536 # S T #

1804

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Abänderung von Art. 51, Abs. 1, des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911.

(Vom 17. Dezember 1923.)

1. Das Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung vom 18. Juni 1911 hat dem Bunde neben den Bundesbeiträgen an die anerkannten Krankenkassen auch beträchtliche Zuwendungen an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt auferlegt. Sie bestehen in einmaligen und in jährlich wiederkehrenden Leistungen.

Die erstem umfassen gemäss Art. 51 des genannten Gesetzes die Übernahme der der Anstalt vor der Betriebseröffnung erwachsenden Kosten, mit Ausnahme derjenigen für die Erwerbung von Liegenschaften und deren Herrichtung; sowie die Ausstattung der Anstalt mit einem Kapital von 10 Millionen, wovon fünf Millionen an Betriebskapital und weitere fünf Millionen als Grundlage für die Bildung einesReservefonds.. Die daherigen, auf den 1. April 1918, den Tag der Betriebseröffnung der Anstalt abgeschlossenen Ausgaben des Bundes belaufen sich auf insgesamt Fr. 12,811,041. 21.

An periodischen Leistungen hat der Bund gemäss Art. 51 und gemäss Art. 108 des Gesetzes zu tragen die Hälfte der jährlichen Verwaltungskosten der Anstalt, sowie einen Vierteil der jährlichen Prämiensumme für die Versicherung der Nichtbetriebsunfälle. Auf diese Leistungen werden die Einsparungen der Anstalt gemäss Art. 90, Abs. 2, des Gesetzes an Versicherungsleistungen für Ausländer mit reduzierten Versicherungsansprüchen angerechnet. Die Anstalt ist überdies gemäss Art. 52 des Versicherungsgesetzes für die Sendungen des Verwaltungsrates und der Direktion, sowie für die an die Anstalt gerichteten Sendungen der Agenturen portofrei.

537

Gemäss Art. 58 des Gesetzes ist sie steuerfrei mit Ausnahme der Steuern auf Grundeigentum, das nicht unmittelbar ihrem Betriebe dient, und gebührenfrei für Urkunden, die unmittelbar für den Anstaltsbetrieb ausgestellt werden.

Für den Fall der Einführung der freiwilligen Versicherung (Art. 115 des Versicherungsgesetzes) ist eine Subvention des Bundes von einem Achtel der Prämie an diejenigen freiwillig Versicherten vorgesehen, deren Jahreseinkommen Fr. 4500 nicht übersteigt.

Die periodischen Zuwendungen des Bundes beliefen sich für die^ Geschäftsjahre der Anstalt vom 1. April 1918 bis zum Ende des Jahres 1922 auf Anteil an Verwaltungskosteii Fr. 18,379,988.65 Anteil an den Prämien der Nichtbetriebsunfälle » 11,672,125.18 Zusammen Fr. 25,052,118.78 Davon sind abzurechnen an Bückvergütung gemäss Art. 90, Abs. 2, des Gesetzes im gleichen Zeitraum » 1,056,772.45 Es verbleibt somit ein Gesamtaufwand des Bundes im genannten Zeitraum von . . . . Fr. 23,995,341. 33 Die jährlichen Aufwendungen dürften nach dem Verlaufe der bisherigen Belastung heute, da ein gewisser Beharrungszustand eingetreten ist, für die Zukunft auf rund 3 Millionen Franken Anteil an den Verwaltungskosten und auf 3% Millionen Franken Anteil an den Prämien der Nichtbetriebsunfälle, somit- im Gesamten auf 6% Millionen Franken veranschlagt werden.

2. Die genannten periodischen Aufwendungen müssen, zumal wenn man noch die weitern Privilegien der Anstalt in Betracht zieht, absolut und auch im Verhältnis zu den Aufwendungen des Bundes für Wohlfahrtszwecke überhaupt als ganz bedeutende Begünstigung der obligatorischen Unfallversicherung bezeichnet werden.

So erreichen beide Beitragsarten, Verwaltungskosten und Prämienbeitrag zusammen beinahe 12% des nach dem Voranschlage des Bundes für das Jahr 1923 auf rund 55 Millionen Franken berechneten Gesamtbetrages der Bundessubventionen. Der Beitrag an die Verwaltungskosten der Anstalt allein beträgt noch 6,5 %.

3. Diese starke Belastung, zu der noch die Subventionen an die anerkannten Krankenkassen, heute im Betrage von etwa fünf Millionen treten, erregte schon bei Erlass des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung vom Standpunkte der Bundes-

538

finanzen aus Bedenken. Beim gegenwärtigen Stande dieser Finanzen kann sie nicht wohl mehr in dieser Höhe verantwortet werden.

Es ist daher ihre Herabsetzung ernstlich in Erwägung zu ziehen, zumal nachdem bereits im Voranschlag des Bundes für das Jahr 1924, um der baldigen Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Bundeshaushalte willen, auf den verschiedensten Subventionsgebieten ganz empfindliche Abstriche vorgenommen worden sind.

Dabei sind wir uns allerdings darüber klar, dass eine Herabsetzung der Beiträge des Bundes an die bereits verwirklichten Teile der Sozialversicherung nur soweit in Frage kommen kann, als es sich mit der sozialen Zweckbestimmung verträgt und unter keinen Umständen zu einer Gefährdung der Zweckerfüllung führen darf. Soweit aber eine Herabsetzung in den genannten Grenzen möglich ist, dürfte sie mittelbar wenigstens insofern gerade wieder im wohlverstandenen Interesse der Sozialversicherung liegen, als deren weitere Förderung besonders durch Einrichtung der Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenversicherung ganz wesentlich mit der baldmöglichsten Wiederherstellung befriedigender Zustände im Bundeshaushalte verknüpft ist.

4. Aus diesen Erwägungen heraus verbot sich denn auch ohne weiteres schon der blosse Gedanke einer Verminderung der Subventionen des Bundes in der Krankenversicherung. Ja, die schwierige Lage der Krankenversicherung, wie sie wesentlich durch die Wirtschaftskrise mitbedingt ist, hat den Bundesrat vielmehr veranlagst, den eidgenössischen Bäten die Verteilung einer ausserordentlichen Bundessubvention von 2 Millionen Franken unter die anerkannten Krankenkassen zu beantragen, welche Vorlage grundsätzlich die Zustimmung beider Eäte gefunden hat.

In .Ansehung der Leistungen des Bundes an die Unfallversicherung dürfte bei den heutigen schwierigen Erwerbsverhältnisseu zahlreicher Versicherter auch eine Aufhebung oder eine blosse Verminderung des Anteils an den Prämien der Nichtbetriebsunfälle nicht in Frage kommen, obwohl man auch den sozialen Wert solcher, in eine Vielheit kleiner Einzelbeiträge aufgelöster Staatszuschüsse grundsätzlich sehr wohl diskutieren kann und auch diese Leistung bei einer Revision der geltenden Gesetzgebung und einer weitern Ausgestaltung der Sozialversicherung im Zusammenhang mit der ganzen Frage einer zweckmässigeren Verwendung der
Bundesgelder wird geprüft werden müssen.

Dagegen möchten wir eine sofortige Herabsetzung des Beitrages des Bundes an die Verwaltungskosten der Anstalt befürworten.

G

539 Der Verwaltungsrat der Anstalt, über diese Frage angehört, nimmt zwar eine ablehnende Haltung ein. Er verweist darauf, dass seinerzeit der Bundesbeitrag an die Verwaltungskosten als Kompensation an die Prämienzahler gedacht war, so dass er heute nicht aus jenem Zusammenhang herausgelöst und für sich im Sinne der Herabsetzung modifiziert werden dürfe. Speziell wird noch betont, dass eine solche Herabsetzung die Interessen der freiwillig Versicherten bei einer Einführung der freiwilligen Versicherung besonders empfindlich treffen mlisste, indem in diesem Versicherungszweige seiner Natur nach mit höheren Verwaltungskosten zu rechnen sei.

Dieser Argumentation darf ganz besonders heute keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Zunächst ist daran zu erinnern, dass schon bei der Beratung des geltenden Gesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung der Nationalrat die vom Bundesrate vorgeschlagene Zuwendung der Hälfte der Verwaltungskosten auf einen Vierteil reduziert hat. Zwar hat der Ständerat mit nachheriger Zustimmung des Nationalrates den bundesrätlichen Vorschlag wieder aufgenommen, allerdings wie zuzugeben ist, unter dem Hinweis auf die von ihm getroffene für den Betriebsinhaber etwas onerösere andere Verteilung der Prämienlast und auf den monopolistischen Charakter der Versicherung. Es ist aber jedenfalls bemerkenswert, dass die Frage des Bundesbeitrages an die Anstalt im Nationalrat vor allem vom Standpunkte der Inanspruchnahme der Bundesfinanzen aus gewürdigt wurde und deren erhebliche Belastung schon bei Erlass des Gesetzes auf ernsthafte Bedenken gestossen ist.

Heute stehen wir vor grundlegend andern Verhältnissen. An die Stelle einer noch einigermassen ausgeglichenen Eechnung des Bundes sind regelmässige bedeutende Defizite getreten. Die Schuld des Bundes (ohne Bundesbahnen) hat sich von 163 Millionen Franken im Jahre 1913 auf 2210 Millionen Franken im Jahre 1922 erhöht.

Mehr als je gilt es daher, die zur Verfügung stehenden Mittel zusammenzufassen und dort zu verwenden, wo dafür ein zwingendes Bedürfnis besteht. Ohne ein solches Bedürfnis erscheint auch eine Berufung auf frühere unter ganz verschiedenen Verhältnissen getroffene Ordnungen nicht wohl angängig. Nun unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass seinerzeit in nur ganz annähernd ähnlich ungünstiger Lage Zuwendungen an
die Verwaltungskosten der Unfallversicherungsanstalt in der geltenden Höhe überhaupt nicht hätten in Frage kommen können.

Unzutreffend ist es auch, den Zusammenhang zwischen Bundesbeitrag an die Verwaltungskosten und Übernahme der vollen Prämie

340

durch den Betriebsinhaber zu betonen. Diese ist aus dem Gedanken des Einstehens für die Betriebsgefahr und der Verbesserung der Haftpflicht herausgewachsen und darf wohl als eine ohne Bücksieht auf die Organisation der Versicherung anerkannte sozialpolitische Forderung bezeichnet werden. Sie wird, soweit die Organisationsfrage heute noch erörtert wird, auch nicht damit in Zusammenhang gebracht. Die Gründe aber, die aus der Monopolisierung der Versicherung bei der Anstalt für die Beibehaltung des vollen Bundesbeitrages hergeleitet werden, fallen wohl mit den Feststellungen des Verwaltungsrates der Anstalt im Geschäftsbericht für das Jahr 1922 dahin, wonach sich die Verwaltungskosten der Anstalt mit 18,44 % auf durchaus bescheidener, der Privatversicherung nahestehender Höhe halten und auch im allgerneinan die mittleren Bruttoprämiensätze unter den Mittelsätzen der früheren Haftpflichtversicherung stehen. Gegenüber dem bei der Gesetzesberatung veranschlagten Satze von 0,33 Lohnprozenten belaufen sich dieVerwaltungskosten der Anstalt im Jahre 1922 auf bloss 0,27 Lohnprozente. Somit dürfte nach den vorliegenden Erfahrungen auch vom Gesichtspunkte des Zusammenhanges des Bundesbeitrages mit der Organisation der Versicherung aus angesichts des Notstandes, in dem sich der Bundeshaushalt befindet, nichts Ernstliches gegen eine Entlastung des Bundes einzuwenden sein.

Die starke Beteiligung des Staates an den Verwaltungskosten einer autonomen Versicherungsanstalt stellt denn auch ein» singuläre Erscheinung dar, die zwar in Holland noch zu finden ist, sonst aber im allgemeinen fehlt, und zwar auch bei der ähnlich organisierten österreichischen Betriebsunfallversicherung, welche sonst in verschiedenen Beziehungen der schweizerischen Versicherung zum Vorbilde gedient hat.

5. Wir gedenken nun aber keineswegs, auch nicht in bezug auf die Verwaltungskosten, so weit zu gehen, das Prinzip der, Beteiligung überhaupt aufzugeben. Vielmehr sind wir uns in Würdigung der Gründe, die seinerzeit zur Aufnahme des Grundsatzes ins Gesetz geführt haben, bewusst, dass an diesem selber festgehalten werden sollte.

Dagegen halten wir es für unsere Pflicht, in einer angemessenen Eeduktion eine Massnahme vorzuschlagen, die zusammen mit ähnlichen Massnahmen in andern Gebieten der Staatsverwaltung geeignet ist, die dringend notwendige
finanzielle Entlastung zu bringen.

Sie wird so, wie wir bereits erwähnten, nicht zuletzt im höheren Interesse der Sozialversicherung selber liegen, indem gesunde Staats-

541

finanzen die notwendige Voraussetzung der sozialpolitischen Tätigkeit des Staates bilden.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 17. Dezember 1928.

Im Namen des schweizerischen Bundesrates r Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Scheurer.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

(Entwurf.)

Bundesgesetz betreffend

Abänderung von Art. 51, Absatz 1, des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestutzt auf Art. 34bis der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 17. Dezember 1923, beschliesst: I. Das Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung wird abgeändert wie folgt: Art. 51, Absatz l, wird .aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: Der Bund vergütet der Anstalt einen Vierteil ihrer Verwaltungskosten.

II. Dieses Bundesgesetz gilt erstmals für das Jahr 1924.

III. Der Bundesrat ist mit der .Inkraftsetzung und der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Abänderung von Art.

51, Abs. 1, des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911. (Vom 17. Dezember 1923.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1923

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

52

Cahier Numero Geschäftsnummer

1804

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

19.12.1923

Date Data Seite

536-541

Page Pagina Ref. No

10 028 917

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.