10.101 Botschaft zur Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Indien vom 3. Dezember 2010

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des am 30. August 2010 unterzeichneten Protokolls zur Änderung des Abkommens vom 2. November 1994 zwischen der Schweiz und Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. Dezember 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-2505

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Übersicht Zwischen der Schweiz und Indien besteht seit dem 2. November 1994 ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen. Dieses wurde am 16. Februar 2000 erstmals revidiert.

Nach dem Entscheid des Bundesrats vom 13. März 2009 zur neuen Politik beim Informationsaustausch in Steuersachen nahmen die Schweiz und Indien Verhandlungen zur entsprechenden Änderung des Abkommens auf. Darüber hinaus bildete die Revision die Gelegenheit für weitere Anpassungen des Abkommens. So wurde das Besteuerungsrecht für Gewinne von Schifffahrtsunternehmen im internationalen Betrieb ausschliesslich dem Ansässigkeitsstaat zugewiesen. Weiter wurde für den Bereich der Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und der technischen Dienstleistungen eine automatische Meistbegünstigungsklausel angefügt. Diese garantiert, dass der Schweiz automatisch der gleiche Residualsatz eingeräumt wird, den Indien mit einem anderen OECD-Mitglied vereinbart hat, sollte dieser tiefer als jener mit der Schweiz ausfallen. Ferner wurde eine bisher schweizerischerseits gewährte fiktive Steueranrechnung von Zinsen aufgehoben. Das Änderungsprotokoll wurde am 30. August 2010 in Neu Delhi unterzeichnet.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben den Abschluss des Protokolls begrüsst.

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Botschaft 1

Allgemeine Überlegungen zur Weiterentwicklung der Abkommenspolitik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Doppelbesteuerungsabkommen sind ein wichtiges Mittel der Steuerpolitik. Gute Abkommen erleichtern die Tätigkeit der Exportwirtschaft, fördern Investitionen in der Schweiz und tragen damit zum Wohlstand in der Schweiz und im Partnerland bei.

Die Politik der Schweiz im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen richtet sich seit jeher nach dem Standard der OECD, weil dieser am besten geeignet ist, das Wohlstandsziel zu erreichen. Sie zielt hauptsächlich darauf ab, die Zuständigkeiten bei der Besteuerung natürlicher und juristischer Personen klar zuzuweisen, die Quellensteuer auf Zinsen, Dividenden und Lizenzgebühren möglichst tief zu halten und allgemein Steuerkonflikte zu verhindern, die sich auf international tätige Steuerpflichtige nachteilig auswirken könnten. Dabei musste die Schweiz seit jeher den goldenen Mittelweg zwischen günstigen steuerlichen Rahmenbedingungen im eigenen Land einerseits und internationaler Anerkennung ihrer Steuerordnung andererseits finden. Gute Schweizer Lösungen können wertlos werden, wenn sie international keine Anerkennung finden.

Am 13. März 2009 hat der Bundesrat beschlossen, die Amtshilfe in Steuersachen den neuen Gegebenheiten der internationalen Politik anzupassen.

1.1

Ausgangslage, Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Zwischen der Schweiz und Indien besteht seit dem 2. November 1994 ein Doppelbesteuerungsabkommen (hiernach «DBA-IND»), das am 16. Februar 2000 erstmals revidiert worden ist.

Einige Bestandteile des Abkommens weichen vom OECD-Musterabkommen und von der üblichen schweizerischen Abkommenspraxis ab, um den Besonderheiten der indischen Abkommenspolitik Rechnung zu tragen. Das ist insbesondere bei der Besteuerung der Vergütungen für technische Dienstleistungen der Fall, die in Indien zu einem Satz von maximal 10 Prozent quellenbesteuert werden (oder fallweise trotz kurzer Anwesenheit in Indien eine Betriebstätte begründen). Zudem enthält das Abkommen bisher keine spezifische Bestimmung über die Besteuerung von Schifffahrtsunternehmen.

Im Nachgang zu den Beschlüssen der G20 zur internationalen Finanzkrise und anlässlich der jüngsten Wahlkampagnen in Indien wurde die Schweiz zum Objekt gezielter Kritik, sie unterstütze Steuerpflichtige Indiens bei der Steuerhinterziehung.

Im April 2009 nahmen die Behörden Indiens (ein Mitgliedstaat der G20) vom Bundesratsentscheid vom 13. März 2009 Kenntnis, den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zu übernehmen. Sie verlangten daraufhin die Aufnahme von Revisionsverhandlungen.

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Um diesem Begehren nachzukommen, beschloss die Schweiz die Aufnahme von Verhandlungen zur Revision des DBA-IND; diese fanden vom 10.­12. November 2009 in Bern statt und boten insbesondere Gelegenheit, weitere Bestimmungen des DBA-IND zu revidieren. Die ausgehandelten Lösungen sind für die Schweiz vorteilhaft. Das Änderungsprotokoll wurde am 1. März 2010 auf dem Schriftweg paraphiert und am 30. August 2010 in Neu Delhi unterzeichnet.

1.2

Würdigung

Das Änderungsprotokoll verbessert insgesamt die Rahmenbedingungen für Schweizer Investitionen in Indien. Es sieht neu für die Gewinne von Schifffahrtsunternehmen im internationalen Betrieb ein ausschliessliches Besteuerungsrecht des Staates vor, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Damit verhindert es allfällige Doppelbesteuerungen (bisher sah das Abkommen nur eine spezifische Klausel für die Besteuerung der Gewinne von international tätigen Luftfahrtunternehmen vor). Das Protokoll enthält zudem neu eine automatische Meistbegünstigungsklausel im Bereich der Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und Vergütungen für technische Dienstleistungen. Durch diese Klausel kommt die Schweiz automatisch in den Genuss des Steuersatzes, den Indien einem anderen OECD-Staat gewährt, wenn dieser Satz vorteilhafter ist als der im Abkommen mit der Schweiz verankerte. Mit dem Änderungsprotokoll setzt die Schweiz auch ihre Verpflichtungen auf dem Gebiet der Amtshilfe in Steuersachen um, die sie im März 2009 durch die Übernahme von Artikel 26 des OECD-Musterabkommens eingegangen ist. Das revidierte Abkommen wird zweifellos zur weiteren positiven Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen beitragen.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen des Protokolls

Das Protokoll zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens von 1994 zwischen der Schweiz und Indien sieht folgende Bestimmungen vor.

Art. 1, 2 und 3 (Art. 3, 7 und 8 des Abkommens ­ Allgemeine Begriffsbestimmungen, Unternehmensgewinne, Luftfahrt) Das bestehende Abkommen bestimmt in Artikel 7, dass Gewinne von Schifffahrtsunternehmen im internationalen Betrieb vom Anwendungsbereich dieser Norm ausgenommen sind. Weil auch keine andere Bestimmung des Abkommens diese Frage regelt, sind die Gewinne der Schifffahrtsunternehmen nach dem inländischen Recht der Vertragsstaaten zu versteuern. Mit dem Protokoll vom 16. Februar 2000 erhielt das Abkommen einen neuen Artikel 22 (Andere Einkünfte), wonach die in den übrigen Artikeln des Abkommens nicht behandelten Einkünfte nur im Ansässigkeitsstaat steuerbar sind.

Die zuständige Schweizer Behörde vertrat die Auffassung, diese Einkünfte fielen in den Geltungsbereich von Artikel 22 (Andere Einkünfte), was dem Ansässigkeitsstaat das ausschliessliche Besteuerungsrecht verleihe. Das indische Verwaltungsgericht hatte jedoch vor Kurzem festgehalten, dass die Vertragsstaaten die Gewinne der Schifffahrtsunternehmen ausdrücklich vom Geltungsbereich des DBA-IND ausge8830

nommen hätten und diese Gewinne demzufolge nach dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten steuerbar seien, was zu Doppelbesteuerungen führen konnte. Die schweizerischen Schifffahrtsunternehmen hatten Unzufriedenheit diesbezüglich geäussert.

Auf Ersuchen der Schweiz erklärte sich Indien bereit, eine Bestimmung zur Regelung der Besteuerung der Gewinne von Schifffahrtsunternehmen im internationalen Verkehr ins Abkommen aufzunehmen. Die Definition des Begriffs «internationaler Verkehr» soll um die Beförderung mit einem Seeschiff (vgl. Art. 1 des Protokolls) ergänzt und der Hinweis auf den Ausschluss der Besteuerung der Gewinne von Schifffahrtsunternehmen aus dem Betrieb im internationalen Verkehr in Artikel 7 soll gestrichen werden (vgl. Art. 2 des Protokolls). Zudem soll ein neuer Absatz 1 eingefügt werden, der dem OECD-Musterabkommen folgt.

Der neue Artikel 8 besagt, dass das ausschliessliche Recht zur Besteuerung der Gewinne von Luft- oder Schifffahrtsunternehmen aus dem Betrieb im internationalen Verkehr bei dem Staat liegt, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat.

Art. 4 und 5 (Art. 11 und 13 des Abkommens ­ Zinsen und Gewinne aus der Veräusserung von Vermögen) Diese Bestimmungen werden in Folge des Einbezugs der Gewinne von Schifffahrtsunternehmen aus dem internationalen Betrieb nach Artikel 8 angepasst; sie regeln die Besteuerung der Einkommen in Form von Zinsen oder Gewinnen aus der Veräusserung von international betriebenen Schiffen.

Art. 6 (Art. 23 des Abkommens ­ Vermeidung der Doppelbesteuerung) Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe c des Abkommens sieht die einseitige Anrechnung einer fiktiven Steuer von 10 Prozent zulasten der Schweiz vor, von Zinsen «genehmigter Darlehen», von in Indien aufgrund von Entwicklungshilfe steuerbefreiter Zinsen sowie von zu einem tieferen als nach dem vom Abkommen vorgesehenen Satz besteuerter Zinsen. Der mit der fiktiven Steueranrechnung geschaffene Anreiz ist grundsätzlich fragwürdig, weil sich eine Steuergutschrift nicht unbedingt als Instrument der Auslandshilfe eignet und ein gewisses Missbrauchsrisiko besteht1.

Zudem führt die fiktive Steueranrechnung bei den Schweizer Steuerbehörden in der Praxis zu Anwendungsproblemen (fremdsprachige Texte usw.). Die Schweiz vermeidet es deshalb so weit wie möglich, solche Bestimmungen zuzugestehen, und sie willigte
damals nur ein, weil das DBA-IND andernfalls nicht hätte abgeschlossen werden können. Aus diesen Gründen wünschte die Schweiz anlässlich der Revisionsverhandlungen auf diesen Punkt zurückzukommen und schlug die Aufhebung dieser Bestimmung vor.

Indien hat dem Begehren stattgegeben. Das Änderungsprotokoll sieht keine fiktive Steueranrechnung mehr vor auf Zinsen «genehmigter Darlehen», auf in Indien aufgrund von Entwicklungshilfe steuerbefreiter Zinsen oder auf zu einem tieferen Satz als nach dem Abkommen besteuerten Zinsen.

1

Vgl. dazu den Bericht des Fiskalkomitees «Les crédits d'impôt fictif: Un nouvel examen de la question», 23. Oktober 1997.

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Art. 7 und 12 (Art. 24 des Abkommens und Ziff. 7 des Protokolls ­ Gleichbehandlung) Mit dieser neuen Bestimmung nach dem OECD-Musterabkommen soll die Diskriminierung von Ansässigen eines Vertragsstaats abgebaut werden, die im anderen Vertragsstaat Betriebstätten unterhalten. Indien besteuert Betriebstätten ausländischer Unternehmen weiterhin zu einem höheren Satz als Betriebstätten indischer Unternehmen. Die neue Bestimmung im Protokoll (Art. 12) ersetzt die bisherige Ziffer 7 des Protokolls und hält wie bisher fest, dass diese Bestimmung nicht so ausgelegt werden darf, dass ein Vertragsstaat daran gehindert wird, die Gewinne einer Betriebstätte, die ein Unternehmen eines anderen Vertragsstaats bei ihm unterhält, zu einem höheren Satz zu besteuern als die Gewinne einer vergleichbaren einheimischen Gesellschaft; ebenso wenig darf diese Bestimmung so ausgelegt werden, dass sie Artikel 7 Absatz 3 des Abkommens widerspricht. Das Änderungsprotokoll beschränkt aber die Differenz zwischen dem Besteuerungssatz für Betriebstätten ausländischer Unternehmen und demjenigen für Betriebstätten ansässiger Unternehmen auf höchstens 10 Prozentpunkte.

Art. 8 und 13 (Art. 26 des Abkommens und neue Ziff. 10 des Protokolls ­ Informationsaustausch) Mit dem Rückzug ihres Vorbehalts zu Artikel 26 des OECD-Musterabkommens verpflichtete sich die Schweiz politisch zur Übernahme des Standards nach diesem Artikel und dessen Kommentar. Indien machte zudem seine Zustimmung zur Revision davon abhängig, dass die Bestimmung zum Informationsaustausch dem OECDWortlaut möglichst nahe kommt. Das definitive Zustandekommen der Revision hing somit wesentlich von den diesbezüglich vereinbarten Regelungen ab.

Der neue Artikel 26 übernimmt weitgehend den Wortlaut von Artikel 26 des OECDMusterabkommens. Abweichungen bestehen hinsichtlich der Einschränkung des Informationsaustauschs auf Steuern, die unter das Abkommen fallen, der Möglichkeit zum Gebrauch der Informationen für andere Zwecke mit dem Einverständnis beider Staaten und der Ermächtigung der Vertragsstaaten zur Durchsetzung von Informationsbegehren gegenüber Banken, anderen Finanzinstituten, Bevollmächtigten und Treuhändern sowie zur Ermittlung von Beteiligungsverhältnissen. Diese Abweichungen sind im Kommentar zum OECD-Musterabkommen vorgesehen und mit dem OECD-Standard vereinbar.
Absatz 1 hält den Grundsatz des Informationenaustauschs fest. Auszutauschen sind die Informationen, die für die Durchführung des Abkommens oder die Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts auf dem Gebiet der unter das Abkommen fallenden Steuern erheblich sein können. Durch die Beschränkung auf voraussichtlich erhebliche Informationen sollen sogenannte «fishing expeditions» verhindert werden. Zudem wird festgehalten, dass der ersuchende Staat alle nach seinem innerstaatlichen Steuerverfahren üblichen Auskunftsquellen ausschöpfen muss, bevor er den anderen Staat um Informationen ersucht. Nicht erforderlich ist für den Informationsaustausch, dass die betroffenen Steuerpflichtigen in der Schweiz oder in Indien ansässig sind, sofern eine wirtschaftliche Anknüpfung in einem der Vertragsstaaten besteht.

Absatz 2 befasst sich mit dem Grundsatz der Geheimhaltung. Er bezieht sich auf den ersuchenden Staat und besagt, dass die erhaltenen Informationen nur Personen und Behörden zugänglich gemacht werden dürfen, die mit der Veranlagung, Erhebung, 8832

Durchsetzung, Strafverfolgung oder Entscheidung über Rechtsmittel hinsichtlich der unter das Abkommen fallenden Steuern oder mit der Aufsicht über die vorgenannten Personen oder Behörden befasst sind. Die Informationen dürfen somit auch der steuerpflichtigen Person selbst oder ihrem Bevollmächtigten offenbart werden. Der letzte Satz dieses Absatzes sieht die Möglichkeit der Verwendung für andere, nicht steuerliche Zwecke vor, wenn dies nach dem Recht beider Vertragsstaaten zulässig ist und der übermittelnde Staat seine Zustimmung zur steuerfremden Verwendung gibt. Diese Bestimmung ermöglicht beispielsweise die Verwendung der erhaltenen Auskünfte in einem anderen Strafverfahren, ohne jedoch der betroffenen Person die diesbezüglichen separaten Verfahrensrechte in der Schweiz zu entziehen. Damit kann vermieden werden, dass gleiche Informationen für unterschiedliche Zwecke mehrmals beschafft und übermittelt werden müssen. Die Zustimmung des ersuchten Staates ist jedoch in allen Fällen notwendig. Diese Bestimmung ermöglicht unter anderem unter den gleichen Voraussetzungen die Verwendung der Informationen durch die Sozialversicherungsbehörden im Rahmen ihres innerstaatlichen Zugangs zu steuerlichen Informationen (z.B. Art. 9 Abs. 3 AHVG, SR 831.10, und Art. 27 AHVV, SR 831.101).

Absatz 3 sieht zugunsten des ersuchten Staates gewisse Einschränkungen des umfassenden Informationsaustauschs vor. Der ersuchte Staat ist weder gehalten, Verwaltungsmassnahmen durchzuführen, die über seine eigenen Gesetze oder seine eigene Verwaltungspraxis hinausgehen, noch muss er Verwaltungsmassnahmen durchführen, die von den Gesetzen oder der Verwaltungspraxis des ersuchenden Staates abweichen. Im Fall der Schweiz bedeutet dies insbesondere, dass das rechtliche Gehör der Betroffenen ebenso wie die Möglichkeit, einen vorgesehenen Informationsaustausch gerichtlich überprüfen zu lassen, gewahrt bleibt. Der ersuchte Staat braucht ferner keine Auskünfte zu erteilen, die nach seinen Gesetzen oder seiner Verwaltungspraxis oder nach dem Recht oder der Verwaltungspraxis des ersuchenden Staates nicht beschafft werden könnten. Schliesslich kann der ersuchte Staat die Auskunft verweigern, wenn sie wirtschaftliche Geheimnisse betrifft oder die öffentliche Ordnung (Ordre public) verletzt. Dies könnte insbesondere der Fall sein, wenn die
Informationen im anderen Staat nicht in ausreichendem Masse geheim gehalten werden.

Absatz 4 hält fest, dass der ersuchte Staat auch Auskünfte ermitteln und austauschen muss, die er selbst nicht für eigene Steuerzwecke benötigt. Der Informationsaustausch beschränkt sich folglich nicht auf Informationen, die auch den Steuerbehörden des ersuchten Staates von Nutzen sind.

Absatz 5 enthält besondere Bestimmungen bezüglich Informationen, die von Banken oder anderen Intermediären gehalten werden, sowie betreffend Eigentumsverhältnisse an juristischen Personen. Solche Informationen sind unabhängig von den Einschränkungen des Absatzes 3 auszutauschen. So hat der ersuchte Staat die Auskünfte auch dann einzuholen und auszutauschen, wenn die ersuchten Informationen nach seinen Gesetzen oder seiner Verwaltungspraxis nicht erhältlich wären. Entsprechend kann die Schweiz den Informationsaustausch nicht unter Hinweis auf das schweizerische Bankgeheimnis verweigern. Die Bestimmung setzt jedoch voraus, dass die ersuchten Informationen tatsächlich bestehen. Anfragen über die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaften mit Inhaberaktien können und müssen daher nur so weit beantwortet werden, als diese Informationen für die Behörden des ersuchten Staates, ungeachtet allfälliger Einschränkungen des innerstaatlichen Rechts, effektiv ermittelbar sind.

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Bei Steuerbetrug verfügt die Schweiz aufgrund des strafrechtlichen Verfahrens im innerstaatlichen Recht über die notwendigen Mittel zur Durchsetzung der Herausgabe der Informationen nach Absatz 5. Der neu vereinbarte Informationsaustausch erfordert jedoch nicht länger das Vorliegen eines Steuerbetrugs. Damit die Umsetzung der abkommensrechtlichen Verpflichtungen durch die Vertragsstaaten gewährleistet werden kann, wurde mit dem letzten Satz des Absatzes 5 die notwendige rechtliche Grundlage für die erforderlichen Verfahrensbefugnisse zur Erlangung der ersuchten Informationen geschaffen.

Das anwendbare Verfahren wird vorerst durch die Verordnung vom 1. September 2010 über die Amtshilfe nach Doppelbesteuerungsabkommen (ADV) geregelt.

Diese ist am 1. Oktober 2010 in Kraft getreten. Die Verordnung soll jedoch durch ein Gesetz ersetzt werden, das derzeit erarbeitet wird. Dieses Vorgehen wurde mit den Bundesbeschlüssen vom 18. Juni 2010 über die Genehmigung der zehn neuen oder revidierten Doppelbesteuerungsabkommen bestätigt und braucht ausser bei Vorliegen eines speziellen Falls nicht wiederholt zu werden.

Die Schweiz wird gemäss Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c der ADV Indien keine Amtshilfe leisten, wenn das Amtshilfegesuch auf illegal beschafften Daten beruht.

Das Auskunftsersuchen ist schriftlich zu stellen (einfache Telefonanfragen sind somit ausgeschlossen), entsprechend den diesbezüglichen Vorschriften der OECD, insbesondere dem Modul 1 zum Informationsaustausch auf Anfrage im OECDHandbuch zum Informationsaustausch in Steuersachen.

Die Bestimmungen von Artikel 26 (Art. 13, Ziff. 10 des Protokolls) werden im Protokoll weiter konkretisiert. Das Protokoll hält den Grundsatz der Subsidiarität fest und schliesst «fishing expeditions» ausdrücklich aus (Ziff. 10 Bst a und d). Die Vertragsstaaten sind demnach gehalten, ein Informationsbegehren erst zu stellen, wenn sie sämtliche in ihrem innerstaatlichen Recht üblichen Mittel der Informationsermittlung ausgeschöpft haben. Sogenannte «fishing expeditions», das heisst Ermittlungen, die ohne präzises Ermittlungsobjekt in der Hoffnung vorgenommen werden, steuerlich relevante Informationen zu erhalten, sind ausdrücklich ausgeschlossen (Ziff. 10 Bst. d). Weiter legt das Protokoll die Anforderungen an ein Informationsbegehren detailliert fest (Ziff. 10
Bst. b). Notwendig ist insbesondere eine eindeutige Identifikation der betroffenen steuerpflichtigen Person sowie der Person (z.B. der Bank), in deren Besitz der ersuchende Staat die gewünschten Informationen vermutet. Der ersuchende Staat muss darlegen, welche Informationen er für welche Steuerperioden und zu welchen steuerlichen Zwecken benötigt. Daraus folgt, dass sich der Informationsaustausch auf konkrete Anfragen im Einzelfall beschränkt. In der gleichen Art wie im Änderungsprotokoll mit den Vereinigten Staaten von Amerika muss der ersuchte Staat auf Anfrage des ersuchenden Staats die Informationen in Form von beglaubigten Kopien oder unveränderten Originaldokumenten erteilen (Ziff. 10 Bst. c).

Die Verpflichtung eines Vertragsstaats zum spontanen oder automatischen Informationsaustausch wird zudem ausdrücklich ausgeschlossen, ohne den Vertragsstaaten jedoch die Möglichkeit eines automatischen oder spontanen Informationsaustauschs zu nehmen, wenn ihr innerstaatliches Recht dies vorsieht (Ziff. 10 Bst. e). Ziffer 10 Buchstabe f schliesslich hält die Garantie der Verfahrensrechte der Steuerpflichtigen fest. In der Schweiz kann die betroffene steuerpflichtige Person die Schlussverfügung der Eidgenössischen Steuerverwaltung zum Austausch von Informationen mittels Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht anfechten, das die Sache 8834

abschliessend beurteilt. Die Beschwerde hat Suspensivwirkung. Wurde Beschwerde erhoben, kann der Informationsaustausch daher erst erfolgen, wenn diese rechtskräftig abgelehnt wurde. Dieses Verfahren darf den Informationsaustausch aber nicht in unzulässiger Weise behindern oder verzögern.

Die revidierten Bestimmungen zum Informationsaustausch werden für Steuerjahre Anwendung finden, die am oder nach dem 1. Januar des Jahres beginnen, das auf das Datum der Unterzeichnung des Änderungsprotokolls folgt. Für die Vorjahre beschränkt sich der Informationsaustausch auf die Informationen, die für die ordentliche Anwendung des Abkommens nach heutigem Artikel 26 erforderlich sind.

Art. 9 (Ziff. 1 des Protokolls zu Artikel 4 des Abkommens ­ Steuerlicher Wohnsitz) Die Schweizer Delegation nutzte die Anpassung des Abkommens an den international geltenden Standard auf dem Gebiet der Amtshilfe als Gelegenheit, auch die Ansässigkeit der anerkannten Pensionskassen und Vorsorgeeinrichtungen zur Beanspruchung der Abkommensvorteile im DBA-IND zu verankern. Dies entspricht der heutigen schweizerischen Abkommenspolitik und der schweizerischen Auslegung von Artikel 4 des OECD-Musterabkommens.

Der reduzierte Quellensteuersatz von 15 Prozent auf Dividenden und 10 Prozent auf Zinsen und Lizenzgebühren gilt neu auch für Pensionskassen oder Vorsorgeeinrichtungen. Es besteht Einvernehmen darüber, dass als anerkannte Pensionskassen oder Vorsorgeeinrichtungen eines Vertragsstaats die Pensionskassen oder Vorsorgeeinrichtungen gelten, die nach den Vorschriften dieses Staates anerkannt und kontrolliert sind, deren Einkünfte in der Regel nicht besteuert werden und die grundsätzlich das Ziel verfolgen, Ruhegelder oder Rentenleistungen zu verwalten oder auszurichten oder Einkünfte für solche Einrichtungen zu erwirtschaften.

Art. 11 (Ziff. 4 des Protokolls zu Art. 10, 11, 12 und 22 des Abkommens) Das bisherige Abkommen sieht für die Quellensteuer auf Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und Vergütungen für technische Dienstleistungen eine Meistbegünstigungsklausel vor. Diese kommt jedoch nicht automatisch zum Zug, sondern sieht vor, dass Indien mit der Schweiz neue Verhandlungen aufnehmen muss, wenn es einem Drittstaat, der OECD-Mitglied ist, einen günstigeren Residualsteuersatz oder einen eingeschränkteren Geltungsbereich für die
Quellensteuer auf Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und Vergütungen für technische Dienstleistungen gewährt, als mit der Schweiz vereinbart wurde.

Die neue Bestimmung sieht eine automatische Meistbegünstigungsklausel vor, wonach die Schweiz automatisch in den Genuss desselben Steuersatzes kommt, den Indien einem anderen OECD-Staat gewährt, wenn dieser vorteilhafter ist als der im Abkommen mit der Schweiz vereinbarte.

Die (nicht automatische) Meistbegünstigungsklausel wird bezüglich einer engeren Definition der Begriffe «Lizenzgebühren» und «Vergütungen für technische Dienstleistungen» beibehalten.

Im Rahmen der Beratungen über die automatische Meistbegünstigungsklausel für Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und Vergütungen für technische Dienstleistungen verlangte die indische Delegation die Verankerung einer Bestimmung zur Vermeidung von Missbrauch dieser Bestimmungen.

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Nach Ansicht der Schweiz war der Vorschlag Indiens zu weit gefasst und zu unbestimmt. Als Kompromiss wurde schliesslich die gleiche Missbrauchsbekämpfungsklausel wie im Abkommen mit Grossbritannien verankert. Sie sieht vor, dass die Bestimmungen über Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren, Vergütungen für technische Dienstleistungen sowie weitere Einkünfte nicht für Einkünfte gelten, die unter oder als Teil einer Gewinndurchlaufregelung gezahlt werden. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass in einem Drittstaat ansässige Personen Abkommensvorteile beanspruchen, auf die sie keinen Anspruch haben, indem sie eine in einem Vertragsstaat ansässige Person (meist eine Gesellschaft) als Gewinndurchlauf benutzt. Die Bestimmung kommt nur in Fällen zur Anwendung, in denen der Hauptzweck der Errichtung einer Gewinndurchlaufregelung über eine Person oder Gesellschaft in der Beanspruchung der Abkommensvorteile besteht.

Art. 14

Inkrafttreten

Das Änderungsprotokoll tritt am Tag des Eingangs der letzten Notifikation über den Abschluss der erforderlichen innerstaatlichen Verfahren in Kraft. Die Bestimmungen des Änderungsprotokolls sind erstmals auf im Laufe der Steuerjahre erzielte Einkommen anwendbar, die in Indien am oder nach dem 1. April und in der Schweiz am oder nach dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten des Änderungsprotokolls folgenden Kalenderjahres beginnen.

3

Finanzielle Auswirkungen

In einem Doppelbesteuerungsabkommen verzichten beide Vertragsstaaten auf gewisse Steuereinnahmen. Mit der vorliegenden Änderung wird die Bestimmung zur bisher von der Schweiz gewährten fiktiven Steueranrechnung von Zinsen aufgehoben. Das Protokoll, das Amtshilfe auf Ersuchen zur Durchführung des innerstaatlichen Rechts des ersuchenden Staats einerseits und Zugang zu Bankinformationen auf Ersuchen zu Steuerzwecken andererseits einführt, könnte zwar in gewisser Weise als dem Standort Schweiz und indirekt den Steuereinnahmen der Schweiz abträglich betrachtet werden. Angesichts der internationalen Bestrebungen für einheitliche Rahmenbedingungen bei der Amtshilfe in allen Staaten («global level playing field») und der Sicherstellung eines wirksamen Informationsaustauschs durch einen entsprechenden Kontrollmechanismus dürfte sich die neue Situation für die Schweiz insgesamt neutral auswirken. Die Einnahmen und Einbussen, die sich für den Schweizer Fiskus ergeben und die mangels geeigneter Instrumente nicht bezifferbar sind, dürften sich aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung der beiden Staaten in etwa ausgleichen.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben das Protokoll begrüsst.

Insgesamt trägt es in positiver Weise zur Beibehaltung und zum Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen bei und unterstützt damit die wesentlichen Ziele der schweizerischen Aussenhandelspolitik.

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4

Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage für das vorliegende Protokoll ist Artikel 54 der Bundesverfassung (BV), der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Nach Artikel 166 Absatz 2 BV ist die Bundesversammlung für die Genehmigung dieses Abkommens zuständig. Das Abkommen ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalenderjahrs gekündigt werden. Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffern 1­3 BV unterstehen seit dem 1. August 2003 die Staatsverträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 (SR 171.10) gilt eine Bestimmung eines Staatsvertrags dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt. Um eine einheitliche Praxis bei der Anwendung von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu gewährleisten und zu vermeiden, dass Abkommen von ähnlicher Tragweite wiederholt dem Referendum unterstellt werden, hat der Bundesrat in der Botschaft vom 19. September 2003 zum Doppelbesteuerungsabkommen mit Israel festgehalten, dass er dem Parlament Staatsverträge auch in Zukunft mit dem Vorschlag unterbreiten werde, diese dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nicht zu unterstellen, sofern sie im Vergleich zu früher abgeschlossenen Abkommen keine wichtigen zusätzlichen Verpflichtungen für die Schweiz beinhalten.

Die revidierte Bestimmung zum Informationsaustausch entsprechend dem Musterabkommen der OECD sieht eine erweiterte Amtshilfe vor, was eine wichtige Veränderung der schweizerischen Abkommenspolitik darstellt.

Das Protokoll enthält damit wichtige neue Bestimmungen im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Indien wird daher dem fakultativen Staatsvertragsreferendum unterstellt.

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