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HI. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Dezembersession 1951) (Vom 8. Dezember 1951)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

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Wir beehren uns, Ihnen unter Vorlage der Akten zu einem weiteren Begnadigungsgesuch Bericht zu erstatten und über dessen Erledigung Antrag zu stellen.

Gestützt auf Artikel 266 StGB ist verurteilt worden: 82. Kudolf Brunner, geb. 1907, Chauffeur, zurzeit in der kantonalen Strafanstalt St. Gallen, durch Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 7. Mai 1948 in Sachen Burri und Mitangeklagte wegen Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft in Abwesenheit zu zwei Jahren Zuchthaus und zu fünf Jahren Einstellung in der bürgerlichen'Ehrenfähigkeit verurteilt. Brunner hat seine Strafe am 21. April 1951 angetreten; zwei Drittel wird er am 21. August 1952 verbüsst haben. Das ordentliche Strafende fällt auf den 21. April 1958.

Den Urteilserwägungen des Bundesstrafgerichtes kann entnommen werden : Brunner trat dem Nationalsozialistischen Schweizerbund (NSSB) um die Jahreswende 1941/42 bei und übernahm die Leitung der Ortsgemeinschaft Münster und Umgebung. Von September 1943 bis Januar 1944 hatte er ferner vertretungsweise die Leitung des Gebietes Fulda-Werra inné. Im Januar 1944 nahm er an einer Tagung/der Gebietsleiter teil. Brunner warb eifrig für den NSSB, wobei es vorkam, dass er die Leute unter Druck setzte, so einen Melker, dem er zuerst Vorteile im Beruf versprach und nachher mit der Einweisung in ein Konzentrationslager drohte. In einem Werbebrief vom Juli 1942 an einen in Münster niedergelassenen Schweizer schrieb Brunner u. a., durch Zugehörigkeit zum NSSB bekenne man sich zum Neuen Europa und bezeuge man, dass man zur Erringung des Endsieges gegen alle die neue Weltordnung störenden Kräfte beitragen wolle. Wer sich aus der blutmässigen Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes ausschliesse, sei nicht würdig, sein tägliches

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Brot in geborgener Sicherheit verzehren zu können, das ihm durch den Blutzoll seines Volkes gesichert werde. Brunner organisierte in seiner Ortsgemeinschaft und in seinem Gebiete Versammlungen und Hess auch einige Flugblätter drucken. Brunner kannte und billigte das Ziel, daB Burri mit dem XSSB verfolgte.

In persönlicher Hinsicht hat das Bundesstrafgericht festgehalten, Brunner werde an seinem Geburtsort Bäretswil (Zürich) als brutaler Mann gefürchtet und als gemeingefährlich angesehen. Im Alter von neunzehn Jahren sei er vom Polizeigericht Orbe wegen Diebstahls zu einer bedingt vollziehbaren Zuchthausstrafe von 50 Tagen und einem Jahr Ehrverlust verurteilt worden.

Im Januar 1980 habe er militärgerichtlich wegen Dienstverweigerung zu einer militärisch vollziehbaren Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt werden müssen. Später sei Brunnôr Mitglied der Nationalen Front gewesen. Er habe sich am 28. Januar 1934 in Zürich an einem Sprengstoffattentat gegen den Eedaktor der Zeitung «Volksrecht» beteiligt und sei alsdann mit seinen Komplizen nach Deutschland geflüchtet. Im Juni 1934 sei eine Verurteilung wegen Anstiftung zu böswilliger Eigentumsbeschädigung durch das Bezirksgericht Zürich und im Mai 1935 eine weitere Bestrafung wegen Dienstversäumnis durch das Divisionsgericht 5 a erfolgt. Während des zweiten Weltkrieges sei Brunner in Münster (Westfalen) Gefängniswärter gewesen. Er galt als Spitzel der Gestapo und benahm sich gegenüber Schweizern frech. Dem Knaben des Ortsgemeinschaftsleiters des NSSB in Hamm habe er verboten, den Gottesdienst zu besuchen (vgl. 143 f. des Urteils).

Der Verurteilte ersucht um Begnadigung. Sein Gesuch enthält seinen Lebenslauf, in welchem er das ihm Zeit seines Lebens zugestossene Unglück und vermeintliche Unrecht schildert, namentlich die, seitens der Gestapo erlittenen Verfolgungen und seine infolge der durchgemachten Entbehrungen zugezogene unheilbare Krankheit hervorhebt. Ferner berichtet er von den verschiedenen nutzlosen Bemühungen, für sich und seine1 Familie Schweizerpässe zu erhalten, um in die Schweiz zurückkehren zu können.

; Die Beamtenkonferenz der kantonalen Strafanstalt St. Gallen: hat zum Gesuch Brunners am 17. November 1951 Stellung genommen. Es wird mitgeteilt, die Beschäftigung Brunners habe von Anfang an zu Schwierigkeiten geführt, da vorerst
dessen Gesundheitszustand einer genauen Abklärung bedurfte. Ein Versuch, den Verurteilten durch einen Kolonieaufenthalt gesundheitlich zu fördern, sei fehlgeschlagen, da er sich in der Kolonie nicht habe zurechtfinden können. Brunner sei ein sehr weichlich veranlagter Insasse.

Über die Führung wird nichts Nachteiliges gemeldet. Das geringe! Ergebnis seiner Arbeit sei auf seinen Gesundheitszustand zurückzuführen.

Das Zeugnis des Anstaltsarztes vom 2. November 1951 bestätigt leichten Diabetes, hypochondrische Veranlagung, ausserordentliche1 Empfindlichkeit für die bestehenden Beschwerden. Daneben sei Brunner etwas depressiv. Die Arbeitsfähigkeit sei zurzeit gleich : 'null, aber die Haftfähigkeit stehe ausser Frage.

994 Der Gesuchsteller macht in seinem Gesuch nichts geltend, was als Kommiserationsgrand bewertet werden könnte. Bei den im Lebenslauf geschilderten zahlreichen Missgeschicken handelt es sich ausschliesslich um Ereignisse, die sich vor dem Urteil zugetragen haben und die hier nicht mehr in Betracht fallen, weil die Überprüfung des Urteils des Bundesstrafgerichtes im Wege der Begnadigung nicht möglich ist. Wenn Brunner entscheidende, dem Bundesstrafgericht nicht unterbreitete, gegen seine Schuld sprechende oder ein leichteres Vergehen begründende Tatsachen oder Beweismittel geltend zu machen in der Lage sein sollte -- auf was seine Ausführungen im Gnadengesuch allerdings keineswegs schliessen lassen --, wird Brunner auf die Möglichkeit der Einreichung eines · Bevisionsgesuch.es verwiesen (Art. 229 ff. BStrP). Aber auch die in den Vordergrund gerückte Krankheit vermag einen Gnadenakt nicht zu rechtfertigen; denn Krankheit bildet nach ständiger Praxis der Begnadigungsbehörde keinen Kommiserationsgrund. Dem Gesundheitszustand eines Verurteilten hat die Vollzugsbehörde teils durch Strafunterbrechung oder Hospitalisierung entsprechend Bechnung zu tragen. Im Falle Brunner bejaht aber der Anstältsarzt die Hafterstehungsfähigkeit eindeutig. Endlich vermag dem Verurteilten auch der Hinweis auf seine Familie nicht zu helfen.

Dass Frau.und Kinder den Vater vermissen mögen, mag zutreffen; indessen ist dies bei Verbüssung von Freiheitsstrafen durch Familienväter eine durchaus natürliche Erscheinung, auf die sich eine Begnadigung nicht stützen lässt.

Da Brunner somit keine Kommiserationsgründe geltend macht und überdies mit Bezug auf sein Vorleben auch in persönlicher Beziehung eines Gnadenaktes wenig würdig erscheint, beantragen wir, in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis, die Gesuchsabweisung.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 8. Dezember 1951.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Ed. von Steiger 455

Der Bundeskanzler: Leimgruber

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III. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Dezembersession 1951) (Vom 8. Dezember 1951)

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