782

Bekanntmachungen von Departementen und andern Verwaltungsstellen des Bundes.

# S T #

Kreisschreiben des

eidgenössischen Departements des Innern an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die schiffbaren oder schiffbar zu machenden Gewässerstrecken.

(Vom 4. April 1923.)

Herr Präsident, Herren Regierungsräte Das Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte, vom 22. Dezember 1916, beauftragt in Art. 24, Abs. 2, den Bundesrat, nach Anhörung der beteiligten Kantone die Gewässerstrecken zu bezeichnen, die als schiffbar zu betrachten sind, sowie diejenigen, deren Schiffbarmachung in Aussicht genommen ist. In Ausführung dieser Bestimmung hat der Bundesrat, nachdem die Kantone durch Kreisschreiben vom 29. September 1919 um die Äusserung ihrer Ansicht ersucht worden sind und im November 1922 auch die eidgenössische Wasserwirtschaftskommission angehört wurde, heute den folgenden Beschluss gefasst: Bundesratsbeschluss betreffend die schiffbaren oder noch schiffbar zu machenden Gewässerstrecken. *)

Art. 1.

Die schiffbaren oder noch schiffbar zu machenden Gewässerstrecken werden in zwei Klassen eingeteilt: 1. K l a s s e : Wasserwege, für die der 1000--1200-Tonnenkahn in Betracht kommt; 2. Klasse: Wasserwege, für die der 600-Tonnenkahn in Betracht kommt.

Art. 2.

Der e r s t e n Klasse gehören an : a. der R h e i n von Basel bis zum Bodensee und der alte Rheinlauf vom Bodensee bis St. Margrethen ; *) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXIX, S. 93.

783

b. die A a r e von der Mündung in den Rhein bis zum Bielersee und die Z ih l zwischen Bieler- und Neuenburgersee ; c. die R h o n e von der Landesgrenze bis Genf, bzw. bis zum Genfersee (Léman).

Art. 3.

Die nachfolgend bezeichneten Gewässerstrecken sollen später in die erste oder zweite Klasse eingereiht werden, wenn praktische Veranlassung dazu vorliegt: a. der T essi n vom Langensee bis Bodio und die T r e s a von der Landesgrenze bis zum Luganersee (Ceresio) ; 6. die A a r e vom Bielersee bis zum Thunersee; c. die R e u s s von der Mündung in die Aare bis zur Lorzemündung und Lorzemündung bis Vierwaldstättersee direkt oder mit Verbindung über den Zugersee ; d. die L i m m a t von der Mündung in die Aare bis zum Zürichsee und Lin t h zwischen Zürichsee und Walensee, allenfalls an Stelle der Limmat die G l a t t von der Mündung in den Rhein bis zum Greifensee mit Verbindung nach der Limmat ; e. die B r o y e zwischen Neuenburger- und Murtensee.

Art. 4.

Den Plänen der Wasserkraftanlagen oder anderer Bauwerke an den in Art. 2 genannten Gewässerstrecken müssen stets die Abmessungen des 1200-Tonnenkahns zugrunde gelegt werden.

Bei den in Art. 3 genannten Gewässerstrecken soll den Vor- ' Projekten ebenfalls der 1200-Tonnenkahn zugrunde gelegt werden.

Vor Aufstellung der endgültigen Pläne ist von den kantonalen und eidgenössischen Behörden zu prüfen, welche Kahngrösse jeweilen zu berücksichtigen ist.

Art. o.

Es bleibt späterer Beschlussfassung vorbehalten, ob der im Kanton Graubünden gelegene untere Rheinabschnitt an das schweizerische Binnenschiffahrtsnetz angeschlossen werden soll.

Art. 6.

Projekte über Wasserbauten und andere Werke, die die in Art. 2 und 3 genannten Gewässerstrecken berühren, sind jeweilen den beteiligten Kantonsregierungen zu unterbreiten.

784

Die Kantonsregierungen leiten die Projekte mit ihrer Vernehmlassung an das eidgenössische Departement des Innern zuhanden des Bundesrates weiter.

Art. 7.

Der Bundesrat wird in jedem Fall nach Anhörung der Kantone und der Gesuchsteller prüfen, in welcher Weise den Anforderungen der bestehenden und künftigen Schiffahrt Rechnung zu tragen ist; er wird insbesondere entscheiden, inwiefern die auszuführenden Bauten diesen Anforderungen von vornherein anzupassen si ad oder die Anpassung für die Zeit der Eröffnung der Schiffahrt sicher zu stellen ist.

Art. 8.

Dieser Bundesratsbeschluss tritt mit dem 1. April 1923 in Kraft.

Zur Erläuterung dieses Beschlusses beehren wir uns folgendes zu bemerken: I. Die schweizerischen Wasserstrassen, die der Grossschifffahrt erschlossen werden können, sind in der Hauptsache in zwei Kategorien einzuteilen : a. in Wàsserstrassen, auf denen Schleppkähne bis zu einem Tragvermögen von 1000--1200 Tonnen regelmässig sollen verkehren können; b. in Wasserstrassen, auf denen Schleppkähne mit einem Tragvermögen von höchstens 600 Tonnen regelmässig sollen verkehren köanen.

Diese Kahngrössen bilden die Grundlage für die künftige Bemessung der baulichen Anlagen. Dabei ist zu beachten, dass die Fahrzeuge der Binnenschiffahrt, namentlich auf dem Rhein, im Gegensatz zu denjenigen der Eisenbahnen keine einheitlichen Grundmasse aufweisen. Sie werden gewöhnlich nach der Tragfähigkeit in Gruppen zusammengefasst. Innerhalb einer Gruppe sind die Dimensionen aber immer noch stark verschieden, so dass die Tragkraft allein kein eindeutiges Merkmal für die Zulässigkeit eines Schiffes auf einer bestimmten Wasserstrasse darstellt. Die Bemessung der baulichen Anlagen richtet sich daher nach den grössten vorkommenden Einzeldimensionen (Länge, Breite und Tiefgang) innerhalb einer Gruppe.

II, Im Einklang mit Art. 24 des Bundesgesetzes vom 22. Dezember 1916 hat der Bundesrat die schon schiffbaren oder

785 noch schiffbar zu machenden Strecken von natürlichen Gewässern näher bezeichnet, nicht aber die in Aussicht genommenen eigentlichen Kanäle, wie den Entre-Roches-Kanal oder den Kanal von der Bucht von St. Biaise nach der Zihl südlich von Cornaux.

Hier bleiben selbstverständlich die vom Bunde zu treffenden nähern Bestimmungen (B.-V. Art. 24ler) vorbehalten, denen durch den gegenwärtigen Beschluss in keiner Weise vorgegriffen werden soll. Solange die Ausführung solcher Werke nicht beschlossen ist, können und brauchen die Ausmasse auch nicht festgesetzt zu werden. Wohl aber müssen diese Feststellungen zum voraus gemacht werden für die Strecken natürlicher Gewässer, die anderweitiger Benutzung zugänglich sind, damit-bei solch anderweitiger Benutzung, insbesondere bei der Nutzbarmachung der Wasserkräfte, den Anforderungen der zukünftigen Schiffahrt rechtzeitig Rechnung getragen werden kann.

III. Zu der Einteilung in die beiden Klassen bemerken wir folgendes : 1. K l a s s e (Art. 2 des Bundesratsbeschluases) : Es wird zur Zeit geprüft, ob es sich vielleicht empfehlen dürfte, vor allem auf dem R h e i n eine etwas grössere Drempeltiefe (= Höhenunterschied zwischen dem Wasserspiegel und der Schwelle des Schleusentores, die Drempel genannt wird) der Schleusen zu wählen, damit auch die auf dem Rhein ziemlich verbreiteten 1500-Tonnenkähne verkehren können, die in der Hauptsache lediglich einen grössern Tiefgang aufweisen als die 1200-Tonnenkähne.

Von 310 grösseren, neuen Rheinkähnen mit Tragfähigkeit zwischen 1000 und 1500 Tonnen, welche in den Jahren 1900 bis 1909 gebaut wurden, haben: 35 StUck = 11 % eine Tragfähigkeit von 1000--1050 t, 105 ,, = 34 % ,, ., ,, 1050--12501, 170 ,, =55 % ,, 'v ,, 1250--15001.

Die Behörden der Schweiz und Frankreichs haben bereits anlässlich des Baues des Kraftwerks Chancy-Pougny Vorkehrungen in dem Sinne getroffen, dass die R h o n e für Kähne von 1200 Tonnen ausgebaut werden kann.

2. K l a s s e (Art. 3 des Bundesratsbeschlusses): Bei den übrigen Gewässerstrecken wäre es heute verfrüht, schon endgültig entscheiden zu wollen, ob sie der ersten oder dei1 zweiten Klasse angehören sollen. So ist z. B. noch ungewiss, welche Kahngrösse für die o b e r i t a l i e n i s c h e n Wasserstrassen in Frage kommen soll.

Bundesblatt. 75. Jahrg. Bd. I.

53

786 Wo aber tatsächlich Wasserkraftanlagen oder andere Bauten die künftige Schiffahrt auf diesen Strecken beeinflussen können, dürfte es sich empfehlen, bei der Aufstellung von Vorprojekten vom grösseren Kahn auszugehen, in der Meinung, dass vor der Aufstellung der endgültigen Baupläne von Fall zu Fall die Frage der Kahngrösse von den eidgenössischen und kantonalen Behörden geprüft wird (Art. 4, Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses).

Die im Jahre 1917 vom Bundesrat bestellte Expertenkommission zur Begutachtung der schweizerischen Binnenschiffahrtsverhältnisse (Herren Gelpké, Lüchinger, Autran und Kusca) schlug in ihrem Bericht für die Aare-Reuss-Limmat-Glatt-Wasserstrassen den 1000-Tonnenkahn vor, während sie sich für die zur Rhone und zum Tessin gehörenden Wasserstrassen, mit Einschluss des Entre-Roches-Kanals, für den. 600-Tonnenschiffstyp aussprach.

IV. Der Bundesratsbeschluss bestimmt ferner, dass künftig ausser den Plänen für Wasserkraftanlagen, die schon jetzt nach Art. 5 des Bundesgesetzes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte, vom 22. Dezember 1916, und dem Kreisschreiben des Bundesrates vom 28. März 1918 betreffend die Einsendung der Pläne der anzulegenden Wasserwerke, den Bundesbehörden eingereicht werden, künftig auch die Pläne für andere Bauten eingereicht werden sollen, welche die bestehende oder die künftige Schiffahrt berühren können. Damit möchten die Bundesbehörden in den Stand gesetzt werden, die ihnen gemäss Art. 24 und 27 obliegende Aufgabe auf dem Gebiete der Schiffahrt zu erfüllen. Es liegt auch im Interesse der Unternehmer solcher Bauten, von der zuständigen Behörde rechtzeitig über die Anforderungen der Schiffahrt unterrichtet zu werden, um nicht nach Ausführung des Werkes mit grössern Kosten diesen Anforderungen nachkommen zu müssen.

V. Der Bundesratsbeschluss bezeichnet die schiffbaren und noch schiffbar zu machenden Gewässerstrecken und die in Betracht kommenden Kahngrössen. Über die baulichen Masse (Schifffahrtsnormalien), die die technische Grundlage für die Ausgestaltung der Pläne bilden sollen (Abmessungen der Schiffsschleusen, Festsetzung der Normalprofile, der Lichtraumproflle usw.), werden wir Ihnen demnächst Vorschläge unterbreiten können.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, Herren Regierungsräte, die Versicherung unserer .vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den 4. April 1923.

Eidgenössisches Departement des Innern: Chnard.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bekanntmachungen von Departementen und andern Verwaltungsstellen des Bundes.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1923

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

15

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.04.1923

Date Data Seite

782-786

Page Pagina Ref. No

10 028 678

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.