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Bundesblatt 103. Jahrgang

Bern, den 8. Februar 1951

Band I

Erscheint wöchentlich. Preis US Franken im Jahr,15S franken imHalbjahrrzuzüglichi Nachnahme- and Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. in Bern

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das für die Einführung des Frauenstimmrechts einzuschlagende Verfahren (Vom 2. Februar 1951) Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Am 21. Dezember 1950 hat der Nationalrat ein von Nationalrat von Boten und 24 Mitunterzeichnern eingereichtes Postulat angenommen, das folgenden Wortlaut hat: «Der Bundesrat wird eingeladen, den Katen Bericht zu geben über den Weg, auf dem die politischen Rechte auf die Schweizerfrauen ausgedehnt werden können. »

Der Vertreter des Bundesrates hat, indem er dieses Postulat zur Prüfung entgegennahm, einen Bericht für die nächste Session in Aussicht gestellt.

Wir beehren uns hiermit, Ihnen diesen Bericht zu unterbreiten.

I.

Soll sich der Bundesrat über den einzuschlagenden Weg äussern, so ist vor allem zu prüfen, ob die Einführung des Frauenstimmrechtes in eidgenössischen.Angelegenheiten nur über den Weg einer Vorfassungsrevision geht und, wenn dies der Fall ist, ob eine Partialrevision gegenüber einor Einführung auf dem Wege der Totalrevision den Vorzug verdient.

Dass der Weg über eine Verfassungsrevision gehen muss, werden wir später dartun.

Zur Frage Totalrevision oder Partialrevision nur so viel: Wir glauben nicht, dass eine Totalrevision die geeignete Gelegenheit wäre, obschon selbstverständlich auch dieser Weg eingeschlagen worden könnte. Der Schweizerbürger, der über das Projekt einer Totalrevision abzustimmen hat, kann Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. I.

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342 sich allein über die Frage des Frauenstimmrechts nicht aussprechen. Auch wenn er für das Frauenstirinurecht ist, lehnt er vielleicht das vorgelegte Projekt zu einer Totalrevision aus andern Überlegungen ab, und wenn er für eine Totalrévision ist, welche das Frauenstimmrecht vorsieht, so ist damit noch nicht ohne weiteres gesagt, dass er wirklich auch das Frauenstimmrecht wünscht.

Er würde nur nicht aus diesem Grunde allein die Totalrevision verwerfen.

Die Aufnahme einer Bestimmung über das Frauenstimmrecht in den Entwurf zu einer neuen Verfassung könnte, bevor die Frage auf dem Wege einer Teilrevision gelöst worden ist, das Projekt einer Totalrevision vielleicht eher belasten. Alle diese Überlegungen sprechen eher dafür, dass die Forderung losgelöst von allen andern Problemen, die bei einer Totalrevision zur Sprache kommen, behandelt werden sollte. Der Weg über die Partialrevision ist der kürzere, das ist klar.

Dass das Frauenstimmrecht auf dem Wege der Teure vision, eingeführt werden kann, unterhegt keinem Zweifel. Es wäre sogar möglich, mit einer ein-zigen Bestimmung auszukommen, indem in Artikel 4 als zweiter Absatz etwa beigefügt würde: «In eidgenössischen Angelegenheiten haben Männer und Frauen, die das Schweizerbürgerrecht besitzen, die gleichen politischen Kechte und Pflichten. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die Wehrpflicht.» Eventuell könnte im Zusammenhang damit in Artikel 43 oder 74 eine ähnliche Vorschrift aufgenommen werden.

Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass durch eine solche Bestimmung eine Eeihe anderer Vorschriften der Verfassung inhaltlich verändert würden, weil dort ohne nähere Präzisierung von «Schweizerbürgern» oder einfach von «Schweizern» oder von «Bürgern» die Eede ist. In einzelnen Fällen werden darunter zwar heute schon beide Geschlechter verstanden, so dass keine Veränderung eintreten würde, in andern aber sind nur die Männer gemeint.

Diese Verschiedenheiten bedeuten nun aber nicht, dass der Text jeder dieser Vorschriften abgeändert werden muss. Denn es kann durch die Formulierung der neuen Bestimmung hinreichend zum Ausdruck gebracht werden, dass unter «Schweizerbürgern» immer beide Geschlechter zu verstehen sind, soweit die Verfassung nicht eine Ausnahme macht.

H.

Ob die Mehrheit der Schweizerfrauen das Frauenstimmrecht wirklich wünscht, ist zur Stunde noch nicht abgeklärt. Deshalb wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht eine Art Probeabstimmung im Sinne einer Statistik durchgeführt werden könnte. Massgebend hiefür wäre das Bundesgesetz vom 28. Juli 1870 betreffend die amtlichen statistischen Aufnahmen in der Schweiz. Dieses bestimmt in Artikel l : «Amtliche statistische Aufnahmen und Zählungen, welche sich auf die ganze Schweiz erstrecken und in gewissen. Perioden wiederkehren sollen, können nur durch Beschluss der Bundesversammlung angeordnet werden.

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Sofern dagegen eine aufzunehmende statistische Erhebung nur eine einmalige ist, oder eine solche, zu welcher das Material nicht neu gesammelt werden nmss, steht die Anordnung derselben in der Befugnis des Bundesrates.» Und Artikel 2 fügt bei: «In dem einen wie in dem andern Falle sind die Kantonsbehörden verpflichtet, der vollziehenden Bundesbehörde innert der festgesetzten Termine die verlangten formularmässigen Angaben verifiziert zugehen zu lassen.» Diese Vorschriften haben zwar unmittelbar wohl nur die Aufnahme und Zählung objektiver Daten im Auge. Trotzdem wäre es wahrscheinlich nicht ausgeschlossen, auch eine Willensäusserung über die Einführung des Frauenstimmrechtes zum Gegenstand einer statistischen Aufnahme zu machen. Selbstverständlich müsste dabei vollständige Freiheit gewahrt werden. Eine staatliche Einmischung dürfte nicht stattfinden. Es wäre fraglich, ob sich alle Frauen beteiligen würden, sicher aber diejenigen, welche für die Einführung des Frauenstiramrechts sind. Schon das würde aber ein deutliches Bild geben.

Der Bundesrat hat nun vorgängig die Kantonsregierungen am 28. Juli 1950 angefragt, wie sie über eine Probeabstimmung im Sinne einer statistischen Aufnahme denken und hat sie um Stellungsnahme gebeten.

Dazu haben 8 ganze Kantone (Zürich, Luzern, Glarus, Freiburg, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und Tessin) und 5 Halbkantone (Obwalden, Nidwaiden, Baselstadt und beide Appenzell) sich durchaus ablehnend ausgesprochen. Als Hauptgrund dagegen führen sie an, eine solche Abstimmung würde ein unrichtiges Bild ergeben, da vorauszusehen sei, dass ein grosser Teil der gegnerisch eingestellten Frauen an der Probeabstimmung nicht teilnehmen würde; ausserdem wird auf die Schwierigkeiten und auf die hohen Kosten hingewiesen. Als wünschenswert ist diese Abstimmung nur von den Kantonen Waadt, Uri, Schwyz und Basel-Landschaft bezeichnet worden, wobei die letzteren beiden gewisse Vorbehalte machen ; der Kanton Bern will der Probeabstimmung nicht jeden Wert absprechen ; Neuenburg hält sie für möglich und nicht kompliziert, während Genf sich bereit erklärt, die nötige Organisation durchzuführen. Zug und Aargau weisen lediglich auf die Schwierigkeiten hin. Der Antwort der Begierung des Kantons Wallis ist zu entnehmen, es könne nicht behauptet werden, dass die WaUiserfrauen im allgemeinen
viel Interesse für die Erwerbung des Frauenstimmrechts zeigten.

Angesichts dieses Ergebnisses möchte der Bundesrat von der Empfehlung einer Probeabstimmung Umgang nehmen.

III.

Der Nationalrat hat am 12, Dezember 1945 ehi Postulat angenommen, das Nationalrat Oprecht am 16. Juni 1944 mit 51 Mitunterzeichnern eingereicht hatte, und das folgendermassen lautet: «Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht verfassungsrechtlich das Fraueristimm- und -Wahlrecht zu gewährleisten sei.»

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Zur bessern Abklärung der damit aufgeworfenen Frage richtete das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am 20, Mai 1946 ein Kundschreiben an die Staatskanzleien sämtlicher Kantone, in welchem diese um Mitteilung bestehender kantonaler Erlasse über politische Rechte der Frauen, im .Sinne des aktiven Stimm- und Wahlrechts und der Wahlfähigkeit in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten, sowie schwebender Begehren auf Einführung oder Erweiterung der politischen Rechte der Frauen ersucht wurden. Am 28. Juli 1950 wurden die Kantone ersucht, die seit dem Jahre 1946 eingetretenen Änderungen mitzuteilen. Über das Ergebnis dieser Bundfrage gibt die folgende Übersicht Auskunft.

Im K a n t o n Zürich wurde folgende Bestimmung in die Kantonsyerfassung (Art. 16) aufgenommen: «Die Gesetzgebung hat zu bestimmen, inwieweit bei der Besetzung öffentlicher Ämter das Stimmrecht und die Wählbarkeit auch Schweizerbürgerinnen verliehen werden kann.» Es wurden jedoch keine Ausführungsvorschriften erlassen.

Ein Initiativbegehren vom Jahre 1919, das die volle Gleichberechtigung der Frauen verlangte, wurde in der Volksabstimmung vom 8. Februar 1920 mit 88 595 Nein gegen 21 631 Ja abgelehnt.

Eine neue Gesetzesvorlage vom 20. November 1922 wollte den Frauen das aktive Wahlrecht nur für Wahlen von Kirchen-, Schul-, Armen- und Vormundschaftsbehörden der Gemeinden, von Bezirksschul- und Bezirkskirchenpflegen sowie von Primarschul- und Sekundarscbullehrern und Geistlichen verleihen.

Ebenso sollte die Wählbarkeit der Frauen, mit Ausnahme des Pfarramtes, auf diese Ämter erstreckt werden. In der Volksabstimmung vom 18. Februar 1923 wurde die Vorlage aber mit 76 413 Nein gegen 28 615 Ja abgelehnt.

In der neuesten Volksabstimmung vorn 30. November 1947 wurde die von der Minderheit des Kantonsrates durch die sogenannte Initiative verlangte Einführung des integralen Frauenstimmrechts mit 134 599 Nein gegen 39 018 Ja verworfen. Auch der Gegenvorschlag des Käntonsrates auf Einräumung eines Wahlrechts für beschränkte Sachgebiete unterlag mit 112 176 gegen 61 360 Stimmen.

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K a n t o n Bern: Stimm- und wahlberechtigt sind die Frauen nur in den Kirchgemeinden.

Eine Petition vom 16. Mai 1945 mit 50 118 Unterschriften (von 38 263 Frauen und 11 855 Männern) schlug die Aufnahme einer Bestimmung vor, wonach die Einwohnergerneinden
ermächtigt wären, den in ihrem Gebiete niedergelassenen Schweizerbürgerinnen das volle Stimm- und Wahlrecht zu verleihen. Der Begierungsrat beantragte, die Hechte der Frauen in G-.emeindeangelegenheiten zu erweitern. Die Kommission des Grossen Bates hat beschlossen, Nichteintreten zu beantragen. Die Weiterbehandlung ist im Einverständnis mit dem Begierungsrat zurückgestellt worden.

Kanton Luzern: Eine Motion vom 9. Mai 1944/15. Mai 1945 auf Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts und des Stimmrechts der Frauen wurde vom Grossen Bat am 12. Februar 1946 erheblich erklärt.

345 Im Kanton Glarus wurde im Jahre 1921 ein Antrag auf Einführung des Frauenstiinmrechts an der Landsgemeinde mit grosser Mehrheit abgelehnt.

Kanton Freiburg: Einer im November 1945 im Grossen Eat begründeten Motion wurde nicht Folge gegeben. Eine neue Motion wurde im November 1950 im Grossen Bat gestellt, und die Eegierung wird sie in der in diesem Monat bevorstehenden Session beantworten.

Kanton Solothurn: Eine Vorlage über die teilweise Einführung deg Frauenstimmrechts (in Schule, Vormundschafts-, Gesundheits-, Fürsorge- und Kirchenwesen) wurde in der Volksabstimmung vom 14. September 1948 knapp, nämlich mit 9535 Nein gegen 9858 Ja abgelehnt.

Kanton B a s e l s t a d t : In der Volksabstimmung vorn S.Februar 1920 wurde die vom Grossen Bat mit 63 gegen 34 Stimmen angenommene Vorlage über die Einführung des Frauenstimmrechts mit 12 455 Nein gegen 6711 Ja verworfen.

Am 24. März 1927 nahm sodann der Grosse Bat eine Initiative auf Einführung des Frauenstimmrechts mit 66 gegen 41 Stimmen an; sie unterlag jedoch in der Volksabstimmung vom 14./15. Mai 1927 mit 14917 gegen 6152 Stimmen, Ebenso wurde in der letzten Volksabstimmung vom 16. Juni 1946 eine neue Vorlage mit 19 892 Nein gegen 11 709 Ja abgelehnt. Hingegen hat der Grosse Bat am 14. November 1950 auf Antrag des Begierungsrätes in der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs über den Ausbau der Bechtspflege beschlossen, für die Wahl als Beisitzer in den Gewerbegerichten auch Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen als wahlberechtigt und wahlfähig zu erklären.

Kanton Baselland: In einer Volksabstimmung vom Jahre 1926 wurde eine Vorlage auf teilweise Einführung des Frauenstimmrechts (in Schul-, Kirchen- und Armenpflege) mit 3332 Nein gegen 3164 Ja abgelehnt.

Im August 1945 unterbreitete die Begierung dem Landrat einen neuen Vorschlag auf Einführung des Frauenstimmrechts. Der dem Volk vorgelegte Entwurf wurde aber in der Abstimmung vom 7. Juli 1946 mit 10 480 Nein gegen 8784 Ja abgelehnt.

K a n t o n St. Gallen: Im Jahre 1921 wurde eine Vorlage mit 26 166 Nein gegen 12 114 Ja abgelehnt.

Dasselbe Schicksal hatte, bei einem Stimmenverhältnis von 23867 Nein gegen 18 227 Ja, eine neue Vorlage vom Jahre 1925.

Schliesslich wurde eine am 16. Mai 1946 angenommene Motion auf Einführung des Frauenstimmrechts am 8. Mai. 1947 wegen Aussichtslosigkeit
abgeschrieben, Kanton Aargau: Nach Artikel 68Ms, Absatz 2 und 3, der Staatsverfassung sind die Landeskirchen berechtigt, das Stimmrecht in kirchlichen Angelegenheiten und die Wahlfähigkeit auch Frauen zu gewähren, ebenso Ausländern mit mindestens fünfjährigem Aufenthalt. Das ist aber bisher nicht geschehen.

Ein Antrag des Begierungsrates vom 21. Dezember 1945, das Stimm- und Wahlrecht der Frau für Gemeindeangelegenheiten einzuführen, wurde vom Grossen Bat am 28. Januar 1947 mit 88 gegen 67 Stimmen abgelehnt.

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Kanton Thurgau: Eine Motion vom 7. Februar 1946 wurde erheblich erklärt, jedoch am 22. Dezember mit Eücksicht auf den negativen Ausgang verschiedener kantonaler Volksabstimmungen vom Motionär zurückgezogen und abgeschrieben.

Kanton Tessin: Ein vom Grossen Rat mit 31 gegen 12 Stimmen angenommener Vorschlag auf Gleichstellung der Frauen wurde in der Volksabstimmung vom 3. November 1946 mit 14 093 Nein gegen 4174 Ja abgelehnt.

Kanton W a a d t : Der Grosse Rat hat am 4. Dezember 1950 ein Dekret angenommen, das dio Kantonsverfassung in dem Sinne abändert, dass die Gemeinden ermächtigt werden, den Frauen das Recht einzuräumen, an den Gemeindeabstimmungen und -wählen teilzunehmen. Über dieses Dekret wird das Volk am 24./2S. Februar 1951 abstimmen.

Kanton Wallis: Eine Motion von Roten auf Einführung des Frauenstimmrechts ist noch nicht behandelt worden.

Kanton Neueuburg: In einer Volksabstimmung vom Jahre 1919 wurde die Frage des Frauenstimmrechts mit 12 058 Nein gegen 5365 Ja abgelehnt.

Ein vom Grossen Rat mit 54 Ja gegen 22 Nein angenommener Entwurf, wonach die Frauen das Stimm- und Wahlrecht in Gemeindesachen hätten erhalten sollen, wurde in der Volksabstimmung vom 13./14. März 1948 mit 14 982 gegen 7316 Stimmen verworfen.

Kanton Genf: Nachdem in den Jahren 1918 und 1919 zwei Anträge im Grossen Rat keinen Erfolg gehabt hatten, stimmte dieser im Jahre 1921 der Einführung des Frauenstimmrechts zu. In der Volksabstimmung vom 21. September 1921 wurde aber die Vorlage mit 14 169 Nein gegen 6634 Ja abgelehnt.

Ein neuer Vorschlag vom Jahre 1980 wurde vom Grossen Rat nicht behandelt.

Im Jahre 1988 kam eine Volksinitiative mit 5015 Unterschriften zustande.

Der Grosse Rat lehnte sie im Dezember 1940 mit 39 Nein gegen 82 Ja ah, ebenso das Volk mit 17 894 Nein gegen 8489 Ja.

Die neueste Vorlage ist in der Volksabstimmung vom 12. September 1946 mit 14 076 gegen 10 930 Stimmen verworfen worden.

Aus dieser Übersicht geht hervor, dass bis jetzt noch kein einziger Kanton sich für das uneingeschränkte Stimm- und Wahlrecht der Frauen ausgesprochen hat. Vorbehalten bleibt die Stimm- und Wahlberechtigung in kirchlichen Angelegenheiten.

Dem Aufbau unserer Schweizerischen Eidgenossenschaft entspräche es sicher besser, wenn vorerst in Fragen der Kirchgemeinde, des Vormundschaftswesens, in Bereichen des Armenwesens
sowie der Erziehung in Gemeinde und Kanton den Frauen das Stimmrecht eingeräumt würde. Ihre Erfahrungen, ihre Kenntnisse, ja ihre ganz besondere Eignung für solche Aufgaben lassen es als besonders begründet erscheinen, dass sie vor allem dort aktiv und passiv wahlund stimmberechtigt sein sollten. Wäre es nicht etwas eigenartig und würde es nicht dem Wesen unseres föderativen Staates widersprechen, wenn zwar in

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den Gemeinden und Kantonen für Fragen, für welche die Frauen besonders geeignet sind, Stimm- und aktives und passives Wahlrecht nicht oder nur vereinzelt bestehen, in eidgenössischen Fragen aber der Schritt zuerst gemacht werden soll? Aber trotzdem: man hat ja den Weg der Volksinitiative. Nichts steht einer solchen hindernd entgegen, und wenn die entschiedenen Befürworter des Frauenstiininrechtes der Auffassung sind, der Entscheid solle jetzt und nicht erst später fallen, dann ist die Bahn ja frei, genau so frei, wie das in den Kantonen der Fall war und ist. Die nötige Zahl der Unterschriften würde sich ohne weiteres finden, ist doch die Petition vom 6. Juni 1929 neben 170 397 Frauen von 78 840 Männern unterzeichnet worden. Die Schweizerfrauen haben während der Zeit des 2. Weltkrieges und schon in den vorangegangenen Jahren so viel für unser Land getan, wohlverstanden ohne ihre Leistungen irgendwie mit der Frage des Frauenstimmrechtes zu verbinden, dass sich sicher, schon nur aus Dankbarkeit, noch mehr Unterschriften für eine Initiative finden lassen werden, als dies bei der Petition vom 6. Juni 1929 der Fall war.

Ob ein allenfalls vorzeitiger negativer Entscheid die Verwirklichung des Frauenstimmrechtes nicht eher hinausschiebt, wäre freilich vielleicht noch der Überlegung wert.

Wir wollen übrigens doch nicht vergessen, dass sich die Ausübung des Stimm- und Wahlrechtes nicht einfach mit derjenigen im Ausland vergleichen lässt, wo es sich meistens nur um ein aktives und passives Wahlrecht handelt.

Das Schweizervolk wird so oft zur Urne gerufen und in eidgenössischen Angelegenheiten so manches Mal zu recht komplexen, nicht immer einfachen Entscheiden eingeladen, dass die Ansicht, der wirkliche Einfluss der Frau komme am besten zuerst in Gemeinden und Kantonen zur Geltung, nicht einfach von der Hand zu weisen ist.

Falls aber die Auffassung vertreten wird, die eidgenössischen Hate sollten dem Bundesrat den bestimmten Auftrag erteilen, j e t z t , ohne länger zu warten, ein Projekt zu einer Teilrevision der Verfassung auszuarbeiten, dann steht der Weg der Motion zur Verfügung, hält doch auch der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht in seiner Druckschrift vorn September 1950 auf Seite 5 dafür, dass Artikel 4 der Verfassung geändert werden sollte.

IV.

Beim Bundesrat ist ein vom 25. November 1950 datiertes Gesuch des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht eingelangt, worin gewünscht wird, es sei Artikel 10 des Bundesgesetzes betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juni 1874 zu ergänzen, so dass^zum Beispiel nach den Worten «Stimmberechtigt ist jeder Schweizer. .. » die Worte «ob Mann oder Frau ^eingefügt werden. Danach würde Artikel 10 lauten: « Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, ob Mann oder Frau, welcher das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hat und im übrigen nach der Gesetzgebung des Kantone, in welchem er seinen Wohnsitz hat, nicht "vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ißt.»

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Der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht vertritt jetzt die Auffassung, es bestehe keine Notwendigkeit, vorher eine Verfassungsrevision vorzunehmen, da Artikel 74 der Bundesverfassung die Schweizerin vom Stimmrecht nicht ausdrücklich ausschliesse, sondern es der Gesetzgebung des Bundes vorbehalte, über die Stimmberechtigung einheitliche Vorschriften aufzustellen.

In einer Pressekonferenz sind Sinn und Inhalt dieser Eingabe durch die Verfasserinnen erläutert worden. Die weite Öffentlichkeit ist also unterrichtet.

Der Bundesrat möchte dazu wie folgt Stellung nehmen.

Im Jahre 1923 ist an den Gemeinderat der Stadt Bern ein Gesuch um Eintragung von Frauen ins Stimmrechtsregister gestellt worden. Der Gemeinderat lehnte ab, ebenso der Eegierungsrat. Eine dagegen gerichtete staatsrechtliche Beschwerde wurde vom Bundesgericht am 14. September 1923 abgewiesen (i. S. Lehmann gegen Bern). Das Bundesgericht konnte sich dabei auf einen Entscheid aus dem Jahre 1887 (BGE 13:4 ff i. S. Kempin) stützen. Im Jahre 1928 wurde auch im Kanton Genf ein solches Gesuch gestellt und abgewiesen.

Das Bundesgericht hat auch in diesem Fall die Beschwerde abgewiesen (am 21. September 1928, Unger gegen Genf). Ebenfalls im Jahre 1928 richtete L. Jenny im Namen einer Anzahl Sohweizerbürgerinnen auf Grund von Artikel 102, Ziffer 2, der Bundesverfassung das Gesuch an den Bundesrat, eine Verfügung zu erlassen, dass alle Frauen, die das 20. Altersjahr überschritten haben und in bürgerlichen Ehren stehen, in das Stirmnrechtsregister ihres Wohnorts eingetragen werden. Der Bundesrat entschied .TOI 18. Mai 1928, dass Artikel 74 der Bundesverfassung eine solche Auslegung nicht zulasse. Eine an die Bundesversammlung gerichtete staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid wurde von den Bäten abgelehnt (vom Nationalrat am 28. September 1928, vom Ständerat am 20. Dezember 1928).

Wir möchten insbesondere aus dem bundesgerichtlichen Urteil vom 14. September 1923 folgende Stelle wiedergeben: «Massgebend für die Beurteilung der Frage, wer in eidgenössischen Angelegenheiten das Stimmrecht hat, ist in erster Linie Artikel 74 der Bundesverfassung, und dieser erklärt ini allgemeinen jeden ,Schweizer', der das 20. Altersjahr zurückgelegt hat, als stimmberechtigt. Mit dieser Bezeichnung gleichwie mit den ähnlichen, die in der eidgenössischen
Wahl- und Abstimmungsgesetzgebung für "die Stimmberechtigten verwendet werden, sind nur die Schweizerbürger männlichen Geschlechts gemeint.

Die Frauen waren nach uraltem Gewohnheits- oder Gesetzesrecht bis in die neuere Zeit hinein allgemein von der politischen Stimmberechtigung.ausgeschlossen; die Beseitigung dieses Ausschlusses bedeutet daher die Aufhebung eines tief eingewurzelten Rechtszustandes, die nur durch eine unzweifelhaft zu diesem Zwecke erlassene Verfassungs- oder Gesetzesbestimmung vor sich gehen und nicht einfach aus einer bestehenden Vorschrift herausgelesen werden kann, bei deren Aufstellung niemand eine derartige Änderung im Auge hatte. Auch der Umstand, dass bis jetzt die Frauen nie zu eidgenössischen Wahlen oder Abstimmungen zugelassen worden sind, zeigt klar, dass die Vorschrift des Artikels 74 der Bundesverfassung die Stimmberechtigung auf die Männer beschränkt. Hat aber Artikel 74 der Bundesverfassung.diesen Sinn, so kann ein Stimmrecht der Frauen in eidgenössischen Angelegenheiten auch nicht aus Artikel 4 oder einer andern Bestimmung der Bundesverfassung abgeleitet werden.»

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Aus der Literatur möchten wir nur Ausführungen der beiden bedeutenden Staaterechtslehrer W. Burckhardt und Giacometti wiedergeben : Burckhardt schreibt in seinem Kommentar (S. 40): «Über die Gleichstellung der Geschlechter im öffentlichen und Privatrecht bemerkt das Bundesgericht in seinem Urteil vom 29. Januar 1887in Sachen Kempin (BGE 13 S. 4) : Wenn die Bekurrentin aus Artikel 4 der Bundesverfassung folgert, er postuliere die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter auf dem Gebiete des gesamten öffentlichen und Privatrechts, so ist diese Auffassung ebenso neu als kühn, sie kann aber nicht gebilligt werden. Eine solche Folgerung würde sich mit allen Regeln historischer Interpretation in Widerspruch setzen. Die verschiedene rechtliche Behandlung der Geschlechter auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts erscheint jedenfalls zurzeit noch nicht nach allgemeiner Anschauung als eine der innern Begründung entbehrende.»

Auch Giacometti, der demFrauenstimmrecht eher günstig gesinnt ist, gelangt in seinem neuesten Werk über das schweizerische Bundesstaatsrecht (1949, S. 432) nicht zu einem andern Ergebnis. Nachdem er festgestellt hat, dass das männliche Geschlecht Voraussetzung für das Stimmrecht sei, fährt er fort: «Allerdings hat das Bundesrecht dieses Erfordernis nicht ausdrücklich aufgestellt. Artikel 74 der Bundesverfassung sowie Artikel 2 des eidgenössischen Wahlgesetzes bezeichnen einfach die Schweizer als stimmberechtigt, so dass man darunter auch die Frauen verstehen könnte. So wird denn auch z. B, der Ausdruck .Schweizer' im Artikel 4 der Bundesverfassung von der Praxis in diesem weiteren Sinne verstanden, Theorie und Praxis nehmen aber als selbstverständlich an, dass Artikel 74 der Bundesverfassung und Artikel 2 des eidgenössischen Wahlgesetzes unter , Schweizer' nur die Männer verstehen. Dem Frauenstimmrecht ist die schweizerische Demokratie nicht günstig gestimmt. Juristisch lässt sich der Ausschluss der Frauen vom Aktivbürgerrecht gestützt auf eine historische Auslegung der einschlägigen Bundesvorschriften begründen. Der historische Gesetzgeber wollte zweifellos den Frauen die Stimmfähigkeit nicht verleihen. Man kann sich aber fragen, ob diese historische Interpretation von Verfassung und Gesetz angesichts der veränderten Verhältnisse, insbesondere der Tatsache, dass die Frau immer mehr ins Erwerbsleben tritt und sogar zu militärischen Funktionen herangezogen wird (Frauenhilfsdienst, Luftschutz), noch sinnvoll und mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit und des allgemeinen Stimmrechts vereinbar erscheint.

Ausgeschlossen wäre aber die Einführung des Frauenstimmrechtes lediglich auf Grund einer andern Auslegung von Verfassung und Gesetz, also ohne Revision der Bundesverfassung oder gar des eidgenössischen Wahlgesetzes.»

Wir begreifen sehr wohl, dass es namentlich viele ledige, verwitwete und geschiedene Frauen als ein Unrecht empfinden, das Stimmrecht und das aktive und passive Wahlrecht nicht zu besitzen. Diesen Frauen schhesst sich eine sehr grosse Zahl verheirateter Frauen aus allen Kreisen und Schichten der Bevölkerung an. Hiezu ist auf die im September 1950 vom Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht herausgegebene Druckschrift «Das Frauenstimmrecht in der Schweiz» zu verweisen. Viele hochgesinnte Schweizerinnen, die nicht mehr auf dieser Erde weilen, haben als Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht gewirkt. Andere sind an ihre Stelle getreten und kämpfen weiter. Aber bei aller Hochachtung, die er ihnen zollt, glaubt der Bundesrat, von der bis jetzt vom Bundesgericht und der Doktrin vertretenen Bechtsauffassung, wonach das Frauenstimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten nur durch eine Verfassungsrevision eingeführt werden kann, nicht abweichen zu sollen.

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V.

Unter diesen Umständen hielt der Bundesrat dafür, dass der Zeitpunkt nicht gekommen ist, uin über die materielle Präge zu entscheiden, ob das Frauenstimm- und -Wahlrecht in eidgenössischen Angelegenheiten einzuführen sei. Ohne für oder gegen das Frauenstimm- und -Wahlrecht Stellung zu nehmen, hat der Bundesrat bis jetzt immer die Auffassung vertreten, es sei richtiger, wenn das Frauenstimm- und -Wahlrecht zuerst in den Gemeinden und in den Kantonen Eingang finde. Erst wenn einige Erfahrungen auf dem Boden des kantonalen und des kommunalen Eechts gesammelt sein werden, wird man mit einiger Aussicht auf Erfolg daran gehen können, das Frauonstimm- und -Wahlrecht in der Eidgenossenschaft zu übernehmen. Es schien dem Bundesrat deshalb auch verfrüht, jetzt schon die im Postulat Oprecht angeregte Prüfung dieser in politischer wie in kultureller Hinsicht höchst wichtigen Frage vorzunehmen. Das ist der Grund, weshalb bis jetzt darüber noch kein Bericht erstattet wurde. Nichts steht aber einer Lösung im Wege, wonach nun die beiden parlamentarischen Kommissionen den eidgenössischen Bäten beantragen, es sei der Bundesrat zu beauftragen, jetzt schon eine Vorlage auf Revision des Artikels 4 der Bundesverfassung und allfällig anderer, damit zusammenhängender Verfassungsartikel den eidgenössischen Bäten zu unterbreiten.

Zusammenfassend stellt der Bundesrat fest, dass die Einführung des Frauenstimm- und -Wahlrechts im Bund nicht ohne eine Eevision der Bundesverfassung möglich ist; die nötige Rechtsgrundlage könnte sowohl durch eine Teilrevision wie bei Anlass einer Totalrevision der Verfassung geschaffen werden.

· Wir ersuchen Sie, in diesem Sinne von dem vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 2. Februar 1951.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates,

2S

Der Bundespräsident: Ed. von Steiger Der Bundeskanzler: Leimgruber

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das für die Einführung des Frauenstimmrechts einzuschlagende Verfahren (Vom 2. Februar 1951)

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