09.526 Parlamentarische Initiative Finanzierung von Institutionen für Behinderte Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 3. September 2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über den Finanz- und Lastenausgleich. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

3. September 2010

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Thérèse Meyer-Kaelin

2010-2206

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 11. Dezember 2009 reichte Nationalrat Meinrado Robbiani eine parlamentarische Initiative ein, die im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung (NFA) eine Verlängerung der Übergangsfrist verlangt, während der Beitragsleistungen des Bundes an Institutionen für Behinderte ausgerichtet werden. Frühere Bemühungen von Kantonen, den Bundesrat zu einer Verlängerung dieser Frist zu bewegen, waren ohne Ergebnis geblieben.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) gab der parlamentarischen Initiative am 28. April 2010 mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) stimmte diesem Beschluss am 19. Mai 2010 ohne Gegenstimme zu. Die beiden Kommissionen berücksichtigten damit auch ein Anliegen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK). Diese hatte die parlamentarische Initiative in einem Schreiben vom 22. April 2010 an die Kommissionsmitglieder ausdrücklich unterstützt.

Am 3. September 2010 stimmte die SGK-NR vorliegendem Bericht- und Erlassentwurf ohne Gegenstimmen bei 3 Enthaltungen zu.

Eine gleich lautende parlamentarische Initiative (09.523 s) von Ständerat Filippo Lombardi ist in der SGK-SR hängig.

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Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage

Das Bundesgesetz vom 3. Oktober 20031 über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG) sieht bei Aufgaben, bei denen der Bund durch die NFA finanziell entlastet wird, in Artikel 20 Buchstabe b folgende Übergangsregelung vor: Beitragsleistungen, die der Bund vor dem Inkrafttreten des neuen Finanzausgleichs rechtskräftig zugesichert hatte für Vorhaben, die erst nach dessen Inkrafttreten in Angriff genommen wurden, sind nur geschuldet, wenn die Schlussabrechnung für das entsprechende Projekt innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten der NFA unterbreitet wird. Die NFA ist am 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Diese Übergangsfrist läuft somit am 31. Dezember 2010 ab.

Eine Reihe von Institutionen für Behinderte kann diese Frist bei Bau- und Renovationsvorhaben nicht einhalten. Eine von der SODK durchgeführte Umfrage, die Mitte Juli 2010 abgeschlossen wurde, zeigt folgendes Bild:

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Vier Institutionen können ihre Schlussabrechnung frühestens im Dezember 2010, möglicherweise aber nicht mehr rechtzeitig vor Ende Jahr, einreichen.

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Acht Institutionen können ihre Schlussabrechnung im Laufe des Jahres 2011 einreichen, die meisten bis Mitte 2011.

SR 613.2

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Eine Institution rechnet nach aktuellem Stand der Planung damit, die Schlussabrechnung im Frühling 2013 einzureichen. Sie prüft zusammen mit dem Kanton Möglichkeiten, wie die Arbeiten um ein halbes Jahr beschleunigt werden könnten.

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Die Gründe für die Verzögerungen sind unterschiedlicher Natur: Einsprachen, Überarbeitung des Projekts, Verschiebung der Gewährung des Kantonsbeitrags, Auflagen des Bundes (Abstand zu Gasleitung), technische oder organisatorische Schwierigkeiten während der Bauzeit (Grundwasser, Wetterverhältnisse, Umbau bei laufendem Betrieb, etc.)

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Die Standorte der betroffenen Institutionen liegen in den Kantonen Freiburg, Genf, Tessin, Waadt, Wallis und Zürich.

Reichen diese Institutionen die Schlussabrechnung für ihr Bau- oder Renovationsprojekt nicht bis zum 31. Dezember 2010 ein, gehen ihnen die vom Bundesamt für Sozialversicherungen zugesicherten Leistungen der Invalidenversicherung verloren. Die betroffenen Kantone, welche die Projekte ursprünglich dem Bund unterbreitet hatten, müssten im Einzelfall nach einer Lösung suchen.

2.2

Die beantragte Neuregelung

Die vom Parlament in Art. 20 Bst. b FiLaG festgelegte Übergangszeit von drei Jahren hat sich für die oben genannten Institutionen in der Praxis als zu knapp erwiesen, und zwar aus Gründen, die von den Verantwortlichen dieser Institutionen nur schwer zu beeinflussen sind. Es wäre kaum verständlich, wenn diese Institutionen deswegen die vom Bund zugesicherten Leistungen verlieren, bereits erhaltene Beiträge zurückerstatten und zusammen mit den Kantonen nachträglich eine neue Finanzierungslösung suchen müssten.

Die Übergangsfrist in Art. 20 Bst.b FiLaG soll deshalb erstreckt werden. Die vorgeschlagene Verlängerung von drei auf fünf Jahre reicht für 12 der 13 betroffenen Institutionen ohne Weiteres aus. Jene Institution, die ihre Schlussabrechnung für 2013 in Aussicht stellt, musste angesichts der grossen Verzögerung bereits bisher davon ausgehen, dass sie ohne die zugesicherten Bundesbeiträge auskommen muss.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Bundesgesetz über den Finanz- und Lastenausgleich

Ziffer I Art. 20

Subventionsrecht

Um im Vorfeld der Inkraftsetzung des neuen Finanzausgleichs einem möglichen «Gesuchsstau» präventiv entgegen zu wirken, wurde für Aufgaben, bei denen sich der Bund im Rahmen der NFA zurückgezogen hat, eine entsprechende subventionsrechtliche Übergangsbestimmung geschaffen (Art. 20 FiLaG). In Artikel 20 Buchstabe a FiLaG wird festgehalten, dass Gesuche um Finanzhilfen und Abgeltungen, die nach Inkrafttreten dieser Bestimmung, aber vor Inkrafttreten des neuen Finanzausgleichs eingereicht wurden, nach dem im Zeitpunkt der Zusicherung geltenden Recht beurteilt werden. Diese Bestimmung wurde mit Bundesratsbeschluss vom 3.

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März 2005 auf den 1. April 2005 in Kraft gesetzt. Die übrigen Bestimmungen sind auf den 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Die Bestimmung stellt eine vorübergehende Abweichung von Artikel 36 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 19902 über Finanzhilfen und Abgeltungen (Subventionsgesetz, SuG) dar.

Mit Artikel 20 Buchstabe b hat der Gesetzgeber des Weiteren sichergestellt, dass der Bund für nach früherem Recht zugesicherte Beitragsleistungen für Vorhaben, die bei Inkraftsetzen der Reform noch nicht in Angriff genommen wurden, nur innerhalb eines vom Gesetzgeber klar definierten Zeitraums von drei Jahren noch Beiträge leisten muss. Diese Bestimmung hatte gemäss der Botschaft zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) vom 14. November 20013 den Zweck, die Beitragsberechtigten zu einer schnellen Realisierung von Vorhaben, welche noch nach altem Recht zugesichert wurden, zu bewegen. Die gewählte Frist von drei Jahren gewährte dem Subventionsempfänger Vertrauensschutz und nahm gleichzeitig auf das Interesse des Bundes Rücksicht. Mit der NFA zog sich der Bund im Rahmen der Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung aus der Finanzierung zahlreicher Aufgaben ganz oder teilweise zurück. Er verstärkte jedoch in gleichem Ausmass die zweckfreien Beiträge im Bereich des Finanzausgleichs im engeren Sinne. Ausserdem führte er bei den verbleibenden gemeinsamen Aufgaben von Bund und Kantonen das neue Instrument der Programmvereinbarungen sowie Pauschalen ein. Der Bund wollte deshalb durch die Übergangsbestimmung sicherstellen, dass der Bundeshaushalt und somit die neuen Finanzierungsinstrumente der NFA nicht allzu lange durch die Finanzierung von altrechtlichen Verpflichtungen belastet werden.

Gemäss der geltenden Frist sind Schlussabrechnungen für Vorhaben, die unter diese Bestimmung fallen, bis spätestens Ende 2010 einzureichen. Die parlamentarische Initiative sieht eine Ausdehnung dieser Übergangsfrist von drei auf fünf Jahre vor.

Das bedeutet, dass neu entsprechende Schlussabrechnungen bis spätestens Ende 2012 vorgelegt werden müssen.

Es ist zu beachten, dass eine Ausdehnung der Übergangsfrist nicht nur für die kollektiven Leistungen der IV gilt, sondern für sämtliche von der NFA betroffenen Aufgaben, bei denen sich der Bund im Rahmen der NFA zurückgezogen
hat. Das bedeutet, dass die Anpassung dieser Bestimmung auch andere altrechtliche Verpflichtungen, welche im Zusammenhang mit der NFA entstanden sind, betreffen.

Gemäss aktuellem Wissensstand werden jedoch andere Aufgabenbereiche von der Ausdehnung der Frist nicht oder nur marginal tangiert, da die ursprüngliche Frist von drei Jahren weitestgehend eingehalten werden konnte.

Ziffer II Das Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum. Es tritt, den unbenutzten Ablauf der Referendumsfrist vorausgesetzt, rückwirkend auf den 1. Januar 2011 in Kraft. Sollte gegen die Vorlage das Referendum ergriffen, diese dann aber in der Volksabstimmung gutgeheissen werden, so bestimmt der Bundesrat das Inkrafttreten. Man darf davon ausgehen, dass er das Gesetz in diesem Fall, dem Anliegen des Gesetzgebers entsprechend, ebenfalls rückwirkend auf den 1. Januar 2011 in Kraft setzen wird.

2 3

SR 616.1 BBl 2002 2291 2486

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4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vom Bundesamt für Sozialversicherung gestützt auf Art. 73 Abs. 1 und Abs. 2 Bst. b und c IVG zugesicherten Bau- und Einrichtungsbeiträge für diejenigen 13 Institutionen (Ziff. 2.1), die voraussichtlich nicht in der Lage sind, die Schlussabrechnungen bis zu der in Art. 20 Bst. b FiLaG festgelegten Frist (31.12.2010) einzureichen, belaufen sich auf 23,1 Mio. Franken. Die Verlängerung der Frist wird dazu führen, dass diese Summe ohne Kostenbeteilung von Bund und Kantonen voll und ganz von der Invalidenversicherung getragen werden muss. Zwar haben Bund und Kantone ­ gestützt auf die Übergangsbestimmung zur Änderung vom 6. Oktober 2006 des IVG Absatz 4 und 5 ­ im Jahre 2008 an die von der IV aufgrund des bisherigen Rechts nachschüssig noch zu erbringenden Leistungen einmalige A-fonds-perdu-Beiträge im Umfang von 981 Millionen Franken (736 Millionen Bund; 245 Millionen Kantone) geleistet. Diese Beiträge entsprechen einer geschätzten Höhe der noch zu erbringenden Leistungen von 1962 Millionen. Die Schätzung des BSV basierte auf der Fortschreibung der Beiträge der Jahre 2000 bis 2006. Sie wurde von einer externen Beratungsfirma überprüft und als korrekt bestätigt. Zwischenzeitlich zeigt sich aber, dass diese Schätzung im Bereich der Bau- und Einrichtungsbeiträge viel zu tief ausfiel. Während in den Jahren 2000 bis 2007 die durchschnittliche jährliche Beitragszahlung bei 87,1 Millionen Franken lag, stieg die Beitragszahlung im Jahr 2008 auf 134,2 Millionen und im Jahr 2009 auf 135,7 Millionen Franken. Noch ausstehend sind ca. 165 Millionen Franken. Dies führt dazu, dass die effektiven nachschüssigen Zahlungen ca. 2037 Millionen Franken, d.h. 75 Millionen Franken mehr als ursprünglich geschätzt, betragen werden.

Der personelle Mehraufwand, der mit der Fristverlängerung beim BSV, BBL und bei der ZAS anfallen werden, wird auf maximal 20 Stellenprozente (ca.

30 000.­ Fr.) geschätzt.

In anderen Aufgabenbereichen, bei denen sich der Bund im Rahmen der NFA ganz oder teilweise zurückgezogen hat, sind keine finanziellen und personellen Auswirkungen zu erwarten, da bei den betroffenen Projekten die ursprüngliche Frist von drei Jahren weitestgehend eingehalten werden konnte. Forderungen, welche sich durch allfällige zusätzliche Schlussabrechnungen noch ergeben könnten, würden durch die bestehenden Kredite gedeckt.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Die Vorlage verlängert eine bestehende gesetzliche Frist. Sie enthält keine neuen gesetzlichen Bestimmungen, die zu neuen Vollzugsaufgaben führen werden.

4.3

Andere Auswirkungen

Mit der Vorlage wird die heute bereits bestehende Situation beschränkt weitergeführt. Es sind keine anderen Auswirkungen zu erwarten.

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5

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem europäischen Recht wurde bereits beim Erlass des Gesetzes geprüft.4 Dabei wurde festgehalten, dass die Vorlage in dieser Hinsicht keinerlei Schwierigkeiten bietet. Dies gilt auch für die nun vorgesehene Verlängerung der Frist von Artikel 20 Buchstabe b des Gesetzes.

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Der Entwurf zur Änderung des Gesetzes stützt sich wie dieses selbst auf die Artikel 47, 48, 50 und 135 der Bundesverfassung5.

Was das rückwirkende Inkrafttreten betrifft, ist auf Folgendes hinzuweisen. Nach Lehre und Praxis (vgl. statt vieler Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Bern 2009, § 24 Rz 26 f., mit weiteren Hinweisen) ist die rückwirkende Inkraftsetzung eines Erlasses zulässig, wenn das Gesetz selbst sie anordnet, sie durch triftige Gründe geboten und in zeitlicher Hinsicht mässig ist und keine stossenden Rechtsungleichheiten zur Folge hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, zumal sich die Rückwirkung für die Betroffenen begünstigend auswirkt und alle Betroffenen gleichermassen von der Rückwirkung profitieren.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Der Änderungsentwurf enthält keine neue Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen.

6.3

Erlassform

Dieses Gesetz ergeht in der Form des ordentlichen Erlasses nach Artikel 164 der Bundesverfassung.

4 5

BBl 2002 2291, Ziffer 9.1 SR 101

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