähr vorliege.

Hinsichtlich des zum Nachweise willkürlicher
Auslegung des Gesetzes zitierten Falles betreifend Dr. Maag ist zu bemerken, daß in diesem Falle die Verhältnisse gerade umgekehrt liegen; denn in diesem Falle waren die Verhältnisse materiell so, daß ein wissenschaftlich gebildeter, von einer schweizerischen Universität (Zürich) zum Doktor medicinae promovierter Arzt, Herr Dr.

769 Maag sich um die Bewilligung zum Anstaltsbetvieb bewarb, daß aber formell dem Gesetze nicht Genüge geleistet war, weil Herr Dr. Maag, der sich erst im reiferen Alter dem Studium der Medizin widmete und kein Maturitätszeugnis eines Gymnasiums besitzt, die eidgenössische Medizinalprüfung nicht bestanden hat.

Dieser formelle Mangel führte dazu, daß wir ihm nur unter der Bedingung den Anstaltsbetrieb bewilligten, daß er die Anstalt der Aufsicht eines diplomierten Schweizerarztes unterstelle, womit auch der formelle Mangel hinsichtlich der ärztlichen Leitung seiner Anstalt beseitigt sein dürfte. Übrigens wäre dadurch, daLS in einem Falle das Gesetz nicht strikte gehandhabt worden sein sollte, der Nachweis nicht geleistet, daß dem Petenten gegenüber willkürlich verfahren werde; dieser Nachweis müßte vielmehr darin bestehen, daß sich die Abweisung seines Gesuches nicht auf Gesetz und Verordnung, sondern auf Willkür gründe.

Schließlich wird bemerkt, daß Fräulein Dr. Purtscher dem Sanitätsdepartemente weder ihr ärztliches Diplom vorgelegt, noch überhaupt die Bewilligung zur Ausübung der ärztlichen Praxis im Kanton Thurgau nachgesucht hat, so daß auf alle Fälle die Prüfung ihrer Ausweise vorbehalten bleiben müßte.

III.

Auf Verlangen des eidgenössischen Justizdepartements hat der Rekurrent ein eidgenössisches Arzt-Diplom der Frl. Dr. Gisela Purtscher, datiert vom 17. Juli 1900, sowie den zwischen der Genannten und ihm abgeschlossenen Vertrag datiert 1. November 1904 ins Recht gelegt.

Die Bestimmungen dieses Vertrages lauten, soweit sie sich auf die Tätigkeit des Arztes in der Krankenanstalt beziehen: 1.

Fräulein Dr. Purtscher übernimmt die ärztliche Leitung der Kuranstalt .,z. Seeschaua von der konzessionierten Eröffnung der Anstalt ab.

2.

Fräulein Dr. Purtscher verpflichtet sich, alle in die Anstalt eintretenden Patienten gewissenhaft zu beraten und zu behandeln; ihr allein steht das Hecht zu, ärztliche und diätetische Verordnungen zu erteilen und übernimmt sie jede Verantwortung für sachgemäße Behandluag der Kurgäste.

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3.

Der genaue Krankenbefund ist in ein eigens dazu bestimmtes Kranken-Journal einzutragen, sowie die ärztlichen Verordnungen.

Ferner sind mindestens zweimal wöchentlich die Kuranten in der ärztlichen Sprechstunde eingehend zu beraten und verpflichtet sich die Ärztin in dringenden Fällen jederzeit (auch nachts) zur Verfügung zu stehen.

4.

Es werden nur chronisch Kranke und Erholungsbedürftige in die Anstalt aufgenommen.

5.

Die von der Ärztin s c h r i f t l i c h zu verordnenden Anwendungen werden von geübtem und geschultem Personal ausgeführt.

6.

Die Ärztin hat die Verpflichtung, die Ausführung der Verordnungen, auch der diätetischen, zu überwachen.

IV.

Die von den Parteien angerufene thurgauische ,,Verordnung betreffend die Privatkraokenanstalten" vom 10. Mai 1895 bestimmt in Art. l und 2 : § 1. Wer eine Privatkrankenanstalt errichten will, bedarf dazu der Bewilligung des Regierungsrates.

Diese Bewilligung wird nur solchen Personen erteilt, welche a. im Besitze der bürgerlichen Ehren und Rechte und gut beleumdet sind ; b. hinsichtlich ihrer moralischen und intellektuellen Bildung die nötigen Garantien für einen richtigen Anstaltsbetrieb bieten ; c. im Besitze von Räumlichkeiten sind, die nach Lage und Einrichtung dem Zwecke entsprechen. Die nötigen Expertisen finden auf Kosten des Bewerbers statt.

Als Betrieb einer Krankenanstalt wird auch die Aufnahme einzelner Kranker angesehen, wenn sie nicht lediglieh aus Rücksichten der Verwandtschaft oder Freundschaft oder bloß ausnahmsweise aus Grund besonderer Verhältnisse erfolgt.

771 § 2. Ist der Bewerber nicht Arzt, so soll die Bewilligung nur unter der Bedingung erteilt werden, daß die ärztliche Besorgung der Kranken einem patentierten, zur Berufsausübung im Kanton berechtigten Arzte übertragen werde.

Von der thurgauischen Regierung ist ferner das Gesetz des Kantons Thurgau ,,betreffend die Organisation des Sanitätswesens," vom 4. Dezember 1850, angerufen worden, dessen Art. 40 bestimmt : ,,Niemand darf den Beruf eines Arztes, eines Apothekers, eines Zahnarztes, einer Hebamme, eines Tierarztes oder einzelne Zweige der niedern Chirurgie ausüben, welcher nicht geprüft und patentiert worden ist."

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Die vorliegende rechtzeitig erhobene staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen die von der Regierung des Kantons Thurgau am 28. Oktober 1904 ausgesprochene Weigerung der Erteilung einer Bewilligung an den Rekurrenten Th. Liebert zum Betriebe einer Privatkrankenanstalt,.

Die Weigerung der Regierung gründet sich darauf, daß die Erfüllung der Vorschriften der thurgauischen Verordnung betreffend die Privatkrankenanstalten vom 10. Mai 1895 nicht nachgewiesen sei.

Der Rekurrent erklärt die Weigerung der Regierung als mit den Grundsätzen der Handels- und Gewerbefreiheit, Art. 3l der Bundesverfassung, und der Rechtsgleichheit, Art. 4 der Bundesverfassung, unvereinbar, weil er in allem die Bedingungen erfülle, welche die Verordnung vom 10. Mai 1895 an den Betrieb einer Privatkrankenanstalt stelle.

2. Es steht ohne weiteres fest, daß die Aufstellung von Bedingungen, welche die Verordnung des Kantons Thurgau vom 10. Mai 1895 in Art. l und 2 für den Betrieb von Privatkrankenanstalten aufführt, nach Art. 3l der Bundesverfassung zulässig ist, denn diese Bedingungen gehören zu den aus der staatlichen Fürsorge entspringenden polizeilichen Anordnungen, die nach der i n konstanter Praxis vertretenen Auffassung d e s Bundesrathes 3. Es bleibt also als einzige, vom Bundesrat zu entscheidende Streitfrage übrig, ob Rekurrent den an ihn gestellten AnfordeBundesblatt. 57. Jahrg. Bd. I.

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rungen, deren Erfüllung als Voraussetzung für die Erteilung einer behördlichen Bewilligung für den Betrieb einer Privatkrankenanstalt erklärt wird, genügt oder nicht.

4. Die thurgauische Verordnung betreffend die Privatkrankenanstalten bestimmt in § l, lit. b, daß eine Bewilligung zum Betrieb solcher Anstalten nur an Personen erteilt wird, welche: ,,Hinsichtlich ihrer moralischen und intellektuellen Bildung die nötigen Garantien für einen richtigen Anstaltsbetrieb bieten.a Die thurgauische Regierung stellt beatiglieli der Person des Rekurrenten und seiner Ehefrau fest a. was die Person des Rekurrenten betrifft : Er hat gewöhnliche Volksschulbildung genossen, ist seines Zeichens ursprünglich Strumpfwirker, besuchte die Kurse eines Naturheilkundigen, Magnétiseurs und Masseurs, war in einer Badeanstalt in Kamenz tätig und eröffnete im Jahre 1888 in Konstanz als .,,Vertreter der arzneilosen Heilweise" ein ,,Naturheilbad,"· wobei er seine Kurmittel für ^Lungen, Herz, Magen, Nieren, Blasenleiden, Unterleibs- und Frauenkrankheiten, Bleichsucht und Blutarmut, Skrophulose und Nervenkrankheiten aller Art" empfahl.

In Konstanz wurde ein Verfahren wegen fahrläßiger Körperverletzung -- Verschlimmerung des Zustandes eines an Blinddarmentzündung leidenden Patienten durch Massage -- gegen ihn eingeleitet, aber wegen Mangel au Beweis eingestellt.

5. Die Ehefrau Liebert wurde im Jahre 1904 wegen Übertretuag des Gesetzes über das Gesundheitswesen (unbefugte AusÜbung der ärztlichen Praxis) vom Statthalteramt Luzern mit einer Buße von Fr. 50 belegt.

Wenn aus diesen Feststellungen gegen die Moralität des Rekurrenten keine weitgehenden Einwendungen sich herleiten lassen, so ist dagegen der thurgauischen Regierung beizustimmen, daß die Person des Rekurrenten seiner intellektuellen Bildung nach nicht geeignet erseheint, eine Privatkrankenheilanstalt als Vorsteher zu leiten. Er ist Strumpfwirker, hat keinerlei regelrechten medizinischen Studiengang genossen, bildet sich aber ein, wie aus seinem Verhalten in Konstanz hervorgeht, alle möglichen Krankheiten heilen zu können. Es fehlt ihm also an der erforderlichen Einsicht, um ihm den Betrieb einer Krankenanstalt anvertrauen zu können, bei der es sich um Wahrung von Leben und Gesundheit kranker Menschen handelt. Es besteht, wie aus seinem und dem Vorleben seiner Frau
geschlossen werden kann, die gegründete Befürchtung, daß er trotz der Anstellung eines patentierten Arztes in der von ihm einzurichtenden Anstalt selbst in die Be.handlung der Kranken eingreifen werde. Diese Befürchtung wird

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unterstützt durch sein Verhalten bei früheren Eingaben an die thurgauische Behörde, indem der damals mit Dr. Brauchli geschlossene Vertrag, den Arzt auch in der Behandlung der Kranken von dem nicht ärztlich gebildeten Leiter der Anstalt abhängig machte. Diese Bedenken werden auch durch den neuen Vertrag mit Fräulein Dr. Purtscher nicht vollständig gehoben, obgleich gegen den Inhalt dieses Vertrages seinem Wortlaute nach nichts einzuwenden wäre.

Wenn auf diese tatsächlichen Verhältnisse gestützt der thurgauische Regierungsrat die Person des Rekurrenten zur Leitung einer Krankenanstalt ungeeignet erklärt, so hat er weder Art. 31 der Bundesverfassung verletzt noch die bestehende Verordnung, die vom Rekurrenten nicht angefochten ist, willkürlich ausgelegt.

6. Der Rekurrent hat sich endlich noch auf rechtsungleiche Behandlung berufen, indem er vorbringt, daß der Regierungsrat den Betrieb der Anstalt des Dr. Maag, der kein ärztliches Diplom besitze, zugelassen habe. Der Regierungsrat stellt aber fest, daß Dr. Maag ein wissenschaftlieh gebildeter, von der Universität Zürich mit dem Doktordiplom ausgestatteter Arzt ist, der nur deshalb kein eidgenössisches Arztdiplom erwerben konnte, weil er, der sich erst in reifern Jahren dem Studium der Medizin gewidmet hatte, kein Maturitätszeugnis besaß. Die Anstalt ist übrigens durch den Regierungsrat der Spezialaufsicht eines diplomierten schweizerischen Arztes unterstellt worden. Die tatsächlichen Verhältnisse sind also nach den Feststellungen der kantonalen Regierung durchaus andere, als im Falle des Rekurrenten, so daß dieser sich über ungleiche Behandlung nicht beschweren kann.

Demgemäß wird e r k a n n t : Der Rekurs ist abgewiesen.

B e r n , den 3. März 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der ßundespräsident:

Buchet. · Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Eingior.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Th. Liebert in Emmishofen, Kanton Thurgau, wegen Verweigerung einer Bewilligung zum Betriebe einer Privatkrankenanstalt.

(Vom 3. März 1905.)

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