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Bericht dea

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Postulat de Dardel und Dr. Enderli betreffend die Aufhebung der allgemeinen Briefpostbestellung an Sonntagen.

(Vom 17. September 1923.)

Am 25. Juni 1920 hat der Nationalrat folgendem Postulat der Herren Nationalräte de Dardel und Dr. Enderli zugestimmt: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage der gänzlichen Einstellung des Postbestellungsdienstes an Sonntagen zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten.tt Wir beehren uns, Ihnen hierüber folgendes zu berichten.

I. Allgemeines.

Die Frage, in welchem Umfange der Sonntag auch für die Post als Kuhetag gelten könne, beschäftigt die Postverwaltung seit Jahrzehnten. Die ersten Bestrebungen dieser Art gingen von den religiösen, ethischen und sozialen Gesichtspunkten der Sonntagsruhe aus. Ökonomische Erwägungen traten hinzu, als die Beamten und Angestellten eine bestimmte Zahl von Freitagen gesetzlich zugesichert erhielten, so dass die Sonntagsarbeit, unter KostenfoJge für die Verwaltung, durch freie Werktage ausgeglichen werden musste. Eine erste dahinzielende Vorschrift für die Post enthält schon Art. 9 des Bundesgesetzes über Bau und Betrieb der Eisenbahnen von 1872.

Im Verlauf der Zeit gingen der Postverwaltung auch zahlreiche Anregungen von aussen zu, die das gleiche Ziel verfolgten, indem bald von dieser, bald von jener Seite, veranlagst durch religiöse oder soziale Beweggründe, die Einschränkung der Sonntagsarbeit gefordert wurde. Namentlich im letzten Jahrzehnt erwachte eine lebhafte Bewegung zugunsten einer bessern Beobachtung der Sonntagsruhe, die auch in den eidgenossischen Räten Ausdruck fand. Der Nationalrat nahm im Juni 1913 eine von

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Herrn Nationalrat Zurburg und Mitunterzeichnern eingereichte Motion an, die den Bandesrat beauftragte, zu prüfen, ob sich die sonntägliche Zustellung der Postsachen nicht auf die als dringlich bezeichneten Gegenstände beschränken liesse. Wiederholt ersuchten die Vereinigungen für Sonntagsfeier, es möchte durch Einstellung der Postvertragung am Sonntag dem Postpersonal und damit auch weitern Volkskreisen vermehrte Sonntagsruhe verschafft werden. Die liberale Partei von Baselstadt gelangte 1919 an das Postdepartement mit dem Begehren um dauernde Aufhebung der sonntäglichen Postvertragung. Auch in beruflichen Verbänden und in der Presse wurde das Problem öfters erörtert.

Die Bestrebungen zur Aufhebung des sonntäglichen Postbestelldienstes begegneten dabei teils wohlwollender Unterstützung, teils entschiedener Ablehnung. Trotz mannigfachen Widerständen und Hemmungen haben sie jedoch stetig an Boden gewonnen.

M. Geschichtliche Entwicklung.

Die erste Einschränkung des Sonntagsbestelldienstes der Post findet sich in der Dienstinstruktion von 1869. Sie bestand zunächst in einer Abkürzung der sonntäglichen Bestelldienststunden, die dann im Jahre 1874 auf den Vormittag zusammengedrängt wurden.

Im Jahre 1895 folgte die allgemeine Auf hebung der Postanweisungsund Einzugsmandatbestellung, und von 1902 an unterblieb auch die Paketvertragung, so dass seither am Sonntag nur noch die Briefpost bestellt wurde. Seit 1915 werden als Folge der vom Nationalrat erheblich erklärten Motion Zurburg betreffend Beschränkung der sonntäglichen Brief v er tragung auch die uneingeschriebenen Drucksachen (ausgenommen Todesanzeigen), die gewöhnlichen Warenmuster, sowie die unpolitischen Zeitungen und die Zeitschriften Sonntags nicht mehr vertragen. Schliesslieh erhielt die Oberpostdirektion durch Bundesratsbeschluss vom 12. September 1916 die Ermächtigung, nach Verständigung mit den Ortsbehörden und G-eschäftskreisen die gewöhnliche Bestellung an Sonn- und Feiertagen gänzlich aufzuheben, wo die Verhältnisse dies zulassen.

Als dann im November 1917 die Kohlennot nurmehr eine stark verminderte Beleuchtung und Heizung erlaubte, versuchte man, gleichzeitig mit einer Reihe anderer Einschränkungen, auch die noch übriggebliebene sonntägliche Briefvertragung aufzuheben.

Diese unvermittelt getroffene Anordnung begegnete jedoch einem um so begründeteren Widerstand, als sich der ungenügend vorbereitete Abholungsdienst, der als Ersatz dienen sollte, in den

852 Städten sehr mangelhaft abwickelte. Der Bundesrat besohlos» deshalb, es sei zur einmaligen Briefvertraguug am Sonntag zurückzukehren. Immerhin gab es bereits zahlreiche Gemeindebehörden und Bevölkerungskreise, die auf die Wiedereinführung der sonntäglichen Briefvertragung freiwillig verzichteten. Das Postulat de Dardel und Dr. Enderli ermutigte die Postverwaltung, die Neuerung auch in grössern Städten zu erproben. Dank dem Entgegenkommen von Kantons- und Gemeindebehörden, des schweizerischen Städteverbandes, einiger Handelskammern und anderer Vereinigungen, sowie der Mehrheit der Bevölkerung konnte die allgemeine Briofvertragung am Sonntag versuchsweise in wachsendem Umfang fallen gelassen werden. Von den 3716 Poststellen, die den Bestelldienst in unserm Lande besorgen, führe» heute 3130 oder 84,8 % am Sonntag keine Vertragung mehr aus.

Die Einwohnerzahl dieser Orte umfasst 82,s % der Gesamtbevölkerung der Schweiz. Darunter befinden sich die Städte Zürich, Basel, Bern, St. Gallen, Winterthur, Luzern, Biel, Freiburg, Schaffhausen, Chur, Herisau, Thun, Lugano, Solothurar Vevey, Le Locle, Rorschach, Ölten, Aarau, Bellinzona, Burgdorf, Baden usw. In 13 Kantonen und Halbkantonen ist der sonntägliche Bestelldienst ausnahmslos, in 10 weitern für mehr al» die Hälfte der Bevölkerung aufgehoben. Zu diesen 10 Kantonen gehören der Tessin, wo alle Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern und 71,6 % der Gesamtbevölkerung ohne Postvertragung am Sonntag auskommen, sowie der Kanton Neuenburg, wo nur noch 8 Gemeinden sich ablehnend verhalten. Im Kanton Freiburg sind 85,j % u°d im WaJlis 69,i °/o der Bevölkerung ohnesonntägliche Postzustellung. Dagegen hat sich im Kanton Waadt bis jetzt nur etwa 1/& der Einwohner mit der Neuerung abgefunden; im Kanton Genf hat sie noch nicht FUSS gefasst.

Die sonntägliche Postbestellung ist auch in vielen ausländischen Staaten eingeschränkt. Gänzlich aufgehoben ist sie in England und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, ferner inBayern, Dänemark, Norwegen, Polen, Ungarn, Tschechoslowakei» usw. Die Vorgänge im Ausland können für uns allerdings nicht ausschlaggebend sein, aber sie zeigen doch, dass auch in ausgesprochenen Handels-, Verkehrs- und Industriestaaten im Postbetrieb weitgehende Sonntagsruhe herrscht.

Die natürliche Erklärung für diese Entwicklung liegt in der
Tatsache, dass das Bedürfnis nach einer sonntäglichen Briefvertragung in den letzten Jahren ständig zurückgegangen ist.

Verschiedene Umstände haben hierzu beigetragen. Die Schliessung

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vieler Amtsstellen, Geschäfte und Betriebe am Samstagmittag hat zur Folge, dass der grösste Teil der Briefschaften, die sonst Samstagabend zur Post gebracht und Sonntags bestellt wurden, nun früher aufgeliefert werden und zur Hauptsache die Adressaten noch Samstag abends erreichen. Zu diesem Zwecke wird manchenorts der Samstagabendgang der Briefträger später gelegt. Die Sonntagspost enthält daher weniger Geschäftsbriefe als ehedem.

Für eilige Mitteilungen wird in -stets zunehmendem Masse das Telephon benutzt. Heute besitzt fast jede Ortschaft diese Verbindung, und auf je 23 Einwohner trifft es eine Telephonstation. Auch viele Tageszeitungen werden Samstags so früh zur Post gegeben, dass sie in grossein Umkreis gleichen Tags bestellt werden können. Die zahlreichen Wochen- und Sonntagsblätter, die seinerzeit den sonntäglichen Bestellgang belasteten, werden heute fast durchweg Donnerstags und Freitags versandt und spätestens am Samstag bestellt. Drucksachen und Warenmuster, unpolitische Zeitungen und Zeitschriften werden Sonntagsnicht mehr vertragen. Die am Sonntagmorgen zur Vertragung vorliegende Post umfasst etwa die Hälfte der an Wochentagen auf den Frühbestellgang entfallenden Sendungen, und das Bedürfnis, diese stark zusammengeschrumpfte Post am Sonntag zu erhalten, ist überdies nurmehr so gering, dass die Abholung durch die wenigen Interessenten und in vereinzelten Fällen die Expressbestellung den frühern allgemeinen Briefträgergang schliesslich ersetzen konnte.

III. Ersatz für die sonntägliche Briefvertragung.

Wo die Briefvertragung am Sonntagvormittag unterbleibt, ist dafür gesorgt, dass die Adressaten, die noch ein erhebliches Interesse am Empfang der Sonntagspost bekunden, auch an diesem Tage ihre Briefschaften und Zeitungen erhalten können. Zu diesem Zweck werden die Fächer am Sonntag wie bisher bedient; den übrigen Empfängern aber, die ihre Postsachen werktags durch den Briefträger erhalten, werden sie am Sonntagvormittag während einer Stunde am Postschalter kostenlos ausgehändigt. Diese Ausgabe wird so vorbereitet, dass die Abholer, die ihre Postsachen regelmässig beziehen, am Schalter nicht warten müssen, sondern die für sie bestimmte Post ohne weiteres in Empfang nehmen können. In grossen Städten findet die Ausgabe auch bei einzelnen Filialen statt, um dem Publikum den Weg zur Post abzukürzen.

Jeder Abholer erhält eine Ausweiskarte, die Verwechslungen und Missbräuche ausschliesst. Ferner wird in den Orten, wo die

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Verhältnisse es gestatten, die am Sonntagmorgen vorliegende Post auf Verlangen durch besondern Eilboten ins Haus gebracht und die Eilgebühr für alle auf dem gleichen Gang zugestellten Sendungen nur einmal erhoben. Die regelmäßige sonntägliche Zustellung kostet monatlich 2 Franken. Es ist eingewendet worden, diese Einrichtung sei undemokratisch. Die Möglichkeit, gegen eine besondere Gebühr Eilzustellung zu veranlassen, hat aber immer bestanden; neu ist nur die Gebührenormässigung, Undemokratiech erscheint es eher, wenn die Kosten für die von einer kleinen Minderheit beanspruchte sonntägliche Vertragung auf Rechnung der Allgemeinheit gehen, statt dass die verhältnismässig wenigen Interessenten durch den Gang zur Post oder durch Erlegung der Eilgebühr ein ihren besondern Wünschen und Bedürfnissen entsprechendes kleines Opfer bringen.

Mit dem Öffnen des PostSchalters am Sonntagmorgen zur Briefausgabe erhält die Bevölkerung zudem wieder allgemeine Gelegenheit, auch Einschreibsendungen aufzuliefern und Wertzeichen zu kaufen.

IV. Bedeutung der Aufhebung der sonntäglichen Briefvertragung.

Die w i r t s c h a f t l i c h e Bedeutung der Aufhebung der sonntäglichen Briefvertragung liegt in der Möglichkeit, durch Beschrankung der Sonntagsarbeit eine V e r m i n d e r u n g des B u n d e s p e r s o n a l s zu erreichen. Die schwachbelasteten Bestellgänge vom Sonntag- und Montagmorgen, bei denen die Arbeitskraft ungenügend verwendet wird, können zu e i n e m Gang mit voller Arbeitsleistung am Montagmorgen vereinigt werden. Damit lässt sich im Bestelldienst wöchentlich ein halber Arbeitstag einsparen.

Dieser Gewinn bedeutet aber keineswegs, wie irrigerweise vielfach angenommen wird, dass die Briefträger entsprechend weniger leisten müssten. Sie haben im Gegenteil wegen der Zusammenlegung von zwei Vertragungen zu e i n e m Bestellgang intensiver zu arbeiten. Der materielle Erfolg der Einsparung kommt aus«chliesslich der Verwaltung zugute, die für die gewonnenen freien Sonntage dem Personal keine freien Werktage mehr einräumen muss.

Die allgemeine sonntägliche Briefvertragung in der ganzen Schweiz würde jährlich 95,886 Tagesleistungen verlangen. Um diese Sonntagsarbeit durch Ruhetage auszugleichen, wären 320 v o 11 e A r b e i t s k r ä f t e erforderlich, um die das Postpersonal bei Aufhebung der Briefvertragung
am Sonntag vermindert werden kann.

Die Kosten hierfür würden sich auch noch heute, nach Herabsetzung der Teuerungszulagen, auf über l Million Franken jähr-

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lieh belaufen. Diese Einsparung fällt um. so mehr ins Gewicht, als sie von Verkehrsschwankungen unabhängig ist. Dagegen hat die Aufhebung der allgemeinen Briefvertragung am Sonntag mit der Verkürzung der Arbeitszeit durch das neue Arbeitszeitgesetz gar nichts zu tun. Es ist wohl ohne weiteres klar, dass eine Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit an den Kosten des Sonntagsdienstes nichts zu ändern vermöchte.

Je rascher die Postverwaltung finanziell erstarkt, um so früher kann ein Abbau der Taxen für Briefe und Postkarten nach dem Ausland eintreten. Es bedarf wohl keiner weiteren Begründung, dass die schweizerische Volkswirtschaft an einem solchen Taxabbau ein unvergleichlich grösseres Interesse hätte als an kostspieligen Betriebseinrichtungen von nur mehr geringem allgemeinem Nutzen, wie es die Briefvertragung am Sonntag im Verlauf der Zeit geworden ist.

Der s o z i a l e und e t h i s c h e Wert des Postulats besteht darin, dass einige Tausend Beamte und Angestellte' den regelmässigen Freisonntag bekämen. Wohl wird dem Personal die Sonntagsarbeit durch freie Werktage ausgeglichen, aber der freie Werktag bedeutet nur einen mangelhaften Ersatz für den Sonntag, der, richtig benützt, durch seine Rohe und feierliehe Stimmung die körperliche und seelische Erholung begünstigt, das Gemütsund besonders das Familienleben wohltätig beeinflusst und den religiösen Bedürfnissen Rechnung trägt. Die Erfahrung lehrt, dass der Gesundheitszustand des Personals bei regelmässigem Genuas des freien Sonntags besser ist als bei der unregelmässigen Einräumung freier Werktage, die oft im Übermass zu allerhand Arbeiten verwendet werden, so dass sie den Zweck eines Ruhetags nur mangelhaft erfüllen. Die Sonntagsruhe erhält die körperliche Spannkraft und begünstigt die Entwicklung jener Seelenkräfte, die das Verantwortlichkeitsgefühl und die Selbsttätigkeit in der Wahrung der Ordnung mehr stärken als alle Réglemente.

V. Bisherige Erfahrungen.

Die Erfahrungen, die mit der Aufhebung der sonntäglichen Briefvertragung bisher gemacht wurden, sind zum mindesten nicht ungünstig. Das gilt ohne Unterschied für Handels- und Industriestädte, für landwirtschaftliche Gebiete, für Fremdenorte und für Gegenden mit gemischten Erwerbsverhältnissen, Welch geringer Wert übrigens auf den Empfang der Postsachen am Sonntag in weiten Kreisen gelegt wird, zeigt der Umstand, dass mehr als ein Drittel der rund 28,000 Postfachinhaber ihre Postsachen

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Sonntags in der Regel nicht mehr abholen. Auch in den Orten, wo der Bestelldienst am Sonntag noch besteht, können 54 °/o der Einschreibsendungen an diesem Tage nicht bestellt werden, weil der Adressat erst Montags zu treffen ist. Aus dem gleichen Grunde erreichen ihn auch die am Sonntagmorgen in seinen Kasten gelegten Briefschaften erst Sonntag nachts oder Montag früh, so dass die Sonntagsbestellung in diesen Fällen unnütz ist. An Orten ohne sonntägliche Vertragung sind die Adressaten, die ihre Post abholen, nicht zahlreich. In Zürich trifft es auf 1000 Einwohner 3 Abholer, in Bern deren 5, in Basel und St. Gallen sogar nur je l solchen.

Bezeichnenderweise stösst die Neuerung im allgemeinen namentlich da auf Widerstand, wo man sie nicht erprobt hat. Die ablehnende Haltung beruht vielfach auf Vorurteilen und zuweitgehenden Bedenken. Handel und Industrie sind geteilter Meinung. Auch von Gegnern der Aufhebung wird zugegeben, es sei für sie ziemlich belanglos, ob Sonntags eine Briefaustragung erfolge oder nicht, denn die meisten Betriebe ständen vom Samstagnachmittag bis Montagmorgen ohnehin still, und überdies seien viele Firmen Inhaber von Postfächern. Dagegen wird gesagt, die Neuerung bringe eher Unannehmlichkeiten für Handwerker und Landwirte, die gewohnt seien, die Briefschaften Sonntags zu erledigen.

Dieser Einwand übersieht, dass auch die Handwerker und Landwirte ihre Briefe nur zum kleinsten Teil gerade am Sonntagmorgen erhalten und dass nichts die Empfänger hindert, die im Laufe der Woche eingegangenen Postsachen nach wie vor Sonntags zu beantworten. Sie können überdies die am Sonntag ankommende Post beim Postbureau abholen oder abholen lassen, was sich besonders auf dem Lande sehr oft ohne besondere Mühe mit dem Kirchgang verbinden lässt Es erscheint in der Tat als eine gewisse Doppelspurigkeit, wenn der Landbriefträger am Sonntagmorgen alle Höfe aufsucht, während die Bewohner ohnehin gleichzeitig ins Dorf gehen, wo sie ihre Post in Empfang nehmen können und auf diese Weise noch früher erhalten, als wenn sie sie erst bei der Rückkehr nach Hause dort vorfinden.

Es ist auch durchaus unzutreffend, wenn gesagt wird, durch die Aufhebung der sonntäglichen Briefpostbestellung werde der Postdienst vom Samstag abend bis Montag früh, also während 38 bis 40 Stunden, vollständig stillgelegt. Denn auch
während dieser Zeit finden Kastenentleerungen, Expeditionen und Abtransporte statt, und die ankommende Post wird am Sonntagmorgen jedermann, gleich den Fachinhabern, jedoch gebührenfrei, zur Abholung bereitgehalten. Namentlich aber ist die Möglichkeit der

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Expresebeförderung am Sonntag heute in einer Weise ausgedehnt wie nie zuvor.

In Lausanne und Genf machen einzelne Zeitungsverleger geltend, sie müssten an der sonntäglichen Vertragung festhalten, um dem Wettbewerb der ausländischen Zeitungen begegnen zu können. Demgegenüber darf daran erinnert werden, dass die Blätter vom Auslaude durch die Massnahme in ganz gleicher Weise betroffen werden wie die schweizerischen Zeitungen, indem auch sie am Sonntag nur erhältlich sind, wenn sie am Kiosk gekauft oder am Postechalter abgeholt werden.

Die Regierung dee Kantons Genf, die zur Sache Stellung genommen hat, anerkennt die moralischen Vorteile der Sonntagsruhe und stimmt auch darin zu, dass auf dem Lande die sonntagliche Vertragung keine grosse Bedeutung besitze -, sie glaubt aber, die Stadt Genf müsse als wirtschaftlicher und geistiger Mittelpunkt, ferner als Sitz des Völkerbundes die Aufhebung der sonntäglichen Briefvertragung ablehnen. Die Erfahrungen in Zürich und Basel haben jedoch bestätigt, dass auch in unsern grössten Handels- und Industriestädten die Heuerung ohne Nachteil durchführbar ist. Die Verkehrsbedürfnisse können auch überschätzt werden. So wurde seinerzeit in Genf auf dringendes Begehren die Abholung der Sonntag vormittags eingehenden, nicht mehr auf die sonntägliche Vertragung gelangenden französischen Post ermöglicht ; als jedoch hierfür eine kleine Abholungsgebühr bezogen wurde, benützten kaum 20 Personen die vorher als unerlässlieh bezeichnete Einrichtung. Es liegt denn auch aus Genf eine Kundgebung vor. wonach die baldige Verwirklichung der Sonntagsruhe im Bestelldienst in einzelnen Kreisen der Bevölkerung lebhaft begrösst würde. Die Zentralstellen des Völkerbundes stehen der Neuerung wohlwollend gegenüber. Übrigens ist die Stadi Genf, die Geburtsstätte so mancher ideeller Bewegung, auch die Wiege der Liga für die Sonntagsfeier und heute noch der Sitz der Zentralstelle dieser Vereinigung. Daher ·darf wohl angenommen werden, dass sich die Bevölkerung dieses Kantons gegenüber der Abschaffung der sonntäglichen Vertragung nicht dauernd ablehnend verhalten werde.

VI. Schlussfolgerungen.

Zusammenfassend ergeben sich nachstehende Folgerungen: 1. Der freie Sonntag ist eine Voraussetzung für die Erhaltung der Arbeitskraft ; er fördert und hebt weite Volkskreise

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in hygienischer, intellektueller, ethischer, familiärer und religiöser Richtung.

2. Die Aufhebung der Postvertragung am Sonntag bedeutet nicht die Vernachlässigung eines allgemeinen Verkehrsbedürfnisses, sondern den Abbau einer Einrichtung, die mit der Zeit ihre Allgemeinbedeutung eingebiisst hat. Sie ist für die grosse Mehrzahl der Bevölkerung entbehrlieh geworden. Nur eine kleine Minderheit beharrt auf ihrer Beibehaltung.

3. Soweit es sich um berechtigte Interessen handelt, lassen sich diese durch Einräumung einer Abholungsgelegenheit am Sonntag, sowie in den grossen Städten durch Expresszustellung auf Verlangen, genügend berücksichtigen.

4. Die jährliche Einsparung von mehr als l Million Franken wird der Postverwaltung erlauben, früher zu dem nutwendigen Taxabbau zu schreiten, als dies sonst möglich wäre.

5. Der gegenwärtige Dualismus -- wobei von Orten gleicher Bedeutung die einen mit und die andern ohne sonntägliche Postvertragung sind -- muss verschwinden. Er wird von jenen als ungerecht empfunden, die aus Gremeinsinn auf die sonntägliche Postzustellung für sich verzichtet haben.

6. Nachdem mehr als */5 der Einwohner der Schweiz die sonntägliche Postvertragung nicht mehr besitzen und an den betreffenden Orten keine nennenswerten Unzukömmlichkeiten festgestellt worden sind, wäre es unseres Erachtens nicht zu verantworten, den Sonntagebestelldienst wieder allgemein einzuführen und damit der Postverwaltung wiederum eine Mehrausgabe von nahezu l Million Franken aufzuerlegen. Als Ziel wird vielmehr die allgemeine Aufhebung der Briefvertragung am Sonntag vorgezeichnet bleiben müssen.

Wir bitten Sie, von dem vorliegenden Bericht in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen, und benützen gerne den Anlass, Sio unserer vorzüglichen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 17. September

1923.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenrer.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Postulat de Dardel und Dr.

Enderli betreffend die Aufhebung der allgemeinen Briefpostbestellung an Sonntagen. (Vom 17. September 1923.)

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