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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die 37. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (Vom 29. November 1955)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir erstatten Ihnen hiemit Bericht über die 37. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

I. Einleitung 1. Allgemeines und Zusammensetzung der schweizerischen Delegation Die Internationale Arbeitskonferenz hielt ihre 37. Tagung vom .2. bis 24. Juni 1954 in Genf ab. Daran nahmen 66 Mitgliedstaaten (von insgesamt 69) mit 654 Delegierten und technischen Ratgebern teil. Die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken trat als Mitglied der Vereinigten Nationen der Internationalen Arbeitsorganisation auf Grund von Artikel l, Absatz 3; der Verfassung wiederum bei; gleiohermassen erklärten die Ukraine und Weissrussland ihren Beitritt.

Den Vorsitz der Konferenz führte der Chef der französischen Delegation und frühere Ministerpräsident, Herr Paul Eamadier.

Die schweizerische Delegation setzte sich, wie in den vorausgehenden Jahren, folgendermassen zusammen: E e g i e r u n g s v e r t r e t e r Herr Dr. William Eappard, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Genf und Direktor des Institut universitaire de hautes études internationales, und Herr Fürsprech Max Kaufmann, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit ; Ersatzdelegierter Herr Dr. Arnold Saxer, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung; Arbeitg e b e r v e r t r e t e r Herr Charles Kuntschen (Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen); A r b e i t n e h m e r v e r t r e t e r Herr Jean Möri (Schweizerischer Gewerkschaftsbund).,Dazu kamen einige technische Berater.

Bundesblatt. 107. Jahrg. Bd. II.

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1302 2. Tagesordnung der Konferenz Die Tagesordnung der Konferenz umfasste folgende Gegenstände: 1. Bericht des Generaldirektors; 2. Finanz- und Budgetfragen; 3. Mitteilungen .und Berichte über die Anwendung der "Übereinkommen und Empfehlungen ; 4. Die berufliche Wiedereingliederung der körperlich Behinderten (erste Beratung) ; 5. Die Wanderarbeiter in unentwickelten Ländern (erste Beratung); 6. Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch (erste Beratung) ; 7. Der. bezahlte Urlaub (zweite Beratung) ; 8. Erneuerung des Verwaltungsrates des Internationalen Arbeitsamtes.

II. Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz Vorbemerkung Die folgenden Abschnitte l bis 3 betreffen Gegenstände der Tagesordnung, welche die Konferenz jedes Jahr'beschäftigen. Die weiteren Abschnitte dagegen beziehen sich auf Sachfragen, mit denen sich die Konferenz befasste, um sie durch Übereinkommen oder Empfehlungen zu regeln. Aus diesen Beratungen ging eine Empfehlung betreffend den bezahlten Urlaub hervor, mit der sich der III. Teil unseres Berichtes näher befasst und deren Wortlaut im Anhang abgedruckt ist.

1. Bericht des Generaldirektors

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Wie alljährlich gab der Direktor des Internationalen Arbeitsamtes in seinem Bericht an die Konferenz einen allgemeinen Überblick über die weltwirtschaftliche Lage und die aktuellen Fragen der internationalen Sozialpolitik. In den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellte er diesmal das Problem der Arbeiterwohnungen.

Mehr als 120 Eedner nahmen an der Aussprache über den Bericht des Generaldirektors teil, wovon gegen 20 Arbeitsminister aus aller Welt. Ausser dem genannten Hauptgegenstand wurde wie üblich auch manches weitere zur Sprache gebracht, so Fragen der Wirtschaftspolitik, des Arbeitsmarktes, der Arbeitslosenversicherung, der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, des Wanderungswesens, der technischen Hilfe an wirtschaftlich unentwickelte Länder und anderes mehr.

2. Finanz- und Budgetfragen Das von der Konferenz angenommene Ausgabenbudget der Internationalen Arbeitsorganisation für das Jahr 1955 beläuft sich auf 6 990 913 Dollars (1954: 6556887 Dollars). Der erhöhte Finanzbedarf gegenüber dem Vorjahr ist vor

1303 allem auf die erweiterten Aufgaben der Organisation und dje vermehrten Personalausgaben zurückzuführen. Der Beitrag der Schweiz beträgt wiederum 1,81 Prozent der Budgetsumme und erreicht 112251 Dollars (1954: 104318 DoUars).

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3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen ,

Die Mitgliedstaaten sind auf Grund der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation gehalten, dem Internationalen Arbeitsamt alljährlich Bericht zu erstatten über die Durchführung der von ihnen ratifizierten Übereinkommen; aber auch bezüglich der Gesetzgebung und Praxis eines Staates auf Gebieten, die Gegenstand von nicht-ratifizierten Übereinkommen und von Empfehlungen sind, besteht eine gewisse Mitteilungspflicht. Die vorgeschriebenen jährlichen Berichte der Mitgliedstaaten werden zunächst von einer besondern Expertenkommission geprüft, die einige Monate vor Beginn der Internationalen Arbeitskonferenz tagt, so dass die Konferenz vom Befund der Kommission Kenntnis nehmen kann. Eine weitere Prüfung wird hierauf von einer an der Konferenz selbst eingesetzten Kommission vorgenommen.

Bis zum Zeitpunkt, da die 37. Tagung zu Ende ging, hatte die Internationale Arbeitskonferenz insgesamt 103 Übereinkommen und 98 Empfehlungen aufgestellt. Im Jahre 1953 schuldeten die Mitgliedstaaten; entsprechend den oben genannten Bestimmungen 1266 Berichte. Davon gingen fristgerecht nur rund 20 Prozent ein. Bis gegen Schluss der Tagung hatte sich diese Ziffer in bezug auf die Berichte über die ratifizierten Übereinkommen auf nahezu 90 Prozent erhöht, doch konnten viele Berichte wegen verspäteten Eintreffens nicht mehr gründlich geprüft werden. Aber auch inhaltlich gab die Berichterstattung wiederum öfters zu Beanstandungen Anlass. Ebenso wird die wesentliche Vorschrift, wonach die von der Konferenz aufgestellten Übereinkommen und Empfehlungen den massgebenden Stellen vorzulegen sind, vielfach nicht eingehalten. . . ' : Obgleich somit auf diesem Gebiete gegenüber den Vorjahren gewisse Fortschritte erzielt worden sind, konnte das Ergebnis noch nicht befriedigen. Die Konferenz erinnerte deshalb die Mitgliedstaaten erneut an die in Betracht stehenden, in der Verfassung der Organisation festgelegten Verpflichtungen.

4. Die berufliche Wiedereingliederung der körperlich Behinderten Die berufliche Wiedereingliederung der körperlich Behinderten bildet ein vielschichtiges Problem, dem zunehmende Beachtung geschenkt wird. Dessen Zusammenhänge mit der Sozialversicherung liegen deutlich zutage. In der Tat ist die blosse Entrichtung von Invalidenrenten sowohl vom Standpunkt der Invaliden selber, als auch von dem der Allgemeinheit
unbefriedigend. Statt dessen gilt es vielmehr, den körperlich Behinderten möglichst rasch zu einer ihren Fähigkeiten entsprechenden beruflichen Tätigkeit zu verhelfen.

1304 Es lag nahe, dass sich die Internationale Arbeitsorganisation mit dieser Frage ebenfalls befasste. Angesichts der vielfältigen Methoden, die in den verschiedenen Ländern zur Anwendung gelangen, handelte es sich vor allem darum, ein systematisches Programm der beruflichen Eingliederung aufzustellen und die wesentlichen Punkte eines solchen Programmes zu bestimmen.

Aus der ersten Beratung dieses Traktandums ging der Entwurf einer Empfehlung hervor. Auch nahm die Konferenz eine Eesolution an über die Eingliederung körperlich behinderter Bergwerksarbeiter. Weiterhin beschloss sie einstimmig, die Frage der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung körperlich Behinderter abschliessend an der Tagung von 1955 zu behandeln.

Über die Empfehlung, die an dieser Tagung aufgestellt wurde, werden wir uns in unserem nächstjährigen Bericht äussern.

5. Die Wanderarbeiter in unentwickelten Ländern Die Art von Wanderungen, um die es sich hier handelt, ist eine typische Erscheinung unentwickelter, auf dem Wege der Industrialisierung befindlicher Länder, in denen die Arbeiter nach neuen, günstigeren Arbeitsverhältnissen Umschau halten. Diese Wanderungen haben oft den Charakter von Verschiebungen ganzer Bevölkerungsteile innerhalb des betreffenden Landes. Die Konferenz beschloss, zum Schutze solcher Wanderarbeiter besondere Bestimmungen in Gestalt einer Empfehlung aufzustellen und die Frage zur abschliessenden Behandlung auf ihre diesjährige Tagesordnung zu setzen. Über die Empfehlung, die aus den Beratungen von 1955 hervorgegangen ist, wird unser Bericht über die 38. Tagung das Nähere enthalten.

6. Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch

Die Internationale Arbeitskonferenz hat 1939 ein Übereinkommen über die Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch durch eingeborene Arbeitnehmer angenommen, über das wir Sie in unserem Bericht vom 14. Januar 1941 über die 25.Tagung unterrichtet haben (BEI 1941, 24ff.). Die Konferenz von 1954 nahm die Frage von neuem auf und arbeitete den Entwurf einer Empfehlung aus, die das genannte Übereinkommen ergänzen sollte. Sie kam zum Schluss, dass Strafvorschriften dieser Art gänzlich und unverzüglich oder, sofern dies nicht möglich ist, fortschreitend und innerhalb einer bestimmten Frist abgeschafft werden sollten. In einer Eesolution äusserte die Konferenz die Meinung, es sollte dies spätestens binnen Jahresfrist nach Annahme der Eesolution geschehen.

Auch dieser Gegenstand wurde entsprechend dem Beschlüsse der Konferenz an der Tagung von 1955 abschliessend behandelt. Das Ergebnis war ein Übereinkommen, über das wir uns in unserem nächstjährigen Bericht äussern werden.

1305 7. Der bezahlte Urlaub

Über dieses Traktandum hatte an der Tagung von 1953 'eine erste Beratung stattgefunden (siehe unsern Bericht vom 26. November 1954, BB1 1954, II, 1103/1104). An der Tagung, über die wir berichten, nahm'die Konferenz mit 146 gegen 11 Stimmen und bei 39 Enthaltungen - auch die schweizerischen Eegierungsdelegierten enthielten sich der Stimme - eine ' -- Empfehlung (Nr. 98) betreffend den bezahlten Urlaub an.

In einer Eesolution ersuchte sodann die Konferenz den Verwaltungsrat, die Frage des bezahlten Urlaubs erneut auf die Tagesordnung einer der nächsten Konferenzen zusetzen zum Zwecke der Revision des aus dem Jahre 1936 stammenden Übereinkommens über diesen Gegenstand. Ausserdem genehmigte die Konferenz eine Eesolution über die Verwendung des bezahlten Urlaubs, worin verschiedene Anregungen gemacht werden, die der bestmöglichen Nutzbarmachung der Urlaubszeit dienen sollen.

8. Erneuerung des Verwaltungsrates des Internationalen Arbeitsamtes

Die alle drei Jahre stattfindende Erneuerung des Verwaltungsrates vollzog sich 1954 auf Grund der neuen Verfassungsbestimmung, die am 20. April 1954 in Kraft getreten war (siehe Botschaft vom 14. September 1953 betreffend die Genehmigung der Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, BEI 1953, III, 132 ff., und Bericht vom 26. November 1954 über die 36.Tagung, BEI 1954, II, 1105 ff.). Der Verwaltungsrat setzt sich danach zurzeit aus 40 Personen zusammen, von denen 20 die Eegierungen und je 10 die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer vertreten. Von den 20 Begierungssitzen entfallen 10 «ständige» Sitze auf'die Mitgliedstaaten, denen die «grösste wirtschaftliche Bedeutung» zukommt. Es sind dies zurzeit: Kanada, China, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Indien, Italien, Japan, die Bundesrepublik Deutschland, Grossbritannien und die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken. Die 10 «nicht-ständigen» Eegierungssitze, die periodisch neu zu bestellen sind, wurden bei den Erneuerungswahlen von 1954 folgenden Staaten zuerkannt: Argentinien, Australien, Burma, Kolumbien, Kuba, Ägypten, Norwegen, Niederlande, Türkei und Uruguay.

Daneben waren noch 10 Mitgliedstaaten zu bezeichnen, von denen jeder das Eecht hat, ein sogenanntes «beisitzendes» Begierungsmitglied (mit denselben Befugnissen wie die 20 «ordentlichen» Begierungsmitglieder, doch ohne Stimmrecht) in den Verwaltungsrat, zu entsenden. Hier fiel die Wahl auf die folgenden Länder: Ceylon, Chile, Indonesien, Liberia, Mexiko, Portugal, Schweden^ Schweiz, Syrien, Venezuela. Die Schweiz behielt somit ihren Platz als «beisitzendes» Mitglied, den sie bei den Wahlen von 1951 erhalten hatte (siehe Bericht vom 12. Dezember 1952 über die 34. Tagung, BB1 1952, III, 825/826).

1306 9. Resolutionen Ausser den schon erwähnten Eesolutionen, die im Zusammenhang mit den Traktanden der Konferenz standen, nahm die Konferenz noch verschiedene weitere Eesolutionen an, die sich auf die technische Hilfe für unentwickelte Länder und auf die Frage der Arbeitszeitverkürzung bezogen. Was das zuletzt genannte Problem betrifft, wurde der Verwaltungsrat ersucht, den Generaldirektor mit der Ausarbeitung eines Berichtes zu beauftragen, worin die Arbeitszeitverhältnisse in den verschiedenen Ländern darzulegen und die Bückwirkungen einer Arbeitszeitverkürzung zu untersuchen wären. Anhand dieses Berichtes sollten sodann weitere Massnahmen erwogen werden, um die Frage unter Beiziehung von Vertretern der Eegierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu prüfen und so zu einer tragbaren Verkürzung der Arbeitszeit zu gelangen.

10. Konferenzreglement Die Konferenz nahm verschiedene Änderungen an ihrem Geschäftsreglement vor. Neben solchen, welche die Zusammensetzung und die Tätigkeit gewisser Kommissionen betrafen, handelte es sich vor allem um Anpassungen an die abgeänderten Bestimmungen der Verfassung.

III. Die Empfehlung betreffend den bezahlten Urlaub und die Stellungnahme der Schweiz

1. Inhalt der Empfehlung Die Mitgliedstaaten werden zunächst eingeladen, die Bestimmungen der Empfehlung anzuwenden und dem Internationalen Arbeitsamt über die zu ihrer Verwirklichung getroffenen Massnahmen zu berichten (Einleitung). Diese Bestimmungen können je nach den Gepflogenheiten der einzelnen Staaten durch Vorkehrungen öffentlicher Stellen oder durch freiwilliges Vorgehen der Beteiligten verwirklicht werden. Führen freiwillige Massnahmen nicht zum Ziele, so sollen die Eegierungen die erforderlichen verfassungsmässigen oder gesetzgeberischen Mittel ergreifen (Ziff. 1). Sodann werden bestimmte Durchführungsverfahren, die in Betracht kommen, im einzelnen aufgeführt (Ziff. 2) und der personelle Geltungsbereich der Empfehlung umschrieben; diese findet auf alle Beschäftigten Anwendung, mit Ausnahme von Seeleuten, landwirtschaftlichen Arbeitnehmern (deren Urlaub in einem Übereinkommen und einer Empfehlung von 1952 geregelt ist) und Personen in Betrieben, in denen nur Familienmitglieder des Arbeitgebers beschäftigt sind (Ziff. 3). Am wichtigsten ist die Bestimmung von Ziffer 4, wonach der Urlaub einer jeden unter die Empfehlung fallenden Person bei einer Beschäftigungszeit von zwölf Monaten mindestens zwei Arbeitswochen betragen sollte. Die Empfehlung verbreitet sich im weitern über die Zeiten, die nicht als bezahlte Urlaubstage angerechnet werden dürfen, wie Feiertage, Krankheitstage usw. (Ziff. 5), die massgebenden Umstände für die zunehmende Dauer des Urlaubs (Ziff. 6), die Einwirkung von Arbeitsunterbrechungen auf den Urlaub (Ziff. 7 und 8), den Zeitpunkt des

1307 Urlaubs (Ziff. 9) und die Dauer des Urlaubs jugendlicher Arbeitnehmer (Ziff. 10).

Von besonderer Bedeutung ist Ziffer 11, die sich auf das während des Urlaubs zahlbare Entgelt bezieht. Schliesslich enthält die Empfehlung noch Bestimmungen über die Führung von Urlaubsverzeichnissen (Ziff. 12) und die Heranziehung der mässgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bei der Vorbereitung und Durchführung der nationalen Feriengesetzgebung (Ziff. 13 und 14).

' . . · : ' l " ' : 2. Stellungnahme der Schweiz Der in der Empfehlung behandelte Gegenstand ist in der Schweiz teils öffentlich-rechtlich, teils privatrechtlich geordnet.'Ihre Ordnung ist äusserst vielgestaltig und noch stark im Flusse.

Sowohl die Gesetzgebung des Bundes als auch der Kantone kennt Bestimmungen über die Ferien. Der Bund hat sich bis heute darauf beschränkt, die Gewährung bezahlter Ferien für das Bundespersonal, das Personal der Bundesbetriebe und der vom Bund konzessionierten Verkehrsanstalten sowie für die Lehrlinge gesetzlich zu ordnen. Zu erwähnen sind auch einzelne vom Bundesrat erlassene Normalarbeitsverträge. Was die Kantone betrifft; so besitzen heute die Kantone Zürich, Schwyz, Glarus, Zug, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Land, Neuenburg und Genf eigentliche Feriengesetze, ferner die Kantone Tessin, Waadt und Wallis ein Arbeitsgesetz, worin bezahlte Ferien vorgeschrieben sind. Andere Kantone haben sich damit begnügt, in ihrer Gesetzgebung da und dort Vorschriften über Ferien für bestimmte Arbeitnehrnerkategorien vorzusehen. Daneben enthalten auch eine ganze Reihe kantonaler Normalarbeitsverträge für Hausangestellte und landwirtschaftliche Arbeitnehmer Ferienbestimmungen.

, ' Ausserdem sehen sozusagen alle die zahlreichen Gesamtarbeitsverträge Ferien vor. Ein .Teil dieser Verträge ist sogar allgemeinverbindlich erklärt worden. Auch die Einzeldienstverträge ordnen, meistens die Ferienfrage.

Was die Leistungen der Arbeitgeber anbelangt, bestehen sie hauptsächlich in der Lohnzahlung während der Ferienzeit. In gewissen Berufen besteht das System der Ferienkassen, nach welchem der Arbeitgeber bei jeder Lohnzahlung über diese hinaus einen gewissen! Prozentsatz des Lohnes '· an die Kasse entrichtet, die dann ihrerseits dem Arbeitnehmer das Feriehgeld auszahlt. In bezug auf den Zeitpunkt der Ferien ist besonders zu erwähnen,
dass die sogenannten «Betriebsferien», worunter die zeitweilige Stillegung eines ganzen Betriebes zu verstehen ist, steigende Verbreitung erfahren. In gewissen Industriezweigen ist die Entwicklung noch weiter gegangen, indem nicht nur einzelne Unternehmungen mit Eticksicht auf die Gewährung der Ferien ihren Betrieb einstellen, sondern ganze Wirtschaftszweige gleichzeitig ihren Arbeit: nehmern Ferien gewähren (Uhrenindustrie).

'' . ' Im übrigen ist zu sagen, dass sowohl die gesetzlichen als auch die vertraglichen Ferienordnungen die weiteren in der Empfehlung behandelten Punkte der Ferienfrage gleichfalls regeln, wobei diese Eegelungen je nach den Berufsverhältnissen mehr oder weniger grosse Unterschiede aufweisen.

1308 Im ganzen ist festzustellen, dass in unserem Lande in den letzten Jahren grosse Fortschritte in der Gewährung von bezahlten Ferien gemacht worden sind, ohne dass aber die Entwicklung schon als abgeschlossen zu betrachten wäre.

Die Vielfalt der Eegelungen ist weitgehend ein Spiegelbild der verschiedenen Verhältnisse und Bedürfnisse; doch darf behauptet werden, dass die Ferienordnung in der Schweiz im wesentlichen die in der Empfehlung aufgestellten Normen erreicht, ja zum Teil sogar überschritten hat. Nicht durchwegs gilt dies allerdings für die von der Empfehlung geforderte allgemeine Feriendauer von mindestens zwei Wochen, die schon nach einer Beschäftigungszeit von zwölf Monaten zu gewähren ist. Da es nicht gelang, diese Bestimmung, die nicht nur bei uns, sondern auch bei den Eegierungen anderer Mitgliedstaaten auf Bedenken stiess, zu mildern, sahen sich unsere Begierungsdelegierten veranlasst, sich bei der Schlussabstimmung der Stimme zu enthalten, zumal die Empfehlung in mancher Beziehung allzu viele Einzelheiten regeln will. Als erfreuliches Ergebnis darf dagegen vermerkt werden, dass die von unserem Land vorgeschlagene Bestimmung, wonach die vor und nach der Geburt notwendigen Arbeitsunterbrechungen nicht auf die Ferien angerechnet werden dürfen, in der Empfehlung Eingang fand. Damit ist ein unseren kantonalen Feriengesetzen entnommener Grundsatz international anerkannt worden. Ebenso ist der Vorschlag der Empfehlung, jugendlichen Personen längere Ferien zu gewähren, in diesen Gesetzen bereits berücksichtigt.

IV. Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Vorlage der Übereinkommen und Empfehlungen an die zuständige Behörde Entsprechend der durch die Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation den Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtung, die von der Internationalen Arbeitskonferenz aufgestellten Übereinkommen und Empfehlungen ein Jahr oder keinesfalls später als 18 Monate nach Schluss der Konferenz der zur Entscheidung berufenen Behörde zu unterbreiten, erstatten wir Ihnen den vorliegenden Bericht. Von dieser verlängerten Frist pflegen wir deshalb Gebrauch zu machen, weil wir jeweils zuerst die vom Internationalen Arbeitsamt in Verbindung mit den beteiligten Eegierungen besorgte deutsche Übersetzung der französisch und englisch abgefassten Originaltexte abwarten müssen.

Wir empfehlen
Ihnen, unsern Ausführungen zuzustimmen, und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 29. November 1955.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Max Petitpierre 327

Der Bundeskanzler Ch. Oser

1309 Beilage

Siebenunddreissigste Tagung der

Internationalen Arbeitskonferenz

Empfehlung Der nachfolgend abgedruckte deutsche Text bildet die in Übereinstimmung mit Artikel 42 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz angefertigte offizielle Übersetzung der französischen und englischen Urtexte.

Empfehlung (Nr. 98) betreffend den bezahlten Urlaub Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 2. Juni 1954 zu ihrer siebenunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den bezahlten Urlaub, eine Frage, die den siebenten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1954, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend den bezahlten Urlaub, 1954, bezeichnet wird.

Die Konferenz empfiehlt, dass die folgenden Bestimmungen angewendet werden und dass die Mitglieder dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die zu ihrer Verwirklichung getroffenen Massnahmen berichten.

1. (1) In Anbetracht der unterschiedlichen Gepflogenheiten in den einzelnen Staaten können die Bestimmungen dieser Empfehlung durch Massnahmen öffentlicher Stellen oder durch freiwillige Massnahmen verwirklicht werden, und zwar je nach den Gepflogenheiten des betreffenden Staates durch die Gesetzgebung, durch amtliche Verfahren zur Lohnfestsetzung, durch Gesamtarbeitsverträge oder Schiedssprüche oder auf irgendeine andere nach den innerstaatlichen Verhältnissen geeignet erscheinende Art.

(2) Bei Anwendung jedes der in Unterabsatz (1) bezeichneten Verfahren sollten die Eegierungen besonders darauf bedacht sein; alle verfassungsmässigen oder gesetzgeberischen Mittel zu ergreifen, falls freiwilliges Vorgehen, das Vorgehen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände oder Gesamtarbeitsverträge nicht zu raschen und befriedigenden Ergebnissen führen.

1310 2. In den Ländern in denen es zweckmässig erscheint, kann die zuständige Stelle unter anderem die folgenden Durchführungsverfahren in Erwägung ziehen: a. Förderung der Gewährung von bezahltem Urlaub durch Gesamtarbeitsverträge, die von den beiden am Verfahren für Kollektivverhandlungen teilnehmenden Parteien frei abgeschlossen werden, fe. Unterstützung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bei der Einführung von freiwilligen, gemeinsam durchzuführenden Verfahren oder, soweit erforderlich, Einführung eines amtlichen Verfahrens, das insbesondere für die Festsetzung des bezahlten Jahresurlaubs in einem bestimmten Beruf oder Wirtschaftszweig zuständig wäre, c. Übertragung von Befugnissen hinsichtlich des bezahlten Jahresurlaubs auf bestehende amtliche Stellen zur Lohnfestsetzung, soweit diese Stellen solche Befugnisse noch nicht besitzen, d. Zusammenstellung von ausführlichen Unterlagen betreffend die Bestimmung über den bezahlten Jahresurlaub, die zur Verfügung der Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbände zu halten sind.

3. Diese Empfehlung findet auf alle Beschäftigten Anwendung, mit Ausnahme von Seeleuten, landwirtschaftlichen Arbeitnehmern und Beschäftigten in Unternehmen oder Betrieben, in denen nur Familienmitglieder des Arbeitgebers beschäftigt sind.

4. (1) Jede unter diese Empfehlung fallende Person sollte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub haben. Die Dauer des bezahlten Jahresurlaubs sollte im Verhältnis zur Dauer der Beschäftigung bei einem oder mehreren Arbeitgebern während des betreffenden Jahres stehen und für eine Dienstzeit von zwölf Monaten mindestens zwei Arbeitswochen betragen.

(2) In jedem Lande kann die dazu berufene Stelle, wenn es ihr zweckmässig erscheint, bestimmen, a. wieviel Tage ein Arbeitnehmer gearbeitet haben sollte, um Anspruch auf den vollen bezahlten Jahresurlaub oder einen entsprechenden Teil davon zu haben, &. wie die Dienstzeit eines Arbeitnehmers während eines bestimmten Jahres zur Festlegung seines bezahlten Jahresurlaubs für das betreffende Jahr zu berechnen ist.

(3) In jedem Lande sollte es der dazu berufenen Stelle überlassen bleiben, vorzusehen, dass der Arbeitnehmer - im Falle der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vor Ablauf der Dienstzeit, die zum Erwerb des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nach den vorstehenden Unterabsätzen (1) und
(2) notwendig ist - Anspruch hat auf einen der Dienstzeit entsprechenden Teil des bezahlten Urlaubs oder statt dessen Anspruch auf Urlaubsvergütung oder ein gleichwertiges Urlaubsguthaben, je nachdem, welches Verfahren für das zweckmässigste gehalten wird.

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5. In jedem Lande sollte die dazu berufene Stelle die Tage bestimmen, die als öffentliche oder ortsübliche Feiertage, wöchentliche Buhetage, Tage der Abwesenheit von der Arbeit wegen Arbeitsunfalls oder Krankheit und Zeiten der Euhe vor und nach der Niederkunft gelten und daher nicht als bezahlte Urlaubstage im Sinne dieser Bestimmungen angerechnet werden.

6. In jedem Lande sollte es der dazu berufenen Stelle überlassen bleiben, zu bestimmen, ob die Dauer des bezahlten Jahresurlaubs mit der Dauer der Dienstzeit oder auf Grund anderer umstände verlängert werden sollte.

7. (1) Die Zeit der Arbeitsunterbrechungen, für die der Arbeitnehmer Entgelt erhält, sollte weder den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, noch dessen Dauer berühren., (2) Arbeitsunterbrechungen, die nicht die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses oder des Arbeitsvertrages zur Folge haben, sollten keinen vor der Arbeitsunterbrechung aufgelaufenen Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub berühren.

(3) In jedem Lande sollte die dazu berufene Stelle die Art und Weise festlegen, in der die Grundsätze bei Arbeitsunterbrechungen nach den Unterabsätzen (1) und (2) anzuwenden wären, soweit diese Arbeitsunterbrechungen verursacht werden durch a. Krankheit, Unfall und Zeiten der Euhe vor und nach der Niederkunft, " b. Abwesenheit infolge von Familienereignissen, c. militärische Pflichten, d. Ausübung von Staatsbürgerrechten und -pflichten, e. Erfüllung von Pflichten, die sich aus gewerkschaftlichen Aufgaben ergeben, /. Wechsel in der Betriebsleitung, .

g. zeitweilige unfreiwillige Arbeitslosigkeit.

8. Der Anspruch einer Arbeitnehmerin auf bezahlten Jahresurlaub und die Dauer eines solchen Urlaubs sollten nicht von Arbeitsunterbrechungen berührt werden, die durch Schwangerschaft oder Niederkunft hervorgerufen sind, sofern die in Betracht kommende Arbeitnehmerin ihre Beschäftigung wieder aufnimmt und ihre Abwesenheit eine bestimmte Dauer nicht übersteigt.

9. (1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten sich über die Zeit, in welcher der Urlaub zu nehmen ist, miteinander besprechen. Bei Festsetzung dieser Zeit sollte auf. persönliche Wünsche des Arbeitnehmers möglichst Rücksicht genommen werden.

(2) Der Arbeitnehmer sollte frühzeitig genug über den Beginn seines bezahlten Jahresurlaubs in Kenntnis gesetzt werden, um von seinem Urlaub
geeigneten Gebrauch machen zu können. , 10. Jugendliche Arbeitnehmer unter achtzehn Jahren: sollten einen bezahlten Jahresurlaub erhalten, der über die in Absatz 4 vorgesehene Mindestdauer hinausgeht.

11. Jede Person, die bezahlten Jahresurlaub nimmt, sollte für die ganze Urlaubsdauer mindestens erhalten

1312 a. das 'Entgelt, das durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder die innerstaatliche Gesetzgebung für eine solche Urlaubsdauer festgelegt ist, oder b. ihr gewöhnliches Entgelt, wie es durch die innerstaatliche Gesetzgebung oder nach einer anderen, den Gepflogenheiten des betreffenden Staates entsprechenden Eegelung festgesetzt ist, einschliesslich des Gegenwertes in bar für ein gegebenenfalls aus Sachleistungen bestehendes Entgelt.

12. Durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder die innerstaatliche Gesetzgebung sollte festgelegt werden, nach welchem Verfahren Urlaubsverzeichnisse zu führen sind und welche Einzelheiten darin enthalten sein sollten, soweit dies zur ordnungsmassigen Durchführung der vertraglichen, gesetzlichen oder sonstigen Bestimmungen über den bezahlten Jahresurlaub für erforderlich gehalten wird.

13. Bei der Vorbereitung der Gesetzgebung über den bezahlten Jahresurlaub sollten zwischen den massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und den zuständigen Stellen Beratungen stattfinden, die nach Art und Umfang der Gesetzgebung und der Praxis in dem betreffenden Land entsprechen.

14. Die massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten die Möglichkeit haben, auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung bei der Tätigkeit derjenigen Stellen mitzuarbeiten, die nach der innerstaatlichen Gesetzgebung mit der Festsetzung des bezahlten Jahresurlaubs oder mit der Durchführung der Bestimmungen über den bezahlten Jahresurlaub betraut sind, oder sie sollten zu Eate gezogen werden oder das Eecht haben, derart und insoweit angehört zu werden, wie es der innerstaatlichen Gesetzgebung und der Praxis in dem betreffenden Land entspricht.

Berichtigung Bericht des Bundesrates an den Nationalrat über die Nationalratswahlen für die XXXV. Legislaturperiode (vom 22. November 1955).

(BEI 1955, II, 1182) Die Bezeichnung «Liste der liberalen Partei», vierte Zeile von unten, ist durch «Liste eines überparteilichen Komitees» zu ersetzen.

Bern, den 6.Dezember 1955.

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