10.084 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (Freie Wahl des Empfangsgerätes für digitales Fernsehen) vom 17. September 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen einen Entwurf betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2007 M 07.3484

Verschlüsselung von Set-Top-Boxen im digitalen Kabelnetz (S 22.6.2007, Sommaruga)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. September 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-1709

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Übersicht Die Änderung des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen soll es ermöglichen, dass die Nutzerinnen und Nutzer in der Wahl des Empfangsgerätes für digitale Fernsehprogramme frei sind und nicht mehr zwingend die proprietäre Set-TopBox ihrer Fernmeldedienstanbieterin benutzen müssen.

Der Empfang von digitalen Fernsehprogrammen setzt ein Empfangsgerät voraus, das die Signale in Bilder umwandelt und diese im Fernsehgerät sichtbar macht. In den meisten moderneren Fernsehgeräten ist das Empfangsgerät für digitales Fernsehen bereits eingebaut (digitaler Tuner). Für ältere Fernsehgeräte ist dafür eine separate Set-Top-Box nötig, wofür im Markt ein breites Angebot besteht.

Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer von digitalem Fernsehen werden nun aber von ihrer Fernmeldedienstanbieterin vertraglich gezwungen, die von ihr abgegebenen Empfangsgeräte (proprietäre Set-Top-Boxen) zu mieten oder zu kaufen, wenn die Signale verschlüsselt verbreitet werden. Dieser Zwang verunmöglicht die Wahlfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer und verhindert den Wettbewerb im Markt für Empfangsgeräte für kabelverbreitetes, digitales Fernsehen (Set-Top-Boxen oder Fernsehgeräte mit eingebautem digitalen Tuner und einem Schacht zum Einstecken der Module für die Zugangsberechtigung bzw. der Chipkarte), die den Empfang von unverschlüsselten bzw. standardmässig verschlüsselten Programmen erlauben.

Zudem müssen die Nutzerinnen und Nutzer bei einem Wohnortswechsel möglicherweise ein neues Gerät anschaffen.

Die Gesetzesänderung soll es deshalb ermöglichen, dass die Nutzerinnen und Nutzer in der Wahl des Empfangsgerätes frei sind und für den Empfang eines bestimmten Digitalfernsehangebotes nicht mehr zwingend die proprietäre Set-Top-Box ihrer Fernmeldedienstanbieterin benutzen müssen.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Schon Ende der 90er-Jahre gingen die meisten Fernsehveranstalter dazu über, ihre Programme mit digitaler Technik zu produzieren. Die Verbreitung des Fernsehsignals erfolgte bis zur Jahrtausendwende jedoch in analoger Form. Um das Bild auf dem Bildschirm sichtbar zu machen, genügte eine Antenne für den terrestrischen Empfang bzw. ein Kabel für die Verbindung zum Netzanbieter. Ein zusätzliches Empfangsgerät (Set-Top-Box) wurde lediglich für den Satellitenempfang sowie für den Bezug von verschlüsselten Bezahlprogrammen (Pay-TV) benötigt. Dies änderte sich, als die Kabelnetzbetreiber (ab 2003) und die SRG SSR idée suisse (terrestrisch, grossflächig ab 2005) auch Fernsehprogramme in digitalisierter Form verbreiteten.

Die Digitalisierung ermöglicht die Bereitstellung von Zusatzdiensten zum eigentlichen Rundfunksignal wie beispielsweise Programminformationen (Electronic Programm Guide, EPG), Livepause oder Filme auf Abruf (Video on Demand) und legt damit den Grundstein für innovative und interaktive Programmangebote.

Da die damals im Markt erhältlichen Fernsehgeräte nur ein Empfangsgerät für die Darstellung von analogen Signalen (analoger Tuner) eingebaut hatten, wurde die Zuschaltung einer Set-Top-Box nötig, die die digital aufbereiteten Signale wieder in analoge umwandeln konnte. Für den terrestrischen, unverschlüsselten Empfang (DVB-T) konnten diese Set-Top-Boxen von Beginn weg im Markt erworben werden. Für den Empfang von digitalen Signalen aus dem Kabelnetz war dies jedoch nur teilweise der Fall: Mit der Digitalisierung eröffneten sich für die Kabelnetzbetreiber neue, attraktive Geschäftsfelder, namentlich Pay-TV-Programme oder Video-On-Demand-Plattformen. Um diese Produkte vor unerwünschten Zugriffen und Piraterie zu schützen, verbreiteten einzelne Kabelnetzbetreiber sowohl die frei empfangbaren Programme wie auch die kostenpflichtigen Angebote in verschlüsselter Form. Damit die Kunden den Dienst nutzen konnten, wurde ihnen vom Kabelnetzbetreiber eine Set-Top-Box mit eingebautem Decodiersystem (proprietäre Set-Top-Box) zum Kauf oder zur Miete angeboten. Diese auf die Dienste der jeweiligen Kabelnetzbetreiber zugeschnittene proprietäre Set-Top-Box konnte auf dem Markt nicht erworben werden. Allerdings wählten nicht alle Kabelnetzbetreiber diesen Weg. Verschiedene Anbieter verzichteten auf eine
verschlüsselte Verbreitung ihres digitalen Programmpakets, sodass für die Darstellung der frei empfangbaren Programme die Anschaffung einer im Markt erhältlichen Set-Top-Box genügte.

Bereits 1993 formierte sich zur Koordination der Markteinführung des digitalen Fernsehens das «DVB-Project», ein Konsortium, welches sich heute aus Fernsehveranstaltern, Fernmeldedienstanbieterinnen, der Industrie, Software-Entwicklern und Regulatoren aus über 35 Ländern zusammensetzt . Ziel der Organisation war die Entwicklung eines kompletten, standardisierten Systems für digitales Fernsehen über terrestrische, leitungsgebundene und Satellitenverbreitungswege. Dazu zählte auch die Schaffung von Standards für die in den Set-Top-Boxen verwendeten Verschlüsselungssysteme («Conditional Access System», CAS). Eines der Resultate war die Normierung einer standardisierten Schnittstelle (Common Interface CI), über die sich das Zugangssystem komplett von der Set-Top-Box bzw. später vom eingebau6875

ten digitalen Tuner entkoppeln lässt und die mit unterschiedlichen Verschlüsselungssystemen in Verbindung mit einer entsprechenden Chipkarte (Smartcard) kompatibel ist. Das CI hat die Form eines schmalen Schachts. Hier lässt sich ein Conditional Access Modul (CAM) einstecken, auf dem das von der Fernmeldedienstanbieterin gewünschte Verschlüsselungssystem softwaremässig programmiert ist. Die Freischaltung erfolgt mittels einer Chipkarte (Smartcard), die in das Modul gesteckt wird; die Smartcard wird von der jeweiligen Fernmeldedienstanbieterin abgegeben.

Wer heute verschlüsselte oder unverschlüsselte Fernsehprogramme in digitalisierter Form empfangen will, muss nicht mehr zwingend eine Set-Top-Box anschaffen. In den allermeisten Fernsehgeräten mit Flachbildschirm ist standardmässig sowohl ein digitaler Tuner für terrestrischen (DVB-T) wie auch für Kabelempfang (DVB-C) vorhanden. Gemäss einer EU-Vorschrift muss zudem in allen digitaltauglichen Fernsehern mit Bildschirmdiagonalen über 30 Zentimeter ein Common Interface eingebaut sein. Dank dieser digitalen Schnittstelle zum Zugangsberechtigungssystem können somit auch Kabelnetzbetreiber mit unverschlüsseltem Programmangebot Pay-TV-Dienste anbieten, indem sie ihren Nutzerinnen und Nutzern ein CAM und eine Smartcard abgeben.

Im schweizerischen (wie auch im europäischen) Fernsehmarkt stehen sich somit heute zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle hinsichtlich der Programmverschlüsselung gegenüber: Auf der einen Seite finden sich die (eher kleinen und mittleren) Fernmeldedienstanbieterinnen, welche die frei empfangbaren Programme in digitalisierter Form unverschlüsselt anbieten und für ihre verschlüsselten Pay-TV-Pakete ein CAM und eine Smartcard abgeben. Wer einen solchen Anbieter gewählt hat, benötigt keine Set-Top-Box und kann alle Funktionen seines digitaltauglichen Fernsehgeräts nutzen (z.B. Aufnahmemöglichkeiten auf ein Speichergerät). Auf der anderen Seite stehen die (in der Regel grösseren) Fernmeldedienstanbieterinnen, die alle Programme nicht standardisiert verschlüsseln. Der Empfang ist nur mittels einer proprietären Set-Top-Box der Fernmeldedienstanbieterinnen möglich. In diesem Fall findet eine untrennbare Koppelung des Programmangebots mit dem abgegebenen Empfangsgerät statt, sodass die Nutzerinnen und Nutzer trotz eines allfällig bereits
vorhandenen Empfangsgerätes (z.B. digitaler Tuner im Fernsehgerät oder marktübliche Set-Top-Box) gezwungen sind, für den Empfang dieses Programmangebots die proprietäre Set-Top-Box der Fernmeldedienstanbieterin zu beziehen. Eine Tendenz hin zur Gewährleistung der Wahlfreiheit des Empfangsgerätes zeichnet sich jedoch auch hier ab. Namentlich Cablecom als grösster Kabelnetzanbieter des Landes bietet unlängst ein Digitalfernsehangebot mit einem eigens abgegebenen CAM an (zur Problematik der Interoperabilität des CAM von Cablecom vgl. nachfolgend Ziff. 1.6 f.)

Mit dieser Vorlage soll die erwähnte Koppelungsproblematik beseitigt werden.

Nutzerinnen und Nutzer sollen die sich entwickelnde Angebotsvielfalt an Empfangsgeräten entsprechend ihren Bedürfnissen nutzen können und nicht via eine proprietäre Set-Top-Box an eine bestimmte Fernmeldedienstanbieterin gebunden werden.

Der Bundesrat wird auf Gesetzesstufe ermächtigt, Vorschriften zu erlassen, welche die freie Wahl des Empfangsgerätes für digital aufbereitete Fernsehprogramme gewährleisten.

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1.2

Situation im Markt für digitales Fernsehen

Die Durchdringung des Schweizer Fernsehmarkts mit digitalem Fernsehen nimmt stetig zu. Alleine in den letzten zwei Jahren stieg die Anzahl Nutzerinnen und Nutzer von digitalem Fernsehen ­ gemessen an der Gesamtheit von 3 145 000 Fernsehhaushalten in der Schweiz ­ um rund 13 Prozent von 904 000 (~29 %) auf 1 320 000 Haushalte (~42 %)1.

Der Markt für digitales Fernsehen in der Schweiz präsentiert sich heterogen. Der Grossteil der Nutzerinnen und Nutzer von digitalem Fernsehen bezieht seine Signale zwar immer noch über das Kabel (~600 000 Haushalte oder 45 %) bzw. über den Satelliten (~360 000 Haushalte oder 28 %). Mit der Markteinführung von IPTV (Internet Protocol Television) durch die Swisscom Ende 2006 einerseits und mit dem gesamtschweizerischen Abschluss der digitalen Migration im Bereich des terrestrisch über Antenne verbreiteten Fernsehens (DVB-T) 2008 andererseits sind jedoch zusätzliche Verbreitungswege und damit weitere Digitalfernsehangebote hinzugekommen. Der Anteil von IPTV am Digitalfernsehmarkt betrug per Ende 2009 rund 16 % (~210 000 Haushalte), während rund 11 % der Nutzerinnen und Nutzer (~150 000 Haushalte) ihr digitales Fernsehsignal über DVB-T empfingen.

Das starke Wachstum des Digitalfernsehmarktes hält weiterhin an, wie die aktuellsten nicht konsolidierten Zwischenergebnisse der Fernmeldedienstanbieterinnen aus dem Jahr 2010 zeigen.2 In dieser Marktabbildung noch nicht berücksichtigt sind sodann diverse Anbieterinnen, wie z.B. Nello, Zattoo oder Wilmaa, die ihr digitales Fernsehangebot über das Internet (InternetTV) anbieten. Im Markt für digitales Fernsehen in der Schweiz kann deshalb bereits heute von einem funktionierenden Systemwettbewerb gesprochen werden.

Dieser Systemwettbewerb dürfte mit dem Aufbau von Glasfasernetzen bis in die Haushalte (Fiber To The Home, FTTH) weiter anwachsen. So wird in den nächsten Jahren gemäss einer Branchenübereinkunft ein Grossteil der Haushalte in den Agglomerationen von der Swisscom und den Elektrizitätswerken mit Glasfaseranschlüssen versorgt. Dabei werden in jeden Haushalt vier Glasfasern gezogen, womit sich der Wettbewerb auch im Bereich der Programmverbreitung intensivieren wird. So bieten z.B. in der Stadt Zürich die Swisscom, die GGA Maur und Orange Fernsehprogramme über Glasfasern an und konkurrenzieren damit die Cablecom.

1.3

Zu bewältigende Herausforderungen

Die Vorlage setzt eine Motion um, die am 22. Juni 2007 von Frau Ständerätin Sommaruga eingereicht und am 18. November 2008 von der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates (KVF-N) modifiziert worden ist. Am 5. März 2009 bzw. 11. Juni 2009 stimmten National- und Ständerat der von der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates (KVF-N) abgeänderten Motion zu und überwiesen diese an den Bundesrat. Die abgeänderte Motion verlangt, dass die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden sollen, entweder um die Verschlüsselung von freien Fernsehkanälen im Grundangebot bei der digitalen Verbreitung in Kabelnetzen verbieten zu können oder ­ bei Anwendung einer Ver1 2

Vgl. Zahlen per Ende 2009 gestützt auf Erhebungen von Demoscope, KomTech, Vademecum IHA.GfK, Swisscom, Swisscable, Cablecom.

Vgl. Medienmitteilungen von Cablecom, Swisscable, Swisscom vom 4. August 2010.

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schlüsselung ­ um sicherzustellen, dass die Nutzerinnen und Nutzer zu angemessenen Bedingungen Empfangsgeräte ihrer Wahl einsetzen können. Dabei ist zu beachten, dass das Anbieten von Fernsehprogrammen über IPTV nicht unnötig erschwert wird und Verzerrungen im Wettbewerb zwischen verschiedenen Technologien möglichst vermieden werden.

Gemäss abgeändertem Motionstext müssen verschiedene Aspekte aus den Bereichen Technik, Wirtschaft und Recht berücksichtigt werden, die in einem Spannungsfeld zueinander stehen: Einerseits soll die Regelung die freie Wahl des Empfangsgerätes für den Empfang des digitalen Fernsehens sicherstellen. Sie soll die technischen Entwicklungen aber weder verhindern noch behindern und darf keine Rechtsungleichheiten schaffen, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Ausserdem muss den rechtlichen Anforderungen an eine gesetzliche Grundlage Rechnung getragen werden in einem Umfeld, das von schnellen technischen Entwicklungen geprägt ist.

1.4

Kein Verschlüsselungsverbot

Die abgeänderte Motion will ein starres Verbot gerade vermeiden und strebt eine flexiblere Lösung zur Gewährleistung der Wahlfreiheit des Publikums an. Gegen ein Verbot sprechen namentlich die folgenden Argumente: Mit der Verschlüsselung von Fernsehinhalten wollen einerseits Netzbetreiber den Zugang zu bestimmten Programmangeboten auf jene Nutzerinnen und Nutzer beschränken, welche die Nutzungsrechte, z.B. in Form einer Abonnementsgebühr, erworben haben. Ein weiterer Grund für die Verschlüsselung findet sich in den Anforderungen an den Jugendschutz, wie dies vor allem in Deutschland der Fall ist.

Fernsehsendungen werden aber nicht nur wegen des Jugendschutzes verschlüsselt bzw. um das Schwarzsehen zu verhindern, sondern auch, um wertvolle Inhalte vor unberechtigter Verbreitung und Vervielfältigung zu schützen. In der analogen Welt des Videorecorders ging das Kopieren immer mit Qualitätsverlusten einher. Inhalte in digitaler Form lassen sich hingegen in stets gleich gut bleibender Qualität und beliebig oft vervielfältigen und schaffen so Anreiz, sie ohne entsprechende Erlaubnis der Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber in Umlauf zu bringen oder im Internet zum Download anzubieten. Mit der Umstellung der Verbreitung von Filmen in HDQualität (hochauflösendes Fernsehen) dürfte sich dieses Risiko noch erhöhen. Dies beunruhigt insbesondere auch die Mayor-Filmstudios in Hollywood, weshalb sie die Abgabe von Verwertungsrechten oft mit Auflagen hinsichtlich einer effektiven Verschlüsselung verbinden.

Ein generelles Verschlüsselungsverbot würde die Preisgabe dieser Vorteile und insbesondere einen schweren Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit der betroffenen Fernmeldedienstanbieterinnen bedeuten (Verbot einer effizienten Möglichkeit, den unbefugten Zugang zum kostenpflichtigen Angebot und damit das Funktionieren des Geschäftsmodells zu sichern). Da es mildere Mittel gibt, die von der Motion angestrebte Wahlfreiheit des Empfangsgerätes zu erreichen, wird auch aus Gründen der Verhältnismässigkeit darauf verzichtet.

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1.5

Die Grundzüge des Anhörungsentwurfs

Um der raschen Wandelbarkeit und Entwicklung eines technischen Bereichs wie der Fernsehverbreitung Rechnung tragen zu können, sieht das Regelungskonzept im Gesetz eine relativ offen formulierte Delegationsbestimmung an den Bundesrat vor.

Die wesentlichen Punkte zur Umsetzung der abgeänderten Motion werden auf Verordnungsstufe geregelt werden. Um aufzuzeigen, wie eine konkrete Regelung gestützt auf die Delegationsnorm lauten könnte, enthielt der Vorentwurf einen ­ dem aktuellen Stand der Technik entsprechend ­ denkbaren Lösungsvorschlag. Dieser lautete wie folgt: ­

Eine Fernmeldedienstanbieterin, die ihre Programme verschlüsselt und über Leitungen verbreitet, muss sicherstellen, dass ihr Grundangebot an digital aufbereiteten Programmen zu angemessenen Bedingungen auch über ein von ihr angebotenes Zugangsberechtigungssystem zugänglich ist, das in marktüblichen Empfangsgeräten mit standardisierter Schnittstelle verwendet werden kann.

­

Zu diesem Zweck muss die Fernmeldedienstanbieterin ihr Zugangsberechtigungssystem neben der proprietären Set-Top-Box gesondert als Modul (Conditional Acces Modul) mit entsprechender Chipkarte (Smartcard) zur Verfügung stellen. Das Modul und/oder die Chipkarte können in ein fremdes Empfangsgerät, das über eine standardisierte und marktübliche Schnittstelle verfügt, eingefügt werden.

­

Das Grundangebot an digital aufbereiteten Fernsehprogrammen umfasst die Fernsehprogramme, welche die Fernmeldedienstanbieterin im Rahmen ihres preisgünstigsten Angebots mit dem proprietären Empfangsgerät anbietet, mindestens aber 50 Fernsehprogramme. Mit dem Mindestumfang an Fernsehprogrammen wird verhindert, dass das preisgünstigste Angebot inhaltlich unattraktiv ausgestaltet wird und nur dazu dient, die hier präsentierte Regelung zu unterlaufen. Zwingend zum Grundangebot gehören alle Fernsehprogramme, für welche nach Artikel 59 und 60 des Bundesgesetzes vom 24. März 20063 über Radio und Fernsehen (RTVG) eine Verbreitungspflicht besteht (Must Carry).

­

Fernmeldedienstanbieterinnen, die IPTV anbieten (z.B. Swisscom mit SwisscomTV), werden während zwei Jahren ab Inkraftreten der neuen Regelung von deren Umsetzung befreit.

1.6

Ergebnis des Anhörungsverfahrens

Der Vorentwurf stiess in der Anhörung mehrheitlich auf Kritik. Die Fernmeldedienstanbieterinnen erachteten eine Regelung grundsätzlich als unnötig. Sie argumentierten, im digitalen Fernsehmarkt herrsche Wettbewerb, und befürchten, dass eine Regulierung der Marktdynamik und der Entwicklung schadet. Anderen Anhörungsteilnehmerinnen und -teilnehmern wie beispielsweise den Konsumentenschutzorganisationen ging der Vorentwurf zu wenig weit. Sie forderten ein generelles Grundverschlüsselungsverbot.

3

SR 784.40

6879

Zahlreiche Eingaben nahmen Bezug auf die im Juni 2010 erfolgte Einführung der Modul-Lösung mit Smartcard durch Cablecom (Produktbezeichnung DigiCard), welche nur mit der Schnittstelle CI+4 funktioniert. Es wurde geltend gemacht, CI+ sei (noch) kein internationaler Standard und es würde nur eine beschränkte Anzahl Empfangsgeräte existieren, die mit dieser Schnittstelle kompatibel sind. Der Vorentwurf führe daher nicht zu einer Aufhebung des Boxenzwanges. Ausserdem schränke die Schnittstelle CI+ die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer massiv ein.

Beispielsweise könne die Aufnahme von einzelnen Sendungen verhindert werden oder es könne nicht mehr vorgespult werden.

Ausserdem wurde bemängelt, der Vorentwurf würde den rechtlichen Anforderungen an eine Delegationsnorm nicht entsprechen. Ein schwerer Eingriff in die Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit habe auf Gesetzesstufe zu erfolgen und könne nicht an den Bundesrat delegiert werden.

Umstritten ist weiter die Ausnahmebestimmung für Anbieterinnen und Anbieter von IPTV. Einerseits wurde geltend gemacht, die Bestimmung stelle eine unerwünschte oder ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrung dar. Andererseits wurde kritisiert, die Übergangsfrist von zwei Jahren sei nicht ausreichend, oder sie sei willkürlich festgelegt.

Auch bezüglich der Delegationsnorm ans UVEK herrschte Uneinigkeit. Die einen machten geltend, sie sei notwendig, die anderen erachteten sie als überflüssig oder gaben zu bedenken, diese Norm könne zu Rechtsunsicherheiten führen.

Kritisiert wurde auch die im Vorentwurf festgelegte Anzahl an Mindestprogrammen, die verbreitet werden müssen. In mehreren Eingaben wurde eine Erweitung des Grundangebots auf 75 oder 100 Programme gefordert. Ausserdem wurde verlangt, dass auch relevante HD-Programme (z.B. HD suisse) im Grundangebot enthalten sein sollten. In anderen Stellungnahmen wurde die Streichung dieser Bestimmung gefordert.

Auch die Bedingungen an die Preisausgestaltung wurden unterschiedlich aufgenommen. Während die einen die Regelung begrüssten, wurde von den anderen deren Streichung verlangt.

Gefordert wurden schliesslich ein einwandfreies Funktionieren der Dienste für Sinnesbehinderte (Untertitelung, Gebärdensprache, Audiodeskription) sowie Vorschriften zur Senkung des Stromverbrauchs.

1.7

Exkurs: Sonderproblem CI/CI+

Im Rahmen der Anhörung führte der Einsatz der CI+-Schnittstelle durch Cablecom zu heftiger Kritik (vgl. Ziff. 1.6), weshalb auf die Thematik näher eingegangen wird.

Obwohl mit dem CI bzw. der Entkoppelung des Verschlüsselungssystems vom Empfangsgerät die technische Lösung für die freie Wahl des Empfangsgerätes vorhanden ist, konnte sich diese Schnittstelle bei den Programmveranstaltern, den Netz- und Plattformbetreibern sowie auch den Filmproduzenten bis heute nie im grossen Stil durchsetzen. Der Grund liegt darin, dass das Fernsehsignal, nachdem es vom CAM entschlüsselt wurde, die Schnittstelle in unverschlüsselter Form entweder 4

Offizielle Webseite von CI+: http://www.ci-plus.com/

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Richtung Bildschirm oder auch Richtung Festplatte bzw. DVD- oder Blu-RayBrenner verlässt und so für jede weitere Verwendung offen ist. Da die Signale unverschlüsselt aufgezeichnet und entsprechend wieder abgespielt werden können, sind beispielsweise auch die Anforderungen an den Jugendschutz nicht mehr erfüllt.

Aus diesem Grund entwickelten vier grosse Fernsehgeräte-Hersteller und zwei CAM-Produzenten mit CI+ eine eigene Version der CI-Schnittstelle, mit der die Sicherheitslücken behoben werden konnten. CI+ ist kein direkter Nachfolger des aus dem «DVB-Project» (vgl. Ziff. 1.1) hervorgegangenen CI und stellt (bisher) keinen verabschiedeten Standard dar.

Beim CI+ wird das Fernsehsignal im CAM nur für die unmittelbare Darstellung am Bildschirm entschlüsselt. Für jede andere Schnittstelle, z.B. für die Zuführung zu einem Festplattenrecorder, kann das Signal rückverschlüsselt werden. Denn im Unterschied zum CI haben Programmveranstalter und Plattformbetreiber die Möglichkeit, im Fernsehsignal zusätzliche Informationen bzw. Anweisungen an die Entschlüsselung mitzusenden, mit denen sie bei Bedarf die weitere Nutzung von Inhalten auf lokalen, CI+-kompatiblen Speichergeräten (Festplatten, DVB- und Blu-ray-Rekordern) einschränken können. Mit Hilfe dieser sog. Usage Rules Information (URI) können sie bestimmen, was mit dem jeweiligen Inhalt gemacht werden darf und was nicht. So ist es mit CI+ möglich, die Aufnahme oder zeitversetztes Fernsehen gänzlich zu unterbinden oder die Speicherung einer Aufnahme zeitlich und qualitativ (HD- oder SD-Auflösung) zu begrenzen. Weiter kann eine Aufnahme einer Sendung an ein Speichergerät «gebunden» werden, sodass sie von keinem anderen Gerät abgespielt werden kann, und es besteht auch die Möglichkeit, in einer Aufnahme das Überspulen oder Entfernen von Werbeblöcken zu verhindern.

Die CI+-Schnittstelle ist in den allermeisten Fernsehgeräten, die seit anfangs 2010 auf den Markt gekommen sind, standardmässig eingebaut. Obwohl CI+ noch kein Standard nach DVB ist, wird die Schnittstelle sowohl in der Schweiz als auch in verschiedenen europäischen Ländern von den Kabelnetzbetreibern unterstützt, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass CI+ zumindest in Europa zu einem De-facto-Standard im Bereich der Verschlüsselung von kabelnetzverbreiteten Fernsehinhalten werden
wird. Gleiches dürfte im Satellitenbereich der Fall sein, nachdem sich in Deutschland die Astra-Tochter HD+, eine Plattform zur Verbreitung der HD-Programme der RTL-Mediengruppe und von ProSiebenSat.1, ebenfalls für CI+ entschieden hat.

Die Branche unterstützt CI+ praktisch vorbehaltlos. Für die Filmindustrie sind die Anforderungen an einen besseren Kopierschutz erfüllt. Damit verbessert sich auch die Verhandlungsposition der Fernsehveranstalter beim Erwerb der Verwertungsrechte. Die Veranstalter erhoffen sich zudem zusätzliche Werbeeinnahmen, weil bei der Berechnung der Einschaltquoten auch die Werbeminuten der gespeicherten Fernsehsendungen gezählt werden können. Von Konsumentenorganisationen wird CI+ jedoch stark kritisiert, da die Inhalteanbieter damit sehr viel Macht über die neuen Empfangsgeräte erhalten würden. Häufig wird die CI+-Spezifikation als Bevormundung und Einschränkung der Rechte des Publikums verurteilt.

6881

1.8

Verhältnis zum europäischen Recht

Gemäss einer EU-Vorschrift muss in allen digitaltauglichen Fernsehern mit Bildschirmdiagonalen über 30 Zentimeter ein CI eingebaut sein. Mit dieser Bestimmung soll es den Nutzerinnen und Nutzern von Rundfunkprogrammen möglich sein, je nach Art der Verbreitung (z.B. Leitungen) verschiedene Empfangsgeräte für den Empfang der Programme zu benutzen (vgl. Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten [Universaldienstrichtlinie, Artikel 24 und Anhang VI]5 und Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung [Zugangsrichtlinie]).6 Die Schweiz hat die erwähnte EU-Vorschrift über die Interoperabilität von Digitalfernsehgeräten nicht ins eigene Recht übernommen. Die Regelung ist daher rechtlich für die Schweiz nicht verbindlich. Mit der schweizerischen Vorlage wird die Interoperabilitiät ­ ohne EU-rechtliche Verpflichtung ­ gefördert und die freie Wahl des Empfangsgerätes ermöglicht.

1.9

Umsetzung

Der Gesetzesentwurf besteht aus einer Delegationsnorm (vgl. Ziff. 1.5, erster Abschnitt und Ziff. 2). Um die Stossrichtung und die Tragweite eines möglichen Regelungskonzeptes abschätzen zu können, wird nachfolgend ein möglicher Ansatz auf Verordnungsstufe aufgezeigt (vgl. Ziff. 3). Dieser basiert auf dem aktuellen Stand (2010) der technischen Entwicklung im Bereich der Verbreitung von digitalem Fernsehen. Der Bundesrat wird im Fall einer gesetzlichen Grundlage die Situation erneut beurteilen und die neusten Entwicklungen für die Ausführungsbestimmungen berücksichtigen müssen.

1.10

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Mit dieser Botschaft wird die abgeänderte Motion 07.3484 ­ unter Berücksichtigung der verschiedenen, teils zuwiderlaufenden Interessen (vgl. Ziff. 1.3) ­ umgesetzt.

Somit wird die Abschreibung der Motion beantragt.

5 6

ABl. L 108 vom 24.04.2002, S. 51; zuletzt geändert durch Richtlinie 2009/136/EG, ABl. L 337 vom 18.12.2009, S. 11.

ABl. L 108 vom 24.04.2002, S. 7, zuletzt geändert durch Richtlinie 2009/140/EG, ABl. L 337 vom 18.12.2009, S. 37.

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2

Erläuterungen zu Art. 65a RTVG ­ Freie Wahl des Empfangsgerätes für digitales Fernsehen

Der Bundesrat wird ermächtigt, Vorschriften zu erlassen, welche die freie Wahl des Empfangsgerätes für digital aufbereitete Fernsehprogramme gewährleisten. Er berücksichtigt dabei die Marktsituation sowie den Stand der Technik.

Die gesetzliche Delegationsbestimmung ist offen formuliert und beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Übertragungsart (Leitungen, Satellit, Luft). Der Bundesrat kann den Zugang zu digitalem Fernsehen auf allen Verbreitungswegen regeln, sofern dies aus Konsumentenschutz- oder Wettbewerbsgründen bzw. aufgrund des technischen Fortschritts notwendig wird.

Die Einzelheiten sowie die technischen und kommerziellen Bedingungen des Zugangs zu digitalen Fernsehprogrammen werden auf Verordnungsstufe zu regeln sein. Dies hat den Vorteil, dass insbesondere bei technischen oder wirtschaftlichen Entwicklungen rascher Anpassungen vorgenommen bzw. bestehende Regelungen wieder aufgehoben werden können, falls sie sich als nicht mehr nötig erweisen sollten. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Technik gerade im Bereich der Verbreitung von Fernsehprogrammen einem raschen Wandel unterliegt und deshalb auch immer wieder neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. Um diesen Entwicklungen, wenn nötig, auch rechtlich gerecht werden zu können, muss der Regelungsrahmen entsprechend flexibel ausgestaltet werden.

3

Mögliche Ausführungsbestimmungen

3.1

Beschränkung auf die leitungsgebundene Verbreitung

Die Problematik des eingeschränkten Zugangs zu digitalen Fernsehangeboten besteht heute einzig im Bereich des über Leitungen verbreiteten digitalen Fernsehens. Im Unterschied dazu ist im Bereich des durch die Luft verbreiteten digitalen Fernsehens die Wahlfreiheit der Empfangsgeräte gewährleistet: Digital terrestrisch verbreitetes Fernsehen (DVB-T) bietet mit Ausnahme von je einem privaten Anbieter in der Region Oberwallis (Valaiscom) und im Kanton Graubünden (Tele Rätia) schweizweit heute nur die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG an.

Die SRG-Programme werden unverschlüsselt verbreitet und können deshalb mit einem beliebigen im Markt erhältlichen DVB-T-Empfangsgerät (Set-Top-Box und Antenne) empfangen werden. Valaiscom und Tele Rätia bieten ihr DVB-T-Angebot zwar verschlüsselt an, ermöglichen aber durch die Abgabe eines Zugangsberechtigungssystems in Form eines Moduls und/oder einer Chipkarte den Empfang auch über andere im Markt erhältliche DVB-T-Empfangsgeräte. Beim digital ab Satellit verbreiteten Fernsehen (DVB-S) bestehen aufgrund der unterschiedlichen Geschäftsmodelle ­ zumindest heute noch ­ keine Einschränkungen des Zugangs.

Der Satellitenbetrieb wird direkt von den Sendeanstalten bezahlt. Mit dem entsprechenden Zugangsberechtigungssystem in Form einer Chipkarte, die bei den Sendeanstalten zu beziehen ist, können neben den unverschlüsselten auch die verschlüsselten Fernsehprogramme über eine Parabolantenne und ein beliebiges im Markt erhältliches DVB-S-Empfangsgerät empfangen werden. Eine gesetzliche Regelung ist in diesen Bereichen zurzeit nicht notwendig. Eine Zugangsregelung für digitales

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Fernsehen wäre daher heute ausschliesslich auf Fernmeldedienstanbieterinnen zu beschränken, die ihre digitalen Fernsehprogramme über Leitungen verbreiten.

Der Grossteil der für den Empfang von Kabelfernsehen auf dem Markt erhältlichen Set-Top-Boxen verfügt heute über eine standardisierte Schnittstelle, über die mit dem entsprechenden Zugangsberechtigungssystem in Form eines Moduls mit Chipkarte auch der Empfang von verschlüsselten Programmangeboten ermöglicht wird.

Die Anschaffung eines zusätzlichen Empfangsgerätes ist überdies dort nicht mehr zwingend notwendig, wo Fernsehgeräte der neueren Generation eingesetzt werden, die über ein integriertes Empfangsgerät (digitaler Tuner) mit standardisierter CI-Schnittstelle verfügen. Bei den heute im Handel erhältlichen Fernsehgeräten ist dies durchwegs der Fall.

3.2

Verzicht auf Verschlüsselung oder Abgabe eines Zugangsberechigungsmoduls

Die Fernmeldedienstanbieterin soll im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten weiterhin bestimmen können, wie sie die freie Wahl des Empfangsgerätes für die Nutzerinnen und Nutzer gewährleisten will. Während die unverschlüsselte Verbreitung der Fernsehprogramme den Zweck der abgeänderten Motion voraussetzungslos erfüllt, müssten deren verschlüsselte Verbreitung an gewisse Voraussetzungen geknüpft werden. Die Fernmeldedienstanbieterin müsste sicherstellen, dass das Grundangebot zu angemessenen Bedingungen auch über ein von ihr angebotenes Zugangsberechtigungssystem zugänglich ist, das in marktüblichen Empfangsgeräten mit standardisierter Schnittstelle verwendet werden kann.

Mit einer solchen Regelung wäre es einer Fernmeldedienstanbieterin weiterhin möglich, proprietäre Set-Top-Boxen für den Empfang ihres Programmangebots anzubieten. Sie müsste aber, sofern sie die Fernsehprogramme verschlüsselt über Leitungen verbreitet, auf ihrer Verbreitungsinfrastruktur auch andere Empfangsgeräte zulassen. Zu diesem Zweck müsste sie ihr Zugangsberechtigungssystem neben der proprietären Set-Top-Box gesondert als Modul (Conditional Acces Modul) mit entsprechender Chipkarte (Smartcard) zur Verfügung stellen. Modul und Chipkarte könnten in ein fremdes Empfangsgerät, das über eine standardisierte und marktübliche Schnittstelle verfügt, eingefügt werden. Bei der standardisierten Schnittstelle müsste es sich konsequenterweise um eine im Rahmen eines Normierungsverfahrens definierte und publizierte Regel handeln (z.B. Common Interface).

Denkbar wäre aber auch ein Standard, der sich durch den häufigen Gebrauch gebildet hat (De-facto-Standard). Die Fernmeldedienstanbieterin müsste das Modul und die Chipkarte standardkonform anbieten, damit die Nutzerinnen und Nutzer je nach Empfangsgerät zwischen Modul, Chipkarte oder Modul und Chipkarte wählen könnten. Ob die von Cablecom seit Juni 2010 eingesetzte Schnittstelle CI+ diese Voraussetzungen erfüllt, müsste noch vertieft geprüft werden.

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3.3

InternetTV und IPTV

InternetTV-Anbieterinnen (z.B. Nello, Wilmaa und Zattoo) verbreiten ihre digital aufbereiteten Programmangebote ebenfalls über Leitungen und würden deshalb grundsätzlich auch unter eine zur Umsetzung der abgänderten Motion vorgesehene Regelung fallen. Im Gegensatz zum CATV ist im Bereich des InternetTV die freie Wahl des Empfangsgeräts in der Regel jedoch bereits gewährleistet, selbst wenn das Fernsehangebot verschlüsselt verbreitet wird. Die für den Empfang der InternetTVAngebote notwendige Software (Zugangsberechtigungssystem) lässt sich auf einem beliebigen im Markt erhältlichen Personal Computer (Empfangsgerät) mit Betriebssystem (standardisierte Schnittstelle) installieren. Damit wären die Voraussetzungen für die freie Wahl des Empfangsgerätes erfüllt.

Für Fernmeldedienstanbieterinnen, die IPTV anbieten (z.B. Swisscom mit SwisscomTV), müsste unter den gegenwärtigen Umständen eine befristete Ausnahme von der Reglung zur Gewährleistung der freien Wahl des Empfangsgerätes vorgesehen werden. Für eine befristete Übergangsregelgung gibt es verschiedene Gründe. Die Programmangebote über IPTV werden durchwegs verschlüsselt angeboten. Die Entschlüsselung ist aus technischen Gründen nur mit der proprietären Set-Top-Box möglich und erfolgt über einen fix im Empfangsgerät installierten Schlüssel. Entsprechend verfügen die heutigen Set-Top-Boxen im IPTV-Bereich nicht über eine standardisierte Schnittstelle, welche die Verwendung eines externen Zugangsberechtigungssystems ermöglichen würde. Die Forderung nach einem Modul mit Zugangsberechtigungssystem wäre deshalb hier (noch) nicht sinnvoll. Ein eigentlicher Empfangsgerätemarkt, der den Nutzerinnen und Nutzern ­ wie in der Kabelbranche mit DVB-C ­ eine echte Wahlfreiheit des Empfangsgerätes einräumt, existiert heute nicht. Eine Prognose, wann mit einer gewissen Auswahl an Empfangsgeräten gerechnet werden kann, ist schwierig. Unter diesen Umständen wäre es nicht zielführend und daher unverhältnismässig, die IPTV-Anbieterinnen heute zu einer Abgabe von Modul und Chipkarte oder zu einem anderen Zugangsberechtigungssystem zu verpflichten, die den Nutzerinnen und Nutzern nicht den gewünschten Mehrwert bringen würden.

Um das Anliegen der abgeänderten Motion zu erfüllen, müssten IPTV-Anbieterinnen daher gezwungen werden, ihr Grundangebot unverschlüsselt zu
verbreiten. Wie bei der verschlüsselten Verbreitung liegt auch hier das Problem unter anderem beim praktisch inexistenten Empfangsgerätemarkt. Erhältlich sind bislang lediglich Nischenprodukte wie z.B. die sogenannte Popcorn Hour-Box. Im Gegensatz zur verschlüsselten Verbreitung könnten die unverschlüsselten Signale (IPTV), wie auch spezifische Web-TV-Angebote, über einen HDD-Media Player oder über einen Personal Computer (PC) empfangen werden. Die dafür notwendige Software (z.B.

VLC-Player, M-Player) kann kostenlos im Internet bezogen werden und liefert qualitativ ansprechende Empfangsergebnisse. Ein unverschlüsselt und über das Internetprotokoll (IP) verbreitetes Grundangebot könnten alle Nutzerinnen und Nutzer beziehen, die mit der entsprechenden Fernmeldedienstanbieterin einen Vertrag über die Breitbandinternetnutzung abgeschlossen haben, ohne ein zusätzliches Entgelt entrichten zu müssen. Der Verzicht auf eine Verschlüsselung würde es somit verunmöglichen, einen Preis für die über das Breitbandnetz angebotenen Inhalte durchsetzen zu können und würde das Geschäftsmodell von IPTV gefährden oder gar verunmöglichen.

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IPTV ist eine vergleichsweise junge Technologie zur Verbreitung von digitalen Fernsehsignalen, und der Markt ist noch geprägt von proprietären Systemlösungen.

Es gibt allerdings internationale Bestrebungen für eine technische Vereinheitlichung.

Das für die Erarbeitung von offenen Standards im Bereich der Verbreitung von digitalem Fernsehen geschaffene «DVB Project» (vgl. Ziff. 1.1) publiziert seit 2005 einen Übertragungsstandard für IPTV (DVB-IPI), welcher ständig weiterentwickelt wird. Die aktuellste Version des Standards (Version 1.4.1, formell publiziert seit Ende November 2009) enthält diverse Spezifikationen zur Behebung der Probleme, die bislang eine unverschlüsselte Verbreitung von IPTV verunmöglichten (Fehlerschutz, schneller Kanalwechsel, regionale Adressierbarkeit, Hoheit über den Zugang zum Programmangebot). Damit dürfte die Grundlage für die Entwicklung eines Marktes für offene Empfangsgeräte gelegt worden sein, sodass IPTV-Angebote ähnlich wie im CATV-Bereich mittelfristig unverschlüsselt empfangen werden können. Das Ziel sollte es sein, diesen technischen Entwicklungsprozess durch eine allfällige Regelung nicht zu beeinträchtigen.

3.4

Vorgaben zu Umfang und Preis von Programmangebot und Zugangsberechtigungssystem

Um allfällige Umgehungen der Regelung verhindern zu können, müssten in den Ausführungsbestimmungen sodann Vorgaben zum Umfang und Preis des Zugangsberechtigungssystems und des darüber erbrachten Programmangebots gemacht werden. Mit der Verpflichtung zum Angebot eines Zugangsberechtigungssystems würde die Fernmeldedienstanbieterin gezwungen, ihre proprietäre Set-Top-Box zu konkurrenzieren. Damit eine Binnenkonkurrenz nicht künstlich umgangen und dadurch faktisch die Wahlmöglichkeit für die Nutzerinnen und Nutzer verhindert werden könnte, wären flankierende Massnahmen erforderlich. Mit einem Mindestumfang an Fernsehprogrammen könnte z.B. verhindert werden, dass das preisgünstigste Angebot inhaltlich unattraktiv ausgestaltet wird und nur dazu dient, die geschaffene Wahlmöglichkeit zu unterlaufen. Dabei wäre anzustreben, dass die Freiheit in der Preisgestaltung durch diese Regelung nur so geringfügig wie möglich beeinträchtigt wird. Die Festlegung der Höhe des Preises für das Fernsehprogrammangebot und für die dafür notwendige Empfangsinfrastruktur sollte weiterhin Sache der Fernmeldedienstanbieterin bleiben.

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Auswirkungen

4.1

Auswirkungen auf den Bund, die Kantone und die Gemeinden

Auf den Bund, die Kantone und die Gemeinden hat die Vorlage weder personnelle noch finanzielle Auswirkungen.

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4.2

Auswirkungen auf die Umwelt

Seit dem 1. Januar 2010 gelten in der Schweiz für Set-Top-Boxen verschärfte Effizienzvorschriften für den Standby-Modus (Art. 10 und Anhang 2.9 der Energieverordnung vom 7. Dezember 19987). Ausgenommen sind einzig die Set-Top-Boxen für den Empfang des hochauflösenden Fernsehens (HDTV). Geräte, die sich seit dem 31. Dezember 2009 in der Schweiz an Lager befinden und die strengeren Energievorschriften nicht erfüllen, dürfen nur noch bis zum 31. Dezember 2010 in Verkehr gebracht werden. Mit diesen Grenzwerten hat die Schweiz im europäischen Vergleich zurzeit die strengsten Anforderungen an die Energieeffizienz von SetTop-Boxen.

Mit der Änderung der Energieverordnung wurde dem in der Anhörung geäusserten Anliegen des geringeren Stromverbrauchs Rechnung getragen.

4.3

Auswirkungen auf die Nutzerinnen und Nutzer des Zugangsberechtigungssystems

Die DVB-Norm stellt sicher, dass die Zusatzdienste gemäss Artikel 46 der Radiound Fernsehverordnung vom 9. März 20078 (z.B. Mehrkanalton, Informationen über den elektronischen Programmführer) in allen marktgängigen Empfangsgeräten funktionieren. Der Entscheid einer Nutzerin oder eines Nutzers, ein Modul und/oder eine Chipkarte für den Empfang des digitalen Fernsehens einzusetzen, birgt trotzdem das Risiko, dass nicht alle Zusatzdienste einwandfrei dargestellt werden. Das Risiko einer allfälligen Beeinträchtigung dieser Dienste, welche durch den Einsatz eines Zugangsberechtigungssystems entstehen, müssen die Nutzerinnen und Nutzer selbst tragen. Es kann nicht den Fernmeldedienstanbieterinnen auferlegt werden.

Dasselbe gilt für Programme, die vom Veranstalter mit Untertitelung oder Gebärdensprache angeboten werden.

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Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft über die Legislaturplanung 2007­20119 noch im Bundesbeschluss vom 18. September 200810 über die Legislaturplanung 2007­2011 angekündigt. Diese Vorlage wurde durch eine Motion ausgelöst, die erst nachträglich am 11. Juni 2009 dem Bundesrat überwiesen wurde.

7 8 9 10

SR 730.01 SR 784.401 BBl 2008 753 BBl 2008 8543

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Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 93 der Bundesverfassung (BV)11, der dem Bund die Kompetenz zur Regelung von Radio und Fernsehen gibt. Sie stellt einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit der von der Regelung betroffenen Fernmeldedienstanbieterinnen dar.

Aus technischer Sicht lässt sich die Motion nur durch den Einsatz von Zugangsberechtigungssystemen oder durch den Erlass eines Verschlüsselungsverbotes umsetzen. Ein Verschlüsselungsverbot würde in unnötiger Weise in die Wirtschaftsfreiheit der Fernmeldedienstanbieterinnen eingreifen und wäre unverhältnismässig.

Aus diesem Grund sieht der Vorentwurf kein Verschlüsselungsverbot vor.

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Schweiz hat in diesem Bereich keine internationalen Verpflichtungen.

6.3

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Rechtsetzungsbefugnisse können durch Bundesgesetz übertragen werden, soweit dies nicht durch die Verfassung ausgeschlossen wird (Art. 164 Abs. 2 BV). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung müssen die Grundzüge der Regelung aber, soweit sie die Rechtsstellung des Einzelnen schwerwiegend berührt, im formellen Gesetz selbst enthalten sein. Für die Einschränkung von Grundrechten bedeutet dies, dass schwerwiegende Einschränkungen im Gesetz selbst vorgesehen sein müssen (Art. 36 Abs. 1 BV). Weniger schwere Eingriffe können auf der Stufe der Verordnung geregelt werden (vgl. BGE 128 I 113, E. 3c S. 122).

Artikel 65a RTVG ermächtigt den Bundesrat, Vorschriften zu erlassen, welche die freie Wahl des Empfangsgerätes für digital aufbereitete Fernsehprogramme gewährleisten. Von der zukünftigen Verordnungsregelung betroffen sein werden die Fernmeldedienstanbieterinnen. Die im Falle der verschlüsselten Verbreitung des Fernsehsignals an sie gestellten Voraussetzungen, wie sie als möglicher Ansatz unter Ziffer 3.2 aufgezeigt werden, stellen eine Einschränkung ihrer Wirtschaftsfreiheit dar. Allerdings ist diese Einschränkung nicht absolut und lässt ­ innerhalb des gesetzlichen Rahmens ­ einen Handlungsspielraum offen. Die Fernmeldedienstanbieterinnen sollen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten weiterhin bestimmen können, wie sie die freie Wahl des Empfangsgerätes gewährleisten wollen. Die Regelung stellt daher keinen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar und kann deshalb gestützt auf die Delegationsbestimmung in Artikel 65a RTVG auf Verordnungsstufe erfolgen.

Anders zu beurteilen wäre ein generelles Verschlüsselungsverbot für alle digitalen Programme, welches zur Sicherstellung der freien Wahl des Empfangsgerätes ebenfalls geprüft wurde (vgl. Ziff. 1.4). Ein solches Verbot wäre als schwerwiegender 11

SR 101

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Eingriff zu werten, da es die Preisgabe von gewichtigen wirtschaftlichen Vorteilen der Fernmeldeanbieterinnen zur Folge hätte; unter anderem deshalb wurde ein Verbot verworfen. Die Fernmeldedienstanbieterinnen würden der Möglichkeit beraubt, den unbefugten Zugang zum kostenpflichtigen Angebot und damit das Funktionieren des Geschäftsmodells zu sichern. Entsprechend hätte ein solches Verbot im formellen Gesetz geregelt werden müssen.

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Glossar

CATV

Kabelfernsehen

Common Interface (CI)

Standardisierte Schnittstelle (Schacht) in einem Empfangsgerät

Common Interface Plus (CI+)

Technische Spezifikation einer Industrie Arbeitsgruppe mit zusätzlichen Sicherheitsfunktionen zum CI Standard (http://www.ci-plus.com/)

Conditional Access Modul (CAM)

Steckelement, mit welchem die für die Entschlüsselung der Programme notwendige Smartcard in das Common Interface des Empfangsgerätes eingefügt werden kann

Digital Video Broadcast (DVB)

DVB ist ein Standard für die Verbreitung von digitalem Fernsehen. Im drahtlos-terrestrischen Bereich steht DVB-T für die standortgebundene/nomadische und DVB-H für die mobile Verbreitung von digitalen Inhalten. DVB-C steht für die Verbreitung über Kabel und DVB-S für die Verbreitung über Satellit.

Electronic Programm Guide (EPG)

Elektronischer Programmführer, der in der Regel als Zusatzangebot von den Sendern oder Fernmeldedienstanbieterinnen ausgestrahlt wird

Fiber To The Home (FTTH)

Fernmeldenetz, das bis in jedes Geschäfts-, Mehroder Einfamilienhaus über Lichtwellenleiter (Glasfaser) geführt wird. Die Glasfaser ist ein längst erprobtes Übertragungsmedium für hohe Datenraten, das höhere Bandbreiten für Internet-Applikationen und insbesondere für das Fernsehen mit hoher Auflösung (HDTV) ermöglicht

HDTV

Fernsehnormen, deren Auflösungen höher sind als bei SDTV (hochauflösendes Fernsehen, high definition television)

Internet Protocol TV (IPTV)

Die Übertragung von Fernseh- oder Radioprogrammen mittels Paketvermittlungstechnologie (Internet Protokoll [IP]) mit vom Netzbetreiber garantierter Dienstleistungsqualität (z.B. SwisscomTV)

InternetTV

Übertragung von Fernsehprogrammen über das Internet ohne Qualitätsgarantie durch den Zugangsoder Netzprovider 6889

Interoperabilität

Fähigkeit zur Zusammenarbeit von verschiedenen Systemen. Bedingt in der Regel die Einhaltung gemeinsamer Standards

SDTV

Fernsehnormen, deren Auflösungen geringer sind als bei HDTV (standard definition television)

Set-Top-Box (STB)

Gerät für den Empfang von digitalen, codierten oder verschlüsselten Signalen. Es ist dem Fernsehgerät vorgeschaltet und kann terrestrisch, über Kabel oder über Satellit gesendete Fernsehsignale, die nicht unmittelbar von Fernsehgeräten dargestellt werden können, empfangen und sichtbar machen

Smartcard

Plastikkarte mit eingebautem Chip, der die notwendigen Informationen zur Authentifizierung der Nutzerin oder des Nutzers für den Empfang der verschlüsselten Fernsehprogramme enthält

analoger/digitaler Tuner

Eingebautes Empfangsteil in Fernsehgeräten, welches analoge oder digitale Fernsehsignale sichtbar macht

Video on Demand (VoD)

Digitales Videomaterial, das auf Anfrage von einer Plattform heruntergeladen oder über einen VideoStream direkt mit einer geeigneten Software angesehen werden kann

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