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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu einer Verlängerung der vorläufigen Vereinbarung zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche betreuend die in der Schweiz zu erfüllenden Frankenverpflichtungen deutscher Lebensversicherungsgesellschaften vom 29. September 1922.

(Vom 25. April 1923.)

Am 29. September des Vorjahres schlössen wir mit dem Deutschen Reiche ein Abkommen ab, das bezweckte, gewisse Vorbedingungen zu dem damals vorgesehenen Hauptabkommen /.wischen den beiden Ländern betreffend eine gemeinsame Hilfe zugunsten der Versicherten bei deutschen Lebensversicherungsgesellschaften z;u schaffen. Dieses Hauptabkommen wird nun zweifellos in seiner ursprünglichen Gestalt nicht Rechtens werden, weil ihm das Garantiekomitee der Reparationskommission die von der deutschen Regierung nachgesuchte Genehmigung versagt hat mit Rücksicht auf die darin vom Reiche übernommenen finanziellen Verpflichtungen und Garantien. Eine offizielle Erklärung der Reichsregierung, dass sie das Abkommen als dahingefallen betrachte, steht immerhin noch aus, weshalb auch die ^vorläufige Vereinbarung" nach dem Wortlaute von dessen Artikel 3, AI. l, noch bis zum 30. April 1923 in Kraft besteht.

Wir gestatten uns, um Wiederholungen zu vermeiden, auf unsere Botschaften vom 4. Oktober und vom 10. November 1922 hinzuweisen.

Da ausser dem Widerstande des Garantiekomitees auch die fortschreitende Entwertung der Mark Bedenken gegen die Durchführbarkeit der gefundenen Lösung wachgerufen hatte, sind schon seit Monaten Vorarbeiten für eine neue, eventuelle Lösung getroffen worden. Diese bewegten sich namentlich in der -- auch

durch die öffentliche Meinung und die Wünsche der Versicherten angeregten -- Richtung, dass die schweizerischen Versicherungsbeetände der gefährdeten acht deutschen Lebensversicherungsgescllschaften auf bereits konzessionierte schweizerische Gesellschaften übertragen werden mochten. Die Liquidation der Versicherungsbestände hätte dabei unter Anpassung an die veränderten Verhältnisse, unter Verwendung der vorhandenen Kautionen, unter Einräumung loyaler Übernahmsbedinguagen, wohl auch mit finanzieller Hilfe der Eidgenossenschaft zu erfolgen. Die Direktorenkonferenz der konzessionierten schweizerischen Lebcnsversicherungegesellschaften hat einen Vertragsentwurf ausgearbeitet, auf dessen Inhalt hier einzugehen verfrüht wäre, da er noch der Prüfung unserer berufenen Behörden und beigezogenen Sachverständigen und auch der Diskussion der Versicherten unterstellt wird, um dann in nächster Zeit in Unterhandlung und Beratung gezogen zu werden.

Für heute stellt sich die Vorfrage, ob bis zum endgültigen Entscheide über die neue Lösung der Abwicklungsfrage nicht, wie im Vorjahre, eine vertragsrnässige Sicherung dos zwischen Versicherten und Versicherungsgesellschaften durch die vorläufige Vereinbarung vom 29. September 1922 geschaffenen Rechts/Aistandes oder eine ähnliche Regelung wünschenswert, wenn nicht gar notwendig sei. Von beiden Vertragsseiten sind uns dahingehende Wünsche geäussert worden. Die Konkursgefahr für die deutschen Gesellschaften, die wir in unserer Botschaft vom 4. Oktober 1922 mit ihren für beide Teile unbefriedigenden Folgen dargestellt haben, würde am 1. Mai 1923 in noch erhöhtem Masse vorhanden sein ; darüber lässt die Markentwertung und die ungeheure Steigerung der Betriebsunkosten keinen Zweifel zu. Aber hat es noch einen Wert, den normalen Rechtsgang durch Stundungsbestirnraungen nochmals künstlich aufzuhalten, nachdem jedenfalls finanzielle Leistungen des Deutschen Reiches auch in einem allfälligen neuen Hauptabkommen ausgeschlossen erscheinen müssen? Hierzu ist zu sagen, dass schon ia den letztjährigen Unterhandlungen eventuell auch die Frage eines sogenannten Konkursauskaufes für die Gesellschaften ventiliert wurde.

Diese kann auch heute wiederkehren in der Gestalt einer Art Nachlassvertrag unter Verwendung der noch vorhandenen eigenen Mittel der Gesellschaften oder ihnen zur
Verfügung gestellter Hilfeleistung Dritter. Es ist auch die Überlegung nicht zum vornherein von der Hand zu weisen, dass ein Nachlassverfahren mit über 60,000 Versicherten auf der Basis individueller Zustimmungen praktisch schier undurchführbar wäre und deshalb der

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Staatsvertrag nach wie vor wohltätig eingreifen könnte, wenn das Deutsche Reicli auch nur noch mit rechtlicher Bindung seiner Angehörigen, seiner Gesellschaften, seiner Behörden, und nicht mehr mit wirtschaftlicher Hilfe einzugreifen vermöchte, Jedenfalls sollte der Weg offen gehalten werden, um eine solche Lösung nicht zum vornherein zu verunmöglichen.

Auch für den Fall, dass ein abgeändertes Hauptabkommen mit dem Deutschen Reiche nicht mehr zustande kommen sollte, hätte die Aufrechterhaltnng des jetzigen Status ihre Bedeutung.

Die Unterhandlungen mit den Gesellschaften selbst können ohne die beständige Drohung eines Konkursausbruchea oder interner gesetzlicher Eingriffe geführt werden. Der Stundung der fälligen Frankenyerpflichtungen im Sinne von Artikel l der bisherigen Vereinbarung steht nach wie vor die Stundung der Prämien, die Offenhaltung eines Sperrkontos bei der schweizerischen Nationalbank und sodann die Sicherung des Grundstückbeetandes der schuldnerischen Gesellschaften gegen Belastung gegenüber. Auch das Übertragungsgeschäft selbst kann in Ruhe vorbereitet werden.

Der Kreis der durch das Abkommen ergriffenen Verpflichteten bleibt derselbe wie er in der vorläufigen Vereinbarung unter Bezugnahme auf das Hauptabkommen und dessen Anlagen umschrieben worden ist. Der bei Einzahlungen auf Sperrkonto von der National bank gutgeschriebene Zins würde wie bisher der Kaution derjenigen Gesellschaft zuwachsen, welcher der einzahlende Versicherte angehört hat.

Nach dem Gesagten erscheint eine Verlängerung des mit dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Abkommens vom 29.'September 1922 als äusserst wünschenswert. Diese sollte jedoch, da das bisherige Abkommen mit 30. April zu Ende geht, noch vor diesem Zeitpunkte perfekt werden. Der Bundesrat ist denn auch mit der Deutschen Regierung in Unterhandlungen getreten, um Ihnen rechtzeitig eine diesbezügliche Vorlage zu unterbreiten.

Da sich jedoch bei einzelnen Gesellschaften Schwierigkeiten ergaben, so konnten die Unterhandlungen mit der Deutschen Regierung noch nicht zum Abschluss gebracht werden. Es ist daher dem Bundesrate auch nicht möglich, noch in dieser Session der Bundesversammlung einen formulierten Antrag auf Verlängerung des Abkommens zu unterbreiten. Angesichts dieser Sachlage und im Hinblick auf die Dringlichkeit dieser Angelegenheit
schlagen wir Ihnen vor, dem Bundesrate Vollmacht zu erteilen, das Abkommen durch Vereinbarung mit der Deutschen Regierung zu verlängern. Wir glauben diesen Vorschlag um so eher befürworten zu können, als die Verlängerung des Abkommens keine prinzipielle Frage berührt,

9 sondern eine Änderung seines Inhalts nur hinsichtlich des Zeitpunktes seiner Beendigung stattfinden wird. Die Verlängerung des Abkommens ist zunächst für zwei Monate, d. h. bis zum 30. Juni 1923, vorgesehen. Immerhin muss daran gedacht werden, dass eine weitere Erstreckung nach diesem Zeitpunkte sich noch als wünschenswert erweisen könnte. Die Ermächtigung des Bundesrates sollte daher, um ihm auf alle Fälle die notwendige Bewegungsfreiheit zu belassen ohne wiederum mit einer Vorlage an die Bundesversammlung gelangen zu müssen, noch weiterhin erstreckt werden, jedoch in dem Sinne, dass die Verlängerung des Abkommens eine von der Bundesversammlung festzusetzende Frist nicht Überschreiten soll. Als äusserster Zeitpunkt für die Beendigung des verlängerten Abkommens, auf den nur im dringendsten Fall abgestellt werden soll, sehen wir den 31. Dezember 1923 vor.

Gestützt auf die vorstehenden Darlegungen empfehlen wir Ihnen die Annahme des Ihnen unterbreiteten Bundesbeschlusses, der, weil er einen Staatsvertrag, befristet auf eine Dauer unter 15 Jahren, betrifft, dem Referendum nicht untersteht.

Wir benützen gerne den Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 25. April 1923.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Scheurer.

Der Bundeskanzler; Steiger.

10 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreuend

Vollmachterteilung an den Bundesrat zur Verlängerung des am 29. September 1922 in Bern unterzeichneten Abkommens zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche betreffend die in der Schweiz zu erfüllenden Frankenverpflichtungen deutscher Lebensversicherungsgesellschaften.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 25. April

1923, in Anwendung von Art. 85, Ziff. 5, der Bundcsverfassung, heschliesst: Der Bundesrat wird ermächtigt, das zwischen dem schweizerischen ßundesrate und der Regierung des Deutschen Reiches am 29. September 1922 abgeschlossene Abkommen betreffend die in der Schweiz zu erfüllenden Frankenverpflichtungen deutscher Lebensversicherungsgesellschaften nach seinem Ermessen, jedoch längstens bis zum 31. Dezember 1923, zu verlängern.

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1730

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02.05.1923

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