10.077 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (Sanierungsrecht) vom 8. September 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (Sanierungsrecht) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2001

M 01.3673

Nach der Swissair-Krise. Änderung des SchKG?

(S 17.11.2001, Lombardi; S 18.3.2002)

2002

P

02.3474

Bündelung der verschiedenen Interessen im Sanierungsprozess (S 19.9.2002, GPK-S; S 12.12.2002)

2002

P

02.3475

Ausrichtung des SchKG auf das Sanierungsziel (S 19.9.2002, GPK-S; S 12.12.2002)

2002

P

02.3045

Rechtliche Analyse als Folge des Swissair-Debakels (S 12.3.2002, Wicki; S 5.6.2002)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

8. September 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-1531

6455

Übersicht Mit dem vorliegenden Entwurf soll das Insolvenzrecht und dabei namentlich das Recht über das Nachlassverfahren in verschiedenen Punkten revidiert und verbessert werden. Ausgangspunkt bildet dabei die Feststellung, dass das schweizerische Insolvenzrecht unter dem Gesichtspunkt der Unternehmenssanierung tauglich und praktikabel ist, dabei aber einzelne Schwächen aufweist, die es zu beseitigen gilt.

Der vorliegenden Revision des Insolvenzrechts liegen die folgenden Leitlinien zugrunde: ­

Die Nachlassstundung soll nach der neuen Konzeption - wie das Chapter 11/Verfahren des US-amerikanischen Rechts - nicht mehr zwingend in einem Nachlassvertrag oder Konkurs enden, sondern vermehrt auch lediglich zu reinen Stundungszwecken bewilligt werden können.

­

Der aktienrechtliche Konkursaufschub (Art. 725a OR) soll aufgehoben und in das Nachlassverfahren des SchKG integriert werden. Damit würde das Moratorium in Zukunft sämtlichen Unternehmensformen (und nicht wie heute nur der Aktiengesellschaft, der Kommanditaktiengesellschaft, der GmbH und der Genossenschaft) zur Verfügung stehen.

­

Die Mitwirkungsrechte der Gläubigerinnen und Gläubiger während der Nachlassstundung sollen gestärkt werden, namentlich zum Schutz vor vorschnellen Liquidationshandlungen. Konkret wird deshalb die Einsetzung eines repräsentativen Gläubigerausschusses vorgeschlagen, welcher den Sachwalter zu beaufsichtigen hat. Unter bestimmten Voraussetzungen soll den Sachwalter ausserdem die Pflicht treffen, eine ausserordentliche Gläubigerversammlung einzuberufen.

­

Die Voraussetzungen für die Genehmigung des Nachlassvertrages werden herabgesetzt, indem die Sicherstellung der Befriedigung der Drittklassforderungen keine Voraussetzung für dessen Genehmigung mehr bilden soll.

Durch diese wurden in der bisherigen Praxis oft massgebende finanzielle Mittel blockiert und so das Zustandekommen eines Nachlassvertrages erheblich erschwert. Zudem wird vorgesehen, dass die Anteilsinhaber bei einem ordentlichen Nachlassvertrag einen angemessenen eigenen Sanierungsbeitrag zu leisten haben, um damit eine gewisse Gleichbehandlung mit den Gläubigerinnen und Gläubigern zu erreichen.

­

Verzichtet wurde auf die Schaffung eines Konzerninsolvenzrechts, wobei dem Konzernverhältnis punktuell Rechnung getragen wird (so etwa mit Beweiserleichterungen bei der paulianischen Anfechtung und der Verfahrenskoordination).

­

Vorgeschlagen wird zudem eine Regelung des Schicksals von Dauerschuldverhältnissen in der Insolvenz: Dabei soll danach differenziert werden, ob ein eigentlicher Liquidationsfall (Konkurs oder Nachlassvertrag mit Vermö-

6456

gensabtretung) oder eine Nachlassstundung zum Zwecke der Sanierung und anschliessenden Weiterführung des Unternehmens vorliegt. Während im ersten Fall auf die Einführung eines ausserordentlichen Kündigungsrechts der Konkurs- oder Liquidationsmasse verzichtet wird, soll es im zweiten Fall dem Schuldner ermöglicht werden, ein Dauerschuldverhältnis mit Zustimmung des Sachwalters ausserordentlich aufzulösen, wobei die Gegenpartei in diesem Fall aber voll zu entschädigen ist.

­

Die paulianische Anfechtung soll erleichtert werden, wenn die Vermögensverschiebung innerhalb eines Konzernverhältnisses erfolgt ist.

­

Die paulianische Anfechtung eines Rechtsgeschäfts soll ausgeschlossen werden, wenn das zuständige Vollstreckungsorgan dieses ausdrücklich genehmigt hat. Damit wird die für die Praxis notwendige Rechtssicherheit geschaffen.

­

Das Retentionsrecht des Vermieters und Verpächters von Geschäftsräumen sowie dasjenige des Gast- und Stallwirts bzw. der Stockwerkeigentümergemeinschaft sollen aufgehoben werden. Auch damit können im Einzelfall Sanierungen erleichtert werden.

­

Wird ein Betrieb im Rahmen einer Insolvenz übernommen, soll die Pflicht entfallen, sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer übernehmen zu müssen. Über die Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse ist vielmehr im Einzelfall zu verhandeln.

­

Als Ausgleich für diese Beschränkung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll neu eine allgemeine Sozialplanpflicht ins Obligationenrecht eingeführt werden. Diese soll für Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten, die mehr als 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen wollen, allerdings nur, sofern sich der Betrieb nicht in der Insolvenz befindet.

­

Damit Sanierungen auch in Zukunft überhaupt durchgeführt werden können, ist das am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Konkursprivileg zugunsten von Forderungen aus Mehrwertsteuer wieder aufzuheben.

6457

Inhaltsverzeichnis Übersicht

6456

1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.2 Expertengruppe Phase 1 1.3 Expertengruppe Phase 2 1.4 Der Vorentwurf des Bundesrates 1.4.1 Leitlinien des Vorentwurfs 1.4.2 Vernehmlassungsverfahren 1.5 Der Entwurf des Bundesrates 1.5.1 Systematischer Überblick 1.5.2 Keine ausdrückliche Regelung der Sanierungsdarlehen 1.6 Rechtsvergleich 1.7 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

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2 Erläuterungen der einzelnen Bestimmungen 2.1 Organisation 2.2 Betreibungsferien 2.3 Konkurseröffnung 2.4 Wirkungen des Konkurses 2.5 Besondere Bestimmungen über Miete und Pacht 2.6 Anfechtung 2.7 Provisorische Nachlassstundung 2.8 Definitive Nachlassstundung 2.9 Wirkungen der Nachlassstundung 2.10 Stundungsverfahren 2.11 Allgemeine Bestimmungen zum Nachlassvertrag 2.12 Nachlassvertrag im Konkurs 2.13 Änderungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches 2.14 Änderungen des Obligationenrechts 2.15 Änderungen weiterer Bundesgesetze

6469 6469 6470 6471 6472 6476 6476 6479 6483 6486 6489 6490 6493 6493 6493 6502

3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

6502 6502 6502 6503

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

6503

5 Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

6503

Literaturverzeichnis

6504

Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) (Entwurf)

6507

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Das geltende Schweizer Sanierungsrecht geht zurück auf die letzte grosse Revision des Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibungs- und Konkurs (SchKG)1, welche am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist. Die Bestimmungen über das Sanierungsrecht entstanden dabei als Folge der schweren Wirtschaftskrise Anfang der Neunzigerjahre: Zum ersten Mal war es erklärtes Ziel des Gesetzgebers, nicht nur eine geordnete Liquidation eines Unternehmens zu ermöglichen, sondern gezielt eine Sanierung (im Sinne einer Gesundung des Unternehmens) zu begünstigen.

1.2

Expertengruppe Phase 1

Nach dem Zusammenbruch der Swissair2 im Jahr 2001 verlangten zahlreiche parlamentarische Vorstösse die Abklärung des Revisionsbedarfs des schweizerischen Insolvenzrechts. Im Sommer 2003 setzte das Bundesamt für Justiz deshalb eine Expertengruppe ein mit dem Auftrag, als Groupe de réflexion den Reformbedarf des Insolvenzrechts abzuklären. Ihr gehörten an: Fürsprecher Dominik Gasser, Bundesamt für Justiz Bern (Vorsitz); Dr. Daniel Hunkeler, Rechtsanwalt, Zürich und Baden; Prof. Dr. Franco Lorandi, Rechtsanwalt, Zürich; Prof. Dr. Isaak Meier, Rechtsanwalt, Zürich; Prof. Dr. Henry Peter, Rechtsanwalt, Lugano; Prof. Dr.

Daniel Staehelin, Advokat und Notar, Basel; lic.iur. Karl Wüthrich, Rechtsanwalt, Zürich; lic.iur. Monique Albrecht, Rechtsanwältin, Bundesamt für Justiz, Bern. Für die arbeitsrechtlichen Fragen zog die Expertengruppe ausserdem Dr. Rémy Wyler, Rechtsanwalt, Lausanne, bei.

Bei der Evaluation des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs sollte dem Sanierungsgedanken Priorität zukommen. Lösungen ausländischer Verfahren (z.B. des Chapter 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Codes) sowie der einschlägigen Empfehlungen der UNCITRAL sollten in die Abklärungen miteinbezogen werden. Im März 2005 lieferte die Expertengruppe ihren Bericht zum Handlungsbedarf dem Bundesamt für Justiz ab3.

1 2

3

SR 281.1.

Vgl. zur Chronologie der Ereignisse den Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) vom 19.9.2002, Die Rolle von Bundesrat und Bundesverwaltung im Zusammenhang mit der Swissair-Krise, BBl 2003 5403 ff., insb. 5475 ff.

Ist das schweizerische Sanierungsrecht revisionsbedürftig? Thesen und Vorschläge aus der Sicht der Unternehmenssanierung. Bericht der Expertengruppe Nachlassverfahren, April 2005 (nachfolgend zitiert als Bericht Phase 1). Dieser Bericht kann im Internet heruntergeladen werden (www.bj.admin.ch).

6459

1.3

Expertengruppe Phase 2

In der Phase 1 hatte sich die Expertengruppe auf die Formulierung von Thesen beschränkt. Das Bundesamt für Justiz setzte die Expertinnen und Experten im August 2006 daher erneut ein mit dem Auftrag, die Arbeiten fortzusetzen und gestützt auf die Ergebnisse der Phase 1 einen Vorentwurf samt Bericht für eine entsprechende Gesetzesrevision zu erstellen. Für diese zweite Phase wurde die Expertengruppe ergänzt mit einem Vertreter der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz (Stephan Bölli, Notariat Wetzikon). Im Juni 2008 hat die Expertengruppe den Vorentwurf zusammen mit einem Begleitbericht fertiggestellt4.

1.4

Der Vorentwurf des Bundesrates

Ausgehend vom von der Expertengruppe identifizierten punktuellen Revisionsbedarf hat der Bundesrat den Vorentwurf der Expertengruppe leicht überarbeitet und diesen im Januar 2009 zusammen mit einem Begleitbericht in die Vernehmlassung geschickt5.

1.4.1

Leitlinien des Vorentwurfs

Die Expertengruppe hat als Ergebnis ihrer Überlegungen festgehalten, dass das schweizerische Insolvenzrecht unter dem Gesichtspunkt der Unternehmenssanierung tauglich und praktikabel ist: Das schweizerische Insolvenzrecht bedarf nach Ansicht der Expertengruppe insbesondere keiner Generalüberholung. Gleichzeitig wurden im geltenden Sanierungsrecht aber auch einzelne Schwächen identifiziert, für welche mit dem Vorentwurf punktuelle Anpassungen des geltenden Rechts vorgeschlagen wurden.

Dem Vorentwurf (VE) lagen dabei die folgenden Leitlinien zugrunde:

4

5

6

­

Erleichterung des Zugangs zur Nachlassstundung: Diese soll nach der neuen Konzeption - wie das Chapter 11/Verfahren des US-amerikanischen Rechts - künftig nicht mehr zwingend in einen Nachlassvertrag oder Konkurs enden, sondern vermehrt auch lediglich zu reinen Stundungszwecken eingesetzt werden können.

­

Verzicht auf einen Vorschlag zur Neuregelung der Überschuldungsanzeige gemäss Artikel 725 ff. des Schweizerischen Obligationenrechts (OR)6: Die Expertengruppe hatte in ihrem Vorentwurf konkrete Vorschläge für eine Revision der betreffenden Bestimmungen unterbreitet. Der Bundesrat hatte Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG): Sanierungsverfahren ­ Bericht und Vorentwurf der Expertengruppe Nachlassverfahren, Juni 2008 (nachfolgend zitiert als Bericht Phase 2). Bericht und Vorentwurf können im Internet heruntergeladen werden (www.bj.admin.ch).

Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG): Sanierungsverfahren ­ Bericht und Vorentwurf, Bern, Dezember 2008. Bericht und Vorentwurf können im Internet heruntergeladen werden (www.bj.admin.ch).

SR 220

6460

allerdings bereits in der Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht und Rechnungslegungsrecht) vom 21. Dezember 20077 entsprechende Vorschläge gemacht. Auf diese wird vorliegend verwiesen.

7 8 9 10

­

Einbau der Vorteile des aktienrechtlichen Konkursaufschubs (Art. 725a OR) in das Nachlassverfahren des SchKG8: Das Nachlassverfahren sollte zum exklusiven Sanierungsverfahren werden und der Konkursaufschub gemäss Artikel 725a f. OR in das Nachlassverfahren integriert werden. Damit würde das Moratorium in Zukunft sämtlichen Unternehmensformen (und nicht wie heute nur der Aktiengesellschaft, der Kommanditaktiengesellschaft, der GmbH und der Genossenschaft) zur Verfügung stehen.

­

Verstärkung der Gläubigermitwirkung während der Nachlassstundung: Die Mitspracherechte, die das geltende Recht den Gläubigerinnen und Gläubigern in der Stundungsphase einräumt, wurden von der Expertengruppe als ungenügend angesehen. Es sind die Gläubigerinnen und Gläubiger, welche die Folgen der Insolvenz effektiv zu spüren bekommen; deren Mitwirkungsrechte sollen daher gestärkt werden, namentlich zum Schutz vor vorschnellen Liquidationshandlungen9. Vorgeschlagen wurde deshalb die Einsetzung eines repräsentativen Gläubigerausschusses, welcher den Sachwalter beaufsichtigt. Unter bestimmten Voraussetzungen soll den Sachwalter ausserdem die Pflicht treffen, eine ausserordentliche Gläubigerversammlung einzuberufen.

­

Änderung der Voraussetzungen für die Genehmigung des Nachlassvertrages: Nach geltendem Recht wird für die Bestätigung des Nachlassvertrages verlangt, dass dessen Vollzug sichergestellt ist (Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2). Im Vorentwurf wurde vorgeschlagen, dass diese Sicherstellung der Befriedigung der Drittklassforderungen keine Voraussetzung des Nachlassvertrages mehr bilden soll, da dadurch in der Praxis oft bedeutende Mittel blockiert und damit das Zustandekommen des Nachlassvertrages erheblich erschwert wurde. Zudem wurde vorgeschlagen, dass die Anteilsinhaber bei einem ordentlichen Nachlassvertrag einen angemessenen eigenen Sanierungsbeitrag zu leisten haben, um damit eine gewisse Gleichbehandlung mit den Gläubigerinnen und Gläubigern zu erreichen.

­

Verzicht auf die Schaffung eines Konzerninsolvenzrechts: Die Schaffung eines eigentlichen Sonderrechts für Grossinsolvenzen (Stichwort «Konzernkonkurs») ist nach Ansicht der Expertengruppe nicht notwendig10. Das Insolvenzrecht darf grundsätzlich nicht durchbrechen, was das materielle Recht vorgibt und schützt. Es wurde deshalb vorgeschlagen, am heutigen System festzuhalten, wonach auch beim Zusammenbruch von Konzernen das allgemeine Verfahrensrecht anzuwenden ist (atomistic approach statt materieller Konsolidierung). Dem Konzernverhältnis wird jedoch punktuell Rechnung getragen, etwa mit einer Beweiserleichterung bei der paulianischen Anfechtungsklage und einer Pflicht zur Verfahrenskoordination.

BBl 2008 1589 ff.

Dieser Punkt wurde in der Botschaft zur Revision des Aktienrechts ausdrücklich aus der laufenden Aktienrechtsrevision ausgeklammert, vgl. BBl 2008 1692.

Vgl. Bericht Phase 1, S. 25 und 27 ff.

Bericht Phase 1, S. 4, 46 ff.

6461

­

Einführung einer Verfahrenskoordination im Konzernkonkurs: Auch wenn die Expertengruppe die Schaffung eines eigentlichen Konzernkonkursrechts ablehnte, sah sie ein klares Bedürfnis nach einer Verfahrenskoordination für den Fall, dass gleichzeitig mehrere Insolvenzverfahren über verschiedene Konzerngesellschaften durchgeführt werden müssen. Es wurde deshalb vorgeschlagen, die beteiligten Vollstreckungsorgane, Aufsichtsbehörden und Gerichte dazu zu verpflichten, ihre Handlungen so weit wie möglich aufeinander abzustimmen.

­

Ausdrückliche Regelung des Schicksals von Dauerschuldverhältnissen: Nach geltendem Recht hat der Insolvenzfall (Konkurs, Nachlassverfahren) grundsätzlich keine Auswirkungen auf bestehende Dauerschuldverhältnisse.

Im Vorentwurf wurde vorgeschlagen, danach zu differenzieren, ob ein eigentlicher Liquidationsfall (Konkurs oder Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung) oder eine Nachlassstundung zum Zwecke der Sanierung und anschliessenden Weiterführung des Unternehmens vorliegt. Während im ersten Fall auf die Einführung eines ausserordentlichen Kündigungsrechts der Konkurs- oder Liquidationsmasse verzichtet werden soll, wäre es im zweiten Fall dem Schuldner zu ermöglichen, ein Dauerschuldverhältnis ausserordentlich zu kündigen. Dauerverträge, die eine Sanierung behindern, könnten damit jederzeit und per sofort aufgelöst werden, wobei die Gegenpartei allerdings voll zu entschädigen wäre.

­

Klärung der Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Betriebsübernahme anlässlich eines Insolvenzverfahrens: Nach geltendem Recht tritt der Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsveräusserungen von Gesetzes wegen ein (Art. 333 Abs. 1 OR). Weil diese Regelung in der Praxis zu grossen Problemen geführt hat, enthielt der Vorentwurf einen Vorschlag, wonach künftig kein automatischer Übergang von Arbeitsverträgen mehr stattfinden sollte; ob und wieweit mit dem Betrieb auch Arbeitsverträge übernommen werden, wäre jeweils Gegenstand von Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den Beteiligten.

­

Abschaffung des Retentionsrechts bei der Geschäftsmiete: Vorgeschlagen wurde, das Retentionsrecht des Vermieters und Verpächters von Geschäftsräumen abzuschaffen, da dieses einer Sanierung in vielen Fällen im Wege steht.

­

Erleichterung der paulianischen Anfechtung im Konzernverhältnis: Der Vorentwurf enthielt im Weiteren den Vorschlag, dass eine begünstigte Person, die dem Schuldner nahe steht, im Rahmen der Schenkungspauliana neu die Beweislast dafür trägt, dass kein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorgelegen hat. Auch für die Deliktspauliana wurde bei einem bestehenden Näheverhältnis eine Vermutung der Begünstigungsabsicht vorgeschlagen. Beide Vorschläge zielten insbesondere darauf ab, Anfechtungen im Konzernverhältnis zu erleichtern.

­

Ausschluss der Anfechtbarkeit im Falle genehmigter Handlungen: Die Möglichkeit einer paulianischen Anfechtung eines Rechtsgeschäfts bleibt nach geltendem Recht auch dann erhalten, wenn das zuständige Vollstreckungsorgan dieses ausdrücklich genehmigt hat. Dies ist unter dem Aspekt der Rechtssicherheit äusserst unbefriedigend; aus diesem Grund wurde vorge-

6462

schlagen, Handlungen, die das zuständige Vollstreckungsorgan genehmigt hat, künftig als unanfechtbar zu erklären.

1.4.2

Vernehmlassungsverfahren

Das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf vom Dezember 2008 wurde vom Bundesrat am 28. Januar 2009 eröffnet und dauerte bis zum 8. Mai 2009. Zur Teilnahme eingeladen wurden das Schweizerische Bundesgericht, die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die juristischen Fakultäten der Schweiz sowie weitere interessierte Organisationen. Stellung genommen haben 26 Kantone, 4 politische Parteien und 31 Organisationen. Ausserdem haben 2 nicht offizielle Teilnehmer eine Stellungnahme eingereicht.

Die vorgeschlagene Teilrevision des SchKG wurde von der Mehrzahl der Vernehmlassungsteilnehmer begrüsst. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer teilten die Ansicht der Expertengruppe, wonach das geltende schweizerische Insolvenzrecht unter dem Gesichtspunkt der Unternehmenssanierung tauglich und praktikabel sei und deshalb keine Notwendigkeit einer Generalüberholung bestehe11.

Zu den einzelnen Revisionspunkten wurden von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern detaillierte Ausführungen gemacht, die sich teilweise kritisch mit den Vorschlägen des Vorentwurfs auseinandersetzten:

11

12 13

­

Sanierungsverfahren12: Die vorgeschlagene Neuregelung des im Rahmen der Nachlassstundung anzuwendenden Verfahrens wurde grundsätzlich als sachgerecht angesehen, wobei bezüglich verschiedener Einzelfragen Optimierungsvorschläge unterbreitet wurden. Im Wesentlichen positiv aufgenommen wurde der vorgeschlagene Verzicht auf den Konkursaufschub bzw. dessen Integration in das Nachlassverfahren. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Stärkung der provisorischen Stundung. Teilweise kritisch bewertet wurde dagegen die Möglichkeit, auf eine Publikation der provisorischen Stundung zu verzichten, da dies zu einer Vielzahl von Problemen in der Praxis führen würde. Kritisch aufgenommen wurde auch die vorgeschlagene Regelung über die Abtretungen von Forderungen, da auf diese Weise der Schuldner im Verhältnis zu den Gläubigerinnen und Gläubigern noch besser gestellt würde.

­

Ausserordentliche Auflösung von Dauerschuldverhältnissen13: Geteilt waren die Ansichten hinsichtlich der vorgeschlagenen Einführung eines ausserordentlichen Kündigungsrechts für Dauerschuldverhältnisse. Kritisiert wurde insbesondere, dass damit erheblich in bestehende Vertragsverhältnisse eingegriffen und zugleich Anreize geschaffen würden, sich in ein Nachlassverfahren zu begeben, um sich unerwünschter Verträge zu entledigen. Die Rechte einzelner Gläubigerinnen und Gläubiger würden auf diese Weise

Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG): Sanierungsverfahren.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, Bern 2009 (nachfolgend zitiert als Bericht Vernehmlassung), S. 2. Dieser Bericht kann im Internet heruntergeladen werden (www.bj.admin.ch).

Bericht Vernehmlassung, S. 5 ff.

Bericht Vernehmlassung, S. 15 ff.

6463

übergebührlich beeinträchtigt. Spezifische Kritik fand sich auch im Hinblick auf die vorzeitige Auflösung von Miet- und Arbeitsverträgen.

­

Abschaffung des Retentionsrechts bei der Miete und Pacht von Geschäftsräumen14: Die von diesem Vorschlag betroffenen Kreise wehrten sich heftig gegen die vorgeschlagene Abschaffung des Retentionsrechts. Die betreffenden Rechte bildeten heute eine schnelle und unkomplizierte Sicherung, wenn ein Mieter oder Pächter mit seinen Zahlungen im Rückstand gerate. Die Kautionen, die als Ersatz für den Wegfall des Retentionsrechts verlangt werden müssten, wären derart hoch, dass sich die Unternehmen zusätzlich verschulden müssten, um diese überhaupt aufbringen zu können.

­

Schicksal von Arbeitsverträgen im Insolvenzfall15: Ein weiterer Punkt, der bei vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf Ablehnung stiess, war der vorgeschlagene Verzicht auf die Pflicht, im Falle einer Geschäftsübernahme nicht mehr alle Arbeitnehmenden automatisch übernehmen zu müssen (Art. 333 Abs. 1 OR). Der Vorschlag würde die Rechte der durch eine Insolvenz ohnehin stark betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeinehmer zusätzlich einschränken. Die Erfahrung habe auch gezeigt, dass eine solche Ausnahme nicht notwendig sei, da bei Betriebsübergängen Vereinbarungen zwischen altem und neuem Arbeitgeber sowie den Sozialpartnern üblich seien und auf diese Weise schwierige Situationen bei der Anwendung von Artikel 333 OR in Abwägung aller Interessen abgefedert werden könnten.

­

Ergänzende Vorschläge16: Ergänzend wurden verschiedene über den Vorentwurf hinausgehende Revisionspunkte vorgeschlagen, die nach Ansicht der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in die laufende Revision einbezogen werden sollten, etwa eine explizite Regelung der Sanierungsdarlehen, eine Revision der einvernehmlichen Schuldenbereinigung oder die Aufnahme einer gesetzlichen Sozialplanpflicht.

1.5

Der Entwurf des Bundesrates

1.5.1

Systematischer Überblick

Der vorliegende Entwurf basiert im Wesentlichen auf dem vom Bundesrat im Jahr 2008 in die Vernehmlassung geschickten Vorentwurf, der seinerseits grösstenteils dem von der Expertengruppe vorgelegten Vorentwurf entspricht. An verschiedenen Orten wurden als Reaktion auf die Vernehmlassung allerdings Anpassungen des Vorentwurfs vorgenommen. Es handelt sich namentlich um die folgenden Punkte: ­

14 15 16

Präzisiert wurden die Anforderungen an das Gesuch um provisorische Nachlassstundung (Art. 293 Bst. a): Daraus muss ersichtlich sein, ob die Nachlassstundung in einen Nachlassvertrag münden soll oder ob sie lediglich einer vorübergehenden Stundung dienen soll. Sofern das Gesuch vom Schuldner eingereicht wird, ist zudem ein provisorischer Sanierungsplan beizulegen.

Bericht Vernehmlassung, S. 18 ff.

Bericht Vernehmlassung, S. 17 f.

Bericht Vernehmlassung, S. 4 f.

6464

­

Die vorgeschlagene Möglichkeit der Nichtpublikation der provisorischen Stundung wurde überarbeitet (Art. 293c Abs. 2). Neu soll der Verzicht auf die Publikation die Ausnahme bilden und nur in Verbindung mit der Einsetzung eines Sachwalters angeordnet werden können. Der Gesuchsteller hat zudem darzutun, aus welchem Grund die Stundung nicht zu publizieren ist.

­

Die Dauer der provisorischen Stundung soll grundsätzlich angemessen angesetzt werden, wobei neu aber die Möglichkeit einer Verlängerung besteht.

Allerdings darf die provisorische Stundung gesamthaft eine Dauer von vier Monaten nicht überschreiten (Art. 293a Abs. 2).

­

An der vorgeschlagenen Streichung des Retentionsrechts bei Miete und Pacht von Geschäftsräumen wird festgehalten. Neu sollen über den Vorschlag des Vorentwurfs hinaus auch die übrigen atypischen Retentionsrechte, namentlich jene der Gast- und Stallwirte (Art. 491 OR) sowie der Stockwerkeigentümergemeinschaft (Art. 712k ZGB) aufgehoben werden.

Ergänzend wurde eine Übergangsbestimmung geschaffen, um den betroffenen Gläubigerinnen und Gläubigern Gelegenheit zu geben, sich auf die neue gesetzliche Situation einzustellen.

­

Vom Recht, Dauerschuldverhältnisse gemäss Artikel 297a ausserordentlich auflösen zu können, werden die Arbeitsverträge ausdrücklich ausgenommen.

­

Die im Vorentwurf vorgesehene automatische Konkurseröffnung im Falle der Ablehnung des Nachlassvertrags (Art. 309 VE) wird ersetzt durch eine Konkurseröffnung von Amtes wegen.

­

Am im Vorentwurf enthaltenen Artikel 333b Absatz 1 OR wird festgehalten.

Dagegen wird in Abweichung vom Vorentwurf (Art. 333b Abs. 2 VE) darauf verzichtet, die Konsultations- und Informationspflicht gemäss Artikel 333a OR für den Fall des Betriebsübergangs im Rahmen eines Konkurses oder eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung zu beschränken.

­

Die Verweise auf den Nachlassvertrag im übrigen Bundesrecht wurden bereinigt.

Zudem finden sich im Entwurf zwei zusätzliche, im Vorentwurf noch nicht enthaltene Vorschläge: ­

Die mit dem Vorentwurf vorgeschlagene Revision von Artikel 333 OR wurde in der Vernehmlassung vonseiten der Arbeitnehmerverbände scharf kritisiert. Die vorgeschlagene Regelung bildet aber nach Ansicht des Bundesrates unentbehrlicher Bestandteil eines effektiven Sanierungsrechts, sodass darauf nicht verzichtet werden kann. Als Ausgleich für diese Neuerung wird vorgeschlagen, eine allgemeine Sozialplanpflicht ins Obligationenrecht einzuführen.

Mit dem Sozialplan sollen Massnahmen festgelegt werden, mit denen Kündigungen vermieden, deren Zahl beschränkt sowie ihre Folgen gemildert werden können. Die neu zu schaffende Sozialplanpflicht soll für sämtliche Fälle von Entlassungen einer grösseren Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten, jedoch nur für Fälle ausserhalb einer Insolvenz. Dagegen ist gerade in der Insolvenz der Abschluss eines Sozialplans schwierig, einerseits, weil dem Unternehmen nicht ausreichend Mittel dafür zu Verfügung stehen, andererseits, weil mit einem Mittelabfluss die übrigen Gläubigerinnen und Gläubiger benachteiligt würden. Zudem erschwert der damit ver6465

bundene Mittelabfluss auch die Sanierung an sich. Es ist deshalb zu differenzieren: Ausserhalb eines Insolvenzverfahrens (Konkurs- oder Nachlassverfahren) soll eine allgemeine Verpflichtung des Arbeitgebers eingeführt werden, im Falle einer geplanten Entlassung einer grösseren Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit den Gewerkschaften, der allfälligen Arbeitnehmervertretung oder direkt mit dem Personal im Hinblick auf die Vereinbarung eines Sozialplans Verhandlungen zu führen. Scheitern diese Verhandlungen, so soll der Sozialplan durch den verbindlichen Entscheid eines Schiedsgerichts aufgestellt werden. In jedem Fall ist dabei darauf zu achten, dass ein Missbrauch ausgeschlossen wird und dass die Kosten des Sozialplans weder die Existenz des Unternehmens noch die verbleibenden Arbeitsplätze gefährden.

Befindet sich das Unternehmen dagegen in einem Insolvenzverfahren, würde sich eine eigentliche Sozialplanpflicht aufgrund der nicht vorhandenen Mittel in den meisten Fällen als illusorisch und für eine nachhaltige Sanierungslösung als hinderlich erweisen. Kommt es zu einer Übertragung des Betriebs oder eines Betriebsteils im Sinne von Artikel 333 OR, bei welchem nicht sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer übernommen werden sollen, sind aber (entgegen dem Vorschlag im Vernehmlassungsentwurf) zumindest die Konsultationsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäss Artikel 333a OR und (bei gegebenen Voraussetzungen) auch diejenigen von Artikel 335f OR zu wahren. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder deren Vertreter erhalten dadurch Gelegenheit, den Insolvenzorganen (Konkursverwaltung, Gläubigerorgane, Sachwalter, Liquidator) Vorschläge bezüglich der Massnahmen zur Milderung der Kündigungsfolgen zu unterbreiten. Es ist dann Sache dieser Organe, zu entscheiden, ob und wie weit auf Kosten der Konkursmasse darauf eingegangen werden und nachträglich noch ein Sozialplan vereinbart werden kann.

­

Es wird vorgeschlagen, das gemeinsam mit dem neuen Mehrwertsteuergesetz am 1. Januar 2010 eingeführte Privileg für Forderungen aus Mehrwertsteuer in der zweiten Konkursklasse wieder zu streichen, weil dieses Privileg viele Sanierungen, die unter früherem Recht hätten durchgeführt werden können, erschwert oder verunmöglicht. Bleibt das Privileg weiter in Kraft, läuft die vorliegende Revision weitgehend ins Leere, weil die negativen Auswirkungen des Privilegs die positiven Effekte, die man sich von dieser Revision verspricht, bei Weitem übertreffen.

1.5.2

Keine ausdrückliche Regelung der Sanierungsdarlehen

In der Phase 1 hatte sich die Expertengruppe ausserdem mit der Frage auseinandergesetzt, ob Darlehen, die vor Einleitung eines Insolvenzverfahrens zum Zwecke der Sanierung gewährt werden, im Falle der Insolvenz privilegiert behandelt werden sollten, um auf diese Weise die aussergerichtliche Sanierung zu fördern17. Die Expertengruppe verzichtete in der Folge allerdings auf einen entsprechenden Vor-

17

Bericht Phase 1, S. 43.

6466

schlag. In der Vernehmlassung wurde dies von verschiedener Seite her bedauert18.

Ferner hat das Bundesgericht in einem Urteil vom 29. Mai 2008 in Zusammenhang mit der Voraussetzung der Erkennbarkeit einer Schädigungsabsicht bei der Anfechtungsklage die Möglichkeit einer Sonderbehandlung von Sanierungsdarlehen angedeutet, wobei es darunter Zahlungsmittel verstand, die «zum besonderen Zweck der Sanierung gewährt worden sein [müssen] und nicht bloss mit der Absicht, Geld kurzfristig und zu hohem Zins anzulegen»19.

Nach eingehender Prüfung verzichtet der Bundesrat nun aber dennoch auf eine ausdrückliche Regelung der Sanierungsdarlehen. Als Hauptargument für die besondere Behandlung von Sanierungsdarlehen wird vor allem vorgebracht, dass ohne eine solche keine Darlehen gewährt und damit Sanierungen verunmöglicht würden.

Allerdings ist dabei zu beachten, dass die Privilegierung solcher Darlehen auch das Risiko mit sich bringt, dass die Einleitung von Insolvenzverfahren verschleppt wird.

Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb nur Darlehen privilegiert behandelt werden sollen; es gibt auch andere Verträge, die für eine Sanierung von Bedeutung sein könnten, ohne dass für die daraus resultierenden Forderungen eine Privilegierung vorgesehen würde. Ein grosses Problem stellt schliesslich die Umschreibung der Voraussetzungen solcher auf diese Weise privilegierten Darlehen dar: Die positiven Effekte, die man sich durch die Sonderbehandlung verspricht, können nur eintreten, wenn die Gläubigerinnen und Gläubiger zum Zeitpunkt der Auszahlung des Darlehens mit Sicherheit wissen, dass ihr Rückforderungsanspruch tatsächlich unter die Privilegierung fällt. Eine Umschreibung der Privilegierung mithilfe einer Generalklausel bringt der Praxis dagegen wenig.

Sowohl das Bedürfnis nach einer Privilegierung als auch jenes nach Rechtssicherheit lassen sich auf der Grundlage des vorliegenden Entwurfs befriedigend lösen. Nach dessen Konzeption wird der Zugang zum Nachlassverfahren erleichtert; zudem soll die Nachlassstundung insbesondere zur gezielten Sanierung einer Gesellschaft eingesetzt werden können. Der Schuldner, der sich refinanzieren möchte, hat daher die Möglichkeit, sich (auch ohne Vorliegen einer eigentlichen Überschuldung) ins Nachlassverfahren zu begeben. Dies ermöglicht es ihm, Darlehen mit Zustimmung des
Sachwalters aufnehmen, sodass der daraus entstehende Rückforderungsanspruch als Masseverbindlichkeit gilt und somit von Gesetzes wegen privilegiert ist (Art. 310 Abs. 2). Auf diese Weise erhält der Darlehensgeber die gewünschte Rechtssicherheit. Da die provisorische Nachlassstundung nicht mehr zwingend publiziert werden muss, kann auch verhindert werden, dass durch die Einleitung eines Nachlassverfahrens die Reputation des Schuldners beeinträchtigt wird.

1.6

Rechtsvergleich

Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der vorliegenden Botschaft hat das Bundesamt für Justiz gemeinsam mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft drei wissenschaftliche Untersuchungen zum Insolvenzverfahren in Auftrag gegeben, darunter auch eine rechtsvergleichende Studie20.

18 19 20

Bericht Vernehmlassung, S. 4.

BGE 134 III 452 458 Dunant et al., in: SECO 2010, S. 13 ff.

6467

Im Rahmen dieser Untersuchung wurde das geltende schweizerische Insolvenzrecht mit fünf ausländischen Rechtsordnungen (Österreich, Belgien, Norwegen, Singapur und USA) verglichen. Ausgewählt wurden diese Vergleichsländer aufgrund einer Studie der Weltbank21, die anhand eines konkreten Falles die verschiedenen Rechtsordnungen im Hinblick auf ihr Insolvenzverfahren untersucht hat, wobei insbesondere die Verfahrensdauer und die Verfahrenskosten Gegenstand der Betrachtung bildeten. Die fünf genannten Rechtsordnungen schnitten in dieser Untersuchung besonders gut ab, was den Schluss zuliess, dass es sich dabei um Rechtsordnungen mit einem besonders effizienten Insolvenzverfahren handelt. Aus dem konkreten Rechtsvergleich ergab sich Folgendes: ­

Entsprechend dem Vorschlag des vorliegenden Entwurfs kennen weder Belgien, Singapur, Österreich noch Norwegen ein besonderes Verfahren über den Konzernkonkurs. In den USA findet sich lediglich eine Regel, wonach der Konkurs einer Tochtergesellschaft beim gleichen Gericht durchgeführt werden kann wie derjenige der Muttergesellschaft.

­

In allen untersuchten Rechtsordnungen ist der Schuldner auch nach Eröffnung der Insolvenz weiterhin ganz oder teilweise berechtigt, das Unternehmen weiter zu führen (sog. debtor in possession). Diese Berechtigung kann vom zuständigen Gericht eingeschränkt werden. Eine solche Lösung bringt den Vorteil mit sich, dass der Schuldner seine Kenntnisse und seine Erfahrungen mit dem Betrieb weiterhin einsetzen kann, was unter Umständen auch eine Sanierung zu begünstigen vermag22.

­

Untersucht wurden zudem die Auswirkungen einer Sanierung auf bestehende Dauerschuldverhältnisse. Hier zeigte sich, dass die bereits mit dem Vorentwurf vorgeschlagene Möglichkeit einer ausserordentlichen Auflösung solcher Dauerverträge allen untersuchten Rechtsordnungen bekannt ist23.

Die im vorliegenden Entwurf vorgeschlagene Lösung (Art. 211a und 297a) entspricht damit den Anforderungen an ein modernes Sanierungsrecht.

­

Auch im Hinblick auf den vorgeschlagenen Verzicht auf die Publikation der Nachlassstundung (Art. 293c Abs. 2) zeigt der Rechtsvergleich, dass sämtliche untersuchten Rechtsordnungen eine solche Möglichkeit kennen.

­

Aufschlussreich war auch der Vergleich der von den einzelnen Rechtsordnungen vorgesehenen Konkursprivilegien, die in allen untersuchten Ländern im Vergleich zur Schweiz nur sehr eingeschränkt vorhanden sind. Neben den eigentlichen Kosten der Liquidation bzw. der Sanierung kamen allenfalls noch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Pfandgläubiger in den Genuss eines Vorzugsrechts.

­

Der Vorschlag des Vorentwurfs, wonach Arbeitsverträge nicht automatisch auf einen Übernehmer übergehen sollten (Art. 333b OR), entspricht zumindest der Regelung von Belgien, der USA sowie von Singapur.

Im Ergebnis bestätigt die Rechtsvergleichung die von der Expertengruppe identifizierten Schwachpunkte des geltenden Sanierungsrechts. Mit der Umsetzung der vorliegenden, daran ausgerichteten Revisionsvorschläge würde das schweizerische

21 22 23

Djankow/Hart/McLiesh/Shleifer 2008.

Dunant et al., in: SECO 2010, S. 32; vgl. zum Ganzen auch UNCITRAL, S. 162 ff.

Dunant et al., in: SECO 2010, S. 33 f.

6468

Sanierungsrecht verbessert und seine Effektivität an diejenige der untersuchten erfolgreichen ausländischen Rechtsordnungen angenähert werden.

1.7

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Es wird beantragt, die folgenden parlamentarischen Vorstösse als erledigt abzuschreiben: ­

01.3673 Motion Lombardi. Nach der Swissair-Krise. Änderung des SchKG?

­

02.3474 Postulat GPK-S. Bündelung der verschiedenen Interessen im Sanierungsprozess.

­

02.3475 Postulat GPK-S. Ausrichtung des SchKG auf das Sanierungsziel.

­

02.3045 Postulat Wicki. Rechtliche Analyse als Folge des Swissair-Debakels.

2

Erläuterungen der einzelnen Bestimmungen

2.1

Organisation

Art. 4a

Verfahrenskoordination

Werden zur gleichen Zeit Insolvenzverfahren über mehrere Gesellschaften eines Konzerns durchgeführt, entsteht die Gefahr von Doppelspurigkeiten. Dennoch sieht das geltende Recht für diese Fälle keine Pflicht zur Verfahrenskoordination vor.

Artikel 4 SchKG regelt lediglich die inner- sowie interkantonale Rechtshilfe zwischen den Betreibungs- und Konkursämtern in allgemeiner Weise. Es stellt sich deshalb die Frage, ob diese Verfahren im Sinne einer sog. materiellen Konsolidierung in einem einzigen Verfahren zusammenzufassen sind oder ob das Problem auf andere Weise angegangen werden soll.

Die Expertengruppe hatte in ihrem ersten Bericht die Einführung einer materiellen Konsolidierung eingehend geprüft und ist zum Ergebnis gelangt, dass eine solche im Konkurs allenfalls in bestimmten Spezialfällen angebracht sein könnte, dagegen für das Nachlassverfahren generell abzulehnen sei24. Dies unter anderem deshalb, weil durch eine Konsolidierung auch die solventen Gesellschaften eines Konzerns in das Insolvenzverfahren einbezogen werden müssten und es so auch zu einer Liquidation finanziell intakter Gesellschaften kommen könnte, was aus volkswirtschaftlicher Sicht unerwünscht sei. Zudem basiere das schweizerische Gesellschaftsrecht auf der juristischen Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften. Diese im materiellen Recht festgelegte Struktur sei vom Verfahrensrecht als dienendes Recht zu respektieren. Um die materielle Konsolidierung einzuführen, müssten deshalb zuerst im materiellen Gesellschaftsrecht die entsprechenden Grundlagen geschaffen werden. Der Verzicht auf die materielle Konsolidierung entspricht im Weiteren auch den Rechtsordnungen, die im Rahmen der Rechtsvergleichung näher untersucht wurden25.

24 25

Vgl. dazu Bericht Phase 1, S. 48 ff.

Dunant et al., in: SECO 2010, S. 41.

6469

Die Frage der materiellen Konsolidierung wurde in der Expertengruppe in der Phase 2 erneut diskutiert; vorgeschlagen wurde schliesslich eine Pflicht zur Koordination zusammenhängender Verfahren26. Die beteiligten Vollstreckungsorgane, Aufsichtsbehörden und Gerichte sollten danach ihre Handlungen möglichst aufeinander abstimmen. Als sachlicher Zusammenhang gelten insbesondere Konzernverhältnisse. Nach wie vor bleibt es allerdings bei der Selbständigkeit der einzelnen Verfahren. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung weitgehend begrüsst27.

Aufgrund des grossen Bedürfnisses nach einer Verfahrenskoordination und dem Vernehmlassungsergebnis wird am Vorschlag des Vorentwurfes festgehalten. Der Bundesrat ist sich dabei bewusst, dass die vorgeschlagene Bestimmung sehr allgemein und unverbindlich formuliert ist. Unter welchen Umständen eine Koordination verschiedener Verfahren stattfinden soll und wie diese konkret auszusehen hat, kann nicht in abstrakter Weise umschrieben werden. Vielmehr ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen, wobei den betroffenen Behörden ein erhebliches Ermessen zusteht, ob und wie weit eine Verfahrenskoordination Sinn macht.

Der vorgeschlagene Artikel 4a schreibt deshalb nicht vor, wie eine Koordination im Einzelnen auszusehen hat. Er verpflichtet die betroffenen Behörden aber dazu, die Möglichkeit einer Verfahrenskoordination ernsthaft zu prüfen und eine solche vorzunehmen, wenn sich dies aufgrund der Umstände anbietet. Koordinationsmöglichkeiten gibt es viele: So kann etwa ein und derselbe Sachwalter für mehrere Verfahren eingesetzt werden. Ferner wird in Artikel 4a Absatz 2 den Gerichten und den Aufsichtsbehörden die Möglichkeit eingeräumt, nach einem Meinungsaustausch eine einheitliche Zuständigkeit für alle Verfahren zu bezeichnen. Dies entspricht im Übrigen auch der Regelung von Artikel 125 Buchstabe c und Artikel 127 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO)28.

2.2

Betreibungsferien

Art. 56

Aufhebung von Art. 56 revSchKG

Im Rahmen der Verabschiedung der ZPO haben die Eidgenössischen Räte auch Artikel 56 SchKG angepasst. Mit dieser Revision wurden die Betreibungsferien im Sommer an die Gerichtsferien gemäss Artikel 145 ZPO angeglichen, sodass diese neu vom 15. Juli bis zum 15. August statt wie heute vom 15. bis zum 31. Juli dauern. In der Folge zeigte sich allerdings, dass mit dieser Verlängerung der Betreibungsferien von zwei auf vier Wochen erhebliche Vollzugsprobleme entstanden wären. Eine von der Dienststelle Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs des Bundesamts für Justiz im vergangenen Jahr bei den kantonalen Aufsichtsbehörden durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass die grosse Mehrheit der kantonalen Behörden einer Verlängerung der Betreibungsferien äusserst kritisch gegenübersteht. Dies wurde damit begründet, dass dann, wenn die Betreibungsämter während vier Wochen keine Betreibungshandlungen vornehmen dürften, vor allem bei den grösseren Ämtern nach den Betreibungsferien ein hoher Pendenzenberg entstünde.

Dieser Effekt würde dadurch verstärkt, dass viele Gläubigerinnen und Gläubiger vor den Sommerferien ihre Pendenzen aufarbeiteten, sodass zu dieser Zeit ohnehin sehr 26 27 28

Bericht Phase 2, S. 29 f.

Bericht Vernehmlassung, S. 20 f.

SR 272

6470

viele Betreibungsbegehren abzuarbeiten seien. Nach Ablauf der Betreibungsferien müssten die Ämter dann alle Verfahren zum gleichen Zeitpunkt bearbeiten; die gleichen Engpasse würden sich in den späteren Verfahrensstadien (Fortsetzung, Pfändung) erneut einstellen. Der Abbau des Pendenzenbergs nach den Sommerferien bildet zumindest für die grösseren Ämter bereits unter der geltenden Regelung ein grosses Problem und würde mit der Verdoppelung der Dauer der Betreibungsferien zu schwerwiegenden Verfahrensverzögerungen führen. Dies steht im Widerspruch zum vollstreckungsrechtlichen Beschleunigungsgebot und würde vor allem die Interessen der Gläubigerinnen und Gläubiger beeinträchtigen. Zudem würde sich für die Ämter das Problem stellen, wie die Betreibungspersonen während der Betreibungsferien zu beschäftigen seien. Verschiedene Ämter haben mitgeteilt, dass sie ihre Angestellten voraussichtlich in die Zwangsferien schicken müssten. Diesen Vollzugsproblemen stehen keine Vorteile gegenüber, welche sich aus einer Gleichsetzung von Gerichts- und Betreibungsferien ergeben. Zu beachten ist zuletzt, dass den Betreibungsferien eine völlig andere Funktion zukommt als den Gerichtsferien und es aus der Sicht der Praxis in keiner Weise notwendig ist, dass diese parallel laufen. Aus diesem Grund hat der Bundesrat den revidierten Artikel 56 SchKG nicht in Kraft gesetzt und beantragt hiermit, die Bestimmung wieder in die Fassung gemäss dem zurzeit noch geltenden Recht zurückzuführen.

2.3

Konkurseröffnung

Art. 173a

Eröffnung des Konkurses bei fehlender Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung des Nachlassvertrags

Wird anlässlich der Überschuldungsanzeige gemäss Artikel 725 OR kein Antrag auf Nachlassstundung gestellt, so verfährt das Konkursgericht nach Artikel 173a: Es überweist den Fall an das Nachlassgericht, wenn Anhaltspunkte für einen Nachlassvertrag bestehen. Daran soll nichts geändert werden. Durch diese Durchbrechung der Dispositionsmaxime sollen Konkurse von sanierbaren Unternehmen vermieden werden. Die Anhaltspunkte auf einen Nachlassvertrag müssen jedoch evident sein.

Auf keinen Fall ist das Gericht verpflichtet, bei der Prüfung eines Konkursbegehrens ohne Anlass nach solchen Anhaltspunkten zu forschen. Für die Aussetzung des Konkurserkenntnisses genügt es, wenn Anhaltspunkte vorhanden sind, die auf die Möglichkeit des Abschlusses eines Nachlassvertrages hindeuten29. Das Nachlassgericht bewilligt in diesem Fall die provisorische Nachlassstundung. Gelangt allerdings das Nachlassgericht in der Folge zum Schluss, dass doch keine Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages besteht, wird der Konkurs von Amtes wegen eröffnet (Art. 293a Abs. 3). Eine Rücküberweisung der Akten durch das Nachlassgericht an das Konkursgericht soll ­ weil eine unnötige Komplikation ­ nicht mehr stattfinden. Artikel 173a Absatz 3 kann daher aufgehoben werden. Für das Verfahren gelten die Artikel 171 ff. sinngemäss.

29

Vgl. Vollmar, in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 293 N 18 f.

6471

Art. 174

Weiterziehung der Konkurseröffnung

Eine Konkurseröffnung nach Artikel 171 kann nach Artikel 174 angefochten werden. Diese Bestimmung erfährt insofern eine Anpassung, als neu nicht mehr vom Konkursgericht gesprochen wird. Zudem wird der Wortlaut an die ZPO angepasst.

Art. 190 Abs. 1 Ziff. 3

Konkurseröffnung auf Antrag eines Gläubigers

Da Artikel 309 für den Fall der Nichtgenehmigung des Nachlassvertrages neu eine Konkurseröffnung von Amtes wegen vorsieht, ist der Verweis in Artikel 190 aufzuheben.

Art. 192

Konkurseröffnung von Amtes wegen

Die geltende Fassung der Bestimmung bezieht sich lediglich auf das Recht der Aktiengesellschaft sowie die darauf verweisenden Bestimmungen der Kommanditaktiengesellschaft, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sowie der Genossenschaft. Da der vorliegende Entwurf weitere Fälle der Konkurseröffnung von Amtes wegen vorsieht (Art. 293a Abs. 3; Art. 309), welche auch für andere Schuldner zur Anwendung gelangen kann, wird die Bestimmung entsprechend angepasst.

2.4

Wirkungen des Konkurses

Art. 211a

Dauerschuldverhältnisse im Konkurs

Von einem Dauerschuldverhältnis spricht man, wenn ein Vertrag nicht durch einen einmaligen Austausch von Leistung und Gegenleistung erfüllt wird, sondern durch einen fortdauernden und wiederholten Leistungsaustausch charakterisiert ist (beispielsweise Arbeits-, Miet-, Leasing- und Darlehensverträge)30. Nach dem materiellen Recht hat der Eintritt eines Insolvenzereignisses (Konkurs, Nachlassverfahren) grundsätzlich nicht zur Folge, dass ein solches Dauerschuldverhältnis aufgelöst wird31. Besondere vollstreckungsrechtliche Regeln, die eine Vertragsauflösung von Gesetzes wegen vorsehen, bestehen keine32. Dauerschuldverhältnisse bestehen somit im Insolvenzfall grundsätzlich unverändert weiter. Das kann eine Sanierung erheblich erschweren oder sogar verunmöglichen, beispielsweise bei einem langfristigen Leasing von Maschinen, die bei einer Redimensionierung des Betriebes nicht mehr gebraucht werden.

Die Expertengruppe prüfte die Frage, ob und unter welchen Umständen Dauerschuldverhältnisse in der Insolvenz ausserordentlich aufgelöst werden dürften. Sie gelangte zum Schluss, dass ein generelles Auflösungsrecht insbesondere wegen der lediglich beschränkten Entschädigung der Gegenpartei einen übermässigen Eingriff in das materielle Recht darstellen würde und schlug deshalb vor, zwischen der Situation, in welcher das Unternehmen liquidiert wird (Konkurs und Nachlassver30 31

32

Gauch/Schluep/Schmid/Rey 2008, Rz. 94; BGer vom 20. August 2007, Nr. 4A_141/2007, E. 4.1.

Vgl. aber die Ausnahmen von diesem Grundsatz, etwa für den Pachtvertrag (Art. 297a OR), den Auftrag (Art. 405 Abs. 1 OR), den Agenturvertrag (Art. 418s Abs. 1 OR), die Leibrente (Art. 518 Abs. 3 OR) sowie die einfache Gesellschaft (Art. 545 Abs. 1 Ziff. 3 OR).

Lorandi 2004, S. 1211.

6472

trag mit Vermögensabtretung) und derjenigen, in welcher es weitergeführt werden soll (Nachlassstundung und ordentlicher Nachlassvertrag), zu differenzieren: Während für den ersten Fall an der bestehenden Regelung festgehalten werden und lediglich eine klarstellende Norm ins SchKG eingefügt werden sollte, wurde für den zweiten Fall vorgeschlagen, dass der Schuldner ein Dauerschuldverhältnis jederzeit ausserordentlich kündigen dürfe. Die Gegenpartei sollte in diesem Fall zwar grundsätzlich entschädigt werden, allerdings sollte die daraus entstehende Entschädigungsforderung lediglich als Nachlassforderung gelten.

In der Vernehmlassung war dieser Vorschlag äusserst umstritten33. Der vorgeschlagene Regelung für den Konkursfall (Art. 211a) stiess inhaltlich allerdings kaum auf Widerstand.

Der Bundesrat hält deshalb grundsätzlich an der Konzeption des Vorentwurfes fest: Es bleibt damit bei der Lösung des geltenden Rechts, dass im Liquidationsfall (Konkurs und Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung) auf die Einführung eines ausserordentlichen Kündigungsrechts der Konkurs- bzw. Liquidationsmasse zu verzichten ist. Gleichzeitig soll aber klargestellt werden, wie ein bestehendes Dauerschuldverhältnis materiell- und vollstreckungsrechtlich korrekt behandelt und allenfalls liquidiert werden kann. Zu unterscheiden sind drei Fälle:

33

­

Die Konkursverwaltung bzw. die Liquidatoren haben einerseits die Möglichkeit, in ein bestehendes Dauerschuldverhältnis einzutreten und Leistungen aus dem bestehenden Vertrag in Anspruch zu nehmen. Diese Möglichkeit besteht in allgemeiner Form bereits nach geltendem Recht (Art. 211 Abs. 2), doch wird sie hier für die Dauerschuldverhältnisse präzisiert (Art. 211a Abs.

2). Wird von diesem Eintrittsrecht Gebrauch gemacht, gelten die ab dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung entstehenden Forderungen als Masseverbindlichkeiten. Die alten ­ d.h. die vor Konkurseröffnung entstandenen Forderungen ­ können hingegen nur als Konkursforderungen eingegeben werden. Diese Präzisierung ist zwar nicht grundlegend neu, doch stellt sie klar, dass Verbindlichkeiten nur dann zu Masseverbindlichkeiten werden können, wenn sie nach dem Insolvenzereignis (insbesondere der Konkurseröffnung) entstehen. Zudem stellt der Gesetzestext klar, dass - soweit eine Gegenleistung nur teilweise in Anspruch genommen wird - die Qualifikation der betreffenden Ansprüche als Masseforderungen nur die im konkreten Fall als Gegenleistung der durch den Schuldner in Anspruch genommenen Leistungen betrifft.

­

Die Konkursverwaltung bzw. die Liquidatoren können andererseits das Dauerschuldverhältnis gemäss den massgeblichen gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen ordentlich kündigen. In diesem Fall gelten die betreffenden Forderungen aus dem Vertragsverhältnis als Konkursforderungen.

­

In der Praxis findet allerdings häufig weder eine Kündigung noch ein ausdrücklicher Vertragseintritt statt. In diesem Fall laufen die Verträge nach Zivilrecht grundsätzlich weiter. Trotzdem herrscht in der Praxis grosse Unsicherheit darüber, wie das betroffene Dauerschuldverhältnis und die einzelnen Leistungen im Insolvenzverfahren zu behandeln sind. Artikel 211a Absatz 1 stellt dies nun klar: Der Vertragspartner kann seine Ansprüche als Bericht Vernehmlassung, S. 15 ff.

6473

normale Konkursforderung geltend machen, allerdings höchstens bis zum nächsten Kündigungstermin oder bis zum Ende der festen Vertragsdauer, wobei allerdings immer vorausgesetzt wird, dass kein Fall von Absatz 2 vorliegt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei einem Untätigbleiben des Vollstreckungsorgans das Gleiche gilt wie wenn das Dauerschuldverhältnis (ordentlich) gekündigt worden wäre. Besondere gesetzliche Regelungen des Schicksals von Verträgen im Insolvenzfall bleiben selbstverständlich vorbehalten.

Artikel 211a Absatz 1 stellt sodann klar, dass die betroffenen Gläubigerinnen und Gläubiger sich bei der Entschädigung einen allfälligen Vorteil anrechnen lassen müssen. Die Vorteilsanrechnung gilt zwar als allgemeiner Grundsatz für das gesamte Privatrecht. Doch können sich Schwierigkeiten ergeben, wenn ausländisches materielles Recht auf den Vertrag anwendbar ist, welches keine solche Vorteilsanrechnung kennt. Eine solche Regelung der Vorteilsanrechnung wäre zwar formal ins Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG)34 einzuordnen; im Sachzusammenhang des SchKG ist sie jedoch leichter auffindbar und besser verständlich.

In Insolvenzverfahren gegen Einzelfirmen sind jeweils nicht nur die Geschäftsschulden des Geschäftsinhabers betroffen, sondern auch sein Privatbereich. Daher muss das Gesetz hier eine besondere Regel treffen (Art. 211a Abs. 3): Dauerschuldverhältnisse, deren Leistungen dem Schuldner zum privaten Gebrauch dienen (zum Beispiel Zeitungsabonnement, Krankenkasse, Wohnungsmiete), kann der Schuldner auf eigene Rechnung weiterführen.

Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse Bst. e Aufhebung des Konkursprivilegs zugunsten der Mehrwertsteuer Seit der Eröffnung der Vernehmlassung durch den Bundesrat am 28. Januar 2009 hat ein weiterer Umstand erhebliche politische Bedeutung erlangt: Am 12. Juni 2009 haben die Eidgenössischen Räte das neue revidierte Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (MWSTG)35 verabschiedet. Dieses ist am 1. Januar 2010 in Kraft getreten. Gleichzeitig wurde eine neue Privilegierung von Mehrwertsteuerforderungen zugunsten des Bundes in der zweiten Klasse eingeführt (Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse Bst. e). Im Dezember 2009 haben sich die Mitglieder der Expertengruppe Nachlassverfahren in einem ausführlich begründeten Brief an den Bundesrat gewandt
und diesen ersucht, das neue Privileg wieder aufzuheben. Auch im Parlament zeigte man sich besorgt über die Folgen des neuen Privilegs36. Zudem hat die Rechtsvergleichung gezeigt, dass im Schweizer Recht viele Forderungen privilegiert sind, die im Ausland nicht bevorzugt werden37. Aus diesem Grund hat der Bundesrat beschlossen, die Auswirkungen des Privilegs für Forderungen aus Mehrwertsteuer nochmals zu überprüfen.

Der Konkurs bezweckt grundsätzlich die Gleichbehandlung aller Gläubigerinnen und Gläubiger: Das Schuldnervermögen wird gänzlich liquidiert, und die Gläubigerinnen und Gläubiger sollen gleichzeitig und gleichmassig befriedigt werden. Das Recht auf vorrangige Befriedigung soll damit die Ausnahme bilden. Der Gesetzge34 35 36 37

SR 291 SR 641.20 Frage NR Bischof, 09.558 Dunant et al., in: SECO 2010, S. 39.

6474

ber muss sich stets bewusst sein, dass er durch Bevorzugung bestimmter Gläubigerkategorien andere benachteiligt38. Diese Überlegungen bildeten Ausgangspunkt der letzten grossen SchKG-Revision, bei welcher die Straffung der Privilegienordnung einer der Kernpunkte der Revision bildete39. Zur Begründung dieses Anliegens hielt die Botschaft fest: «Jedes verbliebene Privileg ist Ausdruck materieller Gerechtigkeit: Privilegiert bleiben nur Forderungen wegen eines spezifischen individuellen Schutzbedürfnisses der berechtigten Person (Arbeitnehmende, Rentenbezügerinnen und -bezüger, Invalide, Verunfallte, Alimentengläubigerinnen und -gläubiger, Kinder), allesamt natürliche Personen, die in ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen stehen. Zumindest deren laufende Bedürfnisse sollen vorab gedeckt sein.»40 Abgeschafft wurde unter Anderem das Vorrecht für die Verrechnungssteuer, und zwar mit dem Argument, dass «unser Recht grundsätzlich keine Privilegierung von Steuerforderungen kenn[e]»41. Bereits mit der Revision vom 24. März 2000 wurden allerdings die 1997 abgeschafften Privilegien für die Forderungen der Sozialversicherungen wieder eingeführt42.

Mit dem in der Zwischenzeit verabschiedeten und am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Privileg für Forderungen aus Mehrwertsteuer entfernte sich der Gesetzgeber nun wieder vom ursprünglichen Ziel einer Bereinigung der Konkursprivilegien, insbesondere der Fiskalprivilegien. Forderungen aus Mehrwertsteuer stellen regelmässig einen beträchtlichen Anteil an den offenen Insolvenzforderungen. Dies vor allem deshalb, weil im Fall eines Liquiditätsengpasses zuerst die für die Weiterführung des Betriebs notwendigen Lieferanten bezahlt werden, während die Steuerforderungen unberücksichtigt bleiben und sich auf diese Weise akkumulieren. Mit der Unterstellung von Forderungen aus Mehrwertsteuer unter ein Zweitklassprivileg wird deshalb der Anteil der privilegierten Forderungen erheblich erhöht, was in vielen Fällen dazu führt, dass die ohnehin sehr dürftige Dividende der Drittklassgläubiger (in ca. 95 % der Fälle erhalten diese gar keine Dividende43) vollständig verschwinden und unter Umständen auch die Zweitklassgläubiger vermehrt Einbussen in Kauf nehmen müssen. Weil die Bestätigung eines Nachlassvertrags voraussetzt, dass dessen Vollzug und dabei insbesondere die vollständige
Befriedigung der angemeldeten privilegierten Gläubigerinnen und Gläubiger hinlänglich sichergestellt sein muss (Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2), kann die Vergrösserung des Anteils privilegierter Forderungen ausserdem dazu führen, dass der Abschluss eines Nachlassvertrags gar nicht mehr möglich ist. Hinzu kommt, dass in der Praxis der genaue Umfang der Mehrwertsteuerforderungen oft während längerer Zeit unsicher ist, weil in der Insolvenz der Vorsteuerabzug für die Vorperioden rückwirkend nicht mehr zugelassen wird44. Solange diese Forderungen in der dritten Klasse eingeordnet waren, lohnte es sich für die übrigen Gläubigerinnen und Gläubiger nicht, diese Eingaben anzufechten. Dies änderte sich aber mit der Unterstellung unter das Privileg. Kommt

38 39

40 41 42 43 44

Amonn 1989, S. 343 ff.

Botschaft über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) vom 8. Mai 1991, BBl 1991 III 1 (nachfolgend zitiert als Botschaft 1991), S. 127.

Botschaft 1991, BBl 1991 III 128 Botschaft 1991, BBl 1991 III 132 f.

AS 2000 2531 Dunant et al., in: SECO 2010, S. 51.

Art. 40 Abs. 2 MWSTG

6475

es zu einem Rechtsmittelverfahren, wird durch die dadurch verursachte Verzögerung der Abschluss eines Nachlassvertrages zusätzlich erschwert45.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass der Bund durch die Aufhebung des Privilegs erhebliche finanzielle Einbussen erleiden wird (siehe Ziff. 3.1). Zudem hat der steuerpflichtige Schuldner ­ anders als bei allen anderen Steuerarten ­ die Mehrwertsteuer vom Konsumenten eingezogen und übt diesbezüglich nur eine treuhänderische Funktion aus46. Die Mehrwertsteuer stellt somit wirtschaftlich kein Aktivum der konkursiten Person dar; sie ist grundsätzlich nicht dazu bestimmt, unter die Gläubigerinnen und Gläubiger verteilt zu werden.

In quantitativer Hinsicht lässt sich schliesslich festhalten, dass die Vorteile, die man sich von der vorliegenden Revision des Nachlassverfahrens versprochen hat, mit der Einführung des neuen Privilegs zunichte gemacht worden sind. Dessen Auswirkungen sind so erheblich, dass die seit 2003 laufende Revision des Sanierungsrechts letztlich hinfällig würde, wenn das neue Privileg bestehen bleibt. Entsprechend kommen auch die Mitglieder der Expertengruppe Sanierungsrecht im erwähnten Schreiben vom Dezember 2009 zum Ergebnis, dass durch das Privileg der Mehrwertsteuer «Sanierungen im Rahmen von Nachlassverfahren in einem Grossteil der Fälle, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, nicht mehr möglich sein werden». Um das Ziel der vorliegenden Revision - die Sanierung von Unternehmen effektiv zu erleichtern - erreichen zu können, ist es deshalb unumgänglich, das neue Privileg wieder aufzuheben.

2.5

Besondere Bestimmungen über Miete und Pacht

Art. 283 und 284

Besondere Bestimmungen über Miete und Pacht

Durch die Aufhebung der miet- und pachtrechtlichen Retentionsrechte werden die darauf Bezug nehmenden Bestimmungen des SchKG obsolet und können gestrichen werden.

2.6

Anfechtung

Art. 285 Abs. 3

Anfechtbarkeit von Handlungen, die während der Nachlassstundung vorgenommen wurden

Nach geltendem Recht bewirkt die gerichtliche Genehmigung eines Rechtsgeschäfts, dass dieses zivil- und vollstreckungsrechtlich gültig ist (Art. 298 Abs. 2). Die paulianische Anfechtung nach Artikel 285 ff. bleibt allerdings weiterhin möglich47. Dies schafft für die Gegenpartei eine äusserst unsichere Situation48. Es wird deshalb vorgeschlagen, diese für die Sanierungspraxis äusserst hinderliche Rechtsunsicherheit zu beheben: Handlungen, die das zuständige Vollstreckungsorgan genehmigt hat, sollen künftig unanfechtbar sein.

45 46 47 48

Duc 2010, S. 32.

Entscheid vom 23. Dezember 2002, Nr. 2A.344/2002, Erw. 2.1.

BGE 134 III 273 282 f.

Fatzer 2010, S. 28.

6476

Art. 286 Abs. 3 und Art. 288 Abs. 2

Einführung einer Beweislastumkehr bei der paulianischen Anfechtung

Sowohl für die Schenkungspauliana nach Artikel 286 wie auch für die Deliktspauliana (oder Absichtsanfechtung) nach Artikel 288 legt das Gesetz fest, dass die klagende Partei die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen zu beweisen hat, auf die sie sich beruft49. Bei der Schenkungspauliana bedeutet dies, dass der Beweis des behaupteten Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung der klagenden Partei obliegt. Bei der Deliktspauliana hat sie dagegen die tatsächliche Gläubigerschädigung, die Schädigungs- bzw. Begünstigungsabsicht des Schuldners sowie die Erkennbarkeit dieser Absicht für den Vertragspartner nachzuweisen. Das Gesetz selbst stellt dabei keinerlei Vermutungen zum Nachteil des Anfechtungsgegners auf50. Dagegen geht das Bundesgericht zumindest bei der Absichtsanfechtung von einer natürlichen Vermutung aus, dass der Begünstigte bei nahen verwandtschaftlichen oder sonstigen engen Verbindungen der Beteiligten die schlechte Vermögenslage des Schuldners kannte51. Allgemein wird die persönliche Verbundenheit zwischen Schuldner und Leistungsempfänger als Indiz dafür angesehen, dass Letzterem die schlechte Vermögenslage des Schuldners bekannt gewesen ist52. Im Konzernverhältnis geht man dagegen davon aus, dass nicht mehr zwischen der Schädigungsabsicht des Schuldners und deren Erkennbarkeit aufseiten des Leistungsempfängers zu unterscheiden ist, weil sie über die Wissenszurechnung der gemeinsamen Konzernleitung bekannt sein mussten53; gemäss einigen Ansichten sollen die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen im Konzern sogar vermutet werden54. Trotz dieser Erleichterung führt die gesetzliche Beweislastverteilung nicht selten dazu, dass die Anfechtungsansprüche praktisch nicht durchgesetzt werden können55. Dies trifft vor allem für die Deliktspauliana (Art. 288) zu. So ist es unter Umständen nicht oder nur schwer ersichtlich, ob eine auf den ersten Blick unterbliebene Gegenleistung doch noch auf Umwegen erbracht wurde56. Aus diesem Grund enthielt der Vorentwurf einen Vorschlag, die Beweislast der klagenden Partei in zweifacher Hinsicht zu erleichtern. Der vorliegende Entwurf übernimmt die Regelung des Vorentwurfs unverändert: ­

49 50 51 52 53 54 55 56 57

Schenkungspauliana (Art. 286): Wenn die begünstigte Person dem Schuldner nahe steht, soll sie die Beweislast dafür tragen, dass kein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. In der Praxis kann es für einen Aussenstehenden äusserst schwierig sein, den tatsächlichen Wert einer Leistung nachzuweisen, weil es häufig an einem Markt und damit an einem Vergleichswert fehlt oder weil es sich um nicht materielle Werte handelt, die transferiert werden (Consultingleistungen, Forschungsergebnisse, Lizenzen, Marken)57. Die unmittelbar an der Vermögensverschiebung beteiligten Parteien sollten dagegen in der Lage sein, die Kriterien, welche zur Festsetzung Vgl. Gilliéron, Rz. 2951 ff.

Amonn/Walther 2008, § 52 N 25.

BGE 40 III 293 298; vgl. auch Staehelin, in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 288 N 20.

Peter, in: Dallèves/Foëx/Jeandin 2005, Art. 288 N 10.

Peter, in: Dallèves/Foëx/Jeandin 2005, Art. 288 N 17.

Peter, in: Dallèves/Foëx/Jeandin 2005, Art. 288 N 18 m.w.H.

Von Büren 2005, S. 593; Peter 1989, S. 2, 7, 14.

Von Büren 2005, S. 595 m.w.H.

Peter 1989 S. 7.

6477

des für solche Leistungen bezahlten Preises herangezogen wurden, offenzulegen58. Dabei stellt der Wortlaut klar, dass als nahestehende Personen insbesondere auch Gesellschaften eines Konzerns gelten (Art. 286 Abs. 3); ­

Deliktspauliana (Art. 288): Steht die begünstigte Person dem Schuldner nahe ­ wobei auch hier namentlich das Konzernverhältnis das erforderliche Näheverhältnis begründet ­, ist der subjektive Tatbestand dieser Anfechtungsklage (Begünstigungsabsicht sowie Erkennbarkeit dieser Absicht) gegen den Beklagten zu vermuten. Die klagende Partei hat in diesen Fällen nur die objektiven Voraussetzungen der Gläubigerschädigung sowie das Vorliegen eines Näheverhältnisses zu beweisen.

Klärungsbedürftig ist der Begriff der «nahestehenden Person». Dieser stammt ursprünglich aus dem Steuerrecht und findet sich seit der Revision von 1991 auch im Aktienrecht (Art. 628 Abs. 2, 663bbis Abs. 5, 663c Abs. 3 und 678 Abs. 1 OR), in Artikel 4ter des Bundesgesetzes vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen59 sowie neu in Artikel 51c des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge60. Als nahestehende Personen können sowohl natürliche wie auch juristische Personen in Betracht kommen, so etwa Verwandte und Freunde, aber auch Konzerngesellschaften sowie Gross- und Mehrheitsaktionäre61. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass erst in Zusammenhang mit der Beurteilung des Einzelfalls entschieden werden kann, ob eine Person als nahestehend gilt62. Es wird deshalb bewusst eine generalklauselartige Umschreibung verwendet, um der Rechtsprechung die Möglichkeit für eine entsprechende Differenzierung zu ermöglichen. Für die betroffenen Leistungsempfängerinnen und -empfänger entsteht dadurch keine unzumutbare Rechtsunsicherheit, denn die entsprechenden Vermögensverschiebungen sind bereits heute anfechtbar. Die Beweislastumkehr zwingt die Parteien lediglich dazu, die Zulässigkeit der Vermögensverschiebung besser abzuklären, weil für den Fall, dass ein Tatbestand der Pauliana erfüllt ist, die Anfechtung durch die neue Bestimmung faktisch erleichtert wird.

Art. 292

Verjährung des Anfechtungsanspruchs

Nach dem geltenden Artikel 292 «verwirkt» das Anfechtungsrecht nach Ablauf von zwei Jahren seit Eintritt des zutreffenden Insolvenztatbestandes (insbesondere der Konkurseröffnung). Das ist nicht sachgerecht und beruht wohl auf einem gesetzgeberischen Versehen63. Es muss richtigerweise eine (unterbrechbare) Verjährungsfrist sein. Artikel 292 ist deshalb entsprechend anzupassen.

58 59 60 61 62 63

Peter 1989 S. 7, der diese Pflicht bereits de lege lata aus Art. 222 Abs. 1, 229 und 244 SchKG ableitet.

SR 952.0 SR 831.40 Kurer, in: Honsell/Vogt/Watter 2008, Art. 678 N 7 f.

Vgl. auch Watter/Maizar, in: Honsell/Vogt/Watter 2008, Art. 663bbis N 32.

Vgl. Gilliéron 2005, Rz. 2963 f.; Fritzsche/Walder 1984/1993, § 67 Rz. 15.

6478

2.7

Provisorische Nachlassstundung

Während der provisorischen Stundung sollen sowohl die finanzielle Situation des Schuldners als auch die Möglichkeiten, wie im Hinblick auf eine Sanierung zu verfahren ist, geprüft werden.

Wie nach geltendem Recht soll das Nachlassverfahren auf drei Arten eingeleitet werden können: durch Gesuch des Schuldners, durch Gesuch des Gläubigers oder von Amtes wegen (Art. 293).

Art. 293 Bst. a

Einleitung durch Gesuch des Schuldners

Jede natürliche oder juristische Person, die als Schuldner auf Konkurs oder Pfändung betrieben werden kann, ist zum Nachlassverfahren zugelassen (Art. 293 Bst. a). Das Nachlassgesuch des Schuldners kann insbesondere auch anlässlich der sog. Überschuldungsanzeige (Art. 725 OR) gestellt werden.

Ein besonderer Insolvenzgrund wird nicht verlangt. Damit übernimmt der Entwurf geltendes Recht. Auf diese Weise soll das Ziel der Revision gefördert werden, dass mit der Einleitung eines Nachlassverfahrens nicht bis zum letzten Moment zugewartet wird, sondern ein solches auch zu einem früheren Zeitpunkt beantragt werden kann, um die Sanierungschancen des Schuldners zu verbessern.

Im Unterschied zum geltenden Recht muss der Schuldner dem Gesuch keinen Entwurf des Nachlassvertrages mehr beilegen. Dies erspart ihm eine vorgängige Absprache mit seinen Gläubigerinnen und Gläubigern und somit ein Offenlegen seiner finanziellen Situation. Der Schuldner muss das Nachlassgesuch allerdings so gut wie möglich begründen, um es dem Gericht zu ermöglichen, die Entscheidung über die Gewährung der Nachlassstundung möglichst fundiert zu treffen. Dazu dient der neu im Gesetz vorgesehene provisorische Sanierungsplan. Darin ist insbesondere darzulegen, ob die Stundung beantragt werden soll, um notwendige Sanierungsmassnahmen einzuleiten, oder ob sie der Vorbereitung eines Nachlassvertrages dienen soll. Zudem hat der Schuldner insbesondere im ersten Fall soweit wie möglich darzulegen, auf welchem Wege die Sanierung durchgeführt werden soll, damit das Nachlassgericht entscheiden kann, ob überhaupt Sanierungsaussichten bestehen, für wie lange die provisorische Stundung zu gewähren ist und welche Aufgaben einem allfälligen Sachwalter zukommen sollen. Damit werden im Wesentlichen die geltenden Voraussetzungen des Konkursaufschubes übernommen.

Ergänzend muss der Schuldner wie bisher die Unterlagen beilegen, welche über seine Vermögens-, Ertrags- oder Einkommenslage Auskunft geben. Diese müssen von Gesetzes wegen nicht revidiert sein, das Nachlassgericht kann aber die Gutheissung des Gesuchs bzw. dessen spätere Verlängerung von der Einreichung revidierter Zahlen abhängig machen. Dabei stellt der Entwurf klar, dass nicht nur die derzeitige, sondern insbesondere auch die künftige Situation massgebend ist. Einzureichen ist sodann eine
Liquiditätsplanung. Darin werden die monatlichen Einnahmen den monatlichen Ausgaben gegenübergestellt. Aus der Differenz ergibt sich die Liquidität, um finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen. Nicht mehr beizulegen ist dagegen ein Verzeichnis der Geschäftsbücher.

6479

Art. 293 Bst. b

Einleitung durch Gesuch des Gläubigers

Neben dem Schuldner kann auch jede Gläubigerin und jeder Gläubiger die Einleitung des Nachlassverfahrens verlangen (Art. 293 Bst. b). Wie nach geltendem Recht wird dabei vorausgesetzt, dass die Betreibung gegen den Schuldner schon soweit vorangebracht wurde, dass das Konkursbegehren gestellt werden könnte. Ebenfalls legitimiert bleibt ein Gläubiger, der die Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung verlangen dürfte (Art. 190)64. Da die Gläubigerinnen und Gläubiger in der Regel keine detaillierte Kenntnis der Verhältnisse des Schuldners haben, sind an deren Gesuch weniger hohe Anforderungen zu stellen als an das Gesuch des Schuldners. Auch dies entspricht geltendem Recht.

Solche Gläubigergesuche werden in der Praxis allerdings selten anzutreffen sein.

Eine Gläubigerin oder ein Gläubiger wird in der Regel das Konkursbegehren stellen, und es liegt dann am Konkursgericht, bei gegebenen Voraussetzungen nach Artikel 173a Absatz 2 zu verfahren.

Art. 293 Bst. c

Einleitung von Amtes wegen

Die Einleitung des Nachlassverfahrens von Amtes wegen kann in folgenden Konstellationen erfolgen: ­

im Rahmen der Überschuldungsanzeige, wenn der Schuldner selber kein Nachlassgesuch stellt;

­

infolge des Konkursbegehrens einer Gläubigerin oder eines Gläubigers (nach Konkursbetreibung oder gestützt auf einen materiellen Konkursgrund) ebenfalls durch Überweisung der Akten an das Nachlassgericht (Art. 173a).

Art. 293a

Bewilligung der provisorischen Stundung

Das Nachlassgericht entscheidet unverzüglich nach Eingang des Gesuchs oder nach Überweisung der Akten durch das Konkursgericht über die provisorische Stundung (Art. 293a Abs. 1). Das Nachlassgericht trifft seinen Entscheid im Summarverfahren (Art. 251 Bst. a ZPO). Es prüft die Voraussetzungen der Nachlassstundung von Amtes wegen. Die Gläubigerinnen und Gläubiger sind nicht anzuhören. Stellt hingegen eine Gläubigerin oder ein Gläubiger das Nachlassgesuch, ist der Schuldner in der Regel anzuhören. An die Bewilligung der provisorischen Stundung sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie kann von der Leistung eines Kostenvorschusses für das Honorar des Sachwalters abhängig gemacht werden. Nur wenn offensichtlich keine Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages besteht, eröffnet das Nachlassgericht den Konkurs (Art. 293a Abs. 3).

Der definitiven Stundung soll folglich (anders als nach geltendem Recht) eine provisorische Stundung vorausgehen. Damit wird der Zugang zur Stundung erheblich erleichtert. Ferner wird der unterschiedlichen Praxis der Kantone betreffend die Dauer zwischen Gesuch und Bewilligung entgegengewirkt. Die provisorische Stundung ist jedenfalls gemäss dem Entwurf mit vermögenserhaltenden Massnahmen zu verbinden65, sofern dies erforderlich ist.

64 65

Vgl. Vollmar, in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 293 N 16; Jaeger/Walder/Kull/ Kottmann 1997/2001, Art. 293 N 39 f.

Vgl. dazu im Einzelnen Vollmar, in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 293 N 30 f.

6480

Die provisorische Stundung wird für maximal vier Monate bewilligt, wobei die konkrete Dauer davon abhängt, was während der provisorischen Nachlassstundung erreicht werden soll (Art. 293a Abs. 1). Die nach geltendem Recht vorgesehene Maximalfrist von zwei Monaten (Art. 293 Abs. 2) ist in komplexen Fällen unter Umständen zu knapp bemessen. Da die Pflicht des Schuldners, mit dem Begehren um Stundung einen Entwurf des Nachlassvertrages beizulegen, entfällt, muss für die Abklärung der Verhältnisse zudem entsprechend mehr Zeit gewährt werden. Eine Verlängerung der provisorischen Nachlassstundung ist grundsätzlich möglich; allerdings darf deren Gesamtdauer vier Monate nicht überschreiten (Art. 293a Abs. 2). Auf diese Weise hat das Nachlassgericht die Möglichkeit, die provisorische Stundung in einem ersten Schritt für eine kürzere Dauer anzuordnen und eine Verlängerung beispielsweise auch vom Erreichen gewisser Zwischenziele abhängig zu machen.

Art. 293b

Einsetzung eines provisorischen Sachwalters

Das Nachlassgericht hat gleichzeitig mit der Bewilligung der provisorischen Nachlassstundung einen Sachwalter einzusetzen. Ausnahmsweise kann davon abgesehen werden (Art. 293b Abs. 2), und zwar insbesondere dann, wenn keine Drittinteressen auf dem Spiel stehen oder wenn durch die Einsetzung des Sachwalters das noch vorhandene Vollstreckungssubstrat derart geschmälert würde, dass eine Sanierung dadurch verunmöglicht würde.

Dem Sachwalter kommt je nach Zweck der provisorischen Nachlassstundung eine unterschiedliche Funktion zu: Zielt die Nachlassstundung auf den Abschluss eines Nachlassvertrags, soll der Sachwalter im Rahmen der provisorischen Nachlassstundung vor allem überprüfen, ob ein solcher Nachlassvertrag in Betracht kommt und wie er in den Grundzügen auszusehen hat. Soll die vorübergehende Stundung dagegen (im Sinne des bisherigen Konkursaufschubs) dazu dienen, dem Schuldner eine Atempause zum Zweck der Durchführung von Sanierungsmassnahmen zu gewähren, hat der Sachwalter während der provisorischen Nachlassstundung vor allem die Vorbereitung und unter Umständen auch bereits den Vollzug dieser Sanierungsmassnahmen zu überwachen. In beiden Fällen geht es ausserdem darum, den Schuldner zu beaufsichtigen und so die Interessen Dritter zu wahren, d.h. insbesondere darauf zu achten, dass das noch vorhandene Vollstreckungssubstrat nicht verringert wird.

Art. 293c

Wirkungen der provisorischen Stundung

In vielen Fällen kann eine Sanierung nur gelingen, wenn die betreffenden Bestrebungen nicht vorgängig öffentlich bekannt gemacht werden. Der Schuldner soll mit seinen Gläubigern in Ruhe eine Lösung finden können. Nach geltendem Recht ist die Stundung allerdings zwingend zu publizieren. Dies gilt dagegen nicht für den Konkursaufschub: Dieser ist nur zu veröffentlichen, wenn dies zum Schutze Dritter erforderlich ist (Art. 725a Abs. 3 OR). Auch hier besteht der Grund für einen solchen Verzicht auf eine Veröffentlichung darin, dass sich eine Publikation des Konkursaufschubs für die Gesellschaft nachteilig auswirken kann66. Ein Verzicht auf die Publikation bringt den Vorteil mit sich, dass das Vertrauen des Publikums in das betroffene Unternehmen nicht beeinträchtigt wird. Dies kann für die weitere wirt66

Hardmeier 1997, Art. 725a N 1341; Schönenberger 2002, 181.

6481

schaftliche Tätigkeit und somit die angestrebte Sanierung von ausschlaggebender Bedeutung sein. Trotz eines Verzichts auf die Publikation der provisorischen Nachlassstundung sind jedoch allfällige Interessen Dritter zu wahren. So haben insbesondere börsenkotierte Gesellschaften an die Öffentlichkeit zu gelangen und diese über die Stundung zu informieren (ad-hoc-Publizität)67.

Der Vorentwurf hatte entsprechend der bisherigen Regelung von Artikel 725a Abs. 3 OR vorgeschlagen, dass die provisorische Stundung nicht öffentlich gemacht werden muss, wenn der Schutz Dritter gewährleistet ist (Art. 293c Abs. 2 VE).

Dieser Vorschlag stiess in der Vernehmlassung auf heftige Kritik68: Diese zielte im Wesentlichen darauf ab, dass durch einen Verzicht auf die Publikation Drittinteressen tangiert werden könnten, insbesondere solche weiterer Gläubigerinnen und Gläubiger, die im Laufe der Stundung entstehen könnten, sowie darauf, dass - weil eine Fortsetzung einer Betreibung während der Stundung nicht möglich sei - dem betreibenden Gläubiger ein zusätzlicher und ungerechtfertigter Aufwand entstehen könne.

Im Grundsatz soll es dabei bleiben, dass dem Schuldner während der provisorischen Stundung Ruhe vor seinen Gläubigerinnen und Gläubigern gewährt werden kann, wenn das Nachlassgericht dies anordnet, was auch voraussetzt, dass die provisorische Stundung nicht öffentlich gemacht werden muss (Art. 293c Abs. 2). Gerade dort, wo die provisorische Nachlassstundung nicht in einen Nachlassvertrag mündet, sondern nur eine vorübergehende Stundung bezweckt, ist diese Möglichkeit von entscheidender Bedeutung. Der Vorschlag des Vorentwurfs soll allerdings in dem Sinne präzisiert werden, dass die Publikation die Regel, der Verzicht darauf die Ausnahme bildet69. Daraus folgt ausserdem, dass der Gesuchsteller einen entsprechenden Antrag zu stellen hat. Darin muss im Einzelnen dargelegt werden, weshalb auf die Publikation zu verzichten ist, wobei auf laufende oder geplante Sanierungsverhandlungen hinzuweisen ist.

In zeitlicher Hinsicht soll der Verzicht auf die Publikation zurückhaltend zur Anwendung kommen: Es kann vom Nachlassgericht insbesondere auch nur für eine kurze Dauer angesetzt werden mit der Möglichkeit einer Verlängerung. Auch dann, wenn anfänglich von einer Publikation abgesehen wird, kann es sich im Verlauf der
provisorischen Stundung herausstellen, dass eine solche doch geboten ist; in diesem Fall hat das Gericht die Publikation nachträglich anzuordnen. Umgekehrt ist ein Verzicht auf die Publikation nur bei der provisorischen Stundung möglich. Da diese auf höchstens vier Monate angesetzt werden kann (Art. 293a Abs. 2), besteht für den Schuldner ein gewisser Druck, das Verfahren rasch zu einem Abschluss zu bringen.

Zuletzt ist dann, wenn auf die Publikation der provisorischen Stundung verzichtet wird, in jedem Fall ein provisorischer Sachwalter einzusetzen (Art. 293c Abs. 2 Bst. d). Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Interessen der Gläubigerinnen und Gläubiger ausreichend gewahrt werden. Der Sachwalter amtet in diesem Fall als «verlängerter Arm des Gerichts»; er stellt diesem Antrag auf nachträgliche Publikation der Nachlassstundung, wenn dies zum Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger erforderlich ist70.

67 68 69 70

Art. 72 Kotierungsreglement der Schweizer Börse SWX.

Bericht Vernehmlassung, S. 8 f.

So offenbar auch die bisherige Praxis zum Konkursaufschub, vgl. Lorandi, 2005, S. 226; umgekehrt dagegen Peter, in: Thévenoz/Werro 2003, Art. 725a N 52.

Mabillard 2009, 371 f.

6482

Im Übrigen ist an der Konzeption des Vorentwurfs festzuhalten: Wird die provisorische Stundung öffentlich bekannt gemacht, entfaltet sie die gleichen Wirkungen wie die definitive Stundung (Art. 293c Abs. 1). Sofern die provisorische Stundung jedoch still erfolgt, weichen die Wirkungen in gewissen Bereichen davon ab (Art. 293c Abs. 2): So unterbleibt namentlich die Mitteilung an die Ämter. Da weder die Gläubigerinnen und Gläubiger noch das Betreibungsamt in diesem Fall Kenntnis von der provisorischen Stundung haben, kann gegen den Schuldner eine Betreibung eingeleitet werden. Der Schuldner hat aber die Möglichkeit, die Bewilligung der provisorischen Stundung mittels SchKG-Beschwerde (Art. 17) geltend zu machen, wodurch die Betreibung nicht fortgesetzt werden kann. Befindet sich die Betreibung bereits im Stadium der Fortsetzung, kann der Schuldner dem Betreibungsamt von der provisorischen Stundung Kenntnis geben. Sodann tritt die Rechtsfolge von Artikel 297 Absatz 2bis nur und erst dann ein, wenn die provisorische Stundung dem Zessionar mitgeteilt wird.

Art. 293d

Rechtsmittel und Aufhebung

Im Rahmen der provisorischen Stundung stehen den Gläubigerinnen und Gläubigern keine Rechtsmittel zur Verfügung, weder gegen die Bewilligung der Stundung als solche, noch gegen die Person des ernannten Sachwalters (Art. 293d). Dies ergibt sich aus dem einseitigen Bewilligungsverfahren der provisorischen Stundung; die Gläubigerinnen und Gläubiger werden nicht angehört. Ein Rechtsmittel kann erst gegen den Bewilligungsentscheid der definitiven Nachlassstundung ergriffen werden (vgl. Art. 295b). Eine analoge Regelung gilt bei der Anordnung superprovisorischer Massnahmen (Art. 265 ZPO) und dem Arrest (Art. 272).

2.8 Art. 294

Definitive Nachlassstundung Bewilligung der definitiven Stundung

Das Nachlassgericht hat vor Ablauf der provisorischen Stundung über das weitere Schicksal des Schuldners zu befinden. Dazu hat es von Amtes wegen eine Verhandlung durchzuführen. Ein neues Gesuch des Schuldners oder des antragstellenden Gläubigers wird nicht vorausgesetzt. Das Verfahren richtet sich nach Artikel 248 ff. ZPO: Wie nach geltendem Recht sind der Schuldner und gegebenenfalls die antragstellende Gläubigerin oder der antragstellende Gläubiger anzuhören. Das Gericht kann zudem weitere Gläubigerinnen und Gläubiger vorladen. Der provisorische Sachwalter erstattet mündlich oder schriftlich Bericht. Der Entscheid beruht auf einer summarischen Beurteilung. Artikel 294 Absatz 2 hat insofern nur klarstellende Bedeutung.

Besteht Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages, ist die definitive Nachlassstundung zu bewilligen (Art. 294 Abs. 1). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Falls ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung angestrebt wird, müssen mit einem Nachlassverfahren die Interessen der Gläubigerinnen und Gläubiger besser gewahrt werden als durch einen

6483

Konkurs71. Die definitive Stundung wird für vier bis sechs Monate bewilligt. Auf Antrag des Sachwalters kann sie auf 12, in besonders komplexen Fällen auf 24 Monate verlängert werden (Art. 295b).

Bei fehlender Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages ist der Konkurs von Amtes wegen zu eröffnen (Art. 294 Abs. 3). Ein Begehren der Gläubigerin oder des Gläubigers ist nicht erforderlich72.

Art. 295

Sachwalter

Wird die definitive Stundung bewilligt, setzt das Nachlassgericht einen oder mehrere Sachwalter ein (Art. 295 Abs. 1). Übt bereits ein provisorischer Sachwalter das Mandat aus, kann dieser bestätigt werden. Die Aufgaben des Sachwalters entsprechen jenen des geltenden Rechts. Insbesondere nimmt er die ihm übertragenen Funktionen wahr (Art. 295 Abs. 2 Bst. c). Ferner agiert er als Aufsichts- (Art. 295 Abs. 2 Bst. b) und Berichterstattungsorgan (Art. 295 Abs. 2 Bst. d). Der Entwurf stellt schliesslich ausdrücklich klar, dass der Sachwalter auch den Nachlassvertrag zu entwerfen hat, sofern dies erforderlich ist (Art. 295 Abs. 2 Bst. a).

Art. 295a

Gläubigerausschuss

Wo es die Umstände erfordern, setzt das Nachlassgericht bereits während der Nachlassstundung einen repräsentativen Gläubigerausschuss ein (Art. 295a Abs. 1). Ob ein Ausschuss effektiv zu ernennen ist oder nicht, liegt im Ermessen des Gerichts, wobei vor allem die Komplexität der Verhältnisse massgebend ist. Den entsprechenden Entscheid hat das Gericht mit Bestätigung der definitiven Stundung zu fällen.

Ein späteres Einsetzen ist jedoch nicht ausgeschlossen. Der Gläubigerausschuss kann hingegen nicht bereits für die provisorische Stundung einberufen werden.

Einerseits findet diese unter Umständen still statt, andererseits hat das Gericht bei der Bewilligung der provisorischen Stundung noch keinen Überblick über die Gläubigerinnen und Gläubiger.

Im Gläubigerausschuss müssen die verschiedenen Gläubigerkategorien vertreten sein. Zu denken ist insbesondere an eine Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Sozialversicherungen, der Pensionskassen, der Banken, der Lieferantinnen und Lieferanten bzw. der Dienstleistungserbringenden, des Staates und der Anleihensgläubiger. Damit eine entsprechende Zusammensetzung des Ausschusses gewährleistet ist, hat das Nachlassgericht die einzelnen Mitglieder zu ernennen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Anzahl der Mitglieder den Verhältnissen angepasst und nicht zu gross ist. Dem Sachwalter soll es möglich sein, mit dem gesamten Ausschuss regelmässig Kontakt zu haben.

Der Gläubigerausschuss beaufsichtigt den Sachwalter. Dieser orientiert den Gläubigerausschuss regelmässig über den Stand und den angestrebten Ausgang des Verfahrens. Der Gläubigerausschuss kann dem Sachwalter sodann Weisungen erteilen (Art. 295a Abs. 2). Schliesslich kommt dem Ausschuss anstelle des Nachlassgerichts die Kompetenz zur Ermächtigung für die mitwirkungsbedürftigen Geschäfte nach Artikel 298 Absatz 2 zu (Art. 295a Abs. 3). Diese Kompetenz gewährleistet 71

72

So auch das geltende Recht; vgl. dazu Vollmar in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 295 N 1; zum Konkursaufschub Peter, in: Thévenoz/ Werro 2003, Art. 725a N 38 m.w.H.

Vgl. auch Art. 296b.

6484

insbesondere das Mitspracherecht der Gläubigerinnen und Gläubiger bei Verfügungen über das schuldnerische Anlagevermögen. Der Gläubigerausschuss hat jedoch kein Vetorecht. Insofern gehen seine Kompetenzen weniger weit als im Konkurs (vgl. Art. 237 Abs. 3).

Art. 295b

Verlängerung der Stundung

Die definitive Nachlassstundung kann für vier bis sechs Monate bewilligt werden, wobei eine Verlängerung auf 12 oder 24 Monate möglich ist. Für die einzelnen Gläubigerinnen und Gläubiger hat eine Verlängerung zur Folge, dass sie während einer relativ langen Zeit hingehalten werden, ohne zu wissen, wie die finanziellen Verhältnisse des Schuldners konkret aussehen und welcher Verfahrensausgang angestrebt wird. Diese Ungewissheit soll ihnen nicht über derart lange Zeit zugemutet werden. Sofern es zu einer Verlängerung über zwölf Monate hinauskommt, hat der Sachwalter daher eine ausserordentliche Gläubigerversammlung einzuberufen. Diese hat vor Ablauf von neun Monaten seit Bewilligung der definitiven Stundung stattzufinden (Art. 295b Abs. 2).

In der ausserordentlichen Gläubigerversammlung informiert der Sachwalter die Gläubigerinnen und Gläubiger über den Stand des Verfahrens, die Gründe der Verlängerung und das weitere Vorgehen. Die Gläubigerinnen und Gläubiger können einzelne oder alle Mitglieder des vom Nachlassgericht eingesetzten Gläubigerausschusses ersetzen oder einen solchen neu ernennen. Ferner können sie einen neuen Sachwalter bestimmen (Art. 295b Abs. 3). Diesbezüglich übt die Bestimmung einen gewissen Druck auf den Sachwalter aus, das Verfahren zügig durchzuführen, ansonsten er Gefahr läuft, dass ein Gläubigerausschuss bestellt wird. Liegt bereits ein Entwurf des Nachlassvertrages vor, kann zugleich zum Zustimmungsverfahren geschritten werden. In diesem Fall tritt an die Stelle der ausserordentlichen die ordentliche Gläubigerversammlung nach Artikel 302. Der Schuldner hat der Versammlung beizuwohnen und auf Verlangen Auskunft zu geben (Art. 295b Abs. 3 i.V.m. 302 Abs. 2).

Art. 295c

Rechtsmittel

Gegen den Entscheid des Nachlassgerichts ist die Beschwerde nach Artikel 319 ff.

ZPO zulässig. Anders als nach geltendem Recht können die Gläubigerinnen und Gläubiger sowohl gegen die Bewilligung der definitiven Stundung als auch gegen die Person des Sachwalters das Rechtsmittel ergreifen (Art. 295c Abs. 1). Damit stärkt der Entwurf die Stellung der Gläubigerinnen und Gläubiger erheblich. Der Beschwerde kann die aufschiebende Wirkung nicht erteilt werden (Art. 295c Abs. 2)73.

Eröffnet das Nachlassgericht den Konkurs, weil keine Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages besteht, richtet sich die Beschwerde nach Artikel 174.

Art. 296

Öffentliche Bekanntmachung

Die Bewilligung der definitiven Stundung ist zwingend öffentlich bekannt zu machen (Art. 296). Damit übernimmt der Entwurf geltendes Recht. Neu wird klar73

Vgl. demgegenüber Art. 323 Abs. 2 ZPO.

6485

gestellt, dass die Bewilligung nicht nur dem Betreibungs- und dem Grundbuchamt unverzüglich mitzuteilen ist, sondern auch dem Handelsregisteramt (Art. 296).

Letzteres erscheint deshalb angezeigt, weil die Dispositionsfähigkeit des Schuldners während der Nachlassstundung im Sinne von Artikel 298 beschränkt ist.

Art. 296a

Aufhebung

Sofern während der Nachlassstundung eine Sanierung gelingt, ist die Stundung aufzuheben (Art. 296a Abs. 1). Obwohl der Zinsenlauf während der Nachlassstundung sistiert ist (vgl. Art. 297 Abs. 3), können die Gläubigerinnen und Gläubiger auf ihre Zinsforderungen bestehen. Eine Sanierung wird somit in der Regel nur dann gelingen, wenn auch die Zinsen bezahlt werden. Die Aufhebung der Nachlassstundung ist gleich wie die Bewilligung öffentlich bekannt zu machen.

Das Nachlassgericht entscheidet in einem Summarverfahren nach Artikel 248 ff.

ZPO. Dementsprechend ist eine Verhandlung durchzuführen, in der die beteiligten Personen anzuhören sind. Ferner gilt die beschränkte Untersuchungsmaxime (Art. 296a Abs. 2). Wie in Artikel 294 Absatz 2 hat diese Bestimmung nur deklaratorische Bedeutung.

Gegen den Entscheid des Nachlassgerichts ist wiederum die Beschwerde zulässig (Art. 296a Abs. 3). Die Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung.

Die Rechtsmittelinstanz kann diese jedoch gewähren, was in den meisten Fällen sinnvoll sein wird (vgl. Art. 325 ZPO).

Art. 296b

Konkurseröffnung von Amtes wegen

Nach dem Entwurf ist der Konkurs von Amtes wegen zu eröffnen, wenn dies zur Erhaltung des schuldnerischen Vermögens erforderlich ist (Art. 296b Bst. a) oder wenn offensichtlich keine Aussicht mehr auf Sanierung oder Bestätigung des Nachlassvertrages besteht (Art. 296b Bst. b). Sodann ist der Konkurs von Amtes wegen zu eröffnen, wenn der Schuldner seine Verfügungsbefugnis überschreitet oder den Weisungen des Sachwalters zuwiderhandelt (Art. 296b Bst. c). Das geltende Recht sieht in diesen Fällen den Widerruf der Stundung vor, verbunden mit dem Recht der Gläubigerinnen und Gläubiger, die Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung zu verlangen (Art. 295 Abs. 5 und 298 Abs. 3 i.V.m. 309 sowie 190 Abs. 1 Ziff. 3).

Der Entwurf bringt für die Gläubigerinnen und Gläubiger den Vorteil mit sich, dass sie kein Konkursbegehren stellen müssen. Insofern entfällt auch die Vorschusspflicht für die Verfahrenskosten und die Haftung für die Konkurskosten (vgl.

Art. 194 i.V.m. 169). Damit werden die Gläubigerinteressen erheblich gestärkt.

2.9

Wirkungen der Nachlassstundung

Art. 297

Wirkungen auf die Rechte der Gläubigerinnen und Gläubiger

Der Entwurf schlägt vor, die Wirkungen der Nachlassstundung auf die Gläubigerrechte zugunsten der Sanierungschancen denjenigen des Konkurses anzunähern74:

74

Vgl. Bericht Phase 1, S. 25 und 26 f.

6486

­

Während der Stundung kann eine Betreibung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (Art. 297 Abs. 1). Dies gilt - anders als nach geltendem Recht - auch für die privilegierten Forderungen. Die Befriedigung der privilegierten Forderungen wird über die Sicherstellungspflicht geschützt (vgl. Art. 306 Abs. 2). Es ist nicht ersichtlich, weshalb den Gläubigerinnen und Gläubigern zusätzlich noch das Recht zur Betreibung gewährt werden müsste. Demgegenüber wird an der Betreibung auf Grundpfandverwertung festgehalten. Für bereits gepfändete Vermögensstücke gilt Artikel 199 Absatz 2 sinngemäss (Art. 297 Abs. 1bis).

­

Soweit Betreibungshandlungen ausgeschlossen sind, hat dies nach dem Entwurf auch für Prozesse zu gelten (Art. 297 Abs. 2). Entsprechend der Rechtslage im Konkurs sind Prozesse während der Nachlassstundung zu sistieren.

­

Ebenso sollen neu die Verarrestierung und andere Sicherungsmassnahmen für Nachlassforderungen ausgeschlossen sein (Art. 297 Abs. 5). Unter anderen Sicherungsmassnahmen sind zum Beispiel die Aufnahme eines Güterverzeichnisses, der Erlass von Zahlungsverboten oder die Beschlagnahme von Gegenständen gemeint.

­

Wie nach geltendem Recht stehen während der Nachlassstundung die Verjährungs- und Verwirkungsfristen still (Art. 297 Abs. 6) und hört der Zinsenlauf auf (Art. 297 Abs. 7). Für die Verrechnung gelten weiterhin die konkursrechtlichen Verrechnungsverbote (Art. 297 Abs. 8 i.V.m. 213-214).

­

Der Entwurf enthält sodann eine Regelung für die Abtretung künftiger Forderungen (Art. 297 Abs. 4).

­

Schliesslich sieht das revidierte Nachlassverfahren vor, dass auch in der Nachlassstundung eine Umwandlung der Realforderungen in Geldforderungen verlangt werden kann (Art. 297 Abs. 5). Die Umwandlung findet jedoch nur und erst dann statt, wenn der Sachwalter dies der Vertragspartei mitteilt.

Der Sachwalter entscheidet somit, ob der Schuldner real erfüllen muss oder ob die Gläubigerin oder der Gläubiger die Forderungen lediglich als Nachlassforderung eingeben kann. Dadurch wird einerseits eine gewisse Gleichbehandlung der Gläubigerinnen und Gläubiger von Realforderungen und der Gläubigerinnen und Gläubiger von Geldforderungen erzielt, andererseits aber auch die Sanierungschance erhöht: Dem Unternehmen wird ermöglicht, ungünstige Realschulden nur dividendenmässig zu befriedigen.

Nach geltendem Recht beginnen die Wirkungen der Nachlassstundung auf die Gläubigerrechte grundsätzlich mit dem Bewilligungsentscheid, die Wirkungen auf die Verfügungsbeschränkung des Schuldners hingegen erst mit deren öffentlichen Bekanntmachung75. Der Entwurf sieht diesbezüglich eine Vereinfachung vor: Danach ist für sämtliche Wirkungen der Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung massgebend76. Damit gilt analog zum Konkurs eine Sofortwirkung des Bewilligungsentscheids. Vorbehalten bleibt ­ im Unterschied zum Konkurs ­ der Gutglaubensschutz Dritter (Art. 298 Abs. 3). Der gute Glaube entfällt mit der öffentlichen Bekanntmachung der Nachlassstundung. Da der Beschwerde gegen die Bewilligung keine aufschiebende Wirkung zukommen kann (vgl. Art. 295c Abs. 2), 75 76

Vgl. Vollmar in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 297 N 3 und Art. 298 N 13.

So auch für die Verrechnungsverbote (Art. 297 Abs. 4).

6487

entstehen die Wirkungen der Nachlassstundung auch dann, wenn der Bewilligungsentscheid angefochten wird.

Die Wirkungen der Stundung gelten, bis die Stundung aufgrund einer gelungenen Sanierung aufgehoben wird (Art. 296a), die Rechtsmittelfrist gegen den Bestätigungsentscheid unbenutzt abgelaufen bzw. das Rechtsmittelverfahren abgeschlossen ist (Art. 308 Bst. c) oder aber der Konkurs von Amtes wegen eröffnet wird (Art. 296b).

Art. 297a

Dauerschuldverhältnisse in der Nachlassstundung

Wie bereits in Zusammenhang mit Artikel 211a festgehalten können bestehende Dauerschuldverhältnisse eine Sanierung erheblich erschweren. Sie verpflichten den Schuldner über lange Zeit hinaus und binden somit Ressourcen, die er effizienter an einer anderen Stelle einsetzen könnte.

Die Expertengruppe hatte vorgeschlagen, zwischen der Situation, in welcher das Unternehmen liquidiert wird (Konkurs und Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung) und derjenigen, in welcher es weitergeführt werden soll (Nachlassstundung und ordentlicher Nachlassvertrag), zu differenzieren. Eine ausserordentliche Auflösung von Dauerschuldverhältnissen sollte lediglich im zweiten Fall möglich sein, und dies auch nur unter voller Entschädigung der Gegenpartei, wobei allerdings die daraus entstehende Entschädigungsforderung lediglich als Nachlassforderung gelten sollte. Während viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Vernehmlassung diesen Vorschlag begrüssten, lehnten ihn andere ausdrücklich ab, insbesondere weil damit ein erheblicher Eingriff in ein bestehendes Vertragsverhältnis stattfinden würde.

Hingewiesen wurde zudem auf das damit entstehende Missbrauchspotenzial.

Trotz dieser Kritik ist an der Lösung des Vorentwurfs festzuhalten. Dem Schuldner soll es ermöglicht werden, ein Dauerschuldverhältnis, das einer Sanierung entgegensteht, jederzeit ausserordentlich zu kündigen (Art. 297a). Die Gegenpartei ist in diesem Fall allerdings voll zu entschädigen, wobei diesbezüglich die in Artikel 211a Absatz 1 festgehaltenen Grundsätze sinngemäss zur Anwendung gelangen. Festzuhalten ist freilich, dass diese Entschädigung als blosse Nachlassforderung gilt, sodass sie nur dividendenmässig zu befriedigen ist.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass mit einem derartigen ausserordentlichen Kündigungsrecht erheblich in das materielle Recht eingegriffen wird, da es dem Schuldner so ermöglicht wird, sich bestehender ungünstiger oder sonst unerwünschter Verpflichtungen zu entledigen. Da die daraus entstehende Entschädigungsforderung lediglich als Nachlassforderung gilt und deshalb nur dividendenmässig zu befriedigen ist, wird die Gegenseite durch die Vertragsauflösung im Regelfall einen Verlust in Kauf nehmen müssen. Will man mit dem Ziel der Sanierung ernst machen, muss die Möglichkeit der sofortigen Auflösung solcher Verbindlichkeiten aber
zur Verfügung stehen77: Auch die Expertengruppe hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Punkt um ein unverzichtbares Kernstück der Revision handelt, mit dem in vielen Fällen eine Sanierung überhaupt erst möglich wird78. Als Alternative zur Sanierung steht einem Unternehmen häufig nur der Konkurs zur Verfügung, welcher für die Gegenseite eines Dauerschuldverhältnisses mit gleichen oder sogar noch erheblicheren Nachteilen verbunden wäre. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass 77 78

Dunant et al, in: SECO 2010, S. 33 f.

Bericht Phase 2, S. 20 ff.; vgl. auch Duc 2010, S. 32.

6488

sich eine entsprechende Lösung auch in den untersuchten Rechtsordnungen des Auslandes79 sowie in den Empfehlungen der UNCITRAL80 findet.

Im Weiteren gilt es, Missbräuche zu verhindern. Es ist deshalb erforderlich, dass die Ausübung des Kündigungsrechts nicht durch den Schuldner allein erfolgen kann, sondern zusätzlich der Zustimmung des Sachwalters bedarf. Dagegen ginge es zu weit, die Zustimmung des Nachlassgerichts zu verlangen, da die Kündigung dadurch zu sehr erschwert und bürokratisiert würde. Ferner wurde bewusst darauf verzichtet, die ausserordentliche Kündigung von materiellen Voraussetzungen abhängig zu machen (z.B. Erfüllen des Sanierungszwecks), weil auf diese Weise nur die Gefahr langwieriger gerichtlicher Auseinandersetzungen geschaffen würde.

Eine ausdrückliche Ausnahme soll hier für die Arbeitsverträge gemacht werden.

Andernfalls besteht die Gefahr, dass der arbeitsvertragliche Kündigungsschutz nicht mehr zur Anwendung kommen würde.

Art. 298

Wirkungen auf die Rechte des Schuldners

Wie nach geltendem Recht hat die definitive Stundung sodann Auswirkungen auf die Verfügungsbefugnisse des Schuldners (Art. 298). Da das Nachlassgericht nach dem Entwurf bereits während der Nachlassstundung einen Gläubigerausschuss einsetzen kann und diesem anstelle des Nachlassgerichts die Kompetenz zur Ermächtigungserteilung zukommt, Anlagevermögen zu veräussern oder zu belasten (vgl. Art. 295a Abs. 3), wird Artikel 298 Absatz 2 entsprechend ergänzt. Diesbezüglich ist zu beachten, dass Rechtshandlungen, die entweder vom Nachlassgericht oder vom Gläubigerausschuss genehmigt worden sind, gemäss Entwurf nicht mehr angefochten werden können (Art. 285 Abs. 3). Wie nach geltendem Recht kann das Nachlassgericht dem Schuldner unter Umständen die Verfügungsbefugnis auch ganz entziehen. Nimmt die Eigenmacht des Schuldners ein Ausmass an, das die Erhaltung des Vermögens nachhaltig beeinträchtigt, ist der Konkurs von Amtes wegen zu eröffnen (Art. 298 Abs. 3). Ein eigentliches Widerrufsrecht der Stundung kennt der Entwurf nicht mehr.

2.10 Art. 299-304

Stundungsverfahren Weiteres Stundungsverfahren

Das weitere Stundungsverfahren (Art. 299-304) entspricht dem geltenden Recht.

Lediglich beim Schuldenruf sieht der Entwurf eine längere Frist als bisher vor. Neu soll den Gläubigerinnen und Gläubigern eine Frist von einem Monat und nicht nur wie bisher 20 Tage zur Verfügung stehen, um ihre Forderungen einzugeben (Art. 300 Abs. 1). Ferner wird der Verweis in Artikel 301 Absatz 2 ausformuliert.

79 80

Dunant et al, in: SECO 2010, S. 33 f.

Vgl. UNCITRAL, S. 120 ff.

6489

2.11

Allgemeine Bestimmungen zum Nachlassvertrag

Art. 305 Abs. 1

Annahme des Nachlassvertrags durch die Gläubigerinnen und Gläubiger

Die vorgeschlagenen Anpassungen sind rein redaktioneller Natur und dienen der Klarstellung der geltenden Rechtslage.

Art. 306 Abs. 1 Ziff. 1bis

Best interest test

Die Voraussetzung des geltenden Rechts, wonach das Verwertungsergebnis oder die vom Dritten angebotene Summe bei Abschluss eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung höher erscheinen muss als der Erlös, der im Konkurs voraussichtlich erzielt würde (sog. best interest test), ist lediglich ein Anwendungsfall der Angemessenheit des Nachlassvertrages gemäss Artikel 306 Absatz 1 Ziffer 1. Die Bestimmung kann daher ersatzlos gestrichen werden.

Art. 306 Abs. 1 Ziff. 2

Keine Sicherstellung für Drittklassforderungen

Die Bestätigung des Nachlassvertrages setzt nach geltendem Recht unter anderem voraus, dass der Vollzug des Nachlassvertrages, die Forderungen der privilegierten Gläubigerinnen und Gläubiger sowie die Masseverbindlichkeiten hinlänglich sichergestellt sind (Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2). Die Sicherstellungspflicht führt oft zur Blockade massgebender finanzieller Mittel, welche für die Sanierung benötigt würden und erschwert daher das Zustandekommen eines Nachlassvertrages erheblich81. Aus diesem Grund schränkt der Entwurf die Sicherstellungsverpflichtung zugunsten der Sanierungschancen ein: Der Vollzug des Nachlassvertrages und somit die Befriedigung der Drittklassforderungen müssen neu nicht mehr sichergestellt werden (Art. 306 Abs. 1 Ziff. 2). An der Sicherstellung der übrigen Masseverbindlichkeiten wird hingegen nichts geändert, weil es sonst schwierig werden dürfte, die für die Sanierung oft benötigten Investoren zu finden sowie während der Nachlassstundung die Geschäftstätigkeit aufrechtzuerhalten. Auch an der Sicherstellung der privilegierten Forderungen wird festgehalten.

In Bezug auf bestrittene privilegierte Forderungen wird die sinngemässe Anwendung von Artikel 305 Absatz 3 vorgeschlagen: Die Sicherstellung erfolgt nur insoweit, als die Begründetheit der Forderung als wahrscheinlich erscheint. Das Nachlassgericht prüft die Forderung nur summarisch, nimmt dabei aber den materiellen Entscheid nicht vorweg.

Art. 306 Abs. 1 Ziff. 3

Beitrag der Anteilsinhaber

Ein Nachlassvertrag führt in der Regel dazu, dass die Rechte der Gläubigerinnen und Gläubiger beschnitten werden. Sie verzichten auf einen Teil ihrer Forderung bzw.

gewähren Stundung zugunsten einer Sanierung oder verlieren im Rahmen des Liquidationsvergleichs einen Teil ihres Anspruchs. Dagegen sieht das geltende Recht keinen Beitrag der Anteilsinhaber vor. Das kann beim Dividendenvergleich stossend sein82. Daher sieht der Entwurf vor, dass die Anteilsinhaber83 bei einem

81 82

Vgl. Bericht Phase 1, S. 26 und 29.

Vgl. Bericht Phase 1, S. 26 und 30.

6490

ordentlichen Nachlassvertrag einen angemessenen Sanierungsbeitrag leisten müssen (Art. 306 Abs. 1 Ziff. 3). Ein solcher Beitrag wäre beispielsweise darin zu sehen, dass die Aktionäre einer Kapitalerhöhung mit vorheriger Kapitalherabsetzung zustimmen. Allenfalls kann von einem Beitrag abgesehen werden, sofern die Interessen der Gläubigerinnen und Gläubiger gemäss Dividendenvergleich auch ohne Beitrag der Anteilsinhaber besser gewahrt würden, als dies im Konkurs der Fall wäre.

Art. 307

Rechtsmittel

Gegen den Entscheid über den Nachlassvertrag kann Beschwerde erhoben werden (Art. 307 Abs. 1). Dieser soll hier ­ abweichend vom allgemeinen Grundsatz (vgl.

Art. 325 ZPO) ­ aufschiebende Wirkung zukommen (Art. 307 Abs. 2), wobei die Rechtsmittelinstanz auf Antrag die aufschiebende Wirkung entziehen kann. Daher befindet sich der Schuldner auch während des Rechtsmittelverfahrens gegen den Bestätigungsentscheid immer noch in der Nachlassstundung. Erst nach Ablauf der unbenutzten Rechtsmittelfrist bzw. Abschluss des Rechtsmittelverfahrens kann der Nachlassvertrag vollzogen werden bzw. eröffnet das Nachlassgericht ­ bei Ablehnung des Vertrages ­ den Konkurs von Amtes wegen (Art. 309).

Art. 308

Mitteilung und öffentliche Bekanntmachung

Der Bestätigungsentscheid ist, sobald er vollstreckbar geworden ist, öffentlich bekannt zu machen und den entsprechenden Ämtern mitzuteilen, neu auch dem Konkursamt (Art. 308 Bst. a und b). Die Wirkungen der Stundung fallen ebenfalls mit dem Eintritt der Vollstreckbarkeit des Nachlassvertrages dahin (Art. 308 Abs. 2). Damit weicht der Entwurf vom geltenden Recht ab, wonach die Stundung erst mit der Publikation des Bestätigungsentscheids ihre Wirkungen verliert.

Art. 309

Wirkungen der Ablehnung des Nachlassvertrags

Mit der Ablehnung des Nachlassvertrages eröffnet das Nachlassgericht den Konkurs neu von Amtes wegen (Art. 309). Diese Konkurseröffnung kann sodann nicht angefochten werden, da bereits gegen den Ablehnungsentscheid betreffend den Nachlassvertrag ein Rechtsmittel zur Verfügung steht. Der Konkurs wird jedoch nicht uno actu mit der Ablehnung des Nachlassvertrages eröffnet, sondern erst nach Ablauf der unbenutzten Rechtsmittelfrist bzw. Abschluss des Rechtsmittelverfahrens hinsichtlich der Ablehnung des Nachlassvertrages.

Art. 310

Wirkungen der Bestätigung des Nachlassvertrags

Für den Fall, dass der Nachlassvertrag bestätigt wird, werden im Vergleich zum geltenden Recht zwei Änderungen vorgeschlagen: ­

83

Einerseits ist der massgebende Zeitpunkt für die Definition der Nachlassforderungen und somit für die Verbindlichkeit des Nachlassvertrages nicht die Bekanntmachung der Stundung, sondern deren Bewilligung (Art. 310 Abs. 1). Damit folgt der Entwurf der Regelung, wonach die Stundung ihre Wirkungen ebenfalls bereits mit dem Bewilligungsentscheid entfaltet.

Der Begriff des Anteilsinhabers stammt aus dem Fusionsgesetz vom 3. Oktober 2003, SR 221.301, vgl. Art. 2 Bst. g.

6491

­

Ferner wird festgehalten, dass Gegenforderungen aus einem Dauerschuldverhältnis in einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung oder in einem nachfolgenden Konkurs die Masse verpflichten, soweit der Schuldner mit Zustimmung des Sachwalters daraus Leistungen in Anspruch genommen hat (Art. 310 Abs. 2). Demnach werden diese Forderungen vorab, vor den Forderungen aller übrigen nicht pfandversicherten Gläubigerinnen und Gläubiger, aus der nicht pfandverhafteten Liquidationsmasse befriedigt84.

Art. 314 Abs. 1bis und 318 Abs. 1bis

Befriedigung durch Aktien einer Auffanggesellschaft

Die Rettung des schuldnerischen Unternehmens erfolgt in der Praxis oft über einen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, kombiniert mit der Gründung einer Auffanggesellschaft: Die zu sanierende Gesellschaft gründet eine Tochtergesellschaft, deren Aktienkapital durch Sacheinlagen der frei verfügbaren Aktiven der Muttergesellschaft liberiert wird. Anschliessend wird über die Muttergesellschaft das Nachlassverfahren eröffnet, welches in einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung endet. Dieser sieht vor, dass die Gläubigerinnen und Gläubiger zur Befriedigung ihrer Forderungen Aktien der Tochtergesellschaft erhalten85.

Zugunsten der Rechtssicherheit sieht der Entwurf nun ausdrücklich vor, dass der Nachlassvertrag die Befriedigung der Gläubigerinnen und Gläubiger mittels Anteilsund Mitgliedschaftsrechten86 an der Schuldnerin selbst oder an einer Auffanggesellschaft vorsehen kann (Art. 314 Abs. 1bis und 318 Abs. 1bis). Diese Vorgehensweise stellt eine praktikable und vernünftige Möglichkeit dar, das schuldnerische Unternehmen in eine neue Gesellschaft überzuführen und somit de facto zu retten. Es ist jedoch zu beachten, dass dabei diejenigen Gläubigerinnen und Gläubiger, welche dem Nachlassvertrag nicht zugestimmt haben, zwangsweise Anteilsinhaber der Auffanggesellschaft werden. Bei börsenkotierten Gesellschaften ist diese Konsequenz weniger heikel, da die Aktien in der Regel relativ einfach weiterveräussert werden können. Bei nicht börsenkotierten Gesellschaften kann sich die Veräusserung der Aktien unter Umständen aber als sehr schwierig erweisen87. Um den Interessen dieser Gläubigerinnen und Gläubiger gerecht zu werden, darf das Gericht einen entsprechenden Nachlassvertrag deshalb nur dann bestätigen, wenn es sich davon überzeugt hat, dass ein solches Vorgehen für die nicht zustimmenden Gläubigerinnen und Gläubiger eine angemessene Lösung darstellt (Art. 306 Abs. 1 Ziff. 1).

Art. 331 Abs. 2

Berechnung der Fristen

Der geltende Artikel 331 Absatz 2 gab in der Praxis Anlass zu Diskussionen88.

Unklar war insbesondere, ob der Verweis auf «die Fristen» sich nur auf die Verdachtsfristen gemäss Artikel 286­288 oder auch auf die Frist von Artikel 292 bezieht. Mit Artikel 331 Absatz 2 wird diese Frage entsprechend der bundesgericht84 85 86 87 88

Vgl. zur selben Regelung für mit Zustimmung des Sachwalters eingegangene Verbindlichkeiten: Hardmeier, in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 310 N 19.

Vgl. Bericht Phase 1, S. 26 und 29.

Anlehnung an das Fusionsgesetz vom 3. Oktober 2003, SR 221.301. Damit werden auch andere Unternehmensformen als die Aktiengesellschaft erfasst.

Vgl. Fatzer 2010, S. 29.

Vgl. die umfassende Darstellung der Rechtsprechung und Literatur bei Staehelin 2006, S. 1254 ff.

6492

lichen Rechtsprechung geklärt89: Gemeint sind ausschliesslich die Verdachtsfristen nach Artikel 286, 287 und 288. Die zweijährige Verjährungsfrist von Artikel 292 beginnt dagegen erst mit der rechtskräftigen Bestätigung des Nachlassvertrages zu laufen.

2.12 Art. 332

Nachlassvertrag im Konkurs Nachlassvertrag im Konkurs

Der Entwurf sieht sodann auch im Konkurs ein Vorschlagsrecht der Gläubigerinnen und Gläubiger für einen Nachlassvertrag vor (Art. 332 Abs. 1). Damit kommt der Entwurf einem Anliegen aus der Praxis nach90.

2.13 Art. 712k

Änderungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches Retentionsrecht der Stockwerkeigentümergemeinschaft

Auch wenn in der Praxis von geringerer Bedeutung als das mietrechtliche Retentionsrecht, sprechen die dort aufgeführten Argumente auch für die Abschaffung der Retentionsrechte der Stockwerkeigentümergemeinschaft (Art. 712k ZGB). Auch dieses ist deshalb ersatzlos zu streichen.

2.14 Art. 268, 268a, 268b

Änderungen des Obligationenrechts Retentionsrecht des Vermieters

Nach Artikel 268 OR steht dem Vermieter von Geschäftsräumen an bestimmten beweglichen Sachen, die sich in den vermieteten Räumen befinden, ein Retentionsrecht zu. Die Expertengruppe und ihr folgend auch der Vorentwurf hatte vorgeschlagen, das betreffende Retentionsrecht abzuschaffen, weil dieses zu einem überschiessenden Sicherungsdispositiv führe. In der Vernehmlassung war dieser Vorschlag sehr umstritten; einerseits wurde die vorgeschlagene Streichung kritisiert, andererseits wurde auch verlangt, dass auch das Retentionsrecht der Stockwerkeigentümergemeinschaft (Art. 712k ZGB) sowie dasjenige der Gast- und Stallwirte (Art. 491 OR) abzuschaffen sei.

Das bestehende gesetzliche mietrechtliche Retentionsrecht kann in bestimmten Fällen eine Sanierung erschweren und führt zu einer stossenden Privilegierung des Vermieters gegenüber anderen Gläubigerinnen und Gläubigern. Unter dem Gesichtspunkt der Sanierung kann dieses Pfandrecht namentlich dazu führen, dass Anlageund Umlaufvermögen blockiert wird und es zur Lahmlegung des (einmietenden) Unternehmens kommt. Zudem bringt bereits das latente (d.h. das noch nicht ausgeübte) Retentionsrecht Risiken ­ etwa mit Blick auf eine allfällige Sanierung über 89 90

BGE 134 III 273 284 f.

Vgl. Winkelmann/Lévy/Jeanneret/Merkt/Birchler, in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 332 N 6.

6493

eine Auffanggesellschaft: Das Retentionsrecht kann eine Sacheinlagegründung verunmöglichen, da mit einem Rückschaffungsbegehren des Vermieters gerechnet werden muss (Art. 268b OR)91.

Das mietrechtliche Retentionsrecht hat im Laufe der Zeit zudem auch seine Berechtigung verloren: Früher war es üblich, die Mietzinse nach Ablauf einer längeren Periode zu bezahlen, der Vermieter unterlag mit anderen Worten einer Vorleistungspflicht92. Der Vermieter bedurfte deshalb einer Sicherheit. Heute werden die Mietzinsen dagegen in der Regel zum Voraus und monatlich entrichtet. Bereits im Entwurf für die Revision des Miet- und Pachtrechts aus dem Jahr 1985 bestand deshalb die Absicht, das Retentionsrecht zu streichen93, nicht zuletzt mit dem Argument, dass diese atypische94 Regelung zu einer stossenden Privilegierung des Vermieters gegenüber den anderen Gläubigerinnen und Gläubigern führte. Erst in der ständerätlichen Kommission wurde das Retentionsrecht für den Miet- und Pachtvertrag von Geschäftsräumen wieder eingefügt. Zuletzt ist auch das in der Vernehmlassung erhobene Argument, eine Aufhebung des Retentionsrechts führe zu einem weiteren Anstieg der Kautionen, nicht überzeugend: Das Retentionsrecht ist als primäres Sicherungsinstrument von geringem Nutzen, das es nicht vorhersehbar ist, welche konkreten Objekte letztendlich der Retention unterliegen und ob diese dem Vermieter tatsächlich Deckung für seine Forderungen verschaffen. Aus diesem Grund sichern sich die Vermieter bereits heute anderweitig ab, insbesondere mithilfe von Kautionen gemäss Artikel 257e OR. Hinzu tritt die Möglichkeit, eine Vorauszahlung der Miete zu verlangen. Das Retentionsrecht dient deshalb höchstens noch als ergänzende Sicherung sowie als zusätzliches Druckmittel gegenüber dem Schuldner.

Wie in der Vernehmlassung allerdings geltend gemacht wurde, hätte eine Aufhebung des Retentionsrechts bei laufenden Miet- und Pachtverhältnissen zur Folge, dass Vermieter, die auf den Bestand des Retentionsrechts vertraut haben, dieses plötzlich verlieren würden, ohne darauf unmittelbar reagieren zu können. Aus diesem Grund erscheint es sachgerecht, das Retentionsrecht für Verträge, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes abgeschlossen worden sind, für eine befristete Zeit weiter gelten zu lassen (Art. 1 Übergangsbestimmungen), namentlich um den Parteien Gelegenheit zu geben, die betroffenen Verträge entsprechend anzupassen.

Art. 299c

Retentionsrecht des Verpächters

Die gleichen Gründe, die für eine Aufhebung des mietrechtlichen Retentionsrechts sprechen, gelten auch im Hinblick auf den Pachtvertrag. Auch Artikel 299c OR ist deshalb aufzuheben.

Art. 333b

Übergang der Arbeitsverhältnisse bei Betriebsübernahme

Nach geltendem Recht tritt der Übergang der Arbeitsverhältnisse bei Betriebsveräusserungen von Gesetzes wegen ein. Der bisherige Arbeitgeber wird auf dem Wege einer Einzelrechtsnachfolge durch den neuen Arbeitgeber ersetzt. Den Arbeitneh91 92 93 94

Fatzer 2010, S. 29.

Oser/Schönenberger 1936, Art. 272 N 7.

Vgl. Botschaft zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März 1985, BBl 1985 1457.

Atypisch insofern, dass es den Besitz des Gläubigers an den Retentionsgegenständen nicht voraussetzt: vgl. Schnyder/Wiede, in: Staehelin/Bauer/Staehelin 1998, Art. 283 N 8 m.w.H.

6494

menden steht dabei das Recht zu, den Übergang abzulehnen (Art. 333 Abs. 1 OR).

Ein Ablehnungsrecht des neuen Arbeitgebers (d.h. des Erwerbers des Betriebes) besteht dagegen nicht. Auch ist eine vertragliche Beschränkung auf die Übernahme einzelner Arbeitsverhältnisse nicht zulässig.

Soll das Unternehmen während einer Nachlassstundung, im Rahmen eines Konkurses oder eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung an einen Dritten übertragen werden, stellt sich die Frage, inwieweit Artikel 333 Absatz 1 OR auch im Insolvenzverfahren anwendbar ist. Während dies von einem Teil der Lehre bejaht wird95, spricht sich ein anderer Teil ausdrücklich dagegen aus96. Das Bundesgericht hat bisher nur beschränkt für Klarheit sorgen können: Es hat festgehalten, dass zumindest die Solidarhaftung nach Artikel 333 Absatz 3 OR beim Erwerb eines Betriebes aus der Konkursmasse nicht zum Tragen kommt97. Die Frage der Anwendbarkeit von Artikel 333 Abs. 1 OR wurde dagegen offen gelassen. Anders hat das Obergericht des Kantons Zürich entschieden: Artikel 333 OR sei - mit Ausnahme der in Absatz 3 geregelten Solidarhaftung des Übernehmers - auch im Falle der Betriebsübernahme aus dem Konkurs zur Anwendung zu bringen98. Es besteht damit nach wie vor eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die in der Sanierungspraxis zu grossen Problemen führt.

Festzuhalten ist, dass Artikel 333 Absatz 1 OR keine Arbeitsplatzsicherung zu bieten vermag, denn es steht dem Übernehmer frei, die Arbeitnehmenden nach der Betriebsübernahme auf dem Wege einer ordentlichen Kündigung zu entlassen. Die Arbeitnehmenden sind damit nicht geschützt, während für die übernehmende Partei Lohnkosten für Arbeitnehmende entstehen, die sie eigentlich nicht aufwerfen wollte.

Hinzu kommt unter Umständen eine unerwünschte negative Presseberichterstattung.

Dies kann dazu führen, dass ein potenzieller Käufer vom Erwerb eines eigentlich sanierungsfähigen Betriebs absieht, was im Ergebnis zu einer vollständigen Vernichtung der betroffenen Arbeitsplätze führen kann. Der intendierte Arbeitnehmerschutz verkehrt sich dann in sein Gegenteil.

Der Vorentwurf schlug deshalb vor, den automatischen Übergang von Arbeitsverträgen bei Betriebsübernahme während der Nachlassstundung, im Rahmen eines Konkurses oder eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung auszuschliessen (Art. 333b
VE-OR). Ob und wieweit mit dem Betrieb auch die Arbeitsverträge übernommen werden, sollte neu Gegenstand von Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den Beteiligten sein, wobei den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wie nach geltendem Recht ein Ablehnungsrecht zustehen soll. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung von mehreren Teilnehmern begrüsst, von Arbeitnehmerseite dagegen heftig kritisiert99.

Der Bundesrat ist nach wie vor der Ansicht, dass die im Vorentwurf vorgeschlagene Regelung unabdingbarer Bestandteil eines effektiven Sanierungsrechts bildet. Eine rein dogmatisch-theoretische Betrachtungsweise mag den Eindruck erwecken, dass die Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer damit geschwächt werde. Die praktischen Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass das geltende Recht die realen 95 96 97 98 99

Lorandi 2000, S. 95 ff.; Hofstetter 1998, S. 926 ff.

Camponovo 1998, S. 1417; Spühler/Infanger 2000, S. 227; Vollmar, in: Staehelin/ Bauer/Staehelin 1998, Art. 298 N 18.

BGE 129 III 335 349 Beschluss vom 10. September 2003, ZR 2004, Nr. 71.

Bericht Vernehmlassung, S. 17 f.; vgl. auch Bianchi 2010, S. 31.

6495

Möglichkeiten verkennt, denn es wird den Arbeitskräften eine Arbeitsplatzsicherheit vorgespiegelt, die es im Sanierungsfall gerade nicht gibt.

Artikel 333b OR hält deshalb fest, dass dann, wenn der Betrieb während der Nachlasstundung, im Rahmen eines Konkurses oder eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung übertragen wird, das Arbeitsverhältnis nur dann auf die den Betrieb erwerbende Partei übergeht, wenn dies mit ihr so vereinbart worden ist. Für die übrigen Wirkungen verweist Artikel 333b OR dagegen auf die Artikel 333 und 333a OR. Dies hat insbesondere zur Folge, dass für den übernommenen Betrieb ein allfällig bestehender Gesamtarbeitsvertrag während eines Jahres einzuhalten ist (Art. 333 Abs. 1bis OR). In Bezug auf die übernommenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelangt ausserdem Artikel 333 Absatz 3 OR zur Anwendung: Die übernehmende Partei trifft damit für ungedeckte Forderungen aus den übernommenen Verträgen zusammen mit dem Veräusserer eine Solidarhaftung. Dies ist eine Abkehr von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung100, von welcher sowohl die übernommenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch die Arbeitslosenversicherung, welche in vielen Fällen im Rahmen der Insolvenzentschädigung einspringen musste, profitieren werden. Der Übernehmer wird sich deshalb im Übernahmevertrag entsprechend absichern müssen. Für die ausstehenden Lohnforderungen der nicht übernommenen Arbeitskräfte trifft die erwerbende Partei dagegen keine Haftung.

Diese bleiben darauf beschränkt, ihre Ansprüche im laufenden Insolvenzverfahren geltend zu machen.

Der Arbeitnehmerschutz erfordert im Weiteren, dass die Arbeitnehmenden in wichtige Entscheidungen des Arbeitgebers miteinbezogen werden. So hat der Arbeitgeber, der den Betrieb oder einen Betriebsteil auf einen Dritten überträgt, die Arbeitnehmervertretung oder, falls es keine solche gibt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rechtzeitig vor dem Vollzug darüber zu informieren (Art. 333a Abs. 1 OR). Am geltenden Rechtszustand soll grundsätzlich festgehalten werden. Abweichend vom Vorentwurf (Art. 333b Abs. 2 OR) soll die Konsultation der Arbeitnehmervertretung gemäss Artikel 333a OR in jedem Fall zur Anwendung kommen, d.h.

sowohl bei der Liquidation des Betriebes (Konkurs, Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung) als auch bei einem ordentlichen
Nachlassvertrag. Die Einflussmöglichkeiten, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter Umständen als Gläubigerinnen und Gläubiger im Insolvenzverfahren zustehen, vermögen den Verlust dieses Konsultationsanspruchs nicht zu kompensieren.

Art. 335e Abs. 2

Besondere Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmenden bei Betriebsveräusserung und Massenentlassung

Eine besondere Konsultationspflicht trifft den Arbeitgeber sodann im Falle von Massenentlassungen (Art. 335f OR). Gemäss Artikel 335e Absatz 2 OR gilt diese Bestimmung jedoch nicht bei Betriebseinstellungen infolge gerichtlicher Entscheidungen, weil in diesem Fall die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dem Einflussbereich des Arbeitgebers entzogen ist101. Gemäss herrschender Lehre und der Rechtsprechung fällt unter den Begriff der «gerichtlichen Entscheidung» auch die Konkurseröffnung102.

100 101 102

BGE 129 III 335 349 Vgl. Portmann/Stöckli 2007, S. 206 f.

BGE 130 III 102 108; Meier/Exner, 2004, S. 214 m.w.H; Portmann/Stöckli 2007, S. 206 f.; Possa/Kreutz 2010, Rz. 14.

6496

Anders ist dies bei der Nachlassstundung: Dort sind die besonderen Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchaus sinnvoll. Dementsprechend hat das Bundesgericht entschieden, dass die Mitwirkungsrechte gemäss Artikel 335d ff. OR während der provisorischen Nachlassstundung umfassend anwendbar sind103. Das muss auch für die definitive Stundung gelten104.

Art. 335h, 335i

Sozialplanpflicht

Sieht man vom Bundespersonal ab105, haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Sozialplan, und dies selbst dann nicht, wenn vielen von ihnen, insbesondere im Rahmen einer Massenentlassung im Sinne von Artikel 335d OR, aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt wird.

Eine Ausnahme bilden die - vereinzelten - Fälle, in denen ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vorschreibt, dass bei teilweiser oder totaler Betriebsschliessung ein Sozialplan zu vereinbaren ist. Aus einer solchen Bestimmung ergibt sich die Pflicht der GAV-Parteien, mit Blick auf die Errichtung eines Sozialplanes Verhandlungen nach Treu und Glauben durchzuführen. Kommt es aber nach diesen Verhandlungen zu keiner Einigung, so kann der Inhalt des Sozialplans nur dann durch ein Schiedsorgan festgelegt werden, wenn der GAV diesbezüglich ein Schiedsverfahren vorsieht oder wenn die Parteien einem solchen Verfahren zustimmen.

Die Forderung nach einer allgemeinen Sozialplanpflicht wurde in der Vergangenheit immer wieder erhoben, in einem formellen Rahmen zuletzt in einer Motion aus dem Jahr 2008106. Der Bundesrat hat in der betreffenden Antwort wie auch in seinen früheren Stellungnahmen107 jeweils betont, er sei bereit, weiter gehende Massnahmen zur Verstärkung des Schutzes der Arbeitnehmenden vorzuschlagen, falls sich herausstellen sollte, dass die geltende Regelung zu wenig effektiv sei. Die gegenwärtige Krise macht deutlich, dass es jederzeit wieder zu Massenentlassungen kommen kann. Mit der Einführung einer Sozialplanpflicht soll zudem der Wandlung der Wirtschaftswelt Rechnung getragen werden: Während dem Management regelmässig vertraglich fixierte Abgangsentschädigungen zustehen, gehen die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber im Fall eines Stellenverlusts in der Regel leer aus.

Mit der im vorliegenden Zusammenhang vorgeschlagenen Revision soll diese als stossend empfundene Lücke des geltenden Rechts geschlossen werden. So wird der Arbeitgeber von Gesetzes wegen verpflichtet, in gewissen Fällen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Verhandlungen zu führen, die mit der Vereinbarung eines Sozialplans enden sollen. Können sich die Parteien diesbezüglich nicht einigen, wird der Sozialplan auf Gesuch einer Partei hin durch den - verbindlichen - Entscheid eines Schiedsgerichts aufgestellt. Die vorgeschlagene Lösung findet allerdings nur Anwendung auf grössere Betriebe und bei Massenentlassungen.

103 104 105 106 107

BGE 130 III 102 108; dazu Possa/Kreutz 2010, Rz. 16.

Bericht Phase 2, S. 23.

Vgl. Art. 31 Abs. 4 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000, SR 172.220.1.

Motion der sozialdemokratischen Fraktion, 08.3734.

Stellungnahmen zu den Motionen Rechsteiner 97.3095 und Gross 99.3633.

6497

Art. 335h

Definition des Sozialplans

Der neue Artikel 335h Absatz 1 definiert den Sozialplan als Vereinbarung, welche die Massnahmen festlegt, mit denen Kündigungen vermieden, deren Zahl beschränkt sowie deren Folgen gemildert werden.

Die gesetzliche Umschreibung des möglichen Inhalts eines Sozialplans ist bewusst kurz und allgemein gehalten. Dazu gehören Massnahmen, die in der Zeit zwischen der Ankündigung der beabsichtigten Kündigungen und der Beendigung der Arbeitsverhältnisse verwirklicht werden können (z.B. Vereinbarungen kürzerer Kündigungsfristen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als für den Arbeitgeber).

Andere Massnahmen können sowohl in dieser Zeit wie auch nachher getroffen werden (z.B. bezahlte Umschulung, Stellenvermittlung, Lohnausgleich bei Zuweisung anderer Arbeit, Fahrgeldzuschuss zur neuen Arbeitsstelle, Belassung von Arbeitswohnungen). Weitere Massnahmen setzen voraus, dass die Arbeitsverhältnisse beendet wurden (z.B. Abfindungen, vorzeitige Pensionierung, Leistungen in Härtefällen, Gratifikationen und ähnliche Leistungen).

Klar und daher nicht ausdrücklich zu erwähnen ist, dass der Sozialplan nicht nach unzulässigen Kriterien differenzieren darf (Diskriminierungsverbot). Eine Differenzierung aufgrund der möglichen Nachteile und ihrer Vermeidbarkeit ist aber zulässig. So kann vorgesehen werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine andere zumutbare Arbeitsstelle im Betrieb oder Konzern abgelehnt haben, keine oder eine geringere Abfindung erhalten. Ebenso zulässig wäre es, nur denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Abfindung zu bezahlen, die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben.

Die allermeisten Massnahmen, die in einem Sozialplan vorgesehen werden, verursachen Kosten. Voraussetzung eines jeden Sozialplans ist somit, dass der Arbeitgeber über die finanziellen Mittel zur Verwirklichung dieser Massnahmen, d.h. zur Erfüllung der entsprechenden Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügt.

Damit die Verhandlungen in einem vernünftigen Rahmen geführt werden können und keine überrissenen, letztlich kontraproduktiven Forderungen gestellt werden, schränkt Absatz 2 die Freiheit der Parteien und das Ermessen des Schiedsgerichts (vgl. Art. 335j E-OR) ein. Nach dieser Bestimmung darf der Sozialplan den Fortbestand des Betriebs nicht
gefährden. Dadurch wird ausgeschlossen, dass Betriebe, die aus unternehmerischen Gründen eine Umstrukturierung beabsichtigen, auf ihr Vorhaben verzichten müssen, weil das Gesetz eine Sozialplanpflicht vorsieht.

Da der Entwurf voraussetzt, dass der Arbeitgeber über die Mittel zur Finanzierung des Sozialplans verfügt, verzichtet er implizit auf die Einführung einer Pflicht der Betriebe, das finanzielle Substrat bereitzuhalten (beispielsweise durch Bildung von Reserven, Versicherung, Errichtung eines betrieblichen, branchenspezifischen, regionalen oder gesamtschweizerischen Fonds), mit dem die Kosten der im Sozialplan vorgesehenen Massnahmen zu decken wären. Erstens wäre es unverhältnismässig und mit kaum abzuschätzenden Auswirkungen auf die Betriebstätigkeit verbunden, wenn Betriebe zur Vorfinanzierung von Massnahmen verpflichtet würden, die möglicherweise nie getroffen werden müssen. Zweitens müsste das Gesetz bei einer solchen Lösung zum Voraus festlegen, wie viel die Arbeitgeber zur Finanzierung des (allfälligen) Sozialplans auf die Seite legen müssten. Eine solche notwendigerweise schablonenhafte Regelung wäre aber insofern willkürlich, als sie keinen

6498

konkreten Bezug zu den Massnahmen haben könnte, die vielleicht einmal in einem Sozialplan vorgesehen werden.

Da der Sozialplan nach der Vorlage den Fortbestand des Betriebs und die verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährden darf, erübrigen sich - abgesehen von Artikel 335i Absatz 1 OR - Ausnahmen vom Geltungsbereich der Neuregelung, die beispielsweise für erst vor kurzer Zeit gegründete Betriebe gelten würden.

Art. 335i

Verhandlungspflicht

Die gesetzliche Pflicht zum Abschluss eines Sozialplans trifft sämtliche Betriebe, die mindestens 250 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen (Bst. a).

Betroffen von dieser Neuregelung sind nach den auf der Betriebszählung 2008 beruhenden Angaben108 1154 von 312 861 rezensierten Privatunternehmen, also 0,37 Prozent aller Privatbetriebe. In diesen Betrieben muss der Arbeitgeber, der beabsichtigt, innert 30 Tagen 30 oder mehr Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Gründen zu entlassen (Bst. b), Verhandlungen durchführen, mit dem Ziel, einen Sozialplan zu vereinbaren (Verhandlungsphase mit grundsätzlicher Abschlusspflicht).

In diesem Kontext ist auf die unterschiedlichen Voraussetzungen von Konsultationsund Sozialplanpflicht des Arbeitgebers hinzuweisen: Die Konsultation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist für Arbeitgeber vorgeschrieben, die 21-99 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und innert 30 Tagen mindestens 10 von ihnen aus wirtschaftlichen Gründen kündigen wollen (Art. 335d Ziff. 1 OR), für solche, die 100-299 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und mindestens 10 Prozent von ihnen innert derselben Frist und aus denselben Gründen (Art. 335d Ziff. 2 OR) entlassen wollen, sowie für solche Arbeitgeber, die mindestens 300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und innert derselben Frist und aus denselben Gründen mindestens 30 von ihnen entlassen wollen (Art. 335d Ziff. 3 OR). Die Pflicht, einen Sozialplan aufzustellen, besteht hingegen für Arbeitgeber, die mindestens 250 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und mindestens 30 von ihnen kündigen wollen, und dies auch hier innert Frist von 30 Tagen und aus Gründen, die in keinem Zusammenhang mit ihrer Person stehen. Zeigt sich, dass der Arbeitgeber durch eine zeitliche Staffelung der Kündigungen diese über eine Dauer von mehr als 30 Tagen verteilen will, obwohl diese auf dem gleichen betrieblichen Entscheid beruhen, sind die betroffenen Kündigungen zusammenzuzählen, sodass die Sozialplanpflicht dennoch zur Anwendung kommen kann.

Absatz 2 bestimmt die Parteien, die bei einer Massenentlassung zwecks Vereinbarung eines Sozialplans miteinander zu verhandeln haben: Arbeitgeber, die Partei eines Gesamtarbeitsvertrages sind, müssen die Verhandlungen mit der oder den Gewerkschaften
führen, die am Gesamtarbeitsvertrag beteiligt sind. Die übrigen Arbeitgeber verhandeln mit der Arbeitnehmervertretung ihres Betriebs oder, wenn es keine solche gibt, direkt mit den im Betrieb tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. In den letzten Fällen kann das Recht, Verhandlungen zu führen und einen Sozialplan zu vereinbaren, von der Belegschaft an eine oder mehrere Gewerkschaften delegiert werden. Denkbar ist es auch, dass die Gewerkschaften die Ver108

Bundesamt für Statistik, Statistik Schweiz, 6. Industrie und Dienstleistungen, Marktwirtschaftliche Unternehmen und Beschäftige nach Grössenklassen, 2008.

6499

handlungen im Namen der Belegschaft durchführen und dass sich diese die Genehmigung des Sozialplans vorbehält.

Beteiligt am Sozialplan sind somit stets - mittelbar oder unmittelbar - auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von der Massenentlassung nicht direkt betroffen sind. Dies ist schon aus dem Grund angebracht, dass im Sozialplan Massnahmen vorgesehen werden können, die sie betreffen, beispielsweise eine Reduktion der Arbeitszeit zur Verhinderung aller oder eines Teils der Kündigungen.

Im Einklang mit der EG-Richtlinie Nr. 92/56 (Art. 2 Abs. 2) präzisiert Absatz 3, dass die Arbeitnehmerseite zu den Verhandlungen Expertinnen und Experten heranziehen darf. Die Bestimmung ist insofern notwendig, als das Bundesgesetz vom 17.

Dezember 1993 über die Information und Mitsprache der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben109 in Artikel 14 Absatz 2 Buchstabe a der Arbeitgeberseite die Möglichkeit gibt, aus berechtigtem Interesse die Arbeitnehmervertreter einer Verschwiegenheitspflicht gegenüber allen - auch gegenüber (betriebsfremden) Personen, die mit der Wahrung der Interessen der Belegschaft vertraut sind - zu unterstellen. Absatz 3 verhindert, dass die Weiterleitung von Informationen an die Expertinnen und Experten eine Verletzung dieser Pflicht darstellt, schützt aber auf der anderen Seite die Interessen der Arbeitgeber, indem er die Experten zur Verschwiegenheit gegenüber betriebsfremden Personen verpflichtet.

Art. 335j

Aufstellung durch ein Schiedsgericht

Können sich die Parteien nicht auf einen Sozialplan einigen, so wird dieser nach Artikel 335j OR durch ein Schiedsgericht aufgestellt.

Die Norm gewährt den Parteien volle Freiheit bezüglich der Bestimmung des Schiedsorgans. Als Schiedsgericht kann auch die eidgenössische Einigungsstelle gemäss dem Bundesgesetz vom 12. Februar 1949 über die eidgenössische Einigungsstelle zur Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten110 bzw. ein kantonales Einigungsamt eingesetzt werden. Ist der Arbeitgeber an einen Gesamtarbeitsvertrag gebunden und sieht dieser beispielsweise ein paritätisches Schlichtungs- oder Schiedsorgan vor, so kann dieses mit der Aufgabe betraut werden, den Sozialplan aufzustellen. Die Parteien des Gesamtarbeitsvertrags können sich aber auch für ein ad-hoc-Schiedsorgan entscheiden oder eine einzige Vertrauensperson damit beauftragen. Sie können schliesslich auch in einer ersten Phase nur eine Schlichtungsstelle bilden und die Errichtung eines Schiedsorgans im Sinne einer entsprechenden Erweiterung des Mandats der Schlichtungsstelle für den Fall vorbereiten, dass das Schlichtungsverfahren scheitert.

Auf das Verfahren vor dem Schiedsorgan, das die Parteien bestellt haben, sind die Artikel 353 ff. ZPO anwendbar. In einem nachfolgenden Konkurs oder bei Durchführung eines Liquidationsvergleichs hat die verbindliche Natur des Schiedsspruchs zur Folge, dass der Sozialplan nicht mehr infrage gestellt werden kann (res iudicata), auch nicht mehr durch eine paulianische Anfechtung (Art. 285 ff.).

109 110

SR 822.14 SR 821.42

6500

Art. 335k

Wegfall der Sozialplanpflicht bei Konkurs und Nachlassstundung

Artikel 335k OR schliesst die Anwendung der neuen Bestimmungen über den Sozialplan für den Fall aus, dass die Massenentlassungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens (Konkurs- oder Nachlassverfahrens) erfolgen.

Für diesen Ausschluss sprechen verschiedene Gründe: Zum Ersten wird die meist ohnehin ungenügende Konkursmasse vollends ausgehöhlt, wenn sie auch zur Finanzierung des Sozialplans dienen muss. Zum Zweiten werden die - in der ersten Klasse privilegierten - Forderungen aus dem Sozialplan die nachrangigen Gläubigerinnen und Gläubiger, und namentlich diejenigen der dritten Klasse in einem Ausmass belasten, das kaum gerechtfertigt werden kann. Bei diesen Gläubigerinnen und Gläubigern handelt es sich nämlich um Kunden und Lieferanten des konkursiten Arbeitgebers, die ihrerseits in Liquiditäts- und sonstige wirtschaftliche Probleme geraten können, was sich wiederum negativ auf deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auswirken kann. Zum Dritten wird eine Sozialplanpflicht, wie sie ausserhalb eines Konkurs- oder Nachlassverfahrens vorgeschlagen wird, die Insolvenzorgane tendenziell überfordern und das Insolvenzverfahren verlängern und verteuern. In Bezug auf das Nachlassverfahren ist insbesondere zu berücksichtigen, dass eine solche Sozialplanpflicht den Abschluss eines Nachlassvertrags erschweren wird, weil die Forderungen aus dem Sozialplan sichergestellt werden müssten. Sollte der Nachlassvertrag wegen des durch die Parteien oder ein Schiedsgericht aufgestellten Sozialplans scheitern, käme es zum Konkurs und zur Liquidation des Betriebs, also zum Verlust von Arbeitsplätzen, was kaum den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechen dürfte.

Wie ausgeführt haben die Arbeitnehmenden bzw. deren Vertreter Gelegenheit, im Rahmen des Konsultationsverfahrens den Insolvenzorganen (Konkursverwaltung, Gläubigerorgane, Sachwalter, Liquidator) Vorschläge bezüglich der Massnahmen zur Milderung der Kündigungsfolgen zu unterbreiten. Es ist dann Sache dieser Organe zu entscheiden, ob und wie weit auf Kosten der Konkursmasse darauf eingegangen werden und nachträglich noch ein Sozialplan vereinbart werden kann.

Art. 362 Abs. 1

Zwingendes Recht

Die neuen Bestimmungen sollen in den Katalog von Artikel 362 Absatz 1 OR aufgenommen werden mit der Folge, dass von ihnen weder zuungunsten noch zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgewichen werden kann.

Art. 491 Abs. 2

Retentionsrecht der Gast- und Stallwirte

Auch wenn in der Praxis weitaus weniger bedeutsam als das mietrechtliche Retentionsrecht sprechen Argumente, die dort für die Abschaffung des betreffenden Retentionsrecht angeführt worden sind, auch für die Streichung des Retentionsrechts der Gast- und Stallwirte (Art. 491 OR). Diese sind deshalb, wie teilweise auch in der Vernehmlassung gefordert111, ersatzlos zu streichen.

111

Bericht Vernehmlassung, S. 19; vgl. auch Studer 2009, S. 1457.

6501

Art. 725a

Konkursaufschub

Wie bereits ausführlich dargelegt soll der Konkursaufschub gemäss Artikel 725a OR ins Nachlassverfahren des SchKG integriert werden. Die Bestimmung ist deshalb aufzuheben.

Art. 1 der Übergangsbestimmungen Um Vermieter und Verpächter, die ihr Sicherungsdispositiv ganz oder teilweise auf das gesetzliche Retentionsrecht ausgerichtet haben, Gelegenheit zur Anpassung ihrer Sicherungsinstrumente zu geben, wird für bestehende Verträge eine Übergangsfrist von drei Jahren angesetzt, innert welcher das Retentionsrecht weiter gilt.

2.15

Änderungen weiterer Bundesgesetze

Da der Konkursaufschub gemäss Artikel 725a OR aufgehoben wird, sind die Bestimmungen des Bundesrechts, die auf den Konkursaufschub Bezug nehmen, entsprechend anzupassen.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Die beantragte Aufhebung des Konkursprivilegs zugunsten der Mehrwertsteuer wird zu einer finanziellen Einbusse zulasten der Bundeskasse führen. Mit dem Wegfall des Privilegs wird der Bund in Konkurs- und Nachlassverfahren als gewöhnlicher Drittklassgläubiger in den meisten Fällen einen Totalverlust erleiden. Im Vergleich zum geltenden Finanzplan dürften die Debitorenverluste aufgrund dieser Massnahme mittelfristig um rund 50 Millionen zunehmen und damit zu einer entsprechenden Belastung des Bundeshaushalts führen. Diese Verschlechterung des finanziellen Handlungsspielraums muss durch anderweitige einnahmen- oder ausgabenseitige Kompensationen aufgefangen werden.

Im Übrigen hat die Vorlage keine besonderen Auswirkungen auf den Bund.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Von der beantragten Aufhebung des Konkursprivilegs zugunsten der Mehrwertsteuer würden die Kantone und Gemeinden profitieren, soweit sie als Drittklassgläubiger bei Konkursen oder Nachlassverfahren beteiligt sind, da sich mit der Verkleinerung des Anteils der privilegierten Forderungen das Haftungssubstrat, das den anderen Gläubigerinnen und Gläubiger zugute kommt, vergrössert.

Im Übrigen hat die Vorlage keine besonderen Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden.

6502

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Von der Revision des Sanierungsrechts verspricht sich der Bundesrat eine positive Beeinflussung des strukturellen Wachstums. Der Bundesrat hat bereits im Bericht zur Wachstumspolitik 2008-2011 festgehalten, dass das Insolvenzrecht durch eine Reduktion der Zeit und der Kosten des Verfahrens und die Erhöhung der Konkursdividende verbessert werden soll. Ausserdem sollen die Anreize erhöht werden, eine legale und rentable Wirtschaftstätigkeit auszuüben. Mit der Revision des Insolvenzrechts soll eine Interessenabwägung stattfinden zwischen dem Unternehmer, der beim Eingehen von Risiken unterstützt werden soll, und den Gläubigerinnen und Gläubige, die möglichst geringe Verluste erleiden sollen im Fall, dass sich die Wirtschaftslage des Unternehmens wenden sollte. Zuletzt soll die Konkursprävention verbessert werden112.

Mit dem vorliegenden Entwurf werden diese Ziele zumindest teilweise umgesetzt: Die Rahmenbedingungen für eine Stabilisierung und eine Sanierung von Unternehmen werden massgeblich verbessert. Dadurch können Arbeitsplätze erhalten werden. Die Rechte der Gläubigerinnen und Gläubiger als Gruppe werden gestärkt.

Zudem wird durch verschiedene Massnahmen eine Vergrösserung der Insolvenzmasse angestrebt. Auf diese Weise werden die Rahmenbedingungen für Unternehmer und Investoren verbessert und die Attraktivität des Investitionsstandorts Schweiz gestärkt.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 23. Januar 2008113 über die Legislaturplanung 2007-2011 angekündigt.

5

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 122 Absatz 1 BV, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts gibt.

112 113

Bericht des Bundesrates zur Wachstumspolitik 2008-2011 vom 2. April 2008, S. 77.

BBl 2008 818

6503

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