Bericht des Bundesrates zu den systemrelevanten Banken (Evaluation gemäss Artikel 52 Bankengesetz) vom 28. Juni 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Bericht zur Evaluation der systemrelevanten Banken gemäss Artikel 52 Bankengesetz.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. Juni 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-1722

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Kontext

Die jüngste globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass eine Notlage oder ein Ausfall einer systemrelevanten Bank (hiernach auch «SIB» [systemically important bank]) aufgrund von deren Grösse, Marktbedeutung und Vernetzung zu erheblichen Verwerfungen im Finanzsystem und zu negativen gesamtwirtschaftlichen Folgen führen kann. Der betroffene Staat wird deshalb eine solche SIB im Krisenfall möglicherweise nicht untergehen lassen, sofern die Weiterführung systemrelevanter Funktionen nicht gesichert ist. Diese implizite Staatsgarantie führt zu ungerechtfertigten Marktverzerrungen. Das oberste Ziel staatlicher Massnahmen im Rahmen der Regulierung systemrelevanter Banken muss deshalb sein, diese Garantie so weit aufzukünden, dass der Staat bei einer Notlage oder einem Ausfall einer SIB keine Steuergelder zu deren Rettung einsetzen muss.

Für die Schweiz, die im internationalen Vergleich und im Verhältnis zur Grösse des Landes sehr grosse Finanzinstitute beheimatet, ist die Problematik bezüglich SIBs eine besondere Herausforderung. Deshalb hat die Schweiz ­ gestützt auf Empfehlungen der Expertenkommission vom 30. September 2010 zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen ­ vergleichsweise schnell regulatorische Lehren aus der jüngsten Finanzkrise gezogen und eine Gesetzesvorlage (Stärkung der Stabilität im Finanzsektor «too big to fail») umgesetzt. Die revidierten Bestimmungen des Bankengesetzes vom 8. November 19341 (BankG) sind seit dem 1. März 2012 in Kraft. Die entsprechenden Verordnungsanpassungen hat der Bundesrat ­ zusammen mit den für alle Banken geltenden Basel-III-Vorgaben ­ auf den 1. Januar 2013 in Kraft gesetzt.

Im Jahr 2014 wurde der Schweizer Regulierungsansatz für SIBs erstmals einer Evaluation gemäss Artikel 52 BankG unterzogen. In seinem ersten Evaluationsbericht vom 18. Februar 2015 (nachfolgend «Evaluationsbericht 2015»)2 kam der Bundesrat zum Schluss, dass der Schweizer Ansatz im internationalen Vergleich positiv zu beurteilen ist und deshalb keiner grundsätzlichen Neuausrichtung bedarf. Handlungsbedarf wurde aber sowohl bei den prudenziellen als auch bei den organisatorischen Massnahmen sowie den Krisenfall-Massnahmen identifiziert. In der Folge erarbeitete eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) mit
Vertretern der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) und der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Vorschläge zu den notwendigen rechtlichen Anpassungen. Die Eckwerte für die geplanten Änderungen auf Verordnungsstufe wurden am 21. Oktober 2015 vom Bundesrat verabschiedet. Vom 22. Dezember 2015 bis zum 15. Februar 2016 erfolgte eine Anhörung zu den beabsichtigten Änderungen der Eigenmittelverordnung vom 1. Juni 20123 (ERV) und der Bankenverordnung vom 1 2 3

SR 952.0 BBl 2015 1927 SR 952.03

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30. April 20144 (BankV). Die vom Bundesrat am 11. Mai 2016 verabschiedeten Verordnungsanpassungen traten am 1. Juli 2016 in Kraft. Die neuen Anforderungen sind von den systemrelevanten Banken bis Ende 2019 zu erfüllen. Die revidierten Bestimmungen für SIBs führten insbesondere für die beiden international tätigen systemrelevanten Banken Credit Suisse und UBS zu einer deutlichen Erhöhung der Anforderungen an Umfang und Qualität des Eigenkapitals. Insgesamt erfüllt die Schweiz mit den umgesetzten regulatorischen Massnahmen die relevanten internationalen Standards, namentlich die Vorgaben von Basel III, den Zuschlag des Financial Stability Board (FSB) für global systemrelevante Banken (nachfolgend «G-SIBs» [Global systemically important banks]) sowie den Mindeststandard für verlustabsorbierendes Kapital (nachfolgend «TLAC» [Total loss absorbing capacity]). Zusätzlich setzt die Schweiz im Rahmen des Basel-III-Zeitplans auch die internationalen Liquiditätsanforderungen um. Mit der Umsetzung der relevanten internationalen Mindeststandards sind die Grundlagen geschaffen, um für die Schweizer G-SIBs (Credit Suisse und UBS) ein international abgestimmtes und anerkanntes Krisenmanagement anzustreben, welches die Schweizer Interessen möglichst gut wahren kann.

1.2

Aufträge

1.2.1

Auftrag gemäss Artikel 52 BankG

Gemäss Artikel 52 BankG prüft der Bundesrat alle zwei Jahre die Bestimmungen für systemrelevante Banken im Hinblick auf die Vergleichbarkeit und den Grad der Umsetzung der entsprechenden internationalen Standards im Ausland. Er erstattet der Bundesversammlung jeweils darüber Bericht und zeigt den allfälligen Anpassungsbedarf auf Gesetzes- und Verordnungsstufe auf. Wie vorstehend bereits erwähnt, hat der Bundesrat am 18. Februar 2015 den Evaluationsbericht 2015 zuhanden des Parlaments verabschiedet.

1.2.2

Zusätzlicher Prüfauftrag gemäss Entscheid des Bundesrates

Systemrelevante Banken sollen über ausreichend Kapital zur Weiterführung ihrer Dienstleistungen verfügen, sodass sie auch in einer Stresssituation weder einer staatlichen Unterstützung bedürfen noch saniert oder abgewickelt werden müssen (sog. Going-concern-Kapital). Wie unter Ziffer 1.1 erwähnt, müssen die beiden Schweizer G-SIBs gemäss den vom Bundesrat am 11. Mai 2016 verabschiedeten und am 1. Juli 2016 in Kraft getretenen Verordnungsanpassungen ergänzend zu den Going-concern-Anforderungen zusätzlich Kapital halten, um die Sanierung zu gewährleisten oder die systemrelevanten Funktionen in einer funktionsfähigen Einheit weiterzuführen und die anderen Einheiten abzuwickeln (sog. Gone-concernKapital). Sowohl die Sanierung als auch die Abwicklung sollen ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel möglich sein.

4

SR 952.02

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Gleichzeitig hat der Bundesrat entschieden, dass grundsätzlich auch ein Handlungsbedarf bei Gone-concern-Kapitalanforderungen für nicht international tätige systemrelevante Banken besteht. Es sind dies die Postfinance, die Raiffeisen und die ZKB (nachfolgend gemeinsam «inlandorientierte SIBs»). Zum damaligen Zeitpunkt war jedoch die Ausgestaltung der Gone-concern-relevanten Notfallpläne der inlandorientierten SIBs noch völlig offen. Eine zuverlässige Formulierung und Kalibrierung der regulatorischen Anforderungen ist jedoch angesichts der spezifischen Organisationsund Eigentumsverhältnisse bei den inlandorientierten SIBs erst möglich, wenn die Grundzüge der einzelnen Notfallpläne bekannt sind. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat entschieden, dass die Festlegung des konkreten Bedarfs an Gone-concernKapitalanforderungen erst im Rahmen des vorliegenden Berichts beurteilt wird.

1.3

Inhalt des Berichts

Wie unter Ziffer 1.2 dargestellt, nimmt der vorliegende zweite Evaluationsbericht nicht nur die Überprüfung gemäss Artikel 52 BankG (Beurteilung des Schweizer Ansatzes im internationalen Vergleich) vor, sondern beurteilt auch den Bedarf an zusätzlichen Gone-concern-Anforderungen für inlandorientierte SIBs.

Die für diesen Bericht erforderlichen Grundlagen wurden vom EFD in Zusammenarbeit mit der SNB und der FINMA erarbeitet. Diese Arbeiten stützten sich insbesondere auf die umfangreichen Vorarbeiten für die Umsetzung der vom Bundesrat am 11. Mai 2016 verabschiedeten und am 1. Juli 2016 in Kraft getretenen Änderungen der ERV und BankV. Wichtige Grundlagendokumente sind insbesondere der «Erläuterungsbericht vom 22. Dezember 20155 zu Änderungen der ERV und der BankV (Eigenmittelanforderungen Banken ­ Rekalibrierung TBTF und Kategorisierung)», der «Bericht vom 13. Mai 20166 des EFD über die Anhörung zu Änderungen der ERV und der BankV (Eigenmittelanforderungen Banken ­ Rekalibrierung TBTF und Kategorisierung)» sowie die «Regulierungsfolgenabschätzung vom 11. Mai 20167 zur Änderung der ERV und der BankV (Eigenmittelanforderungen Banken ­ Rekalibrierung TBTF und Kategorisierung)». Zusätzlich zu diesen umfassenden Analysen dienten insbesondere auch der Schlussbericht der Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie (unter dem Vorsitz von Professor Aymo Brunetti, Universität Bern)8 sowie der gestützt darauf erstellte Evaluationsbericht 2015 als wichtige Grundlagen.

5 6 7 8

www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilung > Anhörung der «Too-big-to-tofail«-Bestimmungen > Erläuternder Bericht.

www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilung > Bundesrat verabschiedet Anpassung der «Too-big-to-to-fail»-Bestimmungen > Erläuternder Bericht.

www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilung > Bundesrat verabschiedet Anpassung der «Too-big-to-to-fail»-Bestimmungen > Regulierungsfolgenabschätzung.

Vgl. Schlussbericht der Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie vom 1.12.2014 und Anhang zur Überprüfung des Schweizer «Too-big-to-fail»-Regimes im internationalen Vergleich ­ Grundlage für die Evaluation gemäss Artikel 52 BankG (nachfolgend Expertenbericht [2014]) (www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/37585.pdf und www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/37589.pdf).

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Der vorliegende Bericht ist wie folgt aufgebaut: In Kapitel 2 wird das Schweizer Regime überprüft. Dieses Kapitel enthält einen internationalen Vergleich des Schweizer Ansatzes zur Regulierung systemrelevanter Banken (2.1), eine Konkretisierung des Bedarfs an Gone-concern-Kapital für inlandorientierte SIBs (2.2) sowie eine Erläuterung der Gewinnsteuerfrage bezüglich der Ausgabe von TLAC (2.3).

Weiter enthält das Kapitel 2 Ausführungen zum Bankensanierungs- und Bankeninsolvenzrecht (2.4) und zur Neuregelung des Beteiligungsabzugs und der damit verbundenen Gewährung von Erleichterungen für systemrelevante Einzelinstitute (2.5). In Kapitel 3 wird der identifizierte Handlungsbedarf zusammengefasst und Kapitel 4 beschreibt den Prozess und den Zeitplan für dessen Umsetzung.

2

Überprüfung der Regulierung systemrelevanter Banken

2.1

Beurteilung des Schweizer Ansatzes im internationalen Vergleich

Beurteilungskriterien Im Rahmen der Grundlagenarbeiten wurde einerseits die Umsetzung der geltenden internationalen Standards in der Schweiz überprüft, zum anderen wurde das Schweizer Regime für systemrelevante Banken mit den entsprechenden regulatorischen Massnahmen in ausgewählten Jurisdiktionen verglichen. Speziell fokussiert wurde dabei auf die USA, die EU und das Vereinigte Königreich, weil in diesen Ländern SIBs beheimatet sind, welche über vergleichbare Strukturen wie Schweizer SIBs verfügen.9 Für den internationalen Vergleich wurde die Regulierung systemrelevanter Banken in drei Kategorien unterteilt: Die prudenziellen Massnahmen haben zum Ziel, die Krisenresistenz der Banken zu stärken. Demgegenüber steuern strukturelle Massnahmen die Struktur und Organisation einer Bank. Der rechtliche Rahmen für ein effektives Sanierungs- und Abwicklungsregime zielt schliesslich darauf ab, insbesondere auch systemrelevante Banken und Bankengruppen in einem geordneten Verfahren entweder zu sanieren oder abzuwickeln.

1) Prudenzielle Massnahmen Die Schweiz legt ein starkes Gewicht auf prudenzielle Massnahmen. Im internationalen Vergleich verlangt sie von den SIBs hohe risikogewichtete Eigenmittelanforderungen. Ein systemrelevantes Institut soll nach diesem Ansatz über ausreichend Going-concern-Kapital für die Erbringung seiner Dienstleistungen verfügen, um unvorhergesehene Verluste absorbieren zu können.

Der internationale Vergleich führt zum Ergebnis, dass die Schweizer Goingconcern-Kapitalanforderungen für die beiden G-SIBs zwar insgesamt über die vorgegebenen internationalen Standards hinausgehen, jedoch durchaus vergleichbar sind mit den entsprechenden Anforderungen in den USA und im Vereinigten König9

Vgl. Anhang 4 zum Expertenbericht (2014), S. 10.

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reich (vgl. Grafik 1). Damit wird dem im Evaluationsbericht 2015 festgehaltenen Ziel bezüglich der Höhe der Kapitalanforderungen entsprochen, wonach die Schweiz zu den Ländern mit international führenden Kapitalanforderungen für SIBs gehören soll. Die hohen Anforderungen für Schweizer SIBs rechtfertigen sich insbesondere durch die Grösse der SIBs im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt; dieses ist im Vergleich mit anderen Ländern überdurchschnittlich hoch, womit ein gesamtwirtschaftlich erhebliches Risiko besteht.

Grafik 1 Internationaler Vergleich der Kapitalanforderungen (jeweils die höchsten angewendeten Anforderungen für G-SIBs) Basel III-Standard

Stand 31.3.2017

Internationaler Standard

Going Concern

RWA Mindestanforderung Puffer (2.5%+G-SIB 2 Zuschlag 1.0%-2.5%) Leverage Ratio (LR) Mindestanforderung

Total Tier 1 9.5-11.0% 6.0% 3.5-5.0%

TLAC-Standard Tier 2

davon CET1 davon AT1 8.0-9.5% 1.5% 4.5% 1.5%

T2 2.0% 2.0%

Mindestanforderung

1

18.0% RWA

3.5-5% "3.0%" "3.0%"

"3.0%" "3.0%"

6.75% LR

Nationale Umsetzungen der internationalen Standards RWA

CH

Mindestanforderung 3 Puffer (Zielgrösse) Leverage Ratio (LR) Mindestanforderung 3 Puffer (Zielgrösse)

14.3%

10.0%

4.3%

8.0% 6.3%

4.5% 5.5%

3.5% 0.8%

5.0%

3.5%

1.5%

3.0% 2.0%

1.5% 2.0%

1.5%

18.0-22.3% RWA (je nach Rabatt 4)

6.75-8.0% LR (je nach Rabatt 4)

13.0% 6.0% 7.0% 5.0-6.0% 3.0% 2.0-3.0%

11.5% 1.5% 4.5% 1.5% 7.0% 5.0-6.0% 3.0% 2.0-3.0%

2.0% 2.0%

US

RWA Mindestanforderung Puffer (maximal) Leverage Ratio (LR) Mindestanforderung Puffer (maximal)

11.0% 6.0% 5.0% 3.875% 3.0% 0.875%

9.5% 4.5% 5.0% 3.250% 2.375% 0.875%

2.0% 2.0%

UK

RWA Mindestanforderung Puffer (maximal) Leverage Ratio (LR) Mindestanforderung Puffer (maximal)

1

1.5% 1.5% 0.625% 0.625%

18.0% RWA 5

9.5%-10.5% LR 5

20.6% RWA

6

9.5%-10.5% LR 6

Die TLAC-Anforderung besteht nur aus Mindestanforderungen und beinhaltet keine Pufferanforderungen.

Puffer für CS bei 4.0% (inkl. 1.5% G-SIB Zuschlag) und für UBS bei 3.5% (inkl. 1.0% G-SIB Zuschlag).

3 Basierend auf bankseitigen öffentlichen Angaben über ihre beabsichtigte Grösse in naher Zukunft ("Zielgrösse").

4 Rabatte möglich soweit internationale Vorgaben nicht unterschritten werden.

5 Höhere Anforderung von 18% RWA oder 9.5% LR.

6 Höhere Anforderung von 2 x (Pillar 1 + Pillar 2A) oder 2 x LR (mindestens aber 6.75% LR).

2

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Auf internationaler Ebene stehen im Bereich der prudenziellen Massnahmen seit Längerem auch Massnahmen für den Krisenfall im Vordergrund. Damit sollen bei einem Ausfall einer SIB ein geordneter Marktaustritt sowie die Fortführung systemisch bedeutender Dienstleistungen sichergestellt werden. Mit diesem Ziel hat das FSB im November 2015 den TLAC-Mindeststandard verabschiedet. Dieser Standard soll bei einer G-SIB insbesondere die Umsetzung der Sanierung oder Abwicklung mittels Zwangsbeteiligung der Gläubiger («Bail-in») ermöglichen.

Mit den am 1. Juli 2016 in Kraft getretenen Verordnungsanpassungen hat die Schweiz als erstes Land den TLAC-Standard umgesetzt und damit verbindliche Gone-concern-Kapitalanforderungen für G-SIBs festgelegt, die über den internationalen Standard hinausgehen. Damit wird die Schweiz ­ voraussichtlich zusammen mit den USA ­ zu den Ländern mit international führenden Gone-concern-Kapitalanforderungen für G-SIBs zählen.10 Aufgrund des besonders stark ausgeprägten Auslandengagements der beiden Schweizer G-SIBs und der damit verbundenen Unsicherheiten und Risiken im Sanierungs- oder Abwicklungsfall sind die relativ hohen Gone-concern-Kapitalanforderungen erforderlich.

2) Strukturelle Massnahmen Der internationale Vergleich zeigt auf, dass die einzelnen Jurisdiktionen bei ihren Bestrebungen im Bereich der strukturellen Massnahmen recht unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Der grundsätzliche Fokus liegt dabei auf der Definition und Abgrenzung entweder der risikoreichen Tätigkeiten oder der systemrelevanten Bankdienstleistungen (in der Regel das Depositengeschäft) von den übrigen Teilen der Bank.

In den USA dürfen risikoreiche Tätigkeiten (z. B. der Eigenhandel) nicht innerhalb einer Holdinggesellschaft, die gleichzeitig auch das Depositengeschäft betreibt, ausgeführt werden. Bei der sehr detaillierten Definition dieses Verbots besteht eine Unschärfe durch die Zulassung von «Market-Making-Tätigkeiten», die in der Praxis nur schwierig von einer Eigenhandelstätigkeit abgegrenzt werden können.

Im Gegensatz zu den USA stehen im Vereinigten Königreich die Definition und Abgrenzung zentraler Bankdienstleistungen im Vordergrund. Es wird jedoch keine vollständige Trennung der systemrelevanten von den risikoreichen Tätigkeiten verlangt. Dies wird mit positiven Effekten für die
Finanzstabilität begründet, die durch diversifizierte Aktivitäten einer Finanzgruppe entstehen können. Daher darf das Depositengeschäft zwar innerhalb der Finanzgruppe getätigt werden, muss jedoch in einer separaten Einheit angesiedelt sein.

Die Schweiz verfolgt in diesem Bereich einen anderen Regulierungsansatz. Im Sinne der Subsidiarität steht bei den strukturellen Massnahmen die nachhaltige Verbesserung der Sanier- und Liquidierbarkeit im Vordergrund. Die Schweizer Regulierung für SIBs sieht weder ein Verbot gewisser Tätigkeiten noch eine Vorschrift zur Abtrennung von spezifischen Geschäftsaktivitäten vor. Viel mehr sind die strukturellen Massnahmen schwergewichtig auf die Notfallplanung und somit die Weiterführung der in der Schweiz systemrelevanten Funktionen im Krisenfall ausgerichtet.

10

Die geplanten Vorgaben in den USA übertreffen die internationalen Standards, zumindest im Bereich der ungewichteten Kapitalquote («Leverage Ratio»).

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Damit soll es den betroffenen Instituten möglich sein, die erforderlichen organisatorischen Massnahmen individuell den verschiedenen Geschäftsmodellen anzupassen.

So haben beispielsweise die beiden Schweizer G-SIBs in 2015 (UBS) respektive 2016 (CS) je eine neue Schweiz-AG als hundertprozentige Tochter der jeweiligen Bankholding in Betrieb genommen, um die für die Schweiz systemrelevanten Funktionen auf diese neuen Rechtsträger zu übertragen.

3) Rechtlicher Rahmen für ein effektives Sanierungs- und Abwicklungsregime Das FSB hat die zentralen Elemente für ein effektives Sanierungs- und Abwicklungsregime in den «Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions» (Key Attributes) festgelegt. Mit der Revision des BankG, der BankV der ERV sowie mit der Schaffung einer Bankeninsolvenzverordnung (Bankeninsolvenzverordnung FINMA vom 30. August 201211 [BIV-FINMA]) hat die Schweiz die entsprechenden Vorgaben des FSB ins nationale Recht überführt und damit die notwendigen Rechtsgrundlagen für eine institutsspezifische Stabilisierungs-, Sanierungs- und Abwicklungsplanung geschaffen. Gemäss aktueller Beurteilung gehört die Schweiz zu denjenigen Jurisdiktionen, welche die internationalen Vorgaben im Bereich Sanierung und Abwicklung bereits weitgehend umgesetzt haben.12 Allerdings gehen die Entwicklungen auf internationaler Ebene ­ aufgrund der unterschiedlichen Regulierungsansätze und Funktionsweisen der Rechtsräume ­ immer weiter, sodass auch in Zukunft davon auszugehen ist, dass periodisch Anpassungen an der Schweizer Gesetzgebung erforderlich sein werden.

Beurteilung Die international vergleichende Analyse hat bestätigt, dass der Schweizer Regulierungsansatz für SIBs geeignet ist, das Systemrisiko zu reduzieren. Insgesamt ist der Schweizer Ansatz im internationalen Vergleich positiv zu beurteilen, und es ist keine grundsätzliche Anpassung des Regulierungsmodells notwendig.

2.2

Gone-concern-Kapitalanforderungen für inlandorientierte SIBs

Hohe Going-concern-Kapitalanforderungen können eine Sanierung oder Abwicklung nicht in jedem Fall verhindern. Die Erfahrung zeigt, dass auch eine hohe Going-concern-Kapitalisierung im Krisenfall regelmässig nicht ausreicht, da Verluste unterschätzt und ­ auf historischen Szenarien beruhende ­ Berechnungsmethoden von Eigenkapitalquoten fehlerhaft sein können. Wie vorstehend dargestellt, müssen die beiden Schweizer G-SIBs bereits heute ­ ergänzend zu den Going-concernAnforderungen ­ zusätzliches Gone-concern-Kapital halten. Das Gone-concernKapital soll die Sanierbarkeit der G-SIBs oder aber die ununterbrochene Weiterführung der für die Schweiz systemrelevanten Funktionen in einer funktionsfähigen 11 12

SR 952.05 Vgl. Second Thematic Review on Resolution Regimes vom 18.3.2016 (www.fsb.org > Publications > 2016 > March).

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Einheit gewährleisten, während die anderen Einheiten abgewickelt werden. Sowohl die Sanierung wie auch die Abwicklung sollen ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel auf Bundesebene möglich sein. Dabei stellen Bail-in-Instrumente das international verbreitetste Mittel zur Kapitalbeschaffung für die Sanierung dar. Bail-inInstrumente sind Forderungen gegenüber der Bank, die von der FINMA bei einem Ausfall der Bank entweder (teilweise) abgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden können. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt drohender Insolvenz genügend Bail-in-Instrumente oder überschüssiges Going-concern-Kapital zur Verfügung steht und zudem die rechtliche Durchsetzbarkeit gewährleistet ist.

Heutige Kapitalanforderungen an SIBs Mit den im Juli 2016 in Kraft getretenen und per Ende 2019 in vollem Umfang geltenden Bestimmungen müssen die beiden Schweizer G-SIBs eine Going-concernAnforderung von je 14;3 Prozentder risikogewichteten Aktiven (nachfolgend «RWA» [risk weighted assets]) und 5 ProzentLeverage Ratio erfüllen. Hinzu kommt eine Gone-concern-Anforderung von 14,3 Prozent RWA, die mit individuellen Rabatten von der FINMA gesenkt werden kann, aber unter Berücksichtigung des internationalen Standards nicht unter 10 Prozent RWA fallen darf. Auch in Bezug auf die Leverage Ratio besteht eine Gone-concern-Anforderung von 5 Prozent. Die inlandorientierten SIBs müssen Going-concern-Kapitalanforderungen in der Höhe von 13,2 Prozent RWA und 4,63 Prozent Leverage Ratio (Raiffeisen), respektive 12,9 Prozent RWA und 4,5 Prozent Leverage Ratio (Postfinance, ZKB) erfüllen (ohne Berücksichtigung allfälliger individueller Verfügungen der FINMA). Explizite Gone-concern-Kapitalanforderungen für inlandorientierte SIBs bestehen noch nicht. Die grössten nichtsystemrelevanten Banken müssen eine Going-concernAnforderung von 12 ProzentRWA erfüllen.Im Unterschied zu den systemrelevanten Banken können die nicht-systemrelevanten Banken die Anforderung teilweise auch mit Kapital tieferer Qualität (Tier 2) erfüllen.

Relevante Verlusterfahrung Zur Abschätzung der adäquaten Höhe der Kapitalanforderungen für inlandorientierte SIBs kann die Analyse von historischen Verlusten wichtige Anhaltspunkte liefern.

Bei der Interpretation der Analyse von historischen Verlusten im In- und Ausland muss beachtet werden, dass sich
das regulatorische Umfeld als Folge der erwähnten Krisen verändert hat. Ausserdem hängt das individuelle Verlustpotenzial einer Bank von deren spezifischem Geschäftsmodell ab, was Vergleiche grundsätzlich erschwert. Trotzdem bleiben Verluste bzw. Sanierungs- und Abwicklungskosten in ähnlicher Höhe auch in Zukunft möglich.

Grössere Verluste inländischer Banken zeigten sich insbesondere während der Immobilienkrise der 1990er-Jahre in der Schweiz. Im Zuge dieser Krise erlitten die Berner Kantonalbank (BEKB), die Banque Cantonale Vaudoise (BCV) und die Banque Cantonale de Genève (BCGE) Verluste, die die Unterstützung durch die öffentliche Hand notwendig machten. Der Verlust der BCV belief sich beispielsweise auf 3,1 Milliarden Franken, was 8 Prozentder Bilanzsumme entsprach. Damals wurde zwar noch keine Leverage Ratio ausgewiesen, der Verlust von 8 Prozentder Bilanzsumme kann aber als entsprechender Näherungswert herangezo4855

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gen werden. Ein solcher Verlust hätte selbst mit den heutigen Going-concernAnforderungen an die beiden Schweizer G-SIBs nicht aufgefangen werden können.

Die Analyse der historischen Verluste dieser Schweizer Institute gibt wichtige Anhaltspunkte zum Verlustpotenzial der beiden kreditgebenden Institute ZKB und Raiffeisen. Die Postfinance stellt aufgrund ihres Geschäftsmodells einen Sonderfall dar, und die Vergleichbarkeit mit historischen Verlusten anderer Schweizer Banken ist nur bedingt gegeben.

Zudem sind erfahrungsgemäss die Kosten einer Bankabwicklung oder -sanierung sehr hoch. Eine Studie der Federal Deposit Insurance Corporation kommt zum Schluss, dass sich die durchschnittlichen Abwicklungskosten von mehr als 1000 untersuchten Bankinsolvenzen in den USA zwischen 1986 und 2007 auf über 21Prozent der Aktiven belaufen haben.13 Einen zweiten Anhaltspunkt aus der jüngeren Vergangenheit liefern die Verluste von ausländischen Banken in der Finanzkrise von 2007/2008. Die erlittenen Verluste der Institute, die bezüglich Geschäftsmodell und rechtlicher Struktur am besten mit den inlandorientierten SIBs vergleichbar sind, beliefen sich auf bis zu 7 Prozentder risikogewichteten Aktiven.

Zusammenfassend könnten somit mit den aktuell geltenden Going-concernKapitalanforderungen der inlandorientierten SIBs diese Verluste nicht aufgefangen werden.

Systemrelevanz Im Unterschied zu nichtsystemrelevanten Banken ist bei SIBs eine geordnete Abwicklung oder Sanierung im Krisenfall für die Finanzstabilität von grosser Bedeutung. Deshalb müssen im Gone-concern-Fall ausreichende Mittel für eine allfällige Sanierung oder die Überführung der systemrelevanten Funktionen in eine funktionsfähige Einheit vorhanden sein.

Artikel 60 Absatz 1 BankV verpflichtet die SIBs aufzuzeigen, wie sie ihre systemrelevanten Funktionen im Fall drohender Insolvenz weiterführen können. Dies kann ­ nach Erkenntnissen aus der Notfallplanung ­ nur gelingen, wenn der FINMA genügend Fremdkapital oder allenfalls eine gleichwertige Garantie im Voraus zur Verfügung steht, das bei Bedarf ohne Zutun Dritter in Eigenkapital gewandelt werden kann.

13

Rosalind L. Bennett und Haluk Unal «The effects of resolution methods and industry stress on the loss on assets from bank failures», Journal of Financial Stability, Volume 15, Dezember 2014, S. 18­31.

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Internationale Entwicklungen In der EU sind Gone-concern-Kapitalanforderungen grundsätzlich für alle Banken vorgesehen und werden unter dem Namen «Minimum Requirements for own funds and Eligible Liabilities» (MREL) institutsspezifisch bestimmt. 14 Das Vereinigte Königreich hat diese Anforderungen konkretisiert und eine entsprechende Gesetzesvorlage zur Konsultation veröffentlicht. Die MREL umfassen eine Going-concernplus eine Gone-concern-Kapitalanforderung und entsprechen damit grundsätzlich den internationalen TLAC-Anforderungen. Es werden in Abhängigkeit der Grösse verschiedene Fälle unterschieden. Der für Schweizer inlandorientierte SIBs vergleichbare Fall ist derjenige für die grössten Banken mit einer Bilanzsumme von über 25 Milliarden Pfund. Für diese Banken sollen die Gone-concern-Kapitalanforderungen die minimalen Going-concern-Kapitalanforderungen spiegeln. Dies würde einer Gone-concern-Kapitalanforderung für die drei inlandorientierten SIBs von mindestens 8 Prozent RWA entsprechen.

Einschätzung durch die betroffenen Banken Die inlandorientierten SIBs hatten im Vorfeld zum Entscheid des Bundesrates mehrfach die Gelegenheit, ihre Standpunkte in Bezug auf Gone-concern-Kapitalanforderungen gegenüber Behördenvertreterinnen und -vertretern darzulegen. Dabei wurde insbesondere auf die Unterschiede zwischen den inlandorientierten SIBs bezüglich Organisationsstruktur und Eigentumsverhältnisse hingewiesen. Zudem haben die betroffenen Institute hervorgehoben, dass sie sich durch eine bedeutend geringere organisatorische Komplexität und weniger starke internationale und finanzielle Verflechtung als die Schweizer G-SIBs auszeichnen.

Beurteilung Der Bundesrat kommt zum Schluss, dass Gone-concern-Kapitalanforderungen auch für inlandorientierte SIBs notwendig sind.

1) Gründe Wie die Analyse vergangener Krisen zeigt, kann auch bei inlandorientierten SIBs nicht ausgeschlossen werden, dass Verluste die bestehenden Going-concern-Anforderungen übersteigen könnten.

Bei SIBs ist eine geordnete Abwicklung oder Sanierung im Krisenfall für die Finanzstabilität von zentraler Bedeutung, und zwar sowohl für G-SIBs als auch für die inlandorientierten SIBs. Da für Letztere heute noch keine expliziten Goneconcern-Kapitalanforderungen bestehen, kann die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen nicht gewährleistet werden.

14

Richtlinie (EU) 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates Text von Bedeutung für den EWR.

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Ohne Gone-concern-Kapitalanforderungen für die inlandorientierten SIBs liegen deren Kapitalanforderungen nur unwesentlich über denjenigen, die für die grössten nichtsystemrelevanten Banken gelten. Im Gegensatz zu den SIBs ist die Bedeutung der nichtsystemrelevanten Banken für die Finanzstabilität jedoch deutlich geringer.

Daher rechtfertigt sich lediglich für diese Banken der Verzicht auf eine auf Verordnungsstufe festgelegte Gone-concern-Kapitalkomponente.

2) Höhe der risikogewichteten Anforderungen Im Vergleich zu den beiden G-SIBs sind die inlandorientierten SIBs deutlich weniger international verflochten und weisen eine geringere Komplexität auf. Diese Faktoren vereinfachen eine geordnete Abwicklung oder Sanierung im Krisenfall und rechtfertigen tiefere Gone-concern-Kapitalanforderungen.

Die risikogewichteten Gone-concern-Kapitalanforderungen sollen wie bei den GSIBs die risikogewichteten Going-concern-Kapitalanforderungen spiegeln, jedoch nur zu 40 Prozent. Dies entspricht dem geringeren Grad an Systemrelevanz und internationaler Verflechtung. Heute würde dies zu risikogewichteten Gone-concernKapitalanforderungen von rund 5,3 Prozent (Raiffeisen) und 5,2 Prozent (Postfinance, ZKB) der risikogewichteten Aktiven führen.

FINMA-Erleichterungen (Rabatte) für eine verbesserte Sanier- und Liquidierbarkeit (gemäss Art. 10 Abs. 3 BankG resp. Art. 65 BankV) finden keine Anwendung für die inlandorientierten SIBs, da ihre gegenüber den G-SIBs bessere Sanier- und Liquidierbarkeit bereits mit der 40-ProzentSpiegelung der Kapitalanforderungen berücksichtigt wurde.

Grafik 2 Going- und Gone-concern-Kapitalanforderungen für Schweizer Banken (CS und UBS ohne Rabatte der FINMA dargestellt, per Juli 2016 in Kraft gesetzt, Kategorien entsprechend Anhang 3 BankV)

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3) Leverage-Ratio-Anforderungen Zahlreiche Bankenkrisen haben die Wichtigkeit der Komplementarität von Leverage Ratio und risikogewichteten Anforderungen für die Verlustabsorption in einer Bankenkrise (Going-concern) aber auch für den Fall einer Sanierung oder Abwicklung (Gone-concern) unterstrichen. Die Architektur der in der Schweiz 2016 verabschiedeten TBTF-Kapitalanforderungen baut systematisch auf diesen zwei Säulen (Umrechnung mittels einer RWA-Dichte von 35 %) auf.

Aus diesem Grund soll die 40 %-Spiegelung der Gone-concern-Anforderungen auch auf die Leverage-Ratio angewandt werden. Heute würde dies zu Gone-concernLeverage-Ratio-Kapitalanforderungen von rund 1,9 % (Raiffeisen) und 1,8 % (Postfinance, ZKB) führen.

4) Flexible Umsetzung individuell abgestimmt Die drei inlandorientierten SIBs unterscheiden sich deutlich in Bezug auf ihre Organisationsstruktur (z.B. Genossenschaft Raiffeisen) und Eigentumsverhältnisse (z.B.

Postfinance, ZKB). Diesen spezifischen Eigenheiten muss durch individuelle Behandlung und Flexibilität bei der Umsetzung der Massnahmen Rechnung getragen werden, insbesondere bezüglich Qualität und Eigenschaften der anrechenbaren Gone-concern-Instrumente.

Die Gone-concern-Anforderungen sollen insbesondere mit überschüssigem Goingconcern-Kapital erfüllt werden können. Dabei gilt ein Anrechnungsverhältnis von Tier-1-Kapital an die Gone-concern-Anforderungen von 2 zu 3.

Die heutige ERV bietet ebenfalls Möglichkeiten, um den Besonderheiten der inlandorientierten SIBs Rechnung zu tragen. Insbesondere Anleihen mit Forderungsverzicht (Write-off-Bonds) eignen sich für Banken, deren Eigentümerstruktur nach Bail-in nicht verändert werden soll. Zu diesem Zweck ist es innerhalb des bestehenden gesetzlichen Rahmens auch möglich, dass Bail-in-Anleihen im Besitz der öffentlichen Hand sind.

Verfügt eine inlandorientierte SIB über eine explizite kantonale Staatsgarantie oder einen ähnlichen Mechanismus, so sind damit 50 Prozent der Gone-concern-Anforderungen dieses Instituts erfüllt. Der Erfüllungsgrad lässt sich bis auf 100 Prozent der Gone-concern-Anforderungen erhöhen, sofern die gesamten erforderlichen Mittel aus der Staatsgarantie oder dem ähnlichen Mechanismus innert kurzer Frist zur Verfügung stehen und der FINMA im Krisenfall ohne weiteres Zutun der Bank oder Dritter zugänglich
sind. Zudem soll die Gewährung einer langen Übergangsfrist von sieben Jahren den (teilweisen) Kapitalaufbau durch Gewinnrückbehalt ermöglichen.

5) Einwände der betroffenen Banken Der Bundesrat ist der Ansicht, dass mit der gewählten Ausgestaltung der Goneconcern-Kapitalanforderungen gewissen Bedenken der betroffenen Banken Rechnung getragen wurde. Die inlandorientierten SIBs haben sich für deutlich tiefere Anforderungen eingesetzt. Zudem wird die aktuell hohe, von den Banken bevorzugte Going-concern-Kapitalausstattung durch die überproportionale Anrechenbarkeit an die Gone-concern-Anforderungen gestützt. Eine (teilweise) Anrechenbarkeit 4859

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einer expliziten Staatsgarantie oder eines ähnlichen Mechanismus ist ebenfalls vorgesehen. Durch diese Massnahmen ist die Ausgabe von in Eigenmittel wandelbare Bail-in-Bonds oder Write-off-Bonds nicht zwingend erforderlich.

2.3

Gewinnsteuerfrage aufgrund der Ausgabe von TLAC aus der obersten Holdinggesellschaft

Gemäss geltendem Steuerrecht stellen Zinsen für bedingte Pflichtwandelanleihen («Contingent Convertibles», CoCos), Write-off-Bonds sowie Bail-in-Bonds Finanzierungsaufwand dar, der im Rahmen des Beteiligungsabzugs anteilmässig berücksichtigt wird. Im geltenden Recht ist diese Schmälerung des Beteiligungsabzugs systembedingt. Sämtliche Zinsen auf Fremdkapital führen bei allen Kapitalgesellschaften und Genossenschaften zu einer Reduktion des Bruttobeteiligungsertrags und damit des Beteiligungsabzugs. Durch die gruppeninterne Weitergabe der Mittel (Spiegelung) verlängern sich die Gesamtaktiven der obersten Holdinggesellschaft, was den Beteiligungsabzug ebenfalls beeinflusst. Dies kann dazu führen, dass auf Stufe der obersten Holdinggesellschaft einer Bankengruppe, welche CoCos, WriteOff-Bonds oder Bail-in-Bonds herausgegeben hat und die Mittel gruppenintern spiegelt, bei der Gewinnsteuer eine erhöhte Steuerbelastung für Beteiligungserträge auf den Stufen Bund und Kantone eintritt.

Diese direktsteuerliche Mehrbelastung ist letztlich darin begründet, dass gewisse SIBs aufsichtsrechtlich verpflichtet sind, in gewissem Umfang solche Finanzinstrumente herauszugeben und diese Herausgabe ­ ebenfalls aus aufsichtsrechtlichen Gründen ­ über die in der Schweiz ansässige oberste Holdinggesellschaft der Bankengruppe erfolgen muss. Die betroffenen SIBs können diese Problematik auch nicht dadurch lösen, dass sie die Finanzinstrumente über eine andere Gruppengesellschaft, insbesondere über eine dafür geschaffene Einzweckgesellschaft, herausgeben.

Der oben dargelegte Effekt kann zu steuersystembedingten zusätzlichen Gewinnsteuerbelastungen von bis zu mehreren Hundert Millionen Franken jährlich für die betroffenen Emittenten führen. Damit verbunden ist eine Reduktion des Eigenkapitals, die in einem Widerspruch zur Zielsetzung der Regulierung systemrelevanter Banken steht.

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Beurteilung Die erwähnten Finanzierungsinstrumente dienen dazu, das Systemrisiko des Bankensektors zu reduzieren. Aufgrund der herrschenden Steuergesetzgebung bewirkt die Herausgabe dieser Kapitalbeschaffungsinstrumente für die obersten Holdinggesellschaften von SIBs jedoch eine höhere steuerliche Belastung auf Beteiligungserträgen. Das steht im Widerspruch zum Ziel der Regulierung systemrelevanter Banken, die Eigenkapitalbasis der Banken zu stärken.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat am 30. September 2016 beschlossen, den gewinnsteuerlichen Effekt von CoCos, Write-off-Bonds und Bail-in-Bonds auf den Beteiligungsabzug der obersten Holdinggesellschaften von Bankengruppen von vornherein zu eliminieren. Die Zinszahlungen der CoCos, Write-OffBonds und Bail-in-Bonds sowie die aktivierte Spiegelung werden für die Berechnung des Beteiligungsabzugs bei obersten Holdinggesellschaften nicht berücksichtigt und der Beteiligungsabzug damit nicht geschmälert.

Die vorgeschlagene Lösung soll verhindern, dass die Steuerbelastung der obersten Holdinggesellschaft von SIBs durch die Emission von CoCos, Write-offBonds und Bail-in-Bonds ansteigt, was den aufsichtsrechtlichen Zielen zuwiderläuft.

Am 9. Juni 2017 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zu dieser gewinnsteuerrechtlichen Vorlage.

2.4

Bankensanierungs- und Bankeninsolvenzrecht

Das Bankensanierungs- und Bankeninsolvenzrecht ist in den Artikeln 25 ff. BankG und in der Bankeninsolvenzverordnung FINMA (BIV-FINMA) geregelt. Die geltenden Gesetzesgrundlagen bieten im Grundsatz einen ausreichenden rechtlichen Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten. Mithin sind die vom FSB im Jahr 2014 erlassenen Key Attributes im hiesigen Bankeninsolvenzrecht umgesetzt. Indessen sind punktuelle Ergänzungen notwendig, um die Rechtssicherheit und die Umsetzbarkeit einer Sanierung zu verbessern. So hat der Bundesrat in seine Botschaft vom 4. November 2015 zum Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und zum Finanzinstitutsgesetz (FINIG)15 nach der Vernehmlassung zusätzlich einen Teil mit einem überarbeiteten Bankensanierungs- und Bankeninsolvenzrecht aufgenommen. Dabei wurden zur Verbesserung der Rechtssicherheit u. a. diverse Bestimmungen aus der BIV-FINMA ins BankG überführt (vgl. zu all dem mit ausführlicher Begründung BBl 2015 8901).

Nach heutigem Stand des parlamentarischen Verfahrens ist davon auszugehen, dass dieser Teil aus der FIDLEG/FINIG-Vorlage an den Bundesrat zurückgeht. In diesem Fall würde der Bundesrat so bald wie möglich eine Vernehmlassungsvorlage zu einem überarbeiteten Bankensanierungs- und Bankeninsolvenzrecht ausarbeiten.

15

www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Bundesrat verabschiedet Botschaft zum Finanzdienstleistungsgesetz und zum Finanzinstitutsgesetz.

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Schliesslich ist hervorzuheben, dass das geltende Recht keine durchgehende, alle Ebenen einer Verwahrungskette in der Schweiz erfassende Pflicht für Finanzintermediäre vorsieht, ihre eigenen Vermögenswerte getrennt von denjenigen ihrer Kunden aufzubewahren (Segregierung). In Anbetracht des Umstandes, dass mit der CS und UBS zwei der weltweit grössten Vermögensverwalter in der Schweiz domiziliert sind, gilt es diese Lücke durch Einführung einer formell gesetzlichen Segregierungspflicht zu schliessen, die alle Ebenen einer Verwahrungskette erfasst.

Beurteilung Der im Bereich Bankensanierung und -insolvenz festgestellte Anpassungsbedarf wird entweder in der FIDLEG/FINIG-Vorlage oder in einer separaten Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates umgesetzt. Der Bundesrat hat am 15. Februar 2017 beschlossen, die Regulierungslücke in Bezug auf die Segregierung zu schliessen, und das EFD beauftragt, bis Ende November 2017 eine Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten.

2.5

Beteiligungsabzug und Gewährung von Erleichterungen

Gemäss ERV müssen Beteiligungen an im Finanzbereich tätigen zu konsolidierenden Unternehmungen vollständig vom Kapital derjenigen Bank abgezogen werden, welche die Beteiligung hält. Im Fall der Stammhäuser der Schweizer G-SIBs fallen dabei vor allem die hoch kapitalisierten Tochtergesellschaften in den USA und dem Vereinigten Königreich sowie neu in der Schweiz ins Gewicht. Da bei strikter Anwendung des Abzugssystems die Kapitalbasis in der Einzelinstitutsbetrachtung rechnerisch stark erodiert, hat der Verordnungsgeber die FINMA zur Gewährung von Erleichterungen verpflichtet. Danach erhalten die Schweizer G-SIBs Erleichterungen, sofern sie nachweisen, dass sie das Zumutbare zur Vermeidung der Erhöhung der Anforderungen auf Stufe Finanzgruppe getan haben.

Die FINMA gewährt heute materielle Erleichterungen, die von den Banken jedoch nicht quantitativ ausgewiesen werden müssen. Vor allem die in jüngster Vergangenheit stark angestiegenen lokalen Kapitalanforderungen für Tochtergesellschaften in den USA und dem Vereinigten Königreich führten dazu, dass die FINMA bereits bisher ­ gleichsam im Sinne einer Erleichterung ­ eine vermehrte partielle Risikogewichtung der Beteiligungen zulasten des Beteiligungsabzugs zuliess. Das gemischte System mit einem Teil Beteiligungsabzug und einem Teil Risikogewichtung in der Anwendung ist komplex und intransparent sowie im internationalen Kontext schwer vergleichbar.

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Beurteilung Der Wechsel auf eine konsequente Risikogewichtung von Beteiligungen an im Finanzbereich tätigen zu konsolidierenden Unternehmungen für alle Banken würde erlauben, den Automatismus der Gewährung von Erleichterungen bei den Stammhäusern abzulösen.

Der Bundesrat beauftragt das EFD, die geltenden Regelungen zum Beteiligungsabzug (Art. 32 ERV) und zur Gewährung von Erleichterungen (Art. 125 ERV) zu überprüfen und allfällige Anpassungen vorzuschlagen.

3

Zusammenfassung des Handlungsbedarfs

Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass die im internationalen Vergleich und relativ zur Grösse des Landes sehr grossen Finanzinstitute eine zentrale Bedeutung für die Finanzstabilität der Schweiz haben. Diese Stabilität kann durch eine in Notlage geratene SIB besonders gefährdet werden.

Indessen wird der Schweizer Ansatz zur Entschärfung der Problematik systemrelevanter Banken, der verschiedene Massnahmen kombiniert und über die Jahre weiterentwickelt wurde, im internationalen Vergleich als positiv und angemessen beurteilt.

Eine Neuausrichtung drängt sich nicht auf.

Der Bundesrat kommt allerdings zum Schluss, dass Gone-concern-Kapitalanforderungen für inlandorientierte SIBs notwendig sind. Er hat deshalb unter Einbezug von FINMA und SNB sowie nach Anhörung der betroffenen Banken die im vorliegenden Bericht unter Ziffer 2.2 skizzierten Eckwerte festgelegt.

Der Bundesrat sieht ausserdem Handlungsbedarf zur Anpassung des Beteiligungsabzugs im Zusammenhang mit der Regulierung systemrelevanter Banken. Die Steuerbelastung aus gewissen Finanzinstrumenten soll reduziert werden, sodass der Eigenkapitalaufbau der SIBs nicht beeinträchtigt wird. Zudem soll die Regulierungslücke in Bezug auf die Segregierung geschlossen werden.

4

Arbeiten und Zeitplan

Der Bundesrat hat das EFD beauftragt, bis zum 28. Februar 2018 eine Vernehmlassungsvorlage bezüglich Gone-concern-Kapitalanforderungen für inlandorientierte SIBs auszuarbeiten. Grundlage dazu bilden die im vorliegenden Evaluationsbericht dargelegten Eckwerte. Im Rahmen dieser Arbeiten soll das EFD eine Überprüfung der geltenden Regelung zum Beteiligungsabzug (Art. 32 ERV) und zur Gewährung von Erleichterungen (Art. 125 ERV) durchführen und gegebenenfalls dem Bundesrat Anpassungen vorschlagen.

Dem Handlungsbedarf bezüglich Gewinnsteuer wurde bereits mit der vom Bundesrat am 9. Juni 2017 verabschiedeten Vernehmlassungsvorlage entsprochen. Der im Bereich Bankensanierung und -insolvenz festgestellte Anpassungsbedarf wird ent-

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weder in der FIDLEG/FINIG-Vorlage oder in einer separaten Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates umgesetzt. In Bezug auf die Regulierungslücke bei der Segregierung hat der Bundesrat bereits am 15. Februar 2017 das EFD beauftragt, bis Ende November 2017 eine Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten.

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