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Bundesratsbeschluss betreffend

die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die Damen-, Knabenkleider- und WäscheSchneidereien (Vom 30. Dezember 1954)

Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf Artikel 8, Absatz 2, des Bundesbeschlusses vom 23. Juni 1943 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen, beschliesst:

Art. l Der im Anhang wiedergegebene Gesamtarbeitsvertrag vom 19. Oktober 1954 für die Damen-, Knabenkleider-und Wäsche-Schneidereien wird allgemeinverbindlich erklärt, mit Ausnahme der besonders bezeichneten Bestimmungen *).

2 Für den Arbeitnehmer günstigere gesetzliche Vorschriften und vertragliche Abmachungen bleiben vorbehalten.

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Art. 2 Dieser Beschluss gilt für das ganze Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

2 Er findet Anwendung auf die Dienstverhältnisse zwischen Inhabern von Schneidereien, die Damen- und Knabenkleider nach Mass und Wäschestücke herstellen, sowie ihren im Atelier beschäftigten gelernten Arbeitnehmer. Ausgenommen sind: a. Änderungs- und Massateliers des Detailhandels; b. Betriebe, die einem andern allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag für das Bekleidungsgewerbe unterstehen; c. Betriebe, die dem Gesamtarbeitsvertrag vom 26. Oktober 1951 für das Schneidergewerbe im Kanton Genf unterstehen.

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) Die nicht allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen sind kursiv gedruckt.

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Art. 8 Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die den vertragschliessenden Verbänden nicht angehören, können gegen Massnahmen dieser Verbände oder der im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehenen Organe beim Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Beschwerde führen.

Art. 4 Der Beschluss tritt mit der amtlichen Veröffentlichung in Kraft und gilt bis zum 31. Dezember 1956.

Bern, den 30. Dezember 1954.

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Für den Bundespräsidenten: Etter

1940

Der Bundeskanzler: Ch. Oser

45 Anhang

Gesamtarbeitsvertrag für die

Damen-, Knabenkleider- und Wäsche-Schneidereien abgeschlossen am 19. Oktober 1954 zwischen dem Schweizerischen Frauengewerbe-Verband und dem Couture-Verband der Schweiz, einerseits, · sowie dem Verband der Bekleidungs-, Leder- und Ausrüstungsarbeiter der Schweiz, dem Schweizerischen Verband christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiter und dem Schweizerischen Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter,.

anderseits.

I. Geltungsbereich

§1 Der Gesamtarbeitsvertrag erstreckt sich auf die Betriebe der Damen-, Knabenkleider- und Wäsche-Schneidereien der Schweiz.

2 Es werden von ihm alle gelernten Arbeitskräfte erfasst.

3 Die nachstehenden Bestimmungen dieses Vertrages über das Dienstverhältnis sind als Mindestbestimmungen zu betrachten. Weitergehende, bestehende oder zukünftige gesetzliche Vorschriften werden davon nicht berührt. Ebenfalls nicht berührt werden allfällige weitergehende, bestehende oder zukünftige Einzeldienstverträge und Kollektiwerträge.

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u. Aibeits- und Buhezeit

§2 Die normale wöchentliche Arbeitszeit beträgt für die dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe 48 Stunden, für alle übrigen Betriebe 52 Stunden.

2 Pro Woche ist ein freier Halbtag zu gewähren, welcher, wenn möglich, auf den Samstagnachmittag fallen soll.

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Arbeitszeit

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Überzeit-, Sonntags?

· arbeit

§3 Die Verlängerung der Dauer der Arbeitszeit über 48 Stunden für Fabrikbetriebe und 52 Stunden für Nichtfabrikbetriebe in der Zeit zwischen 6 Uhr und 20 Uhr gilt als Überzeitarbeit. Der Weg zum und vom Atelier sowie das Umkleiden gelten nicht als Überzeitarbeit.

2 Die Arbeit vor 6 Uhr und nach 20 Uhr gilt als Nachtarbeit. Während 11 aufeinanderfolgenden Stunden, welche die Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr in sich schhessen, ist Nachtarbeit gemäss Bundesgesetz vom 31. März 1922 über die Beschäftigung jugendlicher und weiblicher Personen in den Gewerben gänzlich verboten.

3 Die Arbeit an Sonntagen zwischen 0 Uhr und 24 Uhr gilt als Sonntagsarbeit.

4 Überzeit-, Nacht- und Sonntagsarbeit ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Es sind hierfür auf dem Stundenlohn folgende Zuschläge zu bezahlen : a. für Überzeitarbeit 25%, b. für Nachtarbeit 50%,, c. für Sonntagsarbeit 100%.

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§4

Feiertage

Ferien

* Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf 4 bezahlte Feiertage pro Jahr, die mit dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse vereinbart werden.

2 Pro Feiertag werden 8 Stunden zum Stundenlohnansatz vergütet.

3 Der 1. Mai und der 1. August sind auf Wunsch des Arbeitnehmers als unbezahlte Feiertage zu gewähren.

§5 i Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlte Ferien, und zwar: im 1. bis und mit dem 2. Anstellungsjahr je 5 Tage im 3. bis und mit dem 4. Anstellungsjahr je 6 Tage im 5. bis und mit dem 9. Anstellungsjahr je 12 Tage vom 10. Anstellungsjahr an je 15 Tage 2 Ein Ferientag wird mit 8 Stunden berechnet.

3 Der Ferienanspruch kann erst nach einer Anstellungsdauer von 2 Monaten geltend gemacht werden.

4 Bei Auflösung des Anstellungsverhältnisses wird der Anspruch pro rata temporis berechnet. Bruchteile von weniger als einem halben Ferientag werden nicht berücksichtigt. Wird das Anstellungsverhältnis nicht länger als ein Jahr unterbrochen, so wird die frühere Anstellungszeit im gleichen Atelier angerechnet.

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Aussetzen infolge Arbeitsmangels gilt nicht als Unterbruch der Anstellungszeit.

6 Der Ferienantritt wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer vereinbart. Es ist dabei auf die Dringlichkeit der laufenden Arbeiten Eücksicht zu nehmen.

7 Der Ersatz von Ferien durch andere Vergünstigungen oder durch Barentschädigungen ist nicht gestattet.

8 Der bis zum Ferienbeginn aufgelaufene Lohn ist dem Arbeitnehmer am letzten Tage vor Ferienantritt auszubezahlen.

UZ. Entlohnung §6 Der Arbeitslohn richtet sich nach der Leistung und wird spätestens nach einer Probezeit von 2 Wochen festgesetzt.

2 Als Mindestlöhne, Inbegriffen Teuerungszulagen, gelten folgende Ansätze : a. Anfangsarbeiterinnen : Im 1. Halbjahr nach beendeter Lehrzeit: Fr ländliche Verhältnisse -- .90 halbstädtische Verhältnisse 1.-- städtische Verhältnisse l. 05 Im 2. Halbjahr nach beendeter Lehrzeit: ländliche Verhältnisse l. 10 halbstädtische Verhältnisse l. 25 städtische Verhältnisse . . · l. 35 b. Arbeiterinnen: Ein Jahr nach beendeter Lehrzeit : ländliche Verhältnisse l. 25 halbstädtische Verhältnisse l ..40 städtische Verhältnisse l. 50 Der Mindestlohn ist nach je einem halben Jahr beruflicher Tätigkeit als Arbeiterin um mindestens 5 Eappen zu erhöhen, bis die Lohnerhöhung insgesamt 40 Eappen erreicht. Bei Neuanstellungen sind die bisherigen Anstellungsjahre im Beruf zu berücksichtigen.

c. Für Spezialarbeiterinnen werden die Löhne von Fall zu .Fall durch Einzeldienstvertrag vereinbart. Sie müssen jedoch mindestens 10% über dem unter ht. b festgesetzten Ansatz stehen.

3 Die Einteilung der Orte in städtische, halbstädtische und ländliche Verhältnisse richtet sich nach dem Ortschaftenverzeichnis für die Übergangsrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung.

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Lohn

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Als Spezialarbeiterinnen gelten Arbeiterinnen, die seit der Lehrabschlussprüfung mindestens 3 Jahre ausschliesslich auf Tailleurs und Mäntel gearbeitet haben oder eine leitende Stellung im Betriebe versehen.

Der Arbeitnehmer hat sich darüber anhand von Zeugnissen auszuweisen.

Im Zweifelsfalle entscheidet die lokale paritätische Berufskommission darüber, ob es sich um eine Spezialarbeiterin handelt.

5 Alle Arbeiten werden im Stundenlohn ausgeführt.

6 Die Löhne von Minderleistungsfähigen sind auf Grund einzeldienstvertraglicher Abmachungen festzulegen. Der paritätischen Kommission bleibt das Hecht auf Überprüfung vorbehalten.

§7 Lohnzahlung

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Die Lohnzahlung hat mindestens alle 14 Tage innerhalb der normalen Arbeitszeit zu erfolgen.

2 Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, über die Lohnzahlungen ein Lohnbuch zu führen, das ihm vom Arbeitgeber übergeben wird. Die Kosten des Lohnbuches tragen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen.

3 Wiederholter Verzug in der Lohnzahlung berechtigt den Arbeitnehmer zur fristlosen Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen.

§8.

Standgeld

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Wird ein Standgeld vereinbart, so darf dieses höchstens den Lohnbetrag von 16 Stunden ausmachen.

2 Bei ordentlicher Kündigung sowie im Falle der Auflösung des Dienstverhältnisses aus Verschulden. des Arbeitgebers aus wichtigen Gründen ist das Standgeldmit der letztenLohnzahlung zurückzuerstatten.

IV. Versicherungen

Unfallversicherung

KrankengeldVersicherung

§9 Der Arbeitgeber hat auf seine Kosten den Arbeitnehmer gegen Betriebsunfälle zu versichern.

2 Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich auf eigene Kosten gegen Nichtbetriebsunfälle zu versichern.

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§10 Der versicherungsfähige Arbeitnehmer hat sich bei einer vom Bund anerkannten Krankenkasse für ein Taggeld von 4 Franken zu versichern.

Der Arbeitgeber bezahlt an die Prämie für diese Krankengeldversicherung die Hälfte, sofern sich der Arbeitnehmer durch Vorlegen der Quittung über die Prämienzahlung ausweisen kann.

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49 2 Durch die Beitragsleistung des Arbeitgebers ist die ihm gemäss Artikel 335 des Obligationenrechts obliegende Verpflichtung zur Lohnzahlung bei Krankheit des Arbeitnehmers abgegolten.

V. Schwarzarbeit

§11 Der Arbeitnehmer darf während der Ferien und in der Freizeit keine Berufsarbeit auf eigene Rechnung oder im Auftrage Dritter ausführen.

Ebenso ist es dem Arbeitnehmer untersagt, Modelle des Ateliers für sich oder Drittpersonen zu kopieren.

2 Die Nichteinhaltung dieser Vorschriften gilt als wichtiger Grund zur fristlosen Entlassung des Arbeitnehmers. Ausserdem geht er des Ferienanspruches beim betreffenden Arbeitgeber verlustig.

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VI. Kündigung

§12 Die Kündigungsfrist beträgt 14 Tage.

2 Die Kündigung kann nur auf einen Samstag erfolgen.

3 Während der Probezeit von höchstens 2 Wochen kann das Anstellungsverhältnis gegenseitig jederzeit ohne Kündigung gelöst werden.

4 Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder eines Unfalles darf erst nach Ablauf von 30 Tagen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit gekündigt werden.

5 Vorbehalten bleibt in jedem Fall die Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen gemäss Artikel 352 des Obligationenrechts.

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Vu. Einhaltung und Durchführung des Gesamtarbeitsvertrages

§13 Der Gesamtarbeitsvertrag ist jedem Arbeitnehmer bei Abschluss des BekanntDienstverhältnisses gegen Kostenvergütung auszuhändigen und in jiedem Gesamtarbeitswachung des 0 0 o o e Atelier aufzulegen.

Vertrages §14 1 Es wird eine paritätische Berufskommission gebildet, bestehend aus 6 Mitgliedern (je 3 Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter).

2 Die Berufskommission konstituiert sich selbst. Sie stellt über ihre Obliegenheiten und ihren Geschäftsgang ein Reglement auf.

3 Die den Kommissionsmitgliedern durch Sitzungen usw. entstehenden Kosten sind von den betreffenden Verbänden zu tragen.

Bundesblatt. 107. Jahrg.

Bd. I.

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50 4

Die Sektionen der Vertragsverbände werden angehalten, für ihr Gebiet lokale Berufskommissionen zu bilden.

5 Den Berufskommissionen obliegen folgende Aufgaben: a. Durchführung von Kontrollen über die Einhaltung der Vertragsbestimmungen gemäss § 15; b. Besprechung der sich aus dem Gesamtarbeitsvertrag ergebenden Fragen; c. Lösung weiterer beruflicher und wirtschaftlicher Aufgaben, wie Förderung der frauengeiverblichen Berufe der Bekleidungsbranche in beruflicher und finanzieller Hinsicht, Errichtung eines gemeinsamen Arbeitsnachweises, Bekämpfung der Schmutzkonkurrenz und Preisschleuderei.

§15 Kontrolle und Sanktionen

Schiedsgericht

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Die von den vertragschliessenden Verbänden oder ihren Sektionen eingesetzten paritätischen Berufskommissionen können Kontrollen über die Einhaltung der allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen durchführen.

2 Bei festgestellter Nichtbezahlung der allgemeinverbindlich erklärten Löhne hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmern diese sofort im vollen Umfange nachzuzahlen. Überdies hat er 25% der geschuldeten Lohnsumme an die zentrale paritätische Kommission zu entrichten.

3 Zum Inkasso und, wenn nötig, zur rechtlichen Geltendmachung des vorerwähnten Betrages von 25 % sind die vertragschliessenden Verbände berechtigt, welche diesen Betrag für die paritätische Kommission als die Anspruchsberechtigte einziehen. Die eingehenden Beträge sind zur Deckung der Kosten der Allgemeinverbindlicherklärung sowie für die Kontrolle über die Einhaltung der allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen zu verwenden.

§16 Zur Schlichtung von Streitigkeiten, die aus der Auslegung dieses Vertrages oder aus andern Gründen zwischen den vertragschliessenden Verbänden entstehen, wird ein Schiedsgericht bestellt.

2 Das Schiedsgericht setzt sich zusammen aus je einem Vertreter der vertragschliessenden Verbände und einem vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit zu bezeichnenden neutralen Vorsitzenden.

3 Jeder Verband trägt die durch das Schiedsgerichtsverfahren entstehenden Kosten selbst. Die Kosten'für den Vorsitzenden werden zu gleichen Teilen auf die vertragschliessenden Verbände verteilt.

4 Die Beschlüsse des Schiedsgerichtes werden den Parteien schriftlich mitgeteilt. Sie erwachsen mit der Zustellung in Rechtskraft und sind verbindlich.

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51 §17 1

Während der Dauer dieses Gesamtarbeitsvertrages enthalten sich die Vertragsverbände und deren Mitglieder jeglicher Kampfmassnahmen.

2 Bei Nichteinhaltung dieser Bestimmung verfallen die betreffenden Verbände, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer in eine vom Schiedsgericht (§ 16) festzusetzende Busse.

Friedenapflicht

VIII. Schlussbestimmungen §18 1

Der Gesamtarbeitsvertrag tritt am 19. Oktober 1954 in Kraft.

2 Er dauert bis zum 31. Dezember 1956. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist durch eingeschriebenen Brief gekündigt, so bleibt er bei gleicher Kündigungsfrist ein weiteres Jahr in Kraft.

· 3 Lohnverhandlungen können jederzeit ohne Kündigung des Gesamtarbeitsvertrages aufgenommen werden. Deren Resultat bildet einen Bestandteil dieses Vertrages.

Geltungsdauer

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss betreffend die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die Damen-, Knabenkleider- und Wäsche-Schneidereien (Vom 30. Dezember 1954)

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Jahr

1955

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

13.01.1955

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