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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Abänderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Vom 8. November 1955)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiermit den Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Abänderung des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Altersund Hinterlassenenversicherung sowie die dazugehörende Botschaft zu unterbreiten.

I. Einleitung Bekanntlich gewährt das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (im folgenden AHVG genannt) jenen Personen, die nicht während mindestens eines vollen Jahres Beiträge bezahlt haben, grundsätzlich nur im Bedarfsfall einen Anspruch auf Eenten (Übergangsrenten), d.h. nur dann, wenn ihr Einkommen unter Hinzurechnung eines angemessenen Teiles ihres Vermögens die im Gesetz festgelegten Grenzen nicht erreicht. Diese Eegelung, von der in erster Linie alle jene betroffen werden, die vor dem 1. Juli 1883 geboren oder vor dem I.Dezember 1948 verwitwet oder verwaist sind, bildete in letzter Zeit Gegenstand ständiger Kritik. In- und ausserhalb des Parlamentes erfolgten Vorstösse, welche die Beseitigung der Bedarfsklausel für die Übergangsgeneration forderten.

Wir erinnern in diesem Zusammenhang, an die Postulate der Nationalräte Monfrini und Gnägi, die am 21. September 1955 dem Bundesrat überwiesen wurden, sowie an die Motionen Bratschi und Guinand, die am 28. September 1955

1089 in Form von Postulaten angenommen worden sind. Dazu kommen Interventionen der Staatsräte der Kantone Neuenburg (vom 18. Januar 1955), Genf (vom 16. Juli 1955) und Waadt (vom 22. Juli 1955), welche bei ihnen eingegangene Petitionen von Gruppen vor dem I.Juli 1883 Geborener auf Aufhebung der Einkommensgrenzen in befürwortendem Sinne weiterleiteten. Auch in der Petition der Zeitschrift «Der Schweizerische Beobachter» vom 10.März 1955 wurde eine Eegelung verlangt, die den vor dem I.Juli 1883 geborenen Personen und deren Hinterbliebenen, die noch keine Übergangsrenten erhalten, den Bezug einer Rente ermöglicht. Endlich sind uns sehr viele Eingaben von Parteien und Vereinigungen sowie von Privaten zugekommen, welche ebenfalls die Aufhebung der Einkommensgrenzen fordern.

Ausser der Aufhebung der Einkommensgrenzen werden jedoch in zahlreichen parlamentarischen und ausserparlämentarischen Vorstössen ,noch viele andere Abänderungen des AHVG gewünscht. Wir erinnern nur an die Postulate de Courten, Münz, Guinand, Wartmann, Meister, Bodenmann, Bratschi und Dietschi. Die Prüfung aller dieser Wünsche braucht naturnotwendig Zeit. Dazu kommt, dass gegenwärtig die Invalidenversicherung vorbereitet wird und diese so eng mit der AHV zusammenhängt, dass fast jede Abänderung des AHVG automatisch auch Auswirkungen auf die Invalidenversicherung haben wird. Die Abänderung des AHVG und die Einführung der Invalidenversicherung müssen daher unbedingt materiell und zeitlich koordiniert werden. : Lediglich die Verwirklichung des Postulates auf Gewährung von Übergangsrenten ohne Bedarfsklausel an alle Angehörigen der Übergangsgeneration bedarf keiner weiteren Abklärung mehr und präjudiziert auch die Invalidenversicherung nicht in untragbarer Weise. Da dieses Postulat angesichts des Alters der davon betroffenen Personen zudem überall als vordringlich bezeichnet worden ist, hat der Bundesrat bei Entgegennahme der sich darauf beziehenden Postulate im Nationalrat für die Dezembersession 1955 eine Eevisionsvorlage in Aussicht gestellt, welche die Aufhebung der Einkommensgrenzen zum Ziel haben wird.

Darum handelt e s sich b e i d e r vorliegenden Botschaft. . ' ' , . .

H. Die bisherige Entwicklung Die Bedarfsgrenzen des AHVG waren von Anfang an weit gezogen. Schon im Jahre 1948 waren durchschnittlich rund 50 Prozent der
Angehörigen der Übergangsgeneration im Genuss der Übergangsrenten. Die Bedarfsquote stand schon damals in einzelnen Kantonen weit über dem Durchschnitt (Ereiburg und Appenzell I.-Eh.' 60%, Graubünden 61%, Obwalden 65%, Tessin 67% und Wallis 74%).

Trotzdem wurden die ursprünglich festgesetzten Einkornmensgrenzen bald als zu niedrig empfunden. Da sich die AHV einer gesunden Finanzlage erfreute, konnten durch eine am I.Januar 1951 in Kraft getretene Gesetzesänderung die Einkommensgrenzen erstmals um durchschnittlich 70 Prozent erhöht werden. Die

1090 auf den 1. Januar 1954 vorgenommene zweite Gesetzesrevision begünstigte nochmals die sogenannte Übergangsgeneration, indem die Eenten erhöht und die Einkommensgrenzen um rund 12 Prozent hinaufgesetzt wurden. Seit 1948 sind demnach die für den Bezug der Übergangsrenten massgebenden Einkommensgrenzen durchschnittlich um nahezu 90 Prozent erhöht worden; berücksichtigt man dazu, dass bei beiden Gesetzesrevisionen die Vermögensanrechnung abgeschwächt worden ist, so lässt sich sagen, dass die Grenzbeträge ungefähr verdoppelt worden sind.

Die nachstehende Tabelle zeigt die Entwicklung der effektiven Einkommensgrenzen seit Schaffung der AHV.

Die Entwicklung der Einkommensgrenzen Beträge in Franken Ortsverhältnisse Rentenait

städtisch

1948

Einfache Altersrente .

Ehepaar- Altersrente .

Witwenrente Einfache Waisenrente Vollwaisenrente . . .

.

.

.

.

1951

halbätädtisch 1954

1948

1951

1954

1 ändlich

1948

1951

1954

3333 3750 1850 3067 3450 1700 2800 3150 3200 5333 6000 2950 4933 5550 2700 4533 5100 2000 3333 3750 1850 3067 3450 1700 2800 3150

2000

600 1467 1650 900 1467 1650

525 1333 1500 800 1333 1500

450 1200 1350 700 1200 1350

Dass die Entwicklung der Bedarfsgrenzen im Bahmen der AHV die üblichen Ansätze bei weitem überschritten hat, zeigt ein Vergleich mit den für den Bezug der kantonalen Altersbeihilfen massgebenden Einkommensgrenzen, die zum Teil weit unter jenen der AHV liegen.

Welche Leistungen sind nun auf Grund dieser Einkommensgrenzen zugunsten der Übergangs'generation ohne Beitragsleistung erbracht worden? Wie die nachstehende Tabelle zeigt, sind diese ganz bedeutend. Das Schwergewicht der Leistung lag in den ersten 8 Jahren der Wirksamkeit der AHV eindeutig auf der Seite der Übergangsrenten.

1091 Bezüger1) und Auszahlungen2) von Übergangs- und ordentlichen Ernten 1948-1955 Übergangsrenten

Jahie

1948 .

1949

Bezüger in 1000

: . . - . .

1950 1951. . . . . ; . .

1952 1953 1954 1955 4)

Total

Auszahlungen Millionen Fr.

Ordentliche Renten') Bezüger in 1000

Auszahlungen Millionen Fr.

247 248 237 270 263 249 241 230

122 124 121 142 141 132 156 151

32 70 108 147 184 221 255

17 43 73 100 128 194 223

--

1089

--

778

') Statistisch ermittelte effektive Bezügerzahlen (ohne Rücksicht auf die Bezugsdauer innerhalb dea Jahres). Die Ehepaare werden als je ein Bezüger gezählt.

!

) Abrechnungsergebnisse.

·) Einschliésslich Bentner und Zahlungen im Ausland.

4 ) Schätzungen.

Es ist wohl nicht notwendig zu sagen, dass angesichts dieser Zahlen nicht von «vergessenen Alten» gesprochen werden kann. Die junge Generation hat mit ihrer Beitragsleistung, zusammen mit der öffentlichen Hand, geradezu gewaltige Leistungen zugunsten der bei Einführung der AHV bereits Alten, "Verwitweten und Verwaisten erbracht.

Trotz dieser unbestreitbar sehr starken Ausgestaltung der Leistungen zugunsten der Übergangsgeneration macht sich eine an Einstimmigkeit grenzende Bewegung zugunsten des totalen Einschlusses der Übergangsgeneration in die AHV geltend.

Wie erklärt sich trotz der Weitherzigkeit der Bedarfsgrenzen diese Einhelligkeit der öffentlichen Meinung ? Der Grund dafür dürfte vor allem psychologischer Natur sein. Seitdem die Übergangsrenten infolge der Erhöhung der Einkommensgrenzen ihren ursprünglichen Bedarfscharakter zum Teil eingebüsst haben, betrachten sich die Personen, welche auf Grund ihrer Einkommens- oder Vermögensverhältnisse weiterhin nicht bezugsberechtigt sind, als ' Angehörige einer «ausgeschlossenen» Minderheit und als Opfer einer ungleichen Behandlung.

Ferner lässt sich nicht völlig bestreiten, dass ganz oder teilweise Nichtbezugsberechtigte wegen besonderer Lebensverhältnisse trotz ihres Einkommens einer finanziellen Hilf e oder doch einer weitergehendenHilfe, als sie die gegebenenfalls zur Ausrichtung gelangende gekürzte Eente darstellt,-bedürfen. Schliesslich ist nicht zu übersehen, dass jedes System von Einkommensgrenzen auch Personen begünstigt, die ihre ungünstige wirtschaftliche Lage ganz oder teilweise selbst verschuldet haben. Alle diese Momente haben in weiten Kreisen des Schweizer-

1092 Volkes die Auffassung aufkommen lassen, dass es nicht mehr verantwortet werden könne, die Bedarfsgrenzen weiterhin aufrechtzuerhalten.

Diese Sachlage liess es dem Bundesrat als wünschenswert erscheinen, dem vielfach geäusserten Begehren zu entsprechen und die Übergangsgeneration in die Leistungsberechtigung einzubeziehen. Dies lässt sich um so eher rechtfertigen, als die finanzielle Lage der AHV heute eine solche Begünstigung erlaubt. Wenn aber die Aufhebung der Einkommensgrenzen für die Altersklassen der Übergangsgeneration noch von Vorteil sein soll, so muss sie innert kürzester Frist erfolgen.

Der Bundesrat beantragt daher, die entsprechende Revision des AHV-Gesetzes gegenüber allen anderen Punkten vorwegzunehmen und auf den 1. Januar 1956 in Kraft zu setzen.

lu. Der Umfang der Revision Verschiedene Fragen stellen sich mit Bezug auf den Umfang der Eevision.

1. Sollen die Einkommensgrenzen gänzlich aufgehoben werden oder nicht?

Man kann sich füglich fragen, ob es sich rechtfertigen lässt, beitragslose Renten auch an Leute in sehr günstigen finanziellen Verhältnissen auszurichten. Um allen noch einigermassen vertretbaren Begehren gerecht zu werden, würde es sicher genügen, die Einkommensgrenzen derart zu erhöhen, dass jeder Versicherte der für seinen persönlichen Bedarf im weitesten Sinne eine Eente braucht, diese auch erhält. Würde man beispielsweise die Einkommensgrenze für eine alleinstehende Person auf etwa 10 000 Franken im Jahr festsetzen, so könnte sich wohl niemand mehr auf einen Härtefall berufen.

Bei so hohen Einkommensgrenzen würden allerdings fast alle Angehörigen der Übergangsgeneration in den Genuss der Rente gelangen. Um einige wenige stossende Fälle auszuschliessen, müsste man also weiterhin die wirtschaftlichen Verhältnisse jedes einzelnen Rentenanwärters prüfen. Diese Prüfung würde aber nicht nur einen mit dem praktischen Erfolg in keinem Verhältnis stehenden administrativen Aufwand erfordern, sondern sie würde von den Betroffenen möglicherweise noch in vermehrtem Masse als bisher als lästige Einmischung der Verwaltung in ihre persönlichen Verhältnisse empfunden.

2. Sollen die Einkommensgrenzen generell oder nur für die eigentliche Übergangsgeneration aufgehoben werden ?

a. Die Revisionsbegehren beziehen sich vor allem auf die Kategorie der vor dem 1. Juli 1883
geborenen Personen, welche überhaupt keine Möglichkeit hatten, durch Bezahlung von Beiträgen ordentliche Renten zu erwerben. Viel seltener ist die Rede von den Hinterlassenen, deren Ernährer vor dem I.Dezember 1948, also vor der Leistung eines vollen Jahresbeitrags, gestorben ist. Es scheint aber selbstverständlich, dass diese Hinterlassenen ebenfalls begünstigt werden müssen.

Folgerichtig muss dies auch gelten für die Hinterlassenen von vor dem l. Juli 1883 geborenen Personen, selbst wenn der Todesfall erst nach dem I.Dezember 1948 eingetreten ist, beispielsweise also für die 63- oder 64jährige Frau, deren

1093 Ehemann im Jahre 1956 stirbt, nachdem er bis dahin dank der Aufhebung der Einkommensgrenze eine Übergangsrente bezogen hat.

Innerhalb des genannten Personenkreises kann einzig die Begünstigung der Witwen, welche 65 Jahre alt werden, zweifelhaft sein. Solche Witwen hatten weil nach dem I.Juli 1883 geboren - die Möglichkeit, sich mit Beiträgen eine ordentliche Altersrente zu verschaffen. Soll man nun den Witwen, welche keine Beiträge entrichteten, ohne Einschränkung die Übergangsrente gewähren ? Da das Gesetz die nichterwerbstätige Witwe von jeder Beitragsleistung befreit, muss auch dieser Schritt getan werden; dies um so mehr, als es stossend wäre, einer Witwe zuerst ohne jede Einschränkung eine Übergangs-Witwenrente zu gewähren und ihr hernach im Alter den Anspruch auf Übergangsrente abzuerkennen.

b. Es gibt nun aber zwei..Personenkategorien, welche nicht zur eigentlichen Übergangsgeneration gehören, aber zur Zeit im Bahmen der Einkommensgrehzen Übergangsrenten beziehen können. Es sind dies - die verheirateten Frauen, die älter sind als ihr Mann, und - die Personen, welche im Ausland waren, aber der freiwilligen Versicherung nicht beigetreten sind.

Zugunsten der nach dem 1. Juli 1883 geborenen Ehefrauen könnten an sich die gleichen Argumente wie zugunsten der Witwen ins Feld geführt werden; doch hätte eine solche Begünstigung nicht bloss vorübergehenden, sondern dauernden Charakter; man denke nur an die Zahl der Ehefrauen, welche keine Erwerbstätigkeit ausüben und nie Beiträge leisten werden, insbesondere auch an die zahlreichen Ausländerinnen, die einen Schweizer heiraten und erst mit oder nach dem Eheschluss in die Schweiz kommen. Abänderungen mit .dauernden Auswirkungen bedürfen aber, worauf wir bereits hingewiesen haben, noch eingehender Abklärungen, weshalb darauf im Eahmen der jetzt vorgesehenen Revision verzichtet werden muss.'

Dauercharakter der Begünstigung findet sich in noch stärkerem Masse bei der zweiten Gruppe, nämlich bei den heimgekehrten Auslandschweizern, welche der freiwilligen Versicherung nicht angehört haben, obschon^sie die Möglichkeit gehabt hätten, sich zu versichern und eine ordentliche Eente zu erwerben.

Würde man ihnen nach ihrer Eückkehr in die Schweiz ohne jede Einschränkung die Übergangsrente gewähren, so würde dies einer Bestrafung all jener Auslandschweizer
gleichkommen, welche sich bemüht haben, freiwillig Beiträge zu leisten.

.

i Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die Aufhebung der Bedarfsgrenzen allen Angehörigen der .eigentlichen Übergangsgeneration im weitesten Sinne zugute kommen soll. Dagegen soll für jene Personen, die nicht dieser Übergangsgeneration angehören, aber dennoch keine ordentliche Eente beanspruchen können, die bisherige Eegelung bis auf weiteres beibehalten werden.'

3. Pestgehalten sei schliesslich, dass die geltende Eegelung der Übergangsrenten in allen übrigen Punkten keine Änderung erfahren soll. Hierzu möchten wir insbesondere noch folgendes bemerken.

i

1094 a. Nach wie vor soll die Gewährung der Übergangsrenten an die Voraussetzung der schweizerischen Nationalität und des Wohnsitzes in der Schweiz geknüpft sein; die Übergangsrente soll auch in Zukunft weder den Schweizern im Ausland noch - vorbehaltlich abweichender zwischenstaatlicher Vereinbarungen - den Ausländern in der Schweiz zukommen.

b. .In der Eidgenössischen AHV-Kommission wurde die Frage diskutiert, ob es sich nach dem Wegfall der Einkommensgrenzen noch verantworten lasse, dass die Übergangsrente, für die keine Beiträge bezahlt werden mussten, in städtischen Verhältnissen etwas höher ist als die ordentliche Eente, auf die Versicherte mit ganz niedrigen Beitragsleistungen Anspruch haben.

Um diese Differenz zu beseitigen, wurde vorgeschlagen, die minimale ordentliche Eente so zu erhöhen, dass sie der in städtischen Verhältnissen ausgerichteten Übergangsrente entspricht. Das würde zum Beispiel die Erhöhung der minimalen ordentlichen einfachen Altersrente von 720 auf 840 Franken, der minimalen ordentlichen Ehepaar-Altersrente von 1160 auf 1360 Franken bedingen. Wir könnten einer solchen Erhöhung, die übrigens auch von der Eidgenössischen AHV-Kommission mehrheitlich abgelehnt worden ist, im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zustimmen. Die Erhöhung der minimalen ordentlichen Eente würde bestimmt und mit Eecht weiteren Abänderungsbegehren rufen, da das ordentliche Eentensystem ein Ganzes darstellt und nicht bruchstückweise geändert werden kann. Sie würde eine Rentnerkategorie begünstigen, die von Anfang an begünstigt war und anlässlich der letzten Eevision des AHVG nochmals stark begünstigt worden ist. Es geht aber nicht an, die für Verbesserungen zur Verfügung stehenden Mittel immer den gleichen Kategorien zukommen und die andern Kategorien leer ausgehen zu lassen. Im weitern würde eine Erhöhung der minimalen ordentlichen Eente ohne gleichzeitige Abänderung anderer Bestimmungen oder der bestehenden zwischenstaatlichen Vereinbarungen insbesondere auch die Ausländer, die nur während verhältnismässig kurzer Zeit Beiträge an die AHV bezahlt haben, in untragbarer Weise begünstigen, da nach den geltenden Vorschriften ja jedem Eentenberechtigten die Mindestrente garantiert ist. Die Frage der Erhöhung der minimalen ordentlichen Benten muss daher im Zusammenhang mit den andern Eevisionspostulaten
geprüft werden und kann nicht wie die Aufhebung der Einkommensgreuzen vorweggenommen werden.

In der Eidgenössischen AHV-Kommission wurde sodann ein weiterer Vor schlag geprüft, der die Differenzen zwischen der minimalen ordentlichen Eente und der Übergangsrente in städtischen Verhältnissen zwar nicht beseitigt, aber einer Vermehrung der Differenzfälle vorgebeugt hätte. Dieser Vorschlag ging dahin, jenen Angehörigen der Übergangsgeneration, welche die Einkommensgrenze erreichen oder überschreiten, eine besondere Eente zu gewähren, _ die entweder generell der Übergangsrente in ländlichen Verhältnissen entsprechen oder aber in ländlichen Verhältnissen auf 630 und in halbstädtischen sowie in städtischen Verhältnissen auf 720 Franken angesetzt werden könnte. Diesem Vorschlag wurde entgegengehalten, dass er materiell in die Gestaltung des Über-

1095 gangsrentensystems eingreifen und überdies neue Differenzen entstehen lassen würde, nämlich zwischen den bedürftigen und den nichtbedürftigen Übergangsrentnern.

Aus diesen Gründen sprach sich die Eidgenössische AHV-Kommission mehrheitlich auch gegen die zweite Lösungsmöglichkeit aus und damit gegen j ede Eegelung des Differenzenproblems im Zusammenhang mit der Aufhebung der Einkommensgrenzen, Wir schliessen uns dieser Auffassung an,,da wir, wie bereits betont, im gegenwärtigen Zeitpunkt keiner über die Aufhebung der Einkommensgrenzen hinausgehenden Eevision des AHVG- zustimmen könnten. Es darf auch nicht übersehen werden, dass es sich bei den Bezügern ordentlicher Eenten in städtischen Verhältnissen, deren Eente niedriger ist als die Übergangsrente, um Personenhandelt, deren durchschnittliches jährliches Einkommen vor der Eentengewährung auf jeden Fall weniger als 2250 Franken pro Jahr betrug. Endlich ist darauf hinzuweisen, dass das Differenzenproblem nur bei etwa 4 Prozent der Bezüger ordentlicher Eenten eine Eolle spielt, die Erhöhung der minimalen ordentlichen Eenten jedoch ungefähr 25 Prozent der heutigen Bezüger dieser Eenten betreffen würde.

c. Auch die Abstufung der Übergangsrenten nach Ortsverhältnissen kann durch die gegenwärtige Eevision nicht berührt werden. Eine Lösung dieser Frage wäre nur in dem Sinne möglich, dass auch für die ländlichen und halbstädtischen Verhältnisse die heute für städtische Verhältnisse geltenden Eentenansätze gewährt würden, womit sich die vorstehend erwähnten Differenzen zwischen minimaler ordentlicher Eente und Übergangsrente auch in halbstädtischen Verhältnissen und auf dem Lande ergeben würden, was unbedingt verhindert werden muss.

' · ' ' , ' IV. Die finanziellen Auswirkungen 1. Da die vorgesehene Eevision nur einen vorübergehenden Zuwachs der Leistungen verursachen wird, fallen die finanziellen Auswirkungen zur Zeit gesamthaft nicht mehr allzusehr ins Gewicht. Seit der Einführung der AHV haben die in Frage stehenden Aufwendungen stark an Bedeutung verloren, zumal die vor dem I.Juli 1883 Geborenen heute das 72. Altersjahr überschritten haben.

Wenn daher allen Angehörigen der Übergangsgeneration ab 1. Januar 1956 die Übergangsrente gewährt wird, so wird dies für das Jahr 1956 zwar wohl eine Mehraufwendung in der Grössenordnung von zirka 50 Millionen
Franken nach sich ziehen, die sich aus der Zusprechung von Übergangsrenten an alle bisher nicht berechtigten Personen - ihre Zahl dürfte ungefähr 70 000 betragen - sowie aus der Gewährung ungekürzter Übergangsrenten an gegenwärtige Bezüger gekürzter Eenten ergibt. Diese zusätzliche Belastung wird sich jedoch rasch vermindern und schliesslich gänzlich verschwinden, wie nachstehende Tabelle (siehe nächste Seite) zeigt.

' · .

. ' · ; · .

. In «ewiger Eente» ausgedrückt, d.h. im Jahresdurchschnitt auf weite Sicht, können die Mehraufwendungen mit jährlich 11 Millionen Franken angegeben werden. Die technische Bilanz der Versicherung wird denn auch mit diesem

1096 Finanzielle Auswirkung der Aufhebung der Einkommensgrenzen Beträge in Millionen Franken: Gesamtbelastung

Jahre

1956

1957 . . . . . .

1958 1959 1960 1965 1970 1975 . . .

1980 1990

Mit , Einkommensgrenzen

145 138 131 125 118 77 47 28 16 4

Ohne Einkomrnensgrenzen

198 186 174 164 151 96 57 33 19 5

Mehrausgaben

:

53 48 .43 39 33 19 10 5 3 1

Betrag zusätzlich belastet, was bei der heutigen finanziellen Lage der AHV tragbar erscheint.

2. In der Petition des «Schweizerischen Beobachters» ist angeregt worden, den vor dem 1. Juli 1888 geborenen Personen durch die freiwillige Leistung eines Jahresbeitrages die Möglichkeit des Bezuges einer AHV-Eente zu geben, wie das früher schon durch einen entsprechenden Antrag von Nationalrat Odermatt in Vorschlag gebracht worden war. Wir halten aber dafür, dass man den Schritt ganz tun und von der Erhebung eines Beitrages Umgang nehmen sollte, zumal das Prinzip der freiwilligen Beitragsleistung, wie wir schon öfters darzulegen Gelegenheit hatten, mit dem Prinzip einer obligatorischen Versicherung unvereinbar ist.

V. Schlussbemerkungen 1. Anlässlich der vorliegenden dritten Eevision des AHV G dürfte es zweck mässig sein, einen Blick nach rückwärts zu werfen und sich dabei die Frage vorzulegen, welchen finanziellen Umfang die auf Beginn der Jahre 1951 und 1954 eingetretenen Gesetzesänderungen sowie die auf I.Januar 1956 geplante Eevision insgesamt aufweisen. Wir können dabei feststellen, dass das Gesamtaüsmass dieser Verbesserungen einen kapitalmässigen Barwert von über 3,5 Milliarden Franken darstellt und somit im Jahresdurchschnitt auf weite Sicht die ansehnliche Summe von 100 Millionen Franken übersteigt. Diese Zahl kommt erst recht zur Geltung, wenn wir sie in Beziehung setzen zu dem gegenwärtig auf rund 900 Millionen geschätzten jahresdurchschnittlichen Volumen aller künftigen Verpflichtungen der Versicherung.

1097 Es ist allgemein bekannt, dass diese wertvollen Verbesserungen nur der erfreulichen finanziellen Entwicklung der AHV - die auch weiterhin nach Inkrafttreten der letzten Eevision angehalten hat - zu verdanken sind. Wir haben aber bereits in unserer Botschaft vom 5.Mai 1953 zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Abänderung des AHV G mehrmals betont, dass die Ursache der finanziellen Überschüsse einzig und allein im Mehrertrag der Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber begründet ist. Diese Beiträge werden jedoch von der Generation der künftigen ordentlichen Eentner aufgebracht; im Grunde genommen sollte der Mehrertrag ausschliesslich dazu verwendet werden, um die ordentlichen Eenten aller Einkommensstufen entsprechend zu verbessern. Dies wurde bis anhin nur in bescheidenem Umfang getan; denn e,twa die Hälfte der für die Verbesserungsmassnahmen benötigten 100 Millionen Franken pro Jahr entfallen auf die Übergangsrentner sowie die Bezüger der ordentlichen Minimalrenten, die entweder gar nicht oder doch nur unmerklich zur Verbesserung der finanziellen Lage der AHV beigetragen haben. Wenn nun die dritte Eevision ausschliesslich den Angehörigen der Übergangsrentengeneratipn zugute kommen soll, so geht man an die äusserste Grenze dessen, was für diesen Personenkreis in der AHV noch verantwortet werden kann. Falls die Preis-Lohn-Entwicklung eine weitere Verbesserung der finanziellen Lage mit sich bringen würde, müsste unter allen Umständen danach getrachtet werden, entsprechende Überschüsse ausschliesslich zur Verbesserung der ordentlichen Eenten aller Einkommensstufen zu verwenden.

; 2. Im Sinne der Ausführungen unter Ziffer III beschränkt sich !der vorliegende Gesetzesentwurf auf die Einführung eines Artikels 43bls desBundesgesetzea über die Alters- und HinterlassenenVersicherung zugunsten der vor dem l. Juli 1883 geborenen Personen und ihrer Hinterlassenen sowie der vor dem I.Dezember 1948 verwitweten Frauen und verwaisten Kinder.

' ; · Wir beehren uns, Ihnen zu beantragen, es sei der nachfolgende Gesetzesentwurf zum Beschluss zu erheben.

Wir benützen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

; Bern, d e n S.November 1955.

.

:

.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates : Der Bundespräsident: Max Petitpierre Der Bundeskanzler: Ch, Oser

1098 (Entmirf)

Bundesgesetz betreffend

die Abänderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung

Die Bundesversammlung de.r Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 8. November

1955 beschliesst:

Das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung wird durch einen Artikel 43bls folgenden Wortlautes ergänzt : Art. 48Ms Ausnahmen

Die in Artikel 42, Absatz l, festgesetzten Einkommensgrenzen und die in Artikel 43, Absatz 2, erster Satz, vorgeschriebene Eentenkürzung finden keine Anwendung : a. auf die vor dem I.Juli 1883 geborenen Personen und ihre Hinterlassenen; T}, auf die vor dem I.Dezember 1948 verwitweten Frauen und verwaisten Kinder.

II Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1956 in Kraft.

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17.11.1955

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