Bericht über die Abschreibung hängiger Vorstösse zu nachrichtenlosen Vermögenswerten vom 1. Oktober 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2000

M 97.3306

Erfahrungen mit Vermögenswerten aus der Zeit des 2. Weltkrieges. Rechtliche Konsequenzen (N 10.10.1997, Rechsteiner; S 20.6.2000)

2000

M 97.3401

Nachrichtenlose Vermögen. Bundesrat muss handeln (N 3.3.1999, Grobet; S 20.6.2000)

2005

P

05.3069

Verschollenerklärung. Änderung des Verfahrens bei Naturkatastrophen (N 17.6.2005, Nordmann)

2010

P

09.4040

Befristung der Aufbewahrungspflicht?

(N 19.3.2010, Fässler-Osterwalder)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1. Oktober 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-2305

7511

Bericht 1

Ausgangslage

In den 1990er-Jahren, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wurden die Schweiz und ihr Finanzplatz ein weiteres Mal mit dem Vorwurf konfrontiert, sich an Vermögenswerten von Opfern des Nationalsozialismus bereichert zu haben1. Die Schweizer Banken unternahmen in der Folge grosse Anstrengungen, dem Sachverhalt auf den Grund zu gehen und, wo Fehler gemacht worden waren, diese zu korrigieren.

1996 wurde ein Komitee unter der Leitung von Paul Volcker eingesetzt. Dieses hatte den Auftrag, die Konten von Opfern des Nationalsozialismus zu identifizieren sowie eine Bewertung darüber abzugeben, wie diese Konten seitens der Schweizer Banken behandelt worden waren2. 1997 wurden mehrere Listen mit nachrichtenlosen Konten veröffentlicht; zur Erledigung geltend gemachter Ansprüche wurde das Claims Resolution Tribunal for Dormant Accounts in Switzerland (CRT) eingerichtet. 1999 stimmten die Credit Suisse (CS) und die UBS AG einem Vergleich in den USA über 1,25 Milliarden Dollar zu, wobei 800 Millionen Dollar für die Befriedigung von Ansprüchen reserviert wurden, die ihren Grund in nachrichtenlosen Vermögenswerten hatten.

Gleichzeitig forderte das Parlament den Bundesrat auf, das rechtliche Regime im Umgang mit nachrichtenlosen Vermögenswerten einer Überprüfung zu unterziehen und ihm die nötigen Änderungen vorzuschlagen3. In Erfüllung dieses Auftrags schickte der Bundesrat im Jahr 2000 den Vorentwurf für ein Bundesgesetz über nachrichtenlose Vermögenswerte (BGNV) in die Vernehmlassung4. Dieses sah Folgendes vor: Die Finanzakteure werden verpflichtet, alles zu unternehmen, um den Kundenkontakt nicht abreissen zu lassen bzw. um den einmal abgebrochenen Kundenkontakt wieder herzustellen. Gelingt dies nicht, muss der Finanzakteur den betroffenen Vermögenswert ­ unter Androhung von Strafe ­ einer staatlichen Nachrichtenstelle melden. Sie publiziert Listen der ihr gemeldeten nachrichtenlosen Vermögenswerte. Bleibt die Publikation erfolglos, fällt der nachrichtenlose Vermögenswert nach Ablauf von 50 Jahren an die Eidgenossenschaft.

1

2

3

4

Ausführlich Barbara Bonhage/Hanspeter Lussy/Marc Perrenoud, Nachrichtenlose Vermögen bei Schweizer Banken ­ Depots, Konten und Safes von Opfern des nationalsozialistischen Regimes und Restitutionsprobleme in der Nachkriegszeit, Herausgegeben von der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz ­ Zweiter Weltkrieg, Bd. 15, Zürich 2001.

Vgl. Independent Committee of Eminent Persons (ICEP), Report on Dormant Accounts of Victims of Nazi Persecution in Swiss Banks/Bericht über nachrichtenlose Konten von Opfern des Nationalsozialismus bei Schweizer Banken, Bern 1999.

P 96.3574 Nabholz «Nachrichtenlose Vermögen»; M 96.3610 Plattner «Nachrichtenlose Vermögen»; M 96.3606 «Nachrichtenlose Vermögen. Meldepflicht»; M 96.3611 Freisinnig-demokratische Fraktion «Nachrichtenlose Vermögen, Bildung eines Fonds»; M 97.3306 Rechsteiner «Erfahrungen mit Vermögenswerten aus der Zeit des 2. Weltkrieges. Rechtliche Konsequenzen»; M 97.3369 «Nachrichtenlose Vermögenswerte auf Schweizer Banken. Schaffung einer bundesrechtlichen Zivilprozessordnung»; M 97.3401 Grobet «Nachrichtenlose Vermögen. Bundesrat muss handeln». Hängig sind heute noch die M 97.3306 Rechsteiner und die M 97.3401 Grobet. Die übrigen Vorstösse wurden im Hinblick auf das neue Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002 abgeschrieben (BBl 2003 6845).

Entwurf und Begleitbericht können über die folgende Internetseite abgerufen werden: http://www.bj.admin.ch/bj/de/home/dokumentation/medieninformationen/2000/27.html

7512

Die Vernehmlassung ergab ein wenig einheitliches Bild. Die Versicherungswirtschaft kritisierte den in ihren Augen zu weit geratenen Geltungsbereich. Die Banken nahmen Anstoss daran, dass der Entwurf der Selbstregulierung ­ sie wurde im Juni 2000 deutlich verstärkt5 ­ nicht Rechnung trug, sondern durch eine öffentlichrechtliche Regelung ersetzte. Für unnötig, ja gefährlich erachtet wurden ferner die Einrichtung einer staatlichen Nachrichtenstelle und die Publikation nachrichtenloser Vermögenswerte. Kritisiert wurde schliesslich der Übergang nachrichtenloser Vermögenswerte an die Eidgenossenschaft. Einige sahen darin eine verfassungswidrige Enteignung, andere bemängelten, dass die Kantone übergangen würden.

Vor diesem Hintergrund hielt der Bundesrat eine gründliche Überarbeitung des Vorentwurfs für unabdingbar. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) setzte zu diesem Zweck eine kleine Expertenkommission ein6, die 2004 einen vollständig überarbeiteten Entwurf für ein umfassendes Bundesgesetz über nachrichtenlose Vermögenswerte vorlegte7. Der Bundesrat lehnte ein solches Gesetz allerdings ab.

Stattdessen beauftragte er 2007 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) mit der Vorbereitung einer neuen Vorlage, die das Problem der nachrichtenlosen Vermögenswerte durch punktuelle Eingriffe ins Obligationenrecht und ins Zivilgesetzbuch lösen sollte. Daraus ging der Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die Teilrevision des Zivilgesetzbuches, des Obligationenrechts und der Zivilprozessordnung (Nachrichtenlose Vermögenswerte) hervor. Am 28. August 2009 eröffnete der Bundesrat darüber die Vernehmlassung, die bis zum 30. November 2009 dauerte8.

5

6

7

8

Vgl. Richtlinien der Schweizerischen Bankiervereinigung über die Behandlung nachrichtenloser Konten, Depots und Schrankfächer bei Schweizer Banken. Die Richtlinie kann über die folgende Internetseite abgerufen werden: http://www.swissbanking.org/114_d.pdf Der Expertenkommission gehörten an: Dr. iur. Luc Thévenoz, Rechtsanwalt, Professor an der Universität Genf, Mitglied der EBK (Präsident); Victor Füglister, lic. iur., Rechtsanwalt, stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schweizerischen Bankiervereinigung (ab Februar 2003 ersetzt durch Alexandra Salib, Rechtsanwältin, Prokuristin der Schweizerischen Bankiervereinigung); PD Dr. iur. Stephan Fuhrer, Mitglied der Direktion Basler Versicherungen, Präsident der Kommission Rechtsfragen Leben des Schweizerischen Versicherungsverbandes, Dr. iur. Beat Kaufmann, stv. Leiter der Abteilung Wirtschaftsund Finanzfragen, EDA (ab Juni 2003 ersetzt durch Christoph Burgener, stv. Leiter Abteilung Wirtschafts- und Finanzfragen, EDA); PD Dr. iur. Felix Schöbi, BJ, Abteilung für Gesetzgebungsprojekte; Dr. iur. Andrea Kiefer, Advokatin, PBV, Rechtsdienst (ab November 2002 ersetzt durch Olivier Salamin, lic.oec., lic.iur., BPV, Rechtsdienst); Dr. iur. Simona Bustini, Sekretariat EBK, Rechtsdienst; Jacqueline Cortesi-Künzi, Fürsprecherin, EFV, Rechtsdienst, Sektionsleiterin.

Das EFD hat die entsprechenden Texte der Expertenkommission zugänglich gemacht unter: http://www.efd.admin.ch > Dokumentation > Zahlen und Fakten > Bundesgesetz über nachrichtenlose Vermögen.

BBl 2009 5939

7513

2

Vorentwurf 2009

2.1

Kontaktpflicht

Im Zentrum des Vorentwurfs von 2009 stand die Verpflichtung der Finanzintermediäre (und damit insbesondere der Banken), das ihnen Zumutbare vorzukehren, um mit dem Gläubiger in Kontakt zu bleiben (Art. 96a Abs. 1 VE-OR). Was zumutbar ist, sagte der Vorentwurf nicht; dies sollte der Praxis überlassen bleiben. Hier gab es denn auch weiterhin Raum für die Selbstregulierung. Allerdings verzichtete der Vorentwurf darauf, die Selbstregulierung explizit als Rechtsquelle aufzuführen, an die sich auch das Zivilgericht zwingend halten müsste.

2.2

Anzeigepflicht

Weiter sah der Vorentwurf vor, dass ein Abbruch des Kontakts zum Gläubiger nach 30 Jahren dem für die Verschollenerklärung zuständigen Gericht angezeigt werden muss (Art. 96a Abs. 2 VE-OR). Vorbehalten sollten Abmachungen bleiben, wonach anderweitig über den nachrichtenlosen Vermögenswert verfügt werden soll (Art. 96a Abs. 3 VE-OR). Damit hätte es der Gläubiger in der Hand, beliebige Vorkehren für den Fall der Nachrichtenlosigkeit zu treffen. Selbstverständlich hätten solche Verfügungen nur insoweit Bestand, als dabei die Schranken der erbrechtlichen Verfügungsfreiheit beachtet werden.

Anders als im Vorentwurf aus dem Jahre 2000 (vgl. Ziff. 1) war im Vorentwurf von 2009 keine strafrechtliche Sanktion für den Fall vorgesehen, dass es der Schuldner unterlässt, nachrichtenlose Vermögenswerte dem zuständigen Gericht anzuzeigen.

Dieser Verzicht auf strafrechtliche Sanktionen wurde damit begründet, dass die Anzeige nachrichtenloser Vermögenswerte auch im Interesse des Schuldners liegt, der sich nur so von seinen vertraglich übernommenen Verpflichtungen befreien kann. Im Übrigen ging der Bundesrat davon aus, dass Banken, die es systematisch unterliessen, nachrichtenlose Vermögenswerte anzuzeigen, kaum mehr Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit bieten (Art. 3 Abs. 2 Bst. c des Bankengesetzes9); sie setzten sich damit aufsichtsrechtlichen Sanktionen bis hin zum Entzug der Geschäftsausübungsbewilligung aus.

2.3

Verschollenerklärung und Erbenruf

Die Anzeige an das für die Verschollenerklärung zuständige Gericht war gemäss Vorentwurf von 2009 nicht Selbstzweck, sondern diente dazu, die Berechtigten schliesslich auch noch in einem behördlichen Verfahren suchen zu können (Art. 38a Abs. 1 VE-ZGB). Weil häufig damit gerechnet werden muss, dass der Berechtigte bereits gestorben ist, hätte das Verfahren mit einem Erbenruf kombiniert werden

9

Bundesgesetz vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG; SR 952.0).

7514

können. Auf diese Weise machte der Entwurf den Weg für eine rechtsstaatlich einwandfreie Liquidation nachrichtenloser Vermögenswerte frei10.

2.4

Erbrecht des Gemeinwesens

Artikel 466 Absatz 2 VE-ZGB sah neu ein Erbrecht der Eidgenossenschaft vor.

Damit wurde die Lücke gefüllt, die sich daraus ergibt, dass das geltende Recht die Frage unbeantwortet lässt, wem in der Schweiz gelegene Vermögensrechte zustehen, wenn der Erblasser keine Erben hinterlässt und er seinen letzten Wohnsitz im Ausland hatte. Die Eidgenossenschaft kam damit nur dann zum Zug, wenn die Voraussetzungen für das Erbrecht des Gemeinwesens nach Artikel 466 ZGB nicht erfüllt sind. Damit wurde der gegenüber dem Vorentwurf aus dem Jahre 2000 erhobene Vorwurf entschärft, wonach einseitig die Eidgenossenschaft von nachrichtenlosen Vermögenswerten profitieren würde.

2.5

Übergangsrecht

Die vorgängig geschilderten Lösungen erachtete der Bundesrat als zu schwerfällig, soweit es um die Liquidation von Vermögenswerten ging, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits seit längerer Zeit nachrichtenlos waren.

Der Bundesrat bezifferte den Wert dieser «Altlasten» auf 400 Millionen Franken.

Von ihnen sollten sich die Banken ohne vorgängige Verschollenerklärung trennen können. Der Liquidationserlös stand dabei je zur Hälfte dem Bund und den Kantonen zu.

3

Ergebnis der Vernehmlassung11

3.1

Befürworter der Vorlage

Der Vorschlag, das Problem nachrichtenloser Vermögenswerte auf privatrechtlicher Grundlage zu lösen und auf eine Spezialgesetzgebung zu verzichten, fand Zustimmung bei allen Kantonen (ausser ZH), wobei BE und BS eine Klärung des Verhältnisses der Vorlage zum Vormundschaftsrecht verlangten. Die Parteien waren gespalten: Die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und die Grüne Partei der Schweiz (GPS) unterstützten die Vorlage. Vorbehalte meldeten die FDP.Die Liberalen (FDP), die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) und die Christlich-soziale Partei (CSP) an: Die FDP befürchtete aufwendige Gerichtsverfahren. Für die SP war die Vorlage zu dürftig, und die CSP trat angesichts der Bedeutung des Themas für den Erlass eines Spezialgesetzes ein.

10

11

Eine Verschollenerklärung von Amtes wegen ist dem geltenden Recht nicht fremd. Dazu kommt es, wenn Vermögenswerte eines Verschwundenen während zehn Jahren in amtlicher Verwaltung standen oder der Verschwundene 100 Jahre alt geworden wäre (Art. 550 Abs. 1 ZGB).

Der umfassende Vernehmlassungsbericht samt der Liste der Vernehmlassungsteilnehmer findet sich auf der der folgenden Internetseite: http://www.bj.admin.ch/bj/de/home/ themen/wirtschaft/gesetzgebung/nachrichtenlosevermoegen.html

7515

3.2

Gegner der Vorlage

Dem Vorentwurf opponierten economiesuisse und swissbanking. Zusammen mit ZH bejahten sie zwar einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Sie hielten aber eine öffentlich-rechtliche Lösung des Problems nachrichtenloser Vermögenswerte, wie sie den Vorentwürfen aus den Jahren 2000 und 2004 zu Grunde lag, für sachgerechter als die vorgeschlagenen Ergänzungen des Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechts. Begründet wurde dies wie folgt: ­

Eine öffentlich-rechtliche Regelung verdient wegen ihrer territorialen Geltung den Vorzug; sie gilt für alle Finanzintermediäre in der Schweiz, unabhängig von den Relativierungen durch das internationale Privatrecht bei Kunden mit letztem Domizil im Ausland.

­

Eine öffentlich-rechtliche Regelung dispensiert davon, eine Person allein deswegen für verschollen erklären zu müssen, weil sie in der Schweiz nachrichtenlose Vermögenswerte hinterlassen hat.

­

Eine öffentlich-rechtliche Regelung kann analog zur Verwirkung konzipiert werden. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass Melde- und Ablieferungspflicht nicht die Folge einer konstruierten Verschollenheit sind, sondern auf die Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit des Kunden zurückgehen.

Ganz auf eine Vorlage verzichten wollte schliesslich der Verband Schweizerischer Vermögensverwalter (VSV). Nach ihm genügt die heutige Selbstregulierung.

3.3

Kritik am Inhalt der Vorlage

Viele Vernehmlassungsteilnehmer und insbesondere auch die Kantone, die die Vorlage im Grundsatz befürworteten (vgl. Ziff. 3.1), lehnten jene Vorschläge ab, die auf ein Erbrecht der Eidgenossenschaft zielten (Art. 446 und 550 Abs. 2 VE-ZGB sowie Übergangsbestimmungen): AG, AR, BE, BS, BL, FR, JU, SG, SH, SO, SZ, VD; Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren [FDK]). Der Übergang des Eigentums an den Bund sollte allenfalls bloss bedingt sein, da ein definitiver Verlust zu stark in die Eigentumsgarantie eingreift (SVP).

Umgekehrt bestanden grosse Zweifel, ob die Selbstregulierung zur Erreichung des angestrebten Ziels genügte (SZ; GPS; Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB]).

Gefordert wurden stattdessen Kriminal- oder Verwaltungsstrafen für jene Finanzintermediäre, die sich nicht ans Gesetz hielten (GE). Zumindest das Missachten der Pflicht zur Anzeige nachrichtenloser Vermögenswerte sollte unter Strafe gestellt (FR, SO, CSP) oder die Frage sollte nochmals genau überprüft werden (SGB). Die SP verlangte in diesem Punkt auf jeden Fall eine öffentlich-rechtliche Lösung sowie eine zentrale Meldestelle für alle nachrichtenlosen Vermögenswerte.

7516

4

Würdigung und weiteres Vorgehen

Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass aus Sicht einer Mehrheit im Bereich nachrichtenloser Vermögenswerte weiterhin Handlungsbedarf besteht. Bestätigt hat sich aber auch, dass die Meinungen darüber, wie diesem zu entsprechen ist, stark auseinandergehen. Während die einen mit einer gesetzlichen Neuordnung im Wesentlichen die Bestätigung des Status quo vor Augen haben, treten andere für eine umfassende Neuordnung im Umgang mit nachrichtenlosen Vermögenswerten ein. Eine weitere Erkenntnis der Vernehmlassung besteht darin, dass die von der Thematik am stärksten Betroffenen ­ die Banken ­ der im Vorentwurf vorgeschlagenen privatrechtlichen Lösung skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Sie halten diese für nicht praktikabel, insbesondere im Umgang mit ausländischen Kunden und im Fall kleiner Beträge.

Der Bundesrat will dieser Kritik Rechnung tragen. Er legt dem Parlament deshalb zusammen mit diesem Bericht eine Zusatzbotschaft12 zur Botschaft vom 12. Mai 201013 zur Änderung des Bankengesetzes (Sicherung der Einlagen) vor. Das Parlament erhält so die Möglichkeit, zusammen mit der Neuregelung der Sicherung der Einlagen auch das Problem nachrichtenloser Vermögenswerte einer tragfähigen Lösung zuzuführen. Die Zusammenfassung der beiden Anliegen macht deshalb Sinn, weil sich bereits der Entwurf zur Änderung des Bankengesetzes14 zur Frage der nachrichtenlosen Vermögenswerten äussert, indem hier der Weg dafür freigemacht wird, dass die Banken ihre nachrichtenlosen Vermögenswerte zentral bewirtschaften (Art. 37l E-BankG).

5

Konnexe Vorstösse

5.1

Postulat Nordmann (05.3069)

Zusammen mit der Neuregelung nachrichtenloser Vermögenswerte hat der Bundesrat das Postulat 05.3069 Nordmann «Verschollenerklärung. Änderung des Verfahrens bei Naturkatastrophen» geprüft. Auch in diesen Fällen stellt sich nämlich die Frage, wie man sich zu verhalten hat, wenn unklar ist, ob der Gläubiger beziehungsweise der Eigentümer überlebt hat.

Nach geltendem Recht wird eine Person, deren Leiche man nie gefunden hat, für tot erklärt, wenn sie unter Umständen verschwunden ist, die ihren Tod als sicher erscheinen lassen (Art. 34 ZGB). Demgegenüber genügt es für die Verschollenerklärung, dass der Tod dieser Person höchst wahrscheinlich ist, sei es wegen der Umstände ihres Verschwindens oder weil seit langer Zeit kein Kontakt mehr zu dieser Person bestand (Art. 35 ZGB).

Die Unterscheidung zwischen sicherem Tod einer Person (trotz Fehlen einer Leiche) und ihrem bloss höchst wahrscheinlichen Tod ist nicht in jedem Fall leicht. Bei der Tsunami-Katastrophe befürchtete man deshalb, dass die Frage von Gericht zu Gericht unterschiedlich beantwortet werden könnte. Diese Befürchtung hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Der Grund dafür liegt hauptsächlich darin, dass schliesslich nur fünf Schweizer Opfer zu beklagen waren, die man nicht einwandfrei identi12 13 14

BBl 2010 7495 BBl 2010 3993 BBl 2010 4039

7517

fizieren konnte. Im einzig publik gewordenen Fall wurde die betroffene Person schliesslich aufgrund der konkreten Umstände ihres Verschwindens vom zuständigen Gericht für tot erklärt15.

Bei künftigen Katastrophen eröffnet Artikel 127 der Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO)16 ­ sie tritt am 1. Januar 2011 in Kraft ­ die Möglichkeit, sämtliche Verfahren beim zuerst befassten Gericht zu konzentrieren.

Man denke beispielsweise an den Absturz eines Flugzeugs über den Alpen, ohne Aussicht darauf, die Leichen bergen und identifizieren zu können17. Damit ist sichergestellt, dass die Beurteilung, ob eine Person für tot oder für verschollen erklärt wird, nach einheitlichen Kriterien erfolgt.

Die Erben müssen im Fall der Verschollenerklärung für eine beschränkte Zeit Sicherheit leisten, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die für verschollen erklärte Person später wieder auftaucht (Art. 546 ff. ZGB). Im Fall nachrichtenloser Vermögenswerte ist davon auszugehen, dass die Frist für die Sicherstellung im Moment der Verschollenerklärung in der Regel längstens abgelaufen ist. Die Erben können damit über nachrichtenlose Vermögenswerte in der Regel frei verfügen.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht diesbezüglich nicht.

5.2

Postulat Fässler-Osterwalder (09.4040)

Am 2. Dezember 2009 reichte Frau Nationalrätin Fässler-Osterwalder das Postulat 09.4040 «Befristung der Aufbewahrungspflicht?» ein. Darin wurde der Bundesrat aufgefordert, das Problem der Aufbewahrungspflicht zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten. Dabei sei insbesondere die Ungewissheit über die Dauer der Aufbewahrungspflicht zu beseitigen. Konkret wurde im Postulat das Beispiel des Velomechanikers erwähnt, der auf seiner Forderung für die Reparatur sitzen bleibt, weil der Kunde das Velo später nicht mehr abholt. Der Nationalrat hat das Postulat am 19. März 2010 angenommen.

15

16 17

Vgl. das Urteil des Amtsgerichts Luzern-Land vom 4. Oktober 2005. Hier wurde das mutmassliche Opfer der Tsunami-Katastrophe für tot erklärt und dies folgendermassen begründet (SJZ 2006, 235 und ZBGR 2007, 86): «Am 26. Dezember 2004 kam es zur Tsunami-Katastrophe. Es ist bekannt, dass Khao Lak besonders verheerend getroffen wurde. Die Welle traf Khao Lak und zerstörte das Hotel Sofitel Magic Lagoon kurz nach 10.00 Uhr, also zu einer Zeit, als die meisten Gäste beim Frühstück oder noch in ihren Zimmern waren. Gemäss Schreiben der Vertreterin der Accor-Gruppe ragte die Welle bis an die Decke des 2. Geschosses, wo sich auch das Zimmer von C und D befand. Nach dem Tsunami wurden am Unglücksort die Leiche von D und stark verschmutzte Effekten von C und D geborgen. [...] Aufgrund der Tragweite der Naturkatastrophe vom 26. Dezember 2004 und der dargestellten Umstände des Verschwindens von C steht mit rechtsgenügender Sicherheit fest, dass dieser durch die Tsunami-Katastrophe getötet worden ist.» AS 2010 1739 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Absturz eines Flugzeugs der Swissair vor der Küste von Halifax. Damals stellten die kanadischen Behörden aufgrund der Passagierlisten und ohne dass die Leichen hätten geborgen werden können für sämtliche Passagiere und die Crew Todesscheine aus, die anschliessend von den Schweizer Behörden gestützt auf Artikel 32 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) anerkannt wurden (vgl. Schreiben des Eidg. Amtes für das Zivilstandswesen vom 22. September 1998 an die kantonalen Aufsichtsbehörden in Zivilstandssachen, Flug Swissair SR 111: Absturz ins Meer nahe der Küste der Provinz Neuschottland, Kanada; Eintragung der Todesfälle durch die Zivilstandsämter, Zeitschrift für das Zivilstandswesen 1998, S. 292 f.).

7518

Das Postulat Fässler-Osterwalder wirft die gleichen rechtlichen Fragen auf, die sich auch im Umgang mit nachrichtenlosen Vermögenswerten stellen. In beiden Fällen will der Schuldner seinen Verpflichtungen nachkommen; er kann den Gläubiger aber nicht erreichen beziehungsweise dieser ist nicht kooperativ. Es liegt deshalb nahe, das Postulat Fässler-Osterwalder an dieser Stelle zu prüfen.

Der Hinterlegungsvertrag ist in Artikel 472 ff. OR geregelt. Dabei schweigt sich das Gesetz darüber aus, was geschieht, wenn der Hinterleger die ihm gehörende Sache nicht mehr abholt. Die sich dabei stellenden Fragen sind deshalb nach den allgemeinen Prinzipien des Vertragsrechts zu lösen. Angesprochen ist dabei in erster Linie die Vertragsfreiheit. Es ist grundsätzlich den Vertragsparteien überlassen, wie sie den Fall regeln wollen, dass der Hinterleger die ihm gehörende Sache nicht mehr abholt. Entsprechend kann sich der Aufbewahrer im Hinterlegungsvertrag beispielsweise ermächtigen lassen, die hinterlegte Sache zu verkaufen oder gar zu vernichten, wenn der Hinterleger sie nicht binnen einer bestimmten Frist abholt.

Fehlt es an einer solchen Abmachung (weil die Vertragsparteien nicht mit einer solchen Entwicklung rechnen), gelten die Regeln über den Gläubigerverzug. Danach ist der Schuldner ­ im Kontext des Hinterlegungsvertrags handelt es sich dabei um den Aufbewahrer ­ berechtigt, die Sache auf Gefahr und Kosten des Gläubigers bei einem Dritten zu hinterlegen, um sich so von seiner vertraglich übernommenen Verbindlichkeit zu befreien (Art. 92 Abs. 1 OR). Ist die weitere Hinterlegung der Sache nicht tunlich, kann der Schuldner die Sache nach vorgängiger Androhung auch öffentlich verkaufen lassen. Allerdings ist dafür eine Bewilligung des Gerichts nötig (Art. 93 Abs. 1 OR). Eine vorgängige Androhung und ein öffentlicher Verkauf erübrigen sich hingegen dann, wenn die Sache einen Börsen- oder Marktpreis hat oder sie im Verhältnis zu den Kosten der Aufbewahrung von geringem Wert ist (Art. 93 Abs. 2 OR). Der Verkaufserlös ist dem Hinterleger auszuhändigen, wobei dafür die ordentliche Verjährungsfrist von zehn Jahren gilt (Art. 127 OR). Der Aufbewahrer kann dabei vom Erlös die Kosten abziehen, die die Aufbewahrung beziehungsweise der Verkauf verursacht haben. Ebenso kann er die Kosten einer allfälligen Reparatur
abziehen. Es liegt ein Fall von Verrechnung vor (Art. 120 ff.

OR).

Nach Auffassung des Bundesrats hat sich das geschilderte Regime bewährt, und es besteht diesbezüglich kein Handlungsbedarf. Gewiss mag es für den Aufbewahrer manchmal schwierig sein zu beurteilen, ob er nun verpflichtet ist, die Sache aufzubewahren oder ob er diese (freihändig) verkaufen darf. Solche Schwierigkeiten sind aber nichts Besonderes, sondern einer Privatrechtsordnung eigen, die auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit aufbaut und im Übrigen auf Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe setzt. Ist der Aufbewahrer nicht gewillt oder in der Lage, die Verantwortung für sein Handeln selber zu übernehmen, hat er immer noch die Möglichkeit, sich vom Gericht ermächtigen zu lassen.

Darüber hinaus gehende Schwierigkeiten haben ihre Ursache nicht in den Mängeln des geltenden Rechts, sondern in der fehlenden Solvenz des Gläubigers. Zu denken ist dabei vor allem an jene Mieter, die die gemietete Wohnung bei Beendigung des Mietverhältnisses nicht räumen. Hier sieht sich der Vermieter nicht selten vor die Tatsache gestellt, dass ihn die Räumung der Wohnung mehr kostet, als er beim Verkauf der vom Mieter zurückgelassenen Sachen erhält. Abhilfe kann hier keine noch so gute Gesetzgebung schaffen, sondern bloss die eigene Vorsorge, indem der Vermieter vom Mieter bei Vertragsabschluss entsprechende Sicherheiten verlangt (Art. 257e OR).

7519

6

Fazit

Die in den letzten zehn Jahren unternommenen Versuche, den Umgang mit nachrichtenlosen Vermögenswerten neu zu regeln, haben gezeigt, wie schwierig dieses Unterfangen ist. Sowohl eine umfassende öffentlich-rechtliche Regelung wie auch punktuelle Ergänzungen des Zivilrechts und des Obligationenrechts haben sich nicht als zielführend entpuppt. Sinn macht hingegen eine Ergänzung des Bankengesetzes, die nicht nur den Weg für eine zentrale Bewirtschaftung nachrichtenloser Vermögenswerte freimacht, sondern auch regelt, was mit diesen Vermögenswerten geschieht, wenn sich schliesslich trotz aller Bemühungen kein Kundenkontakt mehr herstellen lässt. Ein darüber hinausgehender Regelungsbedarf im Umgang mit nachrichtenlosen Vermögenswerten besteht nicht. Der Bundesrat beantragt deshalb dem Parlament, die diesbezüglichen parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben.

7520