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Bundesblatt

75. Jahrgang.

Bern, den 26. Dezember 1923.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Prêts 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- and Postbestellungsgebühr".

Einrückungsgebühr: 60 Kappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die vierte Session der Völkerbundsversammlung.

(Vom 17. Dezember 1923.)

I. Einleitung, Die Versammlung des Völkerbundes, die im September 1923 zu ihrer vierten ordentlichen Tagung zusammentrat, sah sich im Laufe dieser Session vor Aufgaben gestellt, die über das bisher gewohnte Mass administrativer und politischer Arbeit hinausreichten. Die Tagesordnung der vierten Session selbst, die in ihren Umrissen teils durch die Geschäftsordnung, teils durch die von der Versammlung im Jahre 1922 angenommenen Resolutionen zur -Hauptsache im vornherein festgelegt war, liess dies freilich nicht ohne weiteres erkennen. Dieser Traktandenliste zufolge, die, einer Bestimmung der Geschäftsordnung gemäss, den Mitgliedern des Völkerbundes einige Monate vor Sessionsbeginn zugestellt wurde, schien die Versammlung vorab dazu berufen zu sein, den Ausbau der organisatorischen Grundlagen des Völkerbundes, der naturgemäss die ersten Jahre des Bestehens des Bundes gekennzeichnet hatte, nach verschiedenen Eichtungen hin weiterzuführen. Daneben musste es ihr obliegen, eine Anzahl juristischer und politischer Spezialfragen, die ihr von einzelnen Gliedstaaten unterbreitet worden waren, einer Lösung entgegenzufübren. Schon vor Eröffnung der vierten Tagung konnte es indessen keinem Zweifel unterliegen, dass auch die wichtigsten politischen Fragen der Stunde, die zum Teil einen akuten Charakter angenommen hatten, in den Verhandlungen der Versammlung einen Widerhall finden würden. Angesichts der neuen Verwicklungen der internationalen Lage, die unmittelbar vor Sessionsbeginn zutage .traten, wurde geradezu die Frage laut, ob der Völkerbund bei dieser Gelegenheit seiner eigentlichen Aufgabe, in Zeiten von drohender Gefahr als Regulator der zwischenstaatlichen Beziehungen zu wirken, gerecht zu werden vermöchte.

Bundesblatt.

75. Jahrg., Bd. III.

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Die Instruktionen für die schweizerische Delegation, die der Bundesrat in seiner Sitzung vom 29. August 1928 festsetzte, mussten notwendigerweise diesen Verhältnissen Rechnung tragen. Sie folgen im übrigen den Grundsätzen, die der schweizerischen Abordnung anlässlich der frühern Tagungen der Versammlung als Richtschnur gedient und die Billigung der eidgenössischen Bäte gefunden hatten.

Es kann an dieser Stelle davon Abstand genommen werden, die einzelnen Fragenkomplexe zu erläutern, die Gegenstand der Instruktionen bildelen, da es sich durchwegs um Probleme handelt, über die die Bundesversammlung anlässlich der Berichterstattung über die vorhergehenden Sessionen der Völkerbundsversammlung unterrichtet worden ist. Der bisherigen Übung gemäss, legt indessen der Bundesrat Wert darauf, den Eäten den vollständigen Inhalt seiner Instruktionen zur Kenntnis zu bringen. Sie haben den nachfolgenden Wortlaut: «1. Die allgemeinen Grundsätze der schweizerischen Völkerbundspolitik, die in den Instruktionen an die schweizerischen Vertreter bei den drei ersten Sessionen der Versammlung zum Ausdruck kommen, werden aufs neue der Delegation als Richtlinie dienen.

Die Delegation soll, soweit an ihr, dahin wirken, dass der Völkerbund seiner eigentlichen Bestimmung, unter Wahrung der Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten das Prinzip internationaler Zusammenarbeit HU verwirklichen, nach Möglichkeit näherkomme.

2. Sollte die Versammlung in die Lage versetzt werden, in Ergänzung ihrer Tagesordnung und sonstwie auch über die Probleme za beraten, die mit der bedrohlichen politischen und wirtschaftlichen Lage Europas zusammenhängen, so wird die schweizerische Delegation beauftragt, darauf hinzuweisen, dass eine Mitwirkung de.s Völkerbundes bei Lösung dieser Fragen schon deshalb sich rechtfertige, weil die gegenwärtige Situation in ihren Rückwirkungen alle europäischen Länder in Mitleidenschaft ziehe. Wenn sich der Völkerbund mit diesen Problemen bef asst, so hat' dies indessen unter allen Umständen unter Wahrung eines Verfahrens zu erfolgen, das in jeder Hinsicht Gewähr für volle Unparteilichkeit bietet.

3. Die schweizerische Delegation wird, der Übung früherer Jahre entsprechend, bei Festsetzung der Tagesordnung der Session grundsätzlich für die Aufnahme der gemäss Artikel 4111 der Geschäftsordnung von Mitgliedstaaten
angemeldeten Traktanden eintreten.

Sie kann ebenso Anträge auf Behandlung neuer wichtiger Verhandlungsgegenstände, die während der Session formuliert werden könnten, unterstützen.

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4. Wie bisher, wird sich die schweizerische Delegation, in Befolgung des im Bundesbeschluss vom 5. März 1920 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund niedergelegten Grundsatzes, für die Aufnahme der der Völkergemeinschaft angehörenden Staaten, die ein Aufnahmegesuch stellen, einsetzen. Das bereits vorliegende "Aufnahmebegehren des Irischen Freistaates wird ihre Unterstützung finden. Hinsichtlich des A u f n a h m e v e r f a h r e n s wird die Delegation namentlich darauf Wert legen, dass dieses so weitherzig als möglich gehandhabt und von erschwerenden Bedingungen befreit werde, damit der Völkerbund in seinem eigenen Interesse baldmöglichst seiner universellen Bestimmung entgegengeführt werde.

5. Im Hinblick auf die Beratung des Geschäftsberichtes des Rates und des Generalsekretariates werden der schweizerischen Delegation grundsätzlich die gleichen Instruktionen erteilt wie im Vorjahre.

Die Delegation wird demnach in bezug auf diejenigen Angelegenheiten im allgemeinen mit ihrem Urteil zurückhalten, für deren Erledigung die im Eate vertretenen Mächte vor allem verantwortlich sind; immerhin wird sie ermächtigt, sich gegebenenfalls den Forderungen anzuschliessen, deren Verwirklichung die unparteiische Autorität des Völkerbundes bei Regelung gewisser, mit den Friedensverträgen zusammenhängender Fragen stärken würde. Sie soll endlich dahin wirken, dass für Fragen juristischen Charakters in weitgehendem Masse an die Mitwirkung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag appelliert werde.

6. Bei der zu treffenden Ersatzwahl in den Ständigen Internationalen Gerichtshof ist die schweizerische Delegation in der Versammlung ermächtigt, namentlich einer solchen Kandidatur ihre Zustimmung und Unterstützung zu gewähren, durch welche die Rechtswissenschaft des lateinischen Amerika eine angemessene Vertretung im Gerichtshof (sei es unter Richtern oder Ersatzrichtern) erhielte.

7. Die der schweizerischen Delegation zur zweiten Völkerbundsversammlung erteilten und im Jahre 1922 bestätigten Instruktionen hinsichtlich der Frage der Streichung oder Abänderung des Artikels 10 des Paktes werden der Abordnung erneut als Wegleitung dienen.

Die Delegation ist insbesondere ermächtigt, unter Ablehnung extensiver Auslegungen einer allfälligen interpretativen Resolution zuzustimmen, durch welche die
wirkliche Tragweite des erwähnten Artikels im Sinne der bisherigen Kundgebungen des Bundesrates präzisiert würde.

Für den Fall, dass die Frage der Abänderung oder authentischen Interpretation des Artikels XVIII aufs neue gestellt würde, wird sich die Delegation ebenfalls an die im Vorjahre erteilten Weisungen halten.

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Im übrigen soll die Delegation mit Aufmerksamkeit die Lage prüfen, die daraus entstanden ist, dass bis zur Stunde eine ungenügende Anzahl der in der Versammlung vertretenen Staaten und auch nur ein Teil der im Eate vertretenen Mächte die im Jahre 1921 beschlossenen Abänderungen zum Völkerbundsvertrag ratifiziert haben.

8. Die schweizerische Delegation wird, der .bisherigen Haltung des Bundesrates getreu, diejenigen Vorschläge unterstützen, die das Problem einer Beschränkung der Eüstungen seiner Lösung näher zu bringen geeignet scheinen. Sie wird dem Bundesrat berichten und Antrag stellen, nachdem der Bericht der gemischten temporären Kommission des Völkerbundes für die Eüstungsbeschränkung samt den Vorschlägen des Eates in den Einzelheiten bekannt ist.

Bei den auf die Vorbereitung eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung hinzielenden Beratungen wird die Delegation, um allen Missverständnissen vorzubeugen, aufs neue an die Grenzen erinnern, die der Schweiz vermöge ihrer immerwährenden, im Völkerbund anerkannten Neutralität bei ihrer eigenen Stellungnahme in militärischer Hinsicht gezogen sind. Sie kann auch nicht, soweit die Stellung der Schweiz in Betracht kommt, einer Eegelung zustimmen, durch welche in wirtschaftlicher Hinsicht weitergehende Pflichten als die in Artikel XVI des Paktes niedergelegten und durch Eesolutionen der Versammlung vom 4. Oktober 1921 authentisch interpretierten übernommen werden müssten.

9. Hinsichtlich der Berichte der dem Völkerbund angegliederten technischen Organisationen sowie in bezug auf die Tätigkeit des Völkerbundes auf humanitärem und sozialem Gebiete wird grundsätzlich die schweizerische Delegation im Sinne der besondern Vorlagen Stellung nehmen, die in Verbindung mit einschlägigen Departementen des Bundesrates ausgearbeitet worden sind. Die Delegation wird indessen ermächtigt, gegebenenfalls dem Bundesrate besondere Anträge zu stellen.

Bei der Beratung über die Arbeit der Wirtschafts- und Finanzorganisation wird die Delegation insbesondere die Vorschläge über Verallgemeinerung der Handelsschiedsgerichtsbarkeit unterstützen.

10. Bei der Beratung des Budgets für das Jahr 1924 wird die schweizerische Delegation grundsätzlich für diejenigen Anträge stimmen, die, ohne die Fortführung der vom Völkerbund übernommenen Aufgaben zu beeinträchtigen, auf eine Herabsetzung der Ausgaben hinzielen.

Hinsichtlich der Eegelung der Kostenverteilung wird die Delegation bis zum Inkrafttreten der Eevision von Artikel VI auf der

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Beibehaltung einer provisorischen Neuordnung nachdrücklich bestehen. Sie wird die Forderung aufstellen, dass die nach dem Verteiler von 1923 auf die Schweiz entfallende Quote für das kommende Jahr keinesfalls erhöht werde.

11. Die schweizerische Delegation wird dahin zu wirken suchen, dass anlässlich der bevorstehenden Tagung der Versammlung ein System des regelmässigen Wechsels der sechs nichtständigen Mitglieder des Eates eingeführt werde, das bis zur Eatifikation der Abänderung zu Artikel IV des Paktes Anwendung finden und, wenn möglich, ohne Verzug in Kraft treten kann.

Vor den am Schlüsse der Session stattfindenden Wahlen wird die Delegation gegebenenfalls weitere Instruktionen des Bundesrates einholen.» Die schweizerische Delegation zur vierten Völkerbundsversammlung wurde wie folgt zusammengesetzt: Als Delegierte wurden aufs neue Herr Bundesrat Motta, Chef des Politischen Departements, und Herr alt Bundesrat Ad or bezeichnet. An Stelle von Herrn alt Ständerat Usteri, der nach dreimaligem verdienstvollem Wirken als Mitglied der Abordnung eine Wiederwahl abgelehnt hatte, wurde Herr Nationalrat Dr. E. Forrer, der im Vorjahre als stellvertretender Delegierter gewirkt hatte, zum Delegierten ernannt; leider war indessen Herr Nationalrat Forrer aus Gesundheitsrücksichten verhindert, den Beratungen der vierten Session der Versammlung beizuwohnen. Der Bundesrat berief in der Folge als stellvertretende Delegierte Herrn Ständerat Dr. Heinrich Bolli und Herrn Professor Dr. W. B u r c k h a r d t . Als Sekretär und Experte der Delegation fungierte Dr. P. Euegger; ferner wurde Herr D. Secretan, vom Politischen Departement, als Sekretär der Abordnung bezeichnet.

Die Eröffnung der Session der Versammlung, deren alljährlicher Beginn in der Geschäftsordnung auf den ersten Montag vom September angesetzt ist, erfolgte am dritten jenes Monats durch den amtenden Präsidenten des Völkerbundsrates, Vicomte Ishii, Delegierten Japans. Von den zweiundfünfzig den Völkerbund bildenden Staaten waren siebenundvierzig vertreten. Argentinien, Bolivien, Nicaragua und Peru, die bereits im Vorjahre keine Delegierten nach Genf entsandt hatten, beglaubigten aufs neue keine Vertreter.

Zu den Staaten, die beim Appell fehlten, gesellte sich Guatemala, während andererseits die im Jahre 1922 nicht vertretene Bepublik Salvador Delegierte bezeichnet hatte. Wie üblich, wurde ein besonderer achtgliedriger Ausschuss zur Prüfung der Vollmachten der Delegierten eingesetzt.

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In der Nachmittagssitzung des Eröffnungstages wurde als Präsident der vierten Tagung der Versammlung mit 24 Stimmen der erste Delegierte von Cuba, Herr Cos me de la Torriente y Peraza, gewählt. Unmittelbar darauf wurde die Tagesordnung der Session genehmigt und ein weiterer siebenköpfiger Ausschuss mit der Aufgabe betraut, über neu zur Anmeldung gelangende Traktanden Berieht zu erstatten. Sodann vollzog die Versammlung ihre Gliederung in Komm i s s i o n e n , indem sie dem Muster früherer Tagungen folgte. Die Bestellung von sechs Ausschüssen, deren jeder einen bestimmt umschriebenen Kompetenzkreis hat, kann vielleicht bereits als eine gewohnheitsrechtliche bezeichnet werden, die in einem Punkte das geschriebene Verfassungsrecht des Paktes ergänzt.

Die erste Kommission hat jeweilen das Mandat, die häiigigen Organisations- und Verfassungsfragen durchzuberaten. In ihrer konstitutiven Sitzung wählte sie Herrn Bundesrat Motta zu ihrem Vorsitzenden.

Die zweite Kommission, der es oblag, die Tätigkeit der dem Völkerbund angegliederten technischen Organisationen zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, bezeichnete den M a h a r a j a von Nawanagar, Delegierten Indiens, als ihren Präsidenten.

Die schweizerische Delegation war in diesem Ausschuss durch Herrn Ad or vertreten.

Aufgabe der dritten Kommission war es aufs neue, die Vorlagen über die Beschränkung der Eüstungen zu prüfen; in der diesjährigen Session musste insbesondere der von der gemischten temporären Kommission des Völkerbundes vorbereitete Entwurf eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung beraten werden. Das Präsidium dieses Ausschusses übernahm der erste Delegierte Polens, Herr Ski r m un t. Als schweizerischer Delegierter in dieser Kommission wurde Herr Ständerat Bolli bezeichnet.

Die vierte Kommission hatte sich, wie gewohnt, mit Budget und sonstigen Finanzfragen sowie mit der internen Organisation der Dienstzweige des Völkerbundes zu befassen; sie wurde vom ersten Delegierten des serbisch-kroatisch-slowenischen Staates, Herrn N i n c i c , präsidiert. Die Schweiz war in ihr durch Herrn Professor B u r c k h a r d t vertreten.

Der Tätigkeitsbereich der f ü n f t e n Kommission, deren Vorsitz der brasilianische Delegierte, Herr de Mello-Franco, führte, umfasste die Prüfung der humanitären und sozialen Fragen, denen der Völkerbund seine Aufmerksamkeit zuwendet. Schweizerischer Delegiertor in dieser Kommission war Herr A d o r .

571 Die sechste Kommission endlich, die mit der Berichterstattung über die in der Tagesordnung der Session aufgenommenen politischen Spezialf agen beauftragt war, wählte den ersten Delegierten Belgiens, Herrn Hymans, zu ihrem Vorsitzenden. Herr Bundesrat Motta übernahm die Vertretung der schweizerischen Abordnung auch in diesem Ausschusse.

Mit dem Präsidenten der Versammlung und sechs direkt von der Versammlung gewählten Vizepräsidenten bilden die Vorsitzenden der sechs Kommissionen (die ebenfalls den Charakter von Vizepräsidenten haben) das Bureau der Versammlung. Die aus direkter Wahl hervorgegangenen sechs Vizepräsidenten waren: Lord Eobert Cecil (Grossbritannien), Vicomte Ishii (Japan), Herr Gabriel H a n o t a u x (Frankreich), Graf de Gimeno (Spanien), Herr Gii F or t oui (Venezuela) und Herr Pus t a (Estland).

Das Bureau der Völkerbundsversammlung, dessen Bedeutung schon während der Tagung des Jahres 1922 keine geringe gewesen war, hatte namentlich in dieser Session eine oft heikle Aufgabe zu bewältigen, indem u. a. die ihm obliegende Festsetzung der Tagesordnung der einzelnen Sitzungstage der Versammlung auf die Entschlüsse des Eates in den brennenden politischen Fragen der Stunde vielfach einen mittelbaren Einfluss ausübte.

In den folgenden Ausführungen sollen zunächst die Beratungen über Gegenstände, die im Plenum der Versammlung eine unmittelbare Eegelung fanden, und sodann die Beschlüsse, die auf Antrag der einzelnen Ausschüsse gefasst wurden, eine kurze Darstellung erfahren.

II. Die Verhandlungen im Plenum der Versammlung.

Die Erfahrung der frühern Sessionen der Völkerbundsversammlung hatte darauf hingedeutet, dass das Schwergewicht der Arbeit der Versammlung, wenigstens sofern es sich um Fragen organisatorischer und administrativer Natur drehte, in den sechs Ausschüssen liegen würde. Insoweit Probleme solchen Charakters an der vierten Session zur Erörterung standen, hat sich in der Tat die Versammlung in ihren Vollsitzungen meistens mit der blossen Genehmigung der von den Kommissionen formulierten Anträge begnügt. Daneben erwies sich indessen, namentlich im Verlauf der vierten Tagung, die hervorragende - Bedeutung des Plenums der Völkerbundsversammlung als eines Forums für die unmittelbare Erörterung der politischen Probleme der Stunde, das auch da, wo es sich nicht um unmittelbare Beschlüsse der Versammlung, sondern bloss um Wünsche hinsichtlich der Tätigkeit des Eates handeln konnte, nicht versagt

572 hat. Man kann nach den nunmehr gemachten Erfahrungen ohne weiteres behaupten, dass die blosse Tatsache der Existenz dieses Forums und die damit verbundene Möglichkeit einer moralischen Mitwirkung zahlreicher Staaten bei der Schlichtung internationaler Streitigkeiten auf den Gang der Ereignisse von unbestreitbarem Einfluss ist, wenn sich auch in der anfänglichen Entwicklung der Völkerbundsorganisation naturgemäss Hemmungen von ausserordentlicher Schwere geltend machen.

Anlass zu den ersten Verhandlungen im Plenum bot, wie gewohnt, der allgemeine Bericht über die Tätigkeit des V ö l k e r b u n d s r a t e s und des G e n e r a l s e k r e t a r i a t e s seit der vorhergehenden Session der Versammlung. Dieses umfassende Dokument, das zwei Monate vor Eröffnung der Tagung den Völkerbundsmitgliedern zugestellt worden war, wurde der Übung gemäss unmittelbar vor Sessionsbeginn durch einen Zusatzbericht über die Beschlüsse des Eates und die Exekutivmassnahmen des Sekretariates während der Monate Juli und August 1923 ergänzt. Die Beratungen über den Geschäftsbericht des Eates und des Generalsekretariats folgten in den vier ersten Sessionen der Versammlung keineswegs einem bestimmten System. Es wurden nicht nacheinander die einzelnen Abschnitte des Berichtes einer Diskussion unterzogen, vielmehr fand stets, wie bisher, eine ganz allgemeine Aussprache statt, die den Vertretern verschiedener Länder Gelegenheit bot, ihre sämtlichen Wünsche und Forderungen an die Politik des Völkerbundes im Zusammenhang darzulegen. Bei diesem Verfahren ist ein Eintreten auf die einzelnen Entscheidungen, die der Völkerbundsrat in politischer und administrativer Hinsicht in der Berichtsperiode getroffen hat, naturgemäss nur selten möglich. Anderseits ist zuzugeben, dass es schwer möglich wäre und wohl auch nicht im Interesse einer glatten Abwicklung der Geschäfte des Völkerbundes liegen würde, dass die Versammlung ebenfalls Beschlüsse über die Materien fassen würde, über die bereits Entscheidungen des -- politisch koordinierten -- Völkerbundsrates vorliegen. Aufgabe der Versammlung ist es nach der gegenwärtigen Übung vielmehr, an der Aufstellung der Bichtlinien mitzuwirken, die in den Intervallen zwischen ihren ordentlichen Sessionen für die Politik des Völkerbundes Geltung haben sollen. Unter diesen Umständen ging die
schweizerische Delegation bei ihrer Stellungnahme zum Geschäftsbericht des Eates in der letzten Tagung von der Voraussetzung aus, dass es sich nicht darum handeln könne, die vom Völkerbundsrate getroffenen Massnahinen ausdrücklich gutzuheissen, sondern lediglich darum, von diesen Entscheidungen, für welche die im Eate vertretenen Mächte die Verantwortung übernehmen müssen, Kenntnis zu nehmen.

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Von den Eednern, die sich zuerst über die Tätigkeit des Eats äusserten, wurde unter anderm auf das Werk der Wiederaufrichtung Österreichs, auf die zur Hilfeleistung für die kleinasiatischen Flüchtlinge unternommenen Schritte sowie auf verschiedene politische Interventionen des Völkerbundes angespielt. In einer der ersten Plenarsitzungen verbreitete sich der erste Delegierte Chiles und gewesene Präsident der dritten Völkerbundsversammlung, Herr Agustin Edwards, in beachtenswerter Weise über das Verhältnis der Beschlüsse der im Sommer 1923 in Santiago abgehaltenen panamerikanischen Konferenz zum Völkerbund. Das Hauptinteresse der Plenarversammlung konzentrierte sich indessen von Anfang an auf den Gang des akuten italienisch-griechischen Konfliktes, der in der am 27. August erfolgten Ermordung der italienischen Mitglieder der internationalen Grenzfestsetzungskommission für Albanien seinen Ursprung hatte und in der am 31. des gleichen Monats vorgenommenen Besetzung der Insel Korfu durch italienische Truppen seinen Höhepunkt erreichte.

Es kann nicht Aufgabe eines im wesentlichen auf die Tätigkeit der schweizerischen Delegation zur Völkerbundsversammlung beschränkten Berichtes sein, auf die einzelnen Peripetien dieses politischen Streitfalles bis zu dessen endgültiger Lösung einzugehen; es liegt hierzu um so weniger Anlass vor, als die Versammlung als solche nicht dazu berufen sein konnte, sich unmittelbar an der Eegelung des Konfliktes zu beteiligen, währenddem sich gleichzeitig der Bat des Völkerbundes damit beschäftigte. Die besondere Schwere dieses Streitfalles, dessen Beilegung als- eine Probe aufs Exempel für den Gedanken der internationalen Organisation aufgefasst wurde, und die daran geknüpften grundsätzlichen Erörterungen müssen indessen zu einigen besondern Bemerkungen Anlass geben.

Bekanntlich ist anlässlich des italienisch-griechischen Konfliktes die Frage der Kompetenz des Völkerbundes in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt worden. Diese Vorfrage wurde namentlich im Hinblick auf die Tatsache aufgerollt, dass die italienischen Offiziere, die das Opfer des Attentats von Janina geworden waren, ihr internationales Mandat von der Botschafterkonferenz erhalten hatten und dass dieses Organ sich infolgedessen zur Intervention berufen fühlte. Griechenland, das wegen der Besetzung Korfus am
1. September an den Völkerbundsrat appelliert hatte, anerkannte anderseits die Zuständigkeit der Botschafterkonferenz. Der Konflikt beschäftigte somit ein doppeltes Forum. Der Völkerbundsrat verzichtete darauf, sofort seine eigene Kompetenz in aller Form zu verkünden und suchte auf dem Wege eines Meinungsaustausches mit der

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Botschafterkonferenz eine direkte Einigung unter den Parteien zu erleichtern. Diese Hoffnung wurde verwirklicht. Ohne den Charakter einer direkten Ingerenz anzunehmen, hat die Mitwirkung des Völkerbundsrates, die von der moralischen Unterstützung der Versammlung getragen war, die Vermittlungsaktion erleichtert und beschleunigt.

In der Plenarsitzung vom 12. September konnte der Vorsitzende des Eates, Vicomte Ishii, erklären, dass eine befriedigende Lösung des Konfliktes in naher Aussicht stehe, worauf der erste Delegierte der Niederlande, Herr Loudon, dem Wunsche der Versammlung nachdrücklich Ausdruck gab, es möchte jedenfalls vor Ende der September-Session eine Mitteilung über die vom Bäte in der Angelegenheit getroffenen Massnahmen ergehen.

In seiner öffentlichen Sitzung vom 17. September konnte der Völkerbundsrat feststellen, dass der italienisch-griechische Streitfall beigelegt sei. Die Vertreter beider Parteien erklärten den Zwischenfall für erledigt, nachdem Griechenland sich zur Annahme der ihm gestellten Bedingungen im wesentlichen verstanden und Italien der Botschafterkonferenz die wichtige Zusage gemacht hatte, dass die Insel Korfu auf den 27. September von seinen Truppen geräumt werden würde. Der Eat behielt sich indessen eine weitere Beschlussfassung über die schwerwiegenden grundsätzlichen Fragen, die im Laufe der Diskussion über den Konflikt aufgerollt worden waren, vor.

Die Tatsache, dass diese · internationale Streitigkeit, die eine Zeitlang den politischen Horizont Europas verdüstert hatte, eine verhältnismässig rasche Lösung gefunden hat, ist zweifelsohne zum Teil der Öffentlichkeit zu verdanken, in der sich ein grosser Teil der Verhandlungen des Völkerbundsrates abspielte und durch die eine stete Verbindung mit der gleichzeitig tagenden Versammlung hergestellt wurde. Dies wurde vom Chef der schweizerischen Delegation in der Eede dargelegt, die er am 21. September im Plenum der Versammlung bei Erörterung des Geschäftsberichtes des Eates hielt. Er wies bei diesem Anlass auf den seit 1914 zurückgelegten Weg hin, der es nunmehr ermögliche, drohende Gefahren durch eine Methode internationaler Zusammenarbeit zu vermindern.

Wie bereits angedeutet, musste indessen der Völkerbundsrat noch zu der prinzipiellen Seite des in politischer Hinsicht abgeschlossenen Streitfalles Stellung
nehmen. Die Auslegungen, die während der Diskussion über den italienisch-griechischen Konflikt einigen sehr wesentlichen Bestimmungen der Völkerbundssatzung teilweise gegeben worden waren, Hessen es als dringend notwendig erscheinen, allen unbegründeten Zweifeln mit Entschiedenheit entgegenzutreten.

Auch empfanden es Eat und Versammlung des Völkerbundes ange-

575 siehts der irrtümlichen Auffassungen, die über den Umfang der rechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates für die auf seinem Territorium begangenen Delikte laut geworden waren, als eine Notwendigkeit, über diese wichtige völkerrechtliche Frage Klarheit zu schaffen. Der Völkerbundsrat beschloss unter diesen Umständen, mit der Prüfung der rechtlichen Streitpunkte ein besonderes Juristenkomitee zu bezeichnen, in das jeder der den Eat bildenden Staaten einen Vertreter entsenden sollte. Am 28. September, am Tage nach der Bäumung Korfus durch die italienischen Truppen, wurde dieser Beschluss des Eates der Versammlung zur Kenntnis gebracht. Er fand nicht ungeteilte Zustimmung, da ' zahlreiche Eedner sich zu der Auffassung bekannten, der auch der Vertreter Schwedens im Eate energisch Ausdruck gegeben hatte, dass die Gesamtheit der streitigen Eechtsfragen dem Ständigen Internationalen Gerichtshöfe im Haag als der höchstens Eechtsinstanz des Völkerbundes hätte unterbreitet werden sollen. Der Bericht des Juristenkomitees der Eatsmitglieder hat indessen naturgemäss nur einen vorbereitenden Charakter. Eigentliche Beschlüsse werden erst vom Eate selbst und, soweit es sich um allgemeine Fragen handelt, der Versammlung der Mitgliedstaaten des Völkerbundes gefasst werden können.

In seiner soeben erwähnten Eede zum Geschäftsbericht des Völkerbundsrates machte der Chef der schweizerischen Delegation gemäss einem besonderen Auftrag des Bundesrates einen grundsätzlichen Vorbehalt hinsichtlich der Frage der internationalen Verantwortlichkeit der Staaten für auf ihrem Gebiet begangene Verbrechen. An die Feststellung, dass das bei Eegelung des griechisch-italienischen Konfliktes eingeschlagene Verfahren kein Präjudiz für die Beantwortung der Verantwortlichkeitsfrage im allgemeinen bieten dürfe, knüpfte er den Wunsch, dass gerade über dieses Problem zu gegebener Zeit der Versammlung vom Eate eine Mitteilung gemacht werden möchte.

Über die Ergebnisse der Arbeiten des juristischen Expertenkomitees hinsichtlich dieser letzten Frage, die auch die Schweiz vermöge ihrer Tradition des Asylrechts besonders interessieren muss, wie auch in bezug auf die Auslegung des Völkerbundspaktes wird der Bundesrat den eidgenössischen Eäten zu gegebener Zeit Bericht erstatten.

Gemäss den Instruktionen des Bundesrates streifte Herr
Bundesrat Motta in seiner am 21. September im Plenum gehaltenen Eede auch die anderen P u n k t e , zu deren Erörterung die Beratung des Geschäftsberichtes Anlass zu bieten schien. Es hatte sich bald erwiesen, dass die Versammlung in ihrer vierten Tagung, die bereits unter dem Druck des akuten Konfliktes zwischen zwei Völkerbundsmitgliedern stand, nicht in eine eingehende Beratung über die Frage

576 der Separationen und der internationalen Schulden eintreten würde, die Gegenstand einer Eesolution der dritten Session gewesen war, zu der jedoch der Eat seither nicht geglaubt hatte, Stellung nehmen zu können. Der Sprecher der schweizerischen Abordnung erwähnte indessen, indem er der Überzeugung Ausdruck gab, dass der Völkerbundsrat im geeigneten Zeitpunkte seine guten Dienste zur Begelung der für die Zukunft Europas wichtigen Probleme anbieten werde, dass alle Staaten ohne Ausnahme an der Entwicklung dieser Fragen in höchstem Masse interessiert seien.

Zu den Fragen der rechtlichen Organisation des Völkerbundes übergehend, betonte sodann der erste schweizerische Delegierte die Wünschbarkeit einer raschen Eatifikation der von der zweiten Versammlung genehmigten Abänderungen zum Pakt durch diejenigen Mächte, deren endgültige Zustimmung zum Inkrafttreten der revidierten Artikel erforderlich ist. Auf diese Forderung, die auch die erste Kommission der Versammlung beschäftigte, wird unten näher einzutreten sein. Endlich hob Herr Bundesrat Motta die Notwendigkeit hervor, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag in vermehrtem Masse streitige Eechtsfragen zur eigentlichen richterlichen Entscheidung vorzulegen, und gab bei dieser Gelegenheit der Hoffnung Ausdruck, dass auch die Grossmächte, dem Beispiel kleinerer Staaten folgend, sich zur Annahme des Grundsatzes der obligatorischen Gerichtsbarkeit entschliessen würden.

Unter den Traktanden, die im Plenum der Versammlung ihre Erledigung finden mussten, stand auch die Wahl eines Mitgliedes des Ständigen I n t e r n a t i o n a l e n G e r i c h t s h o f e s an Stelle des verstorbenen brasilianischen Richters, Herrn Euy Barboza *).

Am 10. September 1923 wurde von Eat und Versammlung aufs neue ein brasilianischer Jurist, Herr Epitacio da Silva Pessoa, ehemaliger Präsident der Eepublik Brasilien, gewählt. Es mag erwähnt werden, dass der Name dieses neuen Eichters auch von der schweizerischen Schiedsrichtergruppe in Vorschlag gebracht worden war, die nach Artikel 5 des Statuts betreffend die Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes ersucht worden war, Nominationen für die Wahl aufzustellen.

Am letzten Sitzungstage, dem 29. September, schritt sodann die Versammlung zur N e u w a h l der sechs n i c h t s t ä n d i g e n M i t glieder
des V ö l k e r b u n d s r a t e s . Wie unten näher auszuführen sein wird, erwies es sich in der vierten Tagung leider noch nicht als möglich, ein System des regelmässigen Wechsels der nichtständigen Eatsmitglieder zur Annahme zu bringen. Man musste sich infolge*) Vgl. den Punkt 6 der Instruktionen des Bundesrates.

577 dessen darauf beschränken, die Mandate für das Jahr 1924 zu verteilen. Die im Vorjahre bezeichneten neuen Mitglieder des Bates.

Schweden und Uruguay, wurden aufs neue gewählt. Ferner wurden die Mandate Belgiens, Brasiliens und Spaniens, die dem Kate seit Gründung des Völkerbundes angehört hatten, bestätigt ; China wurde durch die Tschechoslowakei ersetzt.

Bei der Berichterstattung über die Verhandlungen des Plenums der Versammlung müssen endlich die Beschlüsse Erwähnung finden, die auf Antrag der Tagesordnungskommission hinsichtlich auf die während der Session neu zur Anmeldung gelangten Traktanden am 27. September gefasst worden sind. Die kubanische Delegation hatte beantragt, die Frage der direkten Beziehungen zwischen den städtischen Gemeinwesen verschiedener Länder sowie die Frage des Schutzes alleinreisender Frauen auf die Tagesordnung der Versammlung zu setzen; ein weiterer Antrag betraf den internationalen gerichtlichen Beistand für Unbemittelte. Es wurde durchwegs entschieden, die materielle Beratung über diese Fragen, die offensichtlich sekundärer Natur sind, auf die fünfte Session der Versammlung zu verschieben.

III. Rechtliehe und politische Spezialfragen.

Die erste Kommission hatte sich im wesentlichen nur mit Fragen zu befassen, die bereits an den frühern Tagungen der Versammlung zur Diskussion gestanden hatten. Sie hatte zunächst die Aufgabe, über den kanadischen Vorschlag auf Abänderung des Artikels X des Paktes, über den im Jahre 1922 kein Beschluss zustande gekommen war, Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen. Ferner musste sie aufs neue die Möglichkeit prüfen, ein System der Eotation in der Vertretung der nichtständigen Mitglieder des Eates einzuführen. Es war offensichtlich, dass sich der juristische Ausschuss sodann mit der Lage zu befassen hatte, die daraus entstanden war, dass die im Jahre 1921 beschlossenen Abänderungen zum Pakt mangels der erforderlichen Anzahl von Eatifikationen noch nicht zu Kraft erwachsen waren. Was speziell die-Abänderungen zu Artikel XVI anbetrifft, deren Eatifikation besondern Schwierigkeiten begegnete, so hatte Grossbritannien den Antrag gestellt, den von der zweiten Versammlung beschlossenen Text durch einen neuen Wortlaut zu ersetzen. Die erste Kommission war endlich die gegebene Instanz zur Prüfung von Eechtsfragen, die sich im Laufe der Verhandlungen anderer Ausschüsse ergaben; sie wurde infolgedessen auf Verlangen der sechsten Kommission mit Beantwortung einer rechtlichen Vorfrage betraut, die sich bei Erörterung des litauisch-polnischen Konfliktes stellte.

578 Die Versammlung hatte am Schlüsse ihrer dritten Tagung, am 29. September 1922, eine Eesolution genehmigt, derzufolge der Bat eingeladen wurde, alle zweckmässigen Massnahmen zu ergreifen, um eine Beschleunigung der Batifikation der im Jahre 1921 beschlossenen Abänderungen zum Völkerbunds vertrag zu erreichen *).

Die Batifikation dieser Abänderungen seitens der Eidgenossenschaft ist endgültig am 19. März 1923 vollzogen worden. Zu Beginn der vierten Session der Versammlung war die Zahl der niedergelegten Batifikationsurkunden so weit angewachsen, dass die meisten abgeänderten Artikel hätten in Kraft treten können, wenn sämtliche Batsmitglieder (deren Zustimmung nach Artikel XXVI des Paktes erforderlich ist) die Bevision genehmigt hätten. Die Delegation von Neuseeland in der Versammlung stellte einen Antrag, welcher der ersten Kommission zur Behandlung zugewiesen wurde und die Prüfung der Mittel und Wege zur Beschleunigung des Bevisionsverfahrons veranlassen sollte. Am 26. September beantragte Herr Bundesrat Motta, in seiner Eigenschaft als Berichterstatter der ersten Kommission über diese Frage, die Annahme einer Besolution, die auch von der Versammlung genehmigt wurde **). Es wurde hierin davon Kenntnis genommen, dass die Vertreter der Mächte, deren Batifikation für das rechtliche Zustandekommen der Abänderungen noch erforderlich ist, die baldige Hinterlegung der Batifikationsurkunden für die meisten Abänderungen in Aussicht stellten; gleichzeitig wurde der Generalsekretär des Völkerbundes eingeladen, bei den Delegationen sämtlicher Staaten, welche die Abänderungen noch nicht ratifiziert hatten, erneut Schritte zu unternehmen. Zurzeit liegen die Verhältnisse so, dass die Bevision der Artikel IV, VI, XII, XIII, XV und XXVI rechtswirksam sein wird, sobald die endgültige Genehmigung von seiten Spaniens und Prankreichs vorliegt; Belgien hat am Schlüsse der vierten Tagung seine Batifikationsurkunden für sämtliche Abänderungen niedergelegt.

Von der besondern Lage, die sich mangels des Inkrafttretens der Abänderung von A r t i k e l VI des Paktes in der Frage der Verteilung der Kosten des Völkerbundes ergab, soll unten bei Besprechung der Arbeiten der vierten Kommission näher die Bede sein.

Was die von der Versammlung vor zwei Jahren beschlossenen Abänderungen zu A r t i k e l XVI des Paktes
(wirtschaftliche Sanktionen) betrifft, so scheint es bei der ablehnenden Stellungnahme einzelner Grossmächte kaum mehr als wahrscheinlich, dass sie in Kraft erwachsen. Der zweite Satz des ersten Absatzes von Arti*) Vgl. den Bericht über die TU. Völkertmndsversaminlung vom 22. Dezember 1922, S. 33 u. 70.

**) Siehe den Wortlaut dieser Resolution, Beilage I.

579 kel XVI sollte in seiner neuen Passung scharf zum Ausdruck bringen, dass das Unterscheidungsmerkmal für den Abbruch der Beziehungen zwischen den Personen, die zum fehlbaren Staate gehören, und Angehörigen anderer Völkerbundsmitglieder der Aufenthalt und nicht die Staatsangehörigkeit ist *). Es entspricht dies auch der stets von schweizerischer Seite verfochtenen Auffassung, dass die wirtschaftliche Sperre nur von Staat zu Staat, nicht aber i n n e r h a l b eines Staatsgebietes zwischen Personen verschiedener Nationalität spielen soll. Vor Beginn der vierten Session der Versammlung beantragte nun Grossbritannien -- vielleicht als eine Konzession an die noch bestehenden Widerstände gegen die absolute Anwendung des Territorialitätsprinzips, welche die Eatifikation des erwähnten Amendements erschweren -- die Annahme eines neuen Wortlautes. Nach diesem englischen Vorschlag **) zur Abänderung der einschlägigen Bestimmung des Paktes wäre es zwar präzisiert, dass eine Pflicht zum Abbruch der Beziehungen zu einem bundesbrüchigen Staat nur von Land zu Land spielen würde, daneben aber ausdrücklich den Mitgliedstaaten freigestellt, darüber hinaus auch den Verkehr ihrer Angehörigen mit a u s s e r h a l b des feindlichen Staatsgebietes sich aufhaltenden Personen zu untersagen. Die Versammlung vermied es, noch im Laufe ihrer vierten Tagung auf die Prüfung dieses Antrages einzutreten, indem. sie sich namentlich von der Erwägung leiten liess, dass jedenfalls erst eine Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der im Jahre 1921 angenommenen Abänderungen zum Pakt abgewartet werden müsse, ehe über neue Modifikationen Beschluss gefasst werden könne. Es wurde daher entschieden, die Beratung des englischen Abänderungsvorschlages auf die Tagesordnung der fünften Versammlung zu setzen. Wie der Chef der schweizerischen Delegation in der Versammlung ausdrücklich hervorhob, bleiben jedenfalls bis zu einer etwaigen Annahme neuer Abänderungen die interpretativen Resolutionen bestehen, die die Versammlung in ihren ersten Sessionen im Hinblick auf den Artikel XVI des Völkerbundsvertrages angenommen hat; die Resolutionen vom 4. Oktober 1921 stellen aber bekanntlich im Punkt 13 den Grundsatz auf, dass das Kriterium für den Abbruch der Beziehungen zu den «Angehörigen» des bundesbrüchigen Staates der Aufenthaltsort ist.
Eine positivere Stellungnahme war der vierten Völkerbundsversammlung in bezug auf den k a n a d i s c h e n A n t r a g auf Ab*) Vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 4. Januar 1922 betreffend die Abänderung des Völkerbundsvertrages, S. 16 ff.

**) Siehe den Wortlaut dieses Antrages, Beilage L

580 ä n d e r u n g des A r t i k e l s X des Paktes, wenigstens in gewissem Sinne, möglich. In seiner Botschaft vom 4. Januar 1922 botreffend die Abänderung des Völkerbundsvertrages hat der Bundesrat seiner zeit die Beschlüsse der zweiten Versammlung dargelegt, die hinsichtlich des ersten kanadischen Vorschlages auf vollständige Streichung dieses Artikels gefasst worden waren*). Anlässlich der dritten Völkerbundsversammlung hatte Kanada einen neuen Antrag eingebracht, der den Gedanken der einfachen Streichung fallen liess, dafür aber auf die Einfügung eines neuen Absatzes in den Wortlaut des Artikels X abzielte, in dem ausdrücklich präzisiert werden sollte, dass die «Garantie» dieses Artikels keinesfalls für die Eegierungen der Völkerbundsmitglieder die Pflicht in sich schliessen könne, auf eine Empfehlung des Eafces hin ohne weiteres, d. h. ohne ausdrückliche Beschlussfassung der Parlamente, irgendwelche Kriegshandlungen zu begehen. Dieser Abänderungsvorschlag, dessen Behandlung von der Versammlung in ihrer Session von 1922 vertagt worden war **), stand nun in der vierten Tagung zur Diskussion. Die erste Kommission stellte sich auf den Standpunkt, dass dem Wunsche Kanadas Bechnung zu tragen sei, jedoch nicht durch eine eigentliche Eevision, sondern in der Form einer interpretativen Eesolution. Am 24. und 25. September beriet das Plenum der Versammlung über diese Frage.

Es kam zu einer Abstimmung, die allerdings nicht die erwartete Einstimmigkeit bewies, indem sich von 43 vertretenen Staaten 29 für Annahme einer den Artikel X präzisierenden Eesolution aussprachen, während sich ein Staat widersetzte und 13 sich der Stimme enthielten. Eine eigentliche Eesolution, die Einstimmigkeit voraussetzt, kam somit nicht zustande; die kanadische Delegation konnte sich indessen mit der Feststellung zufrieden geben, dass die Völkerbundsmitglieder in ihrer Mehrzahl sich ausdrücklich zu der von Kanada vertretenen Auslegung des vielumstrittenen Artikels X bekannt hatten***). Die schweizerische Delegation konnte ihren Instruktionen gemäss für die in Aussicht genommene interpretative Eesolution eintreten, wenn auch dieselbe durchaus nicht sämtliche Punkte umfasst, auf die der Bundesrat in seiner Botschaft vom 4. August 1919 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund eingegangen ist t)In den Verhandlungen der ersten Kommission erwies sich aufs neue, dass die Einführung eines Systems der regelmässigen Erneue*) **) lung, S.

***) t)

Vgl. diese Botschaft, S. 28 f.

Vgl. den Bericht des Bundesrates über die III. Völkerbundsversamm33.

Siehe den Wortlaut der vorgeschlagenen Resolution in der Beilage I.

Vgl. namentlich S. 126 ff. dieser Botschaft.

581 ï u n g der n i c h t s t ä n d i g e n Mitglieder des Völkerbundsrates solange nicht als durchführbar erscheint, als die 1922 von
Die Tätigkeit des sechsten Ausschusses der Versammlung, der unter dem Vorsitz des ersten Delegierten Belgiens, Herrn Hymans, stand und dem als schweizerischer Vertreter ebenfalls Herrn Bundesrat M o t t a angehörte, umfasste während der vierten Session eine viel geringere Zahl von politischen Spezialfragen als in den Vorjahren.

Der noch nicht beigelegte K o n f l i k t zwischen Polen und L i t a u e n veranlasste den letztern Staat, einen Appell an die Versammlung zu richten, um zu erreichen, dass -- entgegen einem zu Beginn des Jahres vom Bäte gefassten Beschlüsse -- gewisse Fragen dem Ständigen Internationalen Gerichtshof vorgelegt würden. Es stellte sich somit die vom Standpunkt des Völkerbundsrechtes bedeutsame prinzipielle Vorfrage, ob und unter welchen Bedingungen die Versammlung berufen sein kann, neue Entscheidungen in Angelegenheiten zu treffen, die bereits Gegenstand von Beschlüssen des Völkerbundsrates gewesen sind. Die um Begutachtung dieser Vorfrage ersuchte erste Kommission der Versammlung äusserte sich dahin, dass die Versammlung grundsätzlich die Frage, ob der Bat beim Fällen eines Entscheides im Bahmen
seiner K o m p e t e n z gehandelt habe, dem Internationalen Gerichtshof vorlegen könne.

*) Vgl. den Bericht des Bundesrates über die dritte VölkerbundsverSammlung, S. 74.

" **) Vgl. a, a. 0. Nr. II.

***) Vgl. S. 577.

Bundesblatt.

75. Jahrg. Bd. III.

43

582

In dem konkreten Falle kam es jedoch zu keiner weitem Beschlussfassung der Versammlung, 'da der Vertreter Litauens selber dert Antrag stellte, die Beratung über den Appell seines Landes auf die fünfte Völkerbundsversammlung zu verschieben*).

Eines der bosondern politischen Problome, die in der sechstenKommission zur Erörterung standen, betraf einen Konflikt zwischen Finnland und Sovietrussland über Ostkarelien. Diese Frage war bekanntlich auch an das Forum des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag gekommen, das sich indessen als unzuständig erklärt hatte. Die Versammlung nahm schliesslich eine Kundgebung Finnlands zur Kenntnis, dass es den mit Sovietrussland abgeschlossenen Friedensvertrag von Dorpat nebst den angehängten Erklärungen über das Statut Ostkareliens als international rechtsgültigen Akt betrachten werde**).

· Das Problem des M i n o r i t ä t e n s c h u t z e s , das die dritte Völkerbundsversammlung in ausgedehntem Masse beschäftigt hatte, gab während der letzten Tagung nur zu kurzen Debatten Anlass. Der einzige Beschluss, der gefasst wurde, bezweckt eigentlich die Wahrung eines Grundsatzes, den die Versammlung bereits in der vorhergehenden Session ausgesprochen hatte. Am 5. September 1923 batta nämlich der Völkerbundsrat in Abweichung vom vorher geübten Verfahren beschlossen, dass die Beschwerden der Minoritäten in Zukunft nur mehr den Mitgliedern des Völkerbundsrates zur Kenntnis gebracht werden sollten. Demgegenüber erklärte die vierte Völkerbundsversammlung mit Resolution vom 26. September 1923***), dass in Anwendung der im Jahre 1922 aufgestellten Prinzipien f) jedes Völkerbundsmitglied das Eecht habe, auf Verlangen in die einlaufenden Beschwerden der Minoritäten Einblick zu nehmen.

Die vierte Versammlung nahm ferner Kenntnis von den Berichten der ständigen Mandatskommission des Völkerbundes über die von Australien, Grossbritannien, Japan, Neuseeland und Südafrika unter dem Mandatsystem verwalteten Gebiete. Sie konnte die Feststellung machen, dass in der Verwaltung der Mandate seit ihrer letzten Session in verschiedener Hinsicht erfreuliche Fortschritte erreicht worden waren. Allerdings musste in der Resolution der Versammlung mit Bedauern davon Kenntnis genommen werden.

*) Siehe den Wortlaut der Resolution der Versammlung vom 27. September in der Beilage I.

**) Siehe den Wortlaut der Resolution a. a. 0.

***) Siehe Beilage I.

f) Vgl. den Bericht des Bundesrates Ober die dritte YölkerbundsverSammlung, S. 38 ff.

583

dass seit der Unterdrückung des Eingeborenenaufstandes im Bondels. zwart-Distrikt *) in jenem Teile des südafrikanischen Mandatsgebietes noch nicht normale Verhältnisse wiederhergestellt worden waren; immerhin verdient es hervorgehoben zu werden, dass sich die Delegation Südafrikas dieser am 26. September gefassten Eesolution anschloss **).

In der Eesolution, die von den Mandaten des Völkerbundes handelt, ist auch von den Massnahmen die Eede, die zur B e k ä m p f ung der Sklaverei in den Mandatsgebieten ergriffen wurden. Von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus wurde die Frage der Sklaverei, die von der dritten Völkerbundsversammlung auf die vierte Session vertagt worden war ***), in einem besondern Unterausschusse der sechsten Kommission behandelt, dem auch der schweizerische Delegierte in der Kommission angehörte. Auf Grund eines im September 1922 gefassten Beschlusses hatte der Völkerbundsrat die Mitgliedstaaten ersucht, ihm alle ihnen zugekommenen Mitteilungen über die in einzelnen Gebieten noch herrschende Sklaverei zukommen zu lassen. Die vierte Völkerbundsversammlung ging einen Schritt weiter, indem sie den Eat einlud, eine zuständige Instanz dauernd mit der Fortsetzung der notwendigen Erhebungen zu betrauen**).

Die wichtigsten Anträge der sechsten Kommission waren unstreitig diejenigen, welche die A u f n a h m e neuer Mitglieder in den V ö l k e r b u n d zum Gegenstand hatten. Aufnahmegesuche lagen von Seiten des neu ins Leben getretenen Irischen Freistaates sowie Äthiopiens vor. Geraäss den Vorschlägen des politischen Ausschusses beschloss die Versammlung einstimmig die Aufnahme dieser beiden Staaten. Irland, das die Eechtsstellung eines Dominions im Eahmen des britischen Eeiches innehat, tritt als solches in den Völkerbund ein. Das äthiopische Eeich, dessen Aufnahme unter besondern Bedingungen erfolgte, da geltend gemacht wurde, dass auf seinem Gebiet das Institut der Haussklaverei noch nicht abgeschafft sei, unterzeichnete eine Erklärung, durch die es sich verpflichtet, den Bestimmungen der Konventionen von St. Germain betreffend den Sklavenhandel und die Kontrolle des Handels mit Waffen und Munition nachzuleben und dem Völkerbundsrate alle gewünschten Auskünfte hierüber regelmässig zu geben.

Durch die Aufnahme dieser zwei neuen Mitglieder erhöht sioh die Zahl der dem Völkerbund
angehörenden Staaten auf 54.

*) Vgl. hierüber den oben erwähnten Bericht, S. 16 u. 39 S.

**) Siehe Beilage I.

***) Ygi. den Bericht über die dritte Völkerbundsversammlung, S. 16.

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IV. Die Beschränkung der Rüstungen.

In dem Zeiträume zwischen der dritten und der vierten Tagung der Versammlung hatte sich die Hauptarbeit der gemischten temporären Kommission des Völkerbundes für die Beschränkung der Eiistungen auf die Vorbereitung eines Entwurfes zu einem Vertrage wechselseitiger Hilfeleistung im Sinne der XIV. Resolution, welche die dritte Völkerbundsversammlung am 27. September genehmigt hatte, konzentriert*). In dieser Résolution kam bekanntlich der Gedanke zum Ausdruck, dass bei der gegenwärtigen weltpolitischen Lage eine grosse Zahl von Regierungen sich zu einer erheblichen Verminderung ihrer Rüstungen nur verstehen könnten, wenn ihnen auf andere Weise hinreichende Gewähr für die Sicherheit ihrer Länder geboten würde. Um den Bestimmungen des Artikels VIII des Paktes betreffend die Herabsetzung der Hüstungen der Verwirklichung näher zu bringen, sollte ein vertragliches System von Garantien im Rahmen des Völkerbundes geschaffen werden.

In der Session der gemischten temporären Kommission vom Monat Februar dieses Jahres legte Lord Robert Cecil in Ergänzung und Abänderung seiner der dritten Völkerbundsversammlung unterbreiteten Vorschläge einen ausgearbeiteten Entwurf eines Garantiepaktes vor, der von der Voraussetzung ausging, dass in erster Linie der Abschluss eines allgemeinen Vertrages anzustreben sei. Auf wesentlich andern Grundgedanken war ein Projekt aufgebaut, das der französische Oberstleutnant Réqnin in der Junisession der Kommission einbrachte und das im Gegensatz zum Entwurfe Lord Robert Cecils den Abschluss partikulärer Abkommen, die durch einen allgemeinen Vertrag bloss ergänzt werden sollten, in den Vordergrund schob. Beide Projekte wurden nicht nur von der gemischten temporären Kommission geprüft, sondern auch der gemäss Artikel IX des Paktes gebildeten «ständigen beratenden Konimission für militärische, maritime und aviatische Fragen» zur Beurteilung vorgelegt. Zu Beginn der vierten Session der Versammlang hatten sich die verschiedenen Vorschläge, die im Schoas der gemischten temporären Kommission des Völkerbundes gemacht worden waren, zu einem Entwurfe verdichtet, der die Grundlage für die weiteren Beratungen bieten sollte. In den Disskussionen der dritten Kommission der Versammlung sind auch in der Tat an dem Entwurfe zum Teil recht erhebliche Abänderungen
vorgenommen worden. Dennoch erwies sich, dass eine sehr grosse Zahl, wenn nicht *) Vgl. den Bericht des Bundesrates über die dritte Völkerbundsvereammlung, S. 21.

585

die Mehrheit der an den Verhandlungen teilnehmenden Staaten dem Projekt sehr zurückhaltend gegenüberstanden. In der Schlussabstimmung vom 27. September 1928 hat sich infolgedessen die Kommission bloss für eine Resolution ausgesprochen, die nicht, wie ursprünglich vorgeschlagen, eine Empfehlung des vorliegenden Entwurfes eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung zum Ausdruck bringt, sondern, dem Wunsche der meisten Staaten entsprechend, eine einfache Übermittlung dieses Projektes an die Regierungen zur weitern Prüfung fordert *).

Die Widerstände, die sieb gegen die Zustimmung zum Entwurf eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung geltend machten, erklären sich aus verschiedenen Erwägungen. Es ist zunächst unbestreitbar, dass durch diesen Vertrag ein ganz neues Prinzip, dasjenige der militärischen Garantien,in das System des Völkerbundes hereingetragen und in gewissem Sinne zum Ausgangspunkt, wenn nicht zur Vorbedingung der Abrüstung gemacht würde. Der Gedanke der gegenseitigen militärischen Garantien findet im Völkerbundspakt selbst weder in Artikel VIII noch -- nach der richtigen Auslegung -- in Artikel X Ausdruck. Der Artikel VIII des Paktes, der von der Rüstungsbeschränkung handelt, bestimmt bekanntlich im wesentlichen bloss, dass «der Rat unter Berücksichtigung der geographischen Lage und der besondern Verhältnisse jedes Staates die Pläne der Rüstungsbeschränkung zwecks einer Prüfung und Entscheidung durch die verschiedenen Regierungen ausarbeiten wird».

Es ist infolgedessen in den Verhandlungen in Genf, namentlich von seiten von Delegationen der 'nordischen Staaten, mit Recht darauf hingewiesen worden, dass die Rüstungsbeschränkung im Pakt nicht von der Verwirklichung eines Systems materieller Garantien abhängig gemacht sei. Und man mag es in der Tat bedauern, dass der Entwurf von dem Gedanken einer absoluten Verquickung von Garantie und Abrüstung auszugehen scheint, während es offenbar notwendig ist, auf dem Wege der Rüstungsbeschränkung fortzuschreiten, auch wenn der Gedanke der Garantien scheitert. Indessen kann nicht behauptet werden, dass das System von Garantien mit dem Völkerbundspakt im W i d e r s p r u c h steht und infolgedessen einzelne Bestimmungen desselben aufhebt oder abändert.

Im Berichte der dritten Kommission der Versammlung über den Entwurf eines Vertrages
wechselseitiger Hilfeleistung wird hervorgehoben, dass das Garantie-System bloss ein Mittel darstellt, dessen Anwendung, wenigstens im Verhältnis einzelner Staaten zueinander, *) Siehe den Wortlaut dieser Resolution sowie des Entwurfes eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung in der Beilage II.

586

als notwendig erklärt wurde, um die Rüstungsbeschränkung tatsächlich zu verwirklichen. Die Zuflucht zu einem solchen Mittel lag um so näher, je mehr die Auffassung zur Geltung kam, dass der Völkerbund an sich mehr eine Methode internationaler Verhandlungen als eine Organisation zum gegenseitigen Schütze sei.

Bedenken wurden in den Verhandlungen der vierten Kommission aucli gegen die Tatsache geäussert, dass der geplante Vertrag wechselseitiger Hilfeleistung grundsätzlich Sonderabkommen unter einzelnen Kontrahenten als zulässig erklärt. Es ist zuzugeben, dass dies mit dem Prinzip des Völkerbundes, das an Stelle des Systems des Gleichgewichts der Mächte dasjenige der internationalen Organisation setzen sollte, nicht leicht in Einklang zu bringen ist.

Dass diese letztere Auffassung unter den Völkerbundsmitgliedern weit verbreitet ist, beweist die Tatsache, dass nicht einmal ein Drittel derselben sich in den Kommissionsverhandlungen der Versammlung ausdrücklich für den Grundsatz der partikulären Abkommen, der in Artikel 6 des Vertragsentwurfes zum Ausdruck kommt, entschieden haben, während sich zahlreiche Staaten enthielten. Andererseits ist freilich nicht zu bestreiten, dass der Pakt in seiner heutigen Gestalt ein klares Verbot von militärischen Sonderabkommen nicht enthält. Überdies wird bekanntlich geltend gemacht, dass die Sonderabkommen im Rahmen des Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung als «regionale Verständigungen» zu betrachten sind, die nach Artikel XXI des Paktes mit dem Völkerbund als vereinbar erklärt worden sind.

Endlich musste die Tatsache, dass der Entwurf erhebliche Kompetenzen für die Ergreifung von Sanktionen in die Hand des Völkerbundsrates legt, verschiedene Kritiken wachrufen. Die dem Vertrage wechselseitiger Hilfeleistung beitretenden Staaten müssten in eine erhebliche, über die Völkerbundssatzung hinausgehende Delegation von Rechten an denRat einwilligen. Für die dem Vertrage nicht beigetretenen Völkerbundsmitglieder könnte durch diese teilweise Delegation von Befugnissen selbstverständlich nicht neues Recht und könnten insbesondere nicht neue Pflichten geschaffen werden.

Die Frage der Vorbereitung eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung befindet sich nach dem Vorhergehenden keineswegs in einem fortgeschrittenen Stadium. Es kann auch, wenigstens zurzeit, nicht von
einer Wahrscheinlichkeit gesprochen werden, das» ein allgemeiner Vertrag wechselseitiger Garantie tatsächlich zum Abschlusö gelangen wird. Verschiedene Anzeichen deuten im Gegenteil darauf hin, dass die Organe des Völkerbundes werden versuchen

587

müssen, die in Artikel VIII des Paktes niedergelegte und für die Erhaltung des Friedens so notwendige Forderung der Rüstungsbeschränkung auf anderem Wege zu verwirklichen. Angesichts ·der Tatsache, dass ein endgültiger Entwurf eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung, wie oben hervorgehoben wurde, zurzeit nich't vorliegt, dürfte es als verfrüht erseheinen, sich in definitiver Weise über die Stellung unseres Landes hierzu zu äussern. Es kann indessen als feststehend betrachtet werden, dass ein Vertrag wechselseitiger Hilfeleistung, selbst wenn er in der von der Versammlung erörterten Form zustande kommen sollte, nicht auf das ganze System der Völkerbundssatzung derart zurückwirken würde, dass dadurch auch die Rechtsstellung der dem Völkerbund angehörenden Nicht^ignatäre eine Umwälzung erleiden würde.

Die Annahme eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung in 4er von der vierten Völkerbundsversammlung beratenen Form kommt naturgemäss für die Schweiz, die im Völkerbund eine Sonderstellung einnimmt, nicht in Frage. Nach den unmissverständlichen Erklärungen, welche die schweizerische Delegation namens des Bundesrates abgegeben hat, wird dies von Seiten der andern Völkerbundsmitglieder auch kaum erwartet werden. Die Haltung, welche die schweizerische Delegation im Jahre 1922 eingenommen hat, ist in dem Bericht des Bundesrates über die dritte Völkerbundsversammlung dargelegt worden*). Als die Regierungen in der Folge, einem Wunsche der Versammlung entsprechend, vom Völkerbundsrat eingel aden wurden, sich zu den in der dritten Tagung ausgesprochenen Grundsätzen zu äussern, bestätigte und wiederholte der Bundesrat ausdrücklich die frühere Erklärung der schweizerischen Delegation. Im September 1923, als der Vertragsentwurf selbst beraten wurde, hat die schweizerische Delegation, ihren Instruktionen gemäss und um allen Missverständnissen vorzubeugen, Wert darauf gelegt, aufs neue an die Neutralitätspflichten zu erinnern, die der Schweiz auch als Völkerbundsmitglied obliegen.

In der Kommissionssitzung vom 18. September betonte daher Herr Ständerat Bolli, der schweizerische Vertreter im dritten Ausschuss, dass die Eidgenossenschaft angesichts dieser internationalen Sonderstellung offensichtlich nicht in der Lage sei, einem Abkommen beizutreten, das ihr andere Pflichten auferlegen würde, als diejenigen,
die sie auf Grund des Paktes und im Sinne der Londoner Erklärung des Völkerbundsrates übernommen hat. Aus diesem Grunde hat sich die schweizerische Delegation auch bei der Abstim'···) Siehe S. 22 ff.

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mung über das Prinzip des Vertrages wechselseitiger Hilfeleistungder Stimme enthalten.

Die Diskussion über den Vertrag wechselseitiger Hilfeleistung nahm in den Beratungen des dritten Ausschusses einen so grossen Raum ein, dass über die andern militärischen Fragen weitreichende Beschlüsse nicht gefasst wurden. Und doch wird sich -- mag der Gedanke der Garantien sich in irgendeiner Form verwirklichen oder scheitern -- das Interesse der Völkerbundsorgane in besonderem Masse auch auf diese Probleme konzentrieren müssen. Was zunächst die Prüfung der Frage der Kontrolle der privaten Herstellung von W a f f e n - und Kriegsmaterial anbetrifft, die bereits frühere Sessionen der Versammlung beschäftigt hatte *), in der aber ein gewisser Stillstand eingetreten war, so empfahl die Versammlung dem Bäte, durch die gemischte temporäre Kommission in Verbindung mit dem Wirtschaftskomitee einen Konventionsentwurf ausarbeiten zu lassen, der zu gegebener Zeit als Grundlage der Verhandlungen einer besondern Konferenz dienen, soll**). Die Kontrolle des W a f f e n - und M u n i t i o n s h a n d e l s , die durch die Konvention von St-Germain vom 11. September 1919 hätte geregelt werden sollen, musste angesichts der Tatsache, dass dieser Vertrag mangels der Beteiligung der Vereinigten . Staaten nicht in Kraft trat***), auf andere Weise zu verwirklichen gesucht werden. Die dritte Kommission stellte daher in Anlehnung an einebereits im Jahre 1922 genehmigte Resolution den Antrag, der auch von der Versammlung gutgeheissen wurde, durch die gemischte temporäre Kommission neue Konventionsentwürfe über diese Materie ausarbeiten zu lassen **). Die statistischen Erhebungen über die Rüstungen in den verschiedenen Ländern sollen von der gemischten temporären Kommission fortgesetzt werden. In organisatorischer Hinsicht stellt sodann die Resolution der vierten Völkerbundsversammlung betreffend die Rüstungsbeschränkung fest, dass es in Zukunft dem Bat unmittelbar obliegen könne, die Vorbereitungen zu treffen, um in Verbindung mit den Regierungen den in Artikel VIII des Paktes vorgesehenen Plan einer Rüstungsbeschränkung auszuarbeiten. Immerhin wurde, entgegen einem in der Kommission eingebrachten Vorschlag, beschlossen, das Mandat der gemischten, temporären Kommission des Völkerbundes vorerst für ein Jahr zu verlängern.

*) Vgl. den Bericht über die dritte Versammlung, S. 20.

**) Vgl. Beilage II.

***) Vgl. den Bericht über die dritte Versammlung, S. 20.

58» Der Gedanke einer zahlenmässigen B e s c h r ä n k u n g der A u s gaben für militärische Z w e c k e , der in Eesolutionen früherer Sessionen zum Ausdruck gekommen war *), ist auf Vorschlag der norwegischen Delegation wieder aufgenommen worden. Es geschah dies in der für die Eegierungen freilich nicht verbindlichen Form einer Empfehlung des Inhalts, dass die Rüstungsausgaben des laufenden Jahres grundsätzlich bis zur Ausarbeitung eines allgemeinen Abrüstungsplanes von denVölkerbundsmitgliedern nicht überschritten werden möchten **).

· Was das Problem des Verbotes des K a m p f e s mit g i f tigen Gasen und andern chemischen Mitteln betrifft, das die schweizerische Delegation bereits anlässlich früherer Sessionen der Versammlung mit besonderem Interesse verfolgt hatte, so konnten leider positive Anträge noch nicht diskutiert werden.

Wie dies hinsichtlich der meisten mit der Beschränkung der Rüstungen zusammenhängenden Fragen der Fall ist, sind auch hier die beratenden Instanzen des Völkerbundes noch mit den Vorarbeiten beschäftigt. Die Versammlung beschränkte sich darauf, den Rat zu ersuchen, dem Bericht der gemischten temporären Kommission über den Gaskrieg, dessen Fertigstellung bevorstand, diegrösstmögliche Öffentlichkeit zu geben**). Die schweizerische Delegation hat, soweit an ihr lag, in Ausführung ihrer Instruktionen denjenigen Anträgen ihre Zustimmung gegeben, deren Annahmedie Rüstungsbeschränkung, wenigstens nach einigen Seiten hin, näherzubringen geeignet schien.

V. Technische Organisationen des Völkerbundes und Tätigkeit des Bundes auf sozialem und humanitärem tJebiete» Die Wirksamkeit der dem Völkerbund angegliederten sogenannten technischen Organisationen in der Periode zwischen der dritten und Agierten Völkerbundsversammlung wurde, wie in früheren Jahren, im zweiten Ausschusse der Versammlung eingehend geprüft. Andererseits wurden, ebenfalls einer Übung der vorhergehenden Sessionen entsprechend, die Fragen sozialen und humanitären- C h a r a k t e r s , die der Völkerbund dauernd oder vorübergehend in seinen Tätigkeitsbereich einbezogen hatte, der f ü n f t e n Kommission zugewiesen. In beiden Ausschüssen war die Schweiz durch Herrn alt Bundesrat Gustave Ador vertreten.

*) Tgl. z. B. den Bericht über die dritte Versammlung, S. 20.

**) Siehe Beilage II.

590

Von den technischen Organisationen war diejenige für die internationalen Verbindungswege und den Durchgangsv e r k e h r bereits im Jahre 1921 auf endgültiger Grundlage errichtet worden. Auf den 15. November 1923 war eine zweite allgemeine Verkehrs- und Transitkonferenz einberufen. Aufgabe der Völkerbundsversammlung war es somit im wesentlichen bloss, von den vorbereitenden Massnahmen der ständigen beratenden Kommission für die Verbindungswege und den Durchgangsverkehr Kenntnis zu nehmen*).

Die W i r t s c h a f t s - und Finanzorganisation des Völkerbundes beruht zurzeit auf einer vorläufigen Grundlage. Indessen tat die' vierte Versammlung ihre Zustimmung zu dem Beschlüsse -des Eates gegeben, das Mandat der Wirtschafts- und Finanzkommission bis auf weiteres in der gegenwärtigen Form zu erneuern **).

Der zweite Ausschuss und nach ihm das Plenum der Versammlung äusserten sich auch in zustimmendem Sinne zu dem Programm der Wirtschafts- und Finanzkommission, das u', a. die Fragen der Ver-einheitlichung des Wechselreehts, der Doppelbesteuerung und der Kapitalflucht umfasst; die Resolutionen der Versammlung nahmen ferner zu der internationalen Konferenz betreffend die Zollformalitäten Stellung, die auf den 15. Oktober 1923 in Genf einberufen war.

Zu eingehenden Beratungen gab der Vorschlag des Wirtschaftskomitees Anlass, durch eine internationale Abmachung eine allgemeine Anerkennung der Gültigkeit der Schiedsklausel in Handelssachen zu sichern. Gemäss den Instruktionen des Bundesrates unterstützte der schweizerische Vertreter in der zweiten Kommission diesen Vorschlag. Noch während der Session der Versammlung wurde ein Protokoll zur Unterzeichnung aufgelegt, über dessen Bestimmungen dei- Bundesrat im gegebenen Zeitpunkt gesondert berichten wird.

Die Frage der AViederaufrichtung Österreichs, die in ganz besonderem Masse die Wirtschafts- und Finanzorganisation des Völkerbundes beschäftigt hatte, bildet den Gegenstand einer besonderen Eesolution, in der die Versammlung ihrer Genugtuung über die seit ihrer letzten Session erreichten Ergebnisse Ausdruck gab*). Diese Entschliessung wurde im Plenum der Versammlung von Herrn Ad or in einem einlässlichen Bericht begründet, in dem der schweizerische Delegierte insbesondere auch auf die Verdienst» *) Siehe Beilage III.

*a) Punkt XI der Resolution vom 24. September.

591

der ständigen Organe des Völkerbundes um das Gelingen des Wiederaufrichtungswerkes hinwies.

Im Bestreben, dem Völkerbunde die Erfüllung der ihm auf Grund von Artikel 23 f) des Paktes obliegenden Aufgaben zu ermöglichen, hatte die erste Versammlung die Schaffung einer umfassenden Hygiene-Organisation beschlossen*). Nach dem Plane von 1920 sollte das Internationale Hygiene-Amt in Paris, das durch die am 9. Dezember 1907 in Born unterzeichneten Konvention eingesetzt worden war, restlos in der Hygiene-Organisation des Völkerbundes aufgehen. Die Vereinigten Staaten durchkreuzten jedoch das Vorhaben der Versammlung, indem sie sich, als Mitglieder der genannten Konvention, seiner Ausführung widersetzten.

Bei dieser Lage der Dinge übernahm es der Völkerbundsrat im Frühjahr 1921, die Absichten der Versammlung den Umständen anzupassen. Aus dieser Abänderung der Eesolutionen von 1920 ist die provisorische Hygiene-Organisation hervorgegangen, wie sie von der zweiten Versammlung genehmigt wurde **) und bis 1928 bestanden hat.

Die dritte Versammlung verhehlte sich die Nachteile nicht, die aus dem Bestehen eines internationalen Hygiene-Amtes in Paris und einer provisorischen Hygiene-Organisation in Genf erwuchsen, und beauftragte den Eat, die Idee einer Verbindung beider Einrichtungen wieder aufzunehmen, allerdings nicht mehr im Sinne der Einverleibung der einen in die andere, sondern im Sinne einer Zusammenarbeit, die mehr Spielraum gewährte und sich auch mit dem Übereinkommen, auf das die Schaffung des Hygiene-Amtes zurückgeht, besser vereinen Hess ***).

Der vierten Versammlung wurde denn auch der Entwurf einer ständigen Hygiene-Organisation vorgelegt, in dem die Beziehungen zwischen Genf und Paris weit genug gefasst waren, um von allen Staaten, die dem Übereinkommen von Born beigetreten sind, angenommen werden zu können. Auf Vorschlag der zweiten Kommission beschloss die Versammlung am 15.September, den ihr unterbreiteten Entwurf zu genehmigen t)- Die Mitgliedstaaten des Übereinkommens von Born haben sich ihrerseits im Verlaufe einer nach Paris einberufenen Session mit dem Entwurf einverstanden erklärt, *) Vgl. Bericht des Bundesrates über seine Geschäftsführung im Jahre 1920, S. 37 f.

**) Vgl. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die zweite Session der Völkerbundsversammlung, S. 30 f.

***) Vgl. a. a. 0. S. 24.

t) Siehe Beilage III.

392

so dass die ständige H y g i e n e - O r g a n i s a t i o n des V ö l k e r b u n d e s nunmehr geschaffen ist.

Sie umfasst einen allgemeinen beratenden Hygiene-Ausschuss, ein ständiges Hygiene-Komitee und eine HygieneA b t e i l u n g beim Generalsekretariate des Völkerbundes. Die Befugnisse des allgemeinen beratenden Hygiene-Ausschusses werden --·wir berühren hier den wunden Punkt der getroffenen Eegelung -- dem Komitee des Hygiene-Amtes, das autonom bleibt und seinen Sitz in Paris hat, ohne Abänderung seiner Zusammensetzung und seiner Amtsbei'ugnisse anvertraut. Die Kompetenzen des ständigen Hygiene-Komitees und der Hygiene-Abteilung bleiben ungefähr dieselben, wie diejenigen, die ihnen die erste Versammlung zugeteilt hatte. Der 1921 vom Völkerbundsrat einem Schweizer, Herrn Dr. Carrière, Direktor des Eidgenössischen Gesundheitsamtes, persönlich anvertraute Sitz im provisorischen Komitee, verblieb ihm auch im ständigen.

Die von der vierten Versammlung und vom Komitee des HygieneAmtes in Paris getroffene Lösung für die Bildung einer HygieneOrganisation des Völkerbundes kann als befriedigend bezeichnet werden. Ohne damit zur Schaffung eines einzigen einheitlichen Organismus zu gelangen, wird doch der unerfreulichen Zweispurigkeit ein Ziel gesetzt. Die Idee der völligen Verschmelzung kann selbstverständlich wieder aufgegriffen werden, wenn einmal alle Mitglieder des Übereinkommens von Köm dem Völkerbunde beigetreten sind.

Die vierte Versammlung hat außerdem die von der HygieneAbteilung seit ihrer provisorischen Einsetzung entfaltete Tätigkeit und die für die kommenden Arbeiten gemachten Vorschläge vorbehaltslos gebilligt*).

Die Hygiene-Organisation leistet zweifellos erspriessliche Arbeit.

Zahlreich sind auch die Gebiete, auf denen sie tätig ist : Untersuchung über den Bedarf an Opium und andern Betäubungsmitteln, der in jedem Lande für den rechtmässigen Verbrauch notwendig ist, Vereinheitlichung der Sera und der serologischen Reaktionen, sanitäre Bestimmungen iür die internationalen Wasserwege usw. Zwei Aufgaben verdienen ganz besondere Aufmerksamkeit, der Austausch von Sanitätspersonal und die Veröffentlichung epidemiologischer Nachrichten. Dank der tatkräftigen Unterstützung des internationalen Hygiene-Komitees der Rockefeller-Stiftung verfügt der Völkerbund gegenwärtig über zwei Fonds. Der eine ist für drei Jahre sicher*) Siehe Beilage III.

593

gestellt und beträgt 60,000 Dollars jährlich; er ist ausschliesslich für den Austauch von Sanitätspersonal bestimmt, d. h. für die unentgeltliche Ausbildung von Sanitätsbeamten in den nationalen HygieneEinrichtungen anderer Länder. Der andere Fonds ist für fünf Jahre garantiert und beträgt 30,000 Dollars; er ermöglicht es der HygieneAbteilung des Völkerbundes, ungefähr alle zehn Tage ein Bulletin über den Gesundheitsstand in der ganzen Welt zu veröffentEchen.

Im Jahre 1923 haben fünf Austausche von Sanitätspersonal stattgefunden; vier sind für 1924 vorgesehen, wovon einer in der Schweiz. Epidemiologische Berichte sind bis heute sechzig erschienen.

Die Bundesverwaltung erhält eine genügend grosse Anzahl, um die hauptsächlichsten Hygiene-Institute der Schweiz, die Sanitätsbehörden der Armee und einzige besonders wichtige kantonale Hygiene-Institute damit zu versehen.

Die ersten Kesohrtionen, die der Versammlung von der f ü n f t e n Kommission auf sozialem und humanitärem Gebiet vorgelegt wurden, waren diejenigen über den Frauen- und Kinderhandel*).

Nicht weniger als drei internationale Übereinkommen sind über diese Frage schon geschlossen worden. Die Schweiz ist nur am ersten beteiligt, am internationalen Übereinkommen betreffend Unterdrückung des Mädchenhandels, vom 18. Mai 1904. Sie ist demjenigen vom 4. Mai 1910 noch nicht beigetreten und hat auch die Konvention zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels vom 30. September 1921, die sie am 3. Oktober gleichen Jahres unterzeichnete **), nicht ratifiziert. Die Versammlung hat übrigens ihrem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, dass eine so kleine Zahl von Staaten -- nur etwa fünfzehn -- diese Konvention genehmigt haben. Der Bundesrat wird seinerseits sein möglichstes tun, um den eidgenössischen Bäten die Übereinkommen von 1910 und 1921 vorzulegen.

Die Versammlung hat ausserdem mehrere von der beratenden Kommission des Völkerbundes für die Bekämpfung des Frauenund Kinderhandels -- die bekanntlich am 10. September und 14. Januar 1922 eingesetzt worden war -- unterbreiteten Vorschläge genehmigt. Diese Vorschläge zielten namentlich darauf ab, 1. eine Untersuchung herbeizuführen, die von Wohlfahrtseinrichtungen der Vereinigten Staaten subventioniert wird und sich darauf erstrecken soll, die Bedingungen festzustellen, unter *) Siehe Beilage III.

**) Vgl. den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die zweite Session der Völkerbundsversammlung. S. 38.

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denen der Frauen- und Kinderhände! betrieben wird; 2. die Begierungen dazu zu bringen, dass sie durch geeignete Massnahmen den Frauen, die in öffentlichen Häusern angestellt sind, völlige Freiheit garantieren, und 8. die Anstellung von Frauen bei der Sittenpolizei zu empfehlen.

Die Verhandlungen der fünften Kommission über den Handel mit Opium und andern Betäubungsmitteln*) haben durch die Anwesenheit einer amerikanischen Abordnung ein ganz besonderes Gewicht erhalten. Getreu den Grundsätzen, die sie dazu führten, die Einberufung der Haager Konferenz von 1912, in deren Verlauf die internationale Opiumkonvention ausgearbeitet worden ist, zu veranlassen, haben sich die Vereinigten Staaten dazu entschlossen, wiederum für die Bekämpfung der Betäubungsmittel in die Schranken tu treten, um das Ziel zu erstreben, das sie sich schon in ihren früheren Bemühungen gesteckt, aber nicht erreicht hatten. Nach ihrer Ansicht handelt es sich vor allem darum, das Opiumlaster durch die Herabsetzung der Produktion statt, wie dies noch die Konvention von 1912 versuchte, durch die blosse Kontrolle derselben zu bekämpfen.

Ebenso will man dem Morphinismus und Kokainismus zu Leibe rücken, indem die Herstellerstaaten angehalten werden sollen, die verfügbaren Mengen nicht mehr einseitig, wie dies das Haager Übereinkommen vorsieht, sondern auf internationalem Boden, auf den Bedarf von Medizin und Wissenschaft zu beschränken.

Die Versammlung ist auf den Plan der amerikanischen Regierung eingetreten und hat am 27. September beschlossen *), den Rat mit der Einberufung von zwei Konferenzen zu betrauen, wovon die eine die am Opiumlaster, die andere die an der Herstellung von Betäubungsmitteln interessierten Staaten umfassen soll. Die Schweiz ist eines der sechs einzigen Länder der Erde, die Morphium herstellen, sie ist auch eines der sechs Länder, die Kokain fabrizieren. Die von der vierten Versammlung beschlossene zweite Konferenz wird für sie infolgedessen von ganz besonderer Bedeutung sein.

Das Problem der russischen Flüchtlinge, d. h. der ganze durch die Anwesenheit von anderthalb Millionen Russen ausserhalb Eusslands aufgeworfene Fragenkomplex hatte bereits im Jahre l £22 die volle Aufmerksamkeit der Versammlung beansprucht*). Günstige Ergebnisse erzielten in vielen Fällen die Bemühungen des Oberkommissariates, das schon
1921 eingesetzt worden war. Diese Bemühungen bezogen sich namentlich auf die Frage der Flüchtlinge in Konstantinopel, auf die Einräumung grösserer Freizügigkeit für Russen ohne *) Siehe Beilage III.

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Ausweispapiere und endlich auf die Heimschaffung der Flüchtlinge.

Dank der finanziellen Hilfe zahlreicher Eegierungen sowieenglischer und amerikanischer Wohlfahrtseinrichtungen kann dieerste Frage als gelöst betrachtet werden. Die zweite ist auf dem besten Wege dazu, seitdem zweiunddreissig Eegierungen das System der Personalausweise angenommen haben. Verhandlungen mit der Sowietregierung haben auch die Lösung der dritten Frage wenigstens eingeleitet.

Die Versammlung hat der von Herrn Nansen zugunsten der Flüchtlinge des Nahen Ostens*) entfalteten Tätigkeit ihre Zustimmung gegeben. Die Session von 1922 hatte zugunsten dieser Unglücklichen einen Aufruf erlassen, der nicht ungehört blieb. Die vierte Versammlung hat den ersten Delegierten Norwegens aufgefordert, seine Bemühungen fortzusetzen.

Drei weitere spezielle Probleme haben noch die Aufmerksam-, keit der fünften Kommission und sodann der Versammlung beansprucht, dasjenige des Schutzes der Frauen und Kinder*) im nahen Osten, dasjenige der Eeiseerleichterungen für S t u d e n t e n g r u p p e n *) bei ihren Studienausflügen in fremde Länder -- auf diese Frage ist allerdings nur kurz die Aufmerksamkeit der Versammlung hingelenkt worden -- und endlich dasjenige der internationalen Hilfsorganisation zugunsten der von K a t a s t r o p h e n g e t r o f f e n e n Völker*). Die Eegierungen sollen aufgefordert werden,- die letzte Frage zu prüfen, bevor der Bat der Versammlung Vorschläge unterbreitet.

Endlich gab die Tätigkeit der Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit zu einer ziemlich ausführlich gehaltenen Eesolution Anlass. Den Beratungen des fünften Ausschusses der Versammlung wohnte als Berichterstatter auch das schweizerische Mitglied der Kommission, Herr G. de Eeynold, bei. Die allgemeinen Eichtlinien für die Wirksamkeit der Kommission für diegeistige Arbeit waren zum grossen Teil durch einen Beschluss der dritten Versammlung festgelegt worden *). Unter den speziellen Problemen, die aufs neue erörtert wurden, ist namentlich dasjenigeeineririternationalen bibliographischen Organisation zu nennen. Die bereits begonnenen Erhebungen über den Stand des geistigen Lebens in den verschiedenen Ländern werden fortgesetzt. Eine neue Anregungdie freilich ohne jedes Präjudiz von den Eegierungen geprüft werden.

*) Siehe Beilage III.

£96 muss, ist diejenige des italienischen Senators Euffini über den Schutz des wissenschaftlichen Eigentums. In organisatorischer Hinsicht wurde der Völkerbundsrat aufgefordert, zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen Vertreter einor grösseren Anzahl von Sprachgebieten zu den Arbeiten der Kommission beigezogen werden könnten.

VI. Die Finanzen des Völkerbundes.

In den Beratungen der v i e r t e n K o mmi s si onder Versammlung, die sich mit der Finanzwirtschaft des Völkerbundes und verschiedenen Fragen der internen Organisation der ständigen Dienstzweige des Bundes zu befassen hatte, kam in noch erhöhtem Masse wie ira Vorjahre der in den allgemeinen Verhältnissen begründete Sparwille der Völkerburidsmitglieder zur Geltung. Der vierte Ausschuss, in dem die Schweiz, wie bereits erwähnt, durch Herrn Professor B u r c k h a r d t vertreten war. nahm zunächst die Abrechnung für das Finanzjahr 1922 entgegen*). Mit grosser Sorgfalt wurden sodann alle Positionen des B u d g e t - V o r a n s c h l a g e s für 1924 geprüft. Die Anträge der Kontrollkommission betreffend die Ausgaben für das Geiieralsekretariat, die bereits beträchtliche Eeduktionen gegenüber dem Budget von 1923 vorsahen, wurden au dieses Komitee zur nochmaligen Prüfung zurückgewesen und daraufhin erneut herabgesetzt. Das Gesamtbudget für 1924 sieht -- einschliesslich der bewilligten Zusatzkredite -- einen Betrag von 23,328,686 Goldfranken vor, der unter den Mitgliedstaaten zur Verteilung gelangt. Die Verminderung gegenüber dem Vorjahre beträgt Fr. 2,344,822; die effektive Reduktion ist noch um zwei Millionen grosser, wenn man bedenkt, das* ein Betrag in dieser Höhe nicht verausgabt werden, sondern als Beservef onds dienen soll. Die eigentlichen Ausgaben betragen etwas über 21 Millionen, wovon über 12 auf das Generalsekretariat und die ihm angegliederten Organisationen, etwa 7 auf die internationale Arbeitsorganisation und ungefähr 2 Millionen auf den Ständigen Internationalen Gerichtshof entfallen. Das Budget für 1924 ist am 28. September genehmigt worden *).

Auf Antrag der vierten Kommission nahm die Versammlung ferner einzelne Abänderungen zu dem im September 1922 genehmigten Reglement über die Finanzgebarung des Völkerbundes**) an. Einzelne Staaten Mittelamerikas und Zentraleuropas, die z. T. infolge au starker Belastung durch den ursprünglichen Schlüssel der Kosten*) Siehe Beilage IV.

**) Vgl. den Bericht über die Völkerhundsversammlung, S. 27 und 60.

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Verteilung mit ihren Beitragsleistuagen im Eückstand geblieben waren, wurde sodann durch Beschluss der Versammlung eine Reduktion ihrer Schuld gewährt *).

Im Zusammenhang mit diesen Organisationsfragen verdient auch eine Kesolution Erwägung, die von der Versammlung unmittelbar ohne vorhergehenden Bericht der vierten Kommission genehmigt wurde und die sich auf die Eeorganisation des südamerikanischen Bureaus des Völkerbundes bezieht*). Diese Dienststelle, deren Schaffung auf eine Anregung der zweiten Versammlung zurückgeht, hat die Aufgabe, die Mitwirkung der Staaten Südamerikas an den verschiedenen Werken des Völkerbundes zu ·erleichtern.

Der inneren Organisation der ständigen Dienstzweige de? Völkerbundes sich weiter zuwendend, brachte die vierte Kommission die Gründung einer obligatorischen Pensions k as se für die Beamten des Generalsekretariates und des Internationalen Arbeitsamtes in Vorschlag. Ferner wurde eine gewisse Eeduktion der Gehälter der Beamten und Angestellten der ständigen Dienstzweige beantragt. In Zukunft sollen sich die Gehälter des höheren und mittleren Per.sonals aus einem Fixum und einem veränderlichen Teil zusammensetzen, welch letzterer den Schwankungen der Kosten der Lebenshaltung am Völkerbundssitze angepasst sein soll.

Eine, ausserordentlich heikle Frage, welche die vierte Kommission der Versammlung in besonderem Masse beschäftigen musste, war diejenige der V e r t e i l u n g der Kosten des Völkerbundes unter die Mitgliedstaaten. Die rechtliche Grundlage für die Einführung eines von dem Schlüssel des Weltpostvereins abweichenden Verteilungsmodus durch Beschluss einer qualifizierten Mehrheit in der Versammlung war noch nicht gegeben, da, wie oben ausgeführt, die im Jahre 1921 beschlossene Abänderung zu Artikel VI des Paktes noch nicht in Kraft erwachsen war. Die Versammlung musste somit, wie im Vorjahre, den Weg einer einstimmigen Entscheidung beschreiton, wenn nicht auf die für die Verhältnisse des Völkerbundes offensichtlich unbillige Verteilung nach dem System des Weltpostvereins zurückgegriffen werden sollte.

Diese Frage wurde in dem auch vom Bundesrat gewünschten Sinne geregelt; im wesentlichen wurde der pro\isorische Verteiler in Kraft behalten, der im Jahre 1922 zur Annahme gelangt war. Es wurde vorgesehen, dass die Expertenkommission des Völkerbundes zur Neuordnung der Kostenverteilung unter Anrechnung der Beitrags*) Siehe Beilage IV.

BundesWatt. 75. Jahrg. Bd III.

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leistungen der neu aufgenommenen Mitglieder einzelne Völkerbundsstaaten entlasten könne*). Die Tatsache, dass diese Begelung durch freie Einigung von 54 Völkerbundsmitgliedern erzielt werden konnte, verdient entschieden hervorgehoben zu werden. Durch einen besondern Beschluss, der unter dem Eindruck der Erdbebenkatastrophe im fernen Osten gefasst wurde, ist der Beitrag Japans für 1924 gegenüber dem Vorjahre von 73 auf 61 Einheiten herabgesetzt worden.

Zum Ausgleich hierfür wird der Beitrag sämtlicher andern Völkerbundsmitglieder um ungefähr l Prozent erhöht.

Die Beitragsleistung der Schweiz im Jahre 1924 ist auf der Grundlage von 15 Einheiten von insgesamt 982 berechnet. Sie beträgt 373,981.91 Goldfranken (72,151.41 Dollar der Vereinigten Staaten).

Ein besonderer Unterausschuss der vierten Kommission, dem auch der schweizerische Vertreter angehörte, befasste sich mit der Frage des Baues eines Konferenzsaales für die Sessionen der verschiedenen Organisationen des Völkerbundes. Bekanntlich hatten die Eidgenossenschaft und die genferischen Behörden dem Völkerbunde je ein Grundstück für die Erstellung der erforderlichen Baulichkeiten schenkungsweise überlassen. **) Auf dem von der Eidgenossenschaft zur Verfügung gestellten Grundstück wird gegenwärtig das neue Gebäude des Internationalen Arbeitsamtes errichtet, während das von Kanton und Stadt Genf geschenkte Terrain für den Bau des neuen Konferenzsaales gedacht ist.

Die vierte Kommission gelangte zu dem Schlüsse, dass die finanzielle Lage des Völkerbundes neue weitreichende Ausgaben augenblicklich nicht als ratsam erscheinen lasse, und schlug daher vor, den Beginn der Bauarbeiten nicht unverzüglich zu beschliessen. Di& Versammlung, die diesen Antrag genehmigte, erklärte indessen in ihrer Resolution vom 26. September ausdrücklich, dass das geschenkte Grundstück sobald als möglich für den Zweck verwendet werden sollte, für den es Genf als Sitz des Völkerbundes bestimmt hatte.

*) Die endgültige Tabelle der Kostenverteilung, wie sie nach den Be» Schlüssen dieser Kommission vorliegt, ist in der Beilage IV abgedruckt.

**) Vgl die Botschaft des Bundesrates vom 22. September 1922 betreffend die schenkungsweise Überlassung eines Grundstückes an detti Völkerbund.

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Indem wir Ihnen beantragen, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis nehmen zu wollen, benützen wir den Anlass, um Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 17. Dezember 1922.

Im Namen des- Schweiz. Bundesrates: Der Bundespräsident: Scheurer.

Der Bundeskanzler: Steiger.

600 Beilage I.

Beilagen.")

1. Rechtliche und politische Spezialfragen.

A. Rechtsfragen.

1. Abänderungen zum Völkerbundsvertrag.

In der Erwägung, dass laut Artikel XXVI des Völkerbund»vertrages das Inkrafttreten der Abänderungen zum Pakt von der Eatifizierung seitens der im Eat vertretenen Mitglieder des Völkerbundes und einer Mehrheit der in der Versammlung vertretenen Mitglieder abhängig ist; dass nur noch eine sehr kleine Anzahl der vom Pakt für das Inkrafttreten der von der zweiten Versammlung angenommenen Abänderungen zu Artikel IV, VI, XII, XIII, XV und XXVI vorgeschriebenen Eatifikationen fehlen; in Erwägung, dass laut erhaltener Auskünfte die notwendigen konstitutionellen Massnahmen bereits in den Staaten, deren Eatifizierung noch fehlt, beinahe vollzogen sind und os anderseits im Interesse der Autorität des Völkerbundes wünschenswert wäre, dass die angenommenen Abänderungen eine grössere Anzahl von Eatifikationen erhielten, bittet die Versammlung den Generalsekretär, sich mit den Delegationen aller Mitglieder des Bundes, welche noch nicht die Eatifikationsurkunden zu den oben genannten Abänderungen niedergelegt haben, in Verbindung zu setzen und sie aufzufordern, Schritte bei ihren Regierungen zu unternehmen, damit letztere, wenn möglich, die Eatifikation beschleunigen und, wenn sie es für nötig erachten, ihre Absichten hinsichtlich der Eatifikation der Abänderung zu Artikel XVI bekanntgeben.

(Eesolution vom 26. September 1928.)

2. Abänderung zu Artikel XVI des Völkerbundsvertrages.

Die Versammlung beschliesst, die von der britischen Eegierung vorgeschlagenen Abänderungen zu Artikel XVI des Völkerbundsvertrages bis zu der fünften Versammlung zu vertagen (1924).

(Eesolution vom 22. September 1928.)

*) Anmerkung. Der nachstehende deutsche Text der Resolutionen der Versammlung folgt z. T. einer Übersetzung der Nachrichtenabteilung des Völkerbundssekretariats.

601 Wortlaut des Antrages Grossbritanniens betreffend Abänderung des zweiten Satze? von Absatz I des Artikels XVI: «Diese verpflichten sich, unverzüglich alle Handels- und Finanzbeziehungen mit ihm abzubrechen, sowie jeden Verkehr, wenn nicht zwischen ihren .Angehörigen und denjenigen des bundesbrüchigen Staates, so doch wenigstens zwischen den auf ihrem Gebiete sich aufhaltenden Personen und denjenigen, die sich auf dem Gebiet des b u n d e s b r ü c h i g e n Staates a u f h a l t e n , zu untersagen und alle finanziellen, kommerziellen und persönlichen Verbindungen, wenn nicht zwischen den Angehörigen jenes Staates und den Angehörigen jedes andern Staates, mag letzterer Mitglied des Völkerbundes sein oder nicht, so doch wenigstens zwischen den auf dem Gebiete jenes Staates sich aufhaltenden Personen, die sich auf dem Gebiete jedes andern Staates a u f h a l t e n , mag letzterer Mitglied des Völk e r b u n d e s sein oder nicht, zu verhindern.» 3. Abstimmung inderSession erVersammlung vom 25. September 1923 über den Entwurf einer den Artikel X des Völkerbundsvertrages auslegenden Resolution.

Von der ersten Kommission der Versammlung ist der nachstehende Entwurf einer Eesolution vorgelegt worden: «Die Versammlung, von dem Wunsche erfüllt, · die Tragweite der in Artikel X des Völkerbundsvertrages niedergelegten Verpflichtungen in bezug auf die von der kanadischen Delegation aufgeworfenen Punkte klarzulegen, genehmigt die folgende Ent-o Schliessung: Es entspricht dem Geiste des Artikels X, dass der Bat in den Fällen, in denen er die Anwendung militärischer Massnahmen infolge eines Angriffs, einer Gefahr oder einer Angriffsdrohung empfehlen zu müssen glaubt, der geographischen Lage und den besondern Bedingungen jedes Staates Eechnung trage.

Es ist die Sache der verfassungsrnässigen Instanzen jedes Völkerbundsmitgliedes, im Hinblick auf die Verpflichtung, die territoriale Unversehrtheit und die bestehende politische Unabhängigkeit der Völkerbundsmitglieder aufrechtzuerhalten, zu beurteilen, in welchem Masse jener Mitgliedstaat gehalten ist, die Erfüllung der genannten Verpflichtung mit seinen militärischen Streitkräften zu sichern.

602 Indessen soll der Empfehlung des Völkerbundsrates die grossie Bedeutung beigemessen werden; sie soll von allen Völkerbundsmitgliedern im Bestreben, ihren Verpflichtungen gutgläubig nachzukommen, geprüft werden.» Die Abstimmung, die am 25. September 1923 über diesen Resolutionsentwurf in der Versammlung stattgefunden hat, führte zürn folgenden Ergebnis: 29 Völkerbundsmitglieder stimmten für den Resolutionsentwurf, und zwar: Belgien, Brasilien, Britisches Reich, Canada, Australien, Südafrika, Neuseeland, Irland, Indien, Bulgarien, Chile, China, Cuba, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Japan, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Salvador, Spanien, Schweden, die Schweiz, Ungarn und Uruguay.

Dagegen stimmte ein Völkerbundsmitglied: Persien.

Die nachfolgenden Mitglieder waren abwesend oder haben sich der Stimme enthalten: Albanien, Argentinien, Bolivien, Columbien, Costa-Rica, Estland, Pinnland, Guatemala, Haiti, Honduras, Lettland, Liberia, Litauen, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Polen, Serbisch-kroatisch-slovenischer Staat, Siani, die Tschechoslowakei, Venezuela.

Der Präsident gab daraufhin die folgende Erklärung ab: «Eine den Völkerbundsvertrag auslegende Resolution muss, um angenommen zu werden, einstimmig gutgeheissen sein.

Da diese Einstimmigkeit fehlt, kann ich die vorgeschlagene Resolution nicht als genehmigt erklären. Anderseits werde ich, den Präzedenzfällen gemäss, auch nicht erklären, dass die Resolution verworfen worden ist, da man nicht sagen kann, dass die Versammlung durch ihre Abstimmung sich für die gegenteilige Auslegung ausgesprochen habe. Ich erkläre daher bloss, dass die Resolution nicht angenommen worden ist.» Die Versammlung hat beschlossen, das Ergebnis der Abstimmung dem Rate zu seiner Orientierung zur Kenntnis zu bringen.

(Resolution vom 25. September 1923.)

4. Wahl der nichtständigen Mitglieder des Rates.

I. Die Versammlung wiederholt die in der zweiten Resolution vom 29. September 1922 enthaltene Empfehlung und überweist sie an die fünfte Versammlung.

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II. Die Versammlung beschliesst, in ihre Geschäftsordnung awischen Artikel 22 und 28 die in der ersten Eesolution vom 29. September 1922 enthaltenen Verfahrensvorschriften einzuschalten.

III. Die Versammlung wiederholt folgende Empfehlung: Es ist wünschenswert, dass die Versammlung bei der Wahl 'der sechs nichtständigen Mitglieder des Eates ihre Auswahl derart trifft, dass der hauptsächlichsten geographischen Gliederung der Welt, den grossen ethnischen Gruppen, den verschiedenen religiösen Überlieferungen, den verschiedenen Formen der Zivilisation und den wichtigsten Zentren des Beichtums Eechnung getragen wird.

IV. Im Sinne des Völkerbundsvertrags handelnd, empfiehlt ·die Versammlung dringend den Mitgliedern des Völkerbundes, besonders den Mitgliedern des Bates, die von der zweiten Versammlung angenommene Abänderung zu Artikel IV des Paktes zu ratp fizieren; sie drückt die Hoffnung aus, dass diese Abänderung vor der fünften Versammlung in Kraft treten wird.

(Besolution und Wünsche vom 27. September 1923.)

B. Politische Fragen.

'o*1. Ansuchen der litauischen Regierung hinsichtlich der vom Rate im polnisch-litauischen Streitfall gefassten Entscheidungen.

Die Versammlung beschliesst, gemäss dem von der litauischen Delegation geäusserten Wunsch, die nachfolgenden, auf Ansuchen der litauischen Begierung auf die Tagesordnung der gegenwärtigen Versammlung gesetzte Frage auf die fünfte Versammlung zu verschieben : Verweisung gewisser Fragen an den Ständigen Internationalen Gerichtshof, um ein beratendes Gutachten zu erhalten.

(Besolution vom 27. September 1923.)

2. Ostkarelien.

Die Versammlung des Völkerbundes, welche die Wichtigkeit der ostkarelischen Frage anerkennt, nimmt von der Erklärung der finnländischen Delegation Vormerk, dass die finnländische Begierung in Ermangelung jeder Entscheidung und jedes entgegengesetzten Gutachtens einer internationalen Gerichtsbarkeit auf ihrem Bechi besteht, die Be-

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Stimmungen des Friedens von Dorpat und die beigefügten Erklärungen über die Bechtslage Ostkareliens als internationale Verpflichtungen zu betrachten; sie bittet den Bat, auch in der Folge alle nützlichen Auskünfte über diese Frage zu sammeln, die in der Zukunft eine befriedigende Lösung derselben erleichtern könnten.

(Resolution vom 24. September 1928.)

3. Schutz der Minderheiten.

Gemäss dem Beschluss des Bates vom 5. September 1928 soll die Mitteilung von Bittschriften der Minderheiten auf die Ratsmitglieder beschränkt werden. Nichtsdestoweniger kann, laut Punkt & der Resolution der Versammlung vom 21. September 1928, dieRegierung jedes Völkerbundsmitgliedes beim Sekretariat das Verlangen stellen, dass die Bittschriften (mit den Bemerkungen der interessierten Regierung), welche dem Bat eingereicht worden sind,, auch ihr mitgeteilt werden.

(Resolution vom 26. September 1928.)

4. Mandate.

Nach Kenntnisnahme der Berichte der Ständigen Mandatskommission und der Bemerkungen der akkreditierten Vertreter von Australien, Grossbritannien', Japan, Neuseeland und der Südafrikanischen Union: - a. spricht die Versammlung ihre Befriedigung über die von dieser Kommission gewissenhaft ausgeführte beträchtliche Arbeit, sowie über die in den unter Mandat stehenden Gebieten verwirklichten bedeutenden Fortschritte aus; b. ersucht die Versammlung die Kommission, ihre Aufgabe mit demselben Eifer und derselben Unparteilichkeit weiter auszuführen ; c. gibt die Versammlung der Hoffnung Ausdruck, dass die Kommission auch fernerhin die Mitwirkung der Mandatsmächta erhalten wird, um in der moralischen und materiellen Lage der Eingebornen und ganz besonders der Frauen und Kinder eine ständige Besserung herbeiführen zu können, und zwar durch die Einrichtung eines allgemein und beruflich erteilten Unterrichtes, durch die Hebung der öffentlichen Gesundheit,, durch die gerechte Bezahlung der Arbeit der Eingebomen, sowie durch die so bald als möglich zu erreichende endgültige;

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Abschaffung jeglicher Art von Sklaverei, die Haussklaverei Inbegriffen; d. äussert die Versammlung ihr lebhaftes Bedauern darüber, dass die Ständige Mandatskommission in dem BondelzwartGebiet nicht die Wiederherstellung einer befriedigenden Lage konstatieren konnte; sie hofft, dass die künftigen Berichte der Südafrikanischen Union Auskünfte enthalten werden, die jeder Beunruhigung nach dieser Seite hin ein Ende machen werden> (Eesolution vom 26. September.)

5. Sklaverei.

Die Versammlung, welche von den bis heute von den Mitgliedstaaten eingelangten Auskünften Kenntnis genommen hat und der Meinung ist, dass dieselben nicht die Grundlage eines genügend vollkommenen Berichtes bilden können, a. drückt dem Eat für die von ihm unternommenen Schritte, um dem die Sklaverei betreffenden Ersuchen der dritten Versammlung nachzukommen, ihre Anerkennung aus; b. fordert den Eat auf, eine zuständige Behörde mit der Fortsetzung der Untersuchung zu beauftragen, damit über diese Frage neue Auskünfte erhalten werden können, und zwar hauptsächlich von den Eegierungen der Nichtmitgliedstaaten des Völkerbundes und gegebenenfalls von sachkundigen und vertrauenswürdigen Personen oder Organisationen; c. gibt der Hoffnung Ausdruck, dass das Ergebnis dieser Arbeiten wenn möglich der fünften Versammlung vorgelegt wird und dass auf jeden Fall der fünften Versammlung ein Bericht unterbreitet wird, der die in den verschiedenen Ländern in der Bekämpfung der Sklaverei in allen ihren Formen gemachten Fortschritte darlegt.

(Eesolution vom 28. September 1928.)

6. Aufnahme neuer Mitglieder in den Völkerbund.

Die Versammlung beschliesst, den Freistaat Irland und Äthiopien in den Völkerbund aufzunehmen.

(Sitzungen vom 10. und 28. September 1928.)

606 Beilage II.

II. Die Beschränkung der Rüstungen.

a) Vertrag wechselseitiger Hilfeleistung.

Resulution der Versammlang.

l. Nachdem die Versammlung von dem Entwurf eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung Kenntnis genommen hat, der von der gemischten temporären Kommission vorbereitet und von der dritten Kommission nach einem zum Teil persönlichen Meinungsaustausche zwischen Mitgliedern abgeändert worden ist, und indem sie berücksichtigt, dass diese Beratungen einige Meinungsverschiedenheiten ergeben haben und dass ferner eine grössere Anzahl von Regierungen ihre Ansichten über die XIV. Eesolution der dritten Versammlung noch nicht bekanntgegeben haben, beschliesst sie, den Eat aufzufordern, den Regierungen den Entwurf zu unterbreiten und sie zu bitten, ihre Ansichten darüber bekanntzugeben.

II. Wortlaut des Entwurfes eines Vertrages wechselseitiger Hilfeleistung.

Einleitung.

Die hohen vertragschliessenden Teile, welche die Grundlagen «iiier gegenseitigen Hilfsorganisation aufzustellen wünschen, um die Anwendung von Artikel X und XVI des Völkerbundsvertrages und die Beschränkung der Rüstungen gemäss Artikel VIII auf ein mit der nationalen Sicherheit und mit der Durchführung internationaler Verpflichtungen durch ein gemeinsames Vorgehen vereinbares Mindestmass zu erleichtern, sind über folgende Bestimmungen übereingekommen : «Die hohen Vertragschliessenden erklären, dass der Angriffskrieg ein internationales Verbrechen bedeutet und verpflichten sich feierlich, sich eines solchenVerbrechens nicht schuldig zu machen.» «Ein solcher Krieg wird nicht als ein Angriffskrieg betrachtet, der von einem Staat, der in eine Streitfrage verwickelt ist und die einstimmige Empfehlung des Rates, das Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofes oder den Schiedsspruch angenommen hat, gegen einen Vertragschliessenden gerichtet ist, welcher eine solche

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Entscheidung nicht angenommen hat, vorausgesetzt, dass der erstere Staat nicht die politische Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit des Vertragschliessenden verletzt.» Artikel 2.

Die Vertragschliessenden Teile verpflichten sich einzeln und gemeinsam, gemäss den Bestimmungen des vorliegenden Vertrages, einem jeden unter ihnen, falls derselbe das Opfer eines Angriffskrieges werden sollte, Beistand zu leisten, unter der Voraussetzung, dass der angegriffene Staat den Verfügungen des vorliegenden Vertrages betreffend die Herabsetzung und Beschränkung der Eüstungen Folge geleistet hat.

Artikel 3.

Für den Fall, dass einer der Vertragschliessenden Teile der Meinung sein sollte, dass die Eüstungen eines andern Vertragschliessenden die in Anwendung der Bestimmungen dieses Vertrages festgesetzten Eüstungen übersteigen, und im Fall einer Angriffspolitik oder militärischer Vorbereitungen seitens eines am vorliegenden Vertrag teilnehmenden oder nicht teilnehmenden Staates, welche den Vertragschliessenden die Eröffnung der Feindseligkeiten fürchten lassen, kann der letztere den Generalsekretär des Völkerbundes benachrichtigen, dass er von einem Angriff bedroht wird ; der Generalsekretär soll in diesem Fall sofort den Völkerbundsrat einberufen.

Ist der Eat der Meinung, dass wirkliche Gründe vorliegen, die 'einen Angriff befürchten lassen, so soll er, wenn er es für richtig befindet, alle unter Artikel 5, Absatz 2, lit. a, b, c, d und e angegebenen Massregeln treffen, um diese Drohung zu beseitigen.

Die Vertragschliessenden, gegen die sich die Anzeige richtet, und diejenigen, welche Gegenstand eines drohenden Angriffs sind, werden als besonders beteiligt angesehen und sollen mithin aufgefordert werden, sich gemäss den Bestimmungen der Artikel IV, XV und XVII des Völkerbundsvertrages im Eat vertreten zu lassen, ohne dass die Stimmen ihrer Vertreter gezählt werden.

Artikel 4.

Im Fall, dass einer oder mehrere der Vertragschliessenden Teile in Feindseligkeiten verwickelt wären, muss der Eat in einer viertägigen Frist von dem Tage an gerechnet, an dem der Generalsekretär in Kenntnis gesetzt worden ist, erklären, wer von den

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Vertragschliessenden Opfer eines Angriffs ist und ob er das Kecht besitzt, den durch den Vertrag vorgesehenen Beistand zu fordern.

Die Vertragschliessenden verpflichten sich, die Entscheidung des Völkerbundsrates anzunehmen.

Die in Feindseligkeiten verwickelten Vertragschliessenden Teile werden als «besonders beteiligt» angesehen und sollen mithin aufgefordert werden, sich gemäss den Bestimmungen der Artikel IV, XV und XVII des Paktes im Bat vertreten zu lassen, ohne dass die Stimme ihrer Vertreter in Bechnung gezogen wird. Dasselbe gilt für die Signatarstaaten eines jeden in bezug auf irgendeinen der Kriegführenden rechtswirksamen Sonderabkommens, es sei denn, dass die übrigen Mitglieder des Bates darüber anders ent scheiden.

Artikel 5.

Die Vertragschliessenden Teile verpflichten sich, in dem in Artikel 2 des Vertrages angegebenen Fall sich gegenseitig Beistand zu leisten,.

und zwar in der Art und Weise, die der Bat des Völkerbundes als die wirksamste anempfiehlt, und ohne Verzug alle Massnahmen zu treffen, die der durch die Umstände bedingten Dringlichkeit entsprechen.

Im besondern kann der Bat : a. entscheiden, dass auf den angreifenden Staat die durch Artikel XVI des Völkerbundsvertrages vorgesehenen wirtschaftlichen Sanktionen sofort in Anwendung kommen, wobei indessen nur dann Mitglieder des Völkerbundes, welche diesen Vertrag nicht unterzeichnet haben, durch eine solche Entscheidung gebunden sein können, wenn der angegriffene Staat Grund hat, sich auf die Artikel des Paktes zu stützen; ' b. die Vertragschliessenden bezeichnen, deren Beistand er bedarf.

Die Teilnahme an den militärischen Operationen zu Lande, zu Wasser und in der Luft wird grundsätzlich nicht von den Vertragschliessenden verlangt, die einem andern Kontinent angehören als dem, auf welchem die Operationen stattfinden sollen; o. für jeden beistehenden Staat die zur Verfügung zu stellenden Streitkräfte bestimmen; d. alle Massnahmen treffen, um die Priorität der Verbindungen und Transporte bei den Operationen zu sichern;

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e. einen finanziellen Kooperationsplan zwischen den Vertrag schliessenden vorbereiten, um den angegriffenen und den beistehenden Staaten die für die Operationen nötigen Gelder zu verschaffen; /. den Oberkommandierenden ernennen und Zweck und Weseu seiner Mission bestimmen.

An den in diesem Artikel vorgesehenen Verhandlungen des Bates werden die Vertreter der Staaten, welche gemäss den Bestimmungen von Artikel 4 als Angreifer anerkannt worden sind, nicht teilnehmen können; dagegen werden als besonders beteiligt die Vertragschliessenden angesehen, um deren Beistand der Bat laut Absatz b gebeten hat; in dieser Eigenschaft werden sie aufgefordert, sich bei den Beratungen nach Absatz c, d, e, und / vertreten zu lassen, wenn sie nicht bereits vertreten sind.

Artikel 6.

Urn dem allgemeinen, in Artikel 2, 3 und 5 vorgesehenen Beistand eine unmittelbare Wirkung zu geben, können die Vertragschliessenden, sei es zwei- oder mehrseitige, den vorliegenden Vertrag vervollständigende Abkommen zum ausschliesslichen Zweck gegenseitiger Verteidigung schliessen, um die Ausführung der in diesem Vertrag vorgeschriebenen Massnahmen zu erleichtern und so im voraus den im Angriffsfall zu leistenden Beistand zu ordnen.

Diese Abkommen können ebenfalls, wenn die daran beteiligten Vertragschliessenden es wünschen, unter dem Schutz des Völkerbundes verhandelt und abgeschlossen werden.

Artikel 7.

Die in Artikel 6 vorgesehenen Zusatzabkommen werden vor der Eintragung vom Bat daraufhin geprüft werden, ob sie mit den Grundsätzen des vorliegenden Vertrages und des Völker bundsvertrages übereinstimmen.

Besonders wird der Bat prüfen, ob die in diesem Abkommen vorgesehenen Angriffsfälle in Artikel 2 einbezogen und derartig sind, dass aus ihnen für die Vertragschliessenden die Beistandsverpflichtung hervorgeht. Der Bat kann gegebenenfalls Abänderungen des Wortlautes der ihm vorgelegten Abkommen vorschlagen.

Sind diese Abkommen als solche anerkannt worden, so müssen sie in Übereinstimmung mit Artikel XVIII des Paktes eingetragen und ·als den vorliegenden Vertrag vervollständigend betrachtet werden.

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Sie werden weder die allgemeinen Verpflichtungen der Vertragschliessenden, noch die gegen jeden angreifenden Staat vorgesehenen Sanktionen, wie sie sich aus dem vorliegenden Vertrag ergeben, beschränken.

Sie werden in jedem Fall mit Zustimmung der Signatarmächte jedem andern Vertragschliessenden zugänglich bleiben.

Artikel 8.

Die Signatarmächte der Zusatzabkommen können sich durch dieselben verpflichten, in den darin vorgesehenen Angriffsfällen den Beistandsplan sofort zur Ausführung zu bringen. In diesem Falle müssen sie unverzüglich den Völkerbundsrat von den festgelegten, von ihnen in Ausführung dieser Abkommen getroffenen Masshahmen in Kenntnis setzen.

Unter Vorbehalt des vorhergehenden Paragraphen werden die Bestimmungen der Artikel 4 und 5 sowohl in den durch die Zusatzabkommen, wie auch in den andern durch Artikel 2 vorgesehenen Fällen, welche nicht in den Abkommen ins Auge gefasst sind, gleichfalls in Kraft treten.

Artikel 9.

Um die Anwendung des vorliegenden Vertrages zu erleichtern, kann jeder hohe Vertragschliessende durch Vermittlung des Eates mit einem oder mehreren Nachbarländern über die Schaffung abgerüsteter Zonen verhandeln. Der Bat und die Vertreter der beteiligten Parteien, welche laut Artikel IV des Paktes als Mitglieder an den Sitzungen teilnehmen, müssen vorher feststellen, dass die Schaffung der verlangten abgerüsteten Zonen vom militärischen Standpunkte aus kein einseitiges Opfer seitens der beteiligten Vertragschliessenden erfordert.

Artikel 10.

Die vertragschliessenden Teile kommen überein, dass die Gesamtkosten einer jeden Militär-, Marine- oder Luftschiffahrtsoperation, die in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des vorliegenden Vertrages und den defensiven Zusatzabkommen unternommen wird, die Wiedergutmachung aller durch die Operationen verursachten materiellen Schäden inbegriffen, von dem angreifenden Staat bis zu seiner äussersten finanziellen Leistungsfähigkeit getragen werden müssen.

Die Summen, welche der angreifende Staat laut den Verfügungen des vorliegenden Vertrages zu zahlen hat, werden in dem vom Eat festgesetzten Mass für das Guthaben und die Einkünfte dieses

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Staates eine Hypothek ersten Banges darstellen. Die Ainortisierung des Kapitals und die Verzinsung jeder äusseren Anleihe, welche der angreifende Staat im Verlauf des Krieges direkt oder indirekt auf sich genommen hat, wird bis zur völligen Bezahlung der Kosten und Wiedergutmachungssummen aufgeschoben werden.

Artikel 11.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich in Anbetracht der Sicherheiten, die ihnen der vorliegende Vertrag gewährt und der Beschränkungen, auf welche sie in andern internationalen Verträgen eingegangen sind, den Bat des Völkerbundes von den Herabsetzungen und Beschränkungen der Büstungen, welche ihrer Ansicht nach im Verhältnis zu der durch den allgemeinen Vertrag oder durch die defensiven Zusatzabkommen gewährten Sicherheit stehen, in Kenntnis zu setzen.

Sie verpflichten sich ferner, an der Vorbereitung eines jeden allgemeinen Planes der Büstungsbeschränkung, welcher vom Bat des Völkerbundes an der Hand der ihm durch die Vertragschliessenden mitgeteilten Auskünfte in Ausführung der Bestimmungen von Artikel VIII des Paktes vorgeschlagen werden sollte, mitzuarbeiten.

Dieser Plan wird den Begierungen zur Prüfung und Entscheidung unterbreitet und wird, nachdem er von ihnen gebilligt worden ist, die Grundlage der in Artikel 2 des Vertrages ins Auge gefassten Büstungseinschränkung bilden.

Die Vertragschliessenden verpflichten sich, diese Rüstungsbeschränkungen innert zwei Jahren nach Genehmigung des genannten Planes vorzunehmen.

Die Vertragschliessenden verpflichten sich, gemäss den Bestimmungen des vierten Absatzes von Artikel VIII des Völkerbundpaktes, ihre derart verminderten Büstungen nicht mehr ohne die Einwilligung des Bates zu verstärken.

Artikel 12.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, den militärischen oder andern Delegierten des Völkerbundes alle Auskünfte über ihre Büstungen zugehen zu lassen, welche der Bat des Völkerbundes verlangen sollte.

Artikel 13.

Die Vertragschliessenden kommen überein, dass der für einen jeden unter ihnen festgesetzte Stand der Büstungen gemäss dem vorliegenden Vertrag nach Verlauf von fünf Jahren, von dem Tage an gerechnet, an welchem der Vertrag in Kraft tritt, einer Bevision untersteht.

612

Artikel 14.

Der vorliegende Vertrag tut den Eechten und Verpflichtungen, die sich aus den Bestimmungen des Völkerbundspaktes oder der 1919 und 1920 in Versailles, Neuilly, St. Germain und Trianon geschlossenen Verträge ergeben, wie auch aus den Bestimmungen der Abkommen, die am Tage des Inkrafttretens des vorliegenden Vertrages im Völkerbund eingetragen und veröffentlicht sind, keinerlei Abbruch, was die Signatarmächte oder diejenigen, welche aus diesen Verträgen oder Abkommen Nutzen ziehen, anbelangt.

Artikel 15.

Die hohen Vertragschliessenden erklären von Anfang an die Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes für die Auslegung des vorliegenden Vertrages von Bechts wegen als obligatorisch anzuerkennen.

Artikel 16.

Der vorliegende Vertrag wird für alle Mitgliedstaaten oder diejenigen, welche im Anhang des Paktes erwähnt werden, zur Unterschrift offen bleiben.

Die Nichtmitgliedstaaten können mit Einwilligung von zwei Dritteln der Vertragschliessenden, für welche der Vertrag in Kraft getreten ist, demselben bei treten.

Artikel 17.

Jeder Staat kann mit Zustimmung des Völkerbundes den Bestimmungen des vorliegenden Vertrages bedingungs- oder teilweise beitreten, jedoch unter der Voraussetzung, dass dieser Beitritt nur dann angenommen wird, wenn der in Frage kommende Staat seine Streitkräfte gemäss den Verfügungen des vorliegenden Vertrages herabgesetzt hat, oder bereit ist, sie herabzusetzen.

Artikel 18.

Der vorliegende Vertrag wird ratifiziert werden, und die Eatifikationsurkunden werden so bald als möglich im Generalsekretariat des Völkerbundes niedergelegt werden.

Er wird in Kraft treten: · in Europa, wenn er von fünf Staaten, von welchen drei ständig im Bat vertreten sind, ratifiziert worden ist; in Asien, wenn er von zwei Staaten, deren einer ständig im Bat vortreten ist, ratifiziert worden ist;

613 in Nordamerika, wenn er von den Vereinigten Staaten Nordamerikas ratifiziert worden ist; in Zentralamerika und in den Antillen, wenn er von einem Staate der Antillen und von zwei Staaten Zentralamerikas ratifiziert worden ist; in Südamerika, wenn er von vier Staaten ratifiziert worden ist; in Afrika und Ozeanien, wenn er von zwei Staaten ratifiziert worden ist.

Mit Bezug auf die Vertragschliessenden, welche den Vertrag später ratifizieren werden, wird er am Tage der Niederlage der Ratifikationsurkunden in Kraft treten.

Das Generalsekretariat wird den Vertragschliessenden unverzüglich beglaubigte Abschriften von den eingelangten Ratifikationsurkunden zugehen lassen.

Es versteht sich, dass die in Artikel 2, 8, 5, 6 und 8 vorgesehenen Eechte dieses Vertrages erst dann für jeden Vertragschliessenden in Kraft treten werden, wenn der Eat bestätigt hat, dass jener vertragschliessende Teil seine Eüstungen gemäss dem vorliegenden Vertrag herabgesetzt, oder die nötigen Massnahmen getroffen hat, um die Ausführung dieser Herabsetzung in einer zweijährigen Frist zu sichern, und zwar von dem Tage an gerechnet, an dem der betreffende Vertragschliessende den Herabsetzungs- und Beschränkungsplan angenommen hat.

Artikel 19.

Der vorliegende Vertrag wird für die Dauer von 15 Jahren von seinem ersten Inkrafttreten an Geltung haben.

Nach dieser Zeit wird er von Jahr zu Jahr für die Staaten, welche ihn nicht gekündigt haben, stillschweigend verlängert werden.

Sollte jedoch einer der ständig im Eate vertretenen Staaten den vorliegenden Vertrag kündigen, so hört dieser von dem Augenblicke an zu laufen auf, an dem diese Kündigung in Kraft tritt.

Die Kündigung wird dem Generalsekretär ,des Völkerbundes angezeigt, der sie unverzüglich allen durch den vorliegenden Vertrag gebundenen Mächten bekannt macht.

Die Kündigung tritt zwölf Monate nach dem Tage, an welchem sie dem Generalsekretär des Völkerbundes angezeigt worden ist, in Kraft.

Wenn, in Anwendung von Artikel 5 des vorliegenden Vertrages vorgenommene Operationen in dem Zeitpunkt im Gange sind, in dem die in dem ersten Absatz des vorliegenden Artikels erwähnte Periode von fünfzehn Jahren abgelaufen ist oder aber in dem Zeitpunkt, in dem eine Kündigung unter den oben erwähnten Bedingungen gemacht wird, so wird der Vertrag für alle Vertragschliessenden bis zur völligen Wiederherstellung des Friedens in Kraft bleiben.

Bunclesblatt.

75. Jahrg.

Bd. III.

45

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b) Resolutionen über weitere Fragen.

II. Die Versammlung nimmt mit grosser Befriedigung davon Kenntnis, dass die Mitgliedstaaten des Völkerbundes mit wenigen Ausnahmen im Laufe der letzten drei Jahre ihre Rüstungsausgaben herabsetzen konnten und wünscht, dass diese glückliche Entwicklung fortschreiten und sich verallgemeinern möge; indem sie sich auf die Resolutionen der vorangehenden Versammlungen über die Beschränkung der Rüstungsausgaben bezieht, bittet sie den Rat, den Mitgliedern des Völkerbundes anzuempfehlen, während der Periode der Ausarbeitung und Annahme eines allgemeinen Planes für die Beschränkung der Rüstungen ihre im laufenden Finanzjahre vorgesehenen Gesamtausgaben für Heer-, Marine- und Luftrüstungen nicht zu überschreiten.

Es müsste indessen Rechnung getragen werden a. den Truppen-, Kriegsmaterial- oder Geldbeständen, deren Verwendung von dem Rat zwecks Ausführung der in Art kel XVI des Paktes vorgesehenen Verbindlichkeiten anempfohlen würde : fe. jeglicher, dem Rat zu Kenntnis gebrachten und von ihm als solche anerkannten aussergewöhnlichen Lage.

III. Die Versammlung billigt die von dem Rat gefassten Resolutionen über die Veröffentlichung eines Jahrbuches statistischer Auskünfte über nationale Rüstungen; sie empfiehlt, dass das Sekretariat bei der Vorbereitung dieses Werkes die im Berichte der Gemischten Temporären Kommission gemachten Empfehlungen berücksichtigen möge.

IV«. Die Versammlung empfiehlt dem Rat, die Gemischte Temporäre Kommission aufzufordern, ein oder mehrere Konvontionsprojekte auszuarbeiten, welche die Konvention von St. Germain über die Kontrolle des Waffenhandels ersetzen sollen.

Die Gemischte Temporäre Kommission soll aufgefordert werden, das oder die Projekte in solcher Weise zu fassen, dass sie von den Regierungen aller Länder, die Waffen und Kriegsrnunition herstellen, angenommen werden können.

Die Gemischte Temporäre Kommission soll inzwischen ein oder mehrere Konventionsprojekte vorbereiten, die von einzelnen Mächten, welche Waffen und Munition herstellen, angenommen werden können, selbst wenn andere Mächte sich weigern sollten, solchen Abmachungen beizutreten.

Die Versammlung empfiehlt dem Rat, die Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika aufzufordern, Vertreter zu er-

615 nennen, die mit der Gemischten Temporären Kommission an der Vorbereitung des Konventionsprojektes oder der Projekte zusammenarbeiten werden.

IVb. Die Versammlung empfiehlt dem Bat, die Gemischte Temporäre Kommission aufzufordern, das von ihr ausgearbeitete Kontrollsystem der privaten Herstellung von Waffen und Munition zwecks Prüfung an das Wirtschaftskomitee zu verweisen; auch soll die Kommission zusammen mit dem Wirtschaftskomitee aufgefordert ·werden, einen hierauf bezüglichen Konventionsentwurf vorzubereiten.

Die Versammlung empfiehlt dem Eat, sobald er im Besitz des Berichtes der Gemischten Temporären Kommission über den Handel und die private Herstellung von Waffen gelangt, die Einberufung einer internationalen Konferenz zur Vorbereitung von Konventionsentwürfen über diese Frage zu prüfen.

V. Die Versammlung sieht mit Interesse dem Bericht des Spezialkomitees über die wahrscheinlichen Wirkungen chemischer Entdeckungen in zukünftigen Kriegen entgegen; sie bittet den Bat und die Gemischte Temporäre Kommission von neuem, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln diesem Berichte die grösstmögliche öffentliche Verbreitung zu geben.

VI. Indem die Versammlung die XV. Besolution der dritten Versammlung über die Beschränkung der Rüstungen in Erinnerung ruft, bittet sie den Bat, die Gemischte Temporäre Kommission aufzufordern, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, gleichzeitig mit dem allgemeinen Plan einer Herabsetzung der Büstungen den Abschluss regionaler Abkommen mit demselben Zweck anzuempfehlen, die den Begierungen der sich in besondern geographischen Verhältnissen befindenden Mitgliedstaaten des Völkerbundes zur Prüfung und Beschlussnahme vorgelegt und auch den dem Völkerbund nicht angehörenden Staaten mitgeteilt würden.

Diese Abkommensprojekte könnten gegebenenfalls eine weitergehende Herabsetzung der Büstungen als der allgemeine Plan vorsehen.

VII. Die Gemischte Temporäre Kommission wird aufgefordert, die von ihr unternommene Arbeit noch ein Jahr weiter fortzusetzen und ihren Bericht baldmöglichst vor der nächsten Zusammenkunft der Versammlung vorzulegen.

Die Versammlung ist der Meinung, dass es von nun an dem Bat obliegt, ein unmittelbares Zusammenarbeiten mit den Begierungen

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zustande zu bringen, welches den allgemeinen Plan der Herabsetzung oder Begrenzung der Eüstungen vorbereiten sollte, der laut Artikel VIII des Völkerbundsvertrages den Eegierungen zwecks Prüfung und Beschlussfassung unterbreitet werden soll.

Angesichts der Möglichkeit, dass das Mandat der Gemischten Temporären Kommission anlässlich der nächsten Versammlung zu Ende sein könnte, bittet die Versammlung den Rat, die Arbeiten der Gemischten Temporären Kommission und die der Ständigen Beratenden Kommission zu koordinieren.

Nach Prüfung des Beschlusses der zweiten Versammlung hinsichtlich der Sektion für Abrüstung des Generalsekretariates und mit Eücksicht auf die Wichtigkeit dieser Organisation ist die Versammlung der Meinung, dass das Generalsekretariat aufgefordert werden sollte, sowie die Verhältnisse es gestatten, die von der zweiten Versammlung als notwendig erachtete Spezialleitung dieser Sektion wieder einzusetzen.

(Eesolutionen und Wünsche vom 29. September 1923.)

617 Beilage

III.

III. Technische Organisationen des Völkerbundes und Tätigkeit des Bundes auf sozialem und humanitärem Gebiete.

1. Die Arbeit der Organisation für die Verkehrswege und den Durchgangsverkehr.

Nachdem sie Kenntnis genommen hat von dem ihr durch die beratende fachmännische Kommission für die Verkehrswege und den Durchgangsverkehr unterbreiteten Bericht über die Tätigkeit der Organisation für die Verkehrswege und den Durchgangsverkehr zwischen der Dritten und Vierten Versammlung spricht die Versammlung ihre Befriedigung über die von dieser Organisation im genannten Zeiträume unternommenen Bemühungen und über die geleistete Arbeit aus, und zwar sowohl was die Vorbereitung der vier Kommissionsentwürfe betrifft, die der zweiten Allgemeinen Konferenz der Organisation, welche am 15. November zusammentritt und an der, wie Versammlung und Bat hoffen, alle anerkannten Staaten teilnehmen werden, vorgelegt werden sollen, wie auch in bezug auf die Ausarbeitung der zahlreichen Eesolutionen, die alle Transportarten umfassen, auf welche die Versammlung die Aufmerksamkeit des Eates und der beteiligten Eegierungen lenkt; die Versammlung nimmt mit Befriedigung Kenntnis von dem durchaus günstigen Ergebnis, das die erste praktische Anwendung des technischen Vergleichsverfahrens für Staatenstreitigkeiten über Verkehrsfragen gezeitigt hat; sie zählt darauf, dass diese in den Eesolutionen der Ersten Versammlung für die Eegelung von Streitigkeiten über die Anwendung der Friedensverträge und auch in den Bestimmungen verschiedener späterer internationaler Übereinkommen vorgesehene Verfahren künftig die ihm zugewiesene Eolle ebenso wirksam erfüllen wird.

Die Versammlung vermerkt unter den von der beratenden fachmännischen Kommission ausgeführten Arbeiten mehr praktischen Charakter insbesondere die gemäss den Eesolutionen der vorhergehenden Versammlung unternommene Enquete über die Durchführung derjenigen Beschlüsse der Konferenz von Genua, die sich auf die Wiederherstellung und Verbesserung der Verkehrsmittel in Europa beziehen; sie ernnert an die Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission auf Grund dieser Enquete gelangt ist, wonach die durch den Krieg notwendig gewordenen Bestrebungen, das Transportwesen wieder aufzurichten, für das westliche Europa

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als gelungen betrachtet werden können, da sie im grossen und ganzen zur Wiederherstellung einer normalen Lage geführt haben; was Zentral- und Osteuropa betrifft, so haben die Ausführung der von der Genueser Konferenz und von den vorangegangenen internationalen Konferenzen vorgesehenen Massnahmen und die Anstrengungen der Eegierungen im allgemeinen zu einer bemerkenswerten Verbesserung geführt, und zwar sowohl was die materielle Wiederherstellung der Transportmittel, als auch was die im internationalen Verkehr gewährten Erleichterungen betrifft, wobei jedoch darauf hinzuweisen ist, dass die Verwirklichung der noch anzustrebenden wichtigen Fortschritte von Paktoren abhängen, deren Bedeutung weit über das Gebiet des Transportwesens hinausreicht, so namentlich vom Problem der Kursstabilisierung und von dem der Kreditgewährung.

In der Erwägung, dass die beratende Kommission in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung durch die nächste allgemeine Konferenz zu erneuern sein wird, spricht ihr die Versammlung den wärmsten Dank für das vollbrachte Werk aus und gibt ihrem Vertrauen Ausdruck, dass die nächste Kommission dieses Werk unter Beobachtung derselben Methoden und von demselben Geiste beseelt fortsetzen wird.

(Resolutionen vom 22. September 1928.)

2. Die Arbeit der Wirtschafts- und Finanzkommission.

I. Überzeugt von der grossen Bedeutung, die den Problemen der Doppelbesteuerung und der Kapitalflucht zukommt, dankt die Versammlung dem Finanzkomitee, den Vertretern der Wirtschaftswissenschaft und den Sachverständigen der Regierungen, die diese Fragen studiert haben, für ihre Arbeit und kann nur wünschen, dass ihre Untersuchungen innert kurzer Zeit erlauben mögen, zu einer Einigung über gewisse allgemeine Grundsätze zu gelangen.

II. Die Versammlung spricht dem Finanzkomitee für die von ihm unternommenen oder fortgesetzten Arbeiten zur Wiederherstellung gewisser Länder Europas ihre Anerkennung aus. Sie gibt ihrem Vertrauen darüber Ausdruck, dass die technischen Gutachten und die Ratschläge des Komitees wie bisher den Staaten zur Verfügung gestellt werden können, die darum einkommen, so wie es für Albanien, Österreich, die Freie Stadt Danzig und für das Problem der griechischen Flüchtlinge der Fall gewesen ist.

III. Da die Versammlung sich darüber Rechenschaft gibt, von welchem Vorteil und welcher Dringlichkeit es ist, durch ein internationales Abkommen eine allgemeinere Anerkennung der Gültigkeit der Schiedsklausel und des Vergleichsverfahrens zu sichern,

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die dazu führen sollen, Streitigketten, die sich aus Verträgen und insbesondere aus Handelsverträgen zwischen Personen, die der Gerichtsbarkeit verschiedener Staaten unterstehen, durch Schiedsspruch beizulegen; da die Versammlung ferner die grosse Bedeutung kennt, die die Handelskreise der raschen Eegelung dieser Frage beimessen; indem sie in Erwägung zieht, dass das hier beigefügte Protokoll, das ihr die zweite Kommission vorgelegt hat, von demjenigen; das den Mitgliedern des Völkerbundes durch Zirkularschreiben Nr. 56 vom 26. Mai 1928 mitgeteilt wurde, nur in einigen redaktionellen Einzelheiten abweicht und keine grundsätzliche Änderungen bringt, so beschliesst sie, das genannte Protokoll den Staaten sofort zur Unterschrift aufzulegen, indem sie den Wunsch ausspricht, dass möglichst viele Staaten in kürzester Frist demselben bei'treten mögen.

IV. Die Versammlung hebt hervor, wie wichtig die am 25. Oktober in Genf beginnende Konferenz über Zollformalitäten für die Herstellung normaler Handelsbeziehungen ist und erkennt an, dass die Verwirklichung der von dieser Konferenz ins Auge gefassten Ziele einen Schritt vorwärts in der gerechteren Eegelung des Handels der verschiedenen Staaten bedeuten würde; sie spricht also die Hoffnung aus, dass möglichst viele Staaten sich bei der Konferenz vertreten lassen werden, und dass diese mit einem Abkommen zwischen den teilnehmenden Staaten wird abschliessen können.

V. Die Versammlung gibt ihrer Befriedigung darüber Ausdruck, konstatieren zu können, dass es dem Wirtschaftskomitee gelungen ist, Leitsätze für die von den Mitgliedern des Völkerbundes zu treffenden Massnahmen aufzustellen mit Bezug auf die Behandlung von Ausländern und ausländischen Unternehmungen, welchen erlaubt ist, sich auf dem Gebiet eines andern Staates niederzulassen oder daselbst Handel oder Industrie zu betreiben. Sie billigt die Initiative des Eats, den Staaten die Anwendung dieser Prinzipien anzuempfehlen, sowohl für die Anpassung ihrer nationalen Gesetzgebung wie auch für den Abschluss zweiseitiger Abkommen.

VI. Die Versammlung erkennt mit Genugtuung die getroffenen Massnahmen an, welche bezwecken, durch ein internationales Übereinkommen die Anwendung befriedigenderer Bestimmungen für die Unterdrückung des unlautern Wettbewerbes zu erzielen. Sie nimmt Kenntnis von den Schlussfolgerungen,
zu denen das Finanzkomitee in bezug auf den Schutz der Konsumenten gegen Waren ohne wirklichen Wert gelangt ist.

Sie nimmt ebenfalls den von verschiedenen Delegationen ausgedrückten Wunsch, dass nicht nur der Produzent gegen den un-

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lautern Wettbewerb, sondern auch der Konsument gegen deu uulautern Handel geschützt werde, zur Kenntnis. Indem sie sich darüber Bechenschaf t gibt, dass die in Frage kommende Unterdrückung auf nationalem .Boden unternommen werden inuss, so wünscht sie nichtsdestoweniger, dass das Wirtschaftskomitee die Möglichkeit einer internationalen Aktion zum Schütze des Konsumenten ins Auge fasst.

VII. Die Versammlung nimmt die Beschlüsse des Wirtschaftskomitees mit Bezug auf die Vereinheitlichung des Wechselrechts zur Kenntnis; sie konstatiert die in der Vereinheitlichung der Methoden der Wirtschaftsstatistik gemachten neuen Fortschritte.

VIII. Die Versammlung überweist dem Wirtschaftskomitee zur aufmerksamen Prüfung die Vorschläge Seiner Exzellenz Dr.

Adatcis, unter Vorbehalt der Küstenfahrt, welche der zweiten Konferenz für die Verkehrswege und den Durchgangsverkehr, wenn sie es für notwendig erachtet, zur Prüfung zusteht.

IX. Die Versammlung nimmt von den von der Wirtschafts- und Finanzorganisation getroffenen ersten Massnahmen für ein Zusammenarbeiten mit dem internationalen Arbeitsamt in bezug auf die finanziellen und wirtschaftlichen Aussichten, welche die Krisis der Arbeitslosigkeit eröffnet, Kenntnis. Sie nimmt ebenfalls Kenntnis davon, dass das Wirtschaftskomitee sich entschlossen hat, seine Untersuchungen auf das gesamte Gebiet der gegenwärtigen Wirtschaftskrisis auszudehnen, da die Arbeitslosigkeit nur eine Folgeerscheinung derselben ist.

X. Die Versammlung verfolgt mit Befriedigung die Entwicklung der Veröffentlichungen der Wirtschafts- und Finanzorganisation.

Sie schätzt die Nützlichkeit dieser Dokumentierung, welche in dio ernsten Währungs-, Budget- und Wirtschaftsprobleme von heute etwas Licht zu bringen verheisst.

XI. Die Versammlung nimmt mit Genugtuung Kenntnis von dem am 10. September gefassten Beschluss des Eates, welcher das Mandat der Finanz- und Wirtschaftskommission bis auf weiteres erneuert.

Indem die Versammlung sich auf die anerkennenswerten Eesultate stützt, welche diese Organisation bereits erzielt hat, gibt sit?

ihrem Vertrauen darauf Ausdruck, dass dieselbe auch in Zukunft fruchtbare und erfolgreiche Arbeit leisten wird.

(Eesolutionen vom 24. September 1923.)

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3. Der finanzielle Wiederaufbau Österreichs.

Nach Kenntnisnahme des Berichtes der Wirtschafts- und Finanzorganisationen über das Werk der Wiederaufrichtung Österreichs, sowie des allgemeinen Berichtes des Eates an die Versammlung, welcher die in, den Monatsberichten des Generalkommissärs enthaltenen Mitteilungen zusammenfasst, 1. nimmt die Versammlung mit grosser Befriedigung den Erfolg des wirtschaftlichen Wiederaufbauwerkes, des bedeutendsten, das seit dem Kriege unternommen wurde, zur Kenntnis.

Sie stellt fest, dass einzig und allein ein Programm, das sich auf die internationale Zusammenarbeit, wie sie der Völkerbund geschaffen hat, stützen konnte, die Möglichkeit geschaffen hat, dieses Ergebnis zu erzielen, und zwar dank der Prüfung der Frage nach allen Seiten hin und der Festsetzung aller technischen Einzelheiten durch die Sachverständigen des Völkerbundes, dank auch der durch einen hohen Beamten des Völkerbundes ausgeübten Oberaufsicht.

2. Die Versammlung stellt die bemerkenswerte Wirkung des wiederhergestellten Vertrauens fest; der Kurs hat sich durch die Bückkehr der österreichischen Kapitalien stabilisiert; die Spareinlagen haben sich beträchtlich vermehrt ; das wirtschaftliche Leben des Landes baut sich auf gesunder und stabilerer Grundlage auf.

3. Die Versammlung stellt mit Befriedigung fest, bis zu welchem Grad die technischen Organisationen und die übrigen Einrichtungen des Völkerbundes sich der erfolgreichen Anpassung an ein so grosses und verwickeltes Unternehmen fähig erwiesen haben. Sie nimmt zur Kenntnis, dass durch die uneigennützigen Bemühungen derer, welche in den technischen Organisât onen an dem Werk mithalfen, die aus der Anwendung des Planes sich ergebenden Kosten auf ein Minimum herabgesetzt werden.

4. Die Versammlung stellt ferner fest, dass die in Österreich bereits durchgeführten und noch zu erwartenden Beformen zusammen mit den vermehrten Einkünften zur Annahme berechtigen, dass das im vorigen Jahr eingeleitete Werk von einem vollen Erfolg gekrönt sein wird; sie bemerkt, dass besonders die Steigerung der als Pfand für die Anleihen dienenden Einnahmen erhoffen lässt, dass es nicht notwendig sein wird, die Garantie der Mächte anzurufen, welche mit ihrem Kredit den Österreichs unterstützt haben.

5. Die Versammlung wünscht der österreichischen Begierung ihre Anerkennung auszusprechen für die Energie, mit welcher sie die Beform unternommen und für den Mut, mit dem das österreichische

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Volk die notwendigen Opfer auf sich genommen und so in wertvoller Weise zum wirtschaftlichen Wiederaufbau der Welt beigetragen hat; sie beglückwünscht es zu dem raschen Fortschritte in der Wiederherstellung des Landes und gibt der Hoffnung Ausdruck, dass Österreich ohne Unterlass die Verwaltungsreformen fortführen wird, die noch nötig sind, um Handel und Wandel des Landes auf eine wirtschaftliche und finanzielle Grundlage zu stellen, die andauernd stabil bleibt, um Österreich durch eigene Kraft zur Blüte zu führen und seine Unabhängigkeit zu sichern.

Die Versammlung wünscht ebenfalls dem Generalkommissär, Herrn Dr. Zimmermann, dessen Kompetenz, Unparteilichkeit und Aufopferung für Österreich eine grosse Hilfe gewesen ist, ihre hohe Anerkennung für sein ausserordentliches Werk auszusprechen.

Ebenso dankt sie dem Sekretariat des Völkerbundes, den technischen Organisationen, insbesondere dem Finanzkomitee, für ihre Arbeit, ebenso allen denen, welche den zahlreichen Ländern zum Gelingen der. finanziellen Operationen beigetragen haben.

(Eesolutionen vom 12. September 1928.)

l. Die Arbeit der Hygiene-Organisation.

I. Die Versammlung unterschreibt vorbehaltlos die Schlussfolgerungen des Berichtes, der ihr von der zweiten Kommission vorgelegt wurde, sowohl was die Anerkennung der Tätigkeit der Hygiene-Organisation des Völkerbundes im verflossenen Jahre betrifft, als auch in bezug auf die Vorschläge für die kommenden Arbeiten.

Die Versammlung genehmigt namentlich don Beschluss des Eates, das Hygiene-Komitee zu ermächtigen, den Vorschlag der Niederlande betreffend Schiffsinspektion zu prüfen; sie billigt den Vorschlag der zweiten Kommission, die Frage, wie die Ergebnisse der Arbeiten über die Vereinheitlichung der Sera von den Eegierungen in die Tat umgesetzt werden könnten, dem Hygiene-Komitee zur erneuten Prüfung zuzuweisen. Das Hygiene-Komitee wird, wie dies von der Dritten Versammlung vorgesehen wurde, wenn nötig die andern technischen Organisationen des Völkerbundes heranziehen und dem Eat das Ergebnis seiner Arbeiten unterbreiten.

II. Mit Eücksicht darauf, dass die Einsetzung einer einzigen internationalen Hygiene-Organisation, so begrüssenswert sie wäre, unter den obwaltenden Umständen nicht erreichbar ist, betont die Versammlung die Wichtigkeit, in der Behandlung für Hygieneträgen Doppelspurigkeiten zu vermeiden, wie sie sich aus dem Vorhandensein zweier verschiedener Organisationen ergeben könnte,

623 und dass es infolgedessen ratsam ist, zwischen der Hygiene-Organisation des Völkerbundes und dem internationalen Hygiene-Amt enge Beziehungen herzustellen, indem die Hygiene-Organisation des Völkerbundes auf ähnlichen Grundlagen aufzubauen ist wie die übrigen technischen Organisationen; in Anbetracht der von der.Dritten Versammlung am 15. September 1923 gefassten Resolution, wonach vor Zusammentritt der Vierten Versammlung auf den Grundlagen und gemäss den Grundsätzen, die von der Ersten Versammlung für die technischen Organisationen des Völkerbundes angenommen worden waren, zur Vorbereitung der Bildung einer Ständigen Hygiene-Organisation geschritten werden könne, die mit den Punktionen betraut werden solle, welche von der Ersten und Zweiten Versammlung umschrieben worden sind, und wonach die Vierte Versammlung ihre Zustimmung hierzu erteilen solle; angesichts der Arbeiten der Gemischten Spezialkommission des internationalen Hygiene-Amtes und des Hygiene-Komitees des Völkerbundes ; in Anbetracht dessen, dass der Eat den von der genannten Kommission redigierten Vorschlag gutgeheissen und verfügt hat, dass er der Versammlung vorgelegt werde, beschliesst die Versammlung, den von der Gemischten Kommission vorgelegten Entwurf über die Hygiene-Organisation des. Völkerbundes zu genehmigen und ersucht den Eat, die für die Durchführung dieses Abkommens nötigen Massnahmen zu treffen; sie lenkt die Aufmerksamkeit des Eates auf den im Bericht der zweiten Kommission an die Vierte Versammlung eingenommenen Standpunkt.

III. Die Versammlung hält es für wünschenswert, dass alle der Ständigen Mandatskommission eingebrachten hygienischen Berichte dem Hygiene-Komitee des Völkerbundes mitgeteilt werden, damit dieses der Ständigen Mandatskommission gegebenenfalls seine Empfehlungen zur Kenntnis bringen kann.

(Eesolutionen vom 15. September 1923.)

5. Die Arbeit der Epidemienkommission.

Nachdem die Versammlung Kenntnis genommen hat vom Bericht des Herrn Dr. Norman White und von dem des Generalsekretärs des Völkerbundes, mit denen in Beantwortung des Gesuches des Eates vom 31. August 1923 um Abgabe eines Gutachtens

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dem Bat die Prüfungsergebnisse des Hygiene-Komitees mitgeteilt wurden, gibt sie ihrer Hochachtung für das Werk der Epidemienkommission Ausdruck und schliesst sich mit ihrer Anerkennung und Bewunderung derjenigen der Völker an, die zu retten oder zu wahren die Kommission beigetragen hat; sie ist sich bewusst, dass dieses Werk, das bisher und zu einer besonders beängstigenden Zeit des grössten Elendes durch freiwillige Gaben gespeist wurde, aus Mangel an Geldmitteln unterbrochen werden könnte, wenn die Verminderung der Epidemiengefahr dazu führen könnte, Zuwendungen zu verringern, so das» die Beschaffung dringender Hilfe bei neuen Epidemienausbrüchen verunmöglicht würde; sie spricht den Wunsch aus, der Bat möge gegebenenfalls iit Erwägung ziehen, welche Mittel der Hygiene-Organisation des Völkerbundes zur Verfügung gestellt werden könnten, um ihr zu ermöglichen, durch ihre Kommissäre sofort einzugreifen im Fall» plötzlicher ernster Epidemienausbrüche, die politische Folgen nach sich ziehen könnten.

,_ .

· _, (Besolutionen vom 29. September 1928.)

6. Frauen- uiid Kinderhände!.

I. Die Versammlung unterschreibt die von dem Bat auf den Bericht der beratenden Kommission für die Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels hin gefassten Beschlüsse und getroffenen Hassnahmen und spricht dem von der beratenden Kommission und dem Bäte vollbrachten Werk ihre hohe Anerkennung aus.

II. Da die Aufmerksamkeit der Versammlung auf die Verhältnisse, unter welchen Frauen in öffentlichen Häusern angeblich angestellt werden, gelenkt worden ist, empfiehlt sie, dass der. Bat die beratende Kommission für die Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels ersucht, zu prüfen, ob es nicht ratsam wäre, die Aufmerksamkeit derjenigen Staaten, in welchen noch das System der offiziellen Kontrolle besteht, auf diese Frage zu lenken und diese letzteren aufzufordern, Erhebungen einzuleiten und besondere Verfügungen zu treffen, um den Schutz der in öffentlichen Häusern angestellten Frauen sicherzustellen und ihre völlige Freiheit zu garantieren.

III. Die Versammlung legt besondere Betonung auf die Empfehlung der beratenden Kommission über die Anstellung von Frauen bei der Sittenpolizei.

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IV. Die Versammlung nimmt Kenntnis von den Bemerkungen -der beratenden Kommission bezüglich der Unterzeichnung und Batifizierung der Konvention von 1921. Sie drückt ihr Bedauern aus, dass bis jetzt nur eine so geringe Anzahl von Staaten diese Konvention ratifiziert hat, und sie empfiehlt dem Eat, die Staaten, welche der Konvention noch nicht beigetreten sind oder dieselbe nicht ratifiziert haben, aufzufordern, den Völkerbund über die Gründe, welche sie daran verhinderten, zu unterrichten.

V. Die Versammlung hält die Erhebungen der Sachverständigen, von welchen bereits die Eede gewesen ist, für durchaus wichtig; sie hofft ernstlich, dass die beteiligten Eegierungen den Sachverständigen alle Erleichterungen gewähren werden bei den Nachforschungen, welche sie an Ort und Stelle auszuführen für notwendig ·erachten sollten.

VI. Die Versammlung glaubt zu wissen, dass die erneuten Bestimmungen der internationalen Konvention über den Frauen- und Kinderhandel zarzeit in gewissen unter Mandat stehenden, von Mitgliedern des Völkerbundes verwalteten Gebieten in Anwendung gebracht werden. Sie empfiehlt dem Eat, die ständige Mandatskommission um Prüfung dieser Frage zu bitten.

(Eesolutionen und Wünsche vom 15. September 1923.)

7. Handel mit Opium und anderen Betäubungsmitteln.

I. Die Versammlung drückt ihre lebhafte Anerkennung für die von der beratenden Opiumkommission ausgeführten bedeutenden Arbeiten aus, sie genehmigt den Bericht und die Beschlüsse dieser Kommission, indem sie von den darin enthaltenen Vorbehalten Vormerk nimmt ; sie bittet den Eat, die notwendigen Massnahmen zur Ausführung dieser Beschlüsse zu treffen.

II. Da die Türkei sich durch den Vertrag von Lausanne verpflichtet hat, die internationale Opiumkonvention von 1912 anzunehmen und in Kraft treten zu lassen, und da die Türkei bei der Produktion von Opium eine so wichtige Eolle spielt, so drückt die Versammlung den Wunsch aus, dass die türkische Eegierung aufgefordert werde, sobald sie die Konvention ratifiziert und das Protokoll der Inkrafttretung von 1914 unterzeichnet hat, einen Vertreter für die boratende Kommission zu ernennen.

III. Die Versammlung bittet den Eat, sich von neuem an die Eegierungen der folgenden Länder mit der Bitte zu wenden, alle nur möglichen Massnahmen zu einer prompten Eatifizierung und

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Inkrafttretung der Opiumkonvention treffen zu wollen: Albanien, Argentinien, Kolumbien, Costa-Bica, Litauen, Paraguay, Persien und die Schweiz.

IV. Die Versammlung, welche mit Bedauern feststellt, das*« eine gewisse Anzahl Länder das von der Versammlung 1921 und 1922 anempfohlene System der Einfuhrzeugnisse noch nicht angenommen hat, wiederholt die von der Versammlung 1922 ausgedrückte Meinung, dass dieses System das praktischste der bisher vorgeschlagenen Mittel für die Kontrolle des Handels mit Betäubungsmitteln gernäss den Bestimmungen der internationalen Opiumkonvention darstellt und dass der Erfolg dieses Systems davon abhängig ist, dass alle Länder, die sich mit Ein- oder Ausfuhr von Betäubungsmitteln aligeben, es annehmen; und in Anbetracht der grossen Schwierigkeit, welche dadurch hervorgerufen wird, dass mehrere wichtige Länder das System bis .'etzt noch nicht angenommen haben, verlangt dio Versammlung, dass die beratende Kommission beauftragt werde, das Studium des in der zweiten von der Versammlung 1922 angenommenen Besolution enthaltenen Vorschlages weiter fortzusetzen und der nächsten Versammlung über die ganze Lage einen besondorn Bericht vorzulegen.

V. Die Versammlung billigt den Vorschlag der beratenden Kommission, wonach die beteiligten Begierungen aufgefordert werden sollen, sich sofort untereinander in Verbindung zu setzen zum Zwecke des Abschlusses eines Übereinkommens über die Massnahmen, die die erfolgreiche Durchführung im fernen Osten der Bestimmungen des Teiles II der Konvention über die Quantitätsverminderung von zu Bauchzwecken eingeführton Eohopium in Territorien, wo sein Gebrauch vorübergehend geduldet wird, ermöglichen sollen, und über die Massnahmen, die die Begierung der chinesischen Bepublik zu'treffen hat, um zur Unterdrückung der unerlaubten Produktion und des unerlaubten Genusses von Opium in China zu gelangen; sie bittet überdies den Bat, diese Begierung aufzufordern, Vertreter mit den nötigen Vollmachten an eine Konferenz zu entsenden, die zu diesem Zwecke abgehalten werden soll, und dem Bat innert kürzester Frist Bericht zu erstatten.

VI. Nachdem die Versammlung mit Befriedigung konstatiert hat, dass, in Übereinstimmung mit dem Wunsche, der in der vierten von der Versammlung 1922 angenommenen Besolution zum Ausdruck kommt, die beratende Kommission bekanntgegeben hat, dass die augenblicklich zur Verfügung stehenden Auskünfte den beteiligten Begierungen gestatten, zwecks Abschlusses eines Übereinkommens

627 die Prüfung der Quantitätsbeschränkung von Morphium, Heroin und Cocain nebst ihren resp. Salzen, welche fabrikmässig hergestellt werden, der Quantitätsbeschränkung von Rohopium und Kokablättern, welche zu diesem Zweck oder für den medizinischen und wissenschaftlichen Gebrauch eingeführt werden könnten, und schliesslich der Beschränkung in der für die Ausfuhr bestimmte Produktion von Rphopium und Kokablättern bis auf die für den medizinischen und wissenschaftlichen Gebrauch notwendigen Mengen vorzunehmen, bittet sie den Bat, um die von den Delegierten der Vereinigten Staaten von Amerika aufgestellten Prinzipien in die Tat umzusetzen und die von der beratenden Kommission anempfohlenen Richtlinien, wie sie vom Völkerbund angenommen wurden, auch weiterhin einzuhalten, die interessierte Regierung aufzufordern, bevollmächtigte Vertreter zu einer Konferenz zu entsenden, welche, wenn irgend möglich, zu diesem Zweck sofort nach der in der Resolution V erwähnten Konferenz abgehalten werden wird.

Die Versammlung bittet gleichfalls den Rat, zu prüfen, ob es nicht angezeigt erscheine, die Einladung zu dieser Konferenz auf alle Länder, die Mitglieder des Völkerbundes oder Teilnehmer an der Konvention von 1912 sind, auszudehnen, um ihren Beitritt zu den Prinzipien zu erlangen, von denen sich die gegebenenfalls abzuschliessenden Übereinkommen leiten lassen könnten.

(Resolution vom 27. September 1923.)

8. Die Arbeiten des Oberkommissärs für die Flüchtlinge.

a. Russische Flüchtlinge; b. bulgarische, aus Westthrazien verschleppte Bevölkerung. Î. Die Versammlung, welche vom dem Bericht des Oberkommissärs des Völkerbundes für die Flüchtlinge über die von ihm im Laufe des letzten Jahres ausgeführten Arbeiten Kenntnis genommen hat, billigt denselben und spricht ihre Zufriedenheit über die Art und Weise aus, in welcher der Oberkommissär die ihm anvertrauten Funktionen verrichtet hat. Sie wünscht hervorzuheben, wie sehr sie die den Flüchtlingen und dem Völkerbund erwiesenen Dienste zu würdigen weiss.

2. Da jedoch die Arbeiten des Oberkommissärs noch nicht beendet sind und es im Interesse der Flüchtlinge und der beteiligten Regierungen notwendig ist, dass der Oberkommissär seine Tätigkeit fortsetzt, so fordert die Versammlung den Oberkommissär auf, in seinem Werk, unter Anwendung derselben Methoden, die er bisher benützt hat, fortzufahren, ganz besonders was Hilfe und Beistand anbelangt.

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3. In der Erwägung, dass die augenblickliche Lage der russischen Flüchtlinge, obgleich sie sich bedeutend gebessert hat, noch immer eine schwierige ist, und dass die Einstellung der Arbeit seitens des Oberkommissärs die zugunsten der Flüchtlinge bereits verwirklichten Fortschritte nichtig machen würde, fordert die Versammlung ferner den Bat auf, die Begierungen der Mitglieder des Völkerbundes zu bitten, den Oberkommissär auch weiter zu unterstützen und ihm wie bisher za helfen, besonders was die Entwicklung der allgemeinen und professionellen Erziehungsmittel und die Arbeitsbeschaffung für die Flüchtlinge betrifft.

c. Flüchtlinge des nahen Ostens. Nachdem die Versammlung mit lebhaftem Interesse von dem Berichte des Oberkommissärs für die Flüchtlinge über das Werk Kenntnis genommen hat, welches er mit so viel Erfolg zugunsten der Flüchtlinge von Kleinasien ausgeführt hat, insbesondere über die Ausführung eines Projektes, das auf ihre definitive Ansiedlung in Griechenland hinzielt, wünscht sie ihm für die ausserordentlichen Dienste, welche er dem Völkerbund und den Flüchtlingen geleistet hat, ihre Dankbarkeit auszusprechen.

Sie ist der Ansicht, dass Dr. Nansens Mitarbeit auch weiterhin an dem zugunsten der Flüchtlinge bereits unternommenen Werke wünschenswert ist und fordert den Oberkommissär auf, die Arbeit der andern Organisationen, welche sich ebenfalls mit Flüchtlingen abgeben, zu koordinieren.

(Besolutionen vom 27. September 1923.)

9. Schutz der Frauen und Kinder im nahen Osten.

Die Versammlung billigt die Berichte von Dr. Kennedy und Fräulein Karen Jeppe. Sie spricht den schon erlangten Besultaten ihre Anerkennung aus und empfiehlt, dass der Völkerbund das Werk des Frauen- und Kinderschutzes im nahen Osten weiterhin fortsetzen solle (Besolution vom 27. September 1923.)

10. Reiseerleichterungen für Studenten-, Pfadfinderund Pfadfinderinnengruppen.

Da die Versammlung es für wichtig erachtet, die Beziehungen unter den Jüngern Generationen verschiedener Länder zu fördern, so fordert sie die Begierungen der Mitgliedstaaten des Völkerbundes auf, alle möglichen Erleichterungen für Beisen zu Land und zu Wasser zu gewähren, und zwar:

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a. Studentengruppen der Hochschulen und höhern Lehranstalten ; b. Pfadfinder- und Pfadfinderinnengruppen, welche einem eingetragenen Verband aller Mitgliedstaaten angehören, falls solche Gruppen aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates oder durch das Gebiet eines andern Mitgliedstaates reisen.

(Eesolutionen vom 28. September 1923.)

11. Internationale Hilfsorganisation zugunsten der Ton Katastrophen getroffenen Tölker.

Die Versammlung nimmt mit lebhaftem Interesse Kenntnis von dem Bericht des Generalsekretärs, sowie von den Vorschlägen des Kates über das Projekt des Präsidenten des italienischen Boten Kreuzes, Senator Ciraolo, und billigt die darin enthaltenen erhabenen Prinzipien menschlicher Solidarität und internationaler Zusammengehörigkeit.

Sie ermächtigt den Bat, den Generalsekretär zu beauftragen: 1. diese beiden Dokumente samt den von den Botkreuzorganisationen eventuell eingereichten Bemerkungen den Begierungen mitzuteilen und dieselben zu bitten, ihre diesbezüglichen Kommentare dem Sekretariat zukommen zu lassen; 2. den Bat von Zeit zu Zeit von den Antworten der Begierungen auf dem laufenden zu halten, damit er auf Grund dieser Antworten der Versammlung alle ihm angebrachten Vorschläge vorlegen kann.

(Besolution vom 27. September 1923.)

12. Die Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit.

Resolution I. Die Versammlung, welche den Wunsch hegt, der Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit eine grössere Autorität zu verleihen, indem sie ihr zu gleicher Zeit die verschiedenen intellektuellen Methoden und nationalen Kulturen zusichert, nimmt mit Befriedigung die vom Bat in seiner Sitzung vom 23. April 1923 ausgedrückte Absicht zur Kenntnis, der Kommission, sobald eine Vakanz eintreten sollte, einen Professor der Universität Wien als Vertreter der germanischen Kultur beizugesellen; sie nimmt gleichfalls die begründeten Anträge der rumänischen, serbisch-kroatisch-slowenischen und tschechoslowakischen, wie auch diejenigen der amerikanischen und spanisch-sprechenden Delegierten, der asiatischen, der irländischen und finnländischen Delegierten zur Kenntnis, und Bundesblatt. 75. Jahrg. Bd. III.

46,

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bittet den Bat, zu prüfen, ob es nicht möglich wäre, die Zahi der Kommissionsmitglieder zu verstärken und gleichzeitig ein System des Personenwechsels einzusetzen.

Besolution II. In der Erwägung, dass es von Wichtigkeit ist, den intellektuellen Verkehr unter den Nationen anzuregen und zu erleichtern und dem vom Bat angenommenen Beschluss beitretend, a. drückt die Versammlung die Hoffnung aus, dass die Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit, indem sie aus der Mitwirkung der Delegierten nationaler Kommissionen Nutzen zieht, im Verlauf ihrer nächsten Tagung Antrieb zu einer neuen Tätigkeit in dem dringenden Werk des gegenseitigen intellektuellen Verkehrs geben wird; b. ist sie der Meinung, dass in den Ländern, in denen die intellektuelle Kooperation auf bestimmten Gebieten und in verschiedener Art bereits organisiert worden ist, ebenfalls nationale Kommissionen geschaffen werden müssen; c. bittet die Versammlung den Bat, die Mitglieder des Völkerbundes aufzufordern, diese nationalen Kommissionen, wenn sie es noch nicht getan haben, moralisch und finanziell unterstützen zu wollen und die Kommissionen zur Organisation der geistigen Arbeit zu bevollmächtigen, von jeder Institution und von jeder Privatperson, die sich für ihre Bestrebungen interessiert, Beiträge für dieses Werk annehmen zu dürfen; d. fordert sie die Kommission auf, in der unternommenen Untersuchung über den Zustand des intellektuellen Lebens fortzufahren und sie das Besultat wissen zu lassen.

Resolution III. Die Versammlung, welche die Erklärungen der Kommission und ihres Präsidenten, dass es ihr unmöglich ist, ihre Arbeiten ohne die Gründung eines internationalen Bureaus für Universitätsnachrichten fortzusetzen, zur Kenntnis nimmt, ermächtigt die Kommission, ihr Sekretariat in ein internationale?, Bureau für Universitätsnachrichten umzugestalten.

Dieses Bureau könnte seine Tätigkeit in folgender Weise beginnen : a. indem es den zuständigen Behörden und besonders den nationalen Ämtern die von der Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit gebilligten Wünsche zur Kenntnisnahme übermittelt ; b. indem es die ihr übermittelten Nachrichten, besonders die der nationalen Ämter für Universitätsauskünfte, falls solche

631 bestehen, über die in den verschiedenen Ländern anerkannte Gleichbewertung der Studien und Diplome, über die Programme der verschiedenen Universitäten und besonders über die Vorlesungen über moderne Nationen, Sprachen, moderne Literatur und Kultur sowie über Ferienkurse, veröffentlicht; c. indem es eine Zusammenkunft der Universitätsunterkommission und der Delegierten internationaler Studentenvereine vorbereitet, um im Einvernehmen mit ihren Universitäten Mittel und Wege zur Entwicklung des Studentenaustausches zu suchen ; d. indem es sich mit allen Organisationen der verschiedenen Länder in Verbindung setzt, die geneigt sind, den Austausch von Professoren auszudehnen.

Resolution IV. Da die Versammlung und die Kommission überzeugt sind, dass die internationale bibliographische Organisation die Gelehrten der verschiedenen Länder einander näherbringt und gleichzeitig ihre Forschungen erleichtert: a. so fordert sie die Kommission auf, den Index Bibliographicus, dessen Plan sie entworfen hat, zu veröffentlichen und ihre Studien über bibliographische Organisation zwischen den in den verschiedenen Ländern eingerichteten Bibliotheken oder Gruppen von Bibliotheken, sowie über die Verwertung der Arbeiten des internationalen bibliographischen Instituts von Brüssel fortzusetzen; b. sie ermächtigt die Kommission, sofort die notwendigen Schritte einzuleiten, um die technischen Konferenzen, welche beauftragt sind, die Arbeiten der analytischen Bibliographie für bestimmte Wissenschaften zu koordinieren, zusammenzubringen c. und bittet den Bat im Einvernehmen mit der Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit, eine Sachverständigenkonferenz einzuberufen, welche die eventuelle Bevision eleiinternati onalen Konventionen über den Austausch von Büchern, Zeitschriften, Katalogen, Denkschriften und Thesen vorbereiten würde.

Resolution V. Die Versammlung, welche von dem Unglück, welches das Universitätszentrum und die Bibliotheken der Hauptstadt Japans betroffen hat, schmerzlich bewegt ist, fordert die Kommission auf, zu prüfen, ob es nicht möglich ist, durch eine gegenseitige Hilfe die Wiederherstellung der in Japan zerstörten literarischen Sammlungen zu erleichtern.

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Resolution VI. Indem die Versammlung dem Prinzip des Entwurfs des Herrn Senators Euffini über den Schutz des wissenschaftlichen Eigentums zustimmt und die darüber gefasste Resolution des Eates in Betracht zieht, beschliesst sie, dieses Projekt allen Eegierungen mit der Bitte zu übersenden, dem Sekretariat des Völkerbundes ihre Bemerkungen mitteilen zu wollen, damit die Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit eventuell ein endgültiges Konventionsprojekt aufsetzen kann, welches auf die Tagesordnung der fünften Versammlung gesetzt und darauf allen Staaten zur Unterschrift und Eatifizierung vorgelegt werden kann.

Resolution VII. Die Versammlung konstatiert mit Befriedigung, dass die Kommission sieh für die internationalen Probleme über Kunst und Künstler interessiert hat und ermächtigt dieselbe, sich mit den städtischen Behörden von Capri, welche die Karthause von Capri den Künstlern der verschiedenen Länder zur Verfügung stellt in Verbindung zu treten, um nach Untersuchung feststellen zu können, ob man dem Eat die Annahme dieses Anerbietens vorschlagen soll.

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', V Resolution VIII. Die Versammlung bittet die Mitgliedstaaten angelegentlich, Massnahmen zu treffen, um die Kinder und die Jugend in ihren Ländern, da, wo dieser Unterricht noch nicht eingesetzt ist, mit dem Bestreben und den Zwecken des Völkerbundes iind den Verfügungen seines Paktes bekanntzumachen.

Resolution IX. Nach Kenntnisnahme der Vorschläge der spanischen Eegierung über die Gleichbewertung gewisser Diplome des sekundären Unterrichtes in allen Staaten, über die Gründung einer internationalen Universität und die Einsetzung eines höhern Lehrwesens in allen Mitgliedstaaten, dessen Diplome in einem jeden dieser Staaten für gültig anerkannt werden, und nach gebührender Würdigung dieser so wichtigen Vorschläge und ohne dem Wesen der Frage vorgreifen zu wollen, beschliesst die Versammlung, den Eat zu bitten, dass er diese Vorschläge an die Kommission zur Organisation der geistigen Arbeit verweise ; sie beauftrage, über dieselben einen Bericht zu erstatten, welcher der fünften Versammlung vorgelegt werden soll.

(Eesolutionen vom 27. September 1923.)

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Beilage IV.

IV. Budget und Finanzen.

1. Finanzielle Fragen.

I. Gemäss Artikel 38 des Eeglements über die Finanzgebarung des Völkerbundes genehmigt die Völkerbundsversammlung die geprüften Kechnungen über Ausgaben und Einnahmen des vierten Finanzjahres, das mit dem 31. Dezember 1922 endet.

II. Gemäss Artikel 17 des Eeglements genehmigt die Versammlung für das Eechnungsjahr 1924 das allgemeine Budget des Völkerbundes des Sekretariats und der besondernVölkerbundsorganisationen, das Budget des Internationalen Arbeitsamtes und das Budget des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, die einschliesslich der Ergänzungskredite einen Gesamtbetrag von Fr. 23,328,686. 41 ergeben, und bestimmt, dass die vorgenannten Budgets im Journal Officiel zu veröffentlichen sind.

III. Die Versammlung nimmt die ihr von der Kontrollkommission zur Prüfung unterbreiteten verschiedenen Berichte an, insofern dieselben von der vierten Kommission genehmigt worden sind.

IV. Die Versammlung nimmt die als Ergänzung des Berichtes der vierten Kommission angeführten Abänderungen zu der Verordnung über die finanzielle Verwaltung des Völkerbundes an.

V. Die Versammlung nimmt die Schlussfolgerungen des Berichtes der vierten Kommission an.

(Eesolutionen vom 28. September 1923.)

2. Unbezahlte Beiträge.

Die Versammlung billigt die Vorschläge der vierten Kommission, die Frage der unbezahlten Beiträge für die bis zum 81. Dezember abgelaufenen Bechnungsjahre betreffend, und ordnet an, dass die Kechnungen des Völkerbundes demgemäss abgeändert werden.

(Besolution vom 26. September 1923.)

3. Das südamerikanische Bureau.

Nachdem die Versammlung von dem zufriedenstellenden Ergebnis der während des verflossenen Jahres vom südamerikanischen Bureau vollbrachten Arbeit Kenntnis genommen hat und anerkennt,

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dass die Entwicklung dieses Bureaus ein wirksames Mittel ist, um die notwendige Verbindung zwischen den Begleitungen und den Zentralorganisationen des Völkerbundes zu verstärken, beschliesst sie, den Generalsekretär zu beauftragen, ein Reorganisationsprqjekt für dieses Bureau vorzubereiten und ihn zu bitten, dasselbe den Mitgliedstaaten zu gebührender Zeit vorzulegen, damit die fünfte Versammlung, wenn die Verhältnisse es gestatten, hierüber eine Entscheidung treffen könne.

(Resolution vom 28. September 1923.)

4. Die Kosten des Lebens in Genf. Gehälter und Pensionen.

I. Die Versammlung genehmigt im allgemeinen den Bericht der vierten Kommission über die Kosten des Lebens in Genf, Gehälter und Pensionen.

II. Die Versammlung beschliesst, den veränderlichen Teil der Gehälter aller festangestellten, internationalen Beamten des Völkerbundssekretariates und des Internationalen Arbeitsamtes auf 20 % festzusetzen.

III. Die Versammlung beschliesst, dass der veränderliche Teil der Gehälter von allen in der Eesolution II erwähnten Beamten im Jahre 1924 um 13 % heruntergesetzt wird.

IV. Die Versammlung beschliesst, dass die Gehälter des Generalsekretärs, des Direktors des Internationalen Arbeitsamtes und aller höhern, mit festem Gehalt angestellten Beamten, die sich damit einverstanden erklärt haben, daäs ein Teil ihres Gehaltes als veränderlich betrachtet werden soll, von nun an aus zwei Teilen bestehen sollen, einem unveränderlichen und einem veränderlichen, welcher sich auf 10 % ihres gegenwärtigen Gehaltes beläuft.

V. Die Versammlung beschliesst, dass der veränderliche Teil der Gehälter der in der Besolutioii IV erwähnten Beamten im Jahre 1924 um 13 % herabgesetzt werden soll.

VI. Die Versammlung beschliesst, dass die Gehälter des an Ort und Stelle engagierten Personals gemtiss den in Paragraph 20 des Berichtes der vierten Kommission enthaltenen Vorschlägen herabgesetzt werden sollen.

VII. Die Versammlung beschliesst die Gründung einer obligatorischen Pensionskasse für die Beamten des Sekretariats und des Internationalen Arbeitsamtes. Sie beauftragt die Kontrollkommission, ein endgültiges, ausführliches Reglement aufzusetzen, das den

635 im Bericht der vierten Kommission enthaltenen Vorschlägen entspricht. Sie beschliesst, dass die sich für das Völkerbundbudget daraus ergebenden Verpflichtungen nicht 50 % der gesamten Gehälter der Beamten übersteigen sollen, welche laut dem von der Kontrollkommission gebilligten und im obengenannten Bericht der vierten Kommission erwähnten Projekt pensionsberechtigt sind.

(Eesolutionen vom 28. September 1923.)

5. Die Verteilung der Kosten des Völkerbundes.

I. Da die Versammlung erwägt, dass es nicht möglich ist, eine endgültige Verteilungstabelle für die Verteilung der Kosten des Völkerbundes für das Finanzjahr 1924 festzusetzen, dass die für das Finanzjahr 1923 angenommene Verteilungstabelle einstimmig als ein gerechteres und billigeres Verteilungssystem für die Kosten des Völkerbundes als dasjenige des Weltpostvereins anerkannt worden ist, · so genehmigt sie für 1924 die Anwendung einer auf das System von 1923 basierten Verteilungstabelle und beschliesst, dass die durch den Beitritt neuer Mitglieder freigewordenen Einheiten unter diejenigen Mitglieder zu verteilen sind, die die Belastung der bestehenden "Verteilung besonders schwer empfinden. Diese Verteilung hat die Kommission zur Neuordnung der Kostenverteilung vorzunehmen.

Die Versammlung ersucht den Bat, die Kommission zur Neuordnung der Kostenverteilung aufzufordern, unter Vorsitz von Herrn Reveillaud ihre Untersuchungen fortzusetzen, um eine endgültige Verteilungstabelle aufzustellen, die einer zukünftigen Versammlung vorgelegt werden kann. Die Versammlung überlässt es dem Rat, die Zusammensetzung der Kommission zu ändern, wenn er es für angebracht hält.

II. Die Versammlung bittet den Rat, diejenigen Mitglieder, welche noch nicht die erste von der Versammlung 1921 beschlossene Abänderung zu Artikel VI des Paktes ratifiziert haben, aufzufordern, dies so schnell wie möglich zu tun.

III. Geleitet vom Bewusstsein der internationalen Zusammengehörigkeit und vom Wunsche beseelt, ihr tiefes Mitgefühl mit Japan zur Zeit einer beispiellosen Katastrophe zum Ausdrucke zu bringen und Japans Beitrag zum Völkerbund, soweit es die finanzielle Lage des Völkerbundes gestattet, herabzusetzen.

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beschliesst die Versammlung, die Zahl der laut der vorläufigen Verteilungstabelle für 1924 Japan zugewiesenen Einheiten auf 61 herabzusetzen. Die übrigen Mitglieder des Völkerbundes nehmen die sich aus dieser Herabsetzung ergebenden Mehrausgaben im Verhältnis zu den ihnen zugeteilten Einheiten auf sich.

(Eesolutionen vom 28. September 1923.)

Verteilungstabelle für 1924.

Aethiopien 2 Albanien l Argentinien (35) Australien 26 Belgien 20--5= 15 Bolivien 5 Brasilien 35 Bulgarien 7 Kanada 35 Chile 15 China 65 Columbia . . . . : . . . . 7 Costa-Bica 'l Cuba 9 Dänemark 12 Estland 5--2= 3 Finnland 10 Frankreich . . . .95--17= 78 Griechenland 10 Grossbritannien . . 95--7= 88 Guatemala l Haiti. ' 2 Honduras l Indien 65 Irland 10 Italien 73--12= 61 Japan 73--12= 61 Lettland 5--2= 8

Liberia l Litauen 5--1= 4 Luxemburg l Neuseeland 10 Nicaragua l Niederlande 20 Norwegen 11 Österreich l Panama -l Paraguay l Persien 10--4= 6 Peru 10 Polen 25 Portugal 10 Eumänien. . . . . . 40--9= 31 Salvador l Schweden 18 Schweiz 15 Der serbisch-kroatisch-slowenische S t a a t . . . 35--9= 26 Siam 10 Spanien 40 Südafrika 15 Tschechoslowakei 35 Ungarn 4 Uruguay 7 Venezuela 5 932

Die fünf Einheiten, die aus dem Beitritt neuer Mitglieder, nämlich Irlands und Abessiniens, herrühren, werden durch die Kommission zur Neuordnung der Kostenverteilung gemäss den Bestimmungen der obigen Besolution verteilt werden.

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6. Errichtung eines Konferenzsaales auf dein von Kanton und Stadt Genf dem Völkerbund geschenkten Grundstück.

Da die vierte Versammlung in Erwägung gezogen hat, dass das dem Völkerbund von Kanton und Stadt Genf so freigebig geschenkte Grundstück so bald wie möglich für den Zweck verwendet werden soll, für welchen es bestimmt ist, d. h. für die Errichtung eines Konferenzsaales, da sie ferner anerkennt, dass die Benützung des Eeformationssaales und des Kursaales mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist, da sie jedoch in Betracht zieht, dass die finanzielle Lage des Völkerbundes neue, weitgehende Ausgaben augenblicklich nicht gestattet und die Frage der Errichtung eines Konferenzsaales auf die Versammlung von 1924 vertagen muss, so ersucht sie den Bat, die Vorbereitungsarbeiten gemäss dem Bericht der vierten Kommission fortzusetzen.

(Eesolution vom 26. September 1923.)

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die vierte Session der Völkerbundsversammlung. (Vom 17. Dezember 1923.)

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1923

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53

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1802

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26.12.1923

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565-637

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