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1703

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Erlass eines Gesetzes über Arrest und Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen fremder Staaten.

(Vom 29. Januar 1923.)

1.

Während des Krieges kam es wiederholt vor, dass Privatpersonen den Versuch machten, auf schweizerischem Gebiet Ansprüche gegen fremde Staaten durch Arrest oder andere Zwangsvollstreckungsmassnahmen zur Erfüllung zu bringen. Nachdem das schweizerische Bundesgericht in seinem Urteil vom 13. März 1918 in Sachen "K. u. K. österreichisches Finanzministerium gegen Ludwig Dreyfuss" die Zulässigkeit des Arrestes gegenüber fremden Staaten angenommen hatte, sah sich der Bundesrat veranlasst, zu dieser Praxis Stellung zu nehmen, die nach seiner Ansicht dem Völkerrechte widersprach, den schweizerischen Interessen nachteilig werden konnte und auch die Gefahr in sich trug, Zwischenfälle mit den fremden Staaten zu schaffen, die namentlich in der Kriegszeit vermieden werden mussten. Gestützt auf den Bundesbeschluss vom 3. August 1914 betreffend Massnahmen zum Schütze des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität verbot der Bundesrat mit Beschluss vom 12. Juli 1918 Arrest und andere Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegen Vermögen ausländischer Staaten, sofern letztere Gegenrecht halten.

In der Folge hatte der Bundesrat wiederholt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Arrest oder Zwangsvollstreckungsmassnahmen vorliegen. In einigen Fällen hatte er auch in Anwendung des Artikels l, Absatz 2 dieses Beschlusses die Aufhebung von Massnahmen auszusprechen, die von schweizerischen Gerichten im Widersprüche mit dem erwähnten Beschlüsse angeordnet worden waren.

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Nachdem der Bundesrat nach und nach zur Aufhebung der kraft der allgemeinen Vollmachten erlassenen Beschlüsse geschritten ist, fragt es sich, ob der Rechtszustand, wie er sich auf Grund des Beschlusses vom 12. Juli 1910 entwickelt" hat, preisgegeben werden soll oder ob die Interessen der Schweiz empfehlen, dass diese Rechtslage auch in Zukunft aufrechterhalten bleibe.

II.

Aus dem Grundrechte des Staates auf Unabhängigkeit wird gefolgert, dass kein Staat der Gerichtsbarkeit eines andern unterliegt oder dessen Zwangsvollstreckung unterworfen werden darf ').

Was zunächst die Befreiung von der fremden Gerichtsbarkeit anbetrifft, so wird diese Befreiung allgemein anerkannt, soweit die Beurteilung von Handlungen in Frage steht, die ein Staat in Ausübung seiner Hoheitsrechte unternommen hat (jure imperii). Streitig ist die Frage, wenn es sich um Rechtsgeschäfte handelt, die ein Staat als Persönlichkeit des Privatrechtes abschliesst (jure gestionis, als Fiskus). In letztern Fällen hat die Praxis in gewissen Ländern, so in Belgien und Italien, angenommen, dass die eigenen Gerichte zuständig seien, währenddem in Deutschland, England, Frankreich und den Vereinigten Staaten auch in diesen Fällen die Zuständigkeitsfrage verneint wird 2 ).

Die Unterscheidung zwischen Handlungen, die ein Staat in Ausübung seiner Staatsgewalt und denen, die er als Person des Primatrechtes unternimmt, bietet aber Schwierigkeiten und ist auch oft ') Liszt, Völkerrecht, 10. Auflage, S. 71 ; Bonfils, Manuel de droit international public, 7° édition, n° 270; Oppenheim: International Law, third édition, Vol. I, p. 197, etc.

2 ) Italien: Clunet, Journal de droit international privé, 1887, 501; 1888, 239; 1889, 335, 543/4 (im folgenden zitiert ala ,,Journal"); Böhm-Niemeyer, Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht, V, 24 ff. (im folgenden zitiert als Zeitschrift); Belgien: Journal 1908, 210 (vgl. ältere Praxis 1889, 342; 1902, 874; ferner 1876, 324 ff., 431 ff., 435 ff.); Zeitschrift 16, 243 ff.; Deutschland: Zeitschrift 13, 397 ff.; 16, 262 ff..; 20, 416 ff.; Entscheidungen des Reichsgerichtes 62, 165 ff. ; England: Zeitschrift 10, 68; Journal 1874, 36; 1875, 25; 1876, 126; 1878, 46; 1889, 538 ff.; Frankreich: Journal 1876, 271 ; 1879,173; 1889, 461, 540 ff.; 1890, 288; 1896, 850; 1909, 144, 475; 1912, 212, 1165; Österreich: Journal 1883, 67; Jettel, Handbuch des internationalen Privat- und Strafrechts, S. 146.

421 in jenen Ländern kontrovers, wo die Praxis die Frage der Gerichtsbarkeit unter gewissen Voraussetzungen bejaht hatte. -- Die Vorschläge, welche das Institut de droit international in seinem Entwurfe von 1892 für eine internationale Regelung gemacht hat, erklären die Gerichtsbarkeit ohne Einwilligung des beklagten Staates nur in Ausnahmel'ällen als zulässig. Zunächst scheiden alle Klagen aus, die sich auf obrigkeitliche Akte beziehen, wobei aber z. B. ausdrücklich vorgesehen wurde, dass die öffentliche Aufnahme von Anleihen keine privalrechtliche Handlung darstellt (vgl. Art. II, § 2l. Ferner soll der zu beurteilende privatrechtliche Anspruch in einer gewissen nähern Beziehung zum Territorium des beurteilenden Staates stehen (zum Beispiel beim forum commerça, forum hereditatis, forum rei sitao bei Immobilien und forum executionis, wenn das Rechlsgeschäft ausdrücklich oder seiner Natur nach im Auslande zu erfüllen ist).

Dieser Vorschlag des Institut de droit international ist aber von namhaften Autoritäten angefochten worden und hat in der Praxis keine Nachachtung gefunden. Auch der Bundesrat hat sich in dem Prozesse. Ci v ry gegen Stadt Genf betreffend die Erbschaft des Herzogs von Braunschweig darauf berufen, es stehe allgemein fest, .;,dass die Gerichte eines Staates keinerlei Befugnis haben, über Zivilklagen, die gegen einen andern Staat gerichtet sind, zu erkennen, sofern nicht dieser beistimmt", und hat gestützt hierauf die Zuständigkeit der französischen Gerichte zur Beurteilung des Rechtsstreites mit der Stadt Genf bestritten (Bundesblatt 1892, II, 810).

Aus der Unzulässigkeit der Gerichtsbarkeit ergibt sich auch die Unzulässigkeit von Zwangsvollstreekungsmassnahmen, um die es sich beim Bundesratsbeschluss vom 12. Juli 1918 einzig handelt: denn die Zwangsvollstreekungsmassnahmen berühren die Unabhängigkeit eines Staates in noch höherm Masse als die Unterwerfung unter die fremde Gerichtsbarkeit. Die Führung eines geordneten Staatshaushaltes wäre wesentlich erschwert, wenn es Personen des Privatrechtes möglich wäre, im Auslande liegendes Vermögen durch solche Massnahmen zu sperren und seinem Zwecke zu entziehen '). Daher ist es selbst in jenen Staaten, in denen unter bestimmten Voraussetzungen die Zulässigkeit der Gerichtsbarkeit über fremde Staaten angenommen wird, bestritten, ob ein
ausländischer Staat hinsichtlich der Zwangsvollstreckung *) Vgl. Meili, Gutachten, abgedruckt in : TJnzulässigkeit einer Zwangsvollstreckung gegen ausländische Staaten, herausgegeben von Dynovsky, Berlin 1910, S. 46.

422 wie eine Privatperson behandelt werden darf. Lediglich dann, wenn es sich um eine Zwangsvollstreckung in verpfändete Sachen handelt, wird sie im allgemeinen für zulässig angesehen, weil in der Verpfändung eine freiwillige Unterwerfung unter -die Vollstreckungsmassnahmen erblickt werden kann. Eine weitere Ausnahme kann in bezug auf Grundstücke gemacht werden, weil von gewissen Rechtsgelehrten angenommen wird, dass durch Erwerb eines Grundstücks in fremdem Lande auch dessen Gerichtsbarkeit sowie die Zwangsvollstreckung für alle auf das Grundstück bezüglichen Klagen anerkannt wurde.

Was nun insbesondere den Arrest anbetrifft, so ist dessen Zulässigkeit jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Zuständigkeit der Gerichte für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs nicht gegeben ist; denn durch Arrest kann nicht eine Gerichtsbarkeit geschaffen werden, wenn diese an sich nach Völkerrecht unzulässig ist (vgl. Holzendorff im Journal, Bd. 3, S. 431). -- Aber auch dann, wenn angenommen wird, dass im Einzelfalle die Gerichte des Landes zuständig seien und Zwangsvollstreckung zulässig sei, so folgt daraus noch -nicht die Zulassigkeit des Arrestes. Arrest ist eine Massnahme solchen Schuldnern gegenüber, die im Inlande keinen Wohnsitz haben oder durch gewisse Machenschaften sich der Erfüllung zu entziehen suchen. Von fremden Staaten, die im internationalen Verkehr auf Gleichbehandlung untereinander Anspruch haben, kann nun nicht ohne weiteres wie von Personen des Privatrechtes verlangt werden, dass sie im Inlande Wohnsitz nehmen. Ihren diplomatischen Vertretungen wird die Exterritorialität zugebilligt, weshalb es auch ein Widerspruch wäre, ihnen selbst gegenüber Arrest wegen mangelnden ßochtsdomizils zu verhängen. Die Gleichstellung eines fremden Staates mit einem Schuldner, der sich durch gewisse Machenschaften der Erfüllung zu entziehen sucht, würde den im völkerrechtlichen Verkehr üblichen Gepflogenheiten nicht entsprechen. Aus den gleichen Erwägungen sind andere Sicherungsmittel der Zwangsvollstreckung, die auf Grund des kantonalen Zivilprozessrechtes beantragt werden könnten, in bezug auf Vermögen ausländischer Staaten als unzulässig zu betrachten.

Abschliessend kann somit festgestellt werden, dass die Praxis der meisten Länder die Gerichtsbarkeit über fremde Staaten ablehnt und dass auch da,
wo sie als zulässig angenommen wird, es sich nur um Ausnahmefälle handelt. In keinem Lande hat sich aber die Praxis eingebürgert, nach der ohne Einwilligung ·des fremden Staates Zwangsvollstreckungsmassnahmen oder Arrest

423 zulässig wären. Der Bundesratsbeschluss vom 12. Juli 1918 hat daher nicht neues Recht geschaffen, sondern einen Grundsatz zum Ausdruck gebracht, der auch in Friedenszeiten bereits galt. (In diesem Sinne Jseger, Praxis II, N. 5, zu Art. 271 SchKG.)

III.

Da in gewissen Staaten die Zulässigkeit der Gerichtsbarkeit über fremde Staaten streitig war und auch die Befreiung von der Zwangsvollstreckung nicht von vornherein feststand, gewährte der Bundesrat durch seinen Beschluss vom 12. Juli 1918 nur dann die Immunität, wenn der ausländische Staat die Versicherung abgeben konnte, dass er Gegenrecht halte. Die meisten Staaten, denen der Bundesratsbesehluss zur Kenntnis gebracht wurde, haben in der Folge erklärt, dass sie tatsächlich Gegenrecht halten. Durch diese Erklärungen ist die Schweiz gegen Zwangsmassnahmen geschützt, die gegen ihr Vermögen im Auslande sonst ergriffen werden könnten. Sollte nun der Rechtszustand, wie er sich auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 12. Juli 1918 entwickelt hat, aufgehoben werden, so würden wohl auch diese Erklärungen hinfällig und die Sicherheit des schweizerischen Vermögens im Ausland in Frage gestellt. Es rnuss aber das Bestreben der Schweiz sein, da sie für ihre Zufuhren auf das Ausland angewiesen ist, dafür zu sorgen, dass ihr im Auslande liegendes Vermögen vor Zwangsmassnahmen sichergestellt ist.

Abgesehen von den Nachteilen, die für die Schweiz mit dem Verzicht auf den bisherigen Rechtszustand verbunden wären, würde voraussichtlich die Aufhebung zu Konflikten mit ausländischen Staaten führen. Auch in der Nachkriegszeit muss mit der Möglichkeit gerechnet werden^ dass Privatpersonen bei schweizerischen Gerichten Zwangsmassnahmen gegen Vermögen fremder Staaten beantragen; die finanziellen Schwierigkeiten, die sich für gewisse Staaten infolge des Krieges ergeben haben, können solche Schritte veranlassen ; es ist auch zu bedenken, dass Personen des Privatrechtes, die durch ,den Krieg zu Schaden gekommen sind, fremde Staaten für ihren Schaden verantwortlich zu machen suchen könnten, obwohl in den meisten Fällen ein Rechtsanspruch nicht bestehen mag. Eine Arrestlegung in der Schweiz würde ihnen aber die Möglichkeit geben, gegen den fremden Staat einen Druck auszuüben. Über ein solches Vorgehen, das sich als Retorsionsmassnahme rechtfertigen könnte, hätte ausschliesslich der Bundesrat zu entscheiden. Wahrschein-

424 lieh würde aber bei einem selbständigen Vorgehen von Privaten ein Anstand entstehen, in welchem sich der ausländische Staat ' auf die völkerrechtliche Unzulässigkeit des Arrestes berufen würde. -- Der Schweiz wäre auch, wenn die Vornahme eines Arrestes zulässig wäre, der Abschluss von Kreditabkommen mit fremden Staaten erschwert, da eine Verarrestierung der in der Schweiz liegenden Kredite die Erfüllung solcher Abkommen verunmöglichen würde.

Die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes erscheint daher als zweckmässig zur Sicherung des eigenen Vermögens im Auslande und zur Wahrung der ungestörten völkerrechtlichen Beziehungen.

IV.

Es fragt sich nun, in welcher Weise der bisherige Rechtszustand, wie er sich' auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 12. Juli 1918 entwickelt hat, aufrechterhalten werden soll.

Dieser Bundesratsbeschluss stützte sich auf die ausserordentlichen Vollmachten. Wenn er auch nicht neues Recht geschaffen, sondern lediglich eine Norm des Völkerrechts bestätigt hat, so lag doch das Ausserordentliche der Massnahme darin, dass der Bundesrat lediglich kraft der ausserordentlichen Vollmachten, ohne besondere Ermächtigung der gesetzgebenden Behörde, in dieser Sache legiferierte und dass er sich für zuständig erklärte,, Entscheide der Gerichtsbehörden aufzuheben, die im Widerspruche mit den erlassenen Bestimmungen gefällt worden waren.

Eine Aufrechterhaltung des Bundesratsbeschlusses "erscheint daher heute, wo die Kriegsmassnahmen aufgehoben werden sollen, nicht angezeigt. Vielmehr ist zu prüfen, in welcher Weise der Beschluss durch eine gesetzgeberische Massnahme ersetzt werden kann.

Ein Erlass im Verordnungswege, zum Beispiel als Vollziehungsverordnung.zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, kann nun nicht in Frage kommen, da die zu entscheidende völkerrechtliche Frage über dasjenige hinausgeht, was in einer Verordnung auf Grund der im Gesetz erteilten Ermächtigung geregelt werden kann. Ferner betrifft der Erlass nicht nur Zwangsvollstreckungsmassnahmen, die Gegenstand des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes bilden. Das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz bezieht sich nämlich nur auf Zwangsvollstreckungen, die auf eine Geldzahlung oder eine Sicherheitsleistung gerichtet sind, während Zwangsvollstreckungen anderer Ansprüche, z. B. auf Rückgabe einer Sache, durch das kantonale Recht geregelt sind. Eine blosse Vollziehungsverord-

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nung zum Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz würde daher nicht sämtliche Vollstreckungsmassnahmen umfassen, die durch ·den Bundesratsbeschluss vom 12. Juli 1918 verboten wurden.

Schliesslieh wäre zum Erlass einer Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs auf Grund des Gesetzes vom 28. Juni 1895 betreffend die Übertragung der Oberaufsicht .über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen an ·das Bundesgericht nicht der Bundesrat zuständig, sondern das Bundesgericht, an welches das Aufsichtsrecht über die Schuldbetreibungs- und Konkursämter übergegangen ist.

In allen Fällen, in denen der Bundesrat auf Grund seines Beschlusses vom 12. Juli 1918 zu intervenieren hatte, handelte es sich um Aufhebung von Arrestmassnahmen. Der Gedanke läge daher nahe, ein Gesetz zu erlassen, das die gesetzlichen Bestimmungen betreffend Arrest ergänzt. Wie aber bereits erwähnt, steht nicht nur die Zulässigkeit des Arrestes in Frage sondern auch andere Zwangsvollstreckungsmassnahmen, die zum Teil durch das kantonale Recht geregelt worden sind. Eine blosse Ergänzung der gesetzlichen Bestimmungen über Arrest oder des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes überhaupt würde daher dem gesetzgeberischen Zwecke nicht genügen.

V.

Was die Frage betrifft, ob der Bund auf Grund der Verfassung zuständig sei, in dieser Frage zu legiferieren, so kann darüber kein Zweifel bestehen, soweit Massnahmen in Betracht kommen, die im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs geregelt worden sind. Nun aber regelt das Schuldbetreibungsund Konkursgesetz lediglich Zwangsvollstreckungen, die auf eine Geldzahlung oder Sicherheitsleistung gerichtet sind, während Zwangsvollstreckungen in andere Ansprüche sowie vorläufige und einstweilige Verfügungen zwecks Sicherung der Zwangsvollstreckung der Regelung des kantonalen Rechtes überlassen sind. Die Zuständigkeit des Bundes zum Verbote kantonal-rechtlicher Vollstreckungshandlungen gegen fremde Staaten ergibt sich nun aber aus dem I. Abschnitte der Bundesverfassung. Freilich fehlt eine ausdrückliche Bestimmung, doch kann aus verschiedenen Vorschriften des I. Abschnittes der BV (Art. 8-, 9, 10) der Rechtssatz abgeleitet werden, dass die Regelung der völkerrechtlichen Beziehungen der Schweiz Bundessache ist. Darüber, dass die zu regelnde Angelegenheit die völkerrechtliche Stellung der Eidgenossenschaft betrifft, dürften Zweifel nicht obwalten.

426 VI.

Der Bundesratsbeschluss vom 12. Juli 1918 gab dem Bundesrate die Befugnis, Zwangsvollstreckungsmassnahmeu, die im Widerspruche mit seinem Beschlüsse von schweizerischen Behörden angeordnet worden waren, von Amtes wegen aufzuheben. Dieses Interventionsrecht des Bundesrates konnte sich lediglieh aus den ausserordentlichen Verhältnissen erklären, aus denen heraus der Bundesratsbeschluss entstanden ist. Heute ist eine Notwendigkeit nicht mehr vorhanden, diese Befugnis aufrechtzuerhalten.

Es genügt, wenn die zuständigen Aufsichtsbehörden verpflichtet werden, gesetzwidrige Zwangsvollstreckungsmassnahmen aufzuheben.

Dabei soll aber die Nichtigkeit der Zwangsvollstreckung, sei es durch die angegangene Behörde oder durch die Aufsichtsbehörde, auch ohne Erhebung einer Einrede oder einer Beschwerde seitens des fremden Staates ausgesprochen werden. Es wird zwar oft in der Theorie angenommen, dass ein fremder Staat sich freiwillig der Zwangsvollstreckung unterwerfen kann. Das Nichterheben der Unzuständigkeitseinrede oder der Beschwerde durch einen fremden Staat darf aber nicht als dessen Zustimmung aufgefaest werden, da das interne Prozessrecht grundsätzlich auf ihn keine Anwendung findet (Meili, Gutachten, S. 43).

Das zu erlassende Gesetz findet nur Anwendung auf solche Fälle, wo die Massnahme gegen den fremden Staat beantragt ist.

Handelt es sich dagegen um * Verfahren zwischen Drittpersonen, o o r » bei denen der fremde Staat nur deshalb beteiligt ist, weil er Rechte an den Exekutionsobjekten geltend macht, so kommen die gewöhnlichen Rechtsvorschriften zur Anwendung. Da die beantragte Zwangsmassnahme sich nicht gegen den fremden Staat richtet, er aber andererseits auf Grund der gewöhnlichen Rechtsvorschriften in der Lage ist, seine Ansprüche zu wahren, so kann von ihm auch verlangt werden, dass er in den Formen des Prozess- und Betreibungsrechtes vorgeht. Eine andere Lösung würde auch die schweizerischen Gläubigerinteressen gefährden.

Bei Eigentumsansprachen, die ein fremder Staat in einem zwischen Dritten hängigen Arrest- oder Betreibungsverfahren erhebt, erfolgt daher die Freigabe des angesprochenen Gegenstandes nicht sofort, sondern erst dann, wenn der fremde Staat im Widerspruchsverfahren obgesiegt hat. Das nämliche gilt auch in Ansehung von Gegenständen, welche in eine Konkursmasse einbezogen worden sind und von einem fremden Staat angesprochen werden.

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VII.

Die Frage, ob das Gegenrecht verbürgt ist, entscheidet nach dem Gesetzesentwurfe ausschliesslich der Bundesrat. Es wäre nicht zweckmässig, die Beurteilung dieser Vorfrage den Gerichtsbehörden zu überlassen, weil für die Abgabe der GegenrechtserkläriiDg diplomatische Unterhandlungen in Betracht kommen.

Zudem handelt es sich dabei unter Umständen nicht nur um die Feststellung, ob die Praxis eines ausländischen Staates die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckungsmassnahmen annehme, sondern das Gegenrecht kann auch dadurch verbürgt werden, dass der ausländische Staat sich verpflichtet, gegenüber der Schweiz auf Zwangsvollstreckungsmassnahmen zu verzichten. Indem die Beurteilung der Frage, ob das Gegenrecht verbürgt sei, dem Bundesrate wie bis anhin überlassen bleibt, hat er die Möglichkeit, die Interessen der Schweiz zu wahren, wie dies auch auf Grund von Art. 102, Ziff. 8 der Bundesverfassung seine Aufgabe ist. Die Tätigkeit des Bundesrates wird sich aber den Gerichtsbehörden gegenüber darauf beschränken, auf deren Anfrage hin mitzuteilen, ob der fremde Staat Gegenrecht halte oder nicht.

Indem wir Ihnen den nachfolgenden Gesetzescntwurf zur Annahme empfehlen, benützen wir diesen Anlass, um Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 29. Januar

1923.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

8cheurer.

Der- Bundeskanzler :

Steiger.

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(Entwurf.)

ßundesgesetz betreffend

Arrest und Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen fremder Staaten.

Die Bundesversammlung der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 29. Januar 1923, b e s c h l i e's s t : Art. 1. Arrest oder andere Sicherungsmassnahmen der Zwangsvollstreckung können gegen einen fremden Staat in keinem Falle angeordnet werden, sofern dieser Gegenrecht hält.

Unter der gleichen Voraussetzung sind Zwangsvollstreckungsmassnahmen in. bezug auf bewegliches Vermögen fremder Staaten unzulässig, es sei denn, dass es sich um die Verwertung eines Fahrnispfandes handelt.

Art. 2. Wird eine der in Art. l erwähnten Massnahmen gegen einen fremden Staat beantragt, so richtet die angegangene Behörde von Amtes wegen, bevor sie dem Gesuche Folge gibt, die Anfrage an den Bundesrat, ob der fremde Staat Gegenrecht halte. Über das Bestehen der Voraussetzung des Gegenrechtes entscheidet der Bundesrat.

Art. 3. Massnahmeo, die im Widerspruche mit diesem Gesetze erfolgen, sind nichtig und sind jederzeit von den zuständigen Behörden von Amtes wegen aufzuheben.

Art. 4. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wird der Bundesratsbeschluss vom 12. Juli 1918 betreffend Arrest und Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen fremder Staaten aufgehoben.

Art. 5. Der ßundesrat wird mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt.

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>·§§·<--:

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Erlass eines Gesetzes über Arrest und Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen fremder Staaten. (Vom 29. Januar 1923.)

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1923

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1703

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31.01.1923

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