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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Gewährung einer Teilamnestie für Höchstpreisüberschreitungen auf Heu und Emd (Vom 6. Mai 1955)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen über die Amnestiegesuche betreffend die in den Jahren 1947 und 1948 begangenen Widerhandlungen gegen die Vorschriften über die Landesversorgung mit inländischem Heu und Emd wie folgt zu berichten: I.

1. Die Trockenheit des Sommers 1947 hatte zur Folge, dass in weiten Gebieten unseres Landes die Emdernte entweder überhaupt ausfiel oder nur anormal kleine Erträge abwarf. Auch die Produktion an Grünfutter war entsprechend klein, und viele Landwirte mussten ihre Heuernte zum grossen Teil .schon im Sommer und Herbst 1947 verfüttern.

Unter der Trockenheit litten vor allem das Baselbiet, die Gegend von Hallau bis zum Unterlauf der Thur, das Gau und das benachbarte Hügelland von Huttwil bis Wohlen. Diese Gebiete wiesen nur 40 Prozent der normalen Niederschlagsmenge auf. Das übrige Mittelland von Bern bis Frauenfeld verzeichnete ungefähr die Hälfte der normalen Niederschläge. Etwas günstiger lagen die Verhältnisse in der Westschweiz, wo die Regenmenge im Mittelland 60 bis 70 und im Jura 70 bis 80 Prozent des langjährigen Mittels ausmachte. Im Wallis schwankte die Eegenmenge zwischen 55 und 80 Prozent. Verhältnismässig trocken war das südliche Tessin. Dagegen erreichte die Regenmenge in den Alpen meist mehr als 70 Prozent der normalen. Einzelne Teile von Graubünden wiesen sogar leichte Überschüsse auf. (Vgl. Botschaft des Bundesrates vom

939 26. September 1947 über ausserordentliche Massnahmen zur Milderung der Notlage in den Trockengebieten; BEI 1947, III, 189 ff., besonders S. 191 und 192.)

Die bestehende Knappheit an inländischem Eauhfutter konnte durch Importe bei weitem nicht ausgeglichen werden. Die umliegenden europäischen Länder litten ebenfalls unter der Trockenheit. Entweder waren überhaupt keine Ausfuhrbewilligungen erhältlich oder die Preise erreichten eine fast prohibitive Höhe. Dem Import aus überseeischen Gebieten waren wegen Transportschwierigkeiten und wegen der hohen Preise Schranken gesetzt. Die Landwirte der Troc'kengebiete, die im Interesse der Erhaltung eines minimalen Viehbestandes unbedingt Eauhfutter benötigten, versuchten daher, solches aus inländischen Gebieten zu erwerben, die weniger unter der Trockenheit litten. Auf ihre Veranlassung hin und teilweise wohl auch aus eigenem Antrieb versuchten der Futtermittelhandel und die landwirtschaftlichen Genossenschaften, möglichst viel Heu von Überschussbetrieben des Inlandes zu kaufen, namentlich im Jura, im Tessin und in den Kantonen Genf und Waadt. Die Händler und zum Teil auch Landwirte reisten unter Aufwendung grosser Unkosten in die Überschussgebiete, um sich dort nach überschüssigen Vorräten umzusehen.

2. Mit Verfügung Nr. 9 vom S.Februar 1947 (AS 1947, 89) hatte das Eidgenössische Kriegsernährungsamt die in der Verfügung Nr. 8 vom 29. Oktober 1946 (AS 1946, 936) festgesetzten Höchstpreise von 18 Franken für Heu und von 19 Franken für Emd (pro 100 kg ungepresst) aufgehoben, nachdem die früheren Bewirtschaftungsmassnahmen schon am 31. Oktober 1946 dahingefallen waren (AS 1946, 940). Für die Preisbildung war von nun an das freie Spiel der Kräfte, vor allem das Verhältnis von Angebot und Nachfrage ausschlaggebend.

Als sich im Sommer 1947 eine Verknappung des Angebotes abzeichnete, traten nach den wirtschaftlichen Gesetzmässigkeiten naturgemäss Preiserhöhungen ìin, die scbliesslich - entsprechend der grossen Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage und den überdurchschnittlichen Aufwendungen an Spesen - ein bedeutendes Ausmass erreichten. Anfangs September 1947 wurden Preise von 30 bis 33 Franken bezahlt, in einzelnen Fällen möglicherweise solche bis 40 Franken.

Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten und sie teilweise rückgängig zu machen, entschloss
sich die Abteilung für Landwirtschaft des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements nach Konsultation der kantonalen Behörden zur Wiedereinführung von Bewirtschaftungsmassnahmen und zum Erlass neuer Höchstpreisvorschriften. In ihrer Verfügung vom 10. September 1947 (AS 1947, 1001) unterstellte sie mit Wirkung ab 15. September die Abgabe und den Bezug von Heu und Emd der Bewilligungspflicht. Zur Erteilung von Bewilligungen waren die Gemeindeackerbaustellen, kantonale Amtsstellen oder die Abteilung für Landwirtschaft zuständig, je nachdem die Betriebe des Verkäufers und des Käufers derselben Gemeinde, verschiedenen Gemeinden eines Kantons oder verschiedenen Kantonen angehörten (Art. 1). Die Besitzer von Heu- und Emdvorräten wurden verpflichtet, die für den Verkauf verfügbaren

940 Mengen der Gemeindeackerbaustelle anzumelden. Diese hatte ihrerseits einer kantonalen Amtsstelle Meldung zu erstatten über die Mengen, die nach Befriedigung des Bedarfs in der Gemeinde für andere Gemeinden des Kantons zur Verfügung standen. Die Überschüsse der Kantone dienten zur Deckung des Bedarfs anderer Kantone und mussten der Abteilung für Landwirtschaft gemeldet werden (Art. 2). Die kantonalen Regierungen wurden ermächtigt, Dürrfuttervorräte, die über den normalen und notwendigen Bedarf des Betriebes hinausgingen, ablieferungspflichtig zu erklären (Art. 3). Die höchstzulässigen Produzentenpreise setzte die Abteilung für Landwirtschaft auf 20 Franken für Heu und 22 Franken für Emd und Bergheu (pro 100 kg ungepresst, geliefert an die nächste Bahnstation) fest. Die Kantonsregierungen wurden ermächtigt, im Einvernehmen mit der Abteilung für Landwirtschaft besondere Vorschriften für Bauhfutterbezüge aus den Kantonen Graubünden, Wallis und Tessin zu erlassen.

Für das Pressen und die Vermittlung der gepressten Ware bewilligte die Abteilung für Landwirtschaft einen Zuschlag von 3 Franken. Daneben gewährte sie einen -Grosshandelsnutzen von 75 Bappen bei wagenweisen Lieferungen drahtgepresster Ware. Beim Verlad offener Ware durfte der Handel einen Zuschlag von l Franken als Grosshandelsmarge und Entschädigung für die Verladearbeiten verrechnen. Im Detailhandel war die Berechnung folgender Handelsmargen zulässig: Verteilung der Ware ab Waggon 1,20 Franken je 100 kg, Abgabe aus dem Magazin des Wiederverkäufers 2 Franken je 100 kg.

Weitere Spesen durften nicht berechnet werden (Art. 5-8). Die Vorschriften über die Bewilligungspflicht und die Höchstpreise galten nach ausdrücklicher Bestimmung nicht nur für Verträge, die nach dem Inkrafttreten der Verfügung abgeschlossen wurden, sondern auch für solche, die in jenem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, aber noch nicht erfüllt waren (Art. 9). Widerhandlungen wurden mit den im Bundesratsbeschluss vom 17.Oktober 1944 über das kriegswirtschaftliche Strafrecht und die kriegswirtschaftliche Strafrechtspflege (BS 10, 850) vorgesehenen Sanktionen bedroht.

Die'Verfügung der Abteilung für Landwirtschaft vom 10.September 1947 blieb in Kraft bis zum 24. April 1948 (AS 1948, 443).

3. Die erwähnten Bewirtschaftungs- und Preiskontrollmassnabmen zeitigten nicht den
gewünschten Erfolg. Es gelang nicht, das Preisniveau auf die Höhe der festgesetzten Höchstpreise zurückzuführen. Wenn auch der Umfang der begangenen Widerhandlungen im einzelnen sich nicht feststellen lässt, so ist doch anzunehmen, dass sehr zahlreiche von der Trockenheit betroffene Landwirte übersetzte Preise für das benötigte Eauhfutter auslegen mussten. Wie dann später im Falle der Schweinehöchstpreise, so erlagen auch hier die Verkäufer einer knapp gewordenen Ware der Versuchung, die ihnen günstige Marktsituation durch Überschreitung der Höchstpreise auszunützen. Dazu kam, dass viele Händler die vorgeschriebenen Margen überschritten. Diese reichten zur Deckung der Kosten nicht aus, wenn ein Händler wiederholt sich in die Produk-

,941 tionsgebiete begab, um dort verfügbares überschüssiges Heu zu suchen und aufzukaufen. Wie in den Fällen der Überschreitung der Schweinehöchstpreise kann man auch hier von einem eigentlichen Zerfall der Disziplin sprechen.

Leider hat auch eine eidgenössische Stelle, die Militärheilstätte Tenero, beim Verkauf von Heu die geltenden Höchstpreise überschritten (vgl. Dossier Nr. l, Beleg 2). Ferner-soll eine kantonale Landwirtschaftsdirektion nach den allerdings unbewiesenen Aussagen eines Heuhändlers beim Ankauf von Heu Preisüberschreitungen begangen und bei dieser Gelegenheit erklärt haben, es sei längst bekannt, dass man zu den geltenden Höchstpreisen kein Heu bekomme (Dossier Nr. l, Beleg 36). Der Leiter der Zentralstelle für Futtermittelversorgung eines anderen Kantons gab privaten Heuaufkäufern Erklärungen ab, die den Eindruck erweckten, auf der Abteilung für Landwirtschaft des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements sei man der Meinung, die Verfügung vom 10.September 1947 könne nicht eingehalten werden (vgl. Dossier Nr. 5, Beleg 12).

Trotz der wahrscheinlich grossen Zahl von Widerhandlungen gingen beim Strafuntersuchungsdienst des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements nur ca. 140 Anzeigen ein. Die meisten stammten von der dem Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements unterstellten Sektion zur Bekämpfung des Schwarzhandels. Von den kantonalen Ermittlungsbehörden waren diejenigen der Kantone St. Gallen und Obwalden die einzigen, die von sich aus nach Widerhandlungen forschten und Anzeigen erstatteten. Andere Kantone haben sich an der Verfolgung dieser Widerhandlungen offenbar desinteressiert. Das scheint namentlich für die Kantone Tessin, Waadt und Genf zuzutreffen, die verhältnismässig viel überschüssiges Heu den Mangelgebieten zur Verfügung stellten.

Soweit Strafanzeigen eingereicht wurden, datieren sie aus der Zeit von Ende Januar 1948 bis Juli 1949. Am 23. Juni 1949 sprach Herr Nationalrat Gfeller bei der Behandlung des bundesrätlichen Geschäftsberichtes den Wunsch aus, die Preisüberschreitungen im Heuhandel nicht mehr zu untersuchen und auf die Überweisung der Fälle an den Eichter zu verzichten. Herr Gfeller machte geltend, die Preise seien aus einer Zwangslage heraus überschritten worden; zum Höchstpreis wäre das von den Landwirten dringend benötigte
Heu nicht erhältlich gewesen. Sogar das qualitativ weniger wertvolle Importheu sei zu höheren Preisen gehandelt worden. Die Preise hätten nur durch amtliche Beschlagnahme der Überschüsse tiefgehalten werden können. Eine solche Massnahme wäre aber kaum durchführbar gewesen.

Dagegen ersuchte der Verband Schweizerischer Heuhandelsfirmen Zürich in einer Eingabe vom 20. Juni 1949 das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, die Durchführung des normalen Strafverfahrens nicht zu verhindern. Der genannte Verband erklärte, durch die übersetzten Preisforderungen der Produzenten sei der legitime Handel, der sich an die geltenden Vorschriften halten wollte, aus dem Geschäft ausgeschaltet worden. Es wäre ungerecht, durch Verzicht auf die Strafverfolgung die Widerhandelnden rechtlich gleichzustellen Bundesblatt. 107. Jahrg. Bd. I.

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942 wie die seriösen Händler, die sich an die Vorschriften hielten und deshalb geschäftliche Nachteile erlitten.

In der Folge èntschloss sich der Chef des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, die Frage der Verfolgung der mittlerweile begangenen Preisüberschreitungen auf Schlachtschweinen dem Bundesrat zum Entscheid vorzulegen.

Da sich hinsichtlich der Verfolgung der Widerhandlungen gegen die Heuhöchstpreise ähnliche Fragen stellten, verfügte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement am 18. Juli 1949, auch diese letzteren Widerhandlungen seien einstweilen nicht weiter zu verfolgen. In diesem Zeitpunkt waren aber bereits etwa 15 Beschuldigte wegen Abgabe und Bezug von Eauhfutter aus dem Kanton Genf dem zuständigen Strafgericht überwiesen und teilweise schon verurteilt worden. Am 17. August 1950 erliess dann der Chef des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements die folgende Verfügung: 1. Auf die strafrechtliche Weiterverfolgung der Vorzeigungen betreffend Preisüberschreitungen auf Schlachtschweinen, Heu und Stroh, begangen in den Jahren 1947/48, wird verzichtet. Neu eingehenden Anzeigen über gleiche Widerhandlungen ist keine Folge zu geben.

2. Die Abschreibung dieser Anzeigen erfolgt intern ohne weitere Benachrichtigung der Anzeigesteller oder der Beschuldigten.

Auf Grund einer neuen Prüfung der Sachlage gelangte der Chef des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements im September 1950 zur Auffassung,, dass die schwersten Widerhandlungen gegen die Vorschriften betreffend die Schweinehöchstpreise doch strafrechtlich zu ahnden seien. Zu den schwersten Widerhandlungen wurden diejenigen gezählt, bei denen die Höchstpreise insgesamt um 2000 und mehr Franken überschritten wurden. Angesichts der bestehenden Analogie wurde dann auch das Verfahren in den sogenannten Heufällen weitergeführt, ohne dass aber die Strafverfolgung auf die Fälle mit Preisüberschreitungen über 2000 Franken beschränkt blieb.

Die Strafuntersuchungen wurden in den Jahren 1950, 1951 und 1952 eröffnet. Die meisten Überweisungsverfügungen fielen in die Zeit vom Dezember 1951 bis Februar 1953. Im ganzen wurden 93 Beschuldigte dem Eichter überwiesen. Gegenüber 36 Beschuldigten stellte das Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements die Strafverfolgung ein. In 11 Fällen verfügte der Strafuntersuchungsdienst die Nichteröffnung der Strafuntersuchung.

4. Von den Personen, welche der Verfügung der Abteilung für Landwirtschaft vom 10. September 1947 zuwiderhandelten, wurden in strafrechtlicher und strafprozessualer Hinsicht nicht alle nach dem gleichen einheitlichen Massstab behandelt. Die entstandenen Ungleichheiten sind zahlreicher und ausgeprägter, als diejenigen, die unvermeidlicherweise auf jedem Gebiet der Strafverfolgung vorkommen. Schon hinsichtlich der Vorzeigung der begangenen Widerhandlungen wurde von den Kantonen eine sehr unterschiedliche Praxis befolgt. Aber auch die verzeigten Personen erfuhren nicht durchwegs die gleiche Behandlung. Das ist zum Teil auf den Umstand zurückzuführen, dass die ver-

943 schiedenen erstinstanzlichen Gerichte das Verschulden verschieden schwer bewerteten. Namentlich in bezug auf die Frage, wie weit die Beschuldigten aus einer Zwangslage heraus handelten, waren nicht alle Eichter einheitlicher Meinung. Auch der Zeitpunkt der Verurteilung spielte eine Bolle. Die vor der Suspendierung der Strafverfolgung verurteilten Produzenten, Händler und Verbraucher wurden strenger bestraft als diejenigen, deren Verurteilung in die Jahre 1951 bis 1953 fällt.

Von den Landwirten der Trockengebiete, die im Interesse der Erhaltung eines minimalen Viehbestandes auf den Ankauf von Eauhfutter angewiesen waren und aus einer gewissen Notlage heraus übersetzte Preise bezahlten, blieben die meisten straflos. Es gibt aber auch Ausnahmefälle, in denen solche Landwirte mit Sanktionen belegt wurden. So verurteilte der Einzelrichter des 3.kriegswirtschaftlichen Strafgerichts die Landwirte Stalder und Jost wegen der Bezahlung eines Preises von 28 Franken beim Ankauf von 100 und 58 q Heu zu Bussen von 300 und 200 Franken, obschon ihre Widerhandlungen weder objektiv noch subjektiv schwerer waren als diejenigen straflos gebliebener Heubezüger (vgl. Dossiers Nr. 11 und Nr. 1). Hier erklärt sich die unterschiedliche Behandlung wohl aus dem Umstand, dass die Fälle Stalder und Jost im Gegensatz zu den anderen Fällen schon vor der Suspendierung der Strafverfolgung erledigt wurden. Nach der Suspendierung gelangten der Strafuntersuchungsdienst und das Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements dann zur Auffassung, dass den Heubezügern der Trockengebiete kein so schweres Verschulden zur Last falle, dass sich eine Eröffnung der Untersuchung und Überweisung gerechtfertigt hätte.

Nicht durchwegs gleich behandelt wurden sodann die Heuhändler und die v e r a n t w o r t l i c h e n Organe l a n d w i r t s c h a f t l i c h e r Genossenschaften. Das 2. kriegswirtschaftliche Strafgericht begnügte sich mit einer teilweisen Abschöpfung widerrechtlicher Gewinne und mit der Erteilung von Verweisen, in der Meinung, dass auch diese Beschuldigten aus einer gewissen Zwangslage heraus ihre Delikte begingen. Die anderen Gerichte verhängten neben der Abschöpfung widerrechtlicher Gewinne Geldbussen bis zu 1800 Franken. Acht Heuhändler des Kantons Tessin, die von der Sektion zur Bekämpfung des
Schwarzhandels dem Strafuntersuchungsdienst verzeigt wurden, entgingen infolge eines Versehens in der Registratur der Strafverfolgung (Dossier Nr. 1) ; desgleichen zwei Händler der deutschen Schweiz (Dossier Nr. 9).

Von den H e u p r o d u z e n t e n der Ü b e r s c h u s s g e b i e t e wurde die Militärheilstätte Tenero versehentlich nicht verfolgt, obschon sie wegen der Abgabe von 121 q Heu zu übersetzten Preisen verzeigt wurde. Anzeigen gegen weitere Produzenten des Kantons Tessin gingen nicht ein. Diese wurden auch nicht ermittelt im Laufe der gegen die Händler durchgeführten Untersuchung. Der Strafuntersuchungsdienst verzichtete auch auf die Verfolgung von Produzenten des Kantons Waadt, obschon der Beschuldigte Steffen in einer Einvernahme zugab, auch Heu aus diesem Kanton gekauft zu haben (Dossier Nr. 4, Belege 12 und 64).

Die im Berner Jura ansässigen Heuproduzenten wurden in Strafuntersuchung

944 gezogen und teilweise dem Eiehter überwiesen. Der Einzelrichter des 1. kriegswirtschaftlich en Strafgerichts begnügte sich mit der Erteilung von Verweisen, während der Einzelrichter des 6. Gerichts die ihm überwiesenen Beschuldigten mit Verweisen und mit Bussen bis zu 20 Franken bestrafte. Die Produzenten des Kantons St. Gallen erhielten, soweit sie ermittelt und überwiesen wurden, vom Einzelrichter des 9. Gerichts Verweise und Bussen bis zu 30 Franken. Im Gegensatz zu den meisten anderen Heuproduzenten wurden ihnen die durch die Widerhandlungen erzielten widerrechtlichen Vermögens vorteile abgeschöpft.

Der gleiche Einzelrichter verurteilte einen Produzenten des Kantons Obwalden zu einer Busse von 80 Franken. Verhältnismässig streng bestraft wurden die Produzenten des Kantons Genf, indem der Einzelrichter des 3.kriegswirtschaftlichen Strafgerichts Bussen verhängte, die sich zwischen 20 und 300 Franken bewegten. Diese letzteren Verurteilungen erfolgten schon im Jahre 1949.

Wir verweisen im übrigen auf das bei den Akten befindliche, vom Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements aufgestellte Verzeichnis aller Straffälle.

5. Am 4. Dezember 1953 und 10. April 1954 reichten die Verurteilten Galli, Hochuli, Steffen, Zuber, Strahm und Renggli, die von den kriegswirtschaftlichen Strafgerichten wegen Preisüberschreitungen beim An- und Verkauf von Bauhfutter zu Bussen von 80 bis 1400 Franken verurteilt worden waren, der Bundesversammlung Begnadigungsgesuche ein. Diesen Gesuchen schlössen sich an die landwirtschaftlichen Genossenschaften Steffisburg, Unterwiggertal, Kirchberg sowie die Firmen E. Steffen-Eis AG., Utzenstorf, und Obst- und Landesprodukten AG., Sursee. Diese landwirtschaftlichen Genossenschaften und Handelsfirmen waren, für Busse und Kosten solidarisch haftbar erklärt und verpflichtet worden, widerrechtliche Vermögensvorteile von 200 bis 2400 Franken an den Bund zu bezahlen. In seinem Bericht vom 7. Mai 1954 (BEI 1954,1,877ff., insbesondere S. 911), der die fünf erstgenannten Fälle behandelte, stellte sich der Bundesrat auf den Standpunkt, dass die Eingaben der Verurteilten nicht die Begriffsmerkmale von Begnadigungsgesuchen erfüllen und dass die geltend gemachten Gründe eher Gegenstand von Amnestiebegehren bilden könnten.

Diese Ausführungen veranlassten die fünf
erstgenannten Gesuchsteller und auch den Verurteilten Eenggli zum Eückzug ihrer Begnadigungsgesuche.

Sie reichten in der Folge am 14. Juni und am 23. Juli 1954 den eidgenössischen Bäten Amnestiebegehren ein. Ein solches Begehren stellten auch der Verurteilte Heiniger und die Firma Heiniger AG., Herzogenbuehsee. Heiniger war zu einer Busse von 1800 Franken und die Firma Heiniger AG. zur solidarischen Haftbarkeit und zur Ablieferung eines widerrechtlichen Vermögensvorteils von 5000 Franken verurteilt worden.

Die Gesuchsteller beantragen, es sei eine Amnestie zu gewähren in bezug auf die ausgefällten Strafen, Kosten und auch hinsichtlich der Abschöpfung der angeblich widerrechtlichen Gewinne; die durch Androhung rechtlicher Nachteile erzwungenen und unter Vorbehalt geleisteten Zahlungen seien zurückzuerstatten.

945 Zur Begründung dieser Anträge wird - wie schon in den Begnadigungsgesuchen - im wesentlichen ausgeführt, die Abteilung für Landwirtschaft habe ihre Höchstpreisverfügung viel zu spät erlassen in einem Zeitpunkt, als die Preise bereits eine übermässige Höhe erreicht hätten und als es nicht mehr möglich gewesen sei, sie auf ein normales Mass zurückzuführen. Die zulässige Handelsmarge sei zu niedrig angesetzt worden. Die Produzenten der Überschussgebiete hätten von der günstigen Marktlage profitieren wollen. Die Landwirte der Mangelgebiete seien gezwungen gewesen, die verlangten Preise auszulegen, um das dringend benötigte Kauhfutter überhaupt zu erhalten. Auch der Futtermittelhandel, der zwischendrin gestanden sei, habe sich dieser Zwangslage nicht entziehen können. Er sei von den Bauern unter Druck gesetzt worden und habe ihrem Drängen nachgeben müssen; er habe die von der Trockenheit heimgesuchten Bauern nicht ihrem Schicksal überlassen können. Nicht um Geschäfte zu machen, sondern um den Bauern zu helfen, habe der Handel Heu eingekauft und weiter verkauft. Es sei verständlich, dass er beim Weiterverkauf Verluste nach Möglichkeit habe vermeiden wollen. Angesichts der hohen Einkaufsspesen seien entweder keine Gewinne erzielt worden oder solche hätten sich in sehr bescheidenen Grenzen gehalten. Die. Wegsteuerung angeblich widerrechtlicher Vermögensvorteile erscheine daher als ungerechtfertigt. Niemand habe sich an die geltenden Vorschriften gehalten, nicht einmal die eidgenössische Militärheilstätte Tenero und die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Bern. Auch Herr Ständerat Weber in Grasswil habe beim Ankauf von Heu die geltenden Höchstpreise überschritten. Von behördlicher Seite sei der Eindruck erweckt worden; die Missachtung der Höchstpreise werde toleriert. Tatsächlich habe man die Widerhandlungen während längerer Zeit nicht verfolgt, woraus die Beschuldigten geschlossen hätten, die Verfahren seien niedergeschlagen worden.

Beim Entscheid über die Einleitung von Strafverfahren und bei deren Durchführung hätten die Behörden den Grundsatz der Eechtsgleichheit verletzt. Die unterschiedliche Behandlung der Heuproduzenten und der Händler entbehre der Begründung. Die letzteren seien etwa lOmal mehr bestraft worden, obschon sie viel grössere Spesen hätten aufwenden müssen. Diese und andere
Rechtsungleichheiten seien durch Gewährung der nachgesuchten Amnestie wieder gutzumachen.

Eine solche rechtfertige sich auch deshalb, weil die Beschuldigten infolge der sehr langen Dauer des Strafverfahrens in ihren Verteidigungsrechten verkürzt worden seien. Nach der Suspendierung der Strafverfahren hätten sie geglaubt, nicht mehr verfolgt zu werden; sie hätten es unterlassen, zur Entlastung dienliche Dokumente aufzubewahren.

II.

1. Die Amnestie wird in Artikel 85, Ziffer 7, der Bundesverfassung zusammen mit der Begnadigung unter den Gegenständen aufgezählt, die in den Geschäftskreis der eidgenössischen Räte fallen. Besondere Bestimmungen über Begriff, Gegenstand, Voraussetzungen, Wirkungen und Form der Amnestie

946 kennt das Bundesrecht nicht. Diese Fragen wurden jedoch durch die bisherige staatsrechtliche Praxis weitgehend abgeklärt.

2. Die Amnestie im Sinne des Bundesrechts stellt b e g r i f f l i c h den Verzicht des Staates auf die Strafverfolgung oder den Strafvollzug gegenüber einer Mehrheit von Personen dar, die nicht individuell bestimmt sind, deren Widerhandlungen aber durch ein gemeinsames generelles Merkmal bezeichnet werden.

Der Verzicht erfolgt aus wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses (vgl.

Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden, Heft 16, Kr. 31 ; Burckhardt, Kommentar der BV, S. 680, 683; Burckhardt, Bundesrecht Nr. 2102 II).

Durch die erwähnten Begriffsmerkmale unterscheidet sich die Amnestie von der Begnadigung (i. e. S.). Diese bedeutet lediglich den Verzicht auf die Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils und nicht auch auf die Strafverfolgung vor Fällung des Urteils. Die Begnadigung wirkt sich zugunsten individuell bestimmter Personen aus; sie wird aus Gründen der Billigkeit, die in den betreffenden Personen liegen, und nicht aus Gründen des öffentlichen Wohls gewährt.

3. Da die Amnestie dazu bestimmt ist, gesetzlich vorgesehene Sanktionen strafbarer Handlungen aus Gründen des öffentlichen Wohls auszuschliessen oder aufzuheben, muss ihre Gewährung in erster Linie von der Voraussetzung abhängen, dass ein öffentliches Interesse am Verzicht auf die Ahndung der fraglichen Widerhandlungen besteht, und zwar ein öffentliches Interesse, dem ein ganz besonderer Wert zukommt. Denn es gibt noch andere öffentliche Interessen, .die gerade die Ahndung der begangenen Widerhandlungen und die Vollstreckung der verhängten Sanktionen erfordern. Es liegt ein Interessenkonflikt vor. Beim Entscheid über die Gewährung einer Amnestie stellt sich die Frage, welches der widerstreitenden öffentlichen Interessen den Vorrang verdient, das Interesse an der Verhängung und Vollstreckung der gesetzlichen Sanktionen oder das Interesse am Verzicht auf die Ahndung der Widerhandlungen. Die Amnestie ist nur dann gerechtfertigt und zulässig, wenn in concreto dieses Interesse höher als jenes zu werten ist.

Das trifft nur selten zu. Es ist in einem Eechtsstaat von grosser Bedeutung, dass die Justiz ihren normalen Gang nimmt. Die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen .stellt eine notwendige Funktion zur
Verwirklichung des Hechts dar.

Vorschriften, die nicht erzwungen werden und deren Missachtung auch keine Strafe nach sich zieht, stehen in Gefahr, unbeachtet zu bleiben. Eine zu weitherzige Anwendung der Amnestie könnte dazu führen, dass die staatlichen Vorschriften ganz allgemein oder diejenigen eines Spezialgebietes von den Privaten nicht mehr ernst genommen werden. Die Erhaltung der Eechtsdisziplin ist aber zu wichtig, als dass sie ohne Not aufs Spiel gesetzt werden dürfte. Gegen die Gewährung einer Amnestie spricht regelmässig auch das Bedenken einer Beeinträchtigung des Grundsatzes der Eechtsgleichheit. Die unter die Amnestie fallenden Personen werden in an sich ungerechtfertigter Weise besser gestellt als andere, die wegen früherer, gleichzeitiger oder späterer Widerhandlungen gegen ähnliche Vorschriften die gesetzlichen Sanktionen zu ertragen haben.

947 Anderseits bedeutet die Amnestie eine an sich ungerechtfertigte rechtliche Gleichstellung von Delinquenten, die wahrscheinlich aus den Widerhandlungen Vorteile zogen, und von anderen Personen, die sich an die Vorschriften hielten und auf die Erzielung rechtswidriger Vorteile verzichteten.

Diese Erwägungen sind grundsätzlicher Natur und von derartiger Bedeutung, dass nur wenige Fälle denkbar sind, in denen die für die Gewährung einer Amnestie sprechenden Gründe überwiegen. Das Interesse an der Verwirklichung des Rechts, an der Aufrechterhaltung der Rechtsdisziplin, an der Erhaltung der Staatsautorität und an der rechtsgleichen Behandlung der Privaten darf nicht einem anderen, weniger wichtigen Interesse geopfert werden. Eine Amnestie ist nur dann zu gewähren, wenn diese aus zwingenden Gründen sich als notwendig erweist. Die bisherige Praxis hat denn auch mit Recht grosse Zurückhaltung geübt (vgl. Burckhardt, Kommentar der BV, S. 683 f.; Burckhardt, Bundesrecht Nr. 2102 II; Verwaltungsentscheide, Heft 16, Nr. 81; BB1 1939, I, 122) und eine solche ist weiterhin erforderlich.

An besondere formelle Voraussetzungen ist die Amnestie nicht geknüpft.

So bedarf es namentlich keines Gesuchs der Beschuldigten oder Verurteilten.

Besteht ein öffentliches Interesse, das die Amnestie notwendig macht, dann kann und muss sie von Amtes wegen verfügt werden. Haben einzelne Delinquenten ein Gesuch gestellt, dann braucht die Amnestie sich nicht auf die Gesuchsteller zu beschränken; sie muss vielmehr auch die anderen Personen erfassen, deren Widerhandlungen das massgebende Merkmal auf weisen und deren Strafbefreiung im öffentlichen Interesse liegt.

4. Gegenstand des in der Amnestie liegenden Verzichts ist in erster Linie die Ausübung der Kompetenz des Staates zur Strafverfolgung. Seit dem Jahre 1902 steht in der staatsrechtlichen Praxis des Bundes fest, dass auch bereits gefällte, aber noch nicht vollstreckte Urteile der Amnestie teilhaftig werden können (vgl. von Salis, Bundesrecht, Bd. TV, Nr. 1731).

Fraglich ist, ob der Staat nur auf die Vollstreckung von Strafen verzichten darf oder ob auch «Massnahmen», die in der Strafgesetzgebung vorgesehen sind, und die Kosten des Strafverfahrens in Betracht fallen. Hinsichtlich der Strafen muss, wenn die zuständige Behörde sich zur Amnestie entscheidet, die Vollstreckung
im Hinblick auf wichtige Interessen des öffentlichen Wohls unterbleiben, die dem Interesse der Justiz an der Ahndung der begangenen Widerhandlungen vorgehen. Auch in bezug auf «Massnahmen» ist es denkbar, dass wichtige Gründe des öffentlichen Wohls der Vollziehung entgegenstehen. Es gibt zwar Massnahmen, bei denen dies schwer vorstellbar wäre, so z. B. die zum Schütze der Gesellschaft notwendige Verwahrung eines gefährlichen Verbrechers (z.B. Art. 14 und 42 StrGB). Der Zweck anderer Massnahmen hingegen kann sehr wohl an Bedeutung hinter den Zweck der Amnestie zurücktreten, so dass es sich unter Umständen rechtfertigen kann, auf den Vollzug der Massnahme in gleicher Weise wie auf den Vollzug der Strafe zu verzichten.

Gerade hinsichtlich der hier zur Diskussion stehenden Massnahme der Ab-

948 Schöpfung unrechtmässiger Vorteile im Sinne des Artikel 10 des Bundesratsbesc,hlusses vom 17. Oktober 1944 über das kriegswirtschaftliche Strafrecht und die kriegswirtschaftliche Strafrechtspflege (B S 10, 850) ist dies grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Es wären vielleicht auch Fälle denkbar, in denen dieInteressenlage die Vollstreckung des Kostenspruchs als unangebracht erscheinen lässt. Bndlich kann es sich als notwendig erweisen, die Löschung des Urteils, im Strafregister anzuordnen und nicht nur - wie es in Artikel 9, Ziffer 7, lit. d, der Strafregisterverordnung vorgesehen ist - die erfolgte Amnestie einzutragen.

Die bisherige Praxis verneinte die Frage, ob eine bereits vollstreckte Strafe, Massnahme oder Kostenforderung Gegenstand der Amnestie sein kann (vgl. Burckhardt, Bundesrecht, Nr. 2104). Bisher standen wohl nur solche Strafen zur Diskussion, bei deren Vollstreckung dem Verurteilten ein Übel zugefügt wird, das aus tatsächlichen Gründen nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. In der Tat ist es fraglich, welche Wirkung einer Amnestie im Falle einer bereits vollzogenen Freiheits- oder gar Todesstrafe noch zukommen könnte.

Wird hier die Anwendbarkeit der Amnestie ausgeschlossen, dann geschieht es offenbar wegen der Unmöglichkeit der Wiedergutmachung des dem Beschuldigten zugefügten Übels. Sprechen schon Erwägungen des öffentlichen Wohls für die Gewährung der Amnestie, dann erfordern diese Gründe aber nicht nur den Wegfall unvollstreckter Sanktionen, sondern möglichst auch solcher, die bereits vollstreckt worden sind; denn die Interessenabwägung, auf der die Amnestie beruht, lässt regelmässig die Sanktion, ob vollstreckt oder nicht, als ungerechtfertigt erscheinen. Trifft dies zu, und kann die zur Amnestie zuständige Behörde das bereits vollstreckte Urteil rückgängig machen, dann muss sie es folgerichtigerweise tun. Da der Staat die von ihm eingeforderten Bussen und die abgeschöpften Vermögensvorteile zurückerstatten kann, ist es zulässig, solche Sanktionen jederzeit in die Amnestie einzubeziëhen. Dasselbe gilt für die eingetriebenen Verfahrenskosten. Auch Billigkeitsgründe sprechen für diese Lösung; der Verurteilte, der durch eine baldige Bezahlung seinen guten Willen zur Sühne bekundet hat, sollte wenn möglich nicht benachteiligt werden gegenüber denjenigen, die der
Vollstreckungsbehörde Schwierigkeiten machen.

Liegen in einem konkreten Fall Gründe für die Gewährung einer Amnestie vor, dann ist es Sache der zuständigen Behörde, zu entscheiden, wie weit sie im Eahmen der dargelegten rechtlichen Möglichkeiten von der ihr zustehenden Kompetenz Gebrauch machen soll. Auch diese Frage ist, wie diejenige, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer Amnestie erfüllt sind, von einer Abwägung der Interessen abhängig zu machen. Da die Amnestie einen aussergewöhnlichen Eingriff in den normalen Gang der Justiz darstellt, sollte sie nicht weiter gehen, als es zur Wahrung der in Betracht fallenden Interessen des öffentlichen Wohls als notwendig erscheint. Das gilt besonders auch für die Frage, ob im konkreten Fall neben den Strafen auch Massnahmen und Verfahrenskosten der Amnestie teilhaftig werden sollen.

5. Die Wirkungen der Amnestie bestehen in einer Einschränkung der Kompetenzen, die den Strafbehörden normalerweise zukommen. Die Einschränkung

949 gilt für die von der Amnestie erfassten Fälle und geht je nach dem Stadium, in dem die Strafverfahren sich befinden und je nach dem Inhalt des Amnestieerlasses, mehr oder weniger weit. Hinsichtlich bereits gefällter, aber noch nicht vollstreckter Urteile werden lediglich die Kompetenzen der Vollstreckungsbehörden beschränkt. Hinsichtlich der noch nicht beurteilten Fälle erfolgt eine Beschränkung der Kompetenzen der Strafgerichte und je nach dem Stand des Verfahrens möglicherweise auch der Untersuchungs- und- Überweisungsbehörden. Liegen bereits vollstreckte Urteile vor, dann kann der Amnestieerlass auch die Pflicht des Staates zur Bückerstattung der Bussen, der abgeschöpften widerrechtlichen Gewinne und der Verfahrenskosten begründen.

Hingegen ist es unseres Erachtens nicht richtig, wenn gelegentlich erklärt wird, die Amnestie bewirke die Aufhebung oder Auslöschung begangener Delikte. Die Begehung einer strafbaren Handlung ist eine Tatsache, und eine solche lässt sich nicht nachträglich aus der Welt schaffen. Die Amnestie kann lediglich die Eechtsfolgen abändern, die die erwähnte Tatsache normalerweise erzeugt. Es ist daher auch nicht richtig, die Pflicht zur Eückerstattung bereits bezahlter Bussen mit einer vermeintlichen Aufhebung des Delikts zu begründen.

Die Amnestie bewirkt nicht automatisch, sondern nur dann die Pflicht zur Eückerstattung, wenn sie im Amnestieerlass begründet wird.

6. Z u s t ä n d i g zum Erlass eines Amnestiebeschlusses ist die Bundesversammlung. Im Gegensatz zur Begnadigung haben die beiden Eäte gesondert zu verhandeln. Die Amnestie ist in die Form eines einfachen Bundesbeschlusses zu kleiden. In der Eegel empfiehlt sich dessen Publikation in der Gesetzessammlung.

III.

1. Die Gesuchs teuer beantragen den Verzicht auf die Vollstreckung kriegswirtschaftlicher Straf urteile. Der Antrag wird zugunsten bestimmter Personen gestellt, die im Herbst 1947 und im Winter 1947/48 Widerhandlungen gegen die Verfügung der Abteilung für Landwirtschaft vom 10. September 1947 über die Landesversorgung mit inländischem Heu und Emd begingen. Die Ausführungen der Gesuchsteller treffen aber auch auf andere Personen zu, die gleichartige Widerhandlungen sich zuschulden kommen liessen, und die, auch wenn sie keine Gesuche einreichten, gleich wie die Gesuchsteller behandelt werden müssen. Liegt ein öffentliches Interesse am Verzicht auf den Strafvollzug vor, dann ist es undenkbar, dass dieses nur den Verzicht auf den Strafvollzug in den Fällen der Gesuchsteller und nicht auch in den anderen gleichartigen Fällen erfordern würde. Obschon die vorliegenden Gesuche von individuell bestimmten Personen und lediglich zugunsten individuell bestimmter Personen eingereicht wurden, stellt sich die Frage, ob aus wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses die Bundesversammlung den Verzicht auf die Strafverfolgung ganz allgemein gegenüber einer Mehrheit nicht individuell bestimmter Personen anordnen soll, welche durch ein gemeinsames Merkmal bezeichnete Widerhand-

950 hingen begangen haben. Die vorliegenden Gesuche erfüllen somit die Begriffsmerkmale von Amnestiebegehren.

2. Wie im Falle der Schweinehöcbstpreise stellt sich auch hier die Frage, ob den Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, beim Erlass und bei der Anwendung der geltenden Vorschriften und namentlich bei der Durchführung der hier in Frage stehenden Strafverfahren Fehler unterlaufen sind und ob aus diesem oder einem anderen Grunde im Interesse des öffentlichen Wohls die nachgesuchte Amnestie zu gewähren ist.

Die Gesuchsteller führen neben den behaupteten Fehlern, welche die Behörden begangen haben sollen, keine Gründe für die Gewährung einer Amnestie an, und auch aus den Akten sind solche nicht ersichtlich. In bezug auf die behaupteten Fehler sind drei verschiedene Fragen auseinanderzuhalten, nämlich die Fragen: 1. ob Fehler begangen wurden; 2. ob tatsächlich die Möglichkeit besteht, sie durch eine Amnestie wieder gutzumachen und 3. ob die Wiedergutmachung auf dem Wege der Amnestie sich sachlich rechtfertigt.

a. Sind den Behörden beim Erlass oder bei der Anwendung der V o r s c h r i f t e n über die L a n d e s v e r s o r g u n g mit inländischem Heu und Ernd und besonders bei der D u r c h f ü h r u n g des S t r a f v e r f a h rens Fehler unterlaufen, die als Gründe für die Gewährung einer A m n e s t i e in B e t r a c h t f a l l e n k ö n n t e n ?

aa. In erster Linie fragt es sieb, ob es richtig gewesen wäre, auf die Verfolgung der Widerhandlungen wegen Fehlens dessubjektiven T a t b e s t a n d e s oder wegen eines nur leichten Verschuldens zu verzichten.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass viele Beschuldigte aus einer gewissen Zwangslage heraus die geltenden Vorschriften verletzten. Das trifft vor allem für die Landwirte der Trockengebiete zu, die für ihren eigenen Viehbestand dringend Bauhf utter benötigten und solches nur durch Überzahlung der Höchstpreise kaufen konnten. In der Erwägung, dass hier höchstens ein leichtes Verschulden vorliege, sah der Strafuntersuchungsdienst des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements im allgemeinen von der "Eröffnung einer Strafuntersuchung ab, oder, wo eine solche eröffnet wurde, verzichtete das Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements regelrnässig auf die Überweisung der Fälle an den Eichter. Nach den
vorliegenden Akten wurden nur zwei in den Trockengebieten ansässige Landwirte wegen des Bezugs von Rauhfutter zu übersetzten Preisen bestraft. Hier lässt sich zweifellos die Auffassung vertreten, dass die Ahndung der Widerhandlungen sich aus subjektiven Gründen nicht rechtfertigte.

Es ist anzunehmen, dass auch von den Heuhändlern begangene Widerhandlungen auf eine gewisse Zwangslage zurückzuführen sind. Dabei verstehen wir unter den Heuhändlern die Handelsfirmen, die Gelegenheitshändler und die landwirtschaftlichen Genossenschaften, die sich mit der Vermittlung von Eauhfutter zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten befassten. Die

951

Gesuchsteller machen glaubhaft, dass die Landwirte der Trockengebiete auf den Handel einen starken Druck ausübten, das dringend benötigte Eauhfutter unter allen Umständen zu beschaffen, und dass die Händler ihre Kunden nicht gut im Stich lassen konnten.

In den vorliegenden Amnestiegesuchen wird auch geltend gemacht, eine Zwangslage sei deshalb entstanden, weil die Abteilung für Landwirtschaft ihre Vorschriften zu spät erlassen habe, nämlich erst in einem Zeitpunkt, als man die bereits stark angestiegenen Preise nicht mehr auf ein tragbares Mass habe zurückführen können. Verfolgt man heute rückblickend die Entwicklung der Produktions- und Marktverhältnisse des Jahres 1947, dann lässt sich nicht bestreiten, dass es besser gewesen wäre, die Heupreise schon im Sommer zu beschränken, als die ersten Anzeichen eiijer erheblichen Preissteigerung erkennbar waren. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage hätte sich aber auch derart entwickeln können, dass der Erlass eidgenössischer Vorschriften überflüssig geworden wäre. Man kann der Abteilung für Landwirtschaft keinen Vorwurf machen, dass sie im August 1947 immer noch eine Normalisierung der Witterungs- und Produktionsverhältnisse erhoffte und mit dem Erlass von Vorschriften bis zum Monat September zuwartete. Bei voreiliger Aufstellung von Bestimmungen, die sich nachträglich als unnötig erwiesen hätten, wären ihr wahrscheinlich Vorwürfe ebenfalls nicht erspart geblieben.

Die verhältnismässig späte Inkraftsetzung der Höchstpreise machte aber ihre Einhaltung in manchen Fällen tatsächlich schwierig-. Es führt regelmässig zu Härten, wenn bisher freie -Preise von einem Tag auf den andern oder doch kurzfristig durch die Inkraftsetzung amtlicher Höchstpreisvorschriften erheblich reduziert werden. Man verpflichtet damit die Verkäufer und Käufer der Ware, die vor Inkrafttreten der Höchstpreise durchaus rechtmässig die üblichen hohen Marktpreise vereinbarten, bei der erst nach Inkrafttreten stattfindenden Erfüllung des Vertrages niedrigere Preise anzuwenden. Das sind Eingriffe in vertragliche Vereinbarungen, die zwar zur Erreichung des preispolitischen Zieles als notwendig erscheinen, aber doch wichtige Interessen berühren. Die Eingriffe wären weniger zahlreich aufgetreten und sie hätten sich im Einzelfall weniger empfindlich ausgewirkt, wenn die Behörden die
Höchstpreise schon in einem Zeitpunkt festgesetzt hätten, als die freien Marktpreise das als angemessen betrachtete Niveau noch nicht wesentlich überschritten.

Von besonderen Härten konnte der Handel betroffen werden, der das Eauhfutter zwischen den Produzenten und den Konsumenten vermittelte.

Kaufte ein Händler die Ware vom Produzenten unmittelbar vor dem 15. September 1947 und wurde der Kaufvertrag ebenfalls vor diesem Zeitpunkt erfüllt, dann war der Händler berechtigt und infolge der Marktverhältnisse auch genötigt, den zu jener Zeit schon stark angestiegenen freien Marktpreis auszulegen. Fiel dann der Weiterverkauf der Ware an den Konsumenten in die Zeit nach dem 15. September, der Vertragsschluss oder nur die Erfüllung des Vertrages, dann war der Händler verpflichtet, die Ware zu dem inzwischen in Kraft

952 getretenen Höchstpreis weiterzugeben, obschon dieser Höchstpreis unter den rechtmässig ausgelegten Gestehungskosten liegen konnte. In der Verfügung der Abteilung für Landwirtschaft war die Festsetzung besonderer Höchstpreise für solche Härtefälle nicht vorgesehen, obschon auf allen übrigen Gebieten der Preiskontrolle sonst -der Grundsatz galt, dass die Höchstpreise zur Deckung der brancheüblichen Selbstkosten des Verkäufers ausreichen mussten. Infolge der Pestsetzung verbältnismässig niedriger Höchstpreise in einem Zeitpunkt, als die bisher freien Preise bereits viel höher waren, und wegen der Unmöglichkeit der Erlangung besonderer Preisbewilligungen für den Fall rechtmässig bezahlter hoher Ankaufspreise gerieten wahrscheinlich verschiedene Händler insofern in eine gewisse Zwangslage, als sie Verluste' auf den vor Inkrafttreten der Höchstpreise bezogenen, aber erst nachher weiter gelieferten Waren nur durch Überschreitung der Höchstpreise vermeiden konnten.

Es stellt sich auch die Frage, ob die Behörden nicht durch eine ganz allgemein zu niedrige Festsetzung der Höchstpreise einen gewissen Zwang zu deren Überschreitung begründeten. Hinsichtlich der Produzentenpreise trifft dies sicher nicht zu. Die neuen Höchstpreise von 20 und 22 Franken überstiegen um 2 und 3 Franken die Preise von 18 und 19 Franken, die noch anfangs Februar 1947 verbindlich waren. Nach den Ausführungen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements kann es keinem Zweifel unterliegen, dass sie zur Deckung der brancheüblichen Selbstkosten der Produzenten ausreichten. Die neuen Preise standen nach der nicht bestrittenen- Auffassung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements ferner in einem angemessenen Verhältnis zu den damaligen Preisen der Milch und der Milchprodukte. Auch die vorgesehenen Handelsmargen hätten zur Deckung der Kosten der Händler genügt, wenn diese nicht mehr als die in noimalen Zeiten beim An- und Verkauf von Heu üblichen Kosten aufgewendet hätten. Im Mangeljahr 1947 war es aber kaum möglich, unter Aufwendung gleich niedriger Kosten Heu in genügenden Mengen anzukaufen. Die Händler konnten die nötigen Mengen nicht - wie es sonst üblich ist - einfach schriftlich oder telephonisch beim Produzenten bestellen. Sie mussten zuerst verfügbare Überschüsse ausfindig machen, und das verursachte viele Umtriebe. Die
Händler waren im allgemeinen genötigt, zu diesem Zwecke Angestellte in die Überschussgebiete zu schicken oder persönlich dorthin zu reisen, um nach verkäuflichen Mengen Umschau zu halten.

Als einzelne Händler begonnen hatten, ganz besondere Anstrengungen zu unternehmen, mussten die anderen Händler dasselbe tun, wollten sie nicht ins Hintertreffen geraten oder sogar leer ausgehen. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass die Händler unter diesen Umständen mehr als die in normalen Zeiten üblichen Spesen aufwenden mussten, und es erscheint nicht als unglaubhaft, dass sie um im Interesse der Landwirte der Trockengebiete Heu zu beschaffen - gezwungen waren, die auf normale Verhältnisse zugeschnittenen Handelsmargen zu überschreiten.

Im allgemeinen waren die Händler auch genötigt, beim Ankauf des Eauhfutters mehr als die behördlich festgesetzten Produzentenpreise auszulegen, weil

953 die Produzenten der Überschussgebiete die ihnen günstige Marktlage ausnützen wollten. Die Produzenten aber wurden von den Behörden nicht wirksam an der Überschreitung der Höchstpreise gehindert. Es gibt sogar Amtsstellen, die positiv zum Zerfall der Disziplin beitrugen. Die eidgenössische Militärheilstätte Tenero ging - wie ein bei den Akten befindlicher Bericht der Sektion zur Bekämpfung des Schwarzhandels feststellte - mit dem schlechten Beispiel voran, indem sie beim Verkauf von Heu selber die geltenden Vorschriften verletzte. Namentlich gibt es Amtsstellen, die ausdrücklich erklärten oder zum mindesten den Bindruck erweckten, man müsse es mit den geltenden Vorschriften nicht allzu ernst nehmen. In verschiedenen Kantonen waren die mit der Ermittlung kriegswirtschaftlicher Widerhandlungen betrauten Amtsstellen untätig. In anderen Kantonen, in denen Widerhandlungen festgestellt wurden, verfehlte das Strafverfahren den nötigen Eindruck, weil die Straffälle infolge Personalmangels oder wegen der etwas komplizierten Organisation des kriegswirtschaftlichen Strafverfahrens nicht derart rasch erledigt werden konnten, wie es zur Erhaltung der Disziplin notwendig gewesen wäre. Der Zerfall der Disziplin trug das seinige zur Entstehung einer Zwangslage bei.

Unter diesen Umständen kann man sich fragen, ob die Fälle der Händler und der Landwirte der Trockengebiete in subjektiver Hinsicht als genügend schwer erschienen, um ihre Überweisung an den Richter und die Verbängung strafrechtlicher Sanktionen zu rechtfertigen. Angesichts der hohen Produzentenpreise und Handelsspesen kann auch bezweifelt werden, ob es richtig war, von den Händlern bestimmte Beträge als sogenannte widerrechtliche Vermögensvorteile abzuschöpfen. Nach der Auffassung des Bundesrates hätten die Behörden den Verzicht auf die Strafverfolgung nicht nur gegenüber den Laiidrirten der Trockengebiete, sondern auch gegenüber den Händlern strafrechtlich verantworten können. Es handelt sich hier aber um Ermessensfragen, über deren ichtige Beantwortung man verschiedener Meinung sein kann.

bb. Sodann stellt sich die Frage, ob die vorliegenden Straffälle von den Behörden derart unterschiedlich behandelt wurden, dass man aus diesem jrund von einem für die Beurteilung der Amnestiegesuche in Betracht fallenden ?

ehler sprechen kann.

Ungleichheiten
kommen auf allen Gebieten der Strafverfolgung vor. So lat man sich von vorneherein damit abzufinden, dass nur diejenigen Personen trafrechtlich verfolgt werden, deren Widerhandlungen zur Kenntnis der Behörden gelangen, während alle anderen d_er Bestrafung entgehen. Dass trotz ier nötigen Anstrengungen der Behörden nicht alle Widerhandlungen entdeckt werden, lässt sich nicht vermeiden. Im vorliegenden Fall wurden aber von den .antonalen Ermittlungsbehörden die nötigen Anstrengungen offensichtlich nicht unternommen. Jedenfalls wurde zu wenig nach den von den Landwirten der îberschussgebiete begangenen Widerhandlungen geforscht, die zweifellos eine trafrechtliche Ahndung verdient hätten. Hingegen kann man es nicht oder nicht 'indeutig als Fehler bezeichnen, dass viele Kantone an der Verfolgung der Wider-

954

handlangen der Landwirte der Trockengebiete und der Händler sich desinteressierten ; denn hier liess sich die Auffassung vertreten, angesichts der bestehenden Zwangslage sei kein für die Strafverfolgung genügend schweres Verschulden gegeben. Aber auch das Vorgehen anderer Kantone und vor allem der dem Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements unterstellten Sektion zur Bekämpfung des Schwarzhandels, die bei der Erforschung von Widerhandlungen eine grössere Aktivität entfalteten, lässt sich nicht als fehlerhaft bezeichnen; denn wenigstens hinsichtlich der Händler liess sich - wie bei den Landwirten der Überschussgebiete - auch die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für die Strafverfolgung seien erfüllt. Ob im konkreten Fall ein genügend schweres Verschulden vorliegt, ist weitgehend eine Ermessensfrage, bei der man oft nicht eindeutig erklären kann, die positive oder die negative Beantwortung sei richtig. Es ist unvermeidlich, dass unter den Ermittlungsbehörden Meinungsverschiedenheiten entstehen können.

Aus dem gleichen Grunde wäre es auch abwegig, einen Fehler darin zu erblicken, dass die Fälle durch die verschiedenen Gerichte erster Instanz unterschiedlich behandelt wurden. Derartige Unterschiede kommen auf allen Gebieten vor, auf denen die Strafverfolgung verschiedenen, einander koordinierten Behörden übertragen ist. Im Falle der Widerhandlungen gegen die Heuhöchstpreise waren allerdings die Ungleichheiten besonders zahlreich und ausgeprägt.

Nicht alle Ungleichheiten waren auf die unterschiedliche Bewertung der Straffälle durch die verschiedenen Behörden zurückzuführen. Ungleichheiten entstanden auch deshalb, weil einzelne Behörden im Laufe der Zeit ihre Auffassung über die Schwere der begangenen Widerhandlungen änderten. So wurde vor der Suspendierung der Verfahren durch das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement bei der Eröffnung der Strafuntersuchung und bei der Überweisung der Straffälle eine strengere Praxis als nach der Anordnung der Wiederaufnahme der Verfahren befolgt. Zunächst erachtete man es als angezeigt, nicht nur gegen die Landwirte der Überschussgebiete und gegen die Händler, sondern untei gewissen Voraussetzungen auch gegen die Landwirte der Trockengebiete strafrechtlich vorzugehen, während man später zur Auffassung gelangte, diese letzter«
Kategorie von Beschuldigten verdiene keine Bestrafung.

Ferner gibt es Ungleichheiten, die durch Versehen verursacht wurden. Sc entgingen die verantwortlichen Organe der Militärheilstätte Tenero und ach!

Heuhändler des Kantons Tessin wegen eines Versehens in der Registratur des Strafuntersuchungsdienstes der Strafverfolgung. Ein gleiches Versehen unterlie im Verfahren gegen zwei in der deutschen Schweiz ansässige Heuhändler. Dei Strafuntersuchungsdienst verzichtete auch auf die Verfolgung von Produzentei des Kantons Waadt, obschon aus den Akten ersichtlich war, dass Heu aus diesen Kanton gekauft wurde.

Rechtsungleichheiten entstanden endlich insofern, als die Behörden in dei vorliegenden Heufällen sich stellende Fragen nicht durchwegs gleich beant worteten wie die gleichen oder ähnliche Fragen, die bei der Behandlung de

955 Widerhandlungen gegen die Schweinehöchstpreise zu beantworten waren. Diese letzteren Widerhandlungen wurden nur verfolgt, wenn der Beschuldigte die Höchstpreise um 2000 oder mehr Franken überschritten hatte. Von den widerrechtlichen Gewinnen schöpften die Gerichte nur die 2000 Franken übersteigenden Beträge ab. Eine Abschöpfung erfolgte nur gegenüber den Produzenten. In den Heufällen jedoch hing die Strafverfolgung nicht von einem bestimmten minimalen Deliktsbetrag ab. Widerrechtliche Gewinne wurden in gewissen Fällen auch abgeschöpft, wenn sie den Betrag von 2000 Franken nicht erreichten. Die Gerichte verpflichteten nicht nur Produzenten, sondern auch Händler zur Ablieferung widerrechtlicher Gewinne. Diese ungleiche Behandlung der Heu- und der Schweinefälle ist teilweise auf tatsächliche Schwierigkeiten zurückzuführen, die der gleichmässigen Anwendung bestimmter Grundsätze entgegenstanden, teilweise aber auch auf eine inkonsequente Haltung der Behörden.

ce. Endlich fragt es sich, ob die Strafverfolgung nicht aus prozessualen Gründen hätte unterbleiben sollen.

Gleich wie bei der Verfolgung der Preisüberschreitungen auf Schlachtschweinen nahmen die Behörden auch hier während längerer Zeit eine unschlüssige Haltung ein. Nachdem das Eidgenössische Volkswirtscbaftsdepartement am 18. Juli 1949 verfügt hatte, die Widerhandlungen gegen die Heuhöchstpreise seien einstweilen nicht weiter zu verfolgen, ordnete es am 17. August 1950 im Einverständnis mit dem Bundesrat den als endgültig gedachten Verzicht auf die Ahndung derjenigen Widerhandlungen an, die bisher noch nicht dem Richter überwiesen worden'waren. Trotz dieses Verzichts verfügte dann aber das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement später die Wiederaufnahme der Verfahren, nachdem der Bundesrat in den sogenannten Schweinefällen das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ermächtigt hatte, auf seine Verfügung vom 17. August 1950 zurückzukommen.

Bei der Verfügung vom 17. August 1950 handelte es sich um eine Art «interner Einstellung»; das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement erteilte dem Generalsekretariat und dem StrafuntersuchungsdienSt die Weisung, «die Anzeigen intern ohne weitere Benachrichtigung der Anzeigesteller oder der Beschuldigten» abzuschreiben. Es ist aber anzunehmen, dass die Beschuldigten wenigstens zum Teil von der
Weisung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements Kenntnis erhielten; denn der Verzicht auf die Strafverfolgung war durch eine Intervention aus Kreisen der Beschuldigten veranlasst worden, und es ist unwahrscheinlich, dass diese Kreise über den Erfolg ihrer Bemühungen nicht unterrichtet worden wären. Im Amnestiegesuch des W. Galli und Konsorten vom 14. Juni 1954 wird denn auch auf S. 9 erklärt, «dem Vernehmen nach» habe man im Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement jahrelang daran gedacht, die angehobenen Untersuchungen nicht weiter zu führen. Aber selbst wenn eine eingehende Orientierung unterblieb, war der Entschluss der Behörden jedenfalls aus ihrem Verhalten erkennbar; nachdem die Widerhand-

956 langen bereits im Herbst 1947 und Winter 1947/48 begangen worden waren, durften die Widerhandelnden, gegen die bis zum August 1950, also während fast 3 Jahren, keine Strafuntersuchung eröffnet und keine Überweisung verfügt wurde, wohl die in den Kreisen der Beteiligten geäusserte Auffassung als richtig betrachten, das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement habe die Strafverfahren eingestellt. Eine solche Auffassung war auch deshalb naheliegend, weil verschiedene materielle Gründe für einen Verzicht auf die Ahndung wenigstens eines grossen Teils der Widerhandlungen sprachen. H.Eenggli erklärt in seinem Amnestiegesuch vom 23. Juli 1954, er sei nicht wenig erstaunt gewesen, als er nach vier Jahren Unterbruch im Jahre 1952 vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement eine Mitteilung über den Abschluss der Untersuchung und im April 1953 eine Vorladung vor ein kriegswirtschaftliches Strafgericht erhalten habe.

Der Bundesratsbeschluss vom 17. Oktober 1944 über das kriegswirtschaftliche Strafrecht und die kriegswirtschaftliche Strafrechtspflege (BS 10, 850) kennt weder eine sogenannte interne Einstellung des Verfahrens, noch eine Abschreibung von Anzeigen. Nach Artikel 78 musste der Strafuntersuchungsdienst die Nichteröffnung der Untersuchung verfügen, wenn er zur Ansicht gelangte, das zur Anzeige gebrachte Verhalten sei nicht mit Strafe bedroht oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung seien nicht erfüllt. War die Untersuchung bereits eröffnet, fehlten aber die Voraussetzungen für eine Überweisung des Falles an den Eichter, dann musste nach Artikel 84 das Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements das Verfahren einstellen. Sowohl Verfügungen über die Nichteröffnung der Untersuchung als auch solche über die Einstellung des Verfahrens waren nach ausdrücklicher Vorschrift den Beteiligten zu eröffnen. Die Einstellungsverfügungen erlangten formelle und materielle Eechtskraft; sie konnten nicht an eine höhere Instanz weitergezogen werden, und ihre Abänderung durch das Generalsekretariat des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements war nur beim Vorliegen eines in Artikel 127 erwähnten Eevisionsgrundes möglich, nämlich dann, wenn entscheidende neue Tatsachen oder Beweismittel zum Vorschein kamen.

Hätte das Generalsekretariat die im Bundesratsbeschluss vom
17. Oktober 1944 vorgesehenen förmlichen Einstellungsverfügungen getroffen und diese den Beschuldigten vorschriftsgemäss eröffnet, dann würde es eindeutig feststehen, dass es angesichts des Fehlens von Eevisionsgründen nicht zulässig gewesen wäre, später auf diese Verfügungen zurückzukommen. Hingegen bestand kein ausdrückliches Verbot, die nicht vorgesehenen und nicht förmlich eröffneten sogenannten internen Einstellungsverfügungen später zurückzunehmen. Es gab auch keine Bestimmung, welche die Abänderung von Verfügungen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements betreffend die Nichteröffnung der Untersuchung ausdrücklich untersagt hätte. Der Bundesratsbeschluss vom 17.Oktober 1944 erklärte aber auch nicht, die Abänderung solcher Verfügungen sei erlaubt. Artikel 78, Absatz 2, bezieht sich lediglich auf die Nichteröffnung der Untersuchung durch den Strafuntersuchungsdienst. Der genannte Bundes-

957 ratsbeschluss liess die Frage der Abänderlichkeit der Nichteröffnungsverfügungen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements und natürlich auch der als unzulässig betrachteten internen Einstellungsverfügungen offen.

Würden diese Verfügungen gewöhnliehe Verwaltungsverfügungen darstellen, so wäre ihre spätere Abänderung mangels einer ausdrücklichen Bestimmung des positiven Eechts grundsätzlich zulässig, wenn sie im Hinblick auf schutzwürdige Interessen notwendig wäre und ihr nicht andere, wichtigere Interessen, beispielsweise das Interesse an der Bechtssicherheit, entgegenstünden. Dabei könnte man nicht zum vorneherein und allgemeingültig die Eegel aufstellen, das Interesse an der Eechtssicherheit gehe allen anderen Interessen vor. Die genannten internen Nichteröffnungs- und Einstellungsverfügungen gehören aber nicht dem Verwaltungs-, sondern dem Strafprozessrecht an.

Trotzdem rechtfertigt es sich, die positivrechtlich nicht beantwortete Frage der Abänderlichkeit auf dem Wege der Auslegung grundsätzlich nach den gleichen Gesichtspunkten zu beantworten. Im Strafprozessrecht kommt aber dem Interesse an der Eechtssicherheit, das der Abänderung entgegensteht, regelmässig eine grössere Bedeutung zu als im Verwaltüngsrecht. Wird ein angehobenes Strafverfahren durch Einstellung des Verfahrens in einem für den Beschuldigten günstigen Sinn abgeschlossen, dann soll es grundsätzlich bei dieser Art der Erledigung bleiben. Jedes Strafverfahren stellt eine Bedrohung wichtigster persönlicher Interessen des Beschuldigten dar und ist normalerweise geeignet, ihn in einen Zustand ernster Beunruhigung zu versetzen, auch wenn die Anschuldigung als unbegründet erscheint. Dieser Zustand muss einmal beendigt werden.

Man darf den Beschuldigten nicht auf unbeschränkte Zeit sich ständig ändernden Auffassungen einer Strafverfolgungsbehörde aussetzen. Er soll sich darauf verlassen können, dass die Behörde ihren Entscheid nach reiflicher Überlegung getroffen hat und nicht darauf zurückkommt, solange sie keine neuen Tatsachen oder Beweismittel entdeckt. Das Interesse an der Eechtssicherheit überwiegt hier regelmässig die anderen im Spiele stehenden Interessen, die für eine Abänderung der Verfügung sprechen könnten. Angesichts dieses Umstandes kommt den Einstellungsverfügungen, gleich wie einem freisprechenden Urteil,
gewissermassen der Charakter von Versprechen an den Beschuldigten zu, dass er in Zukunft wegen des verzeigten Verhaltens nicht mehr verfolgt werde. Dasselbe ist anzunehmen von der Nichteröffnung der Untersuchung, wenn sie vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement verfügt wurde.

Diese Gründe, die in erster Linie für die Endgültigkeit förmlich getroffener und bekanntgegebener Verfügungen sprechen, gelten auch für entgegen den geltenden Bestimmungen gefasste sogenannte interne Verfügungen, wenn anzunehmen ist, dass sie zur Kenntnis der Beschuldigten gelangten. Es wäre ungerechtfertigt, wenn die Behörde eine grössere Freiheit sich dadurch verschaffen könnte, dass sie ihre Verfügungen oder deren Eröffnung in eine gesetzlich nicht vorgesehene Form kleiden würde. Auch im vorliegenden Fall war es unrichtig, dass das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, nachdem seine Verfügung vom 17. August 1950 offenbar zur Kenntnis mindestens eines Teils der Bundesblatt. 107. Jahrg. Bd. I.

68

958 Beschuldigten gelangte, die Wiederaufnahme der Strafverfahren zuliess. Dasselbe trifft für den Bundesrat zu, der das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ermächtigte, seine Verfügung vom 17. August 1950 so weit abzuändern, als sie die ähnlich gelagerten sogenannten Schweinefälle betraf. Im Hinblick auf das Interesse an der Rechtssicherheit hätte die Abänderung selbst dann unterbleiben sollen, wenn die Verfügung sich als materiell unrichtig erwiesen hätte. Nachdem für die Sistierung des Verfahrens wenigstens in einem grossen Teil der Fälle strafrechtliche Gründe sich anführen Hessen, bestand für die Wiederaufnahme der Strafverfolgung um so weniger Anlass.

b. Ist es tatsächlich möglich, die e r w ä h n t e n Fehler durch Gewährung einer Amnestie wieder g u t z u m a c h e n ?

Diese Frage wäre ohne weiteres zu bejahen für den Fall der Durchführung einer Strafverfolgung und der Ahndung von Widerhandlungen trotz Fehlens der erforderlichen strafrechtlichen Voraussetzungen. Wird jemand in Strafverfolgung gesetzt und mit einer Geldbusse bestraft oder mit einer anderen Sanktion belegt trotz Fehlens des subjektiven Tatbestandes oder einer sonst nötigen Voraussetzung, oder obschon es sich gerechtfertigt hätte, wegen eines nur geringen Verschuldens auf die Strafverfolgung zu verzichten, dann ist es ohne weiteres möglich, dies wieder gutzumachen, vorausgesetzt, dass die Sanktion noch nicht vollstreckt ist oder dass es sich um eine Sanktion handelt, die ihrer Art nach bei erfolgter Vollstreckung wieder rückgängig gemacht werden kann.

Die Möglichkeit der Wiedergutmachung besteht in gleicher Weise auch dann, wenn die Durchführung oder Weiterführung der Strafverfolgung aus formellen, strafprozessualen Gründen hätte unterbleiben sollen, wenn - wie im vorliegenden Fall - das Strafverfahren durchgeführt wurde, obschon das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement früher eine interne Einstellung oder Abschreibung verfügt hatte, von der anzunehmen ist, dass sie zur Kenntnis der Widerhandelnden gelangte. Die im unrichtigerweise durchgeführten Verfahren verhängten Sanktionen können nachträglich durch Amnestie wieder aufgehoben werden, soweit sie ihrer Art nach eine nachträgliche Einwirkung zulassen.

Hingegen fragt es sich, ob die Amnestie ein geeignetes Mittel darstellen würde, um die Rechtsungleichheiten
zu beheben, die bei der strafrechtlichen Behandlung der vorliegenden Fälle vorkamen. Besteht die Rechtsungleichheit darin, dass von gleichartigen Fällen ein Teil mit strafrechtlichen Sanktionen geahndet, der andere hingegen nicht bestraft wurde, oder dass die einen Widerhandlungen eine strengere Ahndung als die anderen erfuhren, dann ist es an sich immer möglich, durch Amnestie die bestraften oder strenger bestraften den nicht bestraften oder milder bestraften anzugleichen. Eine solche Angleichung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn die mildere Behandlung als die richtige und die strengere als die unrichtige erscheint. Nur in diesem Falle lässt sich der bei der rechtsungleichen Behandlung begangene Fehler durch Gewährung einer Amnestie korrigieren. Wurden die strenger behandelten Fälle richtig erledigt, dann würde zu dem in den milder behandelten Fällen begangenen Fehler durch

959 die Amnestie ein zweiter hinzugefügt. Hier müsste die Bechtsgleichheit durch eine strengere Behandlung der zu mild behandelten Beschuldigten hergestellt werden, sofern eine solche Änderung prozessual noch zulässig wäre.

Die bei der Behandlung der vorliegenden Heufälle entstandenen Bechtsungleichheiten sind dadurch gekennzeichnet, dass es nach der Auffassung des Bundesrates richtig behandelte Fälle, daneben aber auch zu streng und zu wenig streng behandelte gibt. Zu streng behandelt wurden vor allem die beiden in den Trockengebieten ansässigen Landwirte, die trotz der bestehenden Zwangslage wegen des Bezugs von Heu zu übersetzten Preisen bestraft wurden, während alle anderen Landwirte, zu denen auch das von den Gesuchstellern erwähnte Parlamentsmitglied gehört, durchaus richtigerweise in Anerkennung einer Zwangslage von der Strafverfolgung ausgenommen wurden. Hier wäre es ohne weiteres möglich, den die Eechtsungleichheit verursachenden Fehler durch Gewährung der Amnestie an die beiden erwähnten Landwirte zu beheben.

Gelangt man zur Auffassung, dass auch die Heuhändler zu streng behandelt wurden, dann wäre auch hier die Amnestie ein taugliches Mittel zur Wiederherstellung der Bechtsgleichheit. Die Amnestie ist an sich auch geeignet, die Erledigung der Heufälle hinsichtlich der Frage der Abschöpfung der widerrechtlichen Gewinne der Lösung anzugleichen, die in den sogenannten Schweinefällen getroffen wurde, wenn die dort befolgte Praxis sich vertreten lässt.

Hingegen wäre es unmöglich, die rechtsungleiche Behandlung der Landwirte der Überschussgebiete durch eine Amnestie zu korrigieren. Denn von diesen Landwirten, die sich auf keine Zwangslage berufen konnten, wurden diejenigen materiell richtig behandelt, deren Widerhandlungen mit verhältnismässig strengen Sanktionen geahndet wurden. Unrichtig war es, dass zahlreiche Landwirte dieser Gruppe der Strafverfolgung entgingen oder verhältnismässig mild bestraft wurden. Eine Amnestie würde hier den begangenen Fehler nicht aufbeben, sondern um einen zweiten vermehren.

c. Ist es sachlich gerechtfertigt, die den Behörden unterl a u f e n e n Fehler im Eahmen der bestehenden Möglichkeiten durch eine Amnestie zu korrigieren?

Eine solche Korrektur rechtfertigt sich nur dann, wenn sie im Hinblick auf ein öffentliches Interesse als notwendig erscheint,
und wenn dieses Interesse höher zu werten ist als die anderen Interessen, die der Gewährung einer Amnestie entgegenstehen.

Es besteht zweifellos ein wichtiges öffentliches Interesse an materiell richtigen Entscheiden der Strafbehörden. Verhängen sie Strafen trotz des Fehlens der strafrechtlichen Voraussetzungen und verletzen sie sogar den Grundsatz der Eechtsgleichheit, dann wäre eine Korrektur an sich durchaus erwünscht. Ein noch wichtigeres öffentliches Interesse erheischt jedoch, dass bei der Gewährung von Amnestien Zurückhaltung geübt werde. Jede Amnestie stellt einen Eingriff in den normalen Gang der Justiz dar und sie gefährdet nicht nur die Autorität der Strafbehörden, sondern allgemein des Staates und des Eechts. Sie tangiert

960 auch den Grundsatz der Gewaltentrennung. Dieser verbietet der Bundesversammlung, bei der Behandlung von Amnestiegesuchen die Funktionen eines obersten Strafgerichts auszuüben. Die Auffassung, eine Gruppe von Straffällen sei strafrechtlich unrichtig und rechtsungleich behandelt worden, darf daher allein noch keinen Grund für die Gewährung einer Amnestie darstellen. Es ist grundsätzlich Sache der Strafbehörden und vor allem des obersten Strafgerichts, den massgebenden Entscheid zu treffen, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Bestrafung erfüllt seien und ob eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Fälle sich sachlich rechtfertige. Die Bundesversammlung sollte daher auch im vorliegenden Fall aus grundsätzlichen Erwägungen darauf verzichten, die Strafurteile schon deswegen durch eine Amnestie korrigieren zu wollen, weil sich die Auffassung vertreten lässt, eine bestehende Zwangslage habe das Verschulden der Widerhandelnden ausgeschlossen oder derart gemildert, dass strafrechtliche Sanktionen nicht hätten verhängt werden sollen. Auch nach der Auffassung der Bundesversammlung entstandene Kechtsungleichheiten genügen für die Begründung einer Amnestie nicht. Derartige Erwägungen können lediglich mitberücksichtigt werden, wenn auch andere Gründe des öffentlichen Interesses für die Gewährung einer Amnestie sprechen.

Im vorliegenden Fall steht aber nicht nur die materielle Eichtigkeit gefällter Strafurteile in Frage. Die Strafbehörden haben in strafprozessualer Hinsicht den Fehler begangen, Strafverfahren wieder aufzunehmen, die vorher mit Wissen der Beschuldigten intern sistiert worden waren. Auf den ersten Blick scheint es, dass dieser prozessuale Mangel weniger schwer wiege als eine materiell unrichtige Behandlung der Straffälle, und dass hier von vorneherein kein öffentliches Interesse angerufen werden könne, das eine Korrektur erfordern würde.

Allein eine solche Betrachtung übersieht, dass eine bekanntgewordene interne Einstellungs- oder Nichteröffnungsverfügung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements gleich wie eine in den vorgeschriebenen Formen eröffnete von den Betroffenen dahin aufgefasst werden durfte, dass sie wegen des verzeigten Verhaltens nicht mehr strafrechtlich verfolgt würden. Die spätere Abänderung der Verfügung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartemerits
vom 17.August 1950 und die Durchführung und Weiterführung der Strafverfahren Hessen eine Unsicherheit und eine schwankende Haltung der Behörden erkennen. Darüber hinaus wurde dieses Vorgehen von den Betroffenen begreiflicherweise als illoyal, ja fast als Bruch eines Versprechens empfunden, wenn auch beizufügen ist, dass ein förmliches Versprechen, die Strafverfahren nicht weiterzuführen, seitens der zuständigen Behörden nie ergangen ist.

Erleidet aber das Vertrauen in den Willen der Behörden, ein Versprechen unter allen Umständen zu halten, eine wenn auch unbegründete Beeinträchtigung, dann stehen öffentliche Interessen in Gefahr, die zu den wichtigsten zählen. Die Schaffung und Erhaltung eines mögliehst ungetrübten Vertrauensverhältnisses ist im allgemeinen und ganz besonders in einer Eeferendumsdemokratie staatspolitisch von grösster Bedeutung. Ein Volk, das den Behörden

961 misstraut, kann in Versuchung kommen, die Grenzen einer noch gesunden.

Kritik und sinnvollen Opposition zu überschreiten und die Erfüllung wichtiger staatlicher Aufgaben zu behindern oder geradezu zu lahmen. Der Bundesrat betrachtet es als ein dringendes staatspolitisches Gebot, im Eahmen des Möglichen alles zu unternehmen, was zur Erhaltung und Stärkung des Vertrauens beiträgt. Das wichtige öffentliche Interesse an der Erreichung dieses Ziels erfordert auch die Aufhebung strafrechtlicher Sanktionen, die von den kriegswirtschaftlichen Strafgerichten gegen die Personen verhängt wurden, deren Strafverfahren nach Erlass interner Nichteröffnungs- und Einstellungsverfügungen trotz des Fehlens von Revisionsgründen unrichtigerweise und unter Beeinträchtigung des bestehenden Vertrauensverhältnisses durchgeführt wurden.

Der Bundesrat gelangt daher zur Auffassung, dass ein ausreichender Grund für die Gewährung einer Amnestie wenigstens zugunsten jener Personen vorliegt, die am 17. August 1950 noch nicht den Gerichten überwiesen waren und die daher in den Genuss der internen Sistierungsverfügung gelangten. Aus Gründen der Billigkeit rechtfertigt es sich aber, auch die verhältnismässig wenigen Beschuldigten in die Amnestie einzubeziehen, deren Widerhandlungen zufällig so frühzeitig zur Überweisung gelangten, dass sie nicht mehr unter die Verfügung vom 17. August 1950 fielen.

Im vorliegenden Fall ist die Amnestie um so eher zu verantworten, weil die mit jeder Amnestie verbundenen Nachteile hier verhältnismässig wenig in Erscheinung treten. Der Verzicht auf die Ahndung der Widerhandlungen gegen die Verfügung vom 10. September 1947 vermag der Autorität des Staates und des Eechts nicht in gleichem Masse zu schaden, wie dies in anderen Fällen regelmässig zuträfe; denn bei einem grossen Teil jener Widerhandlungen lag angesichts der Zwangslage, in der sich die Beschuldigten befanden, ein derart leichtes Verschulden vor, dass es zum mindesten nicht völlig abwegig gewesen wäre, schon von Anfang an auf die Strafverfolgung zu verzichten. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die hier zur Diskussion stehende Amnestie nur einen verschwindend kleinen Bruchteil der grossen Zahl aller kriegswirtschaftlichen Widerhandlungen erfasst, und dass die Behandlung der vorliegendenFälle, welche die Besonderheit aufweisen,
dass die Behörden eine bereits verfügte Sistierung des Verfahrens nachträglich rückgängig machten, lediglich die ähnlich gelagerten Fälle der Widerhandlungen gegen die Schweinehöchstpreise zu präjudizieren vermag, im übrigen aber kein Präjudiz für die Gewährung der Amnestie auch in anderen Fällen begründet.

3. Es erhebt sich die Frage, in welchem U m f a n g eine als notwendig erachtete Amnestie zu gewähren ist. Rechtfertigt es sich, alle Strafen und Massnahmen aufzuheben und die Verurteilten eventuell sogar von der Pflicht zur Bezahlung der Verfahrenskosten zu entbinden ?

Es erscheint als angezeigt, die verhängten Geldbussen vollständig rückgängig zu machen; der Zweck der Amnestie, die Wiederherstellung des gestörten Vertrauensverhältnisses, würde nicht erreicht, wenn die Bundesver-

962 Sammlung sich darauf beschränkte, die Bussen lediglich auf ein niedrigeres Mass, beispielsweise auf die Hälfte, herabzusetzen. Die Beschuldigten, die zu einer Busse verurteilt wurden, dürfen aber nicht besser gestellt werden als die Beschuldigten, die einen Verweis erhielten. Die Bussen sind daher nicht schlechthin aufzuheben, sondern durch Verweise zu ersetzen. Es besteht kein Grund und wäre nicht gerechtfertigt, die Amnestie auf noch nicht vollstreckte Urteile zu beschränken. Bereits bezahlte Bussen können und sollen zurückerstattet werden.

Soweit die Verurteilten noch keine Zahlung geleistet haben, sind sie von der Zahlungspflicht zu befreien. Zugleich muss auch die Solidarhaft dahinfallen, soweit sie sich auf die Bussen bezieht.

Die Verurteilten, die durch Begehung kriegswirtschaftlicher Widerhandlungen widerrechtliche Vermögensvorteile erzielten, besitzen hingegen kein schutzwürdiges Interesse, diese behalten zu dürfen. Mit der Abschöpfung der Vorteile verfolgten die Gerichte den Zweck, rechtlich unerwünschte Auswirkungen von Widerhandlungen zu korrigieren. Es ist nicht angezeigt, auf dem Wege der Amnestie die erfolgte Korrektur wieder rückgängig zu machen. Es war Sache der Gerichte, zu entscheiden, ob und wie weit eine solche Korrektur nötig war.

Auch wenn die Richtigkeit ihrer Entscheide, namentlich unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung betrachtet, nicht ohne weiteres und durchwegs einleuchtet, so sollte unseres Erachtens die Bundesversammlung aus den dargelegten grundsätzlichen Erwägungen der Gewaltentrennung hier doch von einem Eingriff in die Belange der Justiz absehen. Abgesehen davon würde es wohl den Grundsatz von Treu und Glauben verletzen, wenn die Verurteilten aus der internen Sistierungsverfügung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes nicht nur einen Anspruch auf Strafbefreiung, sondern auch ein Versprechen ableiten wollten, im Besitze widerrechtlicher Vorteile bleiben zu dürfen.

Es ginge endlich zu weit, die Verfahrenskosten in die Amnestie einzubeziehen. Auch die im Sinne des Artikels 7, Absatz 2, des Bundesratsbeschlusses vom 17. Oktober 1944 erteilten Verweise sollten der Amnestie nicht teilhaftig werden. Hätten sich die Behörden lediglich mit der Verhängung dieser Sanktion unter Auferlegung der Verfahrenskosten an die Beschuldigten begnügt, so · würde
das öffentliche Interesse die Gewährung einer Amnestie nicht notwendig machen. Auch wenn es bei einer Einstellung des Verfahrens geblieben wäre, so hätte diese mit einer Verwarnung und Kostenauflage verbunden werden können (Art. 71, 72 und 84, Abs. l, Ziff. 4, des Bundesratsbeschlusses vom 17. Oktober 1944).

Gestützt auf diese Ausführungen beehren wir uns, Ihnen den nachstehenden Entwurf eines Bundesbeschlusses, der die Gewährung einer Teilamnestie vorsieht, zur Annahme zu empfehlen.

968 Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den G.Mai 1955.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Max Petitpierre 2087

Der Bundeskanzler: Ch. Oser

(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

Gewährung einer Teilamnestie für Höchstpreisüberschreitungen auf Heu und Emd Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 85, Ziffer 7, der Bundesverfassung, nach Einsicht in einen Bericht des Bundesrates vom 6.Mai 1955, beschliesst :

Art. l Für die in der Zeit vom 15. September 1947 bis 24. April 1948 begangenen Überschreitungen der Höchstpreise auf inländischem Heu und Emd wird eine Teilamnestie nach .Massgabe der folgenden Bestimmungen gewährt : o. Gegen Personen, die noch nicht verurteilt sind, werden keine Strafverfolgungshandlungen mehr durchgeführt.

b. Die verhängten Bussen werden aufgehoben und durch Verweise ersetzt.

c. Die Solidarhaftung fällt dahin, soweit sie für die Bezahlung von Bussen angeordnet wurde.

d. Schon bezahlte Bussen werden zurückerstattet.

Art. 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemein verbindlich und tritt sofort in Kraft.

Er wird in die Sammlung der eidgenössischen Gesetze aufgenommen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Gewährung einer Teilamnestie für Höchstpreisüberschreitungen auf Heu und Emd (Vom 6. Mai 1955)

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1955

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18.05.1955

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