685

16 12

Bunde Bundesblatt

75. Jahrgang.

Bern, den 21. März 1923.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, lo Franken im Halbjahr zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr : 60 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stämpfli et de. in Bern.

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Bericht des

schweizerischen Bundesgerichts an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1922.

(Vom 21. Februar 1923.)

"Herr Präsident l Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen gemäss Art. 47 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege über unsere Amtstätigkeit im-Jahre 1922 folgenden Bericht zu erstatten:

A. Allgemeines.

Personelles.

Anfangs April 1922 erklärte Herr Bundesrichter Deschenaux seine Demission und wurde von der Bundesversammlung durch Herrn Nationalrat Garbani-Nerini, Staatsrat, in Lugano, ersetzt, welcher der ersten Zivilabteilung zugeteilt wurde.

Am Anfang des Berichtsjahres wurde Herr Bundesgerichtsschreiber Dr. Nicola, der seit 1891 Beamter der Bundesgerichtskanzlei gewesen war, pensioniert. Ende Oktober 1922 wurde dann an dessen Stelle als Bundesgerichtsschreiber der bisherige Sekretär Herr Dr. Weiss gewählt. Nach erfolgter Ausschreibung wählte das Bundesgericht am 18. Dezember 1922 als neuen Sekretär Herrn Dr. Däppen in Bern.

Geschäftslast und -Verteilung.

Die Geschäfte der staatsrechtlichen Abteilung nehmen immer noch erheblich zu. Anhängig waren 903 Geschäfte gegenüber 876 im Vorjahre. Es sind wiederum die Beschwerden wegen Rechtsgleichheit, Willkür (364 gegenüber 274 im Vorjahre), Niederlassungsfreiheit (71 gegenüber 83), Doppelbesteuerung (152 gegenr.

über 216), welche das Hauptkontingent stellen. Dagegen zeigen Bundesblatt. 75. Jahrg. Bd. I.

46

686 die Zivilberufungen eine erhebliche Abnahme, offenbar hervorgerufen durch die Erhöhung des Streitwertes in der Novelle zum O.G. von 1921 sowie durch die Krisis im Geschäftsleben und die hohen Prozesskosten in verschiedenen Kantonen. Berufungen in Zivilsachen waren nur 718 (gegenüber 916 im Vorjahre) anhängig und erledigt wurden 623 (gegenüber 796 im Vorjahre) ; davon wurden 110 im schriftlichen Verfahren behandelt (gegenüber 115 im Vorjahre.) Die Geschäfte der Strafrechtspflege nehmen eher ab ; Kassationsbeschwerden wurden 30 erledigt (gegenüber 36 im Vorjahre), Bundesstrafgerichtsfälle 4 (gegenüber 2).

Wenn die Zunahme der Geschäfte der staatsrechtlichen Abteilung andauert, wird eine Entlastung nach irgendeiner Richtung gesucht werden müssen.

Verschiedenes.

Das Bundesgericht ist im Berichtsjahre vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement mit der Begutachtung von Entwürfen, zu einem neuen französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrage, zu einem Bundesgesetze betreffend den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr sowie zu einem Bundesgesetze betreffend die Staatsund Verwaltungsrechtspflege betraut worden und hat darüber auf Grund von eingehenden Beratungen von Spezialkommissionen Berichte erstattet.

Die Erstellung eines neuen Bundesgerichtsgebäudes ist nun durch die Bewilligung des Kredites durch die Bundesversammlung in das Stadium der Ausführung getreten und die Fundätionsarbeiten haben schon begonnen.

Die Gesamtzahl der Sitzungen beläuft sich im Berichtsjahre auf 267 (gegenüber 301 im Jahre 1921).

Diese Sitzungen verteilen sich wie folgt: Plenum 3 I. Zivilabteilung 80 u. Zivilabteilung 76 Staatsrechtliche Abteilung 77 Abteilung für Schuldbetreibung und Konkurs .

25 Kassationshof 4 Bundesstrafgericht 2 Total 267 Dabei ist zu bemerken, dass 314 Geschäfte der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer auf dem Zirkularwege erledigt worden sind.

St.atiaHlr flher Hin TÄrlfidieriineren von IfllR hi« 1918

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Natur der Streitsachen

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50 250 132 267 115 37 12 28 33 7 745

130 773 763

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3-- l l -- 2016 564 1972 2132 ~40T

. 681

J. Zivilsachen; 1. Erst-u. letztinstanzlichzu beurteilende Zivilsachen 24 19 16 27 31 21 37 39 32 44 20 2. Berufungen gegen Urteile kantonaler Gerichte . . 116 541 571 86 627 613 100 697 639 158 758 3. Zivilrechtl. Beschwerden l 26 23 4 27 29 2 40 40 2 31 4. Andere Zivilsachen : .

2 15 16 l 12 13 -- 13 12 l 31 5. Rekurse in Expropriationssachen 58 56 44 70 95 84 81 56 94 43 257 II. Strafsachen . . . .

20 143 142 21 79 77 23 56 68 11 38 III. Staatsrechtliche Streitigkeiten 34 382 355 61 410 374 97 600 577 120 756 IV. a} Beschwerdenbetr.das Schwldbetreibungsund Konkurswesen 6 290 295 l 245 236 10 216 208 ' 18 271 b) Zwangsliquidationsbegehren gegen Eisenbahngesellsehaften u.

Gesuche um Einleitung des NacMassverfahrens von solchen -- -- -- -- -- -- 3 10 7 6 13 F. Freiwillige Gerichtsbarkeit 5^ 1 3 9 9 3 8_ l 4 5-- 3 Total 266 1485 1471 280 1529 1455 "354~ ÏTsT l682~ 403 2178

||

688

B. Spezieller Teil.

I. Zivilrechtspflege.

Natur der Streitsache

Übertragen aus 1 dem Vorjahre

Eine Übersicht über die Zivilsachen, mit denen sich das Bundesgericht im Jahre 1922 zu befassen hatte, gibt folgende Tabelle: C OÏ O>

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1. Vom Bundesgericht als einziger Zivilgerichtsinstanz zu beurteilende Streitsachen (Art. 48-52 94 53 9,6 27 OG) . . . . . . . . . 9,9 2. Berufungen (Art. 56 f.OG) . . 120 598 718 623 95 3. Zivilrechtliche Beschwerden 4 31 35 34 1 (Art. 86 und 87 OG) . . .

4. Revisions- und Erläuterungsbegehren, Moderationsgesuche etc.

3 21 24 22 2 5. Rekurse in Expropriationssachen 250 132 382 267 115 Total 406 806 1212 972 240 Ad 1. Von den 53 direkten Prozessen betrafen : 1. Streitigkeiten zwischen Korporationen oder Privaten als Klägern und dem Bund als Beklagten 20 2. Streitigkeiten zwischen Kantonen einerseits und Korporationen oder Privaten anderseits 18 3. Streitigkeit aus Art. 23 des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850 über die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten l 4. Streitigkeit aus Art. 12, Abs. 6, des Bundesgesetzes betreffend die Erwerbung und den Betrieb von Eisenbahnen für Rechnung des Bundes, vom 15. Oktober 1897 \ 5. Streitigkeiten, in welchen das Bundesgericht als vereinbarter Gerichtsstand angerufen wurde 13 ~53 Von diesen 53 direkten Prozessen wurden erledigt: Durch Vergleich bzw. Rückzug der Klage oder Anerkennung des Klagebegehrens ; . . - . . . . 20 Durch Nichteintreten 3 Durch Urteil . . . . . . .

3 Übertragen auf 1923 .'··'.

'.. . . . 27 ~~53

689 10 Prozesse wurden von der I. Zivilabteilung, 7 von der II. Zivilabteilung und 9 von der staatsrechtlichen Abteilung erledigt.

Ad 2. Von den 623 erledigten Berufungen, von denen 110 im schriftlichen Verfahren behandelt wurden, betrafen: 1. Das Zivilgesetzbuch (neues Recht) . . . . . . 173 und zwar: Einleitung (Art. 2) _. . .

l Personenrecht 5 Familienrecht (Ehescheidung 68, Vaterschaft 3 6, .

andere Materien 13) 117 Erbrecht 16 Sachenrecht (Eigentum 14, Vorkaufsrecht 2, Nachbarrecht 2, Dienstbarkeit 5, Wegrecht.l, Holzrecht l, Quellenrecht l, Zugehör l, Pfandrecht 6, Schuldbrief 1) 34 173 2. Obligationenrecht · 374 und zwar im wesentlichen: Allgemeine Bestimmungen (Schadenersatz aus Vertrag und unerlaubter Handlung 33) . .

50 Kaufvertrag .

162 Miete und Pacht ' . . .

13 Dienstvertrag 26 Werkvertrag 12 Bürgschaft 19 Gesellschaftsrecht 18 3. Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (Anfechtungsklagen 11) 16 4. Haftpflichtgesetze (Fabrikhaftpflicht 2, Eisenbahnhaftpflicht 3) 5 5. Urheberrecht und gewerblicher Rechtsschutz . . .

12 6. Versicherungsrecht 18 7. Berufungen, auf die wegen Anwendung kantonalen bzw. fremden Rechts nicht eingetreten wurde . .

25 ~623 Von den 623 Berufungen wurden 296 von der L, 327 von der II. Zivilabteilung (davon 98 aus dem reglementarischen Geschäftskreis der I. Zivilabteilung) erledigt.

Von den auf 1923 übertragenen 95 Geschäften sind 4 in der ersten und die übrigen in der zweiten Hälfte des Berichtsjahres eingegangen.

690

Über die Art der Erledigung und die Herkunft der 718 Berufungen gibt die nachstehende Tabelle Auskunft: C

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Appenzell A.-Rh. .

Appenzell I.-Rh. .

Baselland . . . .

Baselstadt . . . .

Bern Freiburg Genf Glarus Graubünden Luzern Neuen burgt . . . .

Nidwaiden . . . .

Obwalden . . . .

Schaffhausen Schwyz Solothurn . . . .

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Tessin Thurgau Uri Waadt Wallis Zug Zürich ^^LW*gwu.

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14 57 35 7 5 7 3 22 56 34 12 2 33 30 3 175

84 103 105 313

718

18

95

691 Von den 84 Nichteintretensfällen war in 24 Fällen kantonales bzw. fremdes Recht anwendbar ; in 32 Fällen fehlte der Streitwert oder ein Haupturteil, und in 28 Fällen waren die gesetzlichen Formvorschriften nicht gewahrt, oder es war die Berufung verspätet.

. Ad 3. Von den 34 zivilrechtlichen Beschwerden, die alle von der II. Zivilabteilung zu behandeln waren, betrafen 9 Elternrechte (Art. 862 OG), 20 Vormundschaft (Art. 868), 5 die Anwendung kantonalen oder fremden statt eidgenössischen Rechts oder die Verletzung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891 (Art. 87) ; 10 Beschwerden wurden abgewiesen, 1.0 gutgeheissen ; auf 14 wurde nicht eingetreten.

Ad 5. Von den 267 Expropriationsstreitigkeiten entfielen 57 auf die Bundesbahnen, l auf Nebenbahnen, 124 auf Kraftwerke, 80 auf die eidgenössische Telephon- und Telegraphenverwaltung, 5 auf Waffen- bzw. Schiessplätze. Es wurden erledigt: 20 durch Rückzug bzw. Vergleich, 243 durch Annahme des Vorentscheides, 4 durch Urteil. Von den 115 übertragenen Geschäften ist l im Jahre 1918, 3 sind im Jahre 1920, 6 im Jahre 1921, die übrigen im Berichtsjahre eingegangen.

II. Strafrechtspflege. " a. Anklagekammer.

Die Anklagekammer hatte im Jahre 1922 keine Geschäfte zu verzeichnen.

b. Bundesstrafgericht.

Beim Bundesstrafgericht waren 4 Fälle anhängig, alle wegen Übertretung des Zollgesetzes. In zwei Fällen, mit zusammen 3 Angeklagten, erfolgte Verurteilung zu Geldbusse ; der dritte Fall wurde, nachdem die Angeklagte, unmittelbar vor der Hauptverhandlung, die vom Zolldepartement verhängte Zollbusse bezahlt und die Bundesanwaltschai't die Klage zurückgezogen hatte, als gegenstandslos geworden am Protokoll abgeschrieben; die Erledigung des vierten Falles, der erst gegen Ende des Jahres anhängig gemacht wurde, fällt ins Jahr 1923, weil die Hauptverhandlung wegen Abwesenheit des Angeklagten verschoben werden musste.

c. Kassationshof.

Die Geschäftslast hat neuerdings abgenommen. Zu den vom Vorjahre als unerledigt übernommenen Geschäften sind Berichtsjahre 25 neue hinzugekommen, so dass die Gesamtzahl anhängigen Beschwerden sich auf belief (im Vorjahr 47). Von diesen wurden erledigt . .

und zwar:

11 im der 36 30

692 '

durch Gutheissung der Beschwerde ,, Abweisung ,, ,, ,, Nichteintreten auf die Beschwerde Unerledigt blieben : 6 Beschwerden.

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Von den 5 Beschwerden, die als begründet erklärt wurden,, richteten sich 4 gegen Urteile, die eine Strafe ausgesprochen; hatten, l gegen ein freisprechendes Urteil, und es betrafen : das Bundesgesetz über gebrannte Wasser vom 29. Juni 1900 (Alkoholgesetz) das Bundesgesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 . . .

das Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 die bundesrätliche Verordnung vom 18. April /13. Juni 1916 über den-Ankauf von Lebensmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsartikeln (sog. Kriegswucherverordnung)

l 2; l

l _5

Von den übrigen 25 Beschwerden bezogen sich auf: das Bundesgesetz über das Bundesstrafrecht, Art. 49d : Wahlvergehen in Verbindung mit dem BG vom 17. Juni 1874 betr. Volksabstimmungen über Buudesgesetze etc. (2), Art. 61 : Fälschung einer Bundesakte (1), Art. 67 : fahrlässige Eisenbahngefährdung) (1) das Bundesgesetz über Handhabung der Bahnpolizei vom 18. Februar 1878 das Bundesgesetz über die Beaufsichtigung von Privatunternehmungen auf dem Gebiete des Versicherungswesens vom 25. Juni 1885 das Bundesgesetz über Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien vom 2. Juli 1886 das Bundesgesetz über die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24. Juni 1892 das Bundesgesetz über das Zollwesen vom 28. Juni 1893 das Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz vom 24. Juni 1904 das Bundesgesetz über Mass und Gewicht vom 24. Juni 1909 Übertrag

4 l l l 2 l l 2 13

693

Übertrag 13 das Bundesgesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 . . .

5 das Bundesgesetz über das Kunstweinverbot vom 7.Märzl912 2 die bundesrätlichen Verordnungen vom 18. April/13. Junil916 über den Ankauf von Lebensmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsartikeln (sog. Kriegswucherverordnung) . .

2 den Bundesratsbeschluss vom 14. Juli 1917 betr. Höchstpreise für Brennholz l die Bundesratsbeschlüsse über Festsetzung von Höchstpreisen für Milch vom 18. April 1917, 22. April 1918 und den Bundesratsbeschluss vom 30. Mai 1919 betreffend Ermächtigung zum Abbau der kriegswirtschaftlichen Tätigkeit des eidgenössischen Ernährungsamtes 1 die bundesrätliche Verordnung vom 21. November 1917über die Grenzpolizei und die Kontrolle der Ausländer . .

l _25 Die 30 erledigten Geschäfte verteilen sich auf die Kantone wie folgt: Baselland ·. . .

l Baselstadt 2 Bern .

l Freiburg l Genf l Glarus l Graubütiden 6 Neuenburg l Schwyz · l Thurgau 2 Tessin 2 Unterwaiden (ob dem Wald) ". .

l Waadt 3 Zürich 7 JE

III. Staatsrechtspflege.

Die im Jahre 1922 beim Bundesgerichte anhängig gewesenen staatsrechtlichen Streitigkeiten verteilen sich ihrer N a t u r nach wie folgt:

Neu || eingegangen 1

Natur der Streitsachen

übertragen aus 1 dem Vorjahre 1

94

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1 . Kompetenzkonflikte zwisch. Bundesbehörden einerseits und Kantonalbehörden anderseits (Art.

175 J OG) 2. Streitigkeiten zwischen Kanto1 nen (Art. 1752 O G ) . . . . -- 3 2 3 3. Beschwerden von Privaten und Korporationen (Art. 175 3 OG) 126 751 877 739 138 4. - Steuerstreitigkeiten zwischen Bund und Kantonen (Art. 179 .

OG) 5. Streitigkeiten über die Zulässigkeit des Verzichts auf das Schweizerbürgerrecht (Art. ISO1 1 1 1 OG) 6. Beschwerden betr. die politische Stimmberechtigung und betr.

kantonale Wahlen und Abstimmungen (Art. 1805 OG) .

8 8 7 1 -- 7. Einsprachen gegen Auslieferungsbegehren fremder Staaten 1 1 2 (Art. 181 OG) 2 8. Revisions-, Erläuterungs-, Wiedererwägungs- und Moderations.

begehren 3 9 12 12

130 773 903 763 140 Die auf 1923 übertragenen 140 Beschwerden stammen -- mit Ausnahme von 2 Fällen, die im Jahre 1920 und 1921 anhängig gemacht worden sind und deren Behandlung, beim einen wegen eines kantonalgerichtlichen Verfahrens, beim andern wegen gleichzeitiger Anhängigkeit beim. Bundesrat, sistiert werden musste -- alle aus dem Berichtsjahre; der grösste Teil derselben (82) ist in den Monaten November und Dezember eingegangen.

695 Zu den e r l e d i g t e n Fällen ist im speziellen folgendes zu berichten : Ad 2. Die beiden Fälle betrafen : Der erste Fall eine Klage des Kantons Thurgau gegen den Kanton St. Gallen hinsichtlieh der Regelung des Wasserabflusses an der Strasse 'von Tübach nach Hörn -- sie wurde infolge Vergleichs zwischen den Parteien zurückgezogen --; der andere eine Klage des Kantons Bern gegen den Kanton Genf auf Grund des Bundesgesetzes vom 24. Juli 1852 über die Auslieferung von Kanton zu Kanton; die Klage wurde in dem Sinne geschützt, dass der Kanton Genf, der die Vollziehung der bern. Strafsentenz gegen seinen Mitbürger G., unter Ablehnung der Auslieferungspflicht, zu übernehmen sich bereit erklärt hatte, verpflichtet wurde, die aus dieser Vollziehung entstehenden Kosten zu tragen, unter Vorbehalt des Rückforderungsrechts gegenüber dem Verurteilten.

Ad 3. B e s c h w e r d e n von P r i v a t e n und K o r p o r a t i o n e n gegen kantonale Verfügungen und Erlasse. Nach der N a t u r der als verletzt behaupteten verfassungsmässigen Rechi e verteilen sich die 739 erledigten Beschwerden wie folgt: a. Verletzung der Bundesverfassung 657 Ì).

c.

,, ,,

von Kantonsverfassungen von Bundesgesetzen oder andern Erlassen des Bundes

32 14


,, von Staatsverträgen und Konkordaten .

e. Nicht näher bezeichnete Rechtsverletzungen . . .

15 21 739

Ad a. Die 657 Beschwerden wegen V e r l e t z u n g der B u n d e s v e r f a s s u n g hatten Bezug auf folgende Artikel: Art. 4 .

(Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Rechtsverweigerung, Willkür usw.) . . 364 ,, 31/32bi9 (Handels- und Gewerbefreiheit) . . . .

35 ,, 44/45 (Recht der freien Niederlassung, Ausstellung v o n Ausweisschriften) . . . . . . .

71 ,, 46 ' (Doppelbesteuerung) 152 ,, 49 (Glaubens- u n d Gewissensfreiheit) . . .

l ,, 55 (Pressfreiheit) 5 ., 58/59 (Gerichtsstand ; verfassungsmässiger Richter) 23 ,, 61 (Vollziehung rechtskräftiger Zivilurteile) .

l Übertrag

652

696

Übertrag Übergangsbestimmungen : Art. 2 (Derogatorische Kraft des Bundesreehts) .

,, 5 (Freizügigkeit wissenschaftlicher Berufsarten)

652 4 l 657

Ad b. Die 32 Beschwerden wegen V e r l e t z u n g k a n t o n a l e n V e r f a s s u n g s r e c h t s bezogen sich in der Hauptsache auf angebliche Missachtung oder unzulässige Beschränkung der Eigentumsgarantie, der persönlichen Freiheit, auf Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung und des Rechts der Gemeinden auf Selbstverwaltung.

Ad c. Von den 14 Beschwerden wegen V e r l e t z u n g v o n Bundesgesetzen oder andern Erlassen des Bundes betrafen : das Bundesgesetz über die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter vom 25. Juni 1891 (Gerichtsstand) l das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 (Vollziehung bundesgerichtlicher Urteile, Art. 45) l das Bundesgesetz betreffend Erwerb und Betrieb der Bundesbahnen vom 15. Oktober 1897 (Gerichtsstand, Art. 12) l das Bundesgesetz über das Zivilgesetzbuch (Gerichtsstand für die Ehescheidungsklage, Art. 144 ; Gerichtsstand für Begehren nach Art. 157 bzw. 285 und betr. Zuständigkeit für die Eröffnung des Erbganges, Art. 538) 5 das Bundesgesetz über den Verkehr mit Lebensrnitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 (Gerichtsstand gemäss Art. 50 und 52)' 2 das Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte vom 22. Dezember 1916 (Gerichtsstand nach Art. 71, Abs. 1) , . .

l den Bundesratsbeschluss über den land- · und forstwirtschaftlichen Liegenschafts verkehr vom 23.Septemberl918 l die bundesrätliche Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919 2 ~Î4

697 Ad d. Von den 15 Beschwerden wegen V e r l e t z u n g von S t a a t s v e r t r a g e n und K o n k o r d a t e n betrafen: den Niederlassungsvertrag mit Italien vom 22. Juli 1868 2 den Niederlassungsvertrag mit Frankreich vom 23. Februar 1882 3 den Niederlassungsvertrag mit Deutschland vom 13. November 1909/31. Oktober 1910 2 den Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869 5 die Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 i das Konkordat über gegenseitige Rechtshilfe bei Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche vom 18. Februar 1911/23. August 1912, und dasjenige über die Fischerei auf dem Zugersee vom 30. Oktober 1907 .

l das Konkordat über den Verkehr mit Motorfahrzeugen etc.

vom 7 . April 1914 (Automobilkonkordat) . . . .

l 15

Aus der nachfolgenden Tabelle ist die H e r k u n f t der Beschwerden von Privaten und Korporationen, nach K a n t o n e n geordnet, und die Art i h r e r E r l e d i g u n g ersichtlich:

698

Kantone

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Aargau Appenzell'A.-Rh. . · . · Appénzell I.-Rh. .

Baselland . . . .

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Bern Freiburg . . . .

Genf Glarus Graubünden . . .

Lüzern . . .

Neuenburg . . . .

Nidwaiden . . . .

Obwalden . . . .

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Solothurn . . . .

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Tessin Thurgau . . . .

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*) worunter 49 Fälle von Doppelbesteuerung sog. tessinischer Saisonarbeiter, in denen die Beschwerde durch die betreffenden Kantone, sei es direkt, sei es infolge nachträglichen Verzichts auf den Steueranspruch, anerkannt worden ist.

69& In den 151 Fällen, in denen auf die Beschwerde nicht eingetreten wurde, waren die G r ü n d e des N i c h t e i n t r e t e n s folgende : Inkompetenz 17 Unzulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde (Mangel eines, rekursfähigen kantonalen Erlasses, Möglichkeit eines andern eidgenössischen Rechtsmittels) . . . . 11 Nichterschöpfung der kantonalen Instanzen . · . . . . 22 Nicht- oder ungenügende Substantiierung 29 Verspätung 48 Andere Mängel (Legitimation, Mangel eines rechtlichen Interesses, Beschwerde verfrüht, Verwirkung des Rekursrechtes, abgeurteilte Sache, Gegenstandslosigkeit, Unzurechnungsfähigkeit oder mangelnde Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers) 24

Tsl Nach der Natur der Streitsache bezogen sich die 164 b e g r ü n d e t (oder zum Teil begründet) e r k l ä r t e n B e s c h w e r d e n auf : Art. 4 der Bundesverfassung (Rechtsverweigerung, Willkür usw.) . .

31 ,, 31 ,, (Handels- und GeT werbefreiheit) . .

4 ,, 44/45 ,, ,, (Niederlassungsfreiheit) 10 ,, 46 ,, ,, (Doppelbesteuerung) 96 58/59 ,, ,, (Gerichtsstand, verfl fassungsmässiger Richter) . . . .

10 ,, 61 ,, ,, (Vollziehung rechtskräftiger Zivilurteile) l Art. 2 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung (derogatorische Kraft des Bundesrechts) 2 Art. 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung (Freizügigkeit wissenschaftlicher Berufsarten) . . .

l Verletzung kantonalen Verfassungsrechts (Eigentumsgarantie, sogenannte wohlerworbene Rechte, Gewaltentrennung) 3 Verletzung des Bundesgesetzes über den Erwerb und Betrieb der Bundesbahnen (Gerichtsstand, Art. 12) .

l Verletzung des Bundesgesetzes über das Zivilgesetzbuch (Gerichtsstand für die Ehescheidungsklage, Art. 144) l Übertrag 160

700

Übertrag Verletzung des Rechtshilfekonkordates (und des Konkordates über die Fischerei auf dem Zugersee) . .

Verletzung des Gerichtsstandsvertrages mit Frankreich Verletzung der Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht .

160 l 2 l Ü64

Ad o. ( V e r z i c h t auf das Schweizerbürgerrecht).

Der einzige Fall dieser Art, der zu entscheiden war, betraf einen seit Jahren in Brighton (England) wohnenden und dort mit einer Engländerin verheirateten Bürger von Röthenbach i. E., dem nach einer Erklärung des britischen Unterstaatssekretärs des Innern (Home Office) das britische Bürgerrecht zugesichert wurde für den Fall, dass er aus dem schweizerischen Staatsverband entlassen würde. Dem Enlassungsgesuch wurde, entgegen der Weigerung des Regierungsrates von Bern (weil der Potent zur Kriegsmobilmachung im Jahre 1914 nicht eingerückt und er daher dem Militärgericht zur Behandlung gemeldet worden sei), entsprochen und der Regierungsrat eingeladen, die Entlassung aus dem Kantons- und Gemeindebürgerrecht, die sich auch auf die Ehefrau des Petenten erstreckt, auszusprechen.

Ad 6. Von den 7 Beschwerden betreffend die politische S t i m m b e r e c h t i g u n g und betreffend kantonale W a h l e n und A b s t i m m u n g e n wurden 3 abgewiesen, auf die andern 4 wurde nicht eingetreten (mangels Legitimation der Beschwerdeführer, Erschöpfung der kantonalen Instanzen und weil kein staatsrechtlicher ßeschwerdegrund geltend gemacht worden war).

Ad 7. ( A u s l i e f e r u n g e n an das Ausland.) In 2 Fällen, in denen gegen die Auslieferung seitens der Verfolgten Einsprache erhoben worden war, hat das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die Akten dem Bundesgericbte zum Entscheide vorgelegt. Die Auslieferung wurde nachgesucht: im ersten Falle von Deutschland (wegen Sprengstoffverbrechens, Diebstahls und Raubes); sie wurde verweigert, weil das dem Auszuliefernden zur Last gelegte Verbrechen überwiegend politischen Charakter trug; im andern Falle von Italien (wegen Brandstiftung). Das Auslieferungsbegehren wurde zurückgezogen.

Ad 8. (Revisions-, E r l ä u t e r u n g s - und M o d e r a t i o n s begehren.) 7 Revisions- und l Erläuterungsbegehren wurden abgewiesen; auf 4 Revisionsbegehren wurde nicht eingetreten,

701 weil keine gesetzlichen Revisionsgründe geltend gemacht worden waren bzw. das Revisionsgesuch verfrüht war.

In 301 Fällen, in denen entweder die Anhebung oder Veranlassung des Streites, die Art der Beschwerdefiihrung oder die rechtliche Natur der Streitsache es rechtfertigten (Art. 221, Abs. 2, und 5 OG), wurde eine Gerichtsgebühr erhoben; in 4 Fällen wurde wegen mutwilliger Beschwerdeführung, Verletzung des durch die gute Sitte gebotenen Anstandes oder wegen Störung des ordnungsmässigen Geschäftsganges (Art. 39, Abs. l und 2, OG) ein V e r w e i s erteilt und in 4 andern Fällen mit Ordnungsbusse eingeschritten.

Vom Präsidenten der staatsrechtlichen Abteilung waren 165 Begehren um Erlass von provisorischen V e r f ü g u n g e n zu behandeln (Art. 185 OG).

3 Fälle gaben Anlass zu einem Meinungsaustausch mit dem Bundesrat hinsichtlich der Kompetenzfrage (Art. 194 OG.)

IV. Schuldbetreibung und Konkurs.

Nachdem die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer wiederholt hatte konstatieren müssen, dass mancherorts die Pfändung und Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen nicht in sachgemässer Weise durchgeführt wird, was sehr unliebsame Folgen nach sich ziehen kann (vgl. A. S. 46 III Nr. 25 und insbesondere Nr. 22), setzte sie auf Grund weiter zurückliegender Vorarbeiten, die den kantonalen Aufsichtsbehörden zur Vernebmlassung unterbreitet worden waren, im Berichtsjahr den Entwurf zu einer Verordnung fest, welche das hiebei einzuschlagende Verfahren zu regeln bestimmt ist. Der Erlass der Verordnung durch das Plenum fällt nicht mehr in das Berichtsjahr.

Die neuen Betreibungsformulare, von deren Ausarbeitung im letzten Jahresbericht die Rede war, konnten auf den 15. April 1922 in Kraft gesetzt werden. Auf den gleichen Zeitpunkt wurden diejenigen Bestimmungen der Verordnung I des Bundesrates zum SchKG vom 18. Dezember 1891 (Reglement über die im Betreibungs- und Konkursverfahren zu verwendenden Formulare und Register und die Rechnungsführung), welche sich auf die Formulare beziehen, ausser Kraft gesetzt, mit der Einschränkung immerhin, dass die vorhandenen Bestände der bisher geltenden Formulare noch aufgebraucht werden dürfen. In der Folge hatte sich die Kammer wiederholt mit Gesuchen kantonaler Aufsichtsbehörden um Gestattung der Verwendung von Formularen zu befassen, deren Text von dem von der Kammer festgesetzten Bundesblatt. 75. Jahrg. Bd. L .

47

702 abweicht. Soweit wichtige Gründe dafür geltend gemacht werden konnten und keinerlei Nachteile vorauszusehen sind, wurde solchen Gesuchen entsprochen.

Anträgen der Kammer entsprechend* erliess das Plenum am 11. Mai ein Kreisschreiben über die Pfändung von dem betriebenen Schuldner unter Eigentumsvorbehalt verkauften Vermögensobjekten und am 22. November ein solches über die Zuständigkeit .zur Inventaraufnahme im Nachlassverfahren über ausserhalb des Sprengeis der Nachlassbehörde gelegene Vermögensbestandteile; beide werden im Band 1922 der amtlichen Sammlung der Entscheide des Bundesgerichts abgedruckt.

Die Pfandschätzungskommissionen für das Pfandnachlassverfahren über Hotelgrundstücke wurden, soweit nicht Ablehnungen vorlagen, für zwei weitere Jahre bestätigt. Dabei rückte Herr Oberst Wirth in Interlaken an Stelle des Herrn Primus Bon in Vitznau zum ordentlichen Mitglied der zweiten Kommission für das deutsche Sprachgebiet vor, während sich Herr Bon noch als Ersatzmitglied zur Verfügung stellte. Die Stellen der demissionierenden Ersatzmitglieder der Kommissionen für das französische und das italienische Sprachgebiet, Herren de Preux in Sierre und Bezzola in Cresta-Celerina, wurden nicht wieder besetzt.

Gestützt auf den Bundesratsbeschluss vom 22. November 1922 über staatliche Hilfeleistung für die schweizerische Stickereiindustrie, welcher die Abschnitte II und IV der Verordnung des Bundesrates vom 18. Dezember 1920 betreffend die Nachlassstundung und das Pfandnachlassverfahren für Hotelgrundstücke als auf die Stickereiindustrie und ihre Hilfsindustrien sinngemäss anwendbar erklärt, dehnte die Kammer das Anwendungsgebiet ihres Réglementes für die Pfandschätzungskommissionen betreffend Hotelgrundstücke vom 25. Januar 1921 entsprechend aus und setzte folgende Pfandschätzungskommission, vorläufig für ein Jahr, ein : Präsident: Dr. Wegelin, Kantonsrichter, in St. Gallen.

Mitglieder : E. Niederer-Herzig, in Rorschach.

0. Huber, Kantonsrat, in Kirchberg.

Ersatzmitglieder: J. Eugster, Fabrikant, in Altstätten.

J. Schneider-Mäder, Kaufmann, in Rebstein.

P. Schawalder, Fabrikant, in Heerbrugg.

Dem Justizdepartement des Bundesrates erstattete die Kammer Gutachten zu dessen Gesetzesentwurf über Arrest und Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen fremder Staaten,

703

sowie -- in verneinendem Sinne -- über die Frage des Erlasses eines Kreisschreibens über die Inanspruchnahme der Konsulate zwecks Admassierung des im Ausland gelegenen Vermögens der Gemeinschuldner 5 endlich empfahl sie ihm auf dessen Anfrage hin, die Darlehenskasse der schweizerischen Eidgenossenschaft zu ermächtigen, in Anwendung des Art. 19 Abs. 2 HPfNV' vom 18. Dezember 1920 auch solche Amortisationshypotheken zur Tilgung rückständiger Pfandzinse von Hotelgrundstücken zu bevorschussen, welche zufolge aussergerichtlichen Pfandnachlassen errichtet werden.

Im Anschluss an die Jahresberichte, auf Anfrage oder sonstige Veranlassung hin, erteilte die Kammer an kantonale Aufsichtsbehörden, wie auch an andere Behörden und Ämter Weisungen und Wegleitungen. Hiervon verdient die Meinungsäusserung Erwähnung, dass die Geschäftsbücher von Konkursiten bei Einzelfirmen nur mit Zustimmung des Gemeinsehuldners, bei Kollektivund Kommanditgesellschaften nur mit Zustimmung eines geschäftsführenden Gesellschafters, dagegen bei Aktiengesellschaften und Genossenschaften ohne weiteres, jedoch erst nach 10 Jahren, Dritten -- zu wissenschaftlichen Zwecken -- überlassen werden dürfen. Ferner dürfte von allgemeinem Interesse sein, dass die Kammer den Standpunkt vertrat, dass die Bestätigung des Nachlassvertrages (in Verbindung mit dem Pfandnachlassverfahren) an die Bedingung zu knüpfen ist, dass der Schuldner nicht begebene Grundpfandtitel zur Löschung einliefert.

Wegen sonstiger Inanspruchnahme der Mitglieder der Kammer musste von der Inspektion von Betreibungs- oder Konkursämtern im Berichtsjahre gänzlich abgesehen werden.

Die Eisenbahnsanierungen haben auch im Berichtsjahre die Zeit und die Arbeitskraft der Mitglieder der Kammer stark in Anspruch genommen, wie aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlich ist. Die Revisionsbedürftigkeit der bundesrätlichen Verordnung über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen hat sich dabei beinahe in jedem Falle der Sanierung in diesem Verfahren dem Gerichte aufgedrängt.

Die Gesamtzahl der im Berichtsjahre anhängigen Rekurse betrug 336 (d. h. 64 mehr als im Vorjahr); davon waren aus dem Vorjahr übernommen 4, im Laufe des Jahres eingegangen 332. Erledigt wurden 333, so dass auf das Jahr 1923 übertragen wurden 3 Fälle.

Von den erledigten Beschwerden betrafen :

704

18 Anwendung der organisatorischen Bestimmungen des SchKG (Art. 1--37), 13 Arten der Schuldbetreibung, 12 Ort der Betreibung, 3 Anhebung der Betreibung, 16 Aufhebung der Betreibung, 5 Zustellung der Betreibungsurkunden, 12 Zahlungsbefehl und Rechtsvorschlag, 118 Pfändung, 18 Verwertung von beweglichen Sachen und von Forderungen, 13 Verwertung von Liegenschaften, 8 Verteilung im Pfändungsverfahren, 6 Betreibung auf Pfandverwertung, 5 ordentliche Konkursbetreibung, 6 Feststellung der Konkursmasse, 3 Wirkungen des Konkurses auf das Vermögen des Schuldners, 12 Kollokation der Gläubiger im Konkurse, 17 Verwertung und Verteilung im Konkurse, 11 Arrest, 8 Retentionsrecht, 6 Nachlassvertrag, 3 Nachlassvertfagsverfahren von Eisenbahnen, 6 Gebührentarif, 3 Revision bzw. Wiedererwägung, 11 Anwendung der HPfNV (Beschwerden gegen den Entscheid der Nachlassbeh.).

333~ S c h ä t z u n g e n von H o t e l l i e g e n s c h a f t e n gemäss der Verordnung des Bundesrates vom 18. Dezember 1920 wurden im Berichtsjahre im ganzen nur 15 beim Bundesgericht verlangt.

In 12 Fällen konnte das Gutachten der Schätzungskommission akzeptiert werden ; bei 3 Gesuchen fällt die Erstattung des Gutachtens in das Jahr 1923. Die Gesuche rührten her aus den Kantonen Graubünden 2, Luzern 6, St. Gallen l, Tessin 2 und Waadt 4.

Die Dauer der Erledigung, d. h. vom Eingange der Beschwerden bis zum Spruch, betrug: l bis 3 Tage in 142 Fällen 4 ,, 6 ,, ,, 60 ,, 7 ,, 14 ,, ,, 6 3 ,, 15 ,, 21 . ,, ,, 19 ,, 22 und mehr ^ ,, 49 ,, Die kürzeste Dauer betrug l Tag; die längste 3 Monate 10 Tage ;. die Durchschnittsdauer 10 Tage.

705

Über die Verteilung der Geschäfte nach Kantonen und über das Schicksal der Beschwerden nach Art. 19 SchKG gibt folgende Tabelle Auskunft:

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Kantone .

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Aar&au Ö .

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Appenzell A.-Rh. .

Appenzell I.-Rh. .

Baselland Basel Stadt . . .

Bern Freiburg . . .

Genf Glarus Graubünden . .

Luzern .

.

Neuenburg . . .

Nidwaiden . . .

Obwalden . . .

Schaffhausen .

Schwyz . . . .

Solothurn . . .

S t . Gallen . . .

Tessin Thurgau . . .

Uri Waadt Wallis Zug Zürich Ai

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3 1 10 13 36 11 35 3 9 29 5 3 3 2 3 8 22 61 4 2 21 7 2 29 333

Die Gründe, aus denen die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer in 52 Fällen auf die Beschwerde nicht eintrat, waren : in 20 Fällen Inkompetenz der Oberaufsichtsbehörde, in 8 Fällen Verspätung der Beschwerde, in 10 Fällen direkte Einreichung der Beschwerde beim Bundesgericht, in 11 Fällen Formmängel, in 2 Fällen fehlende Legitimation zur Beschwerde und in l Fall Mangel eines Beschwerdegrundes.

706

G - e s u c h e u m p r o v i s o r i s c h e V e r f ü g u n g e n wurden gestellt 33 davon bewilligt 15 abgewiesen 7 -- 22 wegen sofortiger Erledigung der Sache keine Verfügung erlassen . . .

11 -- = 33 Auf dem Z i r k u l a t i o n s w e g e wurden 314 Urteile gefällt: von diesen waren 148 Präsidialanträge, in welcher Zahl 52 Nichteintretensentscheide inbegriffen sind.

Auf dem K o r r e s p o n d e n z w e g e erledigte Geschäfte: (Vorjahr) Präsidium 33 (30) Kammer 46 (42) Kanzlei 49 ( 65) Total "Ï28 (137) Das Protokoll der Betreibungskammer über die A d m i n i s t r a t i v g e s c h ä f t e verzeichnet 53 Nummern.

Ferner waren im Berichtsjahre von Eisenbahngesellschaften 3 Zwangsliquidationsbegehren, 3 Gesuche um Einleitung des Nachlassverfahrens und 17 Gesuche um Einberufung der Gläubigerversammlung nach der GGV pendent, und zwar: Zwangsliquidationsbegehren gegen die 1. Wengernalpbahn, 2. Porrentruy-Bonfol-Bahn, 3. die Nyon-Crassier-Bahn reichteselbst ihre Insolvenzerklärung ein.

Davon sind Nr. l durch Genehmigung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung durch die II. Zivilabteilung als gegenstandslos geworden und Nr. 3 infolge Beendigung des Verfahrens als erledigt abgeschrieben worden. Nr. 2 ist noch pendent.

Gesuche um Abschluss eines NachlassVertrages waren hängend von der 1. Montreux-Oberland-Bahn, und neu gingen ein die Gesuche der 2. Berner Alpenbahn-Gesellschaft (BLS), : 3. Furkabahn-Gesellschaft.

Der Nachlassvertrag der Montreux-Oberland-Bahn wurde durch die II. Zivilabteilung im Laufe des Berichtsjahres bestätigt. Bezüglich der Gesellschaften unter Nrn. 2 und 3 ist das Verfahren noch pendent.

Gesuche um Einberufung der Gläubigerversammlung nach der GGV waren hängend von der

707

1. JungfraubahngeseUschaft, 2. Villars-Chesières à Bretaye-Bahn, 3. \Vengernalpbahngesellschaft, 4. -Appenzeller Strassenbahngesellschaft, 5. Dampfschiffgesellschaft des Vierwaldstattersees, und neu gingen ein 6. Berner Alpenbahngesellschaft (BLS), 7. Martigny-Châtelard-Bahn, 8. Porrentruy-Bonfol-Bahn, 9. Berninabahngesellschaft, 10. Glion-Rochers de Naye-Bahn, 11. Interlaken-Harder-Bahn, 12. Erlenbach-Zweisimmen-Bahn, 13. Territet-Mont-Fleuri-Bahn, 14. Solothurn-Münster-Bahn, 15. Drahtseilbahn St. Moritz- Chantarella, 16. Berner Oberland-Bahnen, 17. Niesenbahngesellschaft.

Das Gesuch der Berner Alpenbahngesellschaft (BLS) ist infolge Einreichung des Gesuches um Abschluss eines Nachlassvertrages gegenstandslos geworden und wurde daher abgeschrieben.

Das Gesuch der Porrentruy-Bonfol-Bahn wurde wegen ungenügender Begründung abgewiesen und auf dasjenige der Drahtseilbahn St. Moritz-Chantarella ist die Kammer nicht eingetreten, weil die Voraussetzungen für die Anwendung der Verordnung nicht vorlagen. Den übrigen Gesuchen wurde entsprochen und die Beschlüsse der Gläubigerversammlung der Jungfraubahn, der VillarsChesières à Bretaye-Bahn, der Wengernalpbahn, der Appenzeller Strassenbahn, der Dampfschififgesellschaft des Vierwaldstattersees und der Berninabahn konnten im Laufe des Berichtsjahres durch die II. Zivilabteilung genehmigt werden. Bei der MartignyChâtelard-Bahn und der Erlenbach-Zweisimmen-Bahn haben die Gläubigerversammlungen stattgefunden, und die Genehmigung der Beschlüsse durch die II. Zivilabteilung fällt in das Jahr 1923.

Bezüglich der Glion-Rochers de Naye-Bahn, der Interlaken-HarderBahn, der Territet-Mont-Fleuri-Bahn, der Solothurn-Münster-Bahn, der Berner Oberland-Bahnen und der Niesenbahn ist d*s Verfahren noch pendent.

T. Freiwillige Auf Ansuchen beider Bundesgerichts der Obmann bezeichnet worden, das die renzen aus Werkvertrag zu

Gerichtsbarkeit.

Parteien ist vom Präsidenten des eines zu bildenden Schiedsgerichts zwischen ihnen bestandenen Diffebeurteilen hatte.

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I. Zivilsachen: 1. Erst- und letztinstanzliche Prozesse . . .

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3. Zivilrechtl. Beschwerden 4. Andere Zivilsachen . .

5. Expropriationen . . .

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III. Staatsrechtliche Streitigkeiten .

. . .

763

238

352

123

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IV. 'Beschwerden lietr. Schuldletreibungs- und KonkursWesen .

348

297

47

4

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Total

2116

651

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259

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Jahre

26 623 34 22 267

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406 20 11 5

II. Strafsachen

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» Natur der Streitsachen

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Monate Tage

Monate Tage

Tage 14 26

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1 8 6

27 1 17

14 2 1

7 12 29

-- 2

5 3

17 27

1 15

24 29

19 15 6

1

1

22

4

10

39

2

--

17

2

11

40

--

3

10

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10

18

i *) Betrifft eine Berufung:, deren Erledigung mit Rücksicht auf ein tei der kantonalen Instanz anhängig gemachtes Beweisverfahren aufgeschoben werden musste.

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Nach den N a t i o n a l s p r a c h e n

verteilen sich die e r l e d i g t e n Geschäfte wie folgt:

Deutsche Schweiz I. Zivilsachen: 1. Erst- und letztinstanzliche Prozesse 2 . Berufungen . . . .

3. Zi vilrechtl. Beschwerden 4. Andere Zivilsachen . .

5. Expropriationen .

19 421 23 16 243

= 73% = 67% = 68% = 73% = 91%

Französische Schweiz

7 175 8 4 8

= 27% = 28% = 23% == 18% = 3%

Italienische Schweiz

27 3 2 16

= = = =

5% 9% 9% 6%

Total

26 = 623 = 34 = 22 = 267 =

100 % 100 % 100 % 100 % 100 %

21 = 64%

7 = 21%

5 = 15'%

33 = 100%

III. Staatsrechtliche Streitigkeiten

416 = 56%

186 = 24%

161 =21 %

763 = 100%

IV. Beschwerden betr. Schuldbetreibungs- u. Konkurswesen

203 = 59%

81 = 23%

Total

1362 = 65%

476 = 22%

II. Strafsachen

64 = 18 %

348 = 100 %

278 = 13 % 2116 = 100 % 709

710

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

L a u s a n n e , den 21. Februar 1923.

Im Namen des Schweiz. Bundesgerichts, Der Präsident: Schmid.

Der Gerichtsschreiber: Weis».

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des schweizerischen Bundesgerichts an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1922. (Vom 21. Februar 1923.)

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Jahr

1923

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

12

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.03.1923

Date Data Seite

685-710

Page Pagina Ref. No

10 028 657

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